ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 168

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

50. Jahrgang
20. Juli 2007


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

435. Plenartagung vom 25./26. April 2007

2007/C 168/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten: Europäische und globale Tendenzen

1

2007/C 168/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die großstädtischen Ballungsgebiete: Sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas

10

2007/C 168/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Territoriale Agenda

16

2007/C 168/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Bericht der Kommission: Bericht über die Wettbewerbspolitik 2005SEK(2006) 761 endg.

22

2007/C 168/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Bodenschutz und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EGKOM(2006) 232 endg. — 2006/0086 (COD)

29

2007/C 168/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

34

2007/C 168/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Verwirklichung der Nachhaltigkeit im Fischereisektor der EU mithilfe des Konzepts des höchstmöglichen DauerertragsKOM(2006) 360 endg.

38

2007/C 168/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verbot des Inverkehrbringens sowie der Ein- und Ausfuhr von Katzen- und Hundefellen sowie von Produkten, die solche Felle enthalten, in die bzw. aus der GemeinschaftKOM(2006) 684 endg. — 2006/0236 (COD)

42

2007/C 168/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Verbot der Ausfuhr und die sichere Lagerung von metallischem QuecksilberKOM(2006) 636 endg. — 2006/0206 (COD)

44

2007/C 168/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der MitgliedstaatenKOM(2006) 815 endg. — 2006/0271 (CNS)

47

2007/C 168/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen — Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: Eine europäische Vision für Ozeane und MeereKOM(2006) 275 endg.

50

2007/C 168/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Eine gemeinsame EU-Hafenpolitik

57

2007/C 168/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Güterverkehrslogistik in Europa — der Schlüssel zur nachhaltigen MobilitätKOM(2006) 336 endg.

63

2007/C 168/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Halbzeitüberprüfung des Programms zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs (KOM(2003) 155 endg.)KOM(2006) 380 endg.

68

2007/C 168/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Sicherheitsmanagement für die StraßenverkehrsinfrastrukturKOM(2006) 569 endg. — 2006/0182 (COD)

71

2007/C 168/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG über die Vollendung des Binnenmarktes für PostdiensteKOM(2006) 594 endg. — 2006/0196 (COD)

74

2007/C 168/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten

77

2007/C 168/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Förderung des grenzüberschreitenden Radverkehrs

86

DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

435. Plenartagung vom 25./26. April 2007

20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten: Europäische und globale Tendenzen“

(2007/C 168/01)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 6. Juli 2006, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten: Europäische und globale Tendenzen“.

Dieser Beschluss wurde am 26. Oktober 2006 bestätigt.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 6. März 2007 an. Berichterstatter war Herr VAN IERSEL, Mitberichterstatter Herr GIBELLIERI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 130 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Teil 1 — Schlussfolgerungen und Empfehlungen

A.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss empfiehlt das Konzept der Wertschöpfungs- und Lieferkettenentwicklung, oder besser gesagt: des vernetzten Handelns von Branchen und Unternehmen, der Aufmerksamkeit der Verantwortungsträger und dringt auf interaktive Ansätze auf EU- und auf nationaler Ebene.

B.

Diese dynamischen Prozesse erfordern Anpassung und Anpassungsfähigkeit in Bezug auf alle Aspekte der Unternehmensführung. Dazu gehören Produktdefinition und -design, Dienstleistungen, Marketing, Finanzmanagement und Human Resources Management — Aufgaben, die oft extern erbracht werden. Vernetzung heißt, dass Unternehmen weltweit immer stärker miteinander verflochten sind und Produktion und Dienstleistungen immer stärker integriert werden.

C.

Die Unternehmen werden dadurch auf unterschiedliche Weise beeinflusst, was durch die Unternehmensgröße, ihre Position in der Liefer- bzw. Wertschöpfungskette und die Branchen, in denen sie tätig sind, bedingt ist. So sind große multinationale Konzerne in allen Abschnitten dieses Vernetzungsprozesses gut aufgestellt, während relativ kleine und mittelgroße Zulieferer, die am Anfang oder in der Mitte der Kette stehen (erster, zweiter, dritter … Zulieferer), oft mit den in Teil II dargestellten Hindernissen zu kämpfen haben. In dieser Stellungnahme werden diese Unternehmen mit dem speziell für die Zwecke dieser Stellungnahme gemünzten Begriff „IIC“ (initial and intermediate companies) bezeichnet (1).

D.

Die überwältigende Mehrheit der Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft wird von Firmen bereitgestellt, die nicht zu den ganz großen gehören (siehe Ziffer C). Es sind die kreativsten und innovativsten unter ihnen, die für die vernetzte Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sind. Diese Entwicklung hat eine solche Dimension, dass nicht nur von einer erheblichen mikroökonomischen, sondern auch von einer makroökonomischen Relevanz gesprochen werden muss.

E.

Der EWSA hält es für notwendig, das Arbeitsumfeld der IIC zu verbessern. In dieser Stellungnahme werden (in den Abschnitten 3 und 4 in Teil II) die größten Herausforderungen dargestellt und Handlungsempfehlungen ausgesprochen, die Folgendes betreffen:

eine neue Einstellung gegenüber den IIC,

verbesserte Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen zwischen diesen Unternehmen,

erleichterter Zugang zu Finanzierungen,

Verminderung der Einschluss-/Ausschlusseffekte,

Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum,

Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen durch konsequente, effizientere und rechtzeitige Nutzung der handelspolitischen Schutzinstrumente der EU zur Vermeidung unfairer Einfuhren,

Aufbau von Qualifikationen und Unternehmergeist,

Anwerbung qualifizierter junger Arbeitskräfte, besonders Ingenieure, für die IIC,

Umsetzung der neuen EU-Industriepolitik einschließlich ihres branchenspezifischen Ansatzes,

bestmögliche Nutzung des 7. Forschungsrahmenprogramms,

Verabschiedung zielgerichteter Rechtsetzung und Bürokratieabbau.

F.

Ohne eine allgemein anerkannte Definition der IIC ist ihre volle Bedeutung für den industriellen Wandel und die Globalisierung nur schwer zu erfassen. Es müsste viel mehr unternommen werden, um ihre bedeutsame Rolle stärker deutlich zu machen. Sollen die Vorschläge unter E teilweise oder ganz umgesetzt werden, müssen einige Vorbedingungen durch die Unternehmen selbst, einige durch die Politikgestalter und ein großer Teil durch beide zusammen erfüllt werden. Auf jeden Fall muss jedwede Umsetzung in enger Absprache mit allen relevanten Interessenträgern erfolgen. Im selben Zusammenhang sollten sich die Gremien, die auf nationaler und europäischer Ebene den branchenspezifischen Dialog führen, fähig zeigen, politischen Entscheidungsträgern eine glaubhafte, gemeinsame Vision zu unterbreiten.

Teil II — Gründe

1.   Einleitung

1.1

Die Vorstellung, wonach es sich bei Lieferketten um ein modernes Phänomen handelt, ist irreführend. Seit Beginn der organisierten Produktion hat es sie in der einen oder anderen Form immer gegeben.

1.2

Dennoch lässt sich in den letzten Jahrzehnten ein lebhaftes Interesse für Lieferketten feststellen, das auf die stürmische Entwicklung zurückzuführen ist, welche durch den technischen Fortschritt und die Globalisierung mit all ihren Marktauswirkungen angetrieben wird. Diese Thematik ist Gegenstand unzähliger Veröffentlichungen und Konferenzen weltweit. Die konventionelle lineare Sequenzierung wird durch komplexe Netzwerke und integrierte Herstellungsprozesse ersetzt, die sich oft über viele Unternehmen und Länder erstrecken.

1.3

Heute sind in vielen Bereichen Wertschöpfungs- und Lieferketten immer stärker zu einem echten globalen Netz zusammengewachsen. Zutreffender wäre es daher, von „Netzwerken“ statt von „Ketten“ zu sprechen, da erstere zweifellos unbeständigere Erscheinungen als letztere sind.

1.4

Die Wertschöpfungsnetze (oder einfach „Wertnetze“) werden selbst immer globaler und weitläufiger. Im Rahmen dieses Prozesses bildet sich auch ein paneuropäisches Wertnetz heraus, das durch die jüngste EU-Erweiterung noch weiteren Schub erhalten hat.

1.5

Die Einsicht setzt sich durch, dass für die Entwicklungsnotwendigkeiten eines Unternehmens Selbstverbesserung allein nicht mehr ausreicht. Der Nutzen nach innen gerichteter, firmeninterner Programme ist zwar hilfreich und erwünscht, reicht aber nicht aus, um die Unternehmen die Möglichkeiten wahrnehmen zu lassen, die ein echtes globales System des Geschäftsverkehrs bieten würde. Die Firmen müssen über ihren Tellerrand hinausschauen, wenn sie in der modernen Welt überleben wollen.

1.6

Netzwerkmanagement und Logistik sind daher immer stärker in den Vordergrund gerückt, denn die Unternehmen wenden immer mehr Zeit und Mittel für die Sicherung des optimalen Ertrags auf. Dies geschieht, indem sie ihr zunehmend komplexes Geflecht aus Aktivitäten und Dienstleistungen, ohne das die modernen Produktions- und Geschäftsabläufe undenkbar wären, optimieren und koordinieren.

1.7

Die Verantwortung der Manager und das Anforderungsprofil der Arbeitnehmerschaft haben sich auf allen Ebenen radikal gewandelt, da solche Entscheidungen und Haltungen gefordert sind, die ein optimales Zusammenspiel zwischen Kunden, Zulieferern und Unternehmen sicherstellen.

1.8

Dies gilt für alle Unternehmenskategorien — für Großunternehmen und für mittelständische und kleine Unternehmen gleichermaßen — und zwar ungeachtet der Unterschiede und der Interaktionen zwischen den Branchen. Allerdings scheint es, dass Großunternehmen, vor allem jedoch die multinationalen Konzerne, für die aktuellen Trends besser gerüstet sind als IIC (2).

1.9

Tatsächlich arbeiten zwei Drittel der privatwirtschaftlich Beschäftigten in Europa für kleinere und mittlere Unternehmen, von denen viele zu den IIC zu zählen sind. Dementsprechend hat das Gedeihen dieser Unternehmensart nicht nur eine mikroökonomische Dimension, sondern auch eine makroökonomische Auswirkung.

1.10

Da das Thema dieser Stellungnahme jedoch die Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten ist, liegt der Schwerpunkt vor allem auf innovationsstarken IIC des Hochtechnologie- und Hochqualitätsbereichs, die ein Wachstums- und Internationalisierungspotenzial aufweisen, oder auf solchen, die bereits auf dem Weltmarkt agieren (3).

1.11

Es müssen Mittel und Wege gefunden bzw. verbessert werden, um ein gesundes und nachhaltiges Umfeld zu schaffen, das dieser Art von Unternehmen förderlich ist und ihr Potenzial voll zur Geltung bringt.

1.12

Sicher gibt es bei den Lieferketten bzw. -netzwerken Unterschiede von Branche zu Branche, doch soll die in dieser Arbeit durchgeführte Analyse anhand einer einzelnen Branche veranschaulicht werden. Deshalb enthält Anhang 2 der Stellungnahme eine Fallstudie aus der Automobilbranche, in der die Thematik deutlich hervortritt. Diese Branche wurde aufgrund der offenkundigen Komplexität ihrer Lieferketten/-netze gewählt, die in Anhang 1 dargestellt ist.

1.13

Europäische Unternehmen lagern nicht selten eines oder mehrere Glieder der Lieferketten aus. Anschließend werden die auf dieser Stufe produzierten Waren wieder importiert und ein Mehrwert zugefügt, bevor sie erneut in das Wertschöpfungsnetz eingeführt werden. Wichtig ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass im Zuge dieses Prozesses ein Maximum an Rentabilität, Arbeitsplätzen und Know-how in Europa bleibt. Dies ist entscheidend, wird doch Know-how immer mehr zu einem eigenständigen Produktionsfaktor, der in Wertschöpfungsnetzen im Wesentlichen durch grenzenlose anstatt durch einfach grenzüberschreitende Finanzströme angetrieben wird (4).

1.14

In diesem Papier soll der Frage nachgegangen werden, wie die Europäische Union wirkungsvoller dazu beitragen kann, wichtige (Mehrwert erzeugende) Teile der Lieferketten in Europa zu halten (5).

2.   Wertschöpfungsnetze und industrieller Wandel

2.1

Der industrielle Wandel steht in engem Zusammenhang mit der Wertschöpfung im netzwerkartigen Aufbau der Gesellschaft. Dabei kommt Dienstleistungen wie Beratung, Ingenieurdienstleistungen, Logistik oder Marketing eine bedeutsame Rolle zu. Im Zuge der abnehmenden vertikalen Integration verlagert sich die Wertschöpfung auf den Verarbeitungsstufen oft zum Zulieferer. Dieser Prozess wird immer facettenreicher, da viele dieser Zulieferer ebenfalls in globale Netze eingebunden sind, durch die neue gegenseitige Abhängigkeiten zwischen den Zulieferern entstehen.

2.2

Was aber bedeutet eigentlich „global“? Neben der offenbaren Rolle der USA und Japans haben im letzten Jahrzehnt andere Regionen die Weltbühne betreten, darunter die sog. BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China). Allerdings ist hinzuzufügen, dass es in dieser Gruppe zwei Kategorien gibt, wobei besonders der Einfluss von Indien und China die gesamte Weltkarte der Zulieferketten und Wertschöpfung dramatisch verändert (6).

2.3

Vor diesem Hintergrund muss die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, indem sie Mehrwert generiert, da der reine Kostenwettbewerb nicht realistisch und auch nicht mit ihren sozialen und Nachhaltigkeitszielen vereinbar ist.

2.4

Lieferketten und -netze werden immer umfassender, da industrielle Abläufe zunehmend durch eine Fragmentierung der Produktionslinien und die Produktspezialisierung in Folge der technischen Entwicklung und der Ausrichtung an Kundenwünschen charakterisiert sind. Hersteller können zentrale Teile der Produkte standardisieren, dabei zugleich aber Spielraum für Kundenwünsche lassen. Die Rede ist von kundenindividueller Massenfertigung („mass customization“).

2.5

Diese Faktoren werden durch die Interaktion zwischen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen (7) stimuliert, was zu einer Erosion der Branchengrenzen führt. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) tragen zu dieser Situation bei, indem sie für eine wachsende Interoperabilität und die Zunahme elektronisch erbrachter Dienstleistungen sorgen.

2.6

Europäische Unternehmen sollten bestrebt sein, Zuliefernetzwerke zur Generierung von „erweiterten Produkten“ (einem System aus Produkten und Dienstleistungen) zu schaffen, die auf mehrwertträchtige Nischenmärkte abzielen. Sogar die Produktionsstätten selbst sind handelbare komplexe Produkte geworden.

2.7

Neue Technologiezyklen lassen das Management der Humanressourcen auf allen Ebenen immer wichtiger erscheinen und unterstreichen die Dringlichkeit des lebenslangen Lernens als einer unerlässlichen Komponente der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigungsfähigkeit.

2.8

Die Produktzyklen verkürzen sich aufgrund des zunehmenden Wechselspiels von Dienstleistern und herstellendem Gewerbe und des immer globaleren Wettbewerbs sowie der (vorwettbewerblichen) Zusammenarbeit in vielen Bereichen.

2.9

Die Struktur der Unternehmen und ihre dynamische Beziehung untereinander werden durch den sich vollziehenden Wandel stark beeinflusst. Sie bedürfen einer kontinuierlichen Anpassung und Umorganisierung. Die Spezialisierung der Produktionsprozesse, die Kundenbezogenheit und die Entwicklung von Dienstleistungen rund um den Produktionsprozess führen in zunehmendem Maße zu Auslagerungen bzw. Ausgliederungen („Outsourcing“). Im Gegenzug kann Outsourcing zu einer weiteren Spezialisierung und Dezentralisierung führen.

2.10

Parallel zu diesen Prozessen findet eine Konzentration durch Unternehmenszusammenschlüsse und -aufkäufe statt: je größer die Distanz zum Verbraucher, desto stärker die Konzentration und Konsolidierung.

2.11

Outsourcing und Offshoring findet in globalem Maßstab statt (8). Schwellenwirtschaften in den neuen Mitgliedstaaten sowie in Asien sind an diesem Prozess stark beteiligt, und jedes Land bietet spezifische Kostenvorteile und ein eigenes Marktpotenzial. Asien entwickelt sich zum unbestrittenen Zentrum der Billigproduktion und Dienstleistungserbringung. In China und Indien findet eine unabhängige Technologieentwicklung statt. Im Rahmen solcher Prozesse können Teilauslagerungen von Unternehmenstätigkeiten mit realen Arbeitsplatzverlusten stattfinden. Dies kann bei den Beschäftigten zu einem Gefühl der Unsicherheit führen. Andererseits können Verlagerungen auch der Beschäftigung in Unternehmen in Europa zugute kommen (9).

2.12

Das komplizierte Bild der zahllosen globalen Transaktionen, Unternehmenszusammenschlüsse und -übernahmen zeigt, dass Verlagerungen als Resultat von Umgestaltungen der Produktions- und Dienstleistungslinien weder ein linearer Vorgang noch eine Einbahnstraße sind. Denn die Produktionskosten sind nur einer der Faktoren, die bei den Überlegungen berücksichtigt werden. Etliche andere Faktoren, die nicht Gegenstand dieser Stellungnahme sind, spielen mit hinein. Dazu zählen die komplexe Logistik, die hohen Transportkosten, Umweltbelange, Rechtsrahmen, Schutz geistigen Eigentums, die Verfügbarkeit von Rohmaterial, Technologie und Fachwissen. Werden alle diese Aspekte einbezogen, könnte es sich in manchen Fällen für das produzierende Gewerbe und die Dienstleistungsunternehmen lohnen, nach Europa zurückzukehren.

2.13

Andererseits können auch innovative Unternehmensaktivitäten verlagert werden, was für Europa zu einem Verlust von Know-how führen könnte. Tatsächlich können Betriebsverlagerungen langfristig zu einer Erosion der Innovationsfähigkeit der europäischen Industrie führen, falls die Wissens- und Forschungsbasis in der EU nicht gestärkt wird. Die steigende Zahl indischer und chinesischer Ingenieure (45 % aller Ingenieure auf der Welt) spricht hier Bände.

2.14

Dieser Trend könnte sich außerdem noch dadurch verschärfen, dass junge Leute mit hoher Qualifikation Europa den Rücken kehren oder mit Vorliebe eine Beschäftigung in einem Großunternehmen anstreben (10) mit der Folge, dass den europäischen IIC die qualifizierten Arbeitskräfte ausgehen.

2.15

Großunternehmen sind oft günstiger als die IIC aufgestellt, um mit den oben dargestellten Herausforderungen fertig zu werden. Im Allgemeinen verfügen sie über einen relativ leichten Zugang zu Banken und zum Kapitalmarkt, sie arbeiten in vielerlei Hinsicht interaktiv und interoperabel mit anderen Unternehmen zusammen und haben Zugang zu zahlreichen Märkten. Was das Outsourcing anbelangt, sind sie führend. Allerdings sind sie nicht so flexibel wie kleinere Unternehmen.

3.   Herausforderungen für die IIC

3.1

Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass sich die Fragmentierung der Produktion, die Kundenanpassung sowie der Trend zu globalen Netzwerken fortsetzen werden. Auf den meisten Gebieten agieren die großen multinationalen Konzerne als strategische Führer, doch übernimmt eine wachsende Schar von IIC einen Großteil der Arbeit.

3.2

Mitunter sind IIC trotz ihres hohen Potenzials genötigt, auf kurzfristigere Ansätze auszuweichen; sie müssen sich neue Märkte hart erkämpfen, sie sind oft abhängig von regelmäßigen Aufträgen einzelner Großkunden und haben vielfach einen ungünstigeren Zugang zum Kapitalmarkt. Zudem sind sie sehr stark der Gefahr von Brüchen in der Lieferkette ausgesetzt, die sich im Zusammenhang mit den ständigen Forderungen der Großkunden nach Verringerung der Kosten ergibt. In den folgenden Abschnitten soll auf die größten Schwierigkeiten hingewiesen werden, denen sie gegenüberstehen.

Auf die richtige Einstellung kommt es an

3.3

Zahllose Verbesserungen der Rahmenbedingungen für vergleichsweise kleine und mittelgroße Unternehmen sind ohne Zweifel von der Einstellung der Gesellschaft und in den Unternehmen selber abhängig. In einigen Mitgliedstaaten und -regionen gibt es gegenüber dieser Art von Unternehmen eine positivere Haltung als anderenorts. Deshalb sollte der Austausch bewährter Praktiken gefördert werden.

Gegenseitiges Vertrauen und Kooperation zwischen den IIC

3.4

Die IIC müssen ermutigt werden, sich für die Zusammenarbeit zu öffnen und gemeinsame Projekte zu entwickeln. Durch Kooperation und Projekte dieser Art kann ihre Stellung am Markt gefestigt und die Verhandlungsposition der Zulieferer vis-à-vis den Großkunden gestärkt werden. Sie könnten auch schädliche Einschluss- oder Ausschlusseffekte mindern.

3.5

Die Nutzung von Open-source-Software (11) und der freie Zugang zu Engineering-Technologien und Standards sollte propagiert werden. Die effiziente Anbindung der IIC an Forschungseinrichtungen ist von großer Bedeutung.

3.6

Auch die Cluster- und Netzwerkbildung rund um führende Unternehmen und Industrieregionen in hoch industrialisierten und hoch technologisierten Umfeldern könnte eine wertvolle Hilfe sein (12), da sie einer systematischen Kooperation zwischen den Unternehmen entgegenkommt. Eine offene Haltung nahe gelegener Universitäten und Technologieinstitute in Verbindung mit einem geeigneten Ansatz der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sind entscheidend. Von „Industriezonen“ in der Nachbarschaft von Technologiezentren, Wissenschaftsparks und Universitäten können kleinere Unternehmen sehr stark profitieren.

Finanzielle Rahmenbedingungen

3.7

Banken und Investoren allgemein sollten für eine größere Risikobereitschaft gewonnen werden. Statistiken belegen, dass eine solche positive Sicht in der US-amerikanischen Finanzwelt durch hohe Erträge belohnt wird. Der ungehinderte Zugang zum Kapitalmarkt in Europa wäre auf jeden Fall dringend notwendig, und zwar umso mehr, da eine Tendenz zur Abwälzung der finanziellen Last in Produktionsprozessen von den Großunternehmen auf die kleineren Zulieferer festzustellen ist.

3.8

So hat beispielsweise das Outsourcing in der Automobilindustrie zahlreiche Unternehmen mit einem Finanzierungsproblem konfrontiert, da sowohl die Entwicklungsprozesse als auch die Amortisationszeiträume lang sind — die Entwicklung beansprucht 3 bis 5 Jahre, die Amortisationszeiträume betragen 5 bis 7 Jahre. In den USA wurde dieses Problem teilweise dadurch gelöst, dass für einen besseren Zugang zu Privatkapital gesorgt wurde, und in vielen wirtschaftlich aufstrebenden Ländern durch großzügige steuerliche Regelungen und staatliche Beihilfen. Hier müssen in Europa — zumal für die IIC und ihren Finanzierungsbedarf für Forschung und Entwicklung im Dienst der technischen Innovation — dringend bessere Bedingungen geschaffen werden. Neben Maßnahmen durch den Staat und die Banken — einschließlich der Europäischen Investitionsbank (EIB), die in enger Verzahnung mit ihren Finanzpartnern in Europa arbeiten sollte — muss auch privates Beteiligungskapital („private equity“) herangezogen werden.

3.9

Der EWSA nimmt mit großem Interesse die in der Mitteilung der Kommission „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Die Finanzierung des Wachstums von KMU — Der besondere Beitrag Europas“ enthaltenen Richtungssignale zur Kenntnis (13). Es muss eine tragfähigere Brücke geschlagen werden zwischen den Finanzinstitutionen und privatem Beteiligungskapital auf der einen Seite und den KMU auf der anderen.

Einschluss- und Ausschlusseffekte

3.10

Die Abhängigkeit von Großkunden gibt besonders dann Anlass zur Besorgnis, wenn dieses Phänomen in einer monoindustriellen Region auftritt und wenn IIC in Lieferketten eingeschlossen bzw. von ihnen ausgeschlossen werden. Bei der Kooperation mit Großunternehmen werden die Zulieferer oft genötigt, eine bestimmte Technologie einzusetzen. Die Belieferung eines Großkunden kann dann dazu führen, dass sich ein Zulieferer auf eine spezielle Technologie festlegen muss und sozusagen darin „eingeschlossen“ ist.

3.11

Ebenso kann es Zulieferern widerfahren, dass sie ausgeschlossen werden, weil sie nicht über die notwendigen Werkzeuge verfügen, um zusätzliche Märkte zu erschließen und an anderen Lieferketten oder Netzwerken teilzunehmen.

3.12

Großunternehmen hingegen begeben sich nur ungern in die volle Abhängigkeit von einem einzelnen Zulieferer, auch wenn dies zuweilen geschehen mag. Oft ziehen die großen Automobilhersteller insbesondere für die Erforschung, Entwicklung und Produktion neuer Bauteile und Systeme für das Endprodukt Einzelzulieferer vor. Normalerweise kommt es jedoch zu einem scharfen Wettbewerb unter den Zulieferern.

3.13

In einigen Fällen, hauptsächlich in der Automobilindustrie, war zu beobachten, dass die Kosten für die technische Entwicklung den Zulieferern aufgebürdet wurden, denen darüber hinaus auch noch nahe gelegt wurde, ihr Know-how mit den Mitbewerbern zu teilen. Besonders für Zulieferer, die von keiner monopolartigen Stellung profitieren können, lassen sich hier Schwierigkeiten erahnen.

3.14

Einschluss- und Ausschlusseffekte nehmen tendenziell mit steigender Zahl der IKT-Anwendungen zu. Sie sind aber sicherlich nicht nur auf den IT-Bereich beschränkt. Oft sind Lizenzen schwer zu erhalten. Der Mangel an Standardisierung und Interoperabilität auf der einen Seite und der zurückhaltende Einsatz von Open-Source-Technologien auf der anderen Seite ist investitionshemmend.

3.15

Wiederum sind es die Zusammenarbeit und die Clusterbildung, die bei den geschilderten Prozessen für Abhilfe sorgen könnten (vgl. Ziffer 3.6), und zwar besonders in monoindustriellen Regionen.

Rechte am geistigen Eigentum

3.16

Das geistige Eigentum ist ein Faktor von sehr zentraler Bedeutung (14). Der Schutz des geistigen Eigentums stellt eine besondere Herausforderung für die IIC dar, die oft nur eine geringe bis mittlere Größe aufweisen. Die Probleme dieser Unternehmen bei der Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Allgemeinen kamen bereits zur Sprache; ihre Lage sollte nicht noch weiter durch die Schaffung einer Situation verschlimmert werden, in der ihre Wettbewerber die Früchte ernten.

3.17

Patente sind von überragender Bedeutung. Der EWSA hat in zahlreichen Stellungnahmen seiner tiefen Sorge um die „wiederholten Rückschläge bei der Einführung des Gemeinschaftspatents“ Ausdruck verliehen, unter denen die Glaubwürdigkeit der EU-Forschungspolitik gelitten hat und von denen keine Ermutigung zu einer „innovativeren, auf konkurrenzfähige Ergebnisse ausgerichteten Forschung“ (15) ausgegangen ist. Das Unvermögen, dieses wichtige Problem zu lösen, lässt den Schutz von Innovation (besonders im Vergleich zu den Vereinigten Staaten und Japan) zu einer überaus kostspieligen Angelegenheit werden, die mitunter die finanziellen Möglichkeiten der IIC übersteigt.

3.18

Das Problem der teuren Verfahren zum Schutz geistigen Eigentums wird noch weiter durch die Ineffizienz verschärft, die sich aus einer mangelhaften Rechtsdurchsetzung ergibt. Was die Handelsbeziehungen mit China anbelangt, so ist die Produktpiraterie als vordringliches Thema zu behandeln. Aufgrund der Produktpiraterie haben viele Hochtechnologieunternehmen kein Interesse daran, ihre Investitionen in China zu erhöhen, einige haben ihre Investitionen sogar wieder abgezogen (16).

3.19

Anhang 2 zeigt die Tragweite des Missbrauchs von geistigem Eigentum und der Produktpiraterie bei Autoteilen.

Neue Chancen ergreifen — die Bedeutung von Qualifikationen und Unternehmergeist

3.20

Spezialisierte IIC halten viele Trümpfe in der Hand. Neue Möglichkeiten tun sich dort auf, wo von Großbetrieb auf Dezentralisierung und maßgeschneiderte Ansätze umgestellt wird — vorausgesetzt, die erforderlichen Qualifikationen sind vorhanden.

3.21

Es stimmt bedenklich, dass europaweit die Mehrheit der Hochschulabgänger eine Beschäftigung in einem Großunternehmen anstrebt. Hier muss offensichtlich etwas getan werden, um Menschen dazu zu ermutigen, in IIC zu arbeiten, und zwar durch die Verbesserung der Karriereperspektiven. Besonders akut wird das Problem für die IIC da, wo die Gesamtzahl der Hochschulabsolventen nicht ausreicht, etwa im Ingenieurwesen.

3.22

So genannte „duale Ausbildungssysteme“ — gleichzeitiges Lernen und Arbeiten —, die derzeit in einigen Mitgliedstaaten wie Deutschland, Österreich und Luxemburg praktiziert werden, könnten sich für die IIC als sehr aussichtsreich erweisen.

3.23

Die Verbesserung der Qualifikationen und Fähigkeiten der Arbeitnehmerschaft ist wesentlich; die Arbeitnehmer selbst wie auch die Unternehmen stehen hinsichtlich der Hebung der Standards (17) in der Pflicht. Die Verbesserung der Arbeitsplatzumgebung kann sich hier günstig auswirken. Moderne Konzepte im Personalwesen, darunter die systematische Überprüfung der Bildungs- und Berufsbildungspläne, könnten einen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen leisten. Diese Punkte müssen im Rahmen der branchenspezifischen Ansätze sowie im Dialog zwischen den Sozialpartnern berücksichtigt werden.

3.24

Neben dem direkten Zusammenhang zwischen effizienten Bildungssystemen und der Qualität der Arbeitnehmerqualifikationen kann die Bedeutung des Dreiecks Bildung — Innovation — Forschung nicht überschätzt werden. In diesem Zusammenhang kann sich die neue EU-Initiative „Regionen für den wirtschaftlichen Wandel“ als sehr hilfreich erweisen, da sie die regionale Dimension und die Auswirkungen von Forschung, technischem Können und Wirtschaftscluster in den Mittelpunkt stellt (18).

3.25

Sollen die aus verbessertem Können und gestärktem Unternehmergeist erwachsenden Vorteile für die IIC nutzbar werden, darf die Bedeutung der territorialen Dimension nicht übersehen werden. Die Globalisierung mit der durch sie ausgelösten stetig zunehmenden Internationalisierung bringt auch das Erfordernis einer entsprechend größeren regionalen Nähe mit sich. Dies kann erreicht werden durch:

regionale strategische Programme,

territorialen sozialen Dialog,

basisnahe Initiativen und regionale Partnerschaften, die regionale Besonderheiten nutzen,

Mobilität von Forschern zwischen Unternehmen und Universitäten.

3.26

Der Unternehmergeist ist überaus wichtig und ebenso Kreativität und Flexibilität, die sich als Anpassungsvermögen an ein sich rasch wandelndes Umfeld ausdrücken. Kleine und mittelgroße Unternehmen können oft besser mit solchen Herausforderungen umgehen als Großunternehmen. Diese Faktoren dürften den kleineren Unternehmen helfen, von der Fragmentierung und Kundenausrichtung der Netzwerke zu profitieren (19).

4.   Maßnahmenvorschläge

4.1

Um die Effizienz der Wertschöpfungs- und Lieferketten zu verbessern, muss ein gesundes geschäftliches Umfeld für IIC geschaffen werden. Nach Meinung des Ausschusses gibt es zwei Hauptinstrumente, mit denen die Präsenz europäischer IIC in den globalen Netzen gesichert werden könnte: die neu konzipierte Industriepolitik (mit ihrem sektorbezogenen Ansatz) und das 7Forschungsrahmenprogramm (FRP7).

Industriepolitik

4.2

IIC sollten systematischer in den Rahmen der Industriepolitik einbezogen werden. Die Kommission und der Rat sollten bei künftigen Rechtsetzungsvorhaben in Bereichen wie technische Entwicklung und Normung die Auswirkungen auf High-Tech-Unternehmen vorab genauer untersuchen. Bei „Industrie“ denkt man zu oft nur an Großunternehmen. Die — oftmals übersehenen — IIC sollten gesondert konsultiert werden.

4.3

Der Ausschuss betont die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien für die IIC. Er erklärt sich voll und ganz einverstanden mit den Zielen, die die Kommission in ihrer Mitteilung „Vertrauenswürdigkeit elektronischer B2B-Marktplätze“ (20) vorgestellt hat.

4.4

Die Kommission hat zudem ein Europäisches Netz für die Unterstützung von KMU beim elektronischen Geschäftsverkehr (EEBSN) eingerichtet. Der EWSA begrüßt das Hauptziel des EEBSN, durch das europaweit der Sachverstand im Bereich elektronischer Geschäftsverkehr gebündelt und die Erfahrungen sowie bewährte Praktiken geteilt werden sollen.

4.5

Ein Schlüsselaspekt der EU-Industriepolitik ist der aus der Branchenperspektive heraus geführte offene Dialog über künftige Richtungsentscheidungen und Technologien, wie er in den aktuellen europäischen Technologieplattformen vorgesehen ist. Obwohl die Grenzen zwischen den Branchen zunehmend ins Fließen geraten, ist der branchenspezifische Ansatz in diesem Gebiet immer noch angebracht und eröffnet den IIC willkommene Perspektiven.

4.6

Die Bedeutung der Innovation kann gar nicht stark genug betont werden. Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag der Kommission zur Entwicklung innovationsfreundlicher Führungsmärkte („lead markets“) durch die Lancierung einer neuen Führungsmarktinitiative, die darauf abzielt, neue innovative Produkte und Dienstleistungen in viel versprechenden Bereichen zu konzipieren und zu vermarkten (21).

4.7

Wichtig ist die Teilnahme der IIC an Technologieplattformen. Es steht zu hoffen, dass weitere Mittel und Wege gefunden werden, um die Hemmnisse auf diesem Gebiet auszuräumen. Eine strategische Forschungsagenda muss entworfen werden, die gerade auch die IIC berücksichtigt. Dennoch lassen sich im Alltagsgeschäft dieser Plattformen auch die traditionellen Schwachpunkte vieler dieser Unternehmen beobachten, darunter der Mangel an gegenseitigem Vertrauen, Zeit, verfügbaren Vertretern und nicht selten auch der fehlende strategische Schwerpunkt.

4.8

Um eine strategische Forschungsagenda zu definieren, hat die hochrangige Gruppe „Manufuture“ (22) eine Analyse durchgeführt. Diese enthält ähnliche Ideen zum Wandel, zu neuen Mehrwert-Produkten sowie zu dem Mix von Produktion und Dienstleistung einerseits und innovativen Produktionsformen andererseits (23).

4.9

Zudem ist der Einschluss-/Ausschlusseffekt in Lieferketten oft ein Hemmnis für die effektive Teilnahme an den Plattformen, wenn IIC, auch solche mit einem hohen Potenzial, nicht in der Lage sind, an interoperablen Systemen teilzuhaben.

4.10

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass eine strategische Vision für IIC entwickelt werden muss, die dazu beitragen könnte, die Handicaps zu überwinden, die aus einer Einschluss- oder Ausschluss-Situation entstehen können. Das Ziel sollte die Interoperabilität sein. Es könnte erreicht werden durch:

a)

eine Ad-hoc-Initiative, bei der Software-Anbieter kooperieren und ihren Service mehr Kunden zukommen lassen, und

b)

eine Senkung der Preise für die von den IIC benötigten Tools oder sogar durch deren kostenfreie Bereitstellung (24). Dadurch sollen die IIC in die Lage versetzt werden, größere Kundenkreise zu erreichen (25).

4.11

Nach Auffassung des EWSA könnte dasselbe Ziel durch die Schaffung von EU-Foren zur Kooperation zwischen den IIC gefördert werden, in denen sich Kreativitäts- und Innovationspotenziale in Europa bündeln ließen.

4.12

Ein Kernproblem ist der verbesserte Zugang zu den Kapitalmärkten.

4.12.1

Bei Banken und sonstigen Investoren, darunter Risikokapitalfonds, sollte für eine größere Risikobereitschaft geworben werden, etwa indem stärker in IIC im Hochtechnologiebereich investiert wird.

4.12.2

Als spezifisches Beispiel könnte der leichtere Zugang der IIC zum Kapitalmarkt und zu privatem Beteiligungskapital genannt werden, wobei die Zahlungsfristen, die sich aus den bisweilen problematisch langen Entwicklungs- und Amortisationszeiträumen ergeben, entsprechend zu gestalten sind. Finanzinstitutionen wie die Europäische Investitionsbank (EIB) und der Europäische Investitionsfonds (EIF) sollten gestärkt werden, damit der Zugang zu Risikokapitalfinanzierungen, Wagniskapital und Garantieportfolios erleichtert wird (26).

4.12.3

Der EWSA ist der Ansicht, dass Finanzinstitutionen wie die Europäische Investitionsbank eine noch weitergehende flankierende Funktion wahrnehmen könnten, und zwar besonders in Form von Konsortien, an denen lokale Banken, die mit den Unternehmen vor Ort vertraut sind, beteiligt sind.

4.12.4

Vor dem Hintergrund der Industriepolitik neuen Stils und den Forschungspartnerschaften mit der Industrie arbeitet die Europäische Investitionsbank mit der GD Forschung an einem neuen Finanzinstrument, der Risk-Sharing-Finanzfazilität (RSFFRisk Sharing Finance facility). Ziel dieser Maßnahme ist der verbesserte Zugang zur Darlehensfinanzierung, und zwar besonders für Forschungsvorhaben in der Privatwirtschaft und damit verbundene Tätigkeiten, die ein überdurchschnittliches Risikoprofil aufweisen, das vom Markt nicht abgedeckt wird.

4.13

Die Steuerpolitik fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Dessen ungeachtet wäre es wirklich sinnvoll, auf EU-Ebene wünschenswerte steuerpolitische Maßnahmen zu erörtern, mit denen die Stellung der europäischen Unternehmenswelt in globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten gestärkt wird.

4.14

Die Europäische Union muss den Schutz des geistigen Eigentums kleiner und mittlerer Unternehmen zu einem Ziel ihrer Handelspolitik machen, da in (großen) aufstrebenden Wirtschaftsräumen eine oftmals unfaire und unzuverlässige Haltung gegenüber europäischen Unternehmen anzutreffen ist.

4.15

Das Humankapital ist entscheidend. Stärker als je zuvor sind die Bildungssysteme unerlässliche Stützen des nachhaltigen Wirtschaftswachstums. Bildung, Berufsbildung und lebenslanges Lernen liegen in der gemeinsamen Verantwortung jedes Einzelnen sowie der Unternehmen, Sozialpartner und Behörden (27).

4.16

Die in den Branchen geführten Diskussionen zwischen den Sozialpartnern sollten zu maßgeschneiderten Ansätzen im Personalwesen führen, wozu auch die Entwicklung von Ausbildungsprogrammen gehört, die so zu gestalten sind, dass die erforderlichen beruflichen Qualifikationen vermittelt werden. In den branchenspezifischen Dialogen sollten ferner die regionale Dimension des industriellen Wandels und die EU-Initiative „Regionen für den wirtschaftlichen Wandel“ einbezogen werden (28).

Das siebte Forschungsrahmenprogramm

4.17

Im 7. Forschungsrahmenprogramm, das in die selbe Richtung zielt wie die neue Industriepolitik, sollte den kleinen und mittleren Unternehmen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, einschließlich des sachdienlichen Einsatzes des neuen RSFF-Instruments, das gemeinsam mit der EIB entwickelt wird (29). Bei anspruchsvollen IKT-Projekten, die aus dem FRP7 gefördert werden, ist die Teilnahme der IIC wesentlich, sollen sie doch in die Lage versetzt werden, an anspruchsvollen Netzwerken und an der Zusammenarbeit teilzuhaben.

4.18

Nach Auffassung des EWSA kann das FRP7 einen Beitrag zur Verstetigung der Innovationspolitik leisten, wobei enge Verbindungen zwischen Wissenszentren (Universitäten, Technologieinstitute, Berufsschulen) und industriellen Aktivitäten anzustreben sind. Für eine solche Politik sind Wertschöpfungs- und Lieferketten oder -netzwerke wesentlich, da das Programm darauf abzielt, die Entwicklung neuer „erweiterter Produkte“ (auch Produkt-Dienstleistungen oder produktintegrierte Dienstleistungen genannt) und neuer Prozesse zu unterstützen. Ziel ist die Schaffung einer einheitlichen einsatzfähigen Netzwerkumgebung in Europa, die auch den IIC dient.

4.19

Der EWSA stellt fest, dass es aufgrund der Bürokratieanforderungen schwierig ist, kleine und mittelgroße Unternehmen in Forschungs- und Entwicklungsprogramme einzubinden. Der Bearbeitungszeitraum von mindestens einem Jahr ist für diese Unternehmen bei weitem zu lang.

4.20

Es wäre überaus wünschenswert, die richtigen Bedingungen für die Entwicklung starker Netzwerkunternehmen mit transparenten Schnittstellenstrukturen zu schaffen. Der EWSA spricht sich dafür aus, dass das FRP7 einen Beitrag zur systematischen Entwicklung einer optimalen Netzwerkstruktur und flüssiger Netzwerkabläufe in einem dynamischen, komplexen industriellen Umfeld leisten sollte.

4.21

In ähnlicher Weise sollte die Schaffung von Managementstrukturen für Logistik- und Lieferketten sowohl auf strategischer als auch operationeller Ebene unterstützt werden.

4.22

Auch weniger technologiebasierte Industriezweige, die physisch an Europa gebunden sind, können mit Hilfe von Forschungsprogrammen kontinuierliche Produktivitäts- und Effizienzfortschritte sichern und damit ihre Wettbewerbsposition wahren.

4.23

Einer der vielen Aspekte, die die Unternehmen berücksichtigen müssen, um in den vollen Genuss von EU-Forschungsprogrammen zu kommen, ist die Bedeutung der Schaffung zweckdienlicher Netzwerke. Obwohl diese Botschaft bei den IIC in Europa noch nicht ganz angekommen ist, könnte sich die (vorwettbewerbliche) Zusammenarbeit der Unternehmen als überaus nützlich erweisen; Gleiches gilt für die Förderung partnerschaftlicher Beziehungen.

4.24

Demgemäß wird mit dem FPR7 beabsichtigt, einen Beitrag zu einer wissensorientierten, vernetzten Industrie zu leisten, die auf europäischen Standards aufbaut und deren wesentliche Elemente die Zusammenarbeit, die Interkonnektion und die Interoperabilität sind.

4.25

Der Ausschuss sieht im FRP7 eine große Chance zur Effizienzsteigerung von Wertschöpfungs- und Zuliefernetzen und appelliert an die relevanten beteiligten Kreise, die volle Umsetzung des Programms sicherzustellen. Dies gilt nicht nur für Technologien, die die Interkonnektivität in Netzen fördern (hauptsächlich IKT), sondern auch andere „Sprungbretttechnologien“, darunter die Nanotechnologie.

4.26

Entsprechend den Entwicklungen in der Industriepolitik werden regionalen und lokalen Zusammenhängen und Maßnahmen im FRP7 ebenfalls Bedeutung beigemessen, besonders mit Blick auf die Zusammenarbeit der IIC mit Großunternehmen und nahe gelegenen Universitäten sowie Technologieinstituten und Berufsschulen (30).

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Dementsprechend bezieht sich diese Stellungnahme auch nicht auf die kleinen und mittelgroßen Unternehmen („KMU“) im Sinne der Definition der Europäischen Kommission. Die kleineren Unternehmen, um die es hier geht, sind Zulieferbetriebe mit einigen Hundert Beschäftigten, während mittelständische Zulieferer mitunter Tausende Arbeitnehmer beschäftigen. Beide stehen am Anfang oder in der Mitte der Wertschöpfungskette, mit anderen Worten: sie sind nicht die Enderzeuger/Endanbieter, die in der Regel größere Unternehmen sind. Diese Unternehmen definieren sich nicht aufgrund messbarer Unternehmensdaten (Umsatz, Beschäftigung usw.), sondern mehr aufgrund ihrer Position innerhalb der Wertschöpfungs- und Zulieferketten. Rohstofflieferanten, bei denen es sich zwar tendenziell um größere Unternehmen handelt, werden in dieser Stellungnahme nicht behandelt, obwohl sie am Anfang des Produktionsprozesses stehen.

(2)  Vgl. Ziffer C und Fußnote 1.

(3)  Siehe Fußnote 1.

(4)  Siehe hierzu „The Three Rounds of Globalisation“, Ashutosh Sheshabalaya (Autor), The Globalist, Ausgabe von Donnerstag, 19. Oktober 2006

(http://www.theglobalist.com/DBWeb/printStoryId.aspx?StoryId=5687).

(5)  Die Stellungnahme knüpft thematisch an die folgenden früheren oder aktuellen Stellungnahmen an: „Wechselwirkungen zwischen Dienstleistungen und Industrie in Europa sowie Auswirkungen auf Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität“ (CCMI/035 — CESE 1146/2006, ABl. C 318 vom 23.12.2006), „Innovation: Auswirkungen auf den industriellen Wandel und die Rolle der EIB“ (CCMI/038 — in Erarbeitung), „Regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels: die Rolle der Sozialpartner und der Beitrag des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation“ (CCMI/031 — CESE 1144/2006, ABl. C 318 vom 23.12.2006), „Europäische Logistikpolitik“ (TEN/240, CESE 210/2007, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht); „Verbesserung der Sicherheit der Lieferkette/Güterverkehr“ (TEN/249 — CESE 1580/2006, ABl. C 325 vom 30.12.2006), „Große Einzelhandelsunternehmen — Tendenzen und Auswirkungen auf Landwirte und Verbraucher“ (NAT/262 — CESE 381/2005, ABl. C 255 vom 14.10.2005).

(6)  Art. cit. Fußnote 4.

(7)  Diese Thematik wurde im Rahmen der EWSA-Stellungnahme „Wechselwirkungen zwischen Dienstleistungen und Industrie in Europa sowie Auswirkungen auf Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität“ (CCMI/035, CESE 1146/2006, ABl. C 318 vom 23.12.2006) erschöpfend behandelt.

(8)  Die CCMI hat sich intensiv mit Betriebsverlagerungen, mit dem Umfang dieses Phänomens sowie mit den daraus erwachsenden Herausforderungen und Chancen auseinandergesetzt. Das Ergebnis dieser Arbeit (Stellungnahme, Informationsbericht, externe Studie, Konferenz) kann der Broschüre „Betriebsverlagerungen: Herausforderungen und Chancen“ (ISBN: 92-830-0668-2) entnommen werden, die unter der folgenden Internetadresse heruntergeladen werden kann:

(http://www.eesc.europa.eu/documents/publications/index_en.asp?culture=EN&id=141&details=1).

(9)  Das „Offshoring Research Network“, ein transatlantischer Zusammenschluss von sechs Forschungsinstituten, führte unlängst seine jüngste Zweijahresstudie über die Entwicklungen bei Betriebsverlagerungen durch. Das Rotterdamer „Erasmus Strategic Renewal Centre“ untersuchte niederländische Unternehmen und gelangte zu folgendem Schluss: „Die Verlagerung von Unternehmenstätigkeiten blieb in 57 % der Offshore-Vorhaben ohne Einfluss auf die Zahl der Arbeitsplätze niederländischer Unternehmen. Bei 39 % der Verlagerungen kam es jedoch zu Arbeitsplatzverlusten; nur in 4 % der Fälle entstanden neue Arbeitsplätze in den Niederlanden. Aus den Untersuchungen geht hervor, dass durchschnittlich 37,8 neue Arbeitsplätze am Offshore-Standort geschaffen werden und durchschnittlich 3,5 Arbeitsplätze in den Niederlanden verloren gehen. Mit anderen Worten entstehen für jeden verlorenen Arbeitsplatz in den Niederlanden 10,8 neue Arbeitsplätze an einem ausländischen Standort“.

(10)  Siehe Ziffer 3.22

(11)  Vgl. die unlängst veröffentlichte Studie über die Auswirkungen der Open-source-Software in der IKT-Branche in der EU, herausgegeben von MERIT im Auftrag der Europäischen Kommission (DG ENTR) am 26. Januar 2007 (Schlussbericht vom 20. November 2006), abrufbar unter:

http://ec.europa.eu/enterprise/ict/policy/doc/2006-11-20-flossimpact.pdf

(12)  Ein erhellendes Beispiel neben vielen anderen ist die Region Eindhoven-Löwen, wo eine Interaktion zwischen Universitäten und Unternehmen stattfindet (angeführt durch das multinationale Unternehmen Philips), was zur Schaffung eines günstigen Umfelds für viele KMU im Hochtechnologiebereich geführt hat.

(13)  Die Mitteilung KOM(2006) 349 endg. wird vom Ausschuss im Rahmen der Initiativstellungnahme „Unternehmenspotenzial, insbesondere von KMU (Lissabon-Strategie)“ (INT/324, in Erarbeitung) bearbeitet. Diese Stellungnahme ist Teil der Antwort auf das Ersuchen, das der Europäische Rat vom 23./24. März 2006 an den EWSA gerichtet hatte (Ziffer 12 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes) und in dem der Ausschuss gebeten wurde, Anfang 2008 einen zusammenfassenden Bericht zur Unterstützung der Partnerschaft für Beschäftigung und Wachstum vorzulegen.

(14)  Vgl. Ziffer 16 in Anhang 2 über den Missbrauch geistigen Eigentums bzw. die Produktpiraterie in der Automobilzulieferbranche.

(15)  Vgl. Stellungnahme CESE 89/2007 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht), Ziffer 1.1.4, und CESE 729/2006 (ABl. C 195 vom 18.8.2006), Ziffer 3.3.4.

(16)  NRC Handelsblad, eine führende niederländische Zeitung, Ausgabe vom 4. November 2006.

(17)  „Können muss identifiziert, erworben, gespeichert, entwickelt und geteilt werden, um den Wert und die Effizienz eines Unternehmens zu steigern. Das bedeutet, dass Unternehmen zu ‚lernenden Organisationen‘ und Arbeitsplätze zu einer dauerhaften Arbeits-Lernumgebung gestaltet werden müssen“. Zu diesem Zweck wurde im Rahmen des KNOWMOVE-Projekts „ein Wissensmanagementansatz entwickelt und getestet, mit dem die Erfahrungen der älteren Arbeitnehmer sowie bewährte Praktiken an einem Ort kartiert, organisiert und gespeichert werden können, wo sie von jedem Beschäftigten des Unternehmens abgerufen werden können.“

(Vgl: http://www.clepa.be/htm/main/promo%20banner/CLEPA%20events/maintopics_KnowMove%202%20Final%20Event.htm, wo die Konferenz „Securing Growth, Innovation and Employment in a Changing Automotive Industry“ vorgestellt wird, die von CLEPA als letzter Schritt zur Bekanntmachung von KNOWMOVE organisiert wird).

(18)  Diese Initiative für den Zeitraum 2007-2013 wurde am 8. November 2006 von der Europäischen Kommission unter dem Ziel „Territoriale Zusammenarbeit“ angenommen. (http://ec.europa.eu/regional_policy/cooperation/interregional/ecochange/index_en.cfm).

(19)  Vgl. zum Beispiel „Hidden Champions, Lessons from 500 of the World's Best Unknown Companies“, von Hermann Simon (Harvard Business School Press, 1996). „Hidden Champions“ gibt eine Beschreibung von hauptsächlich deutschen Unternehmen, die Weltmarktführer in ihrem jeweiligen Segment sind, darunter Etikettiermaschinen, Modelleisenbahnen, Räucherkerzen, Blumenerde und Schaukästen für Museen.

(20)  KOM(2004) 479 endg.

(21)  Vgl. Mitteilung der Kommission zum Thema „Kenntnisse in die Praxis umsetzen: Eine breit angelegte Innovationsstrategie für die EU“ (KOM(2006) 502 endg.), „Ein innovationsfreundliches, modernes Europa“ (KOM(2006) 589 endg.) und „Wirtschaftsreformen und Wettbewerbsfähigkeit: Kernaussagen des europäischen Berichts über die Wettbewerbsfähigkeit 2006“ (KOM(2006) 697 endg.). Die CCMI erarbeitet ihrerseits eine Initiativstellungnahme zum Thema „Innovation: Auswirkungen auf den industriellen Wandel und die Rolle der EIB“ (CCMI/038).

(22)  Die hochrangige Gruppe „Manufuture“ ist das leitende Gremium der im Dezember 2004 ins Leben gerufenen „Manufuture European Technology Platform“. Ihr Ziel ist die Lancierung einer forschungs- und innovationsbasierten Strategie, die den industriellen Wandlungsprozess in Europa beschleunigen und dabei mehrwertschaffende Arbeitsplätze sichern sowie einen bedeutenden Anteil der Weltproduktion in der künftigen wissensbasierten Wirtschaft gewährleisten soll. Näheres dazu unter:

http://www.manufuture.org/platform.html.

(23)  In ihrem im September 2006 veröffentlichten (nur in Englisch erhältlichen) Bericht argumentiert die Manufuture High-Level Group, dass die Geschäftstätigkeit aufgrund der Nachfrage nach kundenspezifischen Produkten mit kurzer Lieferzeit von der Planung und dem Vertrieb physischer Produkte neu ausgerichtet werden sollte. Statt dessen sollten Produktsysteme und Dienstleistungen angeboten werden, die den Ansprüchen der Kunden entsprechen und dabei die Lebenszykluskosten und die Umweltauswirkungen verringern (siehe Ziffer 4, Seite 15). Eine innovative Produktion umfasst neue Geschäftsmodelle, neue Arten des „manufacturing engineering“ und die Fähigkeit, von neuen, grundlegenden Erkenntnissen der Produktionswissenschaften und -technologien zu profitieren (Zusammenfassung, Seite 9). Netzwerke und integrierte Herstellungsprozesse ersetzen die konventionelle lineare Sequenzierung durch komplexe Produktionsnetzwerke, die sich oft über viele Unternehmen und Länder erstrecken (Ziffer 5, Seite 15).

(24)  Ein bereits bestehendes Beispiel hierfür sind die Digital Business Eco-systems.

(25)  Zwei erfolgreiche Beispiele sind Universaldiagnosegeräte, die für die Interoperabilität von Reparaturwerkstätten sorgen, und das Mobiltelefonsystem GSM, dessen Erfolg darauf zurückzuführen ist, dass sich die Unternehmen von Anfang an auf grundlegende Formate, Standards und Austauschverfahren für den Datenverkehr einigen konnten.

(26)  Der Zugang der KMU zu Finanzierungsarten soll durch die neuen Möglichkeiten verbessert werden, die das von dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) verwaltete Gemeinschaftsprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) in Bezug auf Risikokapital und Garantien bietet. Ebenfalls für Erleichterungen sorgen soll die neue, in Zusammenarbeit von EIF und GD REGIO unternommene Initiative JEREMIE (Joint European Resources for Micro to Medium Enterprises — Gemeinsame europäische Ressourcen für kleinste bis mittlere Unternehmen) zur Verbesserung des Finanzierungsmöglichkeiten für KMU in den Gebieten der Regionalentwicklung.

(27)  Mit den EU-Strukturfonds (in der Hauptsache der Europäische Sozialfonds (ESF)) und Programmen (wie Lebenslanges Lernen 2007-2013) wird ein strategischer Ansatz zur Stärkung des Humankapitals und des physischen Kapitals verfolgt. Der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung bietet zusätzliche Hilfe bei der Umschulung und Arbeitsplatzsuche von Arbeitnehmern, die aufgrund großer Umschichtungen im Welthandel ihren Arbeitsplatz verloren haben.

(28)  Vgl. Fußnote 18.

(29)  Um zu stärker risikoorientierten Finanzierungsmöglichkeiten zu gelangen, arbeitet die EIB gemeinsamen mit der Kommission (GD Forschung) an einem neuen Finanzierungsinstrument, der Risk-Sharing-Finanzfazilität (RSFF). Dabei soll der Zugang zur Darlehensfinanzierung verbessert werden, und zwar besonders für Forschungsvorhaben in der Privatwirtschaft und damit verbundene Tätigkeiten, die ein überdurchschnittliches Risikoprofil aufweisen, das vom Markt nicht abgedeckt wird. Das RSFF soll förderungsberechtigten Darlehensnehmern ungeachtet ihrer Größe und ihrer Besitzerstruktur offen stehen. Diese Maßnahme wird auch europäische Forschungsinitiativen wie Forschungsinfrastrukturen, europäische Technologieplattformen, gemeinsamen Technologieinitiativen oder Eureka-Projekte fördern.

(30)  Vgl. die Stellungnahme des EWSA „Regionale und lokale Politik zur Bewältigung des industriellen Wandels: die Rolle der Sozialpartner und der Beitrag des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation“ (CCMI/031 — CESE 1144/2006, ABl. C 318 vom 23.12.2006), und hier insbesondere Ziffer 1 „Schlussfolgerungen und Empfehlungen“ und 4 „Der integrierte territoriale Ansatz und die Systeme der Zukunftsforschung im Bereich der territorialen Innovation und Forschung“.


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: Sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“

(2007/C 168/02)

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ersuchte den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss am 7. November 2006 im Namen des deutschen Ratsvorsitzes um eine Stellungnahme zu folgendem Thema: „Die großstädtischen Ballungsgebiete: Sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 20. März 2007 an. Berichterstatter war Herr van IERSEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 125 Ja-Stimmen, ohne Gegenstimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

Diese Stellungnahme ist die Fortsetzung der Stellungnahme ECO/120: „Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“ (1). Die beiden Stellungnahmen bilden ein zusammenhängendes Ganzes.

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Im Verlaufe der letzten 50 Jahre hat sich der europäische Raum verändert. Die Globalisierung beschleunigt diese Veränderungen zusehends, wodurch sich beträchtliche Auswirkungen auf die Gravitationszentren Europas — also die großstädtischen Ballungsgebiete — ergeben (2). Diese sind am besten in der Lage, eine Antwort auf die sich aus den Veränderungen ergebenden Herausforderungen zu geben und die sich bietenden Chancen uneingeschränkt zu nutzen.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Ansicht, dass sowohl die Entwicklung der Metropolräume als auch die diesbezüglichen einzelstaatlichen Initiativen Gegenstand einer Untersuchung und gemeinsamer Leitlinien des Rates und der Kommission sein sollten. Eine klar strukturierte Diskussion auf Gemeinschaftsebene würde die einzelstaatlichen Ansätze in einen europäischen Zusammenhang stellen und könnte auch ein Ansporn für die regionalen Entscheidungsträger sein.

1.3

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass eine besser strukturierte Debatte über die großstädtischen Ballungsgebiete in Europa sowie zwischen ihnen dazu beitragen würde, diese Regionen darin zu bestärken, sich erfolgreich in die Lissabon-Göteborg-Agenda einzubringen, was sich auch auf die Nationalen Reformprogramme auswirken könnte.

1.4

Der EWSA stellt fest, dass seit einigen Jahren eine lebhafte Debatte stattfindet. Durch die Beziehung zwischen den großen Metropolen und der Lissabon-Strategie treten die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der großen Ballungsräume viel stärker als früher in den Vordergrund. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung.

1.5

In vielen Staaten und Regionen versuchen die Behörden — genau wie die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft — die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung der Metropolräume zu schaffen und ihre Wettbewerbsfähigkeit in Europa und in der Welt zu gewährleisten. Insbesondere die Entwicklung in Deutschland ist diesbezüglich sehr interessant. Hochschulstudien und andere auf Bundesebene durchgeführte Untersuchungen haben hier zu einer größeren Objektivität der Debatte beigetragen. An Ministerkonferenzen über Metropolräume waren die Regierung und regionale Behörden beteiligt.

1.6

Die Städtepolitik der Europäischen Kommission und der vom Rat erarbeitete Entwurf einer Territorialen Agenda sind ein Schritt nach vorn. Durch sie wird der Rahmen für eine ehrgeizige Städtepolitik abgesteckt. In der Agenda werden mehrere spezifische Merkmale der großen Metropolen hervorgehoben. Der EWSA stellt jedoch fest, dass dieser Bereich in dem Entwurf der Territorialen Agenda noch zu stiefmütterlich behandelt wird.

1.7

Die Herausforderungen und die Ziele der großen städtischen Regionen sind trotz der unterschiedlichen Strukturen und der Ansätze, die von Staat zu Staat verschieden sind, weitgehend die gleichen.

1.8

Die Schwachstellen einer ausgewogenen Entwicklung der großstädtischen Ballungsgebiete sind mangelnde Identität und das Fehlen eines angemessenen Verwaltungssystems. Der bestehende Verwaltungsapparat ist häufig sehr alt. Er verhindert eine flexible Anpassung.

1.9

Um die Metropolräume zum Erfolg zu führen, sind Anstrengungen auf mehreren Ebenen (staatlich, regional und städtisch) unabdingbar. Dies setzt eine Legitimierung der dezentralen Behörden voraus, was auch Initiativen des Privatsektors sowie nichtstaatlicher Organisationen erleichtern wird.

1.10

Der Ausschuss stellt erneut das Fehlen von auf europäischer Ebene vergleichbaren sozioökonomischen und ökologischen Daten zu den Metropolräumen fest. Nach Ansicht des EWSA ist eine jährliche Bestandsaufnahme der Entwicklung der europäischen Metropolräume aus wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Sicht auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene notwendig, um sich eine bessere Kenntnis über die jeweilige Situation in den einzelnen Gebieten verschaffen zu können und die Mobilisierung der betreffenden Akteure in den Metropolräumen zu fördern.

2.   Empfehlungen

2.1

Der Ausschuss empfiehlt, dass die Kommission als Ergänzung zur Territorialen Agenda und den strategischen Kohäsionsleitlinien ein Grünbuch zu den großstädtischen Ballungsgebieten erarbeitet, um der europäischen Debatte durch eine objektive Analyse neue Impulse zu verleihen.

2.2

Der EWSA spricht sich ferner dafür aus, dass die Herausforderungen und Zielsetzungen der großen Ballungsräume sowie das Wissen und die in den Mitgliedstaaten gewonnenen Erfahrungen in eine gemeinsame europäische Perspektive einfließen und bewährte Verfahrensweisen verbreitet werden.

2.3

Der EWSA erachtet es als notwendig, dass die Europäische Kommission eine politische Entscheidung trifft, durch die Eurostat — unter Bereitstellung zusätzlicher Mittel für diese neue Aufgabe — beauftragt wird, jährlich zuverlässige und vergleichbare Daten über alle Metropolräume der Europäischen Union zu erheben.

2.4

Damit Eurostat diese Aufgabe so schnell wie möglich erfüllen kann, schlägt der EWSA vor, eine experimentelle Studie bei ESPON oder einer anderen einschlägigen Einrichtung in Auftrag zu geben, um die verschiedenen in Frage kommenden Methoden zur Bestimmung der großstädtischen Ballungsräume anhand gemeinsamer Kriterien zu prüfen und eine kurze Liste mit Daten über diese Ballungsgebiete mit mehr als einer Million Einwohnern für den Zeitraum 1995-2005 zusammenzustellen, die unmittelbar in Angriff genommen werden könnte, und dabei insbesondere die bereits in den europäischen Arbeitskräfteerhebungen zusammengetragenen Daten zu nutzen (3).

3.   Begründung

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss machte in seiner Stellungnahme vom Jahre 2004 auf die sozioökonomischen Auswirkungen der großstädtischen Ballungsräume (4) aufmerksam, die nach seiner Auffassung weitgehend unterschätzt wurden.

3.2

Durch diese Stellungnahme sollten die Gemeinschaftsorgane und Einrichtungen auf die anhaltende und teils dramatische Tendenz zur Bevölkerungsverdichtung und Konzentration wirtschaftlicher Tätigkeiten in den Ballungsgebieten Europas und weltweit aufmerksam gemacht werden.

3.3

In seiner Stellungnahme aus dem Jahre 2004 spricht sich der EWSA dafür aus, die Entwicklung der europäischen Ballungsräume auf die Tagesordnung der Gemeinschaft zu setzen. Der Ausschuss gehörte zu den Ersten, die die direkte Verbindung zwischen der Rolle der Ballungsräume und der Umsetzung der Lissabon-Strategie hervorgehoben haben. Die Metropolräume sind Versuchslabors für die Weltwirtschaft. Sie sind sowohl Wirtschaftsmotor als auch Kreativ- und Innovationszentren.

3.4

Gleichzeitig konzentrieren sich in den Metropolen die entscheidenden Herausforderungen, die Europa in den kommenden Jahren zu meistern haben wird. Dort sind insbesondere Armut sowie soziale und räumliche Ausgrenzung mit Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die (internationale) Kriminalität zu beobachten (5).

3.5

Die Ausstrahlung der Ballungsräume wird durch den vielfältigen Austausch jedweder Art zwischen ihnen in Europa und weltweit verstärkt. Die Netze, zu denen diese Regionen gehören, tragen zur Verstärkung der europäischen Integration bei.

3.6

Der Ausschuss stellt in seiner Stellungnahme von 2004 fest, dass es an brauchbaren vergleichenden Studien über die Stärken, Schwächen, Beschränkungen und Möglichkeiten der Metropolräume mangelt.

3.7

Aus diesem Grunde bestand der EWSA 2004 darauf, dass es notwendig sei, eine klare Definition für die europäischen Metropolräume zu schaffen sowie aussagekräftige und vergleichbare Daten zu erheben und die wesentlichen Indikatoren der Lissabon-Strategie für jede einzelne der Regionen auszuwerten.

3.8

Durch die wissensbasierte Wirtschaft und die vernetzte Gesellschaft werden die Ballungsgebiete sowohl für die Menschen als auch für die Wirtschaft immer attraktiver. In einigen Mitgliedstaaten findet eine lebhafte Debatte auf nationaler und regionaler Ebene über die bezüglich der großen Metropolräume zu treffenden Maßnahmen und über ihre Governance statt. Diese Debatten werden hier wie dort von konkreten Aktionen auf allen Ebenen begleitet.

4.   Die Reaktion der Europäischen Kommission 2004

4.1

Der EWSA forderte 2004 in seiner Stellungnahme die Kommission auf, unter Beteiligung aller betroffenen Kommissionsmitglieder integrierte Analysen vorzunehmen und regelmäßig einen Bericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der Metropolräume und ihre Einstufung auf europäischer Ebene vorzulegen. Auf diese Weise wäre eine bessere Bewertung ihrer Stärken und Schwächen möglich, um die Politikgestaltung zu verbessern und die Verbreitung bewährter Verfahren zu erleichtern.

4.2

In ihrer Reaktion auf die Vorschläge des EWSA „stimmt [die Kommission] den Feststellungen des EWSA hinsichtlich der Schlüsselfunktion der großstädtischen Ballungsgebiete für die Umsetzung der Ziele der Lissabon-Strategie und des Fehlens zuverlässiger und vergleichbarer Daten zu diesen Gebietseinheiten auf europäischer Ebene zu“ (6).

4.3

Diese gemeinsame Auffassung hat dennoch nicht dazu geführt, dass die Kommission einen gezielten und integrierten Ansatz im Hinblick auf die großstädtischen Ballungsgebiete vorgelegt hätte. Eine Städtepolitik wird schrittweise umgesetzt, aber in diesem Zusammenhang wird nicht zwischen „Städten“ und „großstädtischen Ballungsgebieten“ unterschieden. Die von den statistischen Ämtern vorgelegten Daten sind unvollständig und auf europäischer Ebene nicht immer miteinander vergleichbar, da sie auf den jeweiligen einzelstaatlichen Definitionen beruhen.

5.   Debatten und Initiativen auf einzelstaatlicher Ebene

5.1

Mehrere Initiativen wurden in jüngster Zeit auf nationaler und regionaler Ebene ergriffen, um die Entwicklung der Ballungsgebiete aufzuzeigen. Diese Initiativen gehen häufig mit verschiedenen Maßnahmen einher, durch die eine reibungslosere Entwicklung der Infrastruktur, der Raumordnung, der Wirtschaft und sozialer Aspekte sowie der Entwicklung der Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur zwischen den Metropolräumen selbst gefördert werden soll. Einige in verschiedenen Ländern umgesetzte Initiativen seien im Folgenden als Beispiele aufgeführt. Dieser Überblick erhebt keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit.

5.1.1

In Deutschland wird bereits seit 1993 eine Grundsatzdebatte über die großstädtischen Ballungsgebiete geführt. Die Studien und akademischen Debatten hatten zum Ziel, auf angemessene und ausgewogene Art ein Verzeichnis der Funktionen dieser Regionen zusammenzustellen und auf Grund dieser Liste die Metropolräume zu ermitteln.

5.1.1.1

Die deutsche Forschung hat sich von einem traditionellen Ansatz mit einer Karte Deutschlands, die Städte, Gemeinden und Länder zeigt, zu einem anderen Ansatz entwickelt, durch den eine neue Karte mit neuen Leitbildern entsteht. Aufgrund der Leitlinien und Aktionsprogramme zur Raumordnung (aus den Jahren 1992 und 1995), in denen die Bedeutung und die Aufgabe der großstädtischen Ballungsgebiete hervorgehoben wurde, bestehen in Deutschland seit dem Beschluss der Ministerkonferenz des Bundes und der Länder für Raumordnung (MKRO) vom 30. Juni 2006 elf Metropolregionen. Die erste Ministerkonferenz zu diesem Thema fand 2003 statt.

5.1.1.2

Die Karte der deutschen Metropolregionen macht die Unausgewogenheit zwischen der bestehenden Verwaltungsorganisation und den geografischen Grenzen der Metropolregionen deutlich. So umfasst die Metropolregion Nürnberg die Stadt Nürnberg und eine Reihe benachbarter städtischer und ländlicher Gemeinden. Andere umfassen teilweise mehrere Bundesländer, wie beispielsweise Frankfurt/Rhein-Main oder Hamburg. Wieder andere sind Teil eines einzigen Bundeslandes, z.B. München und das Ruhrgebiet. In einer ganzen Reihe von Fällen besteht bereits eine Regionalisierung in bestimmten Themenbereichen, wie beispielsweise Kultur, Sport, Nachhaltigkeit oder Landschaftsschutz. In allen Fällen erstreckt sich das Gebiet über größere und kleinere Städte sowie ländliche Gebiete. So können die Gebiete der betroffenen Metropolregionen gut abgegrenzt werden.

5.1.1.3

Es sind (noch) keine speziellen einzelstaatlichen Maßnahmen vorgesehen. Die Metropolregionen wurden aufgefordert, ihre eigenen Besonderheiten zu ermitteln und zur Geltung zu bringen. Das erklärte Ziel ist, die deutschen Metropolregionen als unabhängige Akteure im europäischen und internationalen Zusammenhang zu entwickeln. Die staatlichen politischen Maßnahmen, wie beispielsweise Eisenbahn- und Luftverkehrspolitik, können die ehrgeizigen Ziele dieser Ballungszentren selbstverständlich unterstützen.

5.1.1.4

Die Metropolregionen wurden aufgefordert, entsprechend ihrer Besonderheiten und Vorstellungen Systeme einer demokratischen Vertretung zu schaffen, um die Legitimität dieses neuen Ansatzes zu unterstreichen. Es steht ihnen frei, die Modalitäten dafür festzulegen; so finden in der Region Stuttgart beispielsweise direkte Wahlen statt, während es in der Region Nürnberg eine indirekte Vertretung der Städte und Gemeinden gibt.

5.1.1.5

Die im Rahmen dieser Metropolregionen zu diskutierenden und umzusetzenden politischen Ziele — die sich ihrem Wesen nach übrigens unterscheiden — sind folgende: Gewährleistung der für den Wettbewerb notwendigen kritischen Masse, Schaffung der Voraussetzungen für eine effiziente Governance, Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche, Entwicklung einer polyzentrischen Raumordnung, Herstellung eines akzeptablen Ausgleichs zwischen Verstädterung und Schutz des ländlichen Raums, Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur und Sicherstellung der Mobilität, Unterstützung von Innovation und Wirtschaftsnetzen, Beherrschung technischer und natürlicher Risiken, Bereitstellung der notwendigen Mittel für öffentliche Investitionen, Verbesserung der internationalen Verbindungen sowie Gewährleistung der Förderung für die Region.

5.1.2

In Großbritannien besteht das Interesse an der verstärkten Entwicklung der Metropolräume seit Anfang dieses Jahrhunderts. Im Jahre 2004 wurde eine Regierungsmitteilung über die Wettbewerbsfähigkeit der großstädtischen Ballungsgebiete außer London veröffentlicht (7). Es ging darum, in einem internationalen Kontext die Bedingungen für eine stärkere Eigenständigkeit der „Stadtregionen“ zu schaffen. Der angestrebte Prozess wurde jedoch insbesondere durch ein gescheitertes Referendum über die Schaffung einer Regionalversammlung in der Region Newcastle gestoppt.

5.1.2.1

Die Diskussion in England dreht sich gegenwärtig um die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der staatlichen und der regionalen Ebene einerseits und zwischen den Städten und Gemeinden in den am dichtesten bevölkerten Regionen, die als künftige Metropolregionen ermittelt wurden, andererseits. Der Gedanke, Stadtregionen zu bilden, ist weiterhin aktuell; trotz der unklaren gegenwärtigen Debatte wird bald ein Weißbuch über das Thema erscheinen und eine neue Raumordnung auf Grundlage anerkannter Kriterien, die mit den in Deutschland zur Anwendung gebrachten vergleichbar sind, befindet sich in Vorbereitung.

5.1.2.2

Die politische Dezentralisierung ist von der Unterstützung für die Entwicklung der Metropolen zu unterscheiden. Letztere ist gekennzeichnet durch Flexibilität und Bündnisse zwischen den Städten, die darauf abzielen, gemeinsam Möglichkeiten auszuschöpfen und Herausforderungen zu meistern. Ein schönes Beispiel ist die Entwicklung der von unten nach oben gerichteten Initiative namens „Northern Way“ in Nordengland (Manchester, Liverpool, Leeds, Sheffield, Newcastle und York). Diese Entwicklung ist durch eine Reihe von Übereinkommen innerhalb der Metropolregion gekennzeichnet.

5.1.2.3

Ein von oben nach unten gerichteter Ansatz wird in Reaktion auf lokale und regionale Initiativen als unumgänglich angesehen, weil eine Reihe strategischer Entscheidungen nur im gemeinsamen Einverständnis getroffen werden kann. Diese Entscheidungen können in drei Agenden aufgenommen werden: eine Wettbewerbsagenda, um die Unterstützung sowohl der leistungsfähigsten als auch der geringer entwickelten Regionen sicherzustellen; eine Agenda des sozialen Zusammenhalts zur Unterstützung benachteiligter Bevölkerungsschichten; und eine Umweltagenda, die insbesondere Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität und zum Erhalt der natürlichen Ressourcen umfasst. In diesen drei Bereichen wird das großstädtische Ballungsgebiet als die räumlich am besten geeignete Ebene zur Durchführung dieser politischen Maßnahmen betrachtet.

5.1.3

In Frankreich läuft bereits seit 1960 eine diesbezügliche Debatte. Bis vor kurzem wurden nur sehr wenig konkrete Maßnahmen eingeleitet, da die politische Dimension der Debatte unterschätzt wurde. Dieser Mangel an politischem Tiefgang war allgemein in ganz Europa zu verzeichnen.

5.1.3.1

Die interministerielle Delegation für Raumordnung und Wettbewerbsfähigkeit der Gebiete (DIACT) (8) hat 2004 zu Projekten für Ballungsräume aufgerufen, um die Zusammenarbeit zwischen den großen Städten und die wirtschaftliche Entwicklung der Metropolregionen zu fördern. Fünfzehn von lokalen Gebietskörperschaften ausgearbeitete Projekte für die Metropolregionen wurden von einer Jury aus Direktoren der betreffenden Ministerien und Experten ausgewählt. Die Projekte wurden 2006 endgültig festgelegt, und ab 2007 werden den Ballungszentren an staatliche Finanzhilfen gekoppelte Verträge angeboten, mit deren Hilfe strukturelle Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Mit dieser Initiative erkennt die DIACT die Bedeutung der Metropolregionen als entscheidende Akteure für die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Gebiete an.

5.1.4

Die Regionalisierung schreitet sowohl in Italien als auch in Spanien voran. Diese Entwicklung schafft, auch wenn sie die großstädtischen Ballungsgebiete nicht unmittelbar betrifft, dennoch neue (rechtliche) Möglichkeiten für die Verwaltung von Ballungsräumen.

5.1.4.1

In Italien wurde 1990 durch ein Gesetz ein von oben nach unten gerichteter Ansatz eingeführt und es wurden 14 Metropolräume festgelegt. Das Gesetz wurde allerdings nicht umgesetzt. Ein neues Gesetz erlaubt seit 1999 Initiativen von unten nach oben zur Schaffung von Metropolräumen. Eine gemeinsame Versammlung aus 20 Gemeinden und mit eigenem Haushalt wurde in der Region Bologna gegründet. Schließlich machte die Verfassungsreform von 2001 die Bildung von drei Metropolregionen um Rom, Neapel und Mailand möglich. Die Umsetzung dieser Reform wurde jüngst wiederangekurbelt.

5.1.4.2

In Spanien hängt die Raumordnungsdebatte von der Autonomie der Gebietskörperschaften ab. Die autonomen Regionen verfügen in diesem Bereich über die ausschließliche Zuständigkeit. Folglich fällt ihnen die Verantwortung für die Metropolregionen zu. Zugleich ist sowohl ein Prozess des Machtzuwachses der großen Städte als auch ein Kräftemessen zwischen der Zentralregierung, den autonomen Regionen und den großstädtischen Ballungsgebieten wie Madrid, Barcelona und Valencia zu beobachten. Bilbao ist ein weiteres Modell und in Bezug auf die Schaffung einer Metropolregion mit öffentlich-privater Partnerschaft ein Erfolg.

5.1.4.3

Die Ermittlung von Metropolregionen findet nicht nur in großen Mitgliedstaaten statt und ist auch nicht auf einzelne Staaten beschränkt. Beispiele für Metropolregionen wie Centrope, also Wien-Bratislava-Brno-Györ — die Region erstreckt sich somit über vier Staaten (!) — und Kopenhagen-Malmö (Dänemark und Schweden) gehören zu den bekanntesten. Beide entwickeln sich positiv. In den Niederlanden wird gegenwärtig eine Grundsatzdebatte über die bestmögliche Verwaltung der Randstad geführt, um die administrative Zersplitterung zu überwinden, die ihre infrastrukturelle, räumliche und sozioökonomische Entwicklung behindert.

5.1.5

In den neuen Mitgliedstaaten findet eine ähnliche Entwicklung wie in den oben angeführten Staaten statt. In Polen hat die Regierung eine Reihe von großstädtischen Ballungsgebieten oder „Stadtregionen“ festgelegt. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Region Kattowitz, der jüngst der Status einer Metropolregion eingeräumt wurde. Die Entwicklung der Städte und Metropolen verläuft durch das Fehlen einer entsprechenden Governance in der Region allerdings im Allgemeinen unkontrolliert und dadurch willkürlich. Bestimmte Ballungszentren haben daher damit angefangen, sich an den Maßnahmen und Erfahrungen der Länder mit politisch dezentralen Traditionen zu orientieren.

5.1.6

Die Industrie- und Handelskammern (IHK) sind als bekannte und aktive Vertreter der Wirtschaft auf lokaler und regionaler Ebene ebenfalls in den Prozess der Metropolenbildung einbezogen — insbesondere die Kammern der Hauptstädte und der Stadtregionen. Sie sind überall an der Attraktivität und an der wirtschaftlichen und kulturellen Ausstrahlung ihrer Gebiete beteiligt und berücksichtigen dabei die Anforderungen an die Lebensqualität und die Umwelt.

6.   Entwicklungen auf europäischer Ebene

6.1

Auf EU-Ebene ist das vornehmliche Ziel der Kommission Barroso die Umsetzung der Lissabon-Strategie. Davon sind alle Kommissionsmitglieder betroffen. Die GD REGIO hat die Lissabon-Strategie in den Mittelpunkt der Regionalpolitik „neuen Stils“ gerückt, wobei die Stadtentwicklung als Dreh- und Angelpunkt fungiert.

6.1.1

„Lissabon“ und der Stadtentwicklung wurde in allen Regionen, die in den Genuss von Gemeinschaftsprogrammen kommen, hohe Priorität eingeräumt. Diese Programme zielen nicht ausdrücklich auf die Metropolregionen ab, für die das Programm URBACT von besonderer Bedeutung ist (9).

6.1.2

Neben der GD REGIO betreuen auch andere Generaldirektionen, beispielsweise die GD Forschung, die GD Umwelt sowie die GD Energie und Verkehr, spezielle Programme, die für die Ballungsgebiete häufig von Bedeutung sind, da sie sich ebenfalls stärker als früher an den „Lissabon-Zielsetzungen“ orientieren. Die Metropolräume sind als solche nicht unmittelbar betroffen, aber alle Programme, die auf einen Leistungsausbau der Städte abzielen, wirken sich auch auf die Metropolen aus.

6.1.3

Eine Arbeitsgruppe des Rates legte im Juni 2006 einen ersten Entwurf einer territorialen Agenda (10) vor. Die Tendenzen bei der Verstädterung der europäischen Gesellschaft werden darin gut beschrieben. Eine klare Unterscheidung zwischen Städten und Ballungsgebieten fehlt jedoch immer noch.

6.2

Mehrere informelle Ratstagungen der Minister für Raumordnung waren den Herausforderungen für die (Groß-) Städte gewidmet (11). Die Raumordnung gehört gemäß dem gegenwärtig geltenden Vertrag im Rahmen von Artikel 175 Absatz 2 zum Umweltschutz (12) zu den Zuständigkeitsbereichen der Europäischen Union.

6.3

Das Europäische Parlament hebt hervor, dass „78 % der Bevölkerung der Europäischen Union in den Städten und in den Ballungsräumen oder in den städtischen Gebieten leben und dass dort Schwierigkeiten in gehäufter Form auftreten [und außerdem] dort die Zukunft maßgeblich bestimmt wird“ (13). Das Europäische Parlament ist der Ansicht, dass Städte und Ballungsgebiete zu den Hauptakteuren der regionalen Entwicklung und der Umsetzung der Ziele von Lissabon und Göteborg gehören.

6.3.1

Das Europäische Parlament fordert, dass alle Generaldirektionen der Europäischen Kommission, die direkt oder indirekt an den Problemen der Städte arbeiten, sich untereinander abstimmen sollten, um die eigentlichen Probleme der städtischen Wirklichkeit in jedem Maßnahmenbereich zu ermitteln und gemeinsam die positiven Auswirkungen ihrer jeweiligen Politik darzulegen. Das Europäische Parlament schlägt die Einsetzung einer dienststellenübergreifenden Task-Force vor und ruft zur Aufnahme eines territorialen Dialogs auf.

6.4

Der Ausschuss der Regionen lenkt die Aufmerksamkeit der europäischen Institutionen immer stärker auf die Herausforderungen, mit denen die städtischen Regionen konfrontiert sind. Den Schlussfolgerungen des AdR liegen die gleichen Grundsätze zugrunde, wie sie vom Europäischen Parlament und dem EWSA zum Ausdruck gebracht werden.

6.4.1

Der Ausschuss der Regionen hebt die Tatsache hervor, dass funktionale Regionen und partnerschaftliche Zusammenarbeit über Verwaltungsgrenzen (staatliche, regionale und lokale) hinweg bereits bestehen und durch die Gemeinschaftspolitiken sowie besondere Anreizmaßnahmen unterstützt werden sollten, wie beispielsweise die Förderung von Projekten zur strategischen Entwicklung ausgedehnter Räume. Insbesondere müssen neue Netze der Zusammenarbeit zwischen den Metropol- und Stadtregionen geschaffen bzw. die bestehenden Netze gefestigt werden; die Zusammenarbeit wird gegenwärtig namentlich durch die Initiative Interreg III im Hinblick auf die territoriale Zusammenarbeit für den Zeitraum 2007-2013 entwickelt (14).

6.5

Das Netz METREX (15) betont in seinen Erklärungen von März und September 2006, dass die Notwendigkeit besteht, Metropolräume festzulegen und diese als entscheidende Bestandteile der Territorialen Agenda der Europäischen Union anzuerkennen. METREX setzt sich für die Erhebung auf europäischer Ebene vergleichbarer Daten über die großstädtischen Ballungsgebiete ein und fordert die Kommission auf, ein Grünbuch mit drei Hauptbestandteilen zu erarbeiten: wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt und Umweltschutz. METREX vertritt die Ansicht, dass viele der wichtigsten Probleme, auf die Europa eine Antwort finden muss, wie Klimawandel, alternde Gesellschaft oder Einwanderung, nur mit Hilfe der großstädtischen Ballungsgebiete wirksam und mit einem integrierten Ansatz gelöst werden können. Schließlich kommt METREX zu der Einschätzung, dass die Großräume eine bedeutende Rolle bei der Umsetzung der Ziele von Lissabon übernehmen können — insbesondere bei der Gewährleistung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit in der Weltwirtschaft.

6.6

Die Zahl der in Brüssel vertretenen Regionen ist im Verlauf der letzten 15 Jahre stark angestiegen (16). Auf den von ihnen organisierten Konferenzen gehören häufig die Entwicklung und die Leistung der Großräume zu den am lebhaftesten diskutierten Themen.

6.7

Eine Gruppe von in Brüssel vertretenen Regionen hat sich gerade unter dem Namen „Lissabon-Regionen“ organisiert.

6.8

Im Rahmen des Programms ESPON (Europäisches Raumbeobachtungsnetz) wurde im Laufe der letzten Jahre eine Reihe wichtiger Informationen, Daten, Indikatoren und Berichte über die europäischen Regionen gesammelt. Angesichts der Tatsache, dass die Verwaltungsgrenzen der Regionen sich von denen der großstädtischen Ballungsgebiete stark unterscheiden, ist es jedoch offensichtlich, dass die Ergebnisse dieser qualitativ hochwertigen Arbeiten den für die Entwicklung, Planung und Verwaltung der Großräume Verantwortlichen nicht die nötigen Informationen und Analysen liefern, um die zweckmäßigsten politischen Maßnahmen zur uneingeschränkten Nutzung des in diesen Regionen vorhandenen Potenzials zu erarbeiten.

6.9

Die Generaldirektion Regionalpolitik und Eurostat haben das Projekt „Städte-Audit“ in Angriff genommen, um zuverlässige und vergleichbare Daten über eine bestimmte Anzahl von Städten zu sammeln (17). Der EWSA zeigt sich erfreut über die Bemühungen um die Erfassung von Daten über die Stadtregionen. Allerdings erlaubt die Art der gewonnenen Daten noch nicht ihre allgemeine Nutzung (18).

7.   Eine lebhafte Debatte

7.1

Der EWSA stellt fest, dass die Debatte über die großstädtischen Ballungsgebiete aus zwei Hauptgründen zurzeit viel lebhafter geführt wird als noch vor wenigen Jahren. Zum einen hat die Vervielfachung der städtischen Großräume überall auf der Welt gezeigt, dass innerhalb kürzester Zeit eine neue städtische Organisation entstanden ist (19). Zum anderen hat die Erkenntnis über den bestehenden Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung der großen Metropolräume und der Lissabon-Strategie dazu beigetragen, diese Debatte zu beleben.

7.2

In allen Mitgliedstaaten finden unabhängig von ihrer Größe und ihrem Entwicklungsstand politische und soziale Debatten über die zweckmäßigste Vorgehensweise statt.

7.3

Diese Diskussionen bewegen sich zunächst auf nationaler Ebene. Die Behörden sind sich jedoch in vielen Fällen der Tatsache bewusst, dass die eigentliche Bedeutung bestimmter Metropolregionen sich nicht auf das eigene Staatsgebiet beschränkt. Die Beispiele Kopenhagen-Malmö und Wien-Bratislava wurden bereits genannt, aber auch Metropolregionen wie Metz-Luxemburg-Saarbrücken und Lille-Kortrijk, die von den französischen Behörden ermittelt wurden, sind hier zu erwähnen. Überall in der Europäischen Union nimmt die Zahl der potenziellen grenzübergreifenden Metropolregionen zu.

7.4

Trotz der seit einigen Jahren lebhafter geführten Debatte stellt der EWSA fest, dass diese neuen Strukturen noch in den Kinderschuhen stecken.

7.5

Die meisten Städte und Ballungsgebiete, die ihre Bedeutung auf europäischer und internationaler Ebene unter Beweis stellen wollen, präsentieren sich nach außen mit nationalen oder regionalen Zahlen, ohne sich in allen Fällen der tatsächlichen Ausdehnung des Gebiets bewusst zu sein, von dem die Rede ist. Das ist eine der Folgen des nach wie vor bestehenden Unterschiedes zwischen der Metropolregion und der Verwaltungsregion bzw. den Verwaltungsregionen, zu der/denen sie gehört.

7.6

Ungeachtet der Unterschiede in der Herangehensweise und in den Strukturen der einzelnen Mitgliedstaaten und Regionen stellt der EWSA eindeutig eine Übereinstimmung der Probleme fest. Zu den am meisten diskutierten Themen gehören:

die Mindestgröße (die „kritische Masse“) eines großstädtischen Ballungsgebiets, einer Stadtregion oder eines Städte- bzw. Gemeindeverbunds;

die Ausgewogenheit zwischen den städtischen und den ländlichen Gebieten, aus denen sich das Ballungsgebiet zusammensetzt;

Funktionen von Großräumen;

Bildung und Ausbildung;

Kreativität, Forschung und Innovation;

die Wirtschaftscluster und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf den Weltmärkten;

Attraktivität und Einwerben internationaler Investitionen;

wichtige Infrastrukturbereiche, ihre Finanzierung und die öffentlich-private Partnerschaft;

Verkehrs- und Telekommunikationsnetze, die die großen Ballungsräume in Europa und der Welt miteinander verbinden;

kulturelle Ausstrahlung;

multikulturelle Gesellschaft (Zuwanderung) und die aus Armut und Marginalisierung entstehenden Herausforderungen;

Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitskräften und die Schaffung von Arbeitsplätzen;

verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung;

Erhalt der Umwelt, Einschränkung des Energieverbrauchs, Lärmreduzierung und Abfallbewirtschaftung;

Sanierung und Neugestaltung der im Zusammenhang mit den Umstrukturierungen in der Produktion entstandenen Industriebrachen;

Bekämpfung der Unsicherheit, der Kriminalität sowie der Gefahren des internationalen Terrorismus;

Abbau von Ungleichheiten zwischen den lokalen Gebietskörperschaften und Aufbau einer Partnerschaft zwischen dem Zentrum und dem Umland;

der sensible Bereich der Governance.

7.7

In der Bevölkerung fehlt häufig das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Metropolraum. Den europäischen Ballungsgebieten mangelt es an politischer Legitimierung. Die historisch gewachsenen Verwaltungsstrukturen reichen nicht mehr aus; doch messen die einzelstaatlichen Regierungen den Widerständen gegen die neuen Strukturen unter den Beteiligten, insbesondere den bestehenden politischen und territorialen Verwaltungseinheiten, große Bedeutung bei. Andererseits sind die Herausforderungen, mit denen sich die großstädtischen Ballungsgebiete konfrontiert sehen, enorm. Um diese zu meistern und die Entwicklungen zu lenken, ist — im Hinblick auf eine Gesamtstrategie — eine neue Regelung der Governance auf fast allen Gebieten notwendig.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 101.

(2)  Es ist zwischen „Metropole“ und „großstädtischem Ballungsgebiet“ zu unterscheiden: unter einer „Metropole“ wird im Allgemeinen eine Großstadt oder ein Großraum verstanden, wohingegen eine „Ballungsgebiet“ aus einer Großstadt oder einer Anzahl mehrpoliger Städte besteht, die von weiteren Gemeinden und ländlichen Gebieten umgeben sind. Ein Ballungsgebiet weist folglich eine viel größere Fläche auf als eine Metropole.

(3)  Die GEMACA-Studie, in der 14 nordwesteuropäische Ballungsgebiete untersucht wurden, wurde als erste Untersuchung dieser Art bereits im Rahmen des Programms INTERREG II C im Jahre 2000 durchgeführt.

(4)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“, ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 101.

(5)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 128.

(6)  Siehe die Reaktion der Kommission, GD REGIO, auf die Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“, ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 101.

(7)  Competitive Cities: where do the core cities stand? (Core cities bezieht sich auf die Großstädte außer London, insbesondere im Nordwesten Englands).

(8)  Ehemals DATAR.

(9)  Die Kommission arbeitet gegenwärtig an einem Leitfaden zur Städteproblematik.

(10)  The Territorial State and Perspectives of the European Union, Towards a Stronger European Territorial Cohesion in the Light of the Lisbon and Gothenburg Ambitions, First Draft, 26 June 2006 (Der Territorialstaat und die Perspektiven der Europäischen Union. Hin zu einem stärkeren territorialen Zusammenhalt im Lichte der ehrgeizigen Ziele von Lissabon und Göteborg, Erster Entwurf, 26. Juni 2006).

(11)  Die erste informelle Ratstagung der Minister für Raumordnung und innere Angelegenheiten, auf der die Herausforderungen für die Städte grundlegend erörtert wurden, fand im November 2004 in Rotterdam statt. Es folgte im Mai 2005 die informelle Ratstagung zum Thema „Staat und Aussichten der Raumplanung in der EU“ in Luxemburg. Die nächste informelle Ratstagung findet im Mai 2007 in Leipzig statt.

(12)  

Artikel 175

„1.   Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen über das Tätigwerden der Gemeinschaft zur Erreichung der in Artikel 174 genannten Ziele.

2.   Abweichend von dem Beschlussverfahren des Absatzes 1 und unbeschadet des Artikels 95 erlässt der Rat auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Europäischen Parlaments, des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen einstimmig:

a)

Vorschriften überwiegend steuerlicher Art;

b)

Maßnahmen, die

die Raumordnung berühren,

die mengenmäßige Bewirtschaftung der Wasserressourcen berühren oder die Verfügbarkeit dieser Ressourcen mittelbar oder unmittelbar betreffen,

die Bodennutzung mit Ausnahme der Abfallbewirtschaftung berühren;

c)

Maßnahmen, welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berühren.“

(13)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.10.2005 zur städtischen Dimension im Zusammenhang mit der Erweiterung — ABl. C 233 E vom 28.9.2006, S. 127.

(14)  Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zum Thema „Die Kohäsionspolitik und die Städte: Der Beitrag der Städte und Ballungsräume zu Wachstum und Beschäftigung in den Regionen“, ABl. C 206 vom 29.8.2006, S. 17.

(15)  METREX, The Network of European Metropolitan Regions and Areas (Netz der europäischen Ballungs- und Großräume).

(16)  Von 20 im Jahre 1990 auf 199 im Jahre 2006.

(17)  Es werden drei räumliche Ebenen unterschieden: die Kernstadt, die Stadtregion (Larger Urban Zone — LUZ) und der Stadtteil. Nach den Angaben der für das Projekt Verantwortlichen entspricht die Stadtregion in etwa der funktionalen Stadtregion.

(18)  Relativ wenige Daten werden von allen Stadtregionen für das gleiche Jahr mitgeteilt. Die geografischen Grenzen der Stadtregionen werden nach einzelstaatlichen Kriterien festgelegt; die Vergleichbarkeit der Daten auf europäischer Ebene ist daher nicht gewährleistet. Diese Grenzen wurden bis jetzt nicht veröffentlicht. Die Indikatoren beziehen sich auf frühere Jahre (die jüngsten auf das Jahr 2001). Die Eurostat zur Verfügung gestellten Mittel, um dieses bedeutende Projekt in 27 Staaten, 258 Städten, 260 Stadtregionen und mit 150 Indikatoren durchzuführen, sind offenbar vollkommen unzureichend.

(19)  Die städtische Bevölkerung liegt weltweit gegenwärtig bei über drei Milliarden Menschen. Es gibt 400 Ballungszentren mit einer Bevölkerung von über einer Million Einwohnern — vor hundert Jahren waren es noch sechzehn.


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/16


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Territoriale Agenda“

(2007/C 168/03)

Am 7. November 2006 ersuchte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des deutschen Ratsvorsitzes um Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema „Territoriale Agenda“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 20. März 2007 an. Berichterstatter war Herr PARIZA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beglückwünscht den deutschen Ratsvorsitz zu seinen Bemühungen um Transparenz und Konsultation im Zuge der Vorarbeiten zur Territorialen Agenda und spricht ihm dafür seinen Dank aus.

1.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Zeit gekommen ist, die derzeitige Phase der informellen Koordinierung im Rat abzuschließen und in eine neue Phase stärkerer politischer Zusammenarbeit überzugehen. Auf Grundlage der bereits geleisteten Arbeit und ausgehend von den neuen, im Rahmen von ESPON geplanten Beiträgen muss ein weiterer Integrationsschritt unternommen werden, wobei der Kommission ein klares Mandat erteilt werden sollte, damit sie ihr Initiativrecht entsprechend wahrnehmen kann.

1.3

Nach Auffassung des EWSA sollten aus den im Rat geführten Beratungen über die Territoriale Agenda konkretere politische Entscheidungen hervorgehen; im Hinblick darauf ist eine stärkere Einbindung der Europäischen Kommission erforderlich, da die Kommission am besten dazu in der Lage ist, Kohärenz herzustellen und die Vereinbarkeit der verschiedenen Ansätze zum territorialen Zusammenhalt in der Europäischen Union zu gewährleisten.

1.4

Das Ziel des territorialen Zusammenhalts auf Ebene der EU macht es erforderlich, dass die Kommission einen besonderen, leistungsfähigen Dienst aufbaut, der politische Vorschläge analysiert, bewertet und unterbreitet, die den Mehrwert eines europäischen Ansatzes im Bereich des territorialen Zusammenhalts bekräftigen.

1.5

Der EWSA spricht sich dafür aus, auch nach Ende des deutschen Ratsvorsitzes die Kontinuität zu wahren. Die Kommission sollte die Territoriale Agenda analysieren, zusammenfassen und mittels eines Aktionsprogramms, das die Zuständigkeiten der Raumentwicklungspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten und Regionen achtet, praktisch umsetzen.

1.6

Im Rahmen des Vierten Berichts über den Zusammenhalt, der derzeit von der Europäischen Kommission erarbeitet wird, müssen die Auswirkungen der Gemeinschaftsfonds auf die Raumentwicklung untersucht sowie Querverbindungen zwischen der Kohäsionspolitik und den Zielen der Territorialen Agenda hergestellt werden. Nach Auffassung des EWSA müssen die Programme zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ausgebaut werden.

1.7

Bei der Governance der Territorialen Agenda müssen die verschiedenen an der Raumentwicklung beteiligten lokalen, regionalen, einzelstaatlichen und europäischen Regierungs- und Verwaltungsebenen in ausgewogener Weise eingebunden werden, ebenso wie die organisierte Zivilgesellschaft, die im Vorfeld konsultiert werden sollte.

1.8

Der EWSA schlägt dem Ministerrat vor, unter Vorgabe genauer Leitlinien die offene Koordinierungsmethode im Bereich der Territorialen Agenda anzuwenden, um somit einen ersten Schritt in Richtung einer Einbeziehung dieser Aspekte in die Gemeinschaftsmethode nach Inkrafttreten der Verfassung zu tun.

1.9

Der EWSA hofft, dass die EU den Verfassungsvertrag, in dem auch das Ziel des territorialen Zusammenhalts festgeschrieben ist, in Kürze ratifizieren wird, und schlägt vor, dass in den Schlussfolgerungen des informellen Ministertreffens in Leipzig empfohlen wird, die Territoriale Agenda auf der Grundlage des bestehenden Konsenses schrittweise umzusetzen anstatt auf den nicht bindenden Charakter dieser Agenda hinzuweisen.

1.10

Daher fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, dem Ministerrat nahe zu legen, die Umsetzung der Territorialen Agenda auf der derzeitigen Rechtsgrundlage voranzubringen.

2.   Befassung durch den deutschen Ratsvorsitz

2.1

Am 7. November 2006 ersuchte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) im Namen des deutschen Ratsvorsitzes um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema „Territoriale Agenda“.

2.2

Auf dem informellen Ministertreffen zum territorialen Zusammenhalt und zur Stadtentwicklung am 24./25. Mai 2007 in Leipzig soll ein politisches Reflexionspapier — die Territoriale Agenda der EU  (1) — verabschiedet werden, das auf dem so genannten Evidenz-Dokument „Territoriale Ausgangslage und Perspektiven der EU“  (2) aufbaut. In diesem Bericht werden die wichtigsten Herausforderungen der EU im Bereich der Raumentwicklung analysiert und anhand von Beispielen aufgezeigt, wie das Potenzial der territorialen Vielfalt Europas besser im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums genutzt werden kann. Die Territoriale Agenda der EU gibt eine Reihe von Empfehlungen für eine bessere Berücksichtigung der territorialen Vielfalt der EU und enthält ein ganzes Bündel von Vorschlägen für ein raumentwicklungspolitisches Aktionsprogramm.

2.3

Der EWSA hat sich seit 1995 für eine intensivere Zusammenarbeit in der europäischen Raumordnungspolitik ausgesprochen:

„Europa 2000+ — Zusammenarbeit für eine europäische Raumentwicklung“ — ABl. C 133 vom 31.5.1995, S. 4;

„Raumordnung und interregionale Zusammenarbeit im Mittelmeerraum“ — ABl. C 133 vom 31.5.1995, S. 32 + Anhang (CES 629/94 fin);

„Europa 2000+ — Zusammenarbeit für eine europäische Raumentwicklung“ [ergänzende Stellungnahme] — ABl. C 301 vom 13.11.1995, S. 10.

Auch in anderen aktuelleren Stellungnahmen plädiert der Ausschuss für eine stärkere Einbindung und Berücksichtigung der territorialen Dimension der europäischen Integration:

„Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“ — ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 101;

„Thematische Strategie für die städtische Umwelt“ — ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 86;

„Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“ — CESE 84/2007;

„Wohnungswesen und Regionalpolitik“ — CESE 42/2007.

3.   Die Territoriale Agenda: vom Nachdenken zum Handeln

3.1

Das erste informelle Treffen der für Raumordnung und allgemein für Raumpolitik zuständigen Minister fand 1989 in Nantes statt.

3.2

Diese Treffen werden auf Initiative der jeweiligen EU-Ratsvorsitze während ihrer sechsmonatigen Amtszeit veranstaltet. Bei dem Treffen in Lieja 1993 wurde beschlossen, das Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK)  (3) zu erarbeiten, das 1999 in Potsdam angenommen wurde und einen gemeinsamen Bezugsrahmen für die informellen Treffen der für Raumordnung und Raumpolitik zuständigen Minister darstellt.

3.3

Auf dem informellen Ministertreffen zum territorialen Zusammenhalt im November 2004 in Rotterdam kamen die Minister überein, die Erarbeitung eines Synthesedokuments zum Thema „Territoriale Ausgangslage und Perspektiven der EU“ in ihre politische Agenda bis 2007 aufzunehmen. Dieses Dokument bildet die Grundlage der Territorialen Agenda.

3.4

Die Territoriale Agenda ist ein strategischer Rahmen, mit dem die raumentwicklungspolitischen Prioritäten der Europäischen Union festgelegt werden. Sie trägt zum Wirtschaftswachstum und zur nachhaltigen Entwicklung bei, indem sie den territorialen Zusammenhalt verbessert, der als Fähigkeit der Kohäsionspolitik definiert werden kann, sich an die speziellen Notwendigkeiten und Besonderheiten der geografischen Herausforderungen und Möglichkeiten anzupassen, um eine ausgewogene und nachhaltige Raumentwicklung zu erzielen.

3.5

Das Ziel des territorialen Zusammenhalts wurde in dem Entwurf des Verfassungsvertrags von Juni 2003 in Artikel III-116 als dritte Dimension des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts aufgenommen. Auch in dem 2005 von der Kommission vorgelegten Dritten Bericht über den Zusammenhalt wird die territoriale Dimension der Gemeinschaftspolitiken analysiert. Auch die 2006 angenommenen strategischen Leitlinien der Gemeinschaft zur Kohäsionspolitik berücksichtigen diese neue territoriale Dimension des Zusammenhalts.

3.6

Auf dem informellen Ministertreffen im Mai 2005 in Luxemburg erzielten die Minister Einvernehmen über folgende Themen und Prioritäten der Territorialen Agenda:

Förderung der Stadtentwicklung nach einem polyzentrischen Konzept;

Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Städten und ländlichen Regionen;

Förderung grenzüberschreitender Cluster im Sinne von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation;

Ausbau der transeuropäischen Technologienetze;

Unterstützung eines transeuropäischen Risikomanagements;

Schutz von Ökosystemen und kulturellen Ressourcen.

3.7

Als Schlüsselmaßnahmen werden u.a. aufgeführt:

Maßnahmen zur Unterstützung von Gemeinschaftspolitiken, die raumentwicklungspolitisch kohärenter sind;

Maßnahmen zur Förderung europäischer Instrumente für den territorialen Zusammenhalt;

Maßnahmen zur Stärkung des territorialen Zusammenhalts in den Mitgliedstaaten;

gemeinsame Tätigkeiten der Minister.

4.   Das Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK)

4.1

Das EUREK ist ein gemeinsamer Bezugsrahmen für die verschiedenen Akteure der Raumentwicklung und -planung (EU, Mitgliedstaaten, Regionen und andere Gebietskörperschaften), mit dem die territoriale Dimension eines polyzentrischen Europas und die erforderliche Territorialisierung der EU-Fachpolitiken unterstützt wird. Es handelt sich dabei um eine zwischenstaatliche Initiative, die 1999 auf dem Ministertreffen in Potsdam angenommen wurde und keinen bindenden Charakter hat. In der Praxis ist das EUREK bisher lediglich in Zusammenhang mit der Umsetzung des Beobachtungsnetzes für die europäische Raumordnung (European Spatial Planning Observation Network — ESPON (4)) sowie indirekt im Rahmen der drei INTERREG-Programme zur Anwendung gekommen.

4.2

Die Ziele des EUREK bestehen darin,

auf EU-Ebene allgemeine Handlungsgrundsätze für die Rauentwicklung festzulegen, um so eine nachhaltige und ausgewogene Entwicklung des Unionsgebiets zu gewährleisten;

einen Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu leisten, der vor Ort in den Unionsgebieten verwirklicht wird und konkrete Form annimmt;

die natürlichen Lebensgrundlagen und das kulturelle Erbe zu bewahren;

eine ausgeglichenere Wettbewerbsfähigkeit des Unionsgebiets zu erzielen.

4.3

Vier wichtige Bereiche beeinflussen sich gegenseitig und wirken sich drastisch auf die Raumentwicklung aus:

Die Entwicklung der städtischen Gebiete: Mehr als drei Viertel der EU-Bevölkerung leben in Städten;

Die Entwicklung des ländlichen Raums sowie der Berg- und Gebirgsregionen, die insgesamt fast drei Viertel des Unionsgebiets ausmachen;

Verkehr und Verteilung der Infrastrukturen im europäischen Raum;

Bewahrung des natürlichen und kulturellen Erbes.

4.4

Ausgehend von den genannten Bereichen werden mit dem EUREK folgende Leitlinien festgelegt:

eine polyzentrische Raumentwicklung;

die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land;

gleichwertiger Zugang zu Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastrukturen sowie zum Wissen;

umsichtiger Umgang mit dem Natur- und Kulturerbe.

4.5

Als konkrete Maßnahmen sind u.a. geplant:

Berücksichtigung der politischen Leitlinien des EUREK bei der Anwendung der Strukturfonds sowie in der Raumentwicklungspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten;

Erprobung der grenzüberschreitenden, staatenübergreifenden und interregionalen Zusammenarbeit im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative INTERREG;

Berücksichtigung der Auswirkungen anderer Fachpolitiken, wie z.B. der Verkehrspolitik, auf die Raumentwicklung;

Ausbau der unionsweiten Zusammenarbeit im Bereich der Städtepolitik;

Lancierung des ESPON (Beobachtungsnetz für die europäische Raumordnung).

4.6   ESPON — Beobachtungsnetz für die europäische Raumordnung

4.6.1

Das Beobachtungsnetz für die europäische Raumordnung (ESPON) ist ein angewandtes Forschungsprogramm im Bereich der Raumentwicklung, das über INTERREG und die Mitgliedstaaten finanziert wird. Ziel dieses Programms ist es, den Verantwortlichen für die Gestaltung der einzelstaatlichen und regionalen Politik der Union systematisch neue Erkenntnisse über raumentwicklungspolitische Trends sowie über die Auswirkungen der Politiken auf die europäischen Regionen und Gebiete zu vermitteln. Diese Erkenntnisse können einen unmittelbaren Beitrag zur Konzipierung und Umsetzung der Politik leisten.

4.6.2

Die im Rahmen des ESPON-Programms betriebene angewandte Forschung bezieht sich ausschließlich auf das Hoheitsgebiet von 29 europäischen Staaten, nämlich der 27 EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegens und der Schweiz.

4.6.3

Das Budget des Programms soll beträchtlich aufgestockt werden: Während für den Zeitraum 2000-2006 7 Mio. EUR zur Verfügung standen, ist das neue Programm ESPON 2013 (für den Zeitraum 2007-2013) mit 34 Mio. EUR ausgestattet; zusammen mit den Beiträgen der Einzelstaaten könnten sich die verfügbaren Mittel auf insgesamt 45 Mio. EUR belaufen.

5.   Bemerkungen

5.1   Rechtsgrundlage und Gemeinschaftsmethode

5.1.1

In allen für die Raumentwicklung relevanten Fragen ist der Mehrwert eines gemeinsamen europäischen Ansatzes unverkennbar. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der territorialen Dimension der europäischen Integration erfordern eine schrittweise „Vergemeinschaftung“ der Politikbereiche, die den allgemeinen Ansatz für die Raumentwicklung beeinflussen.

5.1.2

Die Europäische Union konzipiert zahlreiche Gemeinschaftspolitiken, die sich auf die Raumentwicklung auswirken und sie beeinflussen: die Wettbewerbspolitik, die transeuropäischen Verkehrs-, Telekommunikations- und Energienetze, die Umweltpolitik, die Agrarpolitik, die Politik in den Bereichen Forschung und technologische Entwicklung, die Regionalpolitik, die von der EIB getätigten Investitionen usw. Dennoch verfügt die EU nicht über einen gemeinsamen Ansatz, der die Auswirkungen dieser Politiken auf die europäische Raumentwicklung erfasst, bewertet und koordiniert.

5.1.3

Ein gemeinsamer Ansatz für die europäische Raumentwicklung bedarf gemeinsamer europäischer Ziele und Leitlinien. Der Mehrwert solcher europäischer Leitlinien für die Raumentwicklung liegt in Bezug auf Ziele wie Umweltschutz, polyzentrische und nachhaltige Stadtentwicklung, transeuropäische Netze und Vermeidung von Natur- und Technologiekatastrophen sowie Eindämmung des Klimawandels im Rahmen von EU-Plänen klar auf der Hand.

5.1.4

Die so genannte „Gemeinschaftsmethode“ (5) beinhaltet, dass die Kommission aus eigener Initiative oder auf Initiative anderer Gemeinschaftsinstanzen konkrete Vorschläge zur eventuellen Annahme durch den Ministerrat bzw. gegebenenfalls im Mitentscheidungsverfahren mit dem Europäischen Parlament ausarbeitet.

5.1.5

Für einige Politikbereiche hat der Rat die so genannte „offene Koordinierungsmethode“ eingeführt, die ein weniger intensives und genaues politisches Handlungsverfahren vorsieht als die Gemeinschaftsmethode. Nach Auffassung des EWSA kann die offene Koordinierungsmethode bei Themen der Territorialen Agenda als erster Schritt im Hinblick auf eine spätere Anwendung der Gemeinschaftsmethode von Nutzen sein. Nach der offenen Koordinierungsmethode kann gearbeitet werden, bis der Verfassungsvertrag in Kraft tritt, der eine Anwendung der Gemeinschaftsmethode ermöglichen wird.

5.1.6

Doch wie die europäische Erfahrung in anderen Politikbereichen gezeigt hat, ist dieses System nur dann zweckdienlich, wenn der Kommission eine sehr aktive Rolle zukommt und mit sehr genauen Zielsetzungen und Leitlinien gearbeitet wird.

5.1.7

Unabhängig von der künftig zu findenden Lösung in Bezug auf den Vertrag über eine Verfassung für Europa, der dem territorialen Zusammenhalt in der Überschrift von Abschnitt 3 [Teil III, Kapitel III] Rechnung trägt, sollten mit Unterstützung des EWSA folgende Artikel des derzeit geltenden Vertrags (EGV) als Rechtsgrundlage für die Erarbeitung eines gemeinsamen Konzepts für die europäische Raumentwicklung herangezogen werden, sofern davon ausgegangen wird, dass dies in die Zuständigkeit der Europäischen Union fällt:

Nach Artikel 2 ist es Aufgabe der Gemeinschaft, „[…] in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens […] zu fördern;“

In Artikel 16 wird der soziale und territoriale Zusammenhalt in Zusammenhang mit den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse genannt;

Artikel 71 im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik;

In Artikel 158 heißt es: „Die Gemeinschaft entwickelt und verfolgt weiterhin ihre Politik zur Stärkung ihres wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, um eine harmonische Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzes zu fördern.“

Artikel 175 Absatz 2 Buchstabe b sieht vor, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission Maßnahmen erlässt, die die Raumordnung berühren.

5.2   Regionalpolitik

5.2.1

Die Regionalpolitik der Gemeinschaft ist ein Schlüsselinstrument für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt sowie für die wirtschaftliche Konvergenz und den europäischen Integrationsprozess insgesamt.

5.2.2

Der EWSA hat diese Politik, die eine Verringerung der Unterschiede zwischen den europäischen Regionen anstrebt und dieses Ziel auch tatsächlich erreicht, stets unterstützt.

5.2.3

Diese Regionalpolitik — eine der erfolgreichsten Gemeinschaftspolitiken — muss angesichts der neuen, seit der Erweiterung bestehenden Unterschiede auch künftig ihren Dienst tun.

5.2.4

Eine solche Regionalpolitik ist keineswegs unvereinbar, sondern ganz im Gegenteil durchaus kompatibel mit einer effizienten Politik des territorialen Zusammenhalts, die — wie in der Territorialen Agenda vorgeschlagen — im neuen Planungszeitraum 2007-2013 konzipiert werden soll.

5.3   Erweiterung

5.3.1

Die beiden jüngsten Erweiterungsrunden bringen neue Herausforderungen für die Raumentwicklung auf dem Hoheitsgebiet der Union mit sich, das seit 2004 von 15 auf 27 Mitgliedstaaten angewachsen ist, wobei die Bevölkerungszahl um 28 % (von 382 auf 490 Mio. Einwohner) anstieg und sich das Unionsgebiet um 34 % (von 3,2 auf 4,3 Mio. km2) vergrößerte. Diese neue Dimension und die Diversifizierung der territorialen Merkmale machen eine ganzheitliche Betrachtung dieser raumpolitischen und geografischen Gegebenheiten sowie ihrer möglichen Entwicklungen dringend notwendig.

5.3.2

Die beiden jüngsten Erweiterungsrunden stellen eine bedeutende raumentwicklungspolitische Herausforderung dar, die von der Europäischen Kommission eingehend analysiert werden muss.

5.3.3

Die Zahl der Grenzregionen innerhalb der Union sowie an ihren Außengrenzen ist erheblich gestiegen. Die Grenzregionen stellen gleichzeitig eine Herausforderung und eine konkrete Möglichkeit dar, wenn es darum geht, den Integrationsprozess wirklich greifbar zu machen.

5.4   Unionsgebiet

5.4.1

Die das Unionsgebiet betreffenden Herausforderungen und Gefahren müssen auf der Grundlage eines europäischen Ansatzes angegangen werden. Der Mehrwert einer ganzheitlichen Sichtweise des Unionsgebiets steht außer Frage, und ein solcher Ansatz sollte als grundlegende strategische Notwendigkeit anerkannt werden.

5.4.2

Einige Eigenschaften dieses Gebiets sollten hervorgehoben werden:

Kontinuität: es kennt keine Grenzen;

Knappheit: nicht erneuerbar;

Verschiedenartigkeit: nicht homogen;

Stabilität: keine plötzlichen Änderungen;

Verletzlichkeit: nicht vor Gefahren und Katastrophen gefeit;

Irreversibilität: keine einfache Änderung der Zweckbestimmung.

Das Unionsgebiet als topografische und geografische Struktur ist daher von grundlegender strategischer Bedeutung. Bei den von der Kommission durchgeführten Folgenabschätzungen muss dieser territoriale Ansatz berücksichtigt werden, wozu eine Mitwirkung des ESPON notwendig ist.

5.5   Governance-System

5.5.1

Die EU muss ein geeignetes Governance-System finden, bei dem eine ausreichende Ausgewogenheit zwischen den verschiedenen Ebenen der territorialen Governance gewährleistet ist, denn auf dem Unionsgebiet agieren lokale, regionale, einzelstaatliche und europäische Regierungs- und Verwaltungsebenen. Das Subsidiaritätsprinzip muss gewahrt werden, wobei jedoch die Kohärenz sowie ein ganzheitlicher, gemeinsamer und einvernehmlicher Ansatz gewährleistet sein muss.

5.5.2

Auch muss die Zivilgesellschaft auf den unterschiedlichen Ebenen über die strukturierten Verfahren des sozialen und des zivilen Dialogs einbezogen werden. In zahlreichen Mitgliedstaaten und Regionen gibt es Wirtschafts- und Sozialräte (oder vergleichbare Einrichtungen), die mobilisiert werden müssen, damit sie — ebenso wie die Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft — im Rahmen der Konsultations- und Governanceverfahren zu Themen mit territorialem Bezug aktiv mitwirken können.

6.   Die Territoriale Agenda: Ausgangslage und Perspektiven der Raumentwicklung in der Europäischen Union

6.1

Die Territoriale Agenda basiert auf dem Dokument „Territoriale Ausgangslage und Perspektiven der Europäischen Union“, das vielmehr als ein Synthesedokument eine Bündelung verschiedener Beiträge ist, die die jeweiligen Ratsvorsitze während ihrer halbjährigen Amtszeit nach und nach eingebracht haben. In dem Dokument werden in 197 Ziffern sämtliche Herausforderungen im Bereich der Raumentwicklung aufgezeigt; daher ist es eine nützliche Orientierungshilfe für die Kommission, die auf dieser Grundlage einen Aktionsplan erstellen sollte.

6.2

Die Territoriale Agenda sollte die Raumentwicklungsstrategien der Mitgliedstaaten einbeziehen und die territoriale Dimension der sonstigen Gemeinschaftspolitiken berücksichtigen, um auf diese Weise Ergänzungen und Synergien zu erschließen und anhand der in Ziffer 8 vorgeschlagenen Leitlinien für ein Raumentwicklungskonzept der EU zu einer europäischen Synthese zu gelangen.

6.3

Die Aufgabe der Territorialen Agenda der EU muss darin bestehen, auf der Grundlage eines Konzepts der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit Anhaltspunkte für die Entwicklung der Union zu liefern.

7.   Ziele für die Territoriale Agenda

7.1   Territorialer Zusammenhalt

7.1.1

Im Zeichen des territorialen Zusammenhalts soll ein europäischer Ansatz für die Raumentwicklung konzipiert werden, der die von den Mitgliedstaaten und den Regionen formulierten und umgesetzten Raumentwicklungsstrategien in einen Rahmen stellt und sie miteinander vereinbar macht.

7.1.2

Beim territorialen Zusammenhalt müssen Fragen im Mittelpunkt stehen, die erstens die Raumentwicklung und zweitens die Städte- und Regionalplanung betreffen. Wie 1994 von der CEMAT (6) festgestellt wurde, ist die Raumplanung das geeignete Instrument zur Verwirklichung der nachhaltigen Entwicklung auf territorialer Ebene.

7.1.3

Daher sollte an der begrifflichen, methodologischen und sprachlichen Klärung des Raumentwicklungskonzepts gearbeitet werden. Die Raumentwicklung ist ein interdisziplinärer Ansatz und ein vorrangiges Querschnittsthema, das verschiedene Bereiche betrifft, insbesondere Umwelt, Verkehr und Kommunikation, das Wohnungswesen, menschliche Siedlungsgebiete sowie Industriestandorte usw.

7.2   Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

7.2.1

Der EWSA empfiehlt, im Rahmen der Lissabon-Strategie eine ausgewogenere Wirtschaftsentwicklung auf dem Unionsgebiet anzustreben, damit alle Bürgerinnen und Bürger sowie sämtliche Gebiete von der Entwicklung profitieren können, einschließlich der Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen (7).

7.2.2

Alle Gemeinschaftspolitiken müssen das Ziel des sozialen Zusammenhalts fördern. Der EWSA plädiert dafür, den sozialen Zusammenhalt in die Zielsetzungen der Territorialen Agenda aufzunehmen, da das Leben der Menschen in den Unionsgebieten vor Ort stattfindet, wo sich ihnen Chancen eröffnen und Probleme stellen.

7.2.3

Eine polyzentrische Entwicklung der Stadt- und Ballungsgebiete sowie ein angemessenes Verhältnis zwischen diesen und den Randgebieten und ländlichen Regionen kann ein besseres wirtschaftliches und soziales Gleichgewicht in Europa fördern. Weitere grundlegende Ziele eines Raumentwicklungskonzepts müssen die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, die Integration von Einwanderern (8), die Förderung der Wohnungspolitik, die Chancengleichheit und die Entwicklung qualitativ hochwertiger öffentlicher Dienstleistungen sein.

7.3   Klimawandel und naturbedingte Gefahren

7.3.1

Alle jüngst erschienenen Berichte über den Klimawandel verweisen auf die Ernsthaftigkeit des Problems. Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Erderwärmung eine Tatsache und nicht nur eine These ist. Viele Auswirkungen des Klimawandels machen sich zuallererst auf Ebene der Regionen und Gebiete bemerkbar. Die Raumordnungspolitik muss diese neue Herausforderung annehmen und darauf hinwirken, einige der künftigen Auswirkungen des Klimawandels für die Raumentwicklung abzufedern und auszugleichen.

7.3.2

Es sollte ein EU-Plan zur Bewältigung naturbedingter Gefahren und Katastrophen erstellt werden. Dabei geht es nicht um reine Zukunftsszenarien. Der von der britischen Regierung in Auftrag gegebene und kürzlich veröffentlichte Bericht des Wirtschaftswissenschaftlers Nicolas Stern (9) macht das Ausmaß der Gefährdung unseres Planeten deutlich: So müsste mindestens 1 % des weltweiten BIP in die Bekämpfung des Klimawandels investiert werden, um zu verhindern, dass die globalen Kosten und Gefahren dieses Phänomens zu einer Abnahme des weltweiten BIP um 5 % oder sogar um bis zu 20 % führen, wenn die gefährlichsten Auswirkungen der Erderwärmung im selben Tempo fortschreiten wie bisher.

7.3.3

Der Klimawandel kann sich deutlich schneller als bislang prognostiziert negativ auf Zusammenhalt, Wettbewerbsfähigkeit, Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung auswirken; dies wird in dem aktuellen Bericht der UNO-Expertengruppe zum Klimawandel, der am 2. Februar 2007 in Paris vorgelegt wurde, bestätigt. Der EWSA spricht sich für eine Berücksichtigung der Auswirkungen des Klimawandels in Raumentwicklungsfragen aus.

7.3.4

Bei den zu bedenkenden Gefahren müssen auch solche berücksichtigt werden, die sich aufgrund technischer Notfälle (nukleare, chemische oder bakteriologische Bedrohungen), durch Unfälle oder Terroranschläge ergeben; darüber hinaus müssen massive Bevölkerungsbewegungen im Voraus bedacht werden.

7.4   Transeuropäische Netze

7.4.1

Der Gedanke der transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-T) kam Ende der 80er Jahre in Verbindung mit dem Binnenmarkt auf. Es machte nur dann Sinn, von einem Binnenmarkt und freiem Verkehr zu sprechen, wenn die verschiedenen einzelstaatlichen und regionalen Verkehrsnetze durch ein europäisches System moderner und effizienter Infrastrukturen miteinander verbunden waren.

7.4.2

Seit 1992 sind die transeuropäischen Netze unter Titel XV (Artikel 154, 155 und 156) im EU-Vertrag verankert. Fünfzehn Jahre später fällt die Bilanz enttäuschend, ja sogar besorgniserregend aus. Eine teilweise Erklärung für diese schlechte Bilanz sind Finanzierungsschwierigkeiten und ein Mangel an politischem Willen. Der EWSA bedauert, wie schnell die 2003 vereinbarte Wachstumsinitiative (10), die u.a. den Aufbau umfangreicher transeuropäischer Netze beinhaltete, von den Regierungen politisch vergessen, aufgegeben und schließlich begraben wurde. Der EWSA fragt sich, inwiefern das Fehlen eines ganzheitlichen Raumentwicklungskonzepts für das Unionsgebiet und seine Infrastrukturen für die unzureichende Bilanz der transeuropäischen Verkehrs-, Telekommunikations- und Energienetze verantwortlich ist.

7.4.3

Als ein grundlegendes Ziel möchte der EWSA hervorheben, dass für alle Personen und Gebiete eine angemessene Zugänglichkeit und Anbindung an die Verkehrsnetze gewährleistet werden muss. Dies sollte durch ein ausgewogenes paneuropäisches Netz bewerkstelligt werden, an das Kleinstädte, ländliche Regionen und Inselgebiete gut angebunden sind.

7.4.4

Bis dato verfügt die EU nicht über ein angemessenes Energienetz (Strom, Erdöl und Gas). Dieser Mangel kann zu einem Zusammenbruch der Wirtschaftstätigkeit führen. Darüber hinaus bedeutet dies, dass bei weitem keine Chancengleichheit für solche Regionen und Gebiete gegeben ist, die derzeit keinen Zugang zu diesen Netzen haben.

7.4.5

In der EU-Energiepolitik muss der territoriale Ansatz unbedingt berücksichtigt werden, und zwar sowohl vom Standpunkt des Schutzes der natürlichen Ressourcen aus als auch unter dem Gesichtspunkt des sozialen und territorialen Zusammenhalts.

7.4.6

Auch im Hinblick auf die Entwicklung der Lissabon-Strategie ist es erforderlich, dass sämtliche Gebiete sowie alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zur Informationsgesellschaft und ihren Netzen, zur Verbreitung des Wissens und zu Bildung haben. Die Territoriale Agenda muss vor allem diesen Ansatz vorrangig berücksichtigen.

7.5   Schutz der natürlichen Umwelt

7.5.1

Das Ziel, die physische Umwelt zu schützen sowie Natur und Artenvielfalt in Europa zu bewahren, kann nur mittels eines gemeinsamen politischen Konzepts für die Raumentwicklung erreicht werden. Von dieser Warte aus gesehen, ist der europäische Mehrwert unerlässlich.

7.5.2

Die Territoriale Agenda muss die Grundlagen für eine neue effizientere EU-Politik zum Schutz der natürlichen Umwelt und zur Erhaltung der Artenvielfalt schaffen (11).

7.6   Kulturelles Erbe

7.6.1

Europa besitzt ein äußerst bedeutendes kulturelles Erbe, das die EU schützen muss. Alle europäischen Regionen verfügen über eine große kulturelle Vielfalt, welche die Grundlage der europäischen Geschichte sowie der Identität der Europäer bildet.

7.6.2

Die Territoriale Agenda muss die Bewahrung dieses reichen und vielfältigen kulturellen Erbes fördern, das zudem als endogener Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt gestärkt werden muss.

8.   Leitlinien für ein Raumentwicklungskonzept der EU

8.1

Mit den Leitlinien für ein Raumentwicklungskonzept der EU muss unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Effizienz, sozialem Zusammenhalt und ökologischer Nachhaltigkeit angestrebt werden.

8.2

Ohne in die Zuständigkeiten der von den Mitgliedstaaten und Regionen betriebenen Raumordnungspolitik einzugreifen, bilden die Leitlinien für ein nachhaltiges Raumentwicklungskonzept auf dem Unionsgebiet einen Bezugsrahmen für die europäische Raumplanung und müssen den Begriff des territorialen Zusammenhalts mit Sinn und Inhalt füllen.

8.3

Vorrangige Themen der Leitlinien für ein Raumentwicklungskonzept, mit denen der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt angestrebt wird, sollten sein:

ein europäischer Ansatz im Bereich der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastrukturen, der die transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-T) realisierbar macht;

ein europäischer Ansatz für die Energiepolitik und insbesondere für die transeuropäischen Energienetze (TEN-E);

ein europäischer Ansatz zum Schutz und zur Erhaltung der physischen und natürlichen Umwelt, wobei der natürlichen Artenvielfalt und dem kulturellen Reichtum besondere Aufmerksamkeit gelten sollte;

ein europäischer Ansatz für die Bekämpfung der negativen Folgen des Klimawandels sowie für eine gemeinsame Politik zur Bewältigung potenzieller Gefahren und Katastrophen, von denen das Unionsgebiet bedroht ist;

ein polyzentrischer und nachhaltiger Ansatz für die Regional- und Städteplanung.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  http://www.bmvbs.de/Raumentwicklung-,1501.963052/Territoriale-Agenda-der-EU.htm

(2)  http://www.bmvbs.de/Anlage/original_988149/Evidenz-Dokument.pdf

(3)  http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/g24401.htm. Auf Spanisch erhielt dieses Konzept zunächst die Bezeichnung „Europäische Raumordnungsperspektive“ („Perspectiva Europea de Ordenación Territorial“ — PEOT).

(4)  http://www.espon.eu

(5)  Erläuterungen zur „Gemeinschaftsmethode“ siehe MEMO/02/102, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/searchAction.do

(6)  Europäische Konferenz der für Raumplanung zuständigen Minister, veranstaltet vom Europarat.

(7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Bessere Integration von Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen“ — ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 141.

(8)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“ — ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 128.

(9)  STERN-Review, verfasst von Sir Nicolas Stern, 30.12.2006, „Stern Review executive summary“ (Anm. d. Übers.: Eine deutsche Übersetzung liegt unter dem Titel „STERN-REVIEW: [Der wirtschaftliche Aspekt des Klimawandels] Zusammenfassung/Executive Summary“ vor.), New Economics Foundation.

(10)  Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Ziffern 2, 3, 4 und 5), Tagung des Europäischen Rates in Brüssel vom 12. Dezember 2003.

(11)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission: Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 — und darüber hinaus — Erhalt der Ökosystemleistungen zum Wohl der Menschen“, KOM(2006) 216 endg. — CESE 205/2007.


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Bericht der Kommission: Bericht über die Wettbewerbspolitik 2005“

SEK(2006) 761 endg.

(2007/C 168/04)

Die Kommission beschloss am 15. Juni 2006 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Bericht der Kommission: Bericht über die Wettbewerbspolitik 2005“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. März 2007 an. Berichterstatter war Herr GARAI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 26. April) mit 115 gegen 40 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

In dieser Stellungnahme konnte nicht die gesamte Tätigkeit der Generaldirektion Wettbewerb (GD Wettbewerb) behandelt werden (1). Es konnte nur kurz auf eine begrenzte Anzahl ausgewählter Fälle eingegangen werden, während die Behandlung gerichtlicher Entscheidungen zu Kartell-, Fusions- und Beihilfefällen überhaupt nicht möglich war, da dies eine gründliche Untersuchung des genauen Marktverhaltens und dessen Wahrnehmung durch die Behörden erfordert hätte. Aus dem Bericht wird jedoch deutlich, dass die GD Wettbewerb im Umgang mit Fällen bei der Durchführung von Verfahren Beharrlichkeit an den Tag legt und darum bemüht ist, geeignete und durchführbare Problemlösungen zu finden. Kritik könnte lediglich zu einigen ausgewählten Sachverhalten vorgetragen werden, in deren Fall die Bedeutung des Sektors im Hinblick auf die Erfüllung der in der Lissabon-Strategie und den damit einhergehenden Dokumenten genannten Anforderungen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit die von der Kommission aufgebrachte Aufmerksamkeit nicht rechtfertigt. Als Beispiel hierfür möchte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (im weiteren Text EWSA oder Ausschuss) den Follow-up-Bericht zum Bericht 2005 „Freiberufliche Dienstleistungen — Raum für weitere Reformen“ sowie das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen mit dem Titel „Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Überprüfung und Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen im Bereich freiberuflicher Dienstleistungen“ anführen. Nach Ansicht des Ausschusses ist die Liberalisierung der Dienstleistungen im Sinne der Lissabon-Strategie in erster Linie auf Dienstleistungen von internationaler Bedeutung (wie Infrastruktur, Telekommunikation oder Verkehr) zu beziehen und in wesentlich geringerem Maße auf die so genannten freien Berufe (insbesondere Architekten, Rechtsanwälte, Ärzte, Ingenieure, Rechnungsführer und Apotheker); bei diesen handelt es sich in den meisten Fällen um Mikrounternehmen von lokaler Bedeutung, die laut Subsidiaritätsprinzip in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen (vgl. die Rechtssache Cipolla/Macrino sowie die verbundenen Rechtssachen C-94/04 und C-202/04 (2)). Der EWSA begrüßt, dass für die verschiedenen betroffenen Märkte der freien Berufe in den Mitgliedstaaten detaillierte Analysen zur Messung von Ausmaß und Intensität der bestehenden Beschränkungen durchgeführt wurden. Gleichzeitig betont der Ausschuss jedoch, dass nicht nur die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur, sondern auch die zu erwartenden Auswirkungen der vorgeschlagenen Liberalisierungen auf das soziale Gefüge geprüft werden sollten. Dieser Sachverhalt schließt jedoch nicht aus, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden Kartellverfahren durchführen müssen, die in erster Linie gegen Preisfestsetzungsversuche der Berufsverbände gerichtet sind.

1.2

Dem EWSA wurde vorgeschlagen, sich mehr auf den umfangreichen Sachverstand und die große Erfahrung der im Ausschuss vertretenen Verbände und Organisationen der Zivilgesellschaft zu stützen, um die Tätigkeit der GD Wettbewerb zu beobachten, und von Zeit zu Zeit sogar Untersuchungen im Hinblick auf die Aufnahme von Verfahren in Kartell- und Beihilfefällen einzuleiten. Die GD Wettbewerb der Kommission könnte hierzu durch regelmäßige Unterrichtung über ihre Ziele bei der Politikgestaltung und sogar — unter Wahrung der Vertraulichkeit — über ihre Tätigkeiten bei der Behandlung von Fällen beitragen.

1.3

Es sollten regelmäßige Treffen zwischen Vertretern des EWSA und dem Verbindungsbeauftragten für Verbraucherfragen der GD Wettbewerb eingeführt werden. Die gegenseitige Unterrichtung kann einen beständigen Dialog mit Verbraucherschutzorganisationen fördern. Nach der Zusammenfassung der von der GD Wettbewerb (3)durchgeführten branchenspezifischen Untersuchungen im Energiesektor (Gas und Elektrizität) und bei den Finanzdienstleistungen (Privatkundengeschäft und Unternehmensversicherungen) sollten die Befunde den Vertretern des EWSA zur weiteren Untersuchung und Kommentierung zugänglich gemacht werden (wobei möglichst eine Arbeitsgruppe gebildet werden sollte).

1.4

Der EWSA erkennt die Notwendigkeit einer Zusammenfassung seiner Ansichten über den Einfluss der Wettbewerbspolitik auf die von der Kommission formulierten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Werte an. Zu diesem Zweck wird in nächster Zeit mit der Erarbeitung einer Stellungnahme begonnen, in der im Sinne der Lissabon-Strategie die Begriffe „Wettbewerb“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ dargelegt und ihr tatsächlicher Inhalt erklärt sowie ihre zu erwartenden Auswirkungen auf die Gesellschaften der Mitgliedstaaten erläutert werden.

1.5

Als die GD Wettbewerb die Debatte über die Anwendung von Artikel 82 EG-Vertrag (Missbrauch beherrschender Stellungen) einleitete, veröffentlichte sie eine Studie über Verdrängungspraktiken, die sowohl für Wettbewerber als auch den Wettbewerb selbst schädliche Auswirkungen haben, die umfassend diskutiert wurde. Die Kommission kündigte eine Fortsetzung zum Thema Ausbeutungsmissbrauch an, das vom Gesichtspunkt der Verbraucher und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als Lieferanten der marktbeherrschenden Unternehmen aus noch heikler ist. Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission jetzt mit der Ausarbeitung des Diskussionspapiers zu gemäß Artikel 82 EG-Vertrag als Ausbeutungsmissbrauch anzusehenden Verhaltensweisen beginnen, auf dessen Grundlage die Diskussion dann fortgesetzt werden sollte. Sobald genügend gemeinsame Merkmale für die beiden Arten von missbräuchlichem Verhalten (Verdrängung und Ausbeutung) festgestellt wurden, sollten die Schlussfolgerungen zur Auslegung der Bestimmungen zum Missbrauch beherrschender Stellungen in einer einheitlichen Leitlinie gezogen werden.

2.   Einleitung

2.1

Das freie Spiel der Marktkräfte führt nicht immer zum bestmöglichen Ergebnis. Wettbewerbsverzerrungen treffen Arbeitnehmer und Verbraucher ebenso wie Unternehmen und die Wirtschaft im Allgemeinen. Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht sind Instrumente der Regierungen zur Festlegung und Durchsetzung eines fairen Marktverhaltens durch materielle und verfahrensrechtliche Bestimmungen des Verwaltungsrechts.

2.2

In der Stellungnahme des EWSA zu dem Bericht sollte erwähnt werden, dass moderne, marktorientierte demokratische Staaten über zwei wichtige Instrumente zur Einflussnahme auf die Wirtschaft verfügen:

die Industriepolitik, die die Marktteilnehmer durch Steuererleichterungen, Subventionen und sonstige Unterstützungen beeinflusst, was einen direkten Eingriff in die Wirtschaft darstellt;

die Wettbewerbspolitik (im engeren Sinne), die nicht nur festlegt, welche Verhaltensweisen als unerwünscht gelten, sondern im Interesse fairer Marktbedingungen auch rechtliche Verfahren mit Gesetzesvollzug und Sanktionen ermöglicht.

2.2.1

Die GD Wettbewerb kann beide Politiken verfolgen: die Anwendung der Artikel 81, 82 und 86 EG-Vertrag (4) verkörpert die typischen Tätigkeiten einer Wettbewerbsbehörde.

2.3

Eine andere wichtige Überlegung betrifft die weit verbreitete Ansicht, dass ein fairer, unverzerrter und praktikabler Wettbewerb unter Marktteilnehmern wahrscheinlich die beste Garantie für Verbraucher ist, dass Qualität und Auswahlmöglichkeiten der Produkte ihren Erwartungen entsprechen. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass viele andere Umstände Einfluss auf das so genannte Verbraucherinteresse haben: die allgemeine Situation der Gesellschaft, die Lage der materiellen und geistig-moralischen Faktoren bzw. ihr Fehlen u.a. mehr. Der EWSA betrachtet den Bericht der GD Wettbewerb umfassend aus der Perspektive der Wertvorstellungen des Ausschusses, wie sie in seinem Auftrag dargelegt sind.

3.   Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag

3.1

Wenn die Europäische Kommission ihre Befugnisse zur Durchsetzung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag aus den kartellrechtlichen Abschnitten der Römischen Verträge ausübt, dann sind diese auf in den Mitgliedstaaten operierende Unternehmen  (5) ausgerichtet, was mit der Ausübung einer quasigerichtlichen Zuständigkeit verglichen werden kann, da sie Verhaltensweisen von Unternehmen am Markt im Nachhinein entsprechend den Vorschriften des Wettbewerbsrechts beurteilt. Diese Tätigkeit, die die GD Wettbewerb der Kommission seit Beginn der 60er Jahre ausübt, kommt in den Entscheidungen der Kommission zum Ausdruck, die gemeinsam mit den Urteilen des Gerichts erster Instanz und des Europäischen Gerichtshofs (nach Berufungen) ein Rechtssystem von maßgeblichen Präzedenzfällen über einen Zeitraum von 40 Jahren bilden. Die Rechtsprechung, die sich auf diese Art durch Beurteilung unterschiedlicher Marktsituationen herausgebildet hat, stellt eine der wertvollsten Errungenschaften des gemeinschaftlichen Besitzstands dar.

3.2

Aus dem Bericht 2005 geht hervor, dass sich die GD Wettbewerb aller wesentlichen Aspekte des wirtschaftlichen Wettbewerbs innerhalb und außerhalb der EU sowie der sich daraus ergebenden Aufgaben zur Gewährleistung der Rechtsicherheit sehr wohl bewusst ist — um so mehr, als das materielle Fallrecht der EU auch von nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichten angewendet werden kann und diese Bestimmungen somit kontinuierlich die europäische und einzelstaatliche Rechtspraxis gestalten.

In Bezug auf das Jahr 2005 sollte auf folgende Initiativen, Vorschläge und Maßnahmen hingewiesen werden:

3.2.1

Verordnung über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten bei Kartell- und Fusionskontrollverfahren: Dies ist immer eine heikle Frage bei Verfahren, deren Details von der Kommission ständig verbessert werden. Die Kommission erachtet es als wichtig zu gewährleisten, dass die an Kartell- oder Fusionskontrollverfahren interessierten Unternehmen das Recht auf Einsicht in die Akten sowohl in elektronischer als auch in Papierform haben. Die neue Verordnung ersetzt eine frühere Fassung von 1997.

3.2.2

Eine Aufforderung an potenzielle Beschwerdeführer, als Beitrag zur effektiven Durchsetzung der Wettbewerbsregeln Informationen zu übermitteln: Interessanterweise wurde diese Aufforderung in dem Bericht veröffentlicht, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist. Sie lässt die mit der Marktüberwachung durch Wettbewerbsbehörden verbundenen Schwierigkeiten erkennen und beinhaltet die Aufforderung an die Organisationen der Zivilgesellschaft und Berufsverbände, einen aktiven Beitrag (z.B. durch Sammeln von Beweisen) zur Einleitung und Durchführung von Ermittlungen zur Verfolgung erheblicher Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsvorschriften zu leisten.

3.2.3

Diskussionspapier zur Anwendung der EU-Wettbewerbsregeln des Artikels 82 EG-Vertrag (Missbrauch beherrschender Stellungen): Absicht der GD Wettbewerb war es, eine sachkundige Debatte über Verdrängungspraktiken marktbeherrschender Unternehmen in Gang zu bringen, die darauf gerichtet sind, andere Wettbewerber zu beeinflussen und ihnen gegenüber einseitige Vorteile zu erlangen. Zu dem Diskussionspapier (das als Grundlage für künftige Leitlinien dient) wurden mehr als 100 Beiträge eingereicht. In den meisten Beiträgen wird die Notwendigkeit einer Wirtschaftsanalyse des betreffenden Marktes und der Marktteilnehmer hervorgehoben. Dieser Feststellung kann nur zugestimmt werden. Aber in vielen Beiträgen wird auch betont, wie wichtig es sei, den Grundsatz der Nichtbehinderung leistungsfähiger Unternehmen bei der Durchführung ihrer Marktstrategien anzuerkennen. Dies bedeutet, dass diese moderne Theorie statt für ein striktes Verbot unfairen Marktverhaltens (nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit — „Rule-of-Reason“) für mehr Nachsicht gegenüber auf den Erfolg ausgerichteten, wenngleich aggressiven Unternehmensstrategien plädiert. Gemäß der europäischen Rechtsprechung (6) kann dies jedoch zu einem Konflikt mit der vorherrschenden europäischen Ansicht führen, nach der unfaires, auf die Verdrängung unerwünschter Wettbewerber gerichtetes Marktverhalten nicht toleriert wird (7). Dieses Dilemma ist zweifelsohne der Kern der Wettbewerbspolitik: Wo sind die Grenzen, die die entscheidenden Marktteilnehmer nicht überschreiten dürfen? Da sich der EWSA für die Interessen der Zivilgesellschaft (z.B. von KMU (8), Arbeitnehmern, Verbrauchern) einsetzen möchte, ist er weiterhin lebhaft an dem Ausgang der Debatte interessiert.

3.2.4

Leitlinien für die Folgenabschätzung, die die Überprüfung aller im Jahresarbeitsprogramm der Kommission enthaltenen Rechtsetzungsinitiativen und politischen Initiativen unter dem Gesichtspunkt voraussichtlicher positiver oder negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb vorsehen: Hierbei handelt es sich um eine Initiative zur „Vermeidung unnötiger oder unverhältnismäßiger Wettbewerbsbeschränkungen“ schon während des Rechtssetzungsprozesses der EU. Die Überlegungen zu voraussichtlichen Auswirkungen auf die Märkte (welche?) zeugen davon, wie tief der Begriff „scharfer“ bzw. „perfekter“ (d.h. fairer und unverzerrter) Wettbewerb in der Auffassung der Kommission verwurzelt ist. Der EWSA ist der Ansicht, dass der Begriff „Wettbewerb“ wesentlich weiter aufgefasst werden sollte, während besonders bei Verbrauchern, Arbeitnehmern sowie KMU die langfristigen Interessen erheblich von den unmittelbaren Interessen, eine „perfekte“ Wettbewerbssituation herzustellen, abweichen könnten (9).

3.2.5

Grünbuch über Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts: In seiner jüngsten Stellungnahme vom 26. Oktober 2006 äußerte sich der EWSA hierzu positiv. Die Vorlage des Grünbuchs der Kommission „Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“ stieß auf Zustimmung und löste eine umfassende Debatte aus, da darin gefordert wurde, den durch wettbewerbswidrige Handelspraktiken Geschädigten die Möglichkeit zu geben, ihre Verluste zurückzufordern. In seiner jüngsten Stellungnahme (INT/306) erklärt der EWSA u.a., dass das Ziel sei, alle Akteure des Binnenmarkts zu schützen. Aufgrund des freien Warenverkehrs ist in allen Ländern eine gewisse Einheitlichkeit der sich aus den Verträgen ergebenden Rechte und Pflichten erforderlich. Im Zusammenhang mit dem grenzübergreifenden Handel hingegen ist eine gewisse Harmonisierung der Rechtsetzung zu fördern.

3.2.5.1

Zudem ist den europäischen und nationalen Wettbewerbsbehörden Rechnung zu tragen, deren Aufgabe es ist, die verbotenen Handelspraktiken festzustellen und mit Sanktionen für die rechtswidrig handelnden Unternehmen zu belegen.

3.2.6

Einleitung branchenspezifischer Untersuchungen im unlängst liberalisierten Gas- und Elektrizitätssektor: Diese Untersuchungen werden sicher dazu beitragen, Klarheit über die tatsächliche Situation in diesen sehr bedeutenden und weit reichenden Sektoren zu schaffen, deren Liberalisierung relativ lange als Allheilmittel betrachtet wurde. Es ist höchste Zeit, lokale, einzelstaatliche und sogar umfassendere Märkte einer unparteiischen Untersuchung zu unterziehen, um etliche monopolistische Situationen zu verdeutlichen, die sich nachteilig für Verbraucher, Arbeitnehmer und Unternehmen auswirken.

3.2.7

Elektronische Kommunikation: Die zunehmend integrierten europäischen Märkte der elektronischen Kommunikation führen zu wachsender Unzufriedenheit. Die Gebühren von Mobilnetzbetreibern für die Bereitstellung internationaler Roaming-Dienste für Großkunden sind zu hoch. Deshalb hat die GD Wettbewerb anhand von Mitteilungen der Beschwerdepunkte gegen die Betreibergesellschaften Untersuchungen eingeleitet. Deren vorläufige Schlussfolgerungen lauten, dass zwei der drei führenden deutschen Gesellschaften ihre marktbeherrschende Stellung durch Festsetzung „unfairer und überhöhter Preise“ missbrauchen.

3.2.7.1

Der EWSA möchte bei dieser Gelegenheit keinen Hehl daraus machen, dass sich der Ausdruck und das Konzept des „überhöhten“ Preises allmählich in die Auslegung von Artikel 82 EG-Vertrag (10) eingeschlichen hat, heißt es doch im Vertragstext lediglich „Erzwingung von unangemessenen Preisen“, was mit anderen Worten ungerechte oder ungerechtfertigte Preise bedeutet. Der Grund dafür, dass die Kommission es bisher abgelehnt hat, die ausbeuterischen Preiserhöhungen dominanter Unternehmen am Markt zu untersuchen und zu verurteilen, liegt darin, dass sie keine „richtigen“ und „falschen“ Preise definieren wollte (11) (die hauptsächlich in den verschiedenen Ländern vermarktete Dienstleistungen betrafen). Während die Mobilfunkbetreiber die Nachfrage nach immer umfassenderen internationalen Roaming-Diensten befriedigen, wird die Einstellung der Kunden zunehmend kostenbewusster. Diese können zu Recht sogar leichte Preiserhöhungen als „unfair“ empfinden, ohne dass diese „überhöht“ sein müssen. Der Ausschuss sieht den Feststellungen und Entscheidungen der Kommission in diesem und ähnlichen Fällen mit Interesse entgegen.

3.2.8

Entscheidung über eine Geldbuße gegen AstraZeneca wegen Missbrauch von Vorschriften: Die Kommission wählte bei der Auslegung des Artikels 82 EG-Vertrag einen neuen Ansatz, als sie gegen die AstraZeneca AB und AstraZeneca Plc („AZ“) eine Geldbuße in Höhe von 60 Mio. EUR wegen Verstoßes gegen Artikel 82 EG-Vertrag (und Artikel 54 EWR-Abkommen) verhängte. Der Missbrauch bestand darin, dass die miteinander verbundenen Unternehmen zum Schutz der geistigen Eigentumsrechte, durch den sie auf vielen Märkten einen hohen Produktpreis aufrechterhalten konnten, auf einer Verordnung des Rates fußende offizielle Verfahren missbrauchten, um ein ergänzendes Schutzzertifikat bezüglich des Patents für ihr Magengeschwürmittel Losec zu erhalten. Der Missbrauch wurde durch irreführende Angaben gegenüber den zuständigen Entscheidungsbehörden und -gremien begangen, was zu einer Erweiterung des Patentschutzes führte. Folglich konnte die Gültigkeit des Patents für Losec nicht als abgelaufen betrachtet werden. Dadurch wurde Losec nicht zu einem Generikum, und kleinere Unternehmen, die zur Vermarktung dieses Magengeschwürmittels in der Lage waren, wurden von dessen Herstellung zu wesentlich niedrigeren Preisen als die der AstraZeneca-Unternehmen abgehalten. So schadete das verzögerte Auslaufen des Patentschutzes indirekt den Verbrauchern.

3.2.8.1

Die Neuheit dieses Kartellverfahrens bestand darin, dass die Kommission in ihrer Entscheidung befand, dass bei Patentausweitungsverfahren selbst das Vorhandensein von Abhilfemaßnahmen für Wettbewerber die Anwendung von Artikel 82 EG-Vertrag nicht ausschließt. Die AstraZeneca-Unternehmen hatten auf den betreffenden europäischen (und anderen) Märkten eine beherrschende Stellung und der Missbrauch erfolgte durch betrügerisch eingeleitete Verfahren.

3.2.8.2

Der Ausschuss möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass solche Verhaltensweisen am Markt viel besser unter die so genannten unfairen Marktpraktiken (12) eingeordnet werden könnten, die noch nicht im Aufgabenbereich der GD Wettbewerb liegen. In diesem besonderen Fall erfolgte der Missbrauch von einer marktbeherrschenden Position aus, aber in vielen anderen Fällen werden ähnliche Praktiken von Unternehmen unabhängig von ihrer Marktstellung ausgeübt und bleiben unbestraft. Wenn wir an integrierte europäische Märkte denken, müssen wir auch einen besseren Schutz für Verbraucher und Wettbewerber — häufig KMU — vorsehen. Die Entscheidung der Kommission im Fall AstraZeneca kündigt die in diesem Bereich zu erwartenden Fortschritte an.

3.2.9

Entscheidung bezüglich eines Überwachungsbeauftragten in der Sache Microsoft: Dieser bekannte Fall hatte Konsequenzen und Lehren für amerikanische Unternehmen, die verstanden haben, dass die europäische Rechtsordnung ihre Überwachungsrolle sogar gegenüber den größten Marktakteuren außerhalb der Europäischen Union wahrnimmt. Diese jüngste Entscheidung zeigt, wie flexibel die Kommission bei der Suche und Ausarbeitung beiderseitig annehmbarer Lösungen ist, so dass Unternehmen, die EU-Recht verletzt haben, sich wieder in den normalen Wettbewerbsrahmen eingliedern können. Die Ernennung eines Beauftragten (13) zur Überwachung der Bemühungen des IT-Giganten, die durch die Entscheidung vorgeschriebenen Korrekturen vorzunehmen, ist ein Instrument, das eigentlich aus der Praxis der Fusionskontrolle übernommen wurde, und spiegelt die guten Absichten der GD Wettbewerb wider, Streitigkeiten im Wege der Zusammenarbeit beizulegen.

3.2.10

Einleitung branchenspezifischer Untersuchungen bei den Finanzdienstleistungen: Der Ausschuss unterstützt die Untersuchungen, die im Bereich der Zahlungskarten und der Leistungen im Privatkundengeschäft (Girokonten und Finanzprodukte für KMU) sowie eines speziellen Phänomens im Bereich der Unternehmensversicherung (siehe Ziffer 3.2.10.2) eingeleitet wurden.

3.2.10.1

Bezüglich der vorgenannten Bankleistungen scheint der Wettbewerb durch Marktzugangshindernisse, mangelnde echte Wahlmöglichkeiten und vermutlich auch durch vorhandene marktbeherrschende Positionen beeinträchtigt zu sein.

3.2.10.2

Die Untersuchungen im Bereich der Unternehmensversicherung betreffen insbesondere „den Grad der Zusammenarbeit zwischen den Versicherern und Versicherungsgesellschaften in Bereichen wie der Festlegung von Standardvertragsbedingungen (14). Während eine solche Zusammenarbeit in vielen Fällen zu einer effektiven Arbeitsweise führt, können möglicherweise wettbewerbsverzerrende Formen der Zusammenarbeit der Nachfrageseite nur begrenzten Raum lassen, die Versicherungsbedingungen auszuhandeln, und zudem den Wettbewerb und die Innovation auf dem Markt beschränken“ (Bericht Wettbewerbspolitik 2005, Ziffer 116).

3.2.11

Kommissionsvorschlag zu den Anforderungen an die öffentlichen Personenverkehrsdienste und Verträge im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr: Der überarbeitete Vorschlag zu den Anforderungen an die öffentlichen Personenverkehrsdienste und Verträge kann die Einbindung von KMU in diesen Bereich fördern, wodurch sie bessere Chancen zur Beteiligung am Nahverkehr hätten.

3.2.12

Schaffung der Direktion Kartelle, die sich auf den Kampf gegen Hardcore-Kartelle konzentriert: Der Ausschuss unterstützt voll und ganz die Forschritte, die in der professionellen Handhabung von Kartellverfahren erzielt wurden.

3.2.13

Seit dem 1. Mai 2004 wurde mit den Verordnungen Nr. 1/2003 und 773/2004 über Kartellverfahren ein neues System zur Feststellung möglicher wettbewerbswidriger Absichten und Auswirkungen von Vereinbarungen eingeführt, die Marktteilnehmer untereinander abschließen wollen. Die Anmeldung geplanter Gemeinschaftsunternehmens- und Kooperationsvereinbarungen (horizontale und vertikale Zusammenschlüsse) durch die Unternehmen, mit der eine Vorprüfung der Wettbewerbsbehörde hinsichtlich einer etwaigen Wettbewerbswidrigkeit der beabsichtigten Vereinbarung eingeholt werden soll, ist künftig weder bei der Kommission noch bei den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten möglich. Dies bedeutet, dass anstelle einer Einzelfreistellung, einer „Patronatserklärung“ oder eines „Negativtests“, die vor dem 1. Mai 2004 von der GD Wettbewerb ausgestellt wurden, die Unternehmen selbst aufmerksam alle Aspekte der geplanten Vereinbarung daraufhin untersuchen müssen, ob diese überhaupt einige (oder alle) Anforderungen gemäß Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag für eine positive Auswirkung auf die betreffenden Märkte erfüllt (15). Eine der Bedingungen lautet: Wenn auf einem bestimmten Markt eine solche Vereinbarung (meist zu einem Gemeinschaftsunternehmen) geschlossen wurde und für die Beteiligten Vorteile hat, muss sich ein Teil der Vorteile auch positiv für die Verbraucher auswirken.

3.2.13.1

Der Ausschuss möchte unterstreichen, dass die Nichterfüllung der im letzten Satz des vorherigen Absatzes genannten Bedingung Grund sein sollte, eine Verhaltensweise als wettbewerbswidrig zu qualifizieren. Bei der Bewertung von gegen Artikel 81 Absatz 1 verstoßenden Vereinbarungen sollte die Kommission jeglichen Nachweis einer absichtlich auf die Benachteiligung von Verbrauchern gerichteten Verhaltensweise als verschärfenden Umstand ansehen.

4.   Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen

4.1

Eine wichtige Aufgabe der Kommission besteht darin, die voraussichtliche Marktstruktur und beherrschende Stellung infolge von Zusammenschlüssen zu untersuchen, die von Unternehmen herbeigeführt werden, die ihre Entwicklungs-, Produktions- und Marktfähigkeiten zwecks Erzielen einer größeren Marktmacht und besserer Marktpositionen konzentrieren wollen. Nicht nur Unternehmensfusionen, sondern auch Gemeinschaftsunternehmen können als Zusammenschlüsse betrachtet werden, wenn die erforderlichen Durchführungsbefugnisse in einem einheitlichen Management gebündelt sind und die Tätigkeit der verschiedenen Teilnehmer dem Handeln eines Marktteilnehmers auf dem betreffenden Markt entspricht. Zusammenschlüsse bedeuten u.a. verbesserte Effizienz, Beschleunigung der Produktentwicklung, Kostensenkungen sowie Vorteile auf der Führungsebene. Aus wettbewerbspolitischer Sicht können Zusammenschlüsse jedoch auch schädliche Auswirkungen haben, da durch die Bündelung der Marktmacht oft beherrschende Stellungen geschaffen werden, was mit einem hohen Missbrauchsrisiko einhergeht. Manchmal gehen Zusammenschlüsse mit negativen Auswirkungen einher. In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen, dass Fusionen Effizienz und Wachstum nicht immer fördern. Selbst langfristig können sie Gewinn und Wert des Unternehmens negativ beeinflussen. Gleichzeitig kann es zu zahlreichen Arbeitsplatzverlusten kommen. Deshalb ist es wichtig, bei der Bewertung von Zusammenschlüssen auch beschäftigungs- und sozialpolitische Fragen (z.B. die Arbeitsplätze) zu berücksichtigen. Ob die Auswirkungen eines gewünschten Zusammenschlusses den Wettbewerb verzerren können, lässt sich am besten bewerten, wenn man die Bedingungen der beabsichtigten Fusion an den Bestimmungen von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (vgl. Fußnote 12) überprüft. Werden die dort genannten Bedingungen für die Marktstruktur und Marktmacht der an der Fusion beteiligten Unternehmen erfüllt, dann kann der Zusammenschluss akzeptiert werden. Hier besteht eine wichtige Verbindung zwischen Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (die in erster Linie zu den Instrumenten der Industriepolitik gehört) und Wettbewerbsrecht, die den Behörden bei der Anwendung der Wettbewerbspolitik im engeren Sinne helfen.

4.1.1

Ab einem bestimmten Schwellenwert des Jahresumsatzes in der EU und/oder weltweit müssen Unternehmen vor dem Zusammenschluss ihre ernsthaften Absichten, eine gemeinsame Marktmacht (einen Zusammenschluss) zu konstituieren, bei der Kommission anmelden, worauf die GD Wettbewerb die Phase I und gegebenenfalls die Phase II des Prüfverfahrens einleitet. Die Marktmacht stellt keine Bedingung für die Anmeldeverpflichtung dar: die Kommission prüft, ob der betreffende Zusammenschluss den Wettbewerb in erheblichem Maße beschränkt, z.B. durch das Entstehen oder den Ausbau einer beherrschenden Stellung.

4.2

Eines der wesentlichen Ziele der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (und eines der erhofften Ergebnisse) ist die Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit europäischer Erzeuger und Vertreiber (16). Das systemimmanente Problem der in der EU angewandten Verfahrensweise besteht darin, dass die Unternehmen durch die Fusion eine so starke Marktposition erlangen, dass die Versuchung besteht, den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts zu beschränken. Die Kommission ist um eine Eindämmung der Gefahr bemüht, indem sie zahlreiche Bedingungen für Genehmigungen (hierbei handelt es sich um die so genannten „Abhilfen“) einführt, wie die Forderung von Veräußerungszusagen, den Verkauf von geistigen Eigentumsrechten oder die Einstellung des Vertriebs in bestimmten Ländern. Wie dem auch sei, aus einer Untersuchung der beeindruckenden Fusionsstatistiken muss man schließen, dass sich aus ihnen nicht ableiten lässt, ob

alle oder ein größerer Teil der tatsächlich durchgeführten Zusammenschlüsse, die den Schwellenwert erreichen, durch die Unternehmen angemeldet wurden oder nicht;

die GD Wettbewerb nachweisen kann, ob Unternehmen, die genehmigte Zusammenschlüsse verwirklicht haben, in den vergangenen Jahren ihre größere Markmacht missbraucht haben oder nicht.

4.3

Im Oktober 2005 veröffentlichte die Kommission eine Studie über Verpflichtungen bei Fusionssachen, die die Verpflichtungen enthält, die den Unternehmen von der Kommission zur Verringerung mutmaßlicher wettbewerbswidriger Wirkungen als Vorbedingungen für eine Genehmigung vorgeschriebenen werden, sowie die detaillierten Ex-post-Evaluierungen. In über 40 Prozent der genehmigten Fälle traten schwere ungelöste Probleme zutage (unvollständige Übertragung von veräußerten Geschäftsbereichen, falsche Feststellung der Vermögenswerte u.a.). Dies sollte Anlass zur Erinnerung daran sein, wie wichtig es ist, bei genehmigten Fusionen angesichts der größeren Marktmacht der Beteiligten ein mögliches wettbewerbsbeschränkendes Verhalten im Sinne von Artikel 82 EG-Vertrag zu überprüfen.

5.   Staatliche Beihilfen

5.1

Eine der Hauptaufgaben der GD Wettbewerb ist es, die Tätigkeit der Mitgliedstaaten daraufhin zu überwachen, welchen Unternehmen und auf welcher Grundlage finanzielle Unterstützung gewährt wird. Da die Europäische Union gleiche Bedingungen für sämtliche im Binnenmarkt aktiven Unternehmen sicherstellen möchte, wurde der Begriff „staatliche Beihilfe“ sehr sorgsam definiert und konsequent im Hinblick auf die jeweilige staatliche Industriepolitik ausgelegt. Nicht nur direkte finanzielle Interventionen werden einer Prüfung unterzogen, sondern auch Steuervergünstigungen und Vergünstigungen aller Art, die ausgewählten Unternehmen gewährt werden, kann die Europäische Kommission als nicht tragbar einstufen, wenn sie den Wettbewerb verzerren.

5.2

Im Jahr 2005 war die GD Wettbewerb darum bemüht, die Ziele und Vorschriften der Verteilung staatlicher Beihilfen in den Mitgliedstaaten besser zu erklären, um durch den Einsatz der Mittel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU als Ganzes die erfolgreiche Umsetzung der Lissabon-Agenda zu fördern. In der Absicht, die Koordinierung zwischen den Betroffenen (d.h. staatlichen Gremien, Unternehmen und ihren Organisationen) zu verbessern und öffentliche Mittel gezielt in Bereichen einzusetzen, wo sie effizient genutzt werden können, startete die Kommission den Aktionsplan „Staatliche Beihilfen“ (17). Die Leitlinien des Plans brechen nicht mit der bestehenden Verfahrensweise, sondern sind darauf gerichtet, bessere Verfahren auszuarbeiten, die die Mitgliedstaaten übernehmen können. Einige Anmerkungen dazu:

5.2.1

Die in dem Bericht dargestellten „guten und schlechten“ Beispiele illustrieren die Vielfalt der Gründe für die Gewährung finanzieller Unterstützung. Selbstverständlich befürwortet der Ausschuss uneingeschränkt die Zielsetzung, dass „öffentliche Gelder tatsächlich zum Nutzen der EU-Bürger verwendet werden, die Effizienz der Wirtschaft gesteigert wird, Wachstum und Beschäftigung angekurbelt werden, der soziale und regionale Zusammenhalt gestärkt wird, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sowie die nachhaltige Entwicklung und die kulturelle Vielfalt verbessert werden“  (18). In Anbetracht der unzulänglichen Verhältnisse aufgrund schwacher Infrastrukturen und eines ungünstigen Wirtschaftsklimas für KMU, Nachteile, die besonders in den neuen Mitgliedstaaten vorhanden sind, kann der Ausschuss jedoch nicht das Ziel unterstützen, geringere staatliche Beihilfen zu gewähren.

5.2.2

Offensichtlich ist die Schaffung finanziell günstiger Bedingungen für Traditionsunternehmen in der Krise durch Gewährung von Unterstützung für deren Rettung oder Umstrukturierung in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor von großer Bedeutung. Unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigungspolitik kann der Ausschuss dies nicht kritisieren. Es gab jedoch auch verschiedene Fälle, in denen sogar die Kommission ihre Zweifel anbrachte, ob sich Beihilfen, die auf die Wiederherstellung einer ausgeglichenen wirtschaftlichen Position von zu rettenden Unternehmen gerichtet sind, überhaupt rentieren.

5.2.3

Gemäß einem Paket von Rechtsmaßnahmen, das im Juli in Einklang mit dem Aktionsplan „Staatliche Beihilfen“ verabschiedet wurde, dürfen „Unternehmen für die Ausführung genau umrissener öffentlicher Versorgungsaufträge in Höhe der angefallenen Kosten, einschließlich eines angemessenen Gewinns, öffentliche Gelder erhalten“. Als Hilfsmittel zur Schließung von Finanzierungslücken (höchstwahrscheinlich für KMU von lokaler Bedeutung) könnten diese Möglichkeiten gute Beispiele für die effiziente Verwendung öffentlicher Gelder zum Nutzen der EU-Bürger und Unternehmen sein.

6.   Funktionsweise des Europäischen Wettbewerbsnetzes (ECN)

6.1

2005 war das erste vollständige Jahr, in dem die durch die Verordnung des Rates Nr. 1/2003 eingeführten Änderungen an den Kartellverfahren angewandt wurden, was Folgendes bedeutet:

Ist der Handel zwischen Mitgliedstaaten betroffen, so ist das unmittelbar auf Unternehmen anwendbare materielle Kartellrecht (Artikel 81 und 82) gemeinsam mit dem Fallrecht von den zuständigen Behörden und Gerichten der Mitgliedstaaten anzuwenden;

gleichzeitig war die Kommission bemüht, für beständige, enge und gegenseitige Kontakte mit den einzelnen nationalen Wettbewerbsbehörden (NWB) sowie zwischen den NWB untereinander zu sorgen, um über ein geeignetes Forum zur Erörterung allgemeiner Politikfragen und geeignete Instrumente für eine Kooperation bei konkreten Fällen zu verfügen.

6.2

Aus dem Bericht, auf den sich die vorliegende Stellungnahme bezieht, geht klar hervor, dass die Einbindung einzelstaatlicher Gerichte in die Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts nur selten erfolgt und auch in naher Zukunft problematisch sein wird. Ein wesentlicher Grund hierfür dürfte sein, dass sich die Gerichtsbarkeit der ersten Instanz in Wettbewerbssachen von Land zu Land unterscheidet. Ein anderer Grund besteht darin, dass bisher nur einzelstaatliches Wettbewerbsrecht verfügbar war, da, auch wenn die Harmonisierung der Rechtsvorschriften bereits weit in die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten vorgedrungen ist, immer noch Unterschiede zwischen dem EU-Recht und dem innerstaatlichen Recht vieler Mitgliedstaaten bestehen. Bisher scheinen sich sogar prozessführende Parteien zurückzuhalten, Fälle vor nationalen Gerichten verhandeln zu lassen (19).

6.3

Ein verborgener Grund besteht darin, dass das europäische Fallrecht, das tatsächlich eine reale Quelle des Wettbewerbsrechts darstellt, den Mitgliedstaaten nicht wirklich zugänglich ist. Für das Verfahrensrecht sind knappe Zusammenfassungen verschiedener Verfahrenssituationen zusammen mit Verweisen auf Präzedenzfälle verfügbar, jedoch wurden bisher weder von der Kommission noch vom Europäischen Gerichtshof ähnliche Handbücher zum materiellen Recht zusammengestellt (20). Um eine stärkere Anwendung der aktuellen Kartellvorschriften der EU durch die Gerichte der Mitgliedstaaten zu erreichen, sollten als erster Schritt die wichtigsten (und am häufigsten zitierten) Musterfälle in einem Handbuch zusammengestellt und mit den Erklärungen der Begriffe und Definitionen sowie den Feststellungen und Schlussfolgerungen aus den Urteilen des Gerichts erster Instanz und des Europäischen Gerichtshofs ergänzt werden. Diese Zusammenstellung sollte natürlich in alle nationalen Sprachen der Mitgliedstaaten übersetzt und regelmäßig aktualisiert werden. Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass eine korrekte Anwendung der EU-Wettbewerbsvorschriften in den Mitgliedstaaten ohne die Verfassung und Veröffentlichung von Zusammenstellungen der Rechtsprechung in allen in den Mitgliedstaaten gesprochenen Sprachen und ohne Schulungen im Wettbewerbsrecht für alle interessierten nationalen Richter, Rechtsanwälte und Sachverständigen keinen Boden gewinnen wird.

6.4

In Bezug auf die Schaffung eines Netzes für die Kommunikation und Zusammenarbeit mit nationalen Wettbewerbsbehörden ist es der Kommission (und natürlich insbesondere der GD Wettbewerb) gelungen, das ECN in einer relativ kurzen Zeit auf eine solide Basis zu stellen. Die in dem Bericht beschriebenen Foren und Arbeitsgruppen fungieren als reale Kettenglieder eines gut funktionierenden Kooperationssystems, in dem die NWB häufig direkte Kontakte zu anderen NWB knüpfen (sogar auf Ebene der Sachbearbeiter), ohne Brüssel als Vermittler einschalten zu müssen. Es wäre durchaus gerechtfertigt zu sagen, dass in allen andern Bereichen der offiziellen EU-Organisationsstrukturen noch keine so weit reichende Integration gelungen ist.

Brüssel, den 26. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  In diesem Zusammenhang sei auf ihre internationale Tätigkeit hingewiesen, denn für viele Bereichen und Themen entspricht sie einer „angewandten Wirtschaftsdiplomatie“ seitens der EU.

(2)  ABl. C 94 vom 17.4.2004, ABl. C 179 vom 10.7.2004.

(3)  Siehe Seite 23, Ziffer 35 und Seite 42, Ziffer 115 des Berichts.

(4)  Artikel 86 (EG-Vertrag) wird von der Kommission auf Mitgliedstaaten, nicht jedoch auf Unternehmen angewendet.

(5)  Es ist nicht erforderlich, dass sich das Unternehmen im Gebiet eines der Mitgliedstaaten befindet. Einer der enormen Vorteile des europäischen Wettbewerbsrechts besteht darin, dass allein schon aufgrund der Folgen wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen oder Vereinbarungen sanktioniert werden kann.

(6)  Vgl. Ziffer 341 des Urteils des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 28. Februar 2002 in der Sache Atlantic Container Line AB und andere gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung 2002 Seite II-01125.

(7)  Siehe die Rechtssache AKZO. ABl. L 374/1 vom 31.12.1985, Ziffer 74-79.

(8)  Die sehr oft Opfer hemmungsloser Machenschaften von Unternehmen mit beherrschender Stellung werden.

(9)  Siehe die Stellungnahme des Zentralverbands Gewerblicher Verbundgruppen F.V. Berlin: „Stellungnahme zum Diskussionspapier der Kommission zur Anwendung von Artikel 82 EG auf Behinderungsmissbräuche“ vom 21.3.2006.

(10)  Siehe Artikel 82 EG-Vertrag.

(11)  Siehe „Commission practice concerning excessive pricing in telecommunications“ (Die Kommissionspraxis im Falle überhöhter Preise im Telekommunikationssektor), Competition Policy Newsletter 1998, Nr. 2, S. 36.

(12)  Vgl. Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern.

(13)  Wobei Microsoft mit der Person des Beauftragten völlig einverstanden ist und als Unternehmen sogar die Kosten deckt.

(14)  http://europa.eu.int/comm/competition/antitrust/others/sector_inquiries/financial_services/decision_insurance_de.pdf

(15)  Artikel 81 Absatz 3 Die Bestimmungen von Absatz 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf:

Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen,

Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen,

aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen

a)

Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder

b)

Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

(16)  Mit der Fusionskontrolle soll in erster Linie sichergestellt werden, dass der Zusammenschluss nicht zur Beschränkung des Wettbewerbs in einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts führt. So kann nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft keine EU-intern wettbewerbsverzerrende Fusion unter Berufung darauf genehmigt werden, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit des betreffenden Unternehmens auf dem Weltmarkt stärkt.

(17)  http://europa.eu.int/comm/competition/state_aid/others/action_plan/

(18)  SEK(2006) 761 endg.

(19)  Wenn die Streitparteien ihren Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben und das Marktverhalten unterschiedliche Länder betrifft, kann es unter Umständen sogar fraglich sein, welche nationalen Gerichte für den Prozess zuständig sind.

(20)  Führende Anwaltskanzleien haben bereits vergleichbare Texte erstellt, jedoch sind diese natürlich für ihren Eigengebrauch bestimmt.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 3.2.10.1

Streichen

3.2.10.1

Bezüglich der vorgenannten Bankleistungen scheint der Wettbewerb durch Marktzugangshindernisse, mangelnde echte Wahlmöglichkeiten und vermutlich auch durch vorhandene marktbeherrschende Positionen beeinträchtigt zu sein.

Begründung von Herrn SARTORIUS

Der Wortlaut dieser Ziffer ist unklar und es wird nicht deutlich, welche Hindernisse, echte Wahlmöglichkeiten und marktbeherrschende Positionen gemeint sind. Dies kann Verwirrung stiften, es sei denn, es werden genauere Erläuterungen ohne Verallgemeinerungen abgegeben.

Das europäische Bankwesen ist zweifellos einer der wettbewerbsfähigsten europäischen Wirtschaftszweige. Dieser Wettbewerb kommt den Verbrauchern und der Branche zugute.

Wenn sich dieser Text auf die Hindernisse bezieht, die einer stärkeren innereuropäischen Integration des Einzelkundengeschäfts (Retail-Banking) im Wege stehen, so ergeben sich die größten Hindernisse aus der mangelnden Harmonisierung der Verbraucherschutzgesetze und der Steuersysteme. Der Schwerpunkt sollte auf diese Harmonisierung gelegt werden. Eine wichtige Maßnahme wird die Verwirklichung des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (Single Euro Payments Area — SEPA) sein, durch den sich grundlegende Änderungen für Kreditkarten- und grenzüberschreitende Zahlungen ergeben werden.

Begründung von Herrn PATER

Der Vorschlag, diese Ziffer zu streichen, begründet sich wie folgt:

Da der Wortlaut unpräzise ist, kann der Eindruck entstehen, dass der Ausschuss die natürlichen Hindernisse für den Zugang zum Markt für Bankleistungen, deren Zweck die Gewährleistung eines angemessenen Sicherheitsniveaus ist, in Frage stellt.

Es ist unklar, worauf sich „mangelnde echte Wahlmöglichkeiten“ bezieht — der Markt für Bankleistungen ist einer der am stärksten wettbewerbsorientierten Sektoren der europäischen Wirtschaft.

Wenn es Fälle einer marktbeherrschenden Position (zum Nachteil der Kunden) gäbe, würde die in dieser Stellungnahme mehr als 20-mal lobend erwähnte GD Wettbewerb natürlich die notwendigen Schritte zur Vermeidung negativer Folgen unternehmen.

Diese Ziffer steht nicht in Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt der Stellungnahme, deshalb führt ihre Streichung nicht etwa zu Komplikationen, sondern die Stellungnahme wird dadurch insgesamt schlüssiger und klarer.

Begründung von Herrn BURANI

Die Behauptung, dass der Wettbewerb im Bereich der Bankleistungen „beeinträchtigt“ ist, entspricht einfach nicht den Tatsachen, wie jeder leicht nachprüfen kann. Es wird nicht erklärt, um welche oder um welche Art von „Marktzugangshindernissen“ es sich handelt — auf jeden Fall gibt es keine (wenn es sie gäbe, müssten sie angegeben werden). Was die „Wahlfreiheit“ anbelangt, so gibt es Tausende von Banken in der gesamten EU, die sowohl im Hinblick auf die Dienstleistungsqualität als auch die Preise erbarmungslos miteinander konkurrieren. Hinsichtlich der „marktbeherrschenden Positionen“ können die Verbraucher stets zwischen Banken jeglicher Art und Größe, von den multinationalen Konzernen bis hin zu Privatbanken und lokalen Genossenschaften, wählen. Wenn es marktbeherrschende Positionen gäbe, wären sowohl die nationalen als auch die europäischen Wettbewerbsbehörden schon längst eingeschritten: dies ist bis heute nicht geschehen. In der gesamten Ziffer werden nur Gemeinplätze über die Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge genannt, ohne jegliche entsprechende Beweise oder Beispiele anzuführen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 66

Nein-Stimmen: 71

Stimmenthaltungen: 25


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/29


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Bodenschutz und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG“

KOM(2006) 232 endg. — 2006/0086 (COD)

(2007/C 168/05)

Der Rat beschloss am 10. November 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. März 2007 an. Berichterstatter war Herr NILSSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 118 gegen 2 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Bodenschutzstrategie auf EU-Ebene und spricht sich grundsätzlich für eine Rahmenrichtlinie aus.

1.2

Die EU-Strategie muss dort ansetzen, wo die Gefahr für den anbaufähigen Boden am größten ist: bei veränderter Bodennutzung (Verbrauch landwirtschaftlicher Nutzfläche durch Bebauung, Straßenbau etc.), umweltbelastenden Industriegebieten und bei der Bodenverdichtung. Dabei muss die EU-Strategie das Prinzip der Subsidiarität berücksichtigen.

1.3

Für die Kosten von Bodenschädigungen muss unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Verursacher aufkommen, und nicht in erster Linie der Landnutzer.

1.4

Wenn eine Rahmenrichtlinie eine gemeinsame Grundlage für den Bodenschutz gewährleisten soll, muss auch das Engagement in den Mitgliedstaaten vergleichbar sein, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.

1.5

Eine Land- und Forstwirtschaft, die sich an guten landwirtschaftlichen Gepflogenheiten orientiert, trägt zur Erhaltung bzw. Verbesserung der Bodenqualität bei.

1.6

Eine Agrarfläche für die Lebensmittelproduktion bedeutet per definitionem, dass eine natürliche Fläche in Anspruch genommen wird und dass gewisse Eingriffe unvermeidlich sind.

1.7

Der EWSA kritisiert die Europäische Kommission in hohem Maße dafür, dass sie den überarbeiteten Vorschlag für eine neue, geänderte Klärschlamm-Richtlinie noch nicht vorgelegt hat. Er fordert die Kommission auf, dies so rasch wie möglich nachzuholen, denn dies ist eines der wichtigsten Elemente für den Schutz landwirtschaftlich genutzter Böden und die Eindämmung der Kontaminierung durch Schadstoffe.

1.8

Die Wiederherstellung geschädigter Böden im Einklang mit Artikel 1 „Gegenstand und Anwendungsbereich“ muss je nach Sachlage gehandhabt und von Fall zu Fall beurteilt werden.

1.9

Die Ausarbeitung von Maßnahmen in anderen Politikbereichen, die den Mitgliedstaaten in Artikel 3 zugestanden wird, darf nicht zu einer Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten führen.

1.10

Die Auflagen der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 4 müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen.

1.11

Artikel 12, durch den potenzielle Käufer in bestimmten Fällen zur Vorlage eines Bodenzustandsberichts verpflichtet werden können, muss anders gefasst werden.

1.12

Die Sanktionen, die gemäß Artikel 22 verhängt werden können, müssen ebenfalls in einem angemessenen Verhältnis zu dem entstandenen Schaden stehen. Es kann aus der Sicht des EWSA nicht hingenommen werden, dass ein und derselbe Schaden unterschiedliche Sanktionen nach sich ziehen kann.

1.13

Für die Sanierungsmaßnahmen, die nach Artikel 23 von Betreibern verlangt werden können, besteht nur dann eine Berechtigung, wenn der Schaden auch durch den Betreiber verursacht wurde.

1.14

Die Einrichtung eines unabhängigen Sachverständigenausschusses aus öffentlichen und privaten Sachverständigen könnte die Durchführung der Bodenschutzstrategie erleichtern.

2.   Der Vorschlag der Kommission

2.1

Der Boden ist eine nicht erneuerbare Ressource. Die Bodenqualität verschlechtert sich an vielen Orten in der EU, was durch menschliches Handeln wie Industrie, Tourismus und Stadtentwicklung, die Verkehrsinfrastruktur sowie bestimmte land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten verursacht wird.

2.2

Der Boden ist eine Ressource, die im gemeinsamen Interesse der EU liegt, und wenn er nicht auf EU-Ebene geschützt wird, wird dies die Nachhaltigkeit und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit in Europa untergraben. Zwar tragen bereits verschiedene EU-Maßnahmen zum Schutz der Böden bei, doch gibt es noch keine kohärente Politik. Nur neun Mitgliedstaaten haben spezifische Rechtsvorschriften über den Bodenschutz erlassen, häufig in Bezug auf besondere Bedrohungen, wie die Kontaminierung der Böden. Die Verschlechterung der Bodenqualität hat schwerwiegende Auswirkungen auf andere Bereiche, die im gemeinsamen Interesse der EU liegen, wie das Wasser, die menschliche Gesundheit, den Klimawandel, den Schutz der Natur und der biologischen Vielfalt sowie die Lebensmittelsicherheit.

2.3

Vor diesem Hintergrund schlägt die Kommission eine Bodenstrategie für Europa vor. Sie wird in einer Mitteilung dargelegt, die von einem Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie und einer Folgenabschätzung begleitet wird. Die Rahmenrichtlinie legt gemeinsame Grundsätze, Ziele und Maßnahmen fest. Sie fordert die Mitgliedstaaten zu einem systematischen Vorgehen bei der Bestimmung und Bekämpfung der Verschlechterung der Bodenqualität, der Durchführung von Vorsorgemaßnahmen und der Einbeziehung des Bodenschutzes in andere Politikbereiche auf. Sie lässt jedoch eine gewisse Flexibilität zu, und es liegt bei den Mitgliedstaaten zu entscheiden, wie stark sie sich engagieren möchten, welche besonderen Ziele sie erreichen wollen und welche Maßnahmen sie zu diesem Zweck ergreifen. Dies erklärt sich daraus, dass die Verschlechterung der Bodenqualität in Europa, wo es im Wesentlichen 320 verschiedene Bodenarten gibt, ein sehr uneinheitliches Bild bietet.

2.4

Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die Gebiete zu bestimmen, in denen Risiken wie Erosion, Verlust organischer Substanzen, Verdichtung, Versalzung und Erdrutsche bestehen. Sie müssen für diese Gebiete Risikominderungsziele beschreiben und Maßnahmenprogramme zur Erreichung dieser Ziele festlegen. Sie müssen auch weitere Kontaminierung verhindern, Verzeichnisse kontaminierter Standorte auf ihrem Gebiet erstellen und nationale Sanierungsstrategien ausarbeiten. Wird ein Standort, an dem eine potenziell verschmutzende Tätigkeit stattgefunden hat oder stattfindet, verkauft, ist vom Verkäufer oder vom Käufer den Behörden und der anderen Partei ein Bericht über den Zustand des Bodens vorzulegen. Schließlich sind die Mitgliedstaaten auch aufgefordert, die Auswirkungen des Versiegelns zu begrenzen oder zu vermindern, zum Beispiel durch die Sanierung aufgegebener Flächen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission zur „Bodenschutzstrategie“, die eine Folgemaßnahme zu einer früheren Mitteilung aus dem Jahre 2002 (1) ist, und den Vorschlag für eine „Rahmenrichtlinie für den Bodenschutz“. Der EWSA forderte bereits 2000 in einer Initiativstellungnahme zur Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft (2), die Europäische Kommission solle gemeinschaftliche Mindestanforderungen für den Bereich des Bodenschutzes auf den Weg bringen.

3.2

Während des fast vier Jahre dauernden offenen und umfassenden Gestaltungsprozesses der Europäischen Kommission im Hinblick auf eine Bodenschutzstrategie fanden Beratungen und verschiedene Konsultationen statt. Auch der EWSA konnte diesen Prozess verfolgen. Die Bemerkungen in dieser Stellungnahme, um die der EWSA ersucht wurde, betreffen in erster Linie die vorgeschlagene Rahmenrichtlinie, aber auch die Mitteilung der Kommission.

3.3

Der Boden und seine Funktionen sind eine unschätzbare Ressource für die Natur, den natürlichen Kreislauf und das Überleben des Menschen. Die menschlichen Tätigkeiten wirken sich auf unterschiedliche Weise auf die Funktionen des Bodens und seine Nutzung aus. Die EU-Strategie muss dort ansetzen, wo die Gefahr für die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen am größten ist: bei veränderter Bodennutzung, umweltbelastenden Industriegebieten, der Bodenverdichtung und der Erosion.

3.4

Der Boden und seine Funktionen stehen im Zusammenhang mit mehreren anderen Politikbereichen, für die jeweils sowohl gemeinschaftliche als auch einzelstaatliche Rechtsvorschriften gelten: die Wasser- und die Nitratrichtlinie, Rechtsvorschriften für chemische Stoffe u.a. In einigen Ländern gibt es bereits Rechtsvorschriften und Maßnahmen zur Überwachung und Bestandsaufnahme des Bodens und der Bodenverschmutzung, weshalb der Kommissionsvorschlag hier nicht zu Rückschritten führen darf, sondern diesen Ländern eine ausreichende Flexibilität lassen sollte.

3.5

Die Kommission weist darauf hin, dass nicht die Landnutzer die Kosten durch die Verschlechterung der Bodenqualität tragen, sondern die Gesellschaft und andere Akteure. Der EWSA weist darauf hin, dass die Verantwortung für einen Schaden vom Verursacher getragen werden muss, welcher in der Regel nicht immer der Landnutzer ist. In vielen Fällen sind die Landnutzer von Auswirkungen durch Luftverschmutzung, Verunreinigung anderer Gebiete durch Industrieemissionen, Überschwemmungen oder andere Schadstoffemissionen betroffen, wobei sie schädlichen Auswirkungen ausgesetzt sind, für die sie keineswegs verantwortlich sind.

3.6

Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission durchgängig darauf hinweist, dass Schutzmaßnahmen bereits an der Quelle ergriffen werden müssen. Er befürwortet diesen Ansatz, der auch zu einer angemessenen Regelung der Frage der Haftung führt. Dieser Ansatz wirkt sich auch auf andere Rechtsbereiche aus, die nicht spezifisch den Boden betreffen.

3.7

Der EWSA unterstützt die Festlegung einer besonderen Strategie für den Bodenschutz und deren Durchführung anhand einer spezifischen Rahmenrichtlinie. Dadurch werden die Voraussetzungen für einen einheitlichen Schutz mit Hilfe gemeinsamer Grundregeln für Probleme geschaffen, die von Natur aus grenzübergreifend sein können. Um wirklich einen besseren Bodenschutz zu gewährleisten, ist es jedoch erforderlich, diesen Bereich in andere Rechtsvorschriften zu integrieren.

3.8

Die Kommission erklärt ferner, die Kosten und Gewinne hingen davon ab, wie stark das Engagement sei und wie die Möglichkeiten genutzt würden, die z.B. durch die für die gemeinsame Agrarpolitik geltenden Umweltnormen geboten werden. Der EWSA weist darauf hin, dass weiterhin Unklarheit darüber besteht, wie die Mitgliedstaaten die „Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen“ [„cross-compliance“] richtig und einheitlich auszulegen und anzuwenden haben. Dieses Konzept war als Anforderung in die gemeinsame Agrarpolitik aufgenommen worden. Soll eine Rahmenrichtlinie darauf abzielen, eine gemeinsame Grundlage für den Bodenschutz zu gewährleisten und unter anderem zu vermeiden, dass die Beteiligten ganz unterschiedlichen finanziellen Verpflichtungen ausgesetzt sind, muss auch das Engagement vergleichbar sein, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.

3.9

Die Kommission führt als erstes Beispiel an, dass u.a. unzweckmäßige Arbeitsmethoden in der Land- und Forstwirtschaft zur Verschlechterung der Bodenqualität beitragen können. Eine Land- und Forstwirtschaft, die sich an guten landwirtschaftlichen Gepflogenheiten orientiert, trägt jedoch eher zur Erhaltung bzw. Verbesserung der Bodenqualität bei. Agrarflächen sind stärker durch Änderungen der Bodenbewirtschaftung, Ausdehnung der Industriestandorte, Verkehrswege, Luftverschmutzung, bodennahes Ozon und andere Verschmutzungen gefährdet. Auch wenn nicht die EU, sondern die Mitgliedstaaten für die Raumplanung (Stadtplanung) zuständig sind, muss auch dieser Bereich in den Mittelpunkt des Interesses rücken.

3.10

Die Kräfte des Marktes und die derzeitige Agrarpolitik haben ebenfalls zu Fortschritten in der strukturellen Entwicklung und der Spezialisierung beigetragen und dazu geführt, dass Pflanzenzucht und Tierhaltung weitgehend getrennt sind, mit der Folge, dass möglicherweise weniger organisches Material in den Boden gelangt. Die neue gemeinsame Agrarpolitik mit entkoppelten Vergütungen verstärkt diese Tendenz eher noch.

3.11

Die Kommission ist der Auffassung, dass sich die Landwirtschaft positiv auf die Bodenqualität auswirken kann, ob sie nun ökologisch, extensiv betrieben wird oder ob es sich um eine integrierte Bodenbewirtschaftung handelt. Dies ist eine etwas zu einfache Sichtweise. Es hängt alles davon ab, mit welchen Fachkenntnissen und technischen Mitteln der Boden bearbeitet wird. Eine Agrarfläche für die Lebensmittelproduktion bedeutet per definitionem, dass eine natürliche Fläche für den Anbau in Anspruch genommen wird. Das bedeutet wiederum, dass gewisse Eingriffe unvermeidlich sind und demnach hingenommen werden müssen, damit Lebensmittel erzeugt werden können. Die Auswirkungen auf landwirtschaftliche Nutzflächen hängen von jahresspezifischen meteorologischen und klimatischen Einflüssen und dem Klima allgemein ab, was aber wiederum nicht bedeutet, dass Nährstoffablagerungen, Erosion, die Verringerung der Humusschicht usw. hingenommen werden müssen. Beim heutigen Kenntnisstand kann eine normale landwirtschaftliche Nutzung eher zur Wahrung und Verbesserung der Bodenqualität beitragen. Wenige Unternehmer haben eine so langfristige Perspektive sowohl für Investitionen als auch die Bodenbewirtschaftung wie Land- und Forstwirte. Dieses hohe Bewusstsein der Landwirte für den Bodenschutz sollte durch Beratungssysteme sowie durch freiwillige Maßnahmen und Anreize ergänzt und unterstützt werden.

3.12

Die Kommission erklärt ferner, die Richtlinie zur Umwelthaftung (3) sei ein Beitrag zur Stärkung des Umweltschutzes. Der Ausschuss stimmt dieser Auffassung zu. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass es mit der normalen Rechtsauffassung nicht vereinbar ist, dass ein Schaden — wie heute der Fall — bis zu drei verschiedene Sanktionen nach sich ziehen kann: Rückforderung von Zahlungen, strafrechtliche Ahndung und Verwaltungsgebühren.

3.13

Der EWSA befürwortet, die nachhaltige Bewirtschaftung des Bodens durch eine übergreifende EU-Bodenschutzstrategie zu gewährleisten.

3.14

Zur besseren Durchführung der Strategie könnte ein unabhängiger Sachverständigenausschuss für Bodenschutzfragen mit Vertretern öffentlicher Stellen und privater Akteure eingerichtet werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA kritisiert die Europäische Kommission in hohem Maße dafür, dass sie den Vorschlag für eine geänderte Richtlinie für die Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft und die zugelassenen Konzentrationen von Schwermetallen, an dem sie seit mehreren Jahren arbeitet, noch nicht vorgelegt hat. In der Mitteilung über den Bodenschutz wird die Absicht erklärt, 2007 endlich einen Richtlinienvorschlag zu diesem Thema zu unterbreiten. In der ersten Mitteilung über eine thematische Strategie für den Bodenschutz von 2002 hieß es, die Überarbeitung solle im Rahmen der Bodenstrategie erfolgen. Somit hat sich eine der wichtigsten Maßnahmen für einen besseren Bodenschutz und eine sichere Lebensmittelerzeugung maßgeblich verzögert. Daher sollte diese geänderte Richtlinie für die Verwendung von Klärschlamm unbedingt gleichzeitig mit der Annahme der Bodenschutzstrategie veröffentlicht werden.

4.1.1

Die derzeitige Klärschlammrichtlinie (4) lässt weiterhin eine hohe Konzentration von Schwermetallen und anderen Schadstoffen im Schlamm zu, der auf landschaftliche Flächen ausgebracht werden kann. Der EWSA verweist darauf, dass er bereits im Jahr 2000 in seiner Initiativstellungnahme zu der „Änderung der Richtlinie des Rates über die Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft“ strengere Normen für die Schwermetallkonzentration gefordert hat. Gleichermaßen ist der Inhalt der übrigen chemischen Schadstoffe, wie auch deren Wechselwirkungen sowie ihre Auswirkungen auf den Boden und die Lebensmittelsicherheit, wenn sie auf Anbauflächen ausgebracht werden, nur unzureichend bekannt.

4.1.2

Der EWSA nimmt dies sehr ernst und weist auf eine Studie hin, die von zwei Wissenschaftlern in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ im November 2006 veröffentlicht wurde. Obwohl es sich um eine einzelne Studie handelt, wird nachgewiesen, dass bekannte Umweltgifte bisher nicht beachtete Auswirkungen auf das Gehirn von Ungeborenen und Kleinkindern haben können. Die Forscher sind der Auffassung, es könnte hier eine Verbindung zu ernsthaften krankhaften Erscheinungen, wie z.B. Autismus, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHD) oder Entwicklungsstörungen bestehen. Viele dieser Chemikalien sind auch in Produkten enthalten, die im Haushalt verwendet werden. Die Umweltgifte erreichen auf verschiedene Weise die Kanalisation, und bisher ist noch nicht hinreichend bekannt, welche Auswirkungen sie auf landwirtschaftliche Flächen haben, auf denen Klärschlamm zur Düngung verwendet wird.

4.1.3

Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Kommission anscheinend ihre bisherige Ansicht geändert hat, dass es aus umwelttechnischen Gesichtspunkten am besten sei, Klärschlamm auf Agrarflächen auszubringen. Die Formulierungen in der Mitteilung über die Abfallstrategie (5) scheinen darauf hinzudeuten. Die Kommission bekräftigt darin auch die Absicht, nach der Verabschiedung einer Bodenschutzstrategie einen Vorschlag für eine geänderte Schlammrichtlinie zu unterbreiten. Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass die Kommission nicht darauf hätte warten, sondern schon lange vorher eine radikal geänderte Richtlinie über die zugelassene Konzentration von Schwermetallen und anderen Schadstoffen im Klärschlamm hätte vorlegen sollen, insbesondere, wenn sie in dem Richtlinienvorschlag angibt, dass dies erforderlich ist, um die Freisetzung gefährlicher Stoffe in den Boden einzuschränken.

4.1.4

Die Anwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft und dessen Schadstoffgehalt ist eine der wichtigsten Fragen beim Bodenschutz und der Lebensmittelsicherheit. Daraus ergibt sich auch die Frage, ob die Landnutzer oder die Verursacher des Schlamms, d.h. Städte und Gemeinden, für etwaige Bodenschäden haften. Die Verantwortungs- und Haftungsfragen müssen in einer geänderten Schlammrichtlinie geklärt werden.

4.1.5

Neue, sicherere Rechtsvorschriften für Chemikalien sind für den Bodenschutz generell, aber vor allem im Hinblick auf die Frage wichtig, wie die Gesellschaft den Klärschlamm durch dessen Ausbringung auf Bodenflächen entsorgt. Die gefährlichen Chemikalien müssen unbedingt durch weniger gefährliche chemische Stoffe ersetzt werden, um den erwünschten Schutz des Bodens zu gewährleisten.

4.1.6

Der EWSA fordert die Kommission auf, unverzüglich den Vorschlag für eine geänderte Richtlinie vorzulegen und darüber hinaus Risikoanalysen von mehr Substanzen durchzuführen, als die derzeitige Richtlinie umfasst. Dies sollte einer der wichtigsten Bestandteile des Bodenschutzes sein, um eine noch stärkere Kontaminierung zu vermeiden und eine hohe Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten.

4.2

In Artikel 1 der Bodenschutzrichtlinie heißt es, dass zu den Maßnahmen die Wiederherstellung und Sanierung geschädigter Böden bis zu einem Funktionalitätsgrad zählen, der im Hinblick auf die gegenwärtige und künftige genehmigte Nutzung zumindest angemessen ist. Der EWSA befürwortet zwar das Prinzip, stellt jedoch den Ausdruck „zumindest“ in der Rahmenrichtlinie in Frage. Jeder Fall sollte entsprechend dem jeweiligen Sachverhalt gehandhabt und im Einzelnen beurteilt werden.

4.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass die gegenwärtige Formulierung von Artikel 3 den Mitgliedstaaten die Ausarbeitung von Maßnahmen in anderen Politikbereichen ermöglicht, durch die der Wettbewerb verzerrt wird. Der Artikel sollte sich auf eine Analyse beschränken; etwaige Maßnahmen müssten aber mit den Voraussetzungen für einen funktionsfähigen Binnenmarkt, gemeinsamen Vorschriften und fairen Wettbewerbsbedingungen im Einklang stehen.

4.4

Ferner ist der EWSA der Ansicht, dass Artikel 4 beinahe unbegrenzten Handlungsfreiraum lässt. In Bezug auf landwirtschaftliche Flächen hat der EWSA eingangs in seinen Bemerkungen erklärt, dass landwirtschaftliche Nutzflächen Auswirkungen durch unterschiedliche Faktoren ausgesetzt sind, die die Landnutzer nicht beeinflussen können, z.B. jahresspezifische meteorologische und klimatische Einflüsse, das Klima generell usw. Die Auflagen der Mitgliedstaaten müssen in einem angemessenen Verhältnis dazu stehen. Genauso müssen die Maßnahmen der Mitgliedstaaten weitgehend miteinander übereinstimmen. Das entspricht auch den Bestimmungen nach Artikel 9, in dem von angemessenen Maßnahmen zur Erhaltung der Bodenfunktionen die Rede ist.

4.5

In Artikel 12 werden Bodenbesitzer oder potenzielle Käufer verpflichtet, in bestimmten Fällen einen Bodenzustandsbericht vorzulegen. Der Ausschuss hält es für verfehlt, einem potenziellen Käufer diese Last aufzubürden. Sollte aufgrund unterschiedlicher einzelstaatlicher Rechtsvorschriften ein Bedarf an Flexibilität bestehen, so sollte diese durch eine andere Formulierung ermöglicht werden.

4.6

In Artikel 17 heißt es, dass die Kommission beabsichtigt, eine freiwillige Plattform einzurichten. Die Kommission muss dafür Sorge tragen, dass durch die Plattform wirklich ein Austausch einheitlicher Methoden stattfindet, damit ein einheitliches Konzept und neutrale Wettbewerbsbedingungen sichergestellt werden. Da der Informationsaustausch auf freiwilliger Basis stattfindet, ist auch eine aktive Beteiligung seitens der Kommission erforderlich.

4.7

Artikel 22 schreibt vor, dass die Mitgliedstaaten Bestimmungen über Sanktionen festlegen. Der EWSA ist der Auffassung, dass es aus Sicht der Rechtssicherheit wichtig ist, dass die Sanktionen in einem angemessenen Verhältnis zu dem entstandenen Schaden stehen. Ebenso inakzeptabel ist es, dass ein und derselbe Schaden unterschiedliche Sanktionen nach sich ziehen kann.

4.8

In Artikel 23 wird eine Änderung der Richtlinie 2004/35/EG in dem Sinne vorgeschlagen, dass die Behörden vom Betreiber Sanierungsmaßnahmen verlangen sollen. Nach Auffassung des EWSA ist dies nur rechtmäßig, wenn der Schaden auch durch den Betreiber verursacht wurde, was aber nicht eindeutig aus dem Text hervorgeht.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2002) 179 endg.

(2)  CESE 1199/2000, ABl. C 14, 16.1.2001, S. 141-150.

(3)  Richtlinie 2004/35/EG.

(4)  86/278/EWG.

(5)  KOM(2005) 666 endg.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Ausschusses

Folgende Änderungsanträge, auf die über ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfielen, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 1.1

Wie folgt ändern:

„Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Bodenschutzstrategie auf EU-Ebene und das dem Kommissionsvorschlag zugrunde liegende Ziel des Schutzes und der nachhaltigen Nutzung der Böden. Der Ausschuss befürwortet die umfassende Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der vorgeschlagenen Rahmenrichtlinie spricht sich grundsätzlich für eine Rahmenrichtlinie aus.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 47

Nein-Stimmen: 54

Stimmenthaltungen: 13

Die folgende Textstelle der Fachgruppenstellungnahme wurden zugunsten eines im Plenum angenommenen Änderungsantrages abgelehnt, hatte jedoch mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt:

Ziffer 1.15 — Ersatzlos streichen:

„Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ruft die einzelstaatlichen und regionalen Rechtsetzungsorgane und die Kommission zu einer systematischen Bewertung der bestehenden, bodenschutzrelevanten Rechtsetzung auf.“

Abstimmungsergebnis

Für die Streichung des Satzes:

Ja-Stimmen: 74

Nein-Stimmen: 33

Stimmenthaltungen: 15


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein einheitliches Zulassungsverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe, -enzyme und -aromen“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittelenzyme und zur Änderung der Richtlinie 83/417/EWG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates, der Richtlinie 2000/13/EG sowie der Richtlinie 2001/112/EG des Rates“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Aromen und bestimmte Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften zur Verwendung in und auf Lebensmitteln und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1576/89 des Rates, der Verordnung (EWG) Nr. 1601/91 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2232/96 und der Richtlinie 2000/13/EG“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittelzusatzstoffe“

KOM(2006) 423 endg. — 2006/0143 (COD)

KOM(2006) 425 endg. — 2006/0144 (COD)

KOM(2006) 427 endg. — 2006/0147 (COD)

KOM(2006) 428 endg. — 2006/0145 (COD)

(2007/C 168/06)

Der Rat beschloss am 11. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 und 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnten Vorlagen zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. März 2007 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 127 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss begrüßt die Vorschläge zu den Zusatzstoffen, Enzymen und Aromen sowie zu den einheitlichen Zulassungsverfahren, da dadurch die Schaffung eines leistungs- und wettbewerbsfähigen Binnenmarktes unter Gewährleistung eines hohen Lebens- und Gesundheitsschutzniveaus ermöglicht wird.

1.2

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass eine Reihe klarer und harmonisierter Durchführungsbestimmungen für eine kostengünstige Sicherheitsbewertung mit sicheren und vorhersehbaren Fristen eine Garantie für die Verbraucher und für die (insbesondere kleineren) Hersteller darstellt.

1.3

Der Ausschuss teilt das von der Kommission vorgegebene Ziel der Vereinfachung, zur Harmonisierung der Sektoren der Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme sowie zur Förderung der Kohärenz unter ihnen durch ein gemeinsames einheitliches Zulassungsverfahren.

1.4

Die Möglichkeit einer einzigen, für die gesamte EU gültigen Zulassung kann zwar mittel- bis langfristig große Vorteile für den Binnenmarkt bringen, nach Auffassung des Ausschusses müssen jedoch auch die Auswirkungen der neuen Bestimmungen auf importierte Waren berücksichtigt werden.

1.4.1

Europa steht sowohl beim Export als auch beim Import im ständigen internationalen Wettbewerb. Dabei sind die Regelungsvorschläge oftmals strenger als der Codex Alimentarius, wodurch es zu Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der (insbesondere kleinen) europäischen Unternehmen kommen kann.

1.5

Der Ausschuss begrüßt das vorgeschlagene Verfahren, wonach die Gemeinschaftsliste nach dem Ausschussverfahren zu aktualisieren ist, vorausgesetzt, es werden strenge Transparenzkriterien, ein kontinuierlicher Dialog mit den Herstellern und den Verbrauchern sowie schnelle Innovations- und Produktentwicklungsmechanismen gewährleistet.

1.6

Der Ausschuss unterstützt die Stärkung der Tätigkeit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), um eine transparente und auf wissenschaftlichen Daten und objektiven Argumenten beruhende Risikobewertung zu gewährleisten und dadurch die Sicherheit der Verbraucher zu garantieren.

1.7

Der Ausschuss empfiehlt, die Verfahren der EFSA zu stärken und ihre Human- und Finanzressourcen aufzustocken, damit qualitativ hochwertige, transparente und unabhängige Bewertungen unter Einhaltung der Vertraulichkeitskriterien sichergestellt werden können.

1.8

Nach Auffassung des Ausschusses ist es andererseits auch zweckmäßig, die Überwachungstätigkeiten der Mitgliedstaaten im Bereich des Verbrauchs und der Verwendung von Zusatzstoffen, Enzymen und Aromen durch wirksame Methoden zu stärken, mit denen die von der Industrie vorgelegten Daten ergänzt werden.

1.9

Der Ausschuss begrüßt eine regelmäßige Überprüfung der Positivlisten der Zusatzstoffe, Enzyme und Aromen, sofern sie auf einem kontinuierlichen und strukturierten Dialog mit den Verbrauchern und den Herstellern basiert und mit keinem zusätzlichen Kosten- bzw. Zeitaufwand einhergeht.

2.   Begründung

2.1

Aufgrund des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts ist es möglich, die Qualität der Produkte zu verbessern, und zwar unter anderem auch dank der Verwendung kleiner Mengen von Lebensmittelenzymen, -aromen und -zusatzstoffen. Dank dieses Fortschritts lässt sich auch ein Missbrauch dieser Substanzen vermeiden.

2.2

Im Rahmen der Bemühungen um eine Verbesserung des Gemeinschaftsrechts im Sinne des Konzepts „vom Erzeuger zum Verbraucher“ hatte die Kommission in ihrem Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit (zu dem der Ausschuss bereits Stellung genommen hat (1)) ihre Absicht bekundet, die derzeitigen Bestimmungen über Zusatzstoffe und Aromen zu aktualisieren und zu vervollständigen sowie spezifische Vorschriften für Enzyme zuzulassen (Maßnahmen Nr. 11 und 13 des Weißbuchs).

2.3

Der Ausschuss hat immer schon das Ziel des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Lebens- und Gesundheitsschutzniveaus begrüßt und mehrfach betont, dass in der EU im Bereich der Lebensmittelsicherheit ein umfassender und einheitlicher Ansatz verfolgt werden muss.

2.4

Nach Auffassung des Ausschusses muss „in Europa […] die Nahrungskette in ihrer Gesamtheit — ‚vom Erzeuger zum Verbraucher‘ — durch Rechtsvorschriften sicherer gemacht werden, und jedes Glied der Lebensmittelkette muss gleich stark sein. Die Kommission sollte die zuverlässige Ausführung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften gewährleisten“ (2).

2.5

Die Annahme eines gemeinsamen Verfahrens für die Zulassung von Enzymen, Aromen und Zusatzstoffen ist im Rahmen der Kommissionsvorschläge ein innovatives Kernelement. Der Ausschuss teilt das von der Kommission festgelegte Ziel der Vereinfachung zur Harmonisierung dieser Sektoren. Dadurch lassen sich unterschiedliche Zulassungsverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie doppelte Zulassungsverfahren vermeiden, was wiederum mit einem weitaus geringeren administrativen und bürokratischen Aufwand einhergeht.

2.6

Die rechtlichen Bestimmungen im Bereich der Zusatzstoffe wurden auf europäischer Ebene bereits harmonisiert. Derzeit sind rund 330 Lebensmittelzusatzstoffe gesetzlich zugelassen, und laufend werden Anträge für neue Zusatzstoffe oder neue Verwendungen gestellt.

2.6.1

Bei der Bewertung dieser Anträge müssen hinreichend aussagekräftige Daten zur Verwendung und zu den Merkmalen dieser Substanzen vorliegen, insbesondere bei Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Risikomanagement.

2.7

Die geplante Harmonisierung der Aromen- und Enzymesektoren wird neue, schlankere Zulassungsverfahren, eine Reduzierung der Kosten für die Aktualisierung der technischen Datenblätter sowie weniger Kennzeichnungsänderungen mit sich bringen.

2.8

Im Hinblick auf die Enzyme kann die derzeitige Rechtsunsicherheit, aufgrund unterschiedlicher Rechtsansätze der Mitgliedstaaten, zu Marktverzerrungen im Handel mit Lebensmittelenzymen sowie zu administrativen und finanziellen Belastungen in den einzelnen Mitgliedstaaten führen. Würde keine Harmonisierung erfolgen, gäbe es weiterhin Unterschiede im Schutzniveau aufgrund einer unterschiedlichen Risikoperzeption, Sicherheitsbewertung und Regelung von Lebensmittelenzymen in den Mitgliedstaaten.

2.8.1

Einerseits kann es durch das Ausbleiben einer harmonisierten Regelung auf europäischer Ebene zu Hindernissen beim freien Verkehr und beim Handel für den Hersteller kommen. Andererseits kann aber die Harmonisierung der Sicherheitsbewertung und Zulassung von Lebensmittelenzymen wegen der hohen Zulassungskosten, die pro Enzym auf etwa 150-250 000 Euro geschätzt werden (3), mit hohen Investitionen einhergehen.

2.8.2

In der Lebensmittelenzymindustrie werden kontinuierlich neue Technologien und Verfahren zur Modernisierung und Verbesserung der Lebensmittelherstellung entwickelt. Dabei dürfen jedoch die möglichen Gefahren, die sich aus der chemischen Eigenschaft der Enzyme ergeben (beispielsweise Allergenität, Toxizität und mikrobiologische Restaktivität), nicht unterschätzt werden. Diese Gefahren erfordern eine kontinuierliche Bewertung der Sicherheit für die Verbraucher, insbesondere im Hinblick auf Enzyme aus genetisch veränderten Organismen.

2.9

Hinsichtlich der Verordnung über Aromen und bestimmte Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften zur Verwendung in und auf Lebensmitteln sollte ein effizienteres Zulassungsverfahren angestrebt werden, um die Verwaltung einer „Positivliste“ mit etwa 2 600 Aromastoffen, die in und auf Lebensmitteln verwendet werden dürfen, zu erleichtern.

2.9.1

Es versteht sich von selbst, dass die Europäische Union durch die Harmonisierung der Rechtsvorschriften über Aromen ihre Verhandlungsposition gegenüber Drittländern verbessern kann, wenn es um die Aufnahme von Aromen in das Codex-Alimentarius-System geht. Dadurch kann auch einer Benachteiligung der europäischen Unternehmen, insbesondere der KMU, vorgebeugt werden.

2.9.2

Mit der Schaffung eines einheitlichen und integrierten Marktes für Aromen in der EU wird die europäische Industrie ihre führende Position in der Herstellung und Entwicklung von Aromen beibehalten können.

2.9.3

Andererseits darf die Mehrbelastung nicht unterschätzt werden, die durch die Anpassung an die neuen Vorschriften für die Kennzeichnung von Aromen entstehen wird.

2.10

Um eine unabhängige, transparente und qualitativ hochwertige Bewertung der Sicherheit von Zusatzstoffen, Enzymen und Aromen zu gewährleisten, müssen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit nach Auffassung des Ausschusses mehr Ressourcen und Mittel an die Hand gegeben und neue Verfahren eingeführt werden.

2.11

Der Übergang von Beschlussfassungsverfahren im Rahmen der Mitentscheidung mit dem Europäischen Parlament zu einem Verfahren, bei dem spezielle Ausschüsse über die Zulassung befinden, erfordert die Festlegung klarer und transparenter Kriterien für die Bewertung der Sicherheit der Vorteile für die Verbraucher.

2.12

Wie der Ausschuss in seinen früheren Stellungnahmen (4) bereits betont hat, „[ist,] um in der Lage zu sein, die Fortschritte auf dem Gebiet der Lebensmittelsicherheit zu bewerten und zu beurteilen, ob die neue Regelung die an sie geknüpften Erwartungen erfüllt, […] die Aufstellung von Kriterien für die Bewertung ihrer Wirksamkeit […] erforderlich, wie z.B. Stärkung/Schwächung des Vertrauens der Verbraucher, Auftreten und Bewältigung von Lebensmittelkrisen und Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten“.

3.   Der Vorschlag der Kommission

3.1

Mit den von der Kommission unterbreiteten Vorschlägen sollten die derzeitigen Bestimmungen über Zusatzstoffe und Aromen präzisiert und geklärt und im Hinblick auf Enzyme neue Vorschriften eingeführt werden. Es wird vorgeschlagen, für alle drei Sektoren gemeinsame Zulassungsverfahren zu entwickeln, die auf den wissenschaftlichen Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit beruhen.

3.2

Zusatzstoffe. Mit den neuen Vorschriften soll das Zulassungsverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe, das derzeit unter die Richtlinie 89/107/EWG fällt, vereinfacht und beschleunigt werden. Im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 würden die Genehmigungen für die Aufnahme eines Zusatzstoffes in die Positivliste auf dem von der EFSA aufgestellten Rahmen für die Risikobewertung in Fragen der Lebensmittelsicherheit beruhen. Ferner wird eine Überprüfung der technischen Aspekte des derzeitigen Zulassungssystems vorgeschlagen und neue harmonisierte Gemeinschaftsvorschriften für Zusatzstoffe, die in anderen Zusatzstoffen verwendet werden, erarbeitet.

3.3

Enzyme. Vorgeschlagen werden ein neuer Regelungsrahmen für die Bewertung, Zulassung und Kontrolle von Lebensmittelenzymen sowie eine Positivliste aller aus technologischen Gründen in Lebensmitteln eingesetzten Enzyme, die auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Gutachtens der EFSA erstellt wird. Der Vorschlag sieht ferner eine Kennzeichnung von Lebensmittelenzymen vor, die nicht als Verarbeitungshilfsstoffe verwendet werden.

3.4

Aromen. Der Vorschlag sieht eine Überarbeitung der in der Richtlinie 88/388/EWG festgelegten allgemeinen Regeln vor, um die Vorschriften an die technologische und wissenschaftliche Entwicklung anzupassen, und zwar mithilfe einer neuen Verordnung, die in folgenden Bereichen klarere Bestimmungen enthält:

zugelassene Höchstwerte für einige Stoffe (gemäß den Gutachten der EFSA),

eine „Gemeinschaftsliste“ von zur Verwendung in und auf Lebensmitteln zugelassenen Aromen und Ausgangsstoffen,

straffere Bedingungen für die Verwendung von Aromen und Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften,

klare und einheitliche Regeln für die Kennzeichnung.

3.5

Gemeinsames Zulassungsverfahren. Der Vorschlag sieht die Einführung eines gemeinsamen einheitlichen Zulassungsverfahrens für Lebensmittelzusatzstoffe, -aromen und -enzyme vor, das sich auf eine Risikobewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit und ein Risikomanagement stützt, bei dem die Mitgliedstaaten und die Kommission im Rahmen eines Ausschussverfahrens (Regelungsverfahrens) tätig werden. Der Kommission fällt die Aufgabe zu, auf der Grundlage der wissenschaftlichen Bewertungen durch die Lebensmittelbehörde für jede Kategorie von Stoffen eine „Positivliste“ zu erstellen und fortlaufend zu aktualisieren. Die Aufnahme eines Stoffes in eine dieser Listen bedeutet, dass ihn alle Wirtschaftsakteure im Gemeinschaftsmarkt verwenden dürfen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss begrüßt im Wesentlichen die Vorschläge der Kommission, sofern die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des Binnenmarktes gewahrt und ein hohes Lebens- und Gesundheitsschutzniveau gewährleistet wird.

4.2

Im Gegensatz zur Richtlinie, die bei der Umsetzung unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten zulässt, bietet das vorgeschlagene Instrument, die Verordnung, nach Auffassung des Ausschusses eine Garantie.

4.3

Die Möglichkeit einer einzigen, für die gesamte Europäische Union gültigen Zulassung kann sich mittel- bis langfristig sicherlich sehr positiv auf den Binnenmarkt auswirken.

4.3.1

Zu berücksichtigen sind jedoch die Auswirkungen der neuen Regelungen auf die importierten Produkte sowie die Tatsache, dass Europa ein wichtiger Importeur ist, der im stetigen internationalen Wettbewerb steht. Die gemeinschaftlichen Vorschriften sind jedoch strenger als der derzeit vorgeschlagene Codex Alimentarius, weshalb eine Angleichung angestrebt werden sollte, um die europäischen Unternehmen nicht zu benachteiligen.

4.4

Der Vorschlag der Kommission, die Gemeinschaftsliste nach dem Ausschussverfahren zu aktualisieren, kann sowohl für die Industrie als auch für die Zivilgesellschaft einen Fortschritt darstellen, wenn die Transparenzkriterien weiterhin streng bleiben und es gleichzeitig möglich sein wird, mit der Innovation und der Entwicklung neuer besserer Produkte Schritt zu halten (auch im Hinblick auf die Bekämpfung von Allergien).

4.5

Dass die Risikobewertung im Rahmen transparenter und auf wissenschaftlichen Daten und objektiven Argumenten beruhenden Verfahren vorgenommen werden soll, ist nach Auffassung des Ausschusses ein positiver Aspekt der Tätigkeit der EFSA.

4.6

Mit den neuen Zuständigkeiten, die der EFSA übertragen werden, sollten nach Auffassung des Ausschusses die Verfahren gestärkt und die Human- und Finanzressourcen aufgestockt werden, damit qualitativ hochwertige, transparente und unabhängige Bewertungen unter uneingeschränkter Wahrung der Vertraulichkeitskriterien gewährleistet werden können.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Gemeinsames Zulassungsverfahren

5.1.1

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Durchführungsvorschriften gemäß Artikel 9, einschließlich des Inhalts, der Aufmachung und der Vorlage des Antrags sowie die Vereinbarungen für die Kontrolle der Gültigkeit der Anträge und Art der Informationen in das Gutachten der EFSA aufgenommen werden sollten.

5.1.2

In Bezug auf die Aktualisierung der Gemeinschaftsliste sollte das Zulassungsverfahren kürzere Fristen haben. So sollte die Frist für die Vorlage eines Verordnungsentwurfs durch die Kommission von 9 auf 3 Monate verkürzt werden, damit Prüfung und Zulassung innerhalb von 12 Monaten abgeschlossen werden können.

5.1.3

Ebenso sollte die in Artikel 10 in besonderen Fällen vorgesehene Verlängerung der Frist für die Bewertung durch die EFSA oder durch die Kommission nicht endlos sein, sondern auf einen Höchstzeitraum begrenzt werden, der in der Verordnung festzulegen ist.

5.1.4

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass im Rahmen des gemeinsamen Zulassungsverfahrens auch eine regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der Listen im Rahmen eines kontinuierlichen und strukturierten Dialogs mit den Herstellern und Verbrauchern vorgesehen sein sollte, wobei Kosten und Aufwand zu begrenzen sind.

5.1.5

Das gemeinschaftliche Zulassungssystem sollte auf keinen Fall als Rechtfertigung für die Schaffung technischer Handelshemmnisse dienen. Kostspielige Proben und Bescheinigungen im Import-Export-Bereich sollten deshalb ausgeschlossen werden.

5.2   Zusatzstoffe

5.2.1

Es wäre zweckmäßig, die Kriterien für das Bestehen der in Artikel 5 genannten „hinreichenden technischen Notwendigkeit“ und der „Vorteile für die Verbraucher“ zu präzisieren.

5.2.2

In Bezug auf die Kenntlichmachung gemäß Artikel 20 sollten die Angaben für das breite Publikum klar verständlich und identifizierbar sowie in der gesamten Europäischen Union einheitlich sein.

5.3   Enzyme

5.3.1

Der Ausschuss begrüßt, dass alle Lebensmittelenzyme mit einer technologischen Funktion in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen und dass sie einer Zulassung bedürfen, um in die gemeinschaftliche Positivliste aufgenommen zu werden.

5.3.2

In Anlehnung an die Zusatzstoffe sollten nach Auffassung des Ausschusses auch im Hinblick auf die Enzyme die „Vorteile für die Verbraucher“ in die Bewertungskriterien aufgenommen werden.

5.3.3

Im Hinblick auf die Kennzeichnung hält der Ausschuss hingegen Klarheit und einheitliche gemeinschaftliche Anforderungen ohne unnötige Erschwernisse sowohl für die Hersteller als auch die Verbraucher für erforderlich.

5.3.4

Nach Auffassung des Ausschusses sollten Positivlisten in vertikalen Rechtsvorschriften vermieden werden, da dadurch ein doppeltes Zulassungssystem für ein- und dieselben Enzyme entstehen würde. Die früheren Richtlinien und Verordnungen sollten möglichst bald geändert werden und sich eindeutig auf die neue vorgeschlagene Regelung beziehen.

5.4   Aromen

5.4.1

Nach Auffassung des Ausschusses sollten die Bewertungskriterien für Aromen an jene für Zusatzstoffe angeglichen werden und die „Vorteile für die Verbraucher“ umfassen.

5.4.2

Der Ausschuss stimmt zu, dass im Einklang mit Artikel 14 für den Verbraucher verständlichere Angaben über die Art und den Ursprung der in Lebensmitteln verwendeten Aromen erforderlich sind.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vgl. Stellungnahme CES 585/2000 vom 26.5.2000, Berichterstatter: ATAÍDE FERREIRA (ABl. C 204 vom 18.7.2000).

(2)  ebd.

(3)  Vgl. SEK(2006) 1044 Ziffer 3.3.

(4)  Vgl. Stellungnahme CES 404/2001 vom 28.3.2001, Berichterstatter: VERHAEGHE (ABl. C 155 vom 29.5.2001).


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/38


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Verwirklichung der Nachhaltigkeit im Fischereisektor der EU mithilfe des Konzepts des höchstmöglichen Dauerertrags“

KOM(2006) 360 endg.

(2007/C 168/07)

Die Kommission beschloss am 4. Juli 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. März 2007 an. Berichterstatter war Herr SARRÓ IPARRAGUIRRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 131 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die politische Neuausrichtung des Fischereimanagements in der EU, die von dem höchstmöglichen Dauerertrag der Fischbestände ausgeht und somit langfristig Vorteile bringt, wirtschaftliche und soziale Folgen haben könnte, die eine erhebliche Belastung des europäischen Fischereisektors darstellen. Daher empfiehlt er, die Vor- und Nachteile einer Umsetzung dieser Neuausrichtung in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Sicht sehr sorgfältig abzuwägen.

1.2

Da hinsichtlich einer Ermittlung des höchstmöglichen Dauerertrags der verschiedenen Fischbestände große Unsicherheit herrscht, empfiehlt der Ausschuss der Kommission, in ihren langfristigen Plänen jährliche Anpassungen vorzusehen, die sinnvoll, abgestuft und flexibel sind, und die zuvor mit allen betroffenen Sektoren angemessen abgestimmt wurden. Hierzu sollten die Regionalbeiräte, der Beratende Ausschuss für Fischerei und Aquakultur der EU sowie der Ausschuss für den sozialen Dialog im Meeresfischereisektor von Beginn an angemessen konsultiert werden, damit deren Mitgliedern genügend Zeit zu Verfügung steht, um die Bedingungen der vorliegenden Vorschläge gemeinsam mit ihren Partnern zu vergleichen.

1.3

Insofern empfiehlt der EWSA der Kommission, bei der Festlegung der jährlichen Befischungsraten, durch die langfristig der höchstmögliche Dauerertrag der gemischten Fischereien erreicht werden soll, besonders umsichtig vorzugehen.

1.4

Der EWSA kann das Argument der Kommission, durch diese Fischereimanagementpolitik werde die Handelsbilanz ausgeglichen, nicht nachvollziehen, da ein Rückgang der Versorgung des Marktes durch Unternehmen in der Gemeinschaft umgehend durch Importe aus Drittländern kompensiert werden wird. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, diese Importe in den Gemeinschaftsmarkt besonders zu beobachten und zu kontrollieren.

1.5

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten der EU die „anderen Umweltfaktoren“ berücksichtigen müssen, die in der vorliegenden Stellungnahme genannt werden und die die Entwicklung der Meeresökosysteme ebenfalls beeinflussen. Er empfiehlt, den Wirtschaftsakteuren, deren Aktivitäten die Meeresökosysteme berühren, Beschränkungen aufzuerlegen, die denen des Fischereisektors entsprechen.

1.6

In Bezug auf das zur Erreichung des höchstmöglichen Dauerertrags erforderliche Gleichgewicht können sich die beiden von der Kommission vorgeschlagenen Ansätze nach Auffassung des Ausschusses gegenseitig ergänzen. Schließlich obliegt es den Mitgliedstaaten, die Maßnahmen anzuwenden, die sie entsprechend den wirtschaftlichen und sozialen Folgen für ihren jeweiligen Fischereisektor für geeignet erachten. Der EWSA äußert Bedenken angesichts der Tatsache, dass die Mittel des Europäischen Fischereifonds nicht ausreichen, um die Auswirkungen der Anwendung dieses neuen Bewirtschaftungssystems auszugleichen.

2.   Begründung

2.1

In ihrer Mitteilung über die Verwirklichung der Nachhaltigkeit im Fischereisektor der EU mithilfe des Konzepts des höchstmöglichen Dauerertrags (1), die Gegenstand dieser Stellungnahme ist, legt die Kommission ihre Vorschläge zur Verbesserung des wirtschaftlichen Ertrags des Fischereisektors im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik dar.

2.2

Diese Verbesserung des wirtschaftlichen Ertrags soll durch die allmähliche Beendigung der Überfischung erreicht werden, da sich infolge geringerer Kosten, größerer Fänge, einer rentableren Fangtätigkeit und der Reduzierung der Rückwürfe wirtschaftliche Vorteile für den Sektor ergeben würden.

2.3

Zur Verwirklichung dieser Ziele ist es nach Auffassung der Kommission an der Zeit, das gemeinsame Fischereimanagement zu ändern und Erfolge anzustreben statt bloß zu versuchen, Misserfolge zu begrenzen.

2.4

In der Mitteilung wird ein neuer politischer Kurs für das Fischereimanagement in der EU eingeschlagen, dessen Ziel es ist, mittels einer langfristigen Festlegung der Befischungsraten den höchstmöglichen Dauerertrag der Fischbestände zu erreichen.

2.5

Dieser neue politische Kurs geht auf die Entscheidung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zurück, die sich anlässlich des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung im September 2002 in Johannesburg international politisch verpflichtet haben, die Fischbestände zu erhalten bzw. sie auf einen Stand zurückzuführen, der den höchstmöglichen Dauerertrag sichert, wobei diese Ziele für erschöpfte Bestande schnellstmöglich und in jedem Fall vor dem Jahr 2015 erreicht werden sollen.

2.6

Daher muss ein langfristiges Bewirtschaftungskonzept entworfen werden, das darauf ausgerichtet ist, das Beste aus dem Produktionspotenzial der lebenden Meeresressourcen Europas herauszuholen. Dieser Ansatz steht im Einklang mit dem umfassenderen Ziel der Gemeinsamen Fischereipolitik, durch die nachhaltige wirtschaftliche, ökologische und soziale Bedingungen gewährleistet werden sollen.

2.7

Die oben genannten wirtschaftlichen Vorteile für den Fischereisektor können nur erreicht werden, wenn die Fangtätigkeit wie in der Mitteilung vorgesehen während einer Übergangszeit stärker eingeschränkt wird. Hinsichtlich des Tempos, in dem diese Änderungen erfolgen sollen, ist es unerlässlich, alle betroffenen Marktteilnehmer an den Wahlentscheidungen zu beteiligen. Die finanzielle Unterstützung aus dem Europäischen Fischereifonds soll dazu beitragen, die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen während des Übergangszeitraums zu begrenzen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die Entscheidung der Kommission, ein auf den höchstmöglichen Dauerertrag ausgerichtetes Fischereimanagement einzuführen, beruht auf der Erkenntnis, dass einige Bestände im Verhältnis zu ihrem Produktionspotenzial zu stark befischt worden sind.

3.2

Da einige Fischbestände in europäischen Gewässern — hauptsächlich aufgrund von Überfischung — in den letzten 30 Jahren erheblich geschrumpft sind, teilt der Ausschuss die Auffassung, dass es wünschenswert sei, zu einem Bestand erhaltenden Niveau der Fischereitätigkeit zu gelangen.

3.3

Die Kommission ist der Meinung, dass die Einführung eines auf den höchstmöglichen Dauerertrag ausgerichteten Bestandsbewirtschaftungssystems nicht allein eine Erschöpfung der Bestände verhindern, sondern auch ein Anwachsen der Fischbestände ermöglichen würde.

3.4

Angesichts dessen, dass der höchstmögliche Dauerertrag eines Fischbestands in der Menge der Biomasse (d.h. der Fische) besteht, die entnommen werden kann, ohne dass der künftige Ertrag dieses Bestands beeinträchtigt wird, hält der EWSA die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Fischereibewirtschaftung für richtig und unterstützt folglich eine solche Herangehensweise uneingeschränkt.

3.5

Allerdings weist der Ausschuss die Kommission darauf hin, dass jede Änderung des Bewirtschaftungssystems Gefahren birgt und dass daher Vor- und Nachteile sehr sorgfältig gegeneinander abzuwägen sind.

3.6

In der Mitteilung werden die Vorteile des auf den höchstmöglichen Dauerertrag ausgerichteten Bewirtschaftungssystems sehr ausführlich dargelegt, und zwar in erster Linie die Vorteile für die Umwelt, während die Vor- und vor allem die Nachteile wirtschaftlicher und sozialer Art für den Fischereisektor nicht näher beleuchtet werden.

3.7

Bezüglich der von der Kommission genannten Vorteile hält der EWSA die Behauptung, durch diese Fischereimanagementpolitik werde die Handelsbilanz ausgeglichen, für unzutreffend, da die Lücken, die durch das Verschwinden von Unternehmen der Gemeinschaft in den von den Maßnahmen zur Sicherung des höchstmöglichen Dauerertrags betroffenen Gebieten entstehen, umgehend von Unternehmen aus Drittländern ausgefüllt werden. Schließlich muss der Markt für Fischereierzeugnisse einer ununterbrochenen Nachfrage gerecht werden.

3.8

Aus der Mitteilung geht hervor, dass das neue Bewirtschaftungssystem allgemein bei der Verringerung der Befischungsraten ansetzt. Damit die Fische größer werden und somit höherwertige und ertragreichere Fänge erzielt werden können, muss der Anteil der aus dem Meer entnommenen Fische reduziert werden.

3.9

In der Mitteilung wird aber auch eingeräumt, dass sich Fischpopulationen nur schwer messen lassen, und dass, auch wenn die Fangtätigkeit den größten Einfluss auf den Zustand der Bestände hat, andere Faktoren wie veränderte Umweltbedingungen und der Anteil der Jungfische ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

3.10

Deshalb enthält die Mitteilung den Vorschlag einer langfristigen Strategie zur Wiederherstellung der Fischbestände, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Fangtätigkeit und Vermehrungskapazität herzustellen. Dieses Ziel kann durch eine allmähliche Reduzierung der Fischereiflotte oder des Fischereiaufwands, den sie betreibt, erreicht werden.

3.11

Damit diese Strategie so umgesetzt wird, dass die Fischer den höchstmöglichen Ertrag aus den Beständen entnehmen können, muss zuvor auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Gutachten festgelegt werden, welche Befischungsrate für jeden Bestand angemessen ist, d.h. wie hoch die jährliche Befischungsrate sein darf. Im Rahmen des künftigen Bewirtschaftungssystems müssen dann auch die Raten für die jährlichen Anpassungen festgelegt werden, mit denen diese Zielvorgabe erreicht werden soll. Diese Entscheidungen sollten gemäß der Gemeinsamen Fischereipolitik mithilfe langfristiger Pläne umgesetzt werden.

3.12

Derzeit unterliegt das Fischereimanagement auf Gemeinschaftsebene den Prinzipien der Vorsicht und der Vorsorge für die Fischbestände. Die zulässigen Gesamtfangmengen und die jährlich festgelegten Fangquoten ergeben sich aus differenzierten wissenschaftlichen Gutachten. Im Falle einer Verschlechterung des Zustands einzelner Fischbestände gelangen die im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik vorgesehenen Bestandserholungspläne zur Anwendung, um die Bestände wieder auf ein biologisch nachhaltiges Niveau zurückzubringen.

3.13

Der EWSA hält den Wechsel des Bewirtschaftungssystems für wichtig, da dadurch künftig ein ehrgeizigeres biologisches Ziel als gegenwärtig verfolgt wird. Diese Änderung wiederum beinhaltet mit jeder jährlichen Anpassung eine erhebliche Verringerung der Befischungsraten, die sich zweifelsohne in einer Verringerung der Flotte sowie des Fischereiaufwands niederschlagen muss und die somit für die Fischereiunternehmen zu erheblichen Einbußen führt. Der EWSA äußert Bedenken angesichts der Tatsache, dass die Mittel des Europäischen Fischereifonds nicht ausreichen, um diese Einbußen auszugleichen. Werden die gesetzten Ziele jedoch erreicht, so könnte sich die Lage für die Unternehmen, die weiterhin in der Fischerei tätig sind, als sehr vorteilhaft erweisen.

3.14

Bezüglich dieses Ansatzes möchte der EWSA die Kommission darauf hinweisen, dass der höchstmögliche Dauerertrag der verschiedenen Fischbestände nur schwer geschätzt werden kann. Angesichts einer solchen Unwägbarkeit empfiehlt der Ausschuss der Kommission, in ihren langfristigen Plänen angemessene jährliche Anpassungen vorzusehen.

3.15

Die Herausforderung besteht somit darin, Wege zu finden, wie Fischereigemeinden und -betrieben geholfen werden kann, die Übergangsphase wohlbehalten zu überstehen. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass es hierzu großzügigerer und einfallsreicherer Hilfsmaßnahmen bedarf als derer, die die Kommission bisher vorgeschlagen hat. Weitergehende Maßnahmen sind zur Gewährleistung eines baldigen Übergangs zu einer nachhaltigeren Struktur der künftigen Fischereitätigkeit vollkommen berechtigt.

3.16

Der Ausschuss hält es in jedem Fall für unerlässlich, alle betroffenen Akteure wie in der Mitteilung vorgesehen durch häufige Anhörungen der regionalen Beratungsgremien in den Entscheidungsprozess bezüglich der langfristigen Pläne, des Tempos der Umsetzung sowie deren Folgen einzubeziehen. Der EWSA hält es desgleichen für notwendig, den Beratenden Ausschuss für Fischerei und Aquakultur der EU (BAFA) sowie den Ausschuss für den sozialen Dialog im Meeresfischereisektor an diesen Anhörungen zu beteiligen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Im Rahmen der Einführung eines auf den höchstmöglichen Dauerertrag ausgerichteten Fischereibewirtschaftungssystems müssen wie in der Mitteilung geschehen eine Reihe weiterer Fragen erörtert werden, die ein derartiges Management unmittelbar betreffen:

Auswirkungen auf die Umwelt und deren Einfluss auf den Wandel der Meeresökosysteme,

Anwendung des Bewirtschaftungssystems auf gemischte Fischereien,

Handhabung der langfristigen Pläne.

4.2

Auswirkungen auf die Umwelt und deren Einfluss auf den Wandel der Meeresökosysteme

4.2.1

Es ist laut der Mitteilung nur schwer vorherzusehen, wie sich die Meeresökosysteme unter den Auswirkungen des Klimawandels entwickeln und welche Auswirkungen der Klimawandel und andere Umweltfaktoren auf die Fischbestände haben werden.

4.2.2

Da nicht bekannt ist, wie stark sich diese Faktoren insgesamt auf die Umwelt auswirken, kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass der Einfluss der Fangtätigkeit in den meisten Fällen immer noch am stärksten ist. Eine geringere Befischungsrate würde somit dazu beitragen, dass die Bestände weniger anfällig für ökologische Veränderungen sind.

4.2.3

Daher enthält die Mitteilung den Vorschlag, die Fangmenge auf eine konstante und nachhaltige Befischungsrate zu begrenzen. Wenn die Befischungsrate nämlich erst einmal zurückgegangen ist und die Bestände wiederaufgefüllt sind, werden neue Erkenntnisse über die Ökosysteme und deren Produktionspotenzial zur Verfügung stehen, auf Grund derer die Ziele einer langfristigen Bewirtschaftung angepasst werden können.

4.2.4

Der EWSA pflichtet diesem Grundsatz bei, sofern die Befischungsrate bei den Arten, deren Bestand gefährdet ist, schrittweise und nachhaltig verringert wird. Die Kommission ist der Ansicht, dass eine auf kurzfristige Steigerung der Fangmenge ausgerichtete Bewirtschaftung der Biomasse Fisch zu einer unzumutbaren Unsicherheit für die Industrie führen kann.

4.2.5

Dennoch ist der Ausschuss der Ansicht, dass jene „anderen Umweltfaktoren“, die in der Mitteilung nicht einmal genannt werden, die Entwicklung der Meeresökosysteme ebenfalls beeinflussen, z.B. das Verhalten von Räubern, Verschmutzung, Erforschung und Nutzung von Öl- oder Gasvorkommen, Offshore-Windenergieanlagen sowie die Gewinnung von Sand und Gestein im Meer.

4.2.6

Der EWSA ersucht die Kommission und die Mitgliedstaaten der EU, entsprechend den künftigen Beschränkungen für den Fischereisektor auch den Wirtschaftsunternehmen, deren Tätigkeiten sich ebenfalls auf den Umfang der Fischbestände und auf den Wandel der Meeresökosysteme auswirken, Beschränkungen aufzuerlegen.

4.3   Anwendung des Bewirtschaftungssystems auf gemischte Fischereien

4.3.1

Die Anwendung des auf den höchstmöglichen Dauerertrag ausgerichteten Fischereibewirtschaftungssystems auf gemischte Fischereien scheint sehr problematisch zu sein.

4.3.2

Da dieses Problem bekannt ist, wird auf das Bewirtschaftungssystem der gemischten Fischereien in der Mitteilung nicht näher eingegangen. Der EWSA ist der Meinung, dass gerade in Bezug auf diese Fischereiart die Kontakte zwischen der Kommission und den Regionalbeiräten sowie dem BAFA intensiviert werden müssen.

4.3.3

In der Mitteilung wird die große — nach Ansicht des Ausschusses unbestreitbare — Bedeutung beleuchtet, die der Erhaltung des Gleichgewichts der Meeresökosysteme zukommt, da die Verringerung des Bestandes einer Fischart zur Förderung der Ertragsentwicklung einer anderen ein äußerst riskantes Vorgehen wäre.

4.3.4

Die Komplexität des Systems liegt darin, dass gemäß der Mitteilung die Intensität der Befischung sämtlicher Arten eines Ökosystems der Fangmenge (der Zielvorgabe) entsprechen sollte, mit der langfristig ein höchstmöglicher Dauerertrag erreicht werden kann. Dies bedeutet, dass sich bezüglich der höchstmöglichen Dauerertragsraten, die für die verschiedenen von gemischter Fischerei betroffenen Arten eines Ökosystems festgelegt werden, die maximale Fangmenge in den langfristigen Plänen nach der Fischart richten muss, für die zum Erreichen ihres höchstmöglichen Dauerertrags langfristig die niedrigste Fangmenge bestimmt wurde.

4.3.5

Die Mitteilung enthält zudem den Hinweis, dass es zur Verhinderung einer unbeabsichtigten Überfischung von Arten durch Beifänge erforderlich sein kann, dass einige langfristige Pläne zusätzliche Maßnahmen wie Änderungen von Fanggeräten, Sperrzonen und Schonzeiten umfassen.

4.3.6

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Ansatz dieses Bewirtschaftungssystems zwar im Einklang mit dem umfassenderen Ziel der Gemeinsamen Fischereipolitik steht, die Kommission die verschiedenen Fangmengen zum Erreichen des höchstmöglichen Dauerertrags jedoch sorgfältiger bewerten und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der langfristigen Pläne mit den betroffenen Beteiligten im Zusammenhang mit gemischten Fischereien erörtern müsse.

4.4   Handhabung der langfristigen Pläne

4.4.1   Langfristige Pläne

4.4.1.1

Gemäß der Mitteilung sieht die Kommission vor, in Absprache mit den betroffenen Sektoren auf der Grundlage unabhängiger wissenschaftlicher Gutachten und unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen langfristige Pläne auszuarbeiten.

4.4.1.2

In diesen muss eine Zielgröße für die Befischung festgelegt werden. Des Weiteren muss angegeben werden, wie die nachteiligen Auswirkungen der Fischerei — auch unter Berücksichtigung der gemischten Fischereien — auf das Ökosystem schrittweise verringert und welche Techniken angewendet werden sollen, um sicherzustellen, dass die Bestände der unterschiedlichen Fischarten gemäß den festgelegten Zielen befischt werden. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit bestehen, einige Bestände weniger stark zu befischen, als dem höchstmöglichen Dauerertrag entsprechen würde, um Produktivitätsgewinne bei anderen Arten zu erzielen.

4.4.1.3

Für den Fall, dass die wissenschaftlichen Daten zur Bewertung der Maßnahmen, die zur Schaffung der Voraussetzungen für einen höchstmöglichen Dauerertrag erforderlich sind, nicht ausreichen, sollten die Pläne dem Vorsichtsprinzip folgen.

4.4.1.4

Schließlich sind die Pläne und ihre Zielvorgaben in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.

4.4.1.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass diese Neuausrichtung der Fischereibewirtschaftungspolitik, die, wenn der höchstmögliche Dauerertrag aller Fischbestände erst einmal erreicht ist, unzweifelhaft Vorteile mit sich bringt, andererseits drastische Folgen für den Fischereisektor haben kann: Die Verringerung der Fangmenge wird zur Verringerung der Flotte und damit kurzfristig zum Verlust von Arbeitsplätzen führen, was wiederum eine Schwächung des wirtschaftlichen Gefüges der Hafenstädte zur Folge haben wird.

4.4.1.6

Daher fordert der Ausschuss die Kommission nachdrücklich auf, im Rahmen der vorgesehenen Konsultationen des Fischereisektors bezüglich des Tempos der Umsetzung der langfristigen Pläne einen gewissen Spielraum zu wahren, um den Fischern eine allmähliche Anpassung an dieses neue Bewirtschaftungssystem zu ermöglichen.

4.4.1.7

Im Falle der gemischten Fischereien ist der EWSA der Ansicht, dass der Spielraum noch größer ausfallen muss, wenn bestimmte Bestände voll befischt werden können, weil sie sich in einem guten Zustand befinden.

4.4.2   Bewältigung der Umstellung

4.4.2.1

Sobald die langfristigen Pläne mit angemessenen Zielgrößen für die einzelnen Bestände ausgearbeitet und erlassen sind, ist es den Mitgliedstaaten vorbehalten, in welchem Tempo die zur Verwirklichung der Ziele erforderlichen Änderungen vorgenommen werden sollen und wie der Übergang bewältigt werden soll.

4.4.2.2

In der Mitteilung werden im Wesentlichen zwei Ansätze zur Bewältigung der Umstellung vorgeschlagen:

Verringerung der Fangkapazität (durch Abwracken) auf den Umfang, der für eine dem höchstmöglichen Dauerertrag entsprechende Fangtätigkeit strikt erforderlich ist. Dieser Ansatz würde im Großen und Ganzen eine höhere wirtschaftliche Effizienz für die verbleibenden Flotten bei gleichzeitigem Verlust von Fischereifahrzeugen und Arbeitsplätzen bedeuten.

Aufrechterhaltung des Umfangs der Fangflotten, bei gleichzeitiger Begrenzung der Fangkapazität der Fischereifahrzeuge, z.B. durch eine Begrenzung der Größe, der Maschinenleistung oder des Fanggeräts, oder auch durch eine Begrenzung der Anzahl zulässiger Seetage. Dieser Ansatz würde das derzeitige Beschäftigungsniveau aufrechterhalten, jedoch im Gegenzug wirtschaftliche Ineffizienzen in Kauf nehmen.

4.4.2.3

Die Entscheidung über den wirtschaftlichen Ansatz oder die Strategie für den Fischereisektor wird von jedem Mitgliedstaat selbst getroffen, während die Gemeinschaft in diesem Zusammenhang den Bewirtschaftungsrahmen für die allmähliche Beendigung der Überfischung sowie die finanziellen Hilfen des Europäischen Fischereifonds bereitstellt.

4.4.2.4

In der Mitteilung tendiert die Kommission eindeutig zum erstgenannten Ansatz, der die Verringerung der nationalen Flottenkapazitäten beinhaltet, da dessen Umsetzung leichter zu kontrollieren wäre. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass sich eine Verringerung der Flottenkapazität im Vergleich zu anderen Lösungen in Bezug auf soziale Akzeptanz und Durchsetzung als weniger problematisch erweist.

4.4.2.5

Der EWSA erkennt an, dass der Ansatz der Verringerung der Flottenkapazität eher geeignet ist, die Überfischung schrittweise zu beendigen. Der Ausschuss ist jedoch überzeugt, dass jeder Mitgliedstaat nach einer Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen den ihm geeignet erscheinenden Ansatz wählen wird, wobei nicht vergessen werden sollte, dass von beiden Möglichkeiten zur gleichen Zeit Gebrauch gemacht werden kann, um das Ziel des höchstmöglichen Dauerertrags der Fischbestände zu erreichen.

4.4.2.6

Einverstanden ist der Ausschuss mit dem Vorschlag, die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Änderung auf regionaler statt auf europäischer Ebene zu analysieren, da die Eigenschaften jeder Flotte je nach Mitgliedstaat variieren.

4.4.2.7

In diesem Sinne sollten die langfristigen Pläne auf einzelne Fischereien ausgerichtet sein, Gruppen von Fischbeständen betreffen, die gleichzeitig befischt werden, und Elemente umfassen wie etwa eine Begrenzung des Umfangs, in dem die Fangmöglichkeiten von einem Jahr zum nächsten geändert werden können, um einen stabilen und reibungslosen Übergang zu gewährleisten.

4.4.2.8

Schließlich wird in der Mitteilung festgestellt, dass die Aufstellung einer vollständigen Reihe von langfristigen Plänen zur Erreichung höchstmöglicher Dauererträge geraume Zeit in Anspruch nehmen wird. Daher wird die Gemeinschaft mit Wirkung ab dem Jahr 2007 Bewirtschaftungsentscheidungen erlassen, die gewährleisten, dass die Befischungsrate für bereits überfischte Bestände nicht erhöht wird. Der EWSA ist der Ansicht, dass den Beschlüssen der Europäischen Kommission für das Jahr 2007 Beratungen mit den Regionalbeiräten, dem Beratenden Ausschuss für Fischerei und Aquakultur der EU (BAFA) sowie dem Ausschuss für den sozialen Dialog im Meeresfischereisektor vorangehen sollten.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2006) 360 endg. vom 4.7.2006.


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verbot des Inverkehrbringens sowie der Ein- und Ausfuhr von Katzen- und Hundefellen sowie von Produkten, die solche Felle enthalten, in die bzw. aus der Gemeinschaft“

KOM(2006) 684 endg. — 2006/0236 (COD)

(2007/C 168/08)

Der Rat beschloss am 4. Dezember 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 und 133 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. März 2007 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 128 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss heißt die Rechtsgrundlage (Artikel 95 EGV) und die Art des Rechtsinstruments (Verordnung) gut.

1.2

Die Kommission kann sich nicht auf eine eigene, sich aus dem EGV ergebende Zuständigkeit berufen, die es ihr erlauben würde, gegen Tierquälerei, zumal außerhalb ihres Territoriums, vorzugehen. Sie kann sich mit dem Problem lediglich insofern befassen, als sie für den Bereich Handel und Binnenmarkt für Felle zuständig ist und es unterschiedliche Rechtsvorschriften zu harmonisieren gilt.

1.3

Der Ausschuss stimmt mit der Kommission dahingehend überein, dass die Importeure von Kleidung oder Spielzeug nur durch ein uneingeschränktes Verbot davon abgebracht werden können, in großer Menge Pelze und Pelzprodukte aus Katzen- und Hundefellen in die Europäische Union einzuführen, und nur so der illegale Handel mit verbotenen Fellen im großen Stil verhindert werden kann.

1.4

Der Ausschuss spricht sich dafür aus, den Begriff „Fell“ juristisch eindeutig als das eigentliche Fell sowie seine einzelnen Bestandteile (Haare, Haut) zu definieren, damit jede mögliche Verwendungsart von Katzen- und Hundefellen durch das Verbot abgedeckt ist.

1.5

Der Ausschuss weist nachdrücklich darauf hin, dass die Kontrollverfahren effizient sein müssen und die Festlegung der am besten vertretbaren Kontrollmodalitäten über das Komitologie-Verfahren erfolgen muss.

2.   Begründung

2.1

Gestützt auf Artikel 95 EGV schlägt die Kommission vor, im Rahmen einer Verordnung Herstellung, Einfuhr, Ausfuhr und Verkauf von Katzen- und Hundefellen in der Europäischen Union zu verbieten.

2.2

Die vorgeschlagene Verordnung entspricht Forderungen seitens der Zivilgesellschaft und wird von der deutschen Ratspräsidentschaft als prioritär angesehen.

2.3

Offenbar werden insbesondere in Asien unter beklagenswerten Bedingungen Katzen und Hunde gezüchtet und getötet, um ihre Felle für die Herstellung von Kleidungsstücken, Accessoires und Spielzeugen zu verwenden. Felle dieser Art wurden auf dem europäischen Binnenmarkt nachgewiesen.

2.4

Die Felle werden in der Regel chemisch behandelt und gefärbt und unter Bezeichnungen verkauft, die ihre Herkunft kaschieren; der genaue tierische Ursprung der so behandelten Felle lässt sich wissenschaftlich nur schwer anhand ihres Aussehens, ihrer Struktur oder durch eine DNA-Analyse nachweisen, da ihre DNA durch die Behandlung zerstört wird. Offenbar wäre es nur durch ein vergleichendes Massenspektogramm möglich, den genauen tierischen Ursprung festzustellen. Die Zollkontrollen könnten dadurch extrem erschwert werden — und deshalb sind unter Artikel 4 entsprechende Ausnahmeregelungen vorgesehen.

2.4.1

In Artikel 4 ist vorgesehen, dass der Besitz zum persönlichen Gebrauch von Kleidungsstücken oder Gegenständen, die die verbotenen Felle enthalten, toleriert werden kann; der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Besitz und der persönliche Gebrauch oder die Verfügung über solche privaten Gegenstände in sehr begrenzter Menge ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen werden sollten, um einen übermäßigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden.

2.4.2

Über die mögliche Verwendung von Häuten, die nicht durch Züchtung gewonnen wurden und die als solche gekennzeichnet sind, zur Produktion von Pelzen, kann eventuell im Komitologie-Verfahren entschieden werden.

2.5

Angesichts der Tatsache, dass die Importe illegal sind bzw. nicht deklariert werden und durch eine frei erfundene Etikettierung der Kleidungsstücke und Gegenstände, die Katzen- oder Hundefell enthalten können, irreführende Angaben über die Waren gemacht werden, stellt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit das uneingeschränkte Verbot der Herstellung, der Einfuhr und des Handels die einzig mögliche Maßnahme dar.

2.6

Zahlreiche Mitgliedstaaten und einige Drittstaaten haben bereits gesetzliche Verbote unterschiedlicher Art und Tragweite eingeführt; eine gemeinschaftliche Maßnahme ist gerechtfertigt durch den Harmonisierungsbedarf auf dem Binnenmarkt.

2.7

Ein Informations- und Überwachungssystem im Hinblick auf den Nachweis und die Verfahren zur Analyse von verbotenen Fellen wird eingerichtet. Durch das Komitologie-Verfahren kann eine Liste von vertretbaren Kontrollmaßnahmen erstellt werden.

2.8

Die Verhängung angemessener Sanktionen zur Abschreckung wird Aufgabe der Mitgliedstaaten sein.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss heißt die Rechtsgrundlage und die Form der Verordnung gut, da der für Nutztiere geltende Grundsatz des Wohlbefindens von Tieren nicht auf Katzen und Hunde angewendet werden kann.

3.2

Es ist eine gesellschaftliche Tatsache, dass in Europa diese Tiere Begleiter des Menschen sind und nicht ihres Fleisches oder ihres Felles wegen gezüchtet werden. Mit Ausnahme von einigen Hunderassen, die als Gebrauchshunde, d.h. Behindertenbegleithunde, Blindenhunde, Such- und Rettungshunde usw. die Menschen unterstützen und denen die Öffentlichkeit große Sympathie entgegenbringt, sind sie auch nicht zur Arbeit bestimmt.

3.3

Die Kommission kann sich nicht auf eine eigene, sich aus dem EGV ergebende Zuständigkeit berufen, die es ihr erlauben würde, gegen Tierquälerei, zumal außerhalb ihres Territoriums, vorzugehen. Sie kann sich mit dem Problem lediglich insofern befassen, als sie für den Bereich Handel und Harmonisierung des Binnenmarkts für Felle sowie für die Beseitigung von Hemmnissen für den Fellhandel zuständig ist, die aufgrund unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften bestehen. Diese gilt es zu harmonisieren, um eine Fragmentierung des Marktes zu vermeiden.

3.4

Angesichts der beträchtlichen technischen Schwierigkeiten, die die Identifizierung von behandelten Katzen- und Hundefellen mit sich bringt, wäre ein sich lediglich auf die Etikettierungsanforderungen beschränkender Vorschlag in der Praxis wirkungslos gewesen; der Ausschuss stimmt mit der Kommission dahingehend überein, dass die Importeure von Kleidung oder Spielzeug nur durch ein uneingeschränktes Verbot davon abgebracht werden können, in großer Menge Pelze und Pelzprodukte in die Europäische Union einzuführen und nur so der illegale Handel mit verbotenen Fellen im großen Stil verhindert werden kann.

3.5

Nach Annahme der Verordnung, die mit den internationalen Handelsvorschriften in Einklang steht, sollte die WTO hiervon als von einer nicht-tarifären Handelsbeschränkung (NTB) in Kenntnis gesetzt werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss spricht sich dafür aus, den Begriff „Fell“ juristisch eindeutig als das eigentliche Fell sowie seine einzelnen Bestandteile (Haare, Haut) zu definieren, damit jede mögliche Verwendungsart von Katzen- und Hundefellen durch das Verbot abgedeckt ist.

4.2

Nach Ansicht des Ausschusses muss klargestellt werden, dass physische Personen, in deren Besitz sich diejenigen rein persönlichen Gegenstände befinden, die sie in sehr geringer Menge bei sich führen können, bei der Überschreitung der Binnengrenzen oder bei der Einreise aus einem Drittland keiner Zollkontrolle unterzogen werden sollten; der Tausch oder der Verkauf eines Kleidungsstückes oder die Spende an eine karitative Einrichtung dürfen ebenfalls nicht dem Handel, der in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, gleichgestellt werden.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Verbot der Ausfuhr und die sichere Lagerung von metallischem Quecksilber“

KOM(2006) 636 endg. — 2006/0206 (COD)

(2007/C 168/09)

Der Rat beschloss am 15. November 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 133 und Artikel 175 Absatz 1 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. März 2007 an. Berichterstatter war Herr OSBORN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 126 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA unterstützt das aktive Engagement und die internationalen Bemühungen der Europäischen Union um weltweite Einschränkung der Produktion und Verwendung sowie um die Gewährleistung der sicheren Lagerung und Entsorgung von Quecksilber. Angesichts dieser Zielsetzung ist es wichtig, dass Europa beim Umgang mit dem Quecksilberproblem in der Union mit gutem Beispiel vorangeht und dass weltweit bessere Kontrollmaßnahmen unterstützt werden.

1.2

Der Ausschuss befürwortet daher das allgemeine Ziel des spezifischen jüngsten Verordnungsvorschlags der Kommission, die Ausfuhr von Quecksilber aus Europa zu verbieten und in Europa eine sichere Lagerung des überschüssigen Quecksilbers vorzuschreiben. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das Verbot der Ausfuhr von metallischem Quecksilber aus Europa und die geforderte Vorschrift einer sicheren Lagerung bis hin zur Entsorgung gerade unter den gegenwärtigen Umständen von besonderer Relevanz und Aktualität sind, da jetzt in Europa das Quecksilberverfahren in der Chloralkaliindustrie schrittweise eingestellt worden ist.

1.3

Mit Blick auf die Zukunft fordert der Ausschuss die Kommission auf, die anderen Elemente ihrer Quecksilberstrategie schnellstmöglich umzusetzen und Maßnahmen zu einer weiteren Senkung der Verwendung von Quecksilber in Produktionsprozessen und Produkten in Europa sowie zur Gewährleistung, dass Quecksilber in den Abfallströmen sicher entsorgt wird, zu entwickeln.

1.4

Nach Ansicht des Ausschusses sollte das rechtliche Verbot zu einem vertretbaren möglichst frühen Zeitpunkt eingeführt werden, und bis dahin sollten die Kommission und die betroffenen Firmen ermutigt werden, alles Erdenkliche zu tun, um die Ausfuhr auf ein Minimum zu beschränken.

1.5

Der Ausschuss unterstützt die von der Kommission in der Verordnung vorgeschlagenen Bestimmungen zur Lagerung, da es sich bei diesen um die derzeit besten Regelungen handelt. Die zuständigen Behörden müssen Sicherheitsbewertungen aller vorgeschlagenen Lagereinrichtungen durchführen und sollten für die regelmäßige Überwachung der Gelände sorgen, wenn diese einmal in Betrieb sind. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, von den Mitgliedstaaten Berichte über die diesbezüglich erzielten Fortschritte einzuholen; außerdem sind weitere Maßnahmen vorzuschlagen, wenn sich die Lagerungsbestimmungen als unzureichend erweisen sollten.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1

Quecksilber ist ein natürlicher Bestandteil unserer Erde, mit einem durchschnittlichen Vorkommen von 0,05 mg/kg in der Erdkruste, wobei die örtlichen Unterschiede beträchtlich sein können. Außerdem kommt Quecksilber in sehr geringen Konzentrationen in der gesamten Biosphäre vor. Seine Absorption durch Pflanzen kann auch dazu führen, dass fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas Quecksilber enthalten.

2.2

Die Quecksilberwerte in der Umwelt sind seit Beginn des Industriezeitalters deutlich angestiegen. Beim Verbrennen fossiler Brennstoffe werden erhebliche Mengen Quecksilber freigesetzt. Außerdem wird Quecksilber aus Mineralien (hauptsächlich aus Zinnober) gewonnen und für zahlreiche industrielle Anwendungen genutzt. So gelangt Quecksilber auch über industrielle Verfahren und Abfallprodukte in die Umwelt. Durch frühere Verfahrensweisen wurde Quecksilber auf Abfalldeponien und Abraumhalden, an kontaminierten Industriestandorten sowie im Boden und in Sedimenten hinterlassen. Sogar Regionen mit unwesentlichen Quecksilberfreisetzungen, wie etwa die Arktis, sind aufgrund der transkontinentalen und globalen Ausbreitung von Quecksilberemissionen betroffen.

2.3

Wenn es einmal freigesetzt ist, persistiert das Quecksilber in der Umwelt, wo es in verschiedenen Formen zwischen Luft, Wasser, Sedimenten sowie Flora und Fauna zirkuliert. Es kann (überwiegend durch Mikroorganismen) in Methylquecksilber umwandelt werden, das sich wiederum in Organismen ansammeln (Bioakkumulation) und in Nahrungsketten anreichern kann (Biomagnifikation), insbesondere in der aquatischen Nahrungskette (Fische und Meeressäuger). Deshalb ist die Form des Methylquecksilbers besonders besorgniserregend. Nahezu das gesamte in Fischen festgestellte Quecksilber ist Methylquecksilber.

2.4

Quecksilber kommt heute weltweit in verschiedenen Umweltmedien sowie in der Nahrung (insbesondere Fisch) in einer Konzentration vor, die sich nachteilig auf den Menschen und die Tierwelt auswirkt. In einigen Regionen der Welt, darunter auch europäischen Gebieten, sind erhebliche Teile der Bevölkerung Quecksilber in Konzentrationen ausgesetzt, die deutlich über den als unschädlich geltenden Grenzwerten liegen. International besteht weitgehend Übereinstimmung darüber, dass die Freisetzung von Quecksilber in die Umwelt schnellstens überall wo möglich minimiert und schrittweise unterbunden werden sollte.

2.5

Trotz des insgesamt zurückgegangenen Quecksilberverbrauchs (die weltweite Nachfrage liegt unter der Hälfte des Wertes von 1980) und der niedrigen Preise wird in vielen Ländern der Welt nach wie vor Quecksilber in Minen gewonnen. In Europa ist die Primärproduktion inzwischen eingestellt worden, Quecksilber wird jedoch nach wie vor als Nebenprodukt anderer Verfahren der Mineralgewinnung abgetrennt.

2.6

Große Mengen Quecksilber gelangen auch in Folge der Umstellung oder Schließung von Chloralkalianlagen in Europa, die das Quecksilberverfahren genutzt haben, auf den weltweiten Markt. Dieses überschüssige Quecksilber wird in der Regel zu niedrigen Preisen an das spanische Unternehmen Miñas de Almadén verkauft, das es wiederum an Länder in der ganzen Welt weiterverkauft.

2.7

Trotz großer Bemühungen können weder der Verband Euro Clor noch Almadén sicherstellen, dass das im Rahmen dieses Übereinkommens aus der EU exportierte Quecksilber nicht zu einer Verstärkung der globalen Umweltverschmutzung führt, da über das Quecksilber keine Kontrolle mehr besteht, wenn es die Einrichtungen von Almadén verlässt. Dies könnte in anderen Ländern zu einer stärkeren Verwendung von Quecksilber in unregulierten Verfahren und Produkten sowie zu mehr quecksilberhaltigen Abfällen oder Emissionen führen. Daher sollte tunlichst verhindert werden, dass dieser erhebliche Zustrom überschüssigen Quecksilbers, der auf der Einstellung des Quecksilberverfahrens in der Chloralkaliindustrie beruht, auf den weltweiten Markt gelangt.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1

Am 28. Januar 2005 hat die Kommission die Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament — Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber (KOM(2005) 20 endg.) angenommen. Die seinerseits vorgeschlagene Strategie besteht aus zwanzig Maßnahmen, die alle Aspekte des Lebenszyklus von Quecksilber berühren. Zwei der mit der Strategie angeregten Maßnahmen betreffen die Ausfuhr und Lagerung von Quecksilber.

3.2

Diese Maßnahmen sollen nun durch die von der Kommission vorgeschlagene Verordnung über das Verbot der Ausfuhr und die sichere Lagerung von metallischem Quecksilber umgesetzt werden. Der Vorschlag zielt entsprechend den Maßnahmen 5 und 9 der Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber darauf ab, die Ausfuhr von metallischem Quecksilber aus der Gemeinschaft zu verbieten und zu gewährleisten, dass dieses Quecksilber nicht wieder in den Markt eintritt, sondern sicher gelagert wird. Das Hauptziel besteht darin, weitere Beiträge zum „globalen Pool“ von bereits freigesetztem Quecksilber zu begrenzen.

3.3

Nach dem Verordnungsvorschlag soll die Ausfuhr von Quecksilber aus der EU ab dem 1. Juli 2011 verboten werden. Vom selben Zeitpunkt soll die Vorschrift gelten, dass Quecksilber, das in der Chloralkaliindustrie nicht mehr verwendet wird, sowie Quecksilber, das bei der Reinigung von Erdgas oder bei der Förderung von Nichteisenmetallen gewonnen wird, sicher gelagert werden muss.

3.4

Die Kommission hat zu ihrem Vorschlag zahlreiche Meinungen eingeholt, und MAYASA, die spanische Regierung sowie die europäische Chloralkaliindustrie haben als die am unmittelbarsten Betroffenen zugestimmt, sich ab dem vorgeschlagenen Datum an das Ausfuhrverbot zu halten. Ferner hat die Kommission zur Kenntnis genommen, dass CEFIC, der Europäische Verband der Chemischen Industrie, eine freiwillige Verpflichtung abgegeben hat, der zufolge er die sichere Lagerung von Quecksilber ab dem 1. Juli 2011 gewährleisten will.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich die Zielsetzung, dass Europa bei den weltweiten Bemühungen um Verringerung der Quecksilberfreisetzung und -emissionen in die Umwelt durch Einschränkung der Produktion und des Verbrauchs von Quecksilber sowie durch Förderung seiner Ersetzung durch andere sichere Stoffe, Verfahren und Produkte eine Vorreiterrolle einnehmen soll. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die REACH-Verordnung diesbezügliche Bemühungen erleichtern würde.

4.2

Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass in der Europäischen Union der Abbau und die Gewinnung von Quecksilber aus quecksilberhaltigen Erzen bereits eingestellt wurden. Er vertritt die Auffassung, dass die Kommission diese Angelegenheit beobachten und bereit sein sollte, ein Verbot zu erlassen, sobald es in Europa auch nur die geringsten Hinweise auf eine Wiederaufnahme solch einer Quecksilbergewinnung aus kommerziellen Gründen gibt. Der Ausschuss empfiehlt der Kommission ferner, weitere Maßnahmen zu erwägen, die von einer Gewinnung von Quecksilber als Nebenprodukt der Mineralgewinnung abhalten, sowie für die sichere Lagerung und Entsorgung des überschüssigen Quecksilbers Sorge zu tragen.

4.3

Aus globaler Sicht unterstützt der EWSA das aktive Engagement der Europäischen Union bei den internationalen Bemühungen um weltweite Einschränkung der Produktion und Verwendung sowie um die Gewährleistung der sicheren Lagerung und Entsorgung von Quecksilber. Deswegen muss Europa unbedingt beim Umgang mit dem Quecksilberproblem in der Union mit gutem Beispiel vorangehen und weltweit bessere Kontrollmaßnahmen unterstützen.

4.4

In diesem Zusammenhang stellen das Ausfuhrverbot von metallischem Quecksilber aus Europa und die geforderte Vorschrift einer sicheren Lagerung bis zur Entsorgung einen wichtigen Schritt dar. Dies ist von besonderer Relevanz und Aktualität unter den gegenwärtigen Umständen, da andernfalls durch die allmähliche Einstellung des Quecksilberverfahrens in der Chloralkaliindustrie möglicherweise große Mengen überschüssigen Quecksilbers auf den weltweiten Markt gelangen werden. Daher befürwortet der Ausschuss das allgemeine Ziel des spezifischen jüngsten Verordnungsvorschlags der Kommission, die Ausfuhr von Quecksilber aus Europa zu verbieten und eine sichere Lagerung des überschüssigen Quecksilbers in Europa vorzuschreiben.

4.5

Damit kann es aber nicht getan sein. Der Ausschuss erwartet von der Kommission weitere Anstrengungen im Hinblick auf die Entwicklung von Maßnahmen zu einer weiteren Einschränkung der Verwendung von Quecksilber in Produktionsprozessen und Produkten in Europa sowie zur Gewährleistung, dass Quecksilber in den Abfallströmen gefahrlos entsorgt wird. Ferner drängt der Ausschuss darauf, dass die Kommission Überlegungen anstellt, welche Schritte auf internationaler Ebene zur weltweiten Förderung einer besseren Bewirtschaftung von Quecksilber unternommen werden können, darunter auch die Aushandlung geeigneter Maßnahmen der Zusammenarbeit zur Förderung der Umstellung auf Technologien, die das Quecksilberverfahren ersetzen, für Lösungen zum Sammeln und Lagern von Quecksilber sowie möglicherweise eine internationale Vereinbarung über die Bewirtschaftung und Kontrolle von Quecksilber.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Ausschuss stellt fest, dass sich der gegenwärtige Vorschlag nur auf die Ausfuhr metallischen Quecksilbers bezieht (Artikel 1). Nach Ansicht des Ausschusses sollte dringlichst die Möglichkeit einer Ausdehnung des Ausfuhrverbots auf Quecksilberverbindungen und quecksilberhaltige Produkte geprüft werden, wie dies in Artikel 5 vorgesehen ist. Es sollte ein Zeitplan für diese Überprüfung aufgestellt werden. Ferner sollten auch weitere Maßnahmen erwogen werden, in denen als Auflage gemacht wird, in der EU in Erzeugnissen und Verfahren Quecksilber durch weniger giftige oder schädliche Stoffe zu ersetzen.

5.2

Ursprünglich hat die Kommission vorgeschlagen, das Verbot ab 2011 verbindlich zu machen. Das Parlament empfahl die Vorziehung des Verbots auf 2010. Die nichtstaatlichen Organisationen (NGO) drängen nach wie vor auf eine Einführung des Verbots zu einem früheren Zeitpunkt. Nach Ansicht des Ausschusses sollte das rechtliche Verbot zu einem vertretbaren, möglichst frühen Zeitpunkt eingeführt werden, und bis dahin sollten die Kommission und die betroffenen Firmen ermutigt werden alles Erdenkliche zu tun, um die Ausfuhr auf ein Minimum zu beschränken.

5.3

Der Kommissionsvorschlag sieht (in Artikel 2) vor, dass Quecksilber, das nicht mehr in der Chloralkaliindustrie verwendet, das bei der Reinigung von Erdgas anfällt und das als Nebenprodukt der Förderung von Nichteisenmetallen und aus Verhüttungstätigkeiten gewonnen wird, gefahrlos zu lagern ist. Als mögliche Lagereinrichtungen werden in Artikel 3 entweder ein Salzbergwerk oder eine speziell für die Zwischenlagerung von metallischem Quecksilber bestimmte Einrichtung angegeben. Solche Einrichtungen müssen die vorgeschriebenen Sicherheits- und Bewirtschaftungspraktiken aufweisen. Es sollte in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen, entsprechende Einrichtungen zu schaffen oder sich anderen Mitgliedsländern anzuschließen, in denen diesbezüglich günstigere Bedingungen herrschen. Diese Bestimmungen zusammen mit dem Exportverbot sollen gewährleisten, dass diese überschüssigen Quecksilbermengen aus wichtigen Industrieverfahren voll und ganz vom Markt genommen und gefahrlos gelagert werden.

5.4

Der Ausschuss unterstützt diese Bestimmungen zur Lagerung, da es sich um die derzeitig besten Regelungen handelt. Nach seiner Auffassung ist es sehr wichtig, dass die zuständigen Behörden gründliche und strenge Umweltverträglichkeits- und Sicherheitsprüfungen aller vorgeschlagenen Lagereinrichtungen durchführen und sie für eine regelmäßige Überwachung der Gelände sorgen sollten, wenn diese einmal in Betrieb sind. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, von den Mitgliedstaaten Berichte über die diesbezüglich erzielten Fortschritte einzuholen und weitere Maßnahmen vorzuschlagen, wenn sich die Lagerungsbestimmungen als unzureichend erweisen sollten.

5.5

Wichtig ist, dass die Betreiber, die das Quecksilber verwendet haben, die Kosten der sicheren Lagerung tragen müssen. Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Bestimmungen zur Lagerung des durch die Einstellung des Quecksilberverfahrens in der Chloralkaliproduktion überschüssigen Quecksilbers in Absprache und im Einvernehmen mit den betroffenen Industrieunternehmen umzusetzen sind und dass Eurochlor derzeit parallel zu dieser Verordnung eine freiwillige Vereinbarung erarbeitet, die seine Mitglieder zur Verwendung sicherer Lagereinrichtungen verpflichtet. Der Ausschuss begrüßt diese Initiative eines verantwortlichen Industrieverbands. Vorausgesetzt, dass die Vereinbarungen alle relevanten Unternehmen umfassen sowie transparent umgesetzt und überwacht werden können, stimmt der Ausschuss zu, dass eine wirksame Umsetzung so am besten garantiert werden kann. Auf Empfehlung des Ausschusses sollte die Kommission die Möglichkeit sondieren, ähnliche Vereinbarungen mit anderen wichtigen industriellen Erzeugern metallischen Quecksilbers wie etwa der Energieindustrie sowie der Nichteisenmetall- und Verhüttungsindustrie zu schließen.

5.6

Der Ausschuss betont, dass die Überwachung und Durchsetzung der neuen Vereinbarungen besonders wichtig sein wird. Durch die geforderte Vorschrift, das Quecksilber zu lagern und zu entsorgen, stellt es de facto keinen Vermögenswert mehr dar, den man vermarkten kann, sondern wird vielmehr zu einer Belastung, die den verantwortlichen Inhabern Kosten aufzwingt. Unter solchen Umständen werden skrupellose Betreiber versucht sein zu vermeiden, das Quecksilber auf die ordnungsgemäßen Entsorgungsstrecken zu leiten, sondern es auf illegale Deponien zu verbringen. Strenge Buchführung und Überwachung werden erforderlich sein, um solche ungebührlichen Vorkommnisse zu verhindern.

5.7

Der Ausschuss fordert eindringlich die Kommission auf, baldmöglichst weitere Maßnahmen zur Umsetzung anderer Elemente der Quecksilberstrategie zu erwägen. Insbesondere hält er es für wichtig, schnellstmöglich die schrittweise Einstellung der Verwendung von Quecksilber in der Beleuchtungsindustrie, in Schmuckwaren, in der Zahnheilkunde sowie in Kosmetikartikeln anzuregen sowie zunehmend Maßnahmen zur Senkung oder Unterbindung von Quecksilberemissionen aus Großfeuerungsanlagen, Krematorien und anderen Quellen erheblicher Luftverschmutzung durch Quecksilber zu ergreifen. Ferner könnten auch weitere Maßnahmen erforderlich sein, um zu gewährleisten, dass bei Feststellung erheblicher Quecksilbermengen in anderen Abfallströmen das Quecksilber zwecks Lagerung oder Entsorgung abgetrennt wird, und sich eben nicht weiter verbreiten und damit die Umwelt in größerem Umfang belasten kann. All diese weiteren Maßnahmen sollten selbstverständlich hinsichtlich der Größenordnung der betreffenden Tätigkeit zum globalen Quecksilberproblem, sowie der Kosten und Auswirkungen der vorgeschlagenen Lösung überprüft werden.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“

KOM(2006) 815 endg. — 2006/0271 (CNS)

(2007/C 168/10)

Der Europäische Rat beschloss am 12. Januar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen:

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. März 2007 an. Berichterstatterin war Frau O'NEILL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 129 gegen 4 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die derzeit geltenden beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2007 müssen gemäß Artikel 128 Absatz 2 des Vertrags durch einen Beschluss des Rates nach Anhörung des Europäischen Parlaments, des Ausschusses der Regionen und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses bestätigt werden.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt unter Hinweis auf die vorgebrachten Bedenken und Empfehlungen den Vorschlag, die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen 2005-2007 im Jahr 2007 beizubehalten.

1.3

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, den zu verabschiedenden Zeitplan und den Verfahrensablauf rechtzeitig einem breiten Spektrum von Akteuren bekannt zu machen, damit ein größtmöglicher Nutzen erzielt wird, auf den guten Willen aller zu bauen, eine möglichst hohe Beteiligung von Betroffenen zu gewährleisten sowie während der Ausarbeitung auf EU- und einzelstaatlicher Ebene ausreichend Zeit für Reaktionen einzuräumen.

1.4

Der EWSA empfiehlt, in den neuen beschäftigungspolitischen Leitlinien mit speziellen Zielvorgaben und einer stärkeren Berücksichtigung der sozialpolitischen Erfordernisse stärkeren Nachdruck auf die Einbeziehung von Personen mit besonderen Bedürfnissen zu legen. Er betont die Bedeutung, die der Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung der Leitlinien durch die Europäische Kommission zum frühestmöglichen Zeitpunkt sowie deren Konsultation zu dem endgültigen Dokument zukommt.

1.5

Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, so bald wie möglich formelle und informelle Kontakte zu ihm aufzunehmen, um bei der Ausarbeitung der Leitlinien für die nächsten drei Jahre einen proaktiven Ansatz zu verfolgen.

1.6

Der EWSA spricht sich für viel ehrgeizigere und messbare Ziele, die durch die neuen Leitlinien auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten einen Bezugswert erhalten und für mehr Vollzugsbefugnisse der Europäischen Kommission aus.

1.7

Der EWSA empfiehlt, dass geeignete IKT-Systeme in allen Mitgliedstaaten geschaffen werden, um eine Verbesserung bei der Datenerhebung zu gewährleisten und deren Beobachtung und Auswertung sowohl durch die Mitgliedstaaten als auch durch die Kommission zu ermöglichen.

1.8

Der EWSA empfiehlt ferner, dass die Nationalen Reformprogramme eindeutigere Aussagen zu den festgelegten Zielen, den zeitlichen Vorgaben, den Kosten und den Haushaltsmitteln enthalten.

2.   Der Kommissionsvorschlag

2.1

Im Rahmen des Konsultationsverfahrens übermittelte die Europäische Kommission dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss Anfang 2007 die „Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten 2007“, die noch einer Entscheidung des Rats bedürfen, mit der Bitte um Stellungnahme.

2.2

Die Kommission schlägt vor, dass die für 2005-2008 aufgestellten beschäftigungspolitischen Leitlinien (1) auf Grundlage von Artikel 128 des EG-Vertrags auch 2007 ihre Gültigkeit behalten und von den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden (2).

2.3

Die Europäische Kommission berücksichtigt mit dem Vorschlag für diese Entscheidung die 2005 beschlossene Lissabon-Strategie, die auf einem neuen Governance-Zyklus mit einem bis 2008 gültigen integrierten Leitlinienpaket basiert. Dieses schließt die wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimension mit ein.

2.4

Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, Nationale Reformprogramme zu erstellen, die von der Kommission ausgewertet wurden. In dem diesbezüglichen jährlichen Bericht werden die Fortschritte bei der Umsetzung der Leitlinie dargelegt und die entsprechenden Schlussfolgerungen gezogen, die dem Vorschlag für eine Beibehaltung der Leitlinien zu Grunde liegen.

3.   Frühere Feststellungen des EWSA

Der EWSA hat sich zu den Leitlinien bereits in zwei früheren Stellungnahmen (3) geäußert. Er beanstandete Folgendes:

Der Terminplan für die Ausarbeitung und die Verabschiedung der Leitlinien war straff und erlaubte es nicht, mit möglichst vielen Beteiligten sowohl auf europäischer als auch auf einzelstaatlicher Ebene eine wirkliche Debatte über dieses wichtige Thema zu führen, wodurch die demokratischen Prozesse bei der Ausarbeitung der nationalen Programme beeinflusst wurden.

Da in den gegenwärtigen Leitlinien betont wird, dass die Mitgliedstaaten ihre eigenen Ziele festlegen sollen, steht zu befürchten, dass die beschäftigungspolitischen Maßnahmen nicht mehr anhand klarer und quantifizierbarer Zielsetzungen beurteilt werden können, wie dies in den vorangegangenen Programmen der Fall war. In der Folge wurden die nationalen Reformprogramme bezüglich der Arbeitsmarktpolitik sowie der Arbeitnehmerrechte und -verpflichtungen weniger ehrgeizig gestaltet.

Eine viel stärkere Gewichtung der Eingliederung Jugendlicher in den Arbeitsmarkt mit einer gewissen Sicherheit, eine Erstanstellung mit Zukunftsaussichten zu finden, ist notwendig.

Die Bekämpfung von Diskriminierung auf Grund von Alter, Behinderung oder ethnischer Herkunft muss weiterhin mit Nachdruck angegangen werden.

Der Übergang zur wissensbasierten Wirtschaft bedarf eines viel entschlosseneren Engagements, das auf Berufsbildung und lebenslanges Lernen ausgerichtet ist, um sich an neue Technologien anzupassen und dabei die industrielle Grundlage neu zu strukturieren und den Einzelnen in die Lage zu versetzen, übertragbares Wissen zu erwerben.

Bei der Einbeziehung von Investitionen in die Forschung, die Entwicklung und die Innovation muss konsequenter vorgegangen werden, um sowohl die Wirtschaft anzukurbeln als auch neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Fragen zur Gleichbehandlung der Geschlechter und auch zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurden nur unzureichend beachtet.

Die Auswirkungen des demografischen Wandels und die Herausforderung durch die Alterung der erwerbsfähigen Bevölkerung bedürfen einer größeren Hinwendung.

Die Einwanderungspolitik muss gestrafft und ihre Umsetzung und ihre Auswirkungen auf die einzelstaatlichen Pläne zur Arbeitsmarktpolitik müssen überprüft werden.

Die Bedeutung entsprechender Finanzmittel auf nationaler und europäischer Ebene, um erfolgreich beschäftigungspolitische Maßnahmen umsetzen zu können.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat bereits in früheren Stellungnahmen die Verabschiedung der integrierten Leitlinien 2005-2008 begrüßt und betont weiterhin, dass ihr Erfolg davon abhängt, inwieweit die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung gerecht werden und die vereinbarten Prioritäten auf einzelstaatlicher Ebene umsetzen. Die tatsächliche Einbeziehung aller Sozialpartner und der Zivilgesellschaft muss in allen Phasen der Ausarbeitung und Umsetzung mit Nachdruck gewährleistet werden.

4.2

Der EWSA erkennt die bezüglich des Wirtschaftswachstums in der EU der 25 und spezieller arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen erzielten Fortschritte an (4), ist allerdings nach wie vor besorgt über die weiterhin bestehenden Unterschiede bei der Umsetzung der einzelnen Maßnahmen innerhalb der Mitgliedstaaten, aber auch zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten. Der Ausschuss vertritt daher weiterhin die Ansicht, dass zu wenig Dringlichkeitsbewusstsein und Schwerpunktsetzung besteht, um wesentliche Veränderungen herbeizuführen.

4.3

Der EWSA würde eine bedeutendere Rolle der Europäischen Kommission bei der Ausarbeitung der europaweiten und einzelstaatlichen Ziele sowie im Beobachtungs- und Bewertungsprozess begrüßen. Dadurch würden die jährlichen Berichte im Rahmen der nationalen Reformprogramme in den einzelnen Mitgliedstaaten an Relevanz gewinnen.

4.4

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, Mittel aus den Struktur-, dem Sozial- und dem Globalisierungsfonds bereitzustellen, um die Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien zu unterstützen. Der EWSA betont erneut nachdrücklich die Bedeutung, die einer angemessenen Finanzierung auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene zukommt, um arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen Priorität einzuräumen.

4.5

Der EWSA ist besorgt über die zögerlichen Fortschritte und spricht sich dafür aus, dass in den beschäftigungspolitischen Leitlinien 2008-2010 Maßnahmen vorgeschlagen und Änderungen vorgenommen werden, um den notwendigen Verbesserungen gerecht zu werden.

5.   Weiterhin bestehende Problembereiche

In den 2005 erstellten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung wurden bestimmte Bereiche mit Verbesserungsbedarf ausgemacht. Der EWSA ist nach wie vor darüber besorgt, dass einige der Ziele immer noch nicht erreicht und dass auf einzelstaatlicher Ebene die Schwerpunkte nicht klar genug gesetzt werden. Der Ausschuss würde es begrüßen, wenn zur Behebung dieser Mängel Maßnahmen für die neuen Leitlinien ergriffen würden, die 2008 vorgelegt werden.

Das allgemeine Ziel einer Gesamtbeschäftigung von 70 % dürfte in diesem Zeitraum nicht erreicht werden können. Auch wenn die Beschäftigungsrate von Frauen die vorgeschlagenen 60 % erreichen sollte, wird diese doch aus Teilzeitstellen, flexiblen oder befristeten Beschäftigungsverhältnissen bestehen.

Das vorgeschlagene Ziel für ältere Arbeitnehmer (nach der Definition der Europäischen Kommission jene zwischen 45 und 65) von 50 % wird trotz der erzielten Fortschritte ebenfalls nicht erreicht werden.

Die Entwicklung von Strategien für Menschen mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen sowie deren Einbeziehung in den Arbeitsmarkt kommt weiterhin nur unzulänglich voran.

Weiterhin Anlass zur Sorge gibt das Ausmaß der immer noch steigenden Jugendarbeitslosigkeit und die Durchführung geeigneter Maßnahmen zur Verbesserung dieser Situation.

Eines der Hauptanliegen ist die grundlegende Bildung in Bezug auf den modernen Arbeitsmarkt; hier fehlen Bildungskenntnisse des primären und sekundären Bereichs; außerdem besteht ein Missverhältnis zwischen Ausbildung und Qualifikationen einerseits und den Erfordernissen des Arbeitsmarkts andererseits.

Ernste Bedenken bleiben dahingehend bestehen, ob die Maßnahmen zur Berufsbildung und zum lebenslangen Lernen effektiv umgesetzt und vom öffentlichen bzw. privaten Sektor mit ausreichendem Engagement finanziell unterstützt werden.

Dem lebensbegleitenden Lernen wird weiterhin in Bezug auf alle Altersgruppen — aber besonders hinsichtlich älterer Arbeitnehmer — zu geringe Bedeutung beigemessen. Dies ist bezüglich der Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer besonders bedenklich.

Bedenken bleiben auch hinsichtlich der Integration von Migranten in den Mitgliedstaaten bestehen, mit denen ein großer Teil des Fachkräftemangels auf dem Arbeitsmarkt ausgeglichen werden kann.

Obgleich der Ausschuss die Mobilität der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten unterstützt, zeigt er sich besorgt über die Auswirkungen, die der Verzug von Fachkräften und ihrer Sachkenntnis von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen auf den Heimatstaat hat. Diese müssen ermittelt und Maßnahmen dahingehend ergriffen werden, dass dem Herkunftsstaat zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit genügend Fachkräfte erhalten bleiben.

Die Auswirkungen auf die Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort sind im Hinblick darauf zu untersuchen, warum Erwerbslose vor Ort diese Stellenangebote nicht annehmen.

Die Erkenntnis, dass die wissensbasierte Wirtschaft auf der Grundlage von Forschung und Innovation immer noch nicht verwirklicht ist.

Der integrierte, lebenszyklusorientierte Ansatz wird von den Mitgliedstaaten zu wenig beachtet. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter voranzutreiben. Hierbei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Insbesondere durch die Schaffung von Betreuungsangeboten für Kinder besteht die Chance, familiäre und berufliche Pflichten miteinander in Einklang zu bringen, im Berufsleben zu verbleiben bzw. nach einer Pause rasch auf den Arbeitsmarkt zurückkehren zu können (5).

Für die Mitgliedstaaten besteht die Notwendigkeit, bei der Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der Anpassungsfähigkeit von Arbeitnehmern und Unternehmen voranzukommen und insbesondere die Möglichkeiten des Flexicurity-Konzepts zu nutzen (6).

Es bestehen noch Fragen zu den Auswirkungen von „Schwarzarbeit“ auf die Mitgliedstaaten und den Einzelnen.

Die Annahme und Umsetzung der Agenda für „menschenwürdige Arbeit“ (7) und die Prinzipien der Qualität des Arbeitsplatzes (8) lassen in einigen Mitgliedstaaten noch auf sich warten.

Die Produktivitätsraten in Europa bleiben im Vergleich zu denen der USA niedrig, was mit dem Umfang und der Höhe der Investitionen in Arbeitskräfte und Ideen zusammenhängt.

Auch wenn der Anteil der öffentlichen Investitionen in der EU mit dem in den USA vergleichbar ist, so liegen die privaten Investitionen hier doch weit zurück.

6.   Von der Kommission ergriffene Maßnahmen

6.1

Die Europäische Kommission hat, nachdem ihr die jährlichen Berichte aus den Mitgliedstaaten vorlagen, Bilanz gezogen und die bisher erzielten Fortschritte in der Mitteilung zur Umsetzung der erneuerten Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung „Ein Jahr der Ergebnisse“ zusammengefasst. Dieses Jahr umfasst die Mitteilung einen ausführlichen Anhang, in dem die empfohlenen Maßnahmen, die von den einzelnen Mitgliedstaaten zu ergreifen sind, dargelegt sind. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da es einen Beitrag zu der allgemeinen Bewertung der Auswirkungen der Leitlinien leistet, zudem wird die Befürchtung des EWSA bestätigt, dass ein Mangel an Dringlichkeitsbewusstsein besteht und bei der Umsetzung der Leitlinien unterschiedlich vorgegangen wird. Der Europäischen Kommission müssen mehr Befugnisse eingeräumt werden, damit sie messbare Zielvorgaben festsetzen, Maßnahmen aufeinander abstimmen und Fortschritte einfordern kann.

6.2

Der EWSA zeigt sich erfreut über die vorgeschlagene „Folgenabschätzung“, die die Kommission gemeinsam mit einer Reihe von Einrichtungen zu dem Dreijahresprogramm durchführen will, um dessen Effektivität abzuschätzen und die Entwicklung der neuen Beschäftigungsleitlinien 2008-2010 zu beeinflussen.

6.3

Der EWSA begrüßt den vorgeschlagenen Konsultationsprozess in Bezug auf die neuen Beschäftigungsleitlinien, der nach der Vorlage des Kommissionsentwurfs im Dezember 2007 beginnen wird. Der endgültige Vorschlag soll dem Rat dann im Juni 2008 zur Verabschiedung vorgelegt werden. Der EWSA hebt die Bedeutung hervor, die der Konsultation und der Einbeziehung der Mitgliedstaaten und aller Beteiligten in diesen Prozess zu einem möglichst frühen Zeitpunkt sowohl auf EU- als auch auf einzelstaatlicher Ebene zukommt.

6.4

Der EWSA betont, dass es wichtig ist, die „Folgenabschätzung“ 2007 möglichst früh in Angriff zu nehmen, um über deren Inhalt nachdenken, Informationen sammeln und eine entsprechend proaktive Rolle übernehmen zu können, so dass Einfluss auf die Ausarbeitung der Leitlinien und der nationalen Programme ausgeübt werden kann.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2005) 141 endg., „Integrierte Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005-2008)“.

(2)  KOM(2006) 815 endg., „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“.

(3)  Stellungnahme zu den „Beschäftigungspolitischen Leitlinien 2005-2008“ (Berichterstatter: Herr MALOSSE), ABl. C 286 vom 17.11.2005 und Stellungnahme zu den „Beschäftigungspolitischen Leitlinien“ (Berichterstatter: Herr GREIF), ABl. C 195 vom 18.8.2006.

(4)  Umsetzung der erneuerten Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung: „Ein Jahr der Ergebnisse“, KOM(2006) 816 endg.

(5)  Stellungnahme des EWSA zu den beschäftigungspolitischen Maßnahmen 2005-2008, ABl. C 195 vom 15.11.2005, Seite 41, Ziffer 3.2.3., Berichterstatter: Herr MALOSSE.

(6)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Flexicurity nach dänischem Muster“, ABl. C 195 vom 18.8.2006, Berichterstatterin: Frau VIUM.

(7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Menschenwürdige Arbeit für alle“ vom 19.12.2006 (CESE 92/2007), Berichterstatter: Herr ETTY.

(8)  Verbesserung der Arbeitsplatzqualität (KOM(2003) 728 endg.), „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die jüngsten Fortschritte in der Verbesserung der Arbeitsplatzqualität“.


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen — Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere“

KOM(2006) 275 endg.

(2007/C 168/11)

Die Europäische Kommission beschloss am 7. Juni 2006 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatterin war Frau BREDIMA SAVOPOULOU, Mitberichterstatter waren Herr CHAGAS und Herr NILSSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 26. April) mit 157 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Das Grünbuch beinhaltet ein Umdenken der EU in Sachen „Meer“. Dies ist zu begrüßen. Zum ersten Mal wird die bislang stets festlandbezogene Perspektive der EU-Politik umgekehrt. Mit der symbolischen Botschaft dieses Grünbuchs, dass Europa immer schon maritim geprägt war, wird ein neues Kapitel in der Meerespolitik der EU aufgeschlagen.

1.2

Das Grünbuch wirbt für einen ganzheitlichen, sektorübergreifenden, strategischen meerespolitischen Ansatz. Die dahinter stehende Überlegung, die fragmentierte durch eine umfassende Sichtweise zu ersetzen, verdient große Unterstützung.

1.3

Die positiven Elemente des Grünbuches überwiegen bei weitem etwaige negative Folgen. Der Ausschuss befürwortet den Großteil der in dem Grünbuch enthaltenen Vorschläge (Fischerei, Häfen, Schiffbau, Seeverkehr, Küstenregionen, Offshore-Energie, FuE, Umwelt, Tourismus, blaue Biotechnologie) vorbehaltlich einiger besonderer Bemerkungen.

1.4

Der Ausschuss unterstützt die grundlegende Bedeutung, die den Schifffahrtsdiensten und Häfen der EU in einer globalen Wirtschaft beigemessen wird. In dem Grünbuch wird ganz richtig darauf hingewiesen, dass die Schifffahrt international ist und somit eines weltweiten Regelwerks bedarf. Die EU muss durch positive Maßnahmen gegen das negative Bild der Schifffahrt in der Öffentlichkeit und die fehlende Anerkennung des Beitrags von Schiffen und ihren Besatzungen zur Gesellschaft angehen. Der Ausschuss teilt die Ansicht, dass die Mitgliedstaaten grundlegende internationale Seeverkehrsübereinkommen (IMO, IAO) umgehend ratifizieren und ihre korrekte Durchsetzung sicherstellen sollen.

1.5

Maritime Cluster sollten im Mittelpunkt der künftigen EU-Meerespolitik stehen. Nach Meinung des Ausschusses sollte die EU eine Studie in Auftrag geben, um diese Cluster zu definieren und mit Clustern in anderen Bereichen zu vergleichen. Maritime Cluster werden bei der Sicherung des maritimen Know-hows in der EU von entscheidender Bedeutung sein.

1.6

Im Mittelpunkt einer integrierten Meerespolitik muss der Ausbau von Investitionen in maritime Aus- und Weiterbildung stehen, um die Erbringung sicherer, wirksamer und qualitativ hochwertiger Dienstleistungen zu gewährleisten. Durch den potenziellen Mangel an qualifizierten Seeleuten drohen alarmierende Folgen für die marine Sicherheitsinfrastruktur der EU. Ohne konzertiertes Vorgehen der EU und ihrer Mitgliedstaaten wird dieser Mangel noch gravierender ausfallen. Verschärfen sich die Nachwuchsprobleme weiter, wird es Europa immer mehr an Sach- und Fachkompetenz mangeln, die für sicherheitskritische maritime Tätigkeiten erforderlich ist (Schiffsüberprüfungen und -besichtigungen, Einhaltung der Vorschriften, Versicherungsfragen, Seeverkehrsmanagement, Bergung, Küstenwache und Lotsendienste). Außerdem könnten ganze maritime Cluster zerschlagen oder in andere Regionen ausgelagert werden.

1.7

Der Ausschuss hält fest, dass Fischer und Seeleute in zahlreichen Bereichen von der europäischen Sozialgesetzgebung ausgenommen sind (z.B. die Richtlinie über Massenentlassungen (1), die Richtlinie zum Übergang von Unternehmen (2), die Richtlinie über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer (3) sowie die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (4)). Ungeachtet der Gründe für diese Ausnahmeregelungen ist es jedoch notwendig, diese Diskriminierung wo nötig aufzuheben. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, diese Ausnahmeregelungen in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu überprüfen.

1.8

Mit der globalen Erwärmung und dem damit einhergehenden Klimawandel tun sich mögliche Szenarien auf wie das Verschwinden ganzer Inseln, die Überflutung von Küstengebieten, die Erschöpfung von Fischbeständen, das Aussterben von Meeresmikroorganismen, das sich auf die Nahrungskette auswirken wird, sowie ein Anstieg des Meeresspiegels um 7 Meter bis 2050. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, dieses übergeordnete Thema im Rahmen internationaler Organisationen aufs Tapet zu bringen und selbst umgehend einen umfassenden Umweltansatz für all ihre Maßnahmen nicht nur im meerespolitischen Bereich, sondern für sämtliche Legislativvorschläge an die Adresse des Europäischen Parlaments und des Rates zu berücksichtigen.

1.9

Der Ausschuss hält daran fest, dass die Maßnahmen zur Senkung der Emissionen unvorhergesehene Folgen nach sich ziehen und mit anderen Maßnahmen kollidieren können. Luftverschmutzung ist ein komplexes Thema. Die Verringerung eines Schadstoffes kann sich negativ auf andere Schadstoffe wie Treibhausgase auswirken. Vorzugsweise ist eine umfassende langfristige Verbesserung der Umwelt durch ein internationales ganzheitliches Konzept anzustreben.

1.10

In der Schifffahrt wird als Bunkeröl das am unteren Ende der Qualitätsskala angesiedelte Öl verwendet, da die Raffinerien kein qualitativ hochwertigeres Bunkeröl herstellen. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, diese Frage anzugehen, um einen Durchbruch für die Senkung der Schiffsemissionen zu erzielen.

1.11

Nach dem Verständnis des Ausschusses bezieht sich die Idee eines „gemeinsamen Meeresraumes der EU“ lediglich auf einen virtuellen Raum, in dem die Verwaltungs- und Zollformalitäten für innergemeinschaftliche Seeverkehrsdienste im Rahmen einer ähnlichen Regelung wie für den Straßen- und den Schienengütertransport im Binnenmarkt vereinfacht werden. Wird dies in der Kommissionsmitteilung auch ausdrücklich klargestellt, kann der Ausschuss dieser Idee zustimmen, sofern in internationalen Hoheitsgewässern die Bestimmungen des UNCLOS-Übereinkommens und der IMO-Übereinkommen einschl. der „Freiheit der Schifffahrt“ und des „Rechts auf friedliche Durchfahrt“ innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone eingehalten werden.

1.12

Der Ausschuss spricht sich ausdrücklich für die Schaffung von „Qualitätsküstenstaaten“ aus, die das fehlende Glied in der Qualitätskette sind. Sie sollten grundlegende Dienste für Schiffe bereitstellen: angemessene Abfallentsorgungsmöglichkeiten, Notliegeplätze für Schiffe in Seenot, friedliche Durchfahrt, faire Behandlung der Seeleute und Navigationshilfen. Dieses Konzept sollte von der EU im Rahmen der IMO im Hinblick auf die Erarbeitung geeigneter Kriterien für die Messung der Leistung eines Küstenstaates angesprochen werden.

1.13

Der Ausschuss zeigt sich erfreut, dass im Grünbuch die Rolle, die er bei der Umsetzung der Meerespolitik einschl. der Raumplanung übernehmen kann, anerkannt wird. Er kann außerdem einen maßgeblichen Beitrag zur Förderung der maritimen Identität und des maritimen Kulturerbes der EU sowie zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die globale Erwärmung leisten.

1.14

Das Grünbuch ist ein erster Versuch in der Politikgestaltung der EU, den Schwerpunkt von der Land- auf die Seeseite zu verlagern. Der Europäischen Kommission gelingt es dadurch, ein neues Gleichgewicht herzustellen, und der Ausschuss möchte ihr frei nach Themistokles folgenden Ausspruch mit auf den Weg geben: Europa wird fortbestehen, so lange es Schiffe und Meere sein eigen nennt. (Wir haben ein Land und eine Heimat, so lange wir Schiffe und Meere unser eigen nennen.)

1.15

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, ihn zu ihrem künftigen Aktionsplan zum Grünbuch anzuhören.

2.   Einleitung

2.1

In den letzten 50 Jahren ihres Bestehens hat die EU für verschiedene an die Meere gekoppelte Bereiche eine Politik konzipiert (Seeverkehr, Häfen, Schiffbau, Fischerei, Meeresumwelt, Küstenregionen und Offshore-Energie); diese einzelnen Politiken haben sich jedoch getrennt von einander entwickelt, ohne dass Synergieeffekte genutzt worden wären. Es ist an der Zeit, sie unter ein Dach zu bringen und eine neue umfassende Vision für die Zukunft zu schaffen.

2.2

Am 7. Juni 2006 veröffentlichte die Europäische Kommission ein Grünbuch mit dem Titel „Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: eine europäische Vision für Ozeane und Meere“. Die Initiative von Kommissionspräsident BARROSO sollte im Zusammenhang mit den strategischen Zielen der Europäischen Kommission (2005-2009) gesehen werden, in denen die Notwendigkeit betont wird, „eine umfassende Meerespolitik zu entwerfen, die auf die Entwicklung einer prosperierenden maritimen Wirtschaft und die Realisierung des vollen Potenzials dieser Wirtschaftstätigkeiten in ökologisch nachhaltiger Weise abzielt“. Kommissionsmitglied BORG wurde mit der Leitung einer Task Force zur Meerespolitik betraut, der die verschiedenen zuständigen Kommissionsmitglieder angehören.

2.3

In dem Grünbuch werden grundlegende Fragen in zahlreichen Bereichen aufgeworfen, wobei ein integriertes ganzheitliches Konzept gewählt wurde, um Verbindungen zwischen den einzelnen Bereichen zu ermöglichen. Mit dem Grünbuch, das selbst bereits das Ergebnis einer Konsultation der betroffenen Akteure ist, wurde der Anstoß für eine der umfassendsten Konsultationen in der Geschichte der EU gegeben. Die Bürger wurden um ihre Meinung zum Umgang mit den Ozeanen und Meeren befragt.

2.4

Seit Beginn der 80er Jahre hat der Ausschuss die Konzipierung dieser sektorspezifischen EU-Politiken aufmerksam verfolgt und mit sachkundigen Stellungnahmen zu ihrer Ausgestaltung beigetragen. Wie die Europäische Kommission ist auch er überzeugt, dass es einer neuen strategischen Vision für die Zukunft bedarf.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Zusammenhang

3.1.1

Das Grünbuch beinhaltet ein Umdenken der EU in Sachen „Meer“. Dies ist zu begrüßen. „How inappropriate to call this planet Earth when it is quite clearly Ocean.“ Dieser Untertitel des Grünbuches spricht Bände und lässt die von der Europäischen Kommission mit der Vorlage dieses Grünbuches verfolgten Absichten erkennen. Zum ersten Mal wird die bislang stets festlandbezogene Perspektive der EU-Politik umgekehrt. Die wichtige symbolische Botschaft dieses Grünbuches lautet, dass Europa in erster Linie maritim geprägt ist. Die EU verfügt über einen maritimen Kulturreichtum, der keinesfalls übersehen werden darf. Seit der Antike war Europa die Wiege zahlreicher Seefahrernationen: Griechen, Italiener, Spanier, Briten, Portugiesen, Skandinavier (Wikinger), Deutsche (Hanse) und Niederländer. Heute stehen Griechenland, Zypern und Malta auf der Liste der zehn größten Schiffsregister in der Welt.

3.1.2

Das Grünbuch wird zu einem Zeitpunkt vorgelegt, zu dem der Welthandel auf dem Seeweg einen grundlegenden Strukturwandel durchläuft: „Giganten der Meere“, gigantische Häfen und Terminals, moderne Logistik, E-Commerce, stetige Weiterentwicklung von Zellen-Containerschiffen, aber auch zunehmende Verwaltungsauflagen für die Besatzungen, die in Rekordzeit in den Häfen erledigt werden müssen, in immer stärkerem Maße moderne Formen von Piraterie und Terrorismus sowie steigender Druck auf die Unternehmen, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen. Die Globalisierung mit all ihren (positiven wie auch negativen) Auswirkungen macht sich auch in diesem Sektor bemerkbar.

3.1.3

Das Grünbuch muss auch vor dem Entstehen neuer Handelsmächte (der so genannten BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China), dem Stillstand der WTO-Verhandlungen und der Tatsache gesehen werden, dass 40 % der Weltflotte unter der Flagge pazifischer Staaten sowie weitere 40 % unter EU-Flagge fahren. Die Debatte findet zu einem Zeitpunkt statt, da die Ölpreise steigen, fortwährend über die Energieversorgungssicherheit und alternative Energieträger diskutiert wird und Befürchtungen angesichts der globalen Erwärmung laut werden.

3.1.4

In Bezug auf die Meere sind zahlreiche Aspekte und menschliche Aktivitäten (Fischerei, Umwelt, Verkehr, FuE, Nutzung des Meeresbodens, Energie, Schiffbau, Häfen, Tourismus) zu berücksichtigen. In dem Grünbuch werden die komplizierten Zusammenhänge zwischen marinen und maritimen Aspekten analysiert, und es wird für eine stärker integrierte Form der Politikgestaltung plädiert.

3.2   Wirtschaftliche Aspekte

3.2.1

Der Ausschuss begrüßt, dass in dem Grünbuch ein größeres Augenmerk auf die maritime Dimension Europas gerichtet und so ein neues Kapitel in der Meerespolitik der EU aufgeschlagen wird. In der Mitteilung wird die wesentliche Rolle der Seeverkehrsdienste für die europäische Wirtschaft sowie das tägliche Leben und den Wohlstand der Unionsbürger betont, auch wenn letztere sich dessen oftmals gar nicht bewusst sind. Der Ausschuss teilt den Standpunkt in Bezug auf die weltweite Wettbewerbsfähigkeit der Schifffahrt und Häfen in einem globalisierten Umfeld und die Notwendigkeit gleicher Ausgangsbedingungen für alle Marktteilnehmer auf einem globalen Markt. Seeverkehr und Häfen gelten als Schlüsselkomponenten in dem Logistiknetz, das den Binnenmarkt der EU mit der Weltwirtschaft verknüpft. Weit davon entfernt, ein „Auslaufmodell“ zu sein, haben sie haben eine führende Stellung auf dem Weltmarkt inne. Sie wurden als Schlüsselelemente der Lissabon-Strategie ermittelt, mit der Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt gemacht werden soll. Der Ausschuss betont, dass die europäische Schiffbauindustrie in den letzten Jahren beim Bau von Spezialschiffen große Erfolge verbuchen konnte.

3.2.2

Das Grünbuch wird sich indirekt auch positiv auf das Image der Schifffahrt und den Aufbau von maritimen Clustern auswirken, die weltweit die größten sind. Maritime Cluster sollten im Mittelpunkt der künftigen EU-Meerespolitik stehen. Nach Meinung des Ausschusses sollte die EU eine Studie in Auftrag geben, um diese Cluster zu definieren und mit Clustern in anderen Bereichen zu vergleichen. Maritime Cluster werden bei der Sicherung des maritimen Know-hows in der EU von entscheidender Bedeutung sein.

3.2.3

Die EU sollte Initiativen anregen, um der breiten Öffentlichkeit ein positives Bild von der Schifffahrt und den Häfen zu vermitteln. Überlastung in Häfen und weitere Engpässe, die eine effiziente Diensterbringung behindern, sollten angegangen werden. Über Investitionen in Häfen und Hinterlandanbindungen sollte Europa mit effizienten und nahtlosen Logistikketten ausgestattet werden. Der Zuwachs im Kurzstreckenseeverkehr in den letzten zehn Jahren sollte in einem integrierten europäischen Verkehrssystem weiter gefördert werden.

3.2.4

Obwohl anerkanntermaßen knapp 90 % des EU-Außenhandels auf dem Seeweg abgewickelt werden, der Anteil des Seeverkehrs am innergemeinschaftlichen Handel über 40 % beträgt und mehr als 40 % der weltweiten Handelsflotte unter europäischer Flagge fährt, konzentriert das Grünbuch sich nur auf den Kurzstreckenseeverkehr und das Konzept der Hochgeschwindigkeitsseewege. Der wachsende Anteil der EU-Schifffahrt am Handel zwischen Drittländern und anderen Kontinenten sollte jedoch nicht unterschätzt werden.

3.3   Soziale Aspekte

3.3.1

Die Globalisierung stellt die Beschäftigungslage im maritimen Bereich in Europa vor besondere Probleme. Der Ausschuss ist sich der Notwendigkeit bewusst, das europäische maritime Know-how zu sichern, das sowohl für die Schifffahrtsindustrie als auch den Fortbestand der maritimen Cluster von grundlegender Bedeutung ist, die ihrerseits wiederum von wesentlichem wirtschaftlichen und sozialen Interesse für die EU sind. Auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene laufen bereits zahlreiche Maßnahmen, auf denen sinnvoll aufgebaut werden kann. In diesem Zusammenhang kommt den Sozialpartnern eine wichtige Rolle zu. Gemeinsam können sie einen grundlegenden Beitrag zur Förderung des europäischen maritimen Know-hows und der Beschäftigungsmöglichkeiten für EU-Seeleute leisten. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission dringend auf, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten darauf hinzuarbeiten, die Seeverkehrswirtschaft und die in ihr beschäftigen Arbeitnehmer stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.

3.3.2

Im Mittelpunkt einer integrierten Meerespolitik muss der Ausbau der Investitionen in maritime Aus- und Weiterbildung stehen, um die Erbringung sicherer, wirksamer und qualitativ hochwertiger Dienstleistungen zu gewährleisten. Durch den potenziellen Mangel an qualifizierten Seeleuten drohen alarmierende Folgen für die marine Sicherheitsinfrastruktur der EU. Ohne konzertiertes Vorgehen der EU, ihrer Mitgliedstaaten und der Industrie wird dieser Mangel noch gravierender ausfallen. Verschärfen sich die Nachwuchsprobleme weiter, wird es Europa immer mehr an Sach- und Fachkompetenz mangeln, die für sicherheitskritische maritime Tätigkeiten erforderlich ist (Schiffsüberprüfungen und -besichtigungen, Einhaltung der Vorschriften, Versicherungsfragen, Seeverkehrsmanagement, Bergung, Küstenwache und Lotsendienste). Ohne genügend Nachwuchs könnten ganze maritime Cluster zerschlagen oder in andere Regionen ausgelagert werden.

3.3.3

Die Möglichkeit einer Beschäftigung ehemaliger Seeleute an Land ist ein wichtiger Anreiz für das Einschlagen einer seemännischen Laufbahn. Das „Career Mapping“-Projekt des Verbandes der Europäischen Reeder (ECSA) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) könnte dazu beitragen, die beruflichen Möglichkeiten für europäische Seeleute aufzuzeigen und die Schifffahrt als attraktive Berufswahl darzustellen. Dieses Konzept sollte auf nationaler Ebene aufgegriffen und gefördert werden.

3.3.4

Ein angemessener EU-Rechtsrahmen, der das maritime Know-how und die Aus- und Weiterbildung in der Schifffahrt fördert, wird der Seeverkehrswirtschaft insgesamt Vorteile bringen (5). Es sind Maßnahmen erforderlich, um die Ausbildung von Seeleuten zu Offizieren noch stärker zu fördern, sowie Investitionen in Ausbildungsgänge für Nautik (maritime Aus- und Weiterbildung) in der ganzen EU, um sicherzustellen, dass vorbildliche berufliche Qualifikationen und Fertigkeiten vermittelt werden, die mit der technologischen Entwicklung (E-Navigation) Schritt halten.

3.3.5

Das einstimmig angenommene konsolidierte IAO-Übereinkommen über Arbeitsnormen im Seeverkehr 2006 (6), das 30 grundlegende IAO-Übereinkommen ersetzt, wird eine solide, umfassende und internationale Grundlage für Arbeitsnormen in der Schifffahrt bieten. Der Ausschuss unterstützt die laufenden Verhandlungen über ein Abkommen zwischen den Sozialpartnern in der EU zur Umsetzung dieses Übereinkommens unter Berücksichtigung des im IAO-Übereinkommen verankerten Regressionsverbots. Im Rahmen der künftigen EU-Meerespolitik sollten die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sein, das IAO-Übereinkommen über Arbeitsnormen im Seeverkehr, sozusagen die Grundrechtecharta der Seeleute, zu ratifizieren und umzusetzen. Die Europäische Kommission sollte alle nur erdenklichen Beziehungen spielen lassen, um die Annahme des IAO-Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor, die 2005 gescheitert ist, 2007 zum Erfolg zu führen.

3.3.6

Der Ausschuss ist der Meinung, dass das allgemeine Image der Schifffahrt und der Seeberufe durch geeignete, an die jeweiligen einzelstaatlichen Gegebenheiten angepasste Informationskampagnen verbessert werden kann. Der Ausschuss kann einen wesentlichen Beitrag zur Förderung der maritimen Identität und des maritimen Kulturerbes der EU leisten. Die Ausrufung eines Europäischen maritimen Tages oder eines Europäisches Tages des Meeres anlässlich des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs (7) könnte zur Stärkung des Bewusstseins der Europäer für die Bedeutung dieses Sektors beitragen.

3.3.7

Die Überlegung, dass die verschiedenen Akteure der maritimen Cluster die Einrichtung von Aus- und Weiterbildungskursen zur Sicherung eines angemessenen Angebots an europäischem maritimen Know-how finanzieren, das dann auch in verwandten Wirtschaftszweigen an Land genutzt werden kann, sollte eingehender untersucht werden.

3.3.8

Der Ausschuss stellt mit Bedauern fest, dass die sozialen Aspekte der in zahlreichen anderen maritimen Wirtschaftszweigen als Verkehr und Fischerei beschäftigten Arbeitnehmer in dem Grünbuch ausgeklammert werden. Er fordert die Europäische Kommission auf, die sozialen Aspekte anderer maritimer Wirtschaftstätigkeiten (z.B. Schiffbau, Lotsendienste, Häfen, Energie, Nutzung des Meeresbodens) aufzugreifen.

3.4   Umweltaspekte

3.4.1

Der Ausschuss teilt den im Grünbuch dargelegten Standpunkt, dass die Erhaltung der EU-Meeresressourcen den Schlüssel zur Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung der EU bildet. Er nimmt mit Besorgnis die zunehmende Bedrohung der Meeresumwelt durch menschliche Tätigkeiten und Naturkatastrophen zur Kenntnis. Ihr Schutz ist eine unerlässliche Voraussetzung für die nachhaltige Zukunft der Erde. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass ein integriertes sektorübergreifendes Konzept für sämtliche betroffenen Akteure ein wichtiges Instrument für ein nachhaltiges Umweltmanagement und eine Optimierung der Synergien zwischen den einzelnen Bereichen darstellt.

3.4.2

Die maritime Biodiversität muss durch kohärente EU-Maßnahmen gesichert werden, die für alle betroffenen Akteure, d.h. die gesamte Verantwortungskette, Verpflichtungen festlegen. Die Europäische Kommission sollte durch Forschungsarbeiten wissenschaftliche Daten zu der Frage zusammentragen, wie die Meeresumwelt und die Biodiversität dem Menschen am besten zum Wohle gereichen können. Vorzugsweise ist eine umfassende langfristige Verbesserung der Umwelt durch ein internationales ganzheitliches Konzept anzustreben.

3.4.3

Im Rahmen dieses ganzheitlichen Konzepts fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, die Meeresverschmutzung durch landseitige Quellen (Industrie, Städte, landwirtschaftliche Tätigkeiten) anzugehen, die für 80 % der Gesamtmeeresverschmutzung verantwortlich sind. Außerdem wird in dem Grünbuch offenbar übersehen, welch großen Anteil Freizeitschiffe an der Meeresverschmutzung haben. Dieser Aspekt sollte dringend aufgegriffen werden. Aus Sicht des Ausschusses ist es notwendig, dass die EU eine Politik zur Bekämpfung der Giftmüllverschickung über See (Export in Drittländer) formuliert. Die Umsetzung des HNS-Übereinkommens, der Schiffsüberwachungsrichtlinie und der vorgeschlagenen Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt weisen in diese Richtung.

3.4.4

Bei den Bemühungen um eine Senkung der Emissionen kommt es jedoch zu unbeabsichtigten Folgen und zu Kollisionen zwischen Maßnahmen. Auf dem G8-Gipfel (im Juli 2006) wurden verkehrsbedingte Emissionen im Zusammenhang mit dem Klimawandel als prioritärer Bereich mit dringendem Handlungsbedarf eingestuft. In der vor kurzem veröffentlichten Kommissionsmitteilung zur Begrenzung des globalen Klimawandels (8) wird insbesondere auf die Eindämmung der Emissionen aus dem Verkehr und die Reduktion von Treibhausgasemissionen in anderen Sektoren hingewiesen. Luftverschmutzung ist ein komplexes Thema. Die Verringerung eines Schadstoffes kann sich negativ auf andere Schadstoffe wie Treibhausgase auswirken. Der Ausschuss unterstützt die Verringerung des CO2-Ausstoßes von Schiffen. Doch wird dies nur geringe Auswirkungen haben, solange nicht auch entsprechende Verringerungen bei den wirtschaftlichen Tätigkeiten an Land erzielt werden, die bei weitem am stärksten zum Klimawandel beitragen. Gemäß dem vor kurzem veröffentlichten britischen Stern-Bericht (9) ist der Verkehrssektor nur für 14 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich, wobei der Anteil des See- und Schienenverkehrs wiederum lediglich 1,75 % der weltweiten Emissionen ausmacht.

3.4.5

In zahlreichen Stellungnahmen hat der Ausschuss betont, dass die Mitgliedstaaten internationale Übereinkommen zur Seeverkehrssicherheit und zum Schutz der Meeresumwelt rasch ratifizieren und korrekt umsetzen sollten. Auch wenn der Seeverkehr der energiesparendste und umweltfreundlichste Verkehrsträger ist, unterstützt der Ausschuss die internationale Forderung, die Emissionsgrenzwerte unter die vor Kurzem mit dem MARPOL-Übereinkommen (Anhang VI) (10) verpflichtend eingeführten Grenzwerte abzusenken. Maßnahmen zur Verringerung der seeverkehrsbedingten Emissionen müssen kosteneffizient sein und dürfen nicht zu einer Verkehrsverlagerung von den Wasserwegen auf einen weniger umweltverträglichen Verkehrsträger führen. Nach Anhörung der Sozialpartner sollte die EU Maßnahmen zur Einrichtung von Abwrackwerften für Schiffe (sowohl für Handels- als auch Militärschiffe) nach Ablauf ihres Lebenszyklus fördern.

3.4.6

Der Ausschuss befürwortet das Ziel der thematischen Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt. Aus ökologischer Sicht mag es sinnvoll sein, das gesamte Meeresgebiet der EU in Regionen einzuteilen, um die Erfordernisse jeder einzelnen Region festzulegen (Meeresraumplanungssystem), denn Maßnahmen, die in einer Region notwendig und richtig sind, sind dies nicht unbedingt in einer anderen Region. Der Ausschuss zeigt sich erfreut, dass seine Rolle als Forum für den Meinungsaustausch über die Umsetzung der allgemeinen Gestaltungsgrundsätze der Meerespolitik einschl. der Raumplanung anerkannt wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Bessere Rechtsetzung

4.1.1

Die Anerkennung der Notwendigkeit besserer Rechtsvorschriften zur Vermeidung von Inkohärenzen zwischen den einschlägigen Gemeinschaftspolitiken (z.B. Verkehr/Umwelt, Verkehr/Wettbewerb) und die Absicht, auf weltweit gleiche Ausgangsbedingungen bei der Regulierung und Durchsetzung von Rechtsvorschriften hinzuarbeiten, sind begrüßenswert. Außerdem sollte das Konzept der Selbstregulierung als Ergänzung zur Gesetzgebung gefördert werden.

4.1.2

Der Ausschuss unterstützt den Ansatz des Grünbuches, dass Maßnahmen auf EU-Ebene nur dann gesetzt werden sollten, wenn sie einen zusätzlichen Nutzen bringen. Es ist kritisiert worden, dass die EU die Tendenz habe, manche Themen zu „vergemeinschaften“, die auf nationaler oder internationaler Ebene durchaus angemessen behandelt werden könnten. Dieser Kritik sollte bei den Überlegungen über künftige Maßnahmen im Zusammenhang mit der „Besseren Rechtsetzung“ Rechnung getragen werden.

4.2   Außenbeziehungen

4.2.1

In Bezug auf den Vorschlag für eine künftige Mitgliedschaft der Europäischen Union als Einheit parallel zu der Mitgliedschaft jedes einzelnen Mitgliedstaates in internationalen, mit maritimen Angelegenheiten befassten Organisationen sei darauf hingewiesen, dass die Sachkompetenz der EU-Mitgliedstaaten in derartigen Organisationen (wie IMO und IAO) hochgeschätzt wird. Diese darf keinesfalls beschnitten, sondern sollte vielmehr gefördert werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist wohl eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten in internationalen, mit maritimen Angelegenheiten befassten Organisationen am sinnvollsten. Der Ausschuss würde es begrüßen, wenn die EU ihren Einfluss gegenüber Drittstaaten im Hinblick auf die Durchsetzung und Ratifizierung grundlegender internationaler Seeverkehrsübereinkommen (Bunkeröl-Übereinkommen, HNS-Übereinkommen, Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (LLMC) in der Fassung von 1996) geltend machen könnte.

4.2.2

Eine effiziente und wirksame Außenpolitik der EU im Seeverkehr wäre der Garant für einen funktionstüchtigen internationalen Rahmen für die Schifffahrt. Die WTO-Verhandlungen über Dienstleistungen (GATS) sind ein wichtiges Instrument für die Sicherstellung des Marktzugangs. Auch wenn die Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde ausgesetzt wurden, sollte die Nichteinführung neuer Beschränkungsmaßnahmen („standstill“) im Seeverkehr beibehalten werden, um neue protektionistische Maßnahmen der WTO-Mitgliedstaaten zu verhindern. Das bilaterale Seeverkehrsabkommen mit China bietet einen funktionierenden Rahmen für konstruktive Beziehungen zu China; ein ähnliches Abkommen sollte mit Indien geschlossen werden.

4.2.3

In dem Grünbuch wird bekräftigt, dass das auf dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) (11) beruhende Rechtssystem weiterentwickelt werden muss, um den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein. Nach Meinung des Ausschusses ist das UNCLOS-Übereinkommen Ausdruck eines empfindlichen Gleichgewichts zwischen allen Interessen, das nicht gefährdet werden sollte, vor allem nicht die „Freiheit der Schifffahrt“ und das „Recht auf friedliche Durchfahrt“ innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone. Womöglich könnten andere Küstenstaaten daraufhin die Freiheit der Schifffahrt aus weniger harmlosen Gründen einschränken. Dies könnte schwerwiegende Folgen für den Seehandel auf einigen wichtigen strategischen Seeverkehrsstrecken haben.

4.3   Gemeinsamer Meeresraum der EU

4.3.1

Die Idee, die EU zu Zoll-/Verwaltungszwecken als einen einheitlichen Raum anzusehen, kann nur begrüßt werden, sofern in internationalen Hoheitsgewässern die Bestimmungen des UNCLOS-Übereinkommens und der IMO-Übereinkommen einschl. der „Freiheit der Schifffahrt“ und des „Rechts auf friedliche Durchfahrt“ innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone eingehalten werden. Nach dem Verständnis des Ausschusses bezieht sich die Idee eines „gemeinsamen Meeresraumes der EU“ lediglich auf einen virtuellen Raum, in dem die Verwaltungs- und Zollformalitäten für innergemeinschaftliche Seeverkehrsdienste im Rahmen einer ähnlichen Regelung wie für den Straßen-, den Schienen- und den Binnenschifffahrtsgütertransport im Binnenmarkt vereinfacht werden. Nach entsprechenden Klarstellungen seitens der Europäischen Kommission und einer ausdrücklichen Erklärung in ihrer Mitteilung kann der Ausschuss dieser Idee zustimmen (12).

4.4   Meeresumwelt

4.4.1

Zur Verbesserung der regionalen und lokalen Luftqualität sollten die mit dem MARPOL-Übereinkommen geschaffenen Mechanismen über die mögliche Auszeichnung weiterer Schwefelsondergebiete (Sulfur Emission Control Area, SECA) genutzt werden. Die Herstellung schwefelarmen Treibstoffes erfordert zusätzliche Investitionen in Raffinerien sowie Energie zur Entfernung des Schwefels, die wiederum zum Anstieg der CO2-Emissionen und zur globalen Erwärmung beitragen kann. Außerdem ist es nicht nachhaltig, in verschiedenen Regionen und Häfen weltweit unzählige unterschiedliche Emissionsgrenzwerte vorzuschreiben.

4.4.2

In Bezug auf die Luftverschmutzung durch Schiffe ist die Annahme, dass „die NO x -Emissionen von Schiffen den Prognosen zufolge bis zum Jahr 2020 höher sein [dürften] als die von allen Quellen an Land zusammengenommen“, fragwürdig. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, die Auswirkungen der fortschreitenden klimatischen Veränderungen auf die Schifffahrt zu berücksichtigen und die Schiffsrouten in der Arktis zu untersuchen.

4.4.3

Der Schutz der Meeresumwelt und der Biodiversität in den Gewässern außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit ist für die internationale Gemeinschaft eine wichtige Priorität geworden. Daher muss der Zusammenhang zwischen dem UNCLOS-Übereinkommen und dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt geklärt werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten sich aktiv an der im Rahmen der Vereinten Nationen geplanten Bewertung der Meeresumwelt auf internationaler Ebene beteiligen.

4.4.4

Die Europäische Kommission hat eine langfristige Umweltstrategie für die Säuberung und den Schutz des Mittelmeeres vorgeschlagen. Der Zustand dieses einzigartigen Ökosystems verschlechtert sich immer weiter, da zunehmende Umweltbelastungen eine immer stärkere Bedrohung sowohl für die Gesundheit der Küstenbewohner als auch für wirtschaftliche Tätigkeiten, die vom Meer abhängen, darstellen. Auch die Ostsee und das Schwarze Meer, beide praktisch Binnenmeere, verdienen besondere Aufmerksamkeit angesichts der sie durchquerenden Öltankerrouten, des allgemeinen Verkehrszuwachses und der Eutrophierung durch landseitige Quellen und Wasserläufe. Derzeit wird heftig über die Umweltauswirkungen der geplanten Pipeline durch die Ostsee (Russland/Deutschland) diskutiert. Die genannten Probleme werden durch die Aktivitäten von Marineschiffen verstärkt, die von den EU-Bestimmungen ausgenommen sind und sich immer negativer auf die Umwelt und den Tourismus auswirken.

4.5   Fischerei

4.5.1

Der Fischereisektor (13) hängt stark von einer nachhaltigen Meeresumwelt ab; für die Sicherung seiner Zukunft ist ein in biologischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht optimal funktionierendes maritimes Ökosystem notwendig.

4.5.2

Der Verhaltenskodex für eine verantwortliche Fischerei (Code of Conduct for Responsible Fisheries) der FAO könnte als Grundlage für alle Fischereibehörden dienen. Der Fischereisektor muss bessere Instrumente (Ausrüstung, Fanggeräte) zur Erhöhung der Selektivität der Fischerei und zur Verringerung der Schäden am Meeresboden entwickeln. In einem integrierten Ansatz müssen maritime Schutzgebiete zum Schutz von Biotopen vor unregulierter und illegaler Fischerei ausgewiesen und detaillierte Fangstatistiken ausgearbeitet werden. Eine bessere Raumplanung könnte zur Förderung des Meerestourismus, zur Sicherung der Fischbestände, zur Stärkung der regionalen Entwicklung und zur Verbesserung der Beschäftigungsquote in der maritimen Wirtschaft in ländlichen Gebieten beitragen.

4.6   Europäische Küstenwache

4.6.1

Der Ausschuss fragt sich, welcher zusätzliche Nutzen damit verbunden sein soll, zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Einrichtung einer europäischen Küstenwache zu propagieren. Die in Kürze vorzulegende Machbarkeitsstudie wird zweckdienliche Informationen zu den diesbezüglichen Vorstellungen der Europäischen Kommission enthalten. Angesichts der Unterschiede — sowohl in Bezug auf die Struktur, die Aufgaben als auch die Zuständigkeiten — der entsprechenden nationalen Behörden der EU-Mitgliedstaaten vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass das gewünschte Ziel gleichsam durch eine stärkere Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten insbesondere in den Bereichen Sicherheit, illegale Einwanderung, Menschenhandel und gemeinsame Untersuchung von Unfällen erreicht werden kann.

4.7   Europäisches Schiffsregister

4.7.1

Der Vorschlag für die Einführung eines ergänzenden und optionalen europäischen Schiffsregisters (EUROS) ist bedenklich. Die EU-Flagge ist zwar als Symbol der europäischen Einheit und Kompetenz reizvoll, doch ist ihre Einführung zu einem Zeitpunkt, zu dem Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik der Mitgliedstaaten noch nicht harmonisiert sind, verfrüht. Sie könnte in ferner Zukunft als Abrundung einer allgemeinen EU-Harmonisierung anvisiert werden, die derzeit jedoch noch nicht absehbar ist. Außerdem ist der Begriff eines ergänzenden Europäischen Schiffsregisters verwirrend und wirft die Frage auf, welche zusätzlichen Vorteile ein derartiges Register gegenüber den nationalen Registern bei Anwendung der Leitlinien für den Seeverkehr eigentlich bringen soll. Positive Maßnahmen und sonstige Anreize könnten durch die Leitlinien angepasst und allen nationalen Registern zugänglich gemacht werden. Die Einführung eines eigenen europäischen Schiffsregisters müsste in jedem Fall an die Anerkennung und Stärkung der für dieses neue Register geltenden europäischen Sozialgesetzgebung gekoppelt sein.

4.8   „Qualitätsküstenstaaten“

4.8.1

Der Ausschuss spricht sich ausdrücklich für die Schaffung von „Qualitätsküstenstaaten“ aus, die das fehlende Glied in der Qualitätskette sind. Sie sollten grundlegende Dienste für Schiffe bereitstellen. So muss beispielsweise ein „Qualitätsküstenstaat“ seinen internationalen Verpflichtungen durch die Ratifizierung und Durchsetzung internationaler Übereinkommen nachkommen, die IMO bzw. IAO-Leitlinien zur fairen Behandlung von Seeleuten einhalten, angemessene Abfallentsorgungsmöglichkeiten, Navigationshilfen und Seekarten sowie Notliegeplätze für Schiffe in Seenot bereitstellen (anstatt diese abzuweisen und so eine Umweltkatastrophe heraufzubeschwören), sicherstellen, dass alle notwendigen Maßnahmen für die friedliche Durchfahrt von Schiffen durch seine Hoheitsgewässer getroffen wurden, und Anreize für hochwertige Schiffe schaffen, ihre Häfen anzulaufen bzw. durch ihr Hoheitsgewässer zu fahren. Bedauerlicherweise scheinen einige Küstenstaaten jedoch nicht willens zu sein, diese wichtige Rolle zu übernehmen.

4.8.2

Das Grünbuch bietet Gelegenheit, messbare Kriterien und bewährte Verfahren für Küstenstaaten zu entwickeln. Dieses Konzept sollte von den EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der IMO im Hinblick auf die Erarbeitung geeigneter Kriterien für die Bewertung der Leistung eines Küstenstaates angesprochen werden.

4.8.3

Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag des Ausschusses der Regionen (14), einen Europäischen Küsten- und Inselfonds für verschiedene maritime Tätigkeiten einzurichten.

4.9   Küstentourismus

4.9.1

Europa ist als Reiseziel die Nummer 1 weltweit. Der Ausschuss unterstützt die Idee, einen alternativen qualitativ hochwertigen Tourismus in Küstenregionen zu entwickeln. Dem Grünbuch zufolge wird ein nachhaltiger Tourismus zur Differenzierung touristischer Dienste mit dem Ziel führen, die Strände zu entlasten, alternative Einkommensquellen für Fischer zu erschließen und Tätigkeiten zu schaffen, die die Erhaltung des Kulturerbes fördern. Der Ausschuss spricht sich ausdrücklich für derartige Initiativen aus.

4.10   Soziale Angelegenheiten

4.10.1

Der Ausschuss hält fest, dass Fischer und Seeleute von der europäischen Sozialgesetzgebung in den folgenden Richtlinien ausgenommen sind: Richtlinie über Massenentlassung, Richtlinie zum Übergang von Unternehmen, Richtlinie über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sowie Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern. Derartige Ausnahmeregelungen waren ursprünglich gerechtfertigt, da die Sozialgesetzgebung in erster Linie für landseitige Unternehmen gedacht war und nicht für die besondere Situation der Beschäftigten in der Schifffahrt. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, diese Ausnahmeregelungen in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zu überprüfen.

4.11   Abkommen über die Aufbringung von Schiffen

4.11.1

Aufgrund eines stärkeren Sicherheitsbewusstseins haben mehrere EU-Mitgliedstaaten bilaterale Abkommen mit Drittländern über die Aufbringung von Schiffen geschlossen. Der Ausschuss hält eine koordinierte Vorgehensweise der EU-Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit derartigen Initiativen und eine koordinierte Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten einschl. ihrer Marinen bei der Anwendung solcher Regeln für wünschenswert. Als Alternative käme die rasche Ratifizierung der Protokolle zu dem Übereinkommen über die Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen durch die EU-Mitgliedstaaten in Frage, mit denen ähnliche Ziele wie mit der „Proliferation Security Initiative“ der USA verfolgt werden, die aber auch wichtige Klauseln zur Wahrung der legitimen kommerziellen Interessen der Reeder sowie zum Schutz der Menschenrechte der Seeleute umfassen.

Brüssel, den 26. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 225 vom 12.8.1998, S. 16-21).

(2)  Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 16-20).

(3)  Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 29-34).

(4)  Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. L 18 vom 21.1.1997, S. 1-6).

(5)  Laut einer Studie der baltischen und internationalen Schifffahrtskonferenz (Baltic and International Maritime Conference, BIMCO) und dem internationalen Verband der Reeder (International Shipping Federation, ISF) steigt der Altersdurchschnitt von Offizieren in traditionell maritim geprägten Ländern immer weiter, obwohl es keine Anzeichen für einen Rückgang in der Nachfrage nach Offizieren gibt.

(6)  http://www.ilo.org/public/english/standards/norm/mlc2006/index.htm (nur EN, die deutsche Fassung kann unter http://www.ilo.org/ilolex/german/docs/MLC.pdf aufgerufen werden).

(7)  Wie der britische Ratsvorsitz in seinem Dokument von Dezember 2005 festgehalten hat, werden EU-weit innovative Initiativen gesetzt. Es würde sich in diesem Zusammenhang lohnen, ein größeres Augenmerk auf den Austausch bewährter Verfahren zu richten.

(8)  Siehe KOM(2007) 2 vom 10.1.2007 sowie Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „Bewältigung der Herausforderungen durch den KlimawandelDie Rolle der Zivilgesellschaft“ (NAT/310, am 27.9.2006 verabschiedet) und Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „Nachhaltige Entwicklung in der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei vor dem Hintergrund des Klimawandels“ (NAT/276, am 27.1.2006 verabschiedet).

(9)  Siehe http://www.hm-treasury.gov.uk/independent_reviews/stern_review_economics_climate_change/stern_review_report.cfm (nur EN). Sollten keinerlei Maßnahmen getroffen werden, werden laut dem Stern-Bericht Kosten in Höhe von 5 bis 20 % des weltweiten BIP entstehen.

Internationales Übereinkommen von 1973 zum Schutz der Meeresumwelt durch Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe, 1973, geändert durch das Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen (MARPOL 73/78).

(10)  Siehe

http://www.imo.org/Conventions/contents.asp?doc_id=678&topic_id=258 (nur EN).

(11)  http://www.un.org/Depts/los/convention_agreements/convention_overview_convention.htm (nur EN).

(12)  Siehe Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „Eine gemeinsame Hafenpolitik in der EU“ (TEN/258). ABl. C 325 vom 30.12.2006.

(13)  Siehe Stellungnahme des Ausschusses zum Thema „Nachhaltigkeit im Fischereisektor“ (NAT/333), Stellungnahme des Ausschusses zur „Mitteilung der Kommission über die wirtschaftliche Lage der Fischereiwirtschaft und ihre Verbesserung“ (NAT/316, am 25.9.2006 verabschiedet) und Stellungnahme des Ausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über finanzielle Maßnahmen der Gemeinschaft zur Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik und im Bereich des Seerechts“ (NAT/280, am 16.12.2005 verabschiedet). ABl. C 318 vom 23.12.2006 und ABl. C 65 vom 17.3.2005.

(14)  Stellungnahme des AdR CdR 258/2006 fin (auf der AdR-Plenartagung am 13./14.2.2007 verabschiedet).


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine gemeinsame EU-Hafenpolitik“

(2007/C 168/12)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 6. Juli 2006, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Eine gemeinsame EU-Hafenpolitik“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatter war Herr SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 26. April) mit 137 gegen 2 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Im Mittelpunkt dieser Initiativstellungnahme stehen die Fragen der europäischen Hafenpolitik, in denen die Betroffenen im Hafensektor zu einem Konsens gelangen können müssten. Daher wird diese Initiativstellungnahme auch in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der betroffenen Akteure ausgearbeitet, die eingeladen waren, ihren Standpunkt in zwei öffentlichen Anhörungen, und zwar am 20. November 2006 und am 20. Februar 2007 (1), vorzubringen.

1.2

In dieser Anhörung wurde bekräftigt, dass eine europäische Hafenpolitik auf folgende Themen abzielen sollte:

a)

Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung von Häfen und deren Kapazitäten;

b)

Schaffung eines klaren und transparenten Rahmens für die Finanzierung von Hafeninvestitionen;

c)

Präzisierung der Verfahren für den Marktzugang zu Hafendiensten;

d)

Beseitigung operationeller Engpässe, die die Hafeneffizienz beeinträchtigen;

e)

Förderung guter und sicherer Arbeitsbedingungen und -umstände sowie konstruktiver Arbeitsbeziehungen in den Häfen;

f)

Förderung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit und einer positiven Wahrnehmung der Häfen.

1.3

Diese Themen entsprechenden in großen Zügen den von der Europäischen Kommission im Zuge des Konsultationsverfahrens zu einer künftigen europäischen Hafenpolitik angesprochenen Punkten. Dieses Konsultationsverfahren wurde nach der Zurückziehung der beiden Kommissionsvorschläge für Richtlinien über den Zugang zum Markt für Hafendienste (2) auf den Weg gebracht und wird voraussichtlich im Juni 2007 abgeschlossen.

1.4

Die Debatte über die Hafendienstrichtlinie hat bereits ausführliche Informationen zu Bereichen wie Hafenfinanzierung und Verfahren für den Zugang zum Markt für Hafendienste zu Tage gefördert. Jedweder Fortschritt in diesen Bereichen sollte daher kurzfristig zu greifbaren Ergebnissen führen.

1.5

Operationelle Engpässe, insbesondere im Zusammenhang mit Verwaltungsauflagen und dem Hinterlandtransport, können im Rahmen bestehender Initiativen angegangen werden, wie beispielsweise den Programmen zur Modernisierung des Zollwesens, zur Liberalisierung des Schienenverkehrs und zur Binnenschifffahrt (NAIADES). Diese Thematik reiht sich außerdem in den weiter gefassten Kontext der Überarbeitung des Verkehrsweißbuches (3) und der Kommunikationsmitteilung zur Güterlogistik (4) ein.

1.6

Die EU kann ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Sicherheit in den europäischen Häfen durch die Bereitstellung angemessener (finanzieller) Mittel für Aus- und Weiterbildungsprogramme und die Durchsetzung der geltenden Sicherheitsvorschriften fördern.

1.7

Die Schaffung guter Sozialvorschriften in den Häfen ist sehr wichtig. Dies muss in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern erfolgen, die hierfür in erster Linie die Verantwortung tragen. Wichtige Instrumente für gute Sozialvorschriften, die den einzelstaatlichen Behörden und den Sozialpartnern zur Verfügung stehen, sind die Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Hafenarbeit, die im Übrigen auch einen wesentlichen Beitrag zu Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen leisten können. Die Kommission muss die Mitgliedstaaten zur Ratifizierung dieser Abkommen anhalten.

1.8

Außerdem kann sie in ähnlicher Weise wie für die Seefahrt Anreize für junge Menschen schaffen, um eine Berufslaufbahn im Hafensektor einzuschlagen. Eine hochwertige nautische Ausbildung kann dazu beitragen, dass auch in Zukunft ein ausreichendes Angebot an qualifizierten Lotsen, Hafenmeistern und sonstigen Hafenmitarbeitern zur Verfügung steht.

1.9

Ein europäischer Sozialdialog im Hafenbereich könnte durchaus einen zusätzlichen Nutzen bringen, sofern sich die einschlägigen repräsentativen Organisationen der europäischen Interessenträger auf einen Themenkatalog von gemeinsamem Interesse einigen können.

1.10

Eine Grundsatzdebatte über die nachhaltige Entwicklung von Häfen ist vor dem Hintergrund der Konzipierung einer europäischen Hafenpolitik von wesentlicher Bedeutung. Häfen sind in starkem Maße für die Erreichung hoher Umweltstandards verantwortlich und sollten zu weiteren Investitionen in diesem Bereich ermutigt werden. Inzwischen hat sich jedoch eindeutig gezeigt, dass Probleme großteils auch durch die Zweideutigkeit der EU-Umweltschutzvorschriften selbst bedingt sind.

1.11

Es bedarf weiterer Untersuchungen um festzustellen, ob Raumplanungsprogramme zu einer größeren Rechtssicherheit und besseren Möglichkeiten für die Hafenentwicklung beitragen können. Gleichzeitig gilt es jedoch anzuerkennen, dass Häfen oftmals in der Nähe von einzigartigen und wichtigen Naturschutzgebieten angesiedelt sind, die erhalten werden müssen. Umweltschutz- und Hafenentwicklungsmaßnahmen müssen daher entsprechend abgestimmt werden.

1.12

Nach dem Verständnis des Ausschusses bezieht sich die Idee eines „gemeinsamen Meeresraums der EU“ auf einen virtuellen Raum. Entspricht dies auch wirklich der Sichtweise der Europäischen Kommission und bringt sie dies deutlich zum Ausdruck, dann kann der Ausschuss dieser Idee zustimmen, sofern in internationalen Hoheitsgewässern die Bestimmungen die Bestimmungen des UNCLOS-Übereinkommens und der IMO-Übereinkommen einschl. der „Freiheit der Schifffahrt“ und des „Rechts auf friedliche Durchfahrt“ innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone eingehalten werden.

1.13

Die EU sollte ihren Beitrag leisten, indem sie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Häfen im internationalen Zusammenhang ganz allgemein sicherstellt und Initiativen fördert, die auf die Wiederherstellung einer positiven Wahrnehmung der Häfen abheben und so eine positive Einstellung der breiten Öffentlichkeit zu den Häfen herbeiführen. Hierfür ist ein innovativer Ansatz erforderlich, der das Potenzial der Hafenstädte in den Bereichen Kultur, Tourismus und Freizeit aufgreift.

1.14

Eine europäische Hafenpolitik impliziert nicht unweigerlich die Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften. Insbesondere unverbindliches Recht (soft law) (5) könnte eine sinnvolle Alternative sowohl zur Rechtsetzung als auch zu einer fallbezogenen Vorgehensweise darstellen.

1.15

Eine europäische Hafenpolitik sollte ganz allgemein nicht auf unnötige Interventionsmaßnahmen abzielen, sondern vielmehr a) die Anwendung der Vertragsbestimmungen — wo immer erforderlich — sicherstellen, b) gewährleisten, dass Häfen ihrer öffentlichen Funktion in angemessener Weise nachkommen können, c) ein marktorientiertes Vorgehen sowie d) ein positives Image des Sektors in der Öffentlichkeit fördern. Geltendes EU-Recht, das eine reibungslose und nachhaltige Entwicklung der Seehäfen beeinträchtigt, sollte gegebenenfalls überarbeitet werden.

2.   Probleme der europäischen Seehäfen

2.1

Der Hauptkritikpunkt im Zusammenhang mit dem Hafendienst-Richtlinienvorschlag war, dass die Marktentwicklungen sowie die von ihnen ausgehenden Herausforderungen für die europäischen Häfen nicht berücksichtigt wurden und versucht wurde, eine „Patentlösung“ für die Hafenverwaltung durchzusetzen. Auch die soziale Dimension von Häfen blieb unberücksichtigt. Diese Faktoren dürfen bei einer umfassenderen Analyse der europäischen Hafenpolitik nicht außer Acht gelassen werden (6).

2.2

Seehäfen sind eine der stärksten Wachstumsbranchen im Verkehrssektor der europäischen Wirtschaft; dies gilt insbesondere für den Containerverkehr. In einigen europäischen Regionen jedoch mangelt es an den erforderlichen Kapazitäten, was eine beträchtliche Überlastung zur Folge hat (7).

2.3

Daher ist die volle Nutzung bestehender und gegebenenfalls die Entwicklung neuer Hafenkapazitäten (8) unerlässlich. Ferner bedarf es optimaler seeseitiger Zugangswege zu Häfen (Ausbaggerung) sowie der erforderlichen Infrastruktur im Hinterland. Häfen können aus nahe liegenden Gründen nur in Küstenregionen einschl. Flussmündungen angesiedelt sein, in denen jeder m2 heiß umkämpft ist. Die Häfen sind sich ihrer Umweltauswirkungen bewusst und haben in den letzten Jahren erhebliche Investitionen getätigt, um hohe Umweltstandards zu erreichen. Häfen stoßen dennoch auf Widerstände seitens der Städte und Gemeinden in der Umgebung, die meist nur die negativen Seiten der Häfen sehen und nicht immer ihren Mehrwert sowie ihre positiven Auswirkungen. Darüber hinaus stellt die auf die EU-Umweltschutzvorschriften zurückzuführende Rechtsunsicherheit einen weiteren Hemmschuh für grundlegende Hafenentwicklungspläne dar, wodurch es zu starken Verzögerungen kommt.

2.4

Die Entwicklung der Hafenkapazitäten erfordert beträchtliche Investitionen. Aufgrund der Sparpolitik der Mitgliedstaaten ist privates Kapital für die Finanzierung von Hafeninfra- und -suprastruktur unerlässlich. Hierfür ist wiederum ein langfristiges Engagement privater Hafeninvestoren notwendig.

2.5

Die europäische Hafenbranche verzeichnet nicht nur ein starkes Wachstum, sondern ist auch von den Phänomenen der Globalisierung und Konsolidierung gekennzeichnet. Europäische Seehäfen arbeiten mit internationalen Großreedereien. Außerdem haben sich große Terminalbetreiber herausgebildet, die Dienstleistungen in verschiedenen europäischen Häfen anbieten (9).

2.6

Der Wettbewerb zwischen den europäischen Häfen sollte auf die Logistikkette abheben (10). Die traditionelle Aufgabenteilung innerhalb der Logistikkette lässt sich aufgrund vertikaler Integrationsstrategien kaum noch erkennen. Europäische Häfen sind einer immer stärkeren Konkurrenz von Akteuren innerhalb der Lieferkette ausgesetzt und haben sich zu „natürlichen Lebensräumen“ für Logistikdienstleistungen entwickelt. Für ihren optimalen Betrieb müssen Seehäfen über die gesamte Palette an Verkehrsträgern verfügen.

2.7

Als intermodale Schnittstellen hängt die Effizienz von Seehäfen stark von der Effizienz der land- und seeseitig erbrachten Dienstleistungen ab. Seehäfen eignen sich außerdem besonders gut für die Durchführung von Grenzkontrollen in den Bereichen Schiffssicherheit, Gefahrenabwehr, Zoll, öffentliche Gesundheit, Umweltqualität sowie soziale Leistungen und Bedingungen an Bord usw. Viele dieser Kontrollen gibt es ausschließlich im Seeverkehr; sie sind nicht immer entsprechend koordiniert und aufeinander abgestimmt.

2.8

Als Folge dieser oben genannten Punkte überdenken Hafenverwaltungen im Rahmen von Reformprozessen vielfach ihre traditionelle Rolle als Hafenbehörde.

3.   Themen für eine europäische Hafenpolitik

3.1

Wie bereits erwähnt, sollte die europäische Hafenpolitik auf die Förderung eines nachhaltigen Wachstums, den Aufbau eines attraktiven Investitionsumfelds, die Verbesserung der Rechtssicherheit, die Optimierung der Eingliederung von Häfen in die Versorgungskette, die Stärkung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit und die Gewährleistung guter Sozialvorschriften und konstruktiver Arbeitsbeziehungen abzielen, damit diese Aspekte zu einem positiven Bild der Häfen als attraktive Arbeitsplätze beitragen können.

3.2

Dieses umfassende Ziel kann in folgende sechs von der Europäischen Kommmission anerkannte thematische Bereiche gegliedert werden:

a)

Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung von Häfen und deren Kapazitäten;

b)

Schaffung eines klaren und transparenten Rahmens für die Finanzierung von Hafeninvestitionen;

c)

Präzisierung der Verfahren für den Zugang zum Markt für Hafendienste;

d)

Beseitigung operationeller Engpässe, die die Hafeneffizienz beeinträchtigen;

e)

Förderung sicherer und zuverlässiger Betriebs- sowie optimaler Arbeitsbedingungen in Häfen;

f)

Förderung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit und einer positiven Wahrnehmung der Häfen.

Im folgenden Abschnitt werden diese thematischen Bereiche näher beleuchtet.

4.   Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung von Häfen und deren Kapazitäten

4.1

Häfen sind oftmals in der Nähe von einzigartigen und wichtigen Naturschutzgebieten angesiedelt. Viele Häfen haben die Erfahrung machen müssen, dass es nicht immer einfach ist, ökologische und wirtschaftliche Aspekte miteinander in Einklang zu bringen, was häufig zu Konfliktsituationen geführt hat. Europäische Seehäfen haben jedoch bedeutende Fortschritte bei der Erreichung hoher Umweltstandards und Verbesserung des Umweltmanagements (11) erzielt. Über die Jahre hinweg vermochten sie zudem konstruktive Übereinkommen mit NGO und lokalen Interessengruppen zu entwickeln, was sowohl der Natur als auch den Häfen zu Gute kommt.

4.2

Dennoch führt die Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit der Anwendung von Naturschutzbestimmungen bei vielen Projekten nach wie vor zu erheblichen Verzögerungen. Diese Verzögerungen sind anerkanntermaßen großteils auf Unklarheiten im geltenden EU-Recht zurückzuführen, beispielsweise die Vogelschutz- und die Habitat-Richtlinie oder die Wasser-Rahmenrichtlinie. Die Definition grundlegender Konzepte bleibt vage (12) und führt zu unterschiedlichen Auslegungen in den Mitgliedstaaten.

4.3

Die Europäische Kommission kann hier Abhilfe schaffen, indem sie Anleitungen für die Auslegung geltender Rechtsvorschriften gibt. Des Weiteren sollte sie die europäischen Seehäfen dazu ermutigen, ihrer Verantwortung im Umweltmanagement nachzukommen, beispielsweise durch die Förderung der Verbreitung bewährter Verfahren über sektorspezifische Initiativen wie ECOPORTS (13).

4.4

Die mangelnde Berücksichtigung von Wirtschaftsfaktoren sowie der Widersprüche zu bestehenden Regelwerken, die auf Gebiete Anwendung finden, die im Rechtsrahmen selbst für die Hafenentwicklung ausgewiesen wurden, ist eine weitere Hauptursache für Probleme. Nachhaltige Entwicklung bedeutet, eine Balance zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Überlegungen zu finden, die derzeit noch nicht voll und ganz gegeben ist.

4.5

Die grundlegenden Schwachstellen im geltenden EU-Umweltrecht wurden in einer vor kurzem veröffentlichten Studie (14) aufgezeigt, die von der Europäischen Kommission im Rahmen ihres MTCP-Projekts (Maritime Transport Co-ordination Platform — Koordinierungsplattform für den Seeverkehr) finanziert wurde. Diese Studie enthält außerdem eine Liste konkreter politischer Empfehlungen, um eine größere Rechtssicherheit für Hafenentwicklungsprojekte zu gewährleisten, wie insbesondere die Schaffung eines kohärenten Netzwerkes strategischer Hafenentwicklungszonen.

4.6

In ihrem vor kurzem vorgelegten Grünbuch zur Meerespolitik (15) führt die Europäische Kommission das Konzept der „maritimen Raumplanung“ (16) ein, das in Kombination mit einem integrierten Küstenzonenmanagement — unserem Verständnis nach — in den Hoheitsgewässern auf die Kontrolle des wachsenden Wettbewerbs zwischen maritimen Aktivitäten zur Nutzung der europäischen Küstengewässer und eine größere Rechtssicherheit abzielt.

4.6.1

Die Idee, die EU zu Zoll-/Verwaltungszwecken als einen einheitlichen Raum anzusehen, kann nur begrüßt werden, sofern in internationalen Hoheitsgewässern die Bestimmungen des UNCLOS-Übereinkommens und der IMO-Übereinkommen einschl. der „Freiheit der Schifffahrt“ und des „Rechts auf friedliche Durchfahrt“ innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone eingehalten werden. Nach dem Verständnis des Ausschusses bezieht sich die Idee eines „gemeinsamen Meeresraums der EU“ lediglich auf einen virtuellen Raum, in dem die Verwaltungs- und Zollformalitäten für innergemeinschaftliche Seeverkehrsdienste im Rahmen einer ähnlichen Regelung wie für den Straßen- und den Schienengütertransport im Binnenmarkt vereinfacht werden. Entspricht dies auch wirklich der Auslegung der Europäischen Kommission und bringt sie dies deutlich zum Ausdruck, kann der Ausschuss dieser Idee zustimmen (17).

4.7

Der derzeitige Ansatz für die Hafenentwicklung im Rahmen der transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-T) könnte überarbeitet werden, um eine stärkere europäische Unterstützung für wichtige Infrastrukturprojekte im Hinterland zu erwirken, die für die Häfen von Bedeutung sind. Projekte von gemeinsamem Interesse im Rahmen der TEN-T könnten in Bezug auf das EU-Umweltrecht als Projekte von zwingendem öffentlichem Interesse erachtet werden (18), da mit dem TEN-T-Status bereits Umweltüberlegungen berücksichtigt werden.

4.8

Die oben genannten Lösungen sollten jedoch weder auf eine zentralisierte Hafenplanung auf EU-Ebene abheben noch zu rigiden Hafenplanungsmaßnahmen seitens der Mitgliedstaaten führen. Sie sollten im Wesentlichen das „Bottom-up“-Konzept fördern, demzufolge Projektvorschläge von der Hafenbehörde gegebenenfalls gemeinsam mit den regionalen oder nationalen Behörden konzipiert und objektive Wirtschaftsfolgenabschätzungen berücksichtigt werden, die herkömmlichen methodischen Standards und den geltenden Rechtsvorschriften entsprechen.

5.   Schaffung eines klaren und transparenten Rahmens für die Finanzierung von Hafeninvestitionen

5.1

Angesichts des beträchtlichen Bedarfs an Investitionen in Seehäfen ist ein klarer finanzrechtlicher Rahmen auf EU-Ebene unerlässlich. Rechtssicherheit ist insbesondere hinsichtlich der Bedingungen für die Gewährung öffentlicher Mittel für Häfen notwendig, die keinerlei Wettbewerbsverzerrungen nach sich ziehen darf. Der wirksamste Weg hierfür, so sind sich alle Akteure einig, wären Leitlinien für staatliche Beihilfen.

5.2

Zweck dieser Leitlinien sollte die Klärung der im EG-Vertrag verankerten Bestimmungen über staatliche Beihilfen sein (namentlich Artikel 73, 86, 87 und 88), die für Häfen Anwendung finden. In diesen Leitlinien sollte angegeben werden, in welchen Fällen öffentliche Mittel als staatliche Beihilfen gelten und der Europäischen Kommission zur Prüfung mitgeteilt werden müssen. Entspricht die Beihilfe den Kriterien, die für Ausnahmen im EG-Vertrag festgelegt sind, kann die Europäische Kommission diese für vertragskonform erklären.

5.3

Allgemein wird anerkannt, dass die öffentliche Finanzierung von Folgeinvestitionen bzw. -aktivitäten nicht als Beihilfe anzusehen ist und dass die Mitgliedstaaten daher nicht verpflichtet sein sollten, der Europäischen Kommission derartige Finanzierungsmechanismen zur Kenntnis zu bringen:

a)

Bereitstellung und Betrieb (einschl. Instandhaltung) von Infrastruktur außerhalb der Hafenzone, die den Hafen mit land- oder seeseitigen Zugangswegen verbindet; Instandhaltung der seeseitigen Zugangswege einschl. Ausbaggern und Offenhaltung dieser Wege durch Eisbrecherdienste;

b)

Ausgleich für Tätigkeiten der Hafenbehörde, die nicht wirtschaftlicher Natur sind und normalerweise im Rahmen der Ausübung ihrer offiziellen Aufgaben als öffentliche Behörde innerhalb und außerhalb des Hafens in den Zuständigkeitsbereich der Hafenbehörde fallen.

5.4

Die Bereitstellung und der Betrieb der Hafeninfrastruktur sind allerdings eine weitaus komplexere Angelegenheit. Hier kann zwischen Zugangs- und Hafenanlageninfrastruktur einerseits und hafeninterner Infrastruktur andererseits unterschieden werden. Erstere kann als Infrastruktur definiert werden, die see- und landseitigen Zugang zur Hafenzone bietet, einschließlich den Zugang für den Seeverkehr und Hafenanlagen, die landseitige Anbindung an den öffentlichen Verkehr und die Infrastruktur für die in der Hafenzone erforderlichen Versorgungsleistungen. Hafeninterne Infrastrukturen sind alle Baulichkeiten in der Hafenzone, die die Bereitstellung von Dienstleistungen für Schiffe und Ladungen erleichtern.

5.5

Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob eine Hafeninfrastruktur von allgemeinem Interesse für den Hafen ist oder aber lediglich einem bestimmten Nutzer bzw. Betreiber vorbehalten bleibt. In den Leitlinien müsste eine praktikable Differenzierung vorgenommen werden.

5.6

Die Gewährung von Beihilfen für die Bereitstellung und den Betrieb von Hafensuprastrukturen, d.h. Flächennutzungsmaßnahmen, Gebäude sowie mobile und ortsfeste Ausrüstung für die Erbringung von Dienstleistungen, wird allgemein gutgeheißen. Die öffentliche Finanzierung in diesem Bereich wird allgemein als staatliche Beihilfe angesehen.

5.7

Geht man davon aus, dass eine klare Unterscheidung zwischen Investitionen und Aktivitäten möglich ist, ungeachtet dessen, ob diese im Rahmen der Vorschriften für staatliche Beihilfen von der öffentlichen Hand finanziert werden oder nicht, so erscheint es logisch, dem Grundsatz zu folgen, dass das Verwaltungsorgan des Hafens auch finanziell über völlige Autonomie verfügen sollte, um die nicht mit staatlichen Beihilfen finanzierbaren Investitions- und Betriebskosten von den Nutzern zurückzuholen.

5.8

Außerdem sollte die Transparenz-Richtlinie (19) so geändert werden, dass ihr Anwendungsbereich auf Häfen ausgedehnt wird. Auf diese Weise wären Hafenbehörden gezwungen, öffentliche Beihilfen in ihrer Rechnungsführung anzugeben und eine getrennte Buchhaltung zu führen, sollten sie sowohl öffentliche als auch herkömmliche wirtschaftliche Dienstleistungen anbieten. Letzteres ist aufgrund der Möglichkeit, öffentliche Mittel für den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen zu beantragen, von besonderer Bedeutung.

6.   Präzisierung der Verfahren für den Zugang zum Markt für Hafendienste

6.1

Aufgrund der Erfahrungen mit den beiden Legislativvorschlägen über den Zugang zum Markt für Hafendienste wäre es vielleicht sinnvoll, auf der Grundlage des geltenden EU-Rechtsrahmens Anleitungen zu geben und zu ermitteln, welche Instrumente für die Häfen von Nutzen sein könnten und wie diese angewandt werden sollten.

6.2

Für viele Häfen wären Leitlinien und Empfehlungen — im Gegensatz zu Rechtsakten — über die Nutzung von Auswahlverfahren wie Ausschreibungen und anderer akzeptabler Instrumente, die Bedingungen für die Konzessionsvergabe und Landmietkäufe usw. sehr zweckdienlich.

6.3

Derartige Leitlinien könnten auch zur Klarstellung des Rechtsstatus dieser Dienste (z.B. einige der Lotsendienste) beitragen, die als öffentlicher Dienst gelten und beispielsweise der Hafensicherheit insgesamt dienen.

7.   Beseitigung operationeller Engpässe, die die Hafeneffizienz beeinträchtigen

7.1

Neben den bereits erwähnten Strukturproblemen aufgrund mangelnder Infrastrukturkapazität werden oftmals auch Engpässe mehr operationeller Natur angesprochen, die die Hafeneffizienz ganz allgemein in folgenden Bereichen einschränken: a) Verwaltungsauflagen, Kontrollen und Überprüfungen und b) ineffizienter Hinterlandtransport.

7.2

So wird einhellig gefordert, dass die EU weitere Fortschritte bei der Modernisierung des Zollwesens (20) erzielen und sicherstellen sollte, dass ihre Maßnahmen in den Bereichen Zollwesen, Seeverkehrssicherheit, Gefahrenabwehr, Gesundheit und Umweltqualität angemessen koordiniert und auf einander abgestimmt sind bzw. den Häfen nicht übergebührlich Zuständigkeiten übertragen werden, die den Regierungen obliegen.

7.3

Das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Konzept eines „gemeinsamen Meeresraums der EU“ könnte dazu beitragen, dass der Kurzstreckenseeverkehr in Bezug auf Verwaltungs- und Zollverfahren der Binnenschifffahrt stärker gleichgestellt wird. Es sollte jedoch keinesfalls auf die Einführung neuer rechtlicher Beschränkungen für EU-Hoheitsgewässer abzielen, die dem Grundsatz der freien Schifffahrt und dem Recht auf friedliche Durchfahrt widersprechen oder mit denen Auflagen eingeführt werden, die nicht im Einklang mit internationalen Bestimmungen und Regelungen stehen. Die Idee, die EU zu Zoll-/Verwaltungszwecken als einen einheitlichen Raum anzusehen, kann nur begrüßt werden. Nach dem Verständnis des Ausschusses bezieht sich das Konzept eines „gemeinsamen Meeresraums der EU“ auf einen virtuellen Raum, in dem die Verwaltungs- und Zollformalitäten für innergemeinschaftliche Seeverkehrsdienste im Rahmen einer ähnlichen Regelung wie für den Straßen- und den Schienengütertransport im Binnenmarkt vereinfacht werden.

7.4

Außerdem sollte die Europäische Kommission sich stärker für die Beseitigung der verbleibenden Engpässe im Hinterland einsetzen, und zwar durch die Umsetzung des NAIADES-Programms für die Binnenschifffahrt und ihrer Eisenbahn-Maßnahmenpakete sowie durch ihre Maßnahmen zur Erhöhung der Straßenverkehrseffizienz. Im Übrigen sollten auch im Hinblick auf diese Verkehrsträger die Sozialvorschriften nicht vergessen oder vernachlässigt werden, wie dies etwa in jüngsten Kommissionsdokumenten zum Thema Binnenschifffahrt (Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch, NAIADES-Programm) leider der Fall ist.

8.   Förderung guter und sicherer Arbeitsbedingungen und -umstände sowie konstruktiver Arbeitsbeziehungen in Häfen

8.1

Der effiziente Hafenbetrieb hängt sowohl von der Zuverlässigkeit als auch der Sicherheit ab — Elemente, die trotz allen technologischen Fortschritts in großem Maße immer noch vom Faktor Mensch bestimmt werden. Dies erklärt den Bedarf an qualifizierten und gut ausgebildeten Arbeitskräften in den Häfen, und zwar für alle Dienste und Tätigkeiten sowohl an Land als auch an Bord. Dies ist eine Grundvoraussetzung unabhängig davon, ob die Häfen und Dienstleistungsbetriebe in öffentlicher oder privater Hand sind.

8.2

Die Sozialpartner müssen bei der Schaffung und Wahrung dieser Grundvoraussetzungen eine wichtige Rolle übernehmen. In ihrem Bemühen sollten sie auf europäischer Ebene von der Europäischen Kommission durch die Förderung des sozialen Dialogs unterstützt werden.

8.3

Die europäischen Häfen tragen die Verantwortung für die Gewährleistung eines hohen Maßes an Zuverlässigkeit und Sicherheit. Die EU kann dies durch die Bereitstellung der angemessenen (finanziellen) Mittel für Aus- und Weiterbildungsprogramme und die Durchsetzung der geltenden Sicherheitsvorschriften fördern. Außerdem kann sie in ähnlicher Weise wie für die Seefahrt Anreize für junge Menschen schaffen, um eine Berufslaufbahn im Hafensektor einzuschlagen. Dies wirkt sich auch auf die Arbeit in Häfen aus. Eine hochwertige nautische Ausbildung kann dazu beitragen, dass auch in Zukunft ein ausreichendes Angebot an qualifizierten Lotsen, Hafenmeistern und sonstigen Hafenmitarbeitern zur Verfügung steht.

8.4

Konstruktive Arbeitsbeziehungen sind für eine gute Hafenpolitik von ausschlaggebender Bedeutung. In enger Zusammenarbeit mit den Regierungen der Mitgliedstaaten sollte die Europäische Kommission auch hierfür günstige Rahmenbedingungen schaffen.

8.4.1

Im Hinblick darauf sollte sich die Europäische Kommission zunächst darüber aussprechen, ob die Übereinkommen Nr. 137 und 152 der IAO über die Hafenarbeit mit den Grundsätzen der europäischen Verträge und dem Acquis Communautaire im Einklang stehen, bevor sie die Mitgliedstaaten dazu anregt, diese beiden Übereinkommen zu ratifizieren.

8.5

Zur Umsetzung optimaler Arbeitsbedingungen in Häfen und zur Schaffung eines positiven sozialen Klimas im Allgemeinen ist ein angemessener sozialer Dialog unerlässlich. Ein derartiger Dialog wird in den meisten europäischen Häfen bereits geführt und sollte überall dort eingeführt werden, wo dies noch nicht der Fall ist. Sofern sich die einschlägigen repräsentativen Organisationen der europäischen Interessenträger auf Themen von gemeinsamem Interesse einigen können, könnte dieser Dialog durchaus auch einen zusätzlichen Nutzen auf europäischer Ebene bringen.

9.   Förderung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit und Wiederherstellung einer positiven Wahrnehmung der Häfen

9.1

Wegen der grundlegenden Bedeutung des Hafensektors für Europa hat die Europäische Union die Pflicht, die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit und ein positives Image dieses Sektors in der Öffentlichkeit zu fördern, vor allem durch ein Angehen der vorstehend genannten Fragenkomplexe, aber auch durch spezifische Maßnahmen, die in der Folge aufgelistet werden.

9.2

Die EU sollte im Rahmen ihrer Außenpolitik Fällen von unlauterem Wettbewerb seitens Häfen in benachbarten Drittländern besondere Aufmerksamkeit widmen. Dies gilt insbesondere für die Häfen in der Ostsee, im Schwarzen Meer und im Mittelmeer.

9.3

Die EU sollte außerdem die positive Wahrnehmung der Seehäfen bei den Unionsbürgern wiederherstellen, indem der Mehrwert der Häfen für den Handel, den Wohlstand, den Zusammenhalt und die Kultur der EU in den Vordergrund gerückt werden, wodurch eine positive Einstellung der Öffentlichkeit zu den Häfen herbeigeführt werden kann.

9.4

Und schließlich kann die EU die Zusammenarbeit, den Austausch bewährter Verfahren und Innovationen zwischen Häfen durch die Förderung pragmatischer, praktischer und industrieorientierter Forschungsprojekte voranbringen.

Brüssel, den 26. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Folgende Organisationen wurden zu diesen Anhörungen eingeladen:

Verbindungsausschuss europäischer Spediteure (Comité de Liaison Européen des Commissionnaires et Auxiliaires de Transport, CLECAT), Verband der Reeder der Europäischen Union (European Community Shipowners' Association, ECSA), Europäische Vereinigung der Schiffsmakler und Schiffsagenten (European Community Association of Ship Brokers and Agents, ECASBA), Europäischer Dachverband der Verlader (European Shippers' Council, ESC), Verband der Europäischen Industrie- und Handelskammern (EUROCHAMBRES), Verband der europäischen Seelotsen (European Maritime Pilots' Association, EMPA), Europäischer Verband der Seeleute (European Boatmen's Association, EBA), Europäischer Verband der Schlepp- und Bergungsreedereien (European Tugowners Association, ETA), Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF), Internationaler Hafenarbeiterrat (International Dockers' Council, IDC), Organisation Europäischer Seehäfen (European Sea Ports Organisation, ESPO), Europäischer Verband der Binnenhäfen (EVB), Verband europäischer privatwirtschaftlicher Hafenbetreiber (Federation of European Private Port Operators, FEPORT), Zusammenschluss der europäischen Hafenmeister (European Harbours Masters' Committee, EHMC), Vereinigung europäischer Tanklagerverbände (Federation of European Tank Storage Associations, FETSA), EUROGATE GmbH & Co. KGaA, KG und Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e.V. (ZDS).

(2)  Siehe die beiden einschlägigen EWSA-Stellungnahmen: Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Marktzugang für Hafendienste“, ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 122-129, und Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zum Markt für Hafendienste“ (KOM(2004) 654 endg. — 2004/0240 (COD)), ABl. C 294 vom 25.11.2005, S. 25-32.

Siehe ferner die EWSA-Stellungnahme zu der„Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Ausbildung und Einstellung von Seeleuten“, ABl. C 80 vom 3.4.2002, S. 9-14, und die EWSA-Stellungnahme zum Thema „Die Erreichbarkeit Europas auf dem Seeweg: Entwicklung und vorausschauende Weichenstellungen“, ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 141-146.

(3)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Für ein mobiles EuropaNachhaltige Mobilität für unseren Kontinent Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission von 2001 (KOM(2006) 314 endg.).

(4)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Güterverkehrslogistik in Europader Schlüssel zur nachhaltigen Mobilität (KOM(2006) 336 endg.).

(5)  Unverbindliches Recht (soft law) bezieht sich auf Verhaltensregeln, die in Instrumenten festgelegt wurden, die zwar nicht rechtlich bindend sind, aber gewisse indirekte rechtliche Auswirkungen haben und auf den praktischen Nutzen abzielen. Beispiele sind Mitteilungen, Richtlinien und Verhaltenskodizes zu Auslegungsfragen.

(6)  Für einen umfassenden Überblick über Marktentwicklungen und Herausforderungen siehe ESPO and ITMMA: „Factual Report on the European Port Sector“, 2004.

(7)  Für eine aktuelle Analyse siehe Ocean Shipping Consultants: „The European and Mediterranean Containerport Markets to 2015“, 2006.

(8)  Siehe die EWSA-Stellungnahme zum Thema „Die Erreichbarkeit Europas auf dem Seeweg: Entwicklung und vorausschauende Weichenstellungen“, ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 141-146.

(9)  Dies gilt insbesondere für den Containerfrachtverkehr, in dem bereits im Jahr 2002 70 % des Marktes von den sechs wichtigsten Betreibern kontrolliert wurden (siehe ESPO and ITMMA: „Factual Report on the European Port Sector“, 2004, S. 38), doch ist dieses Phänomen auch in anderen Märkten wie dem Schüttgüter- und dem allgemeinen Frachtverkehr zu verzeichnen.

(10)  Für Details siehe die EWSA-Stellungnahme (TEN/262) zu der Mitteilung der Europäischen Kommission „Güterverkehrslogistik in EuropaDer Schlüssel zur nachhaltigen Mobilität“ (KOM(2006) 336 endg.).

(11)  Für einen Überblick siehe „ESPO Environmental Survey 2004Review of European Performance in Port Environmental Management“.

(12)  So lassen beispielsweise die Vogelschutz- und die Habitat-Richtlinie unterschiedliche Auslegungen in Bezug auf angemessene Prüfungen, bereits bestehende Übereinkommen, die Prüfung von Alternativen, die „zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ oder Entschädigungsanforderungen zu.

(13)  Das von der Europäischen Kommission unterstützte Vorhaben ECOPORTS lief bis 2005 und diente dazu, Hafenbehörden zur Selbstregulierung in Umweltfragen zu ermutigen. Diese Arbeit wird nunmehr von der ECOPORTS-Stiftung fortgeführt (http://www.ecoports.com).

(14)  E. Van Hoydonk: „MTCP Report on the impact of EU environmental law on waterways and ports“, 2006.

(15)  Grünbuch der Kommission „Auf dem Weg zu einer künftigen Seeverkehrspolitik der Europäischen UnionEine europäische Vision für Ozeane und Meere“ (KOM(2006) 275 endg.).

(16)  Laut dem Grünbuch ist die maritime Raumplanung von grundlegender Bedeutung, um die Anfälligkeit der Meeres- und Küstengebiete zu verringern. Ein umfassendes Raumplanungssystem könnte zur Stärkung eines stabilen rechtlichen Umfelds für Sektoren beitragen, in denen hohe Investitionen erforderlich sind, die den Standort der Wirtschaftstätigkeit betreffen. Die Koordinierung aller maritimer Tätigkeiten durch innovative Raumplanungssysteme könnte eine wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung der Küstenregionen sicherstellen.

(17)  Siehe die EWSA-Stellungnahme (TEN/255) zu der „Mitteilung der KommissionDie künftige Meerespolitik der Europäischen Union: eine europäische Vision für Ozeane und Meere“ (KOM(2006) 275 endg. — ABl. C 93 vom 27.04.2007).

(18)  Dies wird in der oben genannten MTCP-Studie vorgeschlagen.

(19)  Richtlinie 1980/723/EG, geändert durch die Richtlinie 2000/52/EG.

(20)  Derzeit liegen mehrere Vorschläge zur Modernisierung des Zollwesens vor, darunter zwei Legislativvorschläge zur Überarbeitung des Zollkodex und zum Aktionsplan „Zoll 2013“

(siehe http://ec.europa.eu/taxation_customs/customs/policy_issues/customs_strategy/index_de.htm).


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/63


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Güterverkehrslogistik in Europa — der Schlüssel zur nachhaltigen Mobilität“

KOM(2006) 336 endg.

(2007/C 168/13)

Die Europäische Kommission beschloss am 28. Juni 2006 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatter war Herr BARBADILLO LÓPEZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 26. April) mit 150 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu erhalten und auszubauen, ist ein effizienter Verkehrssektor unerlässlich. Der Güterverkehr wird als Motor des Handelsaustauschs und des Wohlstands angesehen. Deshalb ist eine moderne Bewirtschaftung der komplexen Verkehrsflüsse erforderlich, um eine hohe Effektivität und enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern zu erzielen.

1.2

Die Logistik spielt für die Gewährleistung einer umweltverträglichen Mobilität eine zentrale Rolle; sie trägt zum Umweltschutz und zu verbesserter Energieeffizienz bei, indem sie den Güterverkehr effizienter, effektiver und wettbewerbsfähiger gestaltet. Die Logistik ist nicht als ein Faktor zu betrachten, der die Beförderungskette kontrolliert und beeinflusst, sondern die Anwendung fortschrittlicher logistischer Lösungen gestattet eine effektive Planung, Leitung, Überwachung und Ausführung von uni- und multimodalen Verkehrsströmen.

1.3

Die Infrastrukturen bilden das erforderliche materielle Netz für die Entwicklung des Verkehrsbinnenmarktes, dessen Optimierung auf zwei Herausforderungen antworten muss: Verringerung der Verkehrsüberlastung und Erhöhung der Zugänglichkeit durch die Ausschöpfung aller Finanzierungsmöglichkeiten. Eine effiziente und rationelle Nutzung der Infrastrukturen ist die Garantie für die Verwirklichung einer umweltverträglichen Mobilität. Aber jede Maßnahme zur rationellen Infrastrukturnutzung muss auch logistische Vorkehrungen für die Personenbeförderung einschließen. Denn der Schlüssel für eine umweltverträgliche Mobilität liegt nicht allein beim Güterverkehr.

1.4

Sowohl die Anbieter als auch ihre Kunden verwenden logistische Instrumente zur Optimierung des Transportwesens, um den Handelsaustausch effizienter und effektiver zu gestalten und die Leergutfahrten zu minimieren.

1.5

Die Verkehrslogistik erfordert kompetente und gut ausgebildete Mitarbeiter und Führungskräfte, die ihr Handwerk gelernt haben und die Sicherheits- und Gesundheitsvorschriften kennen und einhalten können; deshalb sind im Fach Logistik unter Mitwirkung der Sozialpartner Pläne für die Grundausbildung und Fortbildung zu entwickeln.

1.6

Der Verkehrssektor ist ein großer Verbraucher von Energie aus fossilen Brennstoffen. Daher müssen die Verringerung der Abhängigkeit von diesen Brennstoffen ebenso wie der Abbau der CO2-Emissionen vorrangige Ziele sein. Zur Verwirklichung dieser Ziele ist unbedingt ein Programm „Forschung & Entwicklung & Innovation“ für den Verkehrssektor auszuarbeiten und dafür eine entsprechende Mittelausstattung vorzusehen, um den Einsatz alternativer Energieträger zu optimieren und eine vor allem in steuerlicher Hinsicht differenzierende Politik auf den Weg zu bringen, die die Eingliederung und Nutzung neuer umweltfreundlicher Technologien begünstigt.

1.7

Die Logistik muss als eine Wirtschaftstätigkeit angesehen werden, die vom Verkehrssektor selbst ausgeübt wird, während den Behörden die Rolle zukommt, angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Handelsströme effizienter, effektiver und wettbewerbsfähiger fließen können.

1.8

Wie beim Kurzstreckenseeverkehr, wo die Mitwirkung des Sektors bei der Ermittlung der Probleme und der entsprechenden Lösungen ein großer Erfolg war, muss diese Praxis auch auf die anderen Verkehrsträger ausgedehnt werden, um vergleichbare Erfolge zu erzielen.

1.9

Die neuen Technologien, insbesondere das Satellitennavigationssystem Galileo, das künftige Anwendungen für die Ortung und Verfolgung von Ladungen bieten wird, tragen erheblich zur Entwicklung einer modernen, effizienten und effektiven Logistik bei. Aber die technologischen Entwicklungen dürfen nicht zu Handelshemmnissen werden, sondern müssen in der gesamten Union interoperabel und für die KMU zugänglich sein. Das Programm „Forschung & Entwicklung & Innovation“ muss im siebten Rahmenprogramm ein Schwerpunkt werden, da technologische Innovationen neue Perspektiven für den Sektor eröffnen können.

1.10

Statistiken zur Verkehrslogistik müssen gründlich die Gesamtheit der Verkehrsträger und ihrer Aktivitäten berücksichtigen, wenn sie eine zuverlässige Sicht über deren Entwicklung und Situation vermitteln sollen.

1.11

Vor der Schaffung eines auf den Güterverkehr fokussierten Verkehrsnetzes müssen die Probleme gelöst werden, die sich aus der Interoperabilität des Eisenbahnverkehrs ergeben; dessen Managementsysteme müssen verbessert werden, um seine Effizienz, Effektivität und Wettbewerbsfähigkeit mit den übrigen Verkehrsträgern zu erhöhen.

1.12

Die Einführung von Qualitätsparametern und der „Verwaltung aus einer Hand“ sind Elemente, die zur Entwicklung der Verkehrslogistik in der EU beitragen werden, denn einerseits wird die Messung der Qualität auf europäischer Ebene eine gewisse Einheitlichkeit bei der Bewertung der Effizienz der Logistik gestatten, und andererseits die Verwirklichung von koordinierten und einheitlichen Verwaltungsabläufen die Zollformalitäten beschleunigen.

1.13

Sollen die gesteckten Ziele erreicht werden, ist die Mitwirkung der Vertreter der verschiedenen Verkehrsträger an der Ausarbeitung des künftigen Aktionsplans der Kommission unerlässlich.

2.   Einleitung

2.1

Die Logistik spielt für die Gewährleistung einer umweltfreundlichen Mobilität eine zentrale Rolle; darüber hinaus trägt sie zum Umweltschutz und zu verbesserter Energieeffizienz bei, indem sie den Güterverkehr effizienter und effektiver gestaltet.

2.2

In ihrer Halbzeitbilanz zum Weißbuch von 2001 räumt die Europäische Kommission implizit die Bedeutung des Güterverkehrs als treibende Kraft für den Handelsaustausch und den wirtschaftlichen Wohlstand in der EU ein.

2.3

Die seit der Veröffentlichung des Weißbuchs im Jahre 2001 bis zur Halbzeitbilanz im Sommer 2006 gesammelten Erfahrungen haben gezeigt, dass vom Straßenverkehr nicht abgesehen werden kann und dass sämtliche Versuche, die Verkehrsströme auf andere Verkehrsträger umzulenken, sehr wenig Erfolg hatten.

2.4

Die sozio-ökonomische Entwicklung der Union hängt großenteils vom freien Personen- und Güterverkehr — unter Berücksichtigung des Umweltschutzes — ab. Von Entwicklung kann nicht gesprochen werden, wenn nicht auch die Notwendigkeit der Schaffung und Erhaltung der Infrastrukturnetze gemäß den wachsenden Bedürfnissen der EU in Betracht gezogen wird.

2.5

Eine umweltverträgliche Mobilität wird insbesondere durch eine rationale und effiziente Nutzung der Verkehrsnetze sowohl für den Personen- als auch den Güterverkehr gewährleistet.

2.6

Der Güterverkehr spielt für die Gewährleistung einer umweltverträglichen Mobilität eine unerlässliche Rolle. Die rasche Zunahme des Güterverkehrs trägt zweifellos zur Entwicklung der Wirtschaft und der Beschäftigung bei; aber es ist nicht ausgemacht, dass der Güterverkehr an sich genommen zu mehr Staus, Unfällen, Lärm, Verschmutzung und größerer Abhängigkeit von eingeführten fossilen Brennstoffen sowie zu Energieverlusten führt.

2.7

Deshalb muss jede Maßnahme zur Rationalisierung der Nutzung der Infrastrukturen auch logistische Vorkehrungen für die Nutzung des privaten Personenverkehrs umfassen, indem günstige Bedingungen für die Inanspruchnahme der öffentlichen Verkehrsmittel geschaffen werden. Der Schlüssel zur umweltverträglichen Mobilität liegt nicht allein beim Güterverkehr.

2.8

Andererseits steht fest, dass die Gesellschaft nicht aus Lust und Laune die Beförderung auf der Straße nachfragt, sondern weil es sich dabei bislang um den schnellsten, flexibelsten und effizientesten Verkehrsträger handelt — trotz des Versuchs, Beförderungen auf den Schienenweg und den Seeweg zu verlagern; dessen Ergebnisse waren — außer beim Kurzstreckenseeverkehr und in der Binnenschifffahrt — nicht nur dürftig, sondern geradezu nachteilig.

2.9

Es wäre abwegig, zu glauben, dass sowohl die Anbieter an Verkehrsleistungen als auch die Kunden nicht bereits die logistischen Instrumente zur Optimierung der notwendigen Verkehrsträger und -mittel einsetzen würden, um die Effizienz und Effektivität ihrer Transaktionen zu verbessern. Aber fortschrittliche logistische Lösungen werden die Effizienz der verschiedenen Verkehrsträger und ihrer Kombinationen weiter erhöhen.

2.10

Mittel- und langfristig werden einige Verkehrsträger weitaus operativer und wettbewerbsfähiger werden müssen, wenn eine Politik der Kombination der Verkehrsträger gewünscht wird, die sich spontan und aus Überzeugung derjenigen ergibt, die Verkehrsleistungen nachfragen. Die Ineffizienz bestimmter Verkehrsträger muss behoben werden, damit eine größere Wettbewerbsfähigkeit und bessere Verteilung auf alle Verkehrsträger erzielt werden kann.

2.11

Die Transportunternehmen optimieren so weit wie möglich ihre Kilometerlaufleistungen mit Fracht, und halten die Leerfahrten auf dem für die tägliche Arbeit unerlässlichen Minimum.

2.12

Das Ungleichgewicht beim Angebot an Fracht zwischen Ursprungs- und Zielort der Güter wird stets ein schwieriges Problem bleiben, selbst wenn fortschrittliche logistische Lösungen zum Zuge kommen, da jederzeit ein Ungleichgewicht zwischen dem Eingang und dem Abgang von Fracht bestehen wird, unabhängig davon, welche Verkehrsträger benutzt werden. Kein Träger ist davon befreit, Fracht für die Heimfahrt zu suchen.

2.13

Bezüglich der Verwendung der umweltverträglichsten Verkehrsträger — entsprechend dem Aktionsplan der Kommission für Energieeffizienz (1) -, muss darauf hingewiesen werden, dass die Studien der Kommission zum Thema Verkehr und Umwelt in Bezug auf den Straßenverkehr nicht nach öffentlichen und privaten Verkehrsträgern aufgeschlüsselt sind, was die negativen Folgen der intensiven und unbegrenzten Nutzung der Pkw u.a. auf das Verkehrsaufkommen, die Umweltverschmutzung und den Energieverbrauch zeigen würde.

2.14

Die Einbeziehung der Logistik in die Verkehrspolitik ist keine neue Praxis. Der große Fortschritt bei den logistischen Maßnahmen wurde zum großen Teil durch die Anpassung der traditionellen Transportunternehmen an die Erfordernisse des Marktes begünstigt. Die großen logistischen Fortschritte resultieren in erster Linie aus der Anpassungsfähigkeit und Flexibilität der Transportunternehmen, die Auslagerungen aus anderen produktiven Bereichen auffangen.

2.15

Die Kunden und die Transportunternehmen sind die ersten, die Logistik-gestützte Maßnahmen ergreifen. Nicht die Logistik ist als der Faktor zu betrachten, der die Verkehrsströme kontrolliert und beeinflusst, sondern es sind die Unternehmen, die bei ihren Entscheidungen und Handlungen im Rahmen ihrer Wirtschaftstätigkeiten logistische Maßnahmen ergreifen.

2.16

Häufig besteht die Neigung, den Wert der Logistik durch enorme Umsatzzahlen aufzubauschen, als sei sie eine eigenständige Tätigkeit, ohne zu berücksichtigen, dass sich der wichtigste Teil dieser Rechnung auf die Beförderung und die flankierenden Maßnahmen bezieht, denn sie sind der Bereich, in den Festkapital investiert wird, der die Fixkosten bindet und in dem die Güter transportiert werden.

2.17

Die Kommission und das Parlament können zur Entwicklung der Logistik des Güterverkehrs in Europa einen Mehrwert beitragen, wenn es ihnen gelingt, einen operativen Rahmen ohne Reibungen zwischen den Verkehrsträger zu schaffen. Sie müssen günstige Voraussetzungen für deren wechselseitige Annäherung schaffen, ohne Maßnahmen, die gegen irgendeinen Verkehrsträger gerichtet sind.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Wie bei anderen Gelegenheiten bereits zum Ausdruck kam, ist ein Schlüsselausdruck der Halbzeitbilanz zum Weißbuch die Co-Modalität, das heißt, die effiziente Nutzung der verschiedenen Verkehrsträger, sei es unabhängig voneinander oder in Kombination miteinander, die sich als die beste Garantie dafür darstellt, dass sich gleichzeitig sowohl ein hoher Mobilitätsgrad als auch ein guter Umweltschutz ergibt.

3.2

Der EWSA nimmt mit Interesse zur Kenntnis, dass in der Mitteilung darauf hingewiesen wird, dass eine optimale Komplementarität der verschiedenen Verkehrsträger im Rahmen eines wirksamen und kohärenten europäischen Verkehrssystems erzielt werden müsse, die den Nutzern die bestmöglichen Beförderungsdienste biete. Doch wäre es in Anbetracht der gegenwärtigen Produktionssysteme übereilt, zu behaupten, dass es — außer auf bestimmten Strecken — bereits heute wettbewerbsfähige Alternativen zum Straßengüterverkehr gebe.

3.3

Der EWSA hält es auch für sinnvoll, dass die Entwicklung der Logistik des Güterverkehrs in erster Linie eine Wirtschaftstätigkeit und Aufgabe ist, die vom Sektor selbst erledigt wird, während den Behörden die Rolle zukommt, angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen, aber die Funktionsweise der Logistik der Handelsströme den Unternehmen zu überlassen.

3.4

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Einführung der logistischen Dimension in die Verkehrspolitik unter angemessener Berücksichtigung der verschiedenen Verkehrsträger erfolgen muss, das heißt, dass die logistischen Überlegungen als ein Informationsfaktor für die politische Entscheidungsfindung zu betrachten sind.

3.5

Eine passende Komplementarität der Verkehrsträger und die Anwendung fortschrittlicher logistischer Lösungen erlauben eine effektive Planung, Leitung, Überwachung und Durchführung der unimodalen und multimodalen Beförderungsketten.

3.6

Die Kommission muss stärkeren Nachdruck darauf legen, dass die Effizienz und Wirksamkeit der einzelnen Verkehrsträger optimiert wird. Es ist also erforderlich, sowohl den Seeverkehr als auch den Schienenverkehr mithilfe des Wettbewerbs, wenn nicht gar der Deregulierung, leistungsfähiger zu machen, anstatt andere Verkehrsträger zu benachteiligen. Der Straßenverkehr ist als unersetzlicher Partner der übrigen Verkehrsträger anzusehen; seine Koordination und Intermodalität muss verbessert und Gegenstand notwendiger Maßnahmen werden, damit er seine Dienste mit der angemessenen Flexibilität und zu günstigen Preisen anbieten kann.

3.7

Die Politik muss auf die Sicherheit, Umweltfreundlichkeit, Effizienz und Effektivität der Verkehrsmittel setzen und den Nutzern die Freiheit der Wahl des Verkehrsträgers je nach seinen Bedürfnissen gewähren.

3.8

Wie es in der Mitteilung heißt, können in den vergangenen Jahren bestimmte interessante Tendenzen festgestellt werden, wie etwa die Auslagerung (Out-Sourcing) logistischer Tätigkeiten, und dass diese Zusammenarbeit zwischen Verladern und Auftragnehmern mit einem hohen Grad an Integration der Organisationsstrukturen und der Informatik einhergeht.

4.   Maßnahmenbereiche

4.1   Ermittlung von Problemen und Lösungen

4.1.1

Nach Auffassung des EWSA müssen an der Ermittlung von Problemen und Lösungen — neben dem Austausch von Kenntnissen und Erfahrungen, der Verbreitung vorbildlicher Verfahren und der Entwicklung politischer Maßnahmen — alle betroffenen Akteure beteiligt werden.

4.1.2

Während beim Kurzstreckenseeverkehr die Ermittlung der Probleme und der entsprechenden Lösungen ein großer Erfolg war, ergibt sich derzeit nach Aussage der Mitteilung kein umfassendes Bild von den konkreten Hindernissen, die einer rascheren Entwicklung der Güterverkehrslogistik in Europa entgegenstehen.

4.1.3

Aber es sind eine Reihe von Aspekten bekannt, die den Straßengüterverkehr unmittelbar beeinträchtigen und seinen operativen Spielraum begrenzen — auch durch eine fehlende Harmonisierung der Rechtsvorschriften bei Fragen, die für die Schaffung eines fairen Wettbewerbsmarkts in einer erweiterten Union wichtig wären.

4.2   Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT)

4.2.1

Intelligente Transportsysteme tragen zu einer effizienteren und rationelleren Nutzung der Infrastrukturen bei und folglich zu einer Verringerung der Unfallhäufigkeit und des Verkehrsaufkommens und zu einer Verbesserung des Umweltschutzes.

4.2.2

Das europäische Satellitennavigationssystem GALILEO, das ab 2010 in Betrieb geht, wird künftige Anwendungen für alle Verkehrsträger bieten, wie etwa die Ortung und Verfolgung von Ladungen, die Initiative „intelligente Fahrzeuge“ (2) zur Förderung neuer Kraftfahrzeugtechnologien, das Programm SESAR, das zu einem besseren Flugverkehrsmanagement im einheitlichen europäischen Luftraum beitragen wird, oder das System ERMTS, durch das die Interoperabilität zwischen den einzelstaatlichen Schienennetzen verbessert werden soll; sie alle werden positive Auswirkungen auf die Logistik haben.

4.2.3

Es erscheint sinnvoll, zur Sicherstellung der Integrität des Binnenmarktes technologische Lösungen nicht zu Handelshemmnissen werden zu lassen, sondern sie in der ganzen EU nach interoperablen Standards zu entwickeln. Um die Effizienz der Logistik zu steigern, sind gemeinsame, von Herstellern und Betreibern allgemein anerkannte Normen und Synergien zwischen den Systemen unerlässlich.

4.2.4

Es sind die Anlaufkosten sowohl für die Technik als auch die Software abzuwägen, die auf die KMU entfallen, und die für deren volle Beteiligung am Markt kein Hemmnis darstellen dürfen.

4.2.5

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Logistik des Güterverkehrs im 7. Rahmenprogramm weiterhin ein Forschungsschwerpunkt bleiben muss, da technologische Innovationen neue Perspektiven für den Sektor eröffnen können.

4.3   Logistische Ausbildung

4.3.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die Aus- und Fortbildung nicht auf die Verkehrslogistik beschränken darf, sondern dass die Bereiche Verkehr und Logistik als unterschiedliche und sich ergänzende Lehrstoffe behandelt werden müssen.

4.3.2

Es wäre angebracht, sich um eine eindeutige Festlegung der Fächer im Bereich der Logistik zu bemühen, da es diesbezüglich bislang keine statistischen Daten oder eindeutigen Begriffsbestimmungen gibt. Hierbei spielen die Sozialpartner eine wichtige Rolle, denn sie können den entsprechenden Bildungsrahmen aufstellen.

4.4   Statistische Daten

4.4.1

Für den EWSA ist klar, dass man sich nicht mit einer begrenzten statistischen Sichtweise der Logistik zufrieden geben darf, sondern sich auch gründlich mit den Aktivitäten der verschiedenen Verkehrsträger und den beigeordneten Funktionen beschäftigen muss.

4.4.2

Es ist sicher von Bedeutung, ein zuverlässiges Bild der Lage und Weiterentwicklung der Logistik zu erhalten, aber darüber darf der Anteil der Beförderung und der Lagerhaltung nicht vergessen werden. Im Statistischen Programm der Gemeinschaft 2008 bis 2012  (3) heißt es, dass in den Statistiken der EU ein Aspekt verbessert werden müsse, nämlich die Aufschlüsselung nach Verkehrsträgern, insbesondere beim Straßenverkehr.

4.5   Nutzung der Infrastruktur

4.5.1

Die Qualität der Infrastrukturen ist für die Logistik des Güterverkehrs von grundlegender Bedeutung.

4.5.2

Nach Auffassung des EWSA hängt die sozioökonomische Entwicklung in großem Maße von der Freizügigkeit von Personen und Gütern ab.

4.5.3

Die transeuropäischen Verkehrsnetze sind für die Entwicklung des Verkehrsbinnenmarktes unerlässlich, aber ihre Ausgangslage ist nicht in sämtlichen Mitgliedstaaten der Union dieselbe. Das heißt unter anderem, dass nicht alle transeuropäischen Verkehrsnetze überlastet sind. Die Probleme sind also unterschiedlicher Art.

4.5.4

Der EWSA stimmt darin überein, dass co-modale Logistikketten in bestimmten Korridoren den Verkehr flüssig halten, so dass die Nutzung der Infrastrukturen der verschiedenen unimodalen oder multimodalen Verkehrsträger optimiert wird.

4.5.5

Der EWSA hält es für ratsam, die Problematik bestimmter Regionen in Randlage und Gebiete in äußerster Randlage zu berücksichtigen. Um auch sie angemessen zu versorgen, ist es unerlässlich, Fristen zu beschleunigen und die von der EU für die Errichtung der transeuropäischen Netze veranschlagten Mittel aufzustocken; besondere Bedeutung hat dabei die Durchlässigkeit der Pyrenäen und der Alpen. Mit einer insgesamt verbesserten Zugänglichkeit bestünden durch den damit verbundenen Zuwachs an Wettbewerbsfähigkeit größere Chancen für die Regionalentwicklung.

4.5.6

Neben einer Aufstockung der Haushaltsmittel muss die Europäische Union für den Bau und die Bewirtschaftung der Infrastrukturen die Einrichtung eines gemischten Finanzierungssystems unterstützen, das Rechtssicherheit und rechtliche Garantien für die Beteiligung privaten Kapitals unter der Bedingung bietet, dass die Gebührenpolitik den Interessen aller Beteiligten entgegen kommt.

4.5.7

Wenn sich aus dem Fehlen angemessener Infrastrukturen oder ihrer falschen Nutzung Probleme ergeben, sind Gegenmaßnahmen zu treffen.

4.6   Dienstqualität

4.6.1   Anerkennung von Qualität

4.6.1.1

Die Einführung von Referenzgrößen für die Logistik des Güterverkehrs zur Bewertung und Kontrolle der Dienstqualität auf europäischer Ebene kann für den Sektor interessant sein, solange es sich um ein Instrument des Vergleichs handelt, das sowohl von Unternehmen als auch Kunden genutzt werden kann.

4.6.1.2

Die Festlegung einer Reihe von europäischen Referenzgrößen würde eine gewisse Einheitlichkeit bei der Bewertung der Effizienz der Logistik herstellen.

4.6.1.3

Aber der EWSA ist der Meinung, dass die Schaffung neuer Qualitätskennzeichen für den Sektor keinen administrativen Mehraufwand und keine unnötigen Kosten mit sich bringen darf.

4.6.2   Ein Netz für den Schienengüterverkehr

4.6.2.1

Der EWSA schließt sich der Auffassung an, dass die Schaffung eines am Güterverkehr orientierten Bahnnetzes, das die Nutzung spezieller Güterverkehrskorridore ermöglicht, an sich betrachtet zwar eine Verbesserung, aber keine Lösung für die Probleme der mangelnden Effizienz und Zuverlässigkeit ist, die u.a. aus der zu geringen technischen und administrativen Interoperabilität resultieren.

4.7   Förderung und Vereinfachung multimodaler Ketten

4.7.1   „Verwaltung aus einer Hand“ und „Gemeinsamer europäischer Seeverkehrsraum“

4.7.1.1

Der EWSA unterstützt die Schaffung einer einzigen Anlaufstelle („Verwaltung aus einer Hand“) für den logistischen Fluss, insbesondere multimodaler Art, bei der die Abwicklung aller Zoll- und sonstigen Formalitäten in koordinierter Form erfolgt.

4.7.2   Förderung des multimodalen Verkehrs

4.7.2.1

Der EWSA befürwortet den Ausbau des Netzes von Förderstellen für den Kurzstreckenseeverkehr in der Art, dass auch die Förderung multimodaler logistischer Lösungen in Landverkehrsketten davon erfasst wird.

4.7.3   Die Haftungsfrage im multimodalen Verkehr

4.7.3.1

Der EWSA begrüßt es, dass die Kommission unabhängig von der Lösung, die für die Haftungsfrage in Europa gefunden wird, untersuchen will, welchen Mehrwert die Standardisierung eines Beförderungsdokuments für multimodale Verkehrsdienste erbrächte.

4.8   Verladenormen

4.8.1

Die Initiative der Kommission, gemeinsame europäische Normen für intermodale Ladeeinheiten im innergemeinschaftlichen Verkehr vorzuschlagen (4), ist eine Maßnahme, um die derzeitige Situation bezüglich der Gewichte und Maße der Frachteinheiten zu harmonisieren, aber zu diesem Zweck müssen die derzeitigen Merkmale der Verkehrsnetze berücksichtigt und die Möglichkeit geprüft werden, jene Maße ohne Verschlechterung der Sicherheit zu verwenden.

5.   Ausblick

5.1

Für den Aktionsplan für die Güterverkehrslogistik, der im Jahr 2007 verabschiedet werden soll, sind — vor etwaigen regulierenden Maßnahmen der Kommission — die verschiedenen Vorschläge zu erwägen, die aus den beteiligten Sektoren der unterschiedlichen Verkehrsträger kommen.

Brüssel, den 26. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Mitteilung der Kommission, Aktionsplan für Energieeffizienz: Das Potenzial ausschöpfen. KOM(2006) 545 endg.

(2)  Mitteilung über die Initiative „Intelligentes Fahrzeug“: „Sensibilisierung für die Bedeutung der IKT für intelligentere, sicherere und sauberere Fahrzeuge“ — KOM(2006) 59 endg.

(3)  Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Statistische Programm der Gemeinschaft 2008 bis 2012. KOM(2006) 687 endg.

(4)  KOM(2003) 155 endg., geändert durch KOM(2004) 361 endg.


ANLAGE

Die folgende Textstelle der Fachgruppenstellungnahme wurde zugunsten eines im Plenum angenommenen Änderungsantrags abgelehnt, hatte jedoch mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt:

Ziffer 4.5.8

„4.5.8

Der EWSA schlägt vor, die von einzelstaatlichen Behörden verfügten zeitlichen Fahrbeschränkungen durch von der Union koordinierte Beschränkungen zu ersetzen; zu diesem Zweck ist eine entsprechende Gemeinschaftsregelung erforderlich, die mit der Festlegung eines transeuropäischen Mindeststraßennetzes in Einklang gebracht werden muss, das keinerlei Beschränkungen unterliegt und so die Verwirklichung eines unterbrechungsfreien Straßentransports ermöglicht. Dabei müssen jedoch auch die Anforderungen der anderen Nutzer der Verkehrsnetze als die Straßenverkehrsunternehmen berücksichtigt werden.“

Abstimmungsergebnis:

93 Ja-Stimmen zugunsten der Streichung dieser Ziffer, 49 Nein-Stimmen und 10 Stimmenthaltungen.


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/68


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Halbzeitüberprüfung des Programms zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs (KOM(2003) 155 endg.)“

KOM(2006) 380 endg.

(2007/C 168/14)

Die Europäische Kommission beschloss am 13. Juli 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatter war Herr CHAGAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 108 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich wiederholt für Maßnahmen zur Entwicklung des Kurzstreckenseeverkehrs ausgesprochen, der ein Wachstums- (und Beschäftigungs-) Potenzial hat und eine Alternative zu anderen, weniger umweltfreundlichen Verkehrsträgern darstellt, weil er zur Reduzierung von Staus und Unfällen sowie der Lärmbelastung und Luftverschmutzung beitragen kann.

1.2

In seiner Stellungnahme zu dem 2003 vorgelegten Programm betonte der EWSA die Notwendigkeit, die Rolle der Ansprechpartner (focal points) als Bindeglieder zur Wirtschaft und als Mittler zur Erleichterung der Einbindung dieses Verkehrsträgers in ein intermodales Logistikmodell aufzuwerten. Der EWSA fordert seitens der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner größere Anstrengungen zum Ausbau des Netzes der Ansprechpartner.

1.3

Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen sich dringend der Aufgabe stellen, günstige Bedingungen für die Entwicklung der verschiedenen Verkehrsträger zu schaffen, indem sie nicht nur die Existenz von Infrastrukturen, die die Intermodalität erleichtern, gewährleisten, sondern auch die Lücke schließen, die die Wirtschaft nicht beseitigen konnte, d.h. dem Fehlen einer wirklichen komplementären Zusammenarbeit im Sinne der wirtschaftlichen wie auch der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit abhelfen.

1.4

Der EWSA anerkennt die Fortschritte im Bereich der Aktionen, die im 2003 vorgelegten Programm zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs vorgeschlagen wurden, und fordert die rasche Umsetzung der noch ausstehenden Aktionen (insbesondere die Beseitigung der festgestellten Hindernisse). Die Entwicklung des Netzes der Ansprechpartner und die Ausweitung ihres Zuständigkeitsbereichs auf den multimodalen Landverkehr und die damit verbundene Logistik können dazu beitragen, die angestrebten Ziele zu erreichen.

1.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass in dieser Mitteilung der Kommission auf die Schaffung eines „Gemeinsamen Europäischen Seeverkehrsraums“ hingewiesen werden sollte. Ein solcher Schritt könnte entscheidend dazu beitragen, dass der Kurzstreckenseeverkehr im innergemeinschaftlichen Güterverkehr eine herausragende Stellung einnimmt. Es wäre vollkommen logisch, wenn der Seeverkehr zwischen Gemeinschaftshäfen als nationaler und nicht als internationaler Verkehr behandelt würde — mit offenkundigen Vorteilen im Sinne einfacherer Zollverfahren.

2.   Hintergrund

2.1

Die Europäische Kommission unterbreitete im Jahr 2003 ein Programm zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs (1) als Reaktion auf eine Aufforderung des Verkehrsministerrates an die Kommission und die Mitgliedstaaten mit dem Ziel, nicht nur den Ausbau dieses Verkehrsträgers, sondern auch seine effektive Integration in die bestehenden intermodalen Transportketten sicherzustellen.

2.2

Dieses Programm bestand aus 14 Aktionen (fünf legislativen, vier technischen und fünf operativen), die in konkrete Maßnahmen unterteilt und mit Umsetzungsfristen versehen waren.

2.3

In seiner damaligen Stellungnahme (2) vertrat der EWSA die Auffassung, dass „die in der Kommissionsmitteilung angegebenen Fristen strikt eingehalten werden (müssen)“ und dass „ohne die Beseitigung bestimmter Engpässe (…) der Kurzstreckenseeverkehr den Weg der Intermodalität nicht einschlagen können (wird)“.

3.   Mitteilung der Kommission

3.1

In ihrer jetzt vorgelegten Mitteilung bilanziert die Kommission die Umsetzung der im Programm von 2003 vorgesehenen Maßnahmen, wobei sie die Fortschritte, die hinsichtlich dieser Aktionen bis dato erreicht wurden, untersucht und Aktionslinien für die Zukunft vorschlägt.

3.2   Legislative Aktionen

Richtlinie über Meldeformalitäten für Schiffe beim Einlaufen in und/oder Auslaufen aus Häfen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (IMO-FAL (3)); die Umsetzung dieser Richtlinie in nationale Rechtsvorschriften ist fast abgeschlossen;

Förderprogramm MARCO POLO, das Hochgeschwindigkeitsseewege als einen neuen spezifischen Aktionsbereich umfasst (die Definition des Begriffs „Hochgeschwindigkeitsseewege“ ist vollständig abgeschlossen, und die ersten Hochgeschwindigkeitsseewege werden 2010 in Betrieb genommen); diese Aktion ist zur Hälfte abgeschlossen;

die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie über intermodale Ladeeinheiten, die noch nicht endgültig verabschiedet ist;

die Richtlinie 2005/33/EG, die verabschiedet wurde, um den Umweltschutz, insbesondere im Bereich der SOx-, NOx- und Partikelemissionen, zu verbessern.

3.3   Technische Aktionen

Leitfaden für die Zollverfahren im Kurzstreckenseeverkehr; diese Aktion ist abgeschlossen;

Ermittlung und Beseitigung von Hindernissen, die einem größeren Erfolg des Kurzstreckenseeverkehrs entgegenstehen (z.B. Verwaltungshindernisse); diese Aktion ist zur Hälfte abgeschlossen;

Angleichung einzelstaatlicher Anwendungen und Automatisierung der gemeinschaftlichen Zollverfahren: das neue computergestützte Versandsystem NCTS (New Computerised Transit System) ist seit 2003 betriebsfähig; diese Aktion ist zur Hälfte abgeschlossen;

das auf Forschung und technologische Entwicklung bezügliche Thematische Netz für Kurzstreckenseeverkehr REALISE, das seine Arbeiten Ende 2005 abgeschlossen hat; diese Aktion ist zur Hälfte abgeschlossen.

3.4   Operative Aktionen

Verwaltung aus einer Hand; diese Aktion ist mehr als zur Hälfte abgeschlossen;

Ansprechpartner für den Kurzstreckenseeverkehr (Vertreter einzelstaatlicher Seeverkehrsbehörden, die sich mit der Kommission beraten); diese Aktion ist mehr als zur Hälfte abgeschlossen;

unabhängige Förderzentren für den Kurzstreckenseeverkehr, die unparteiische Ratschläge hinsichtlich der Nutzung des Kurzstreckenseeverkehrs erteilen; diese Aktion ist mehr als zur Hälfte abgeschlossen; der geografische Wirkungsbereich dieser Zentren wird weiter ausgeweitet und die Bemühungen zur Gewährleistung ihrer Finanzierungsgrundlage weren fortgesetzt;

Verbesserung des Erscheinungsbilds des Kurzstreckenseeverkehrs (z.B. durch das Europäische Kurzstreckenseeverkehrsnetz); diese Aktion ist mehr als zur Hälfte abgeschlossen;

Statistik: ein erstes Instrument, das kohärente Vergleiche zwischen den Verkehrsträgern ermöglicht, wird bereits in Eurostat erprobt; diese Aktion ist nahezu abgeschlossen, die derzeit verfügbare Umrechnungsmatrix muss aber noch weiterentwickelt werden.

3.5

Die Kommission gelangt zu dem Schluss, dass die vorgeschlagenen Aktionen zweckmäßig waren, hält es aber auch für notwendig, in einigen Fällen neue Ziele und neue Fristen festzulegen. In anderen Fällen beabsichtigt sie, die Zielsetzung zu präzisieren oder zu erweitern. Sie weist auch darauf hin, dass die Gemeinschaftshäfen in die Logistikkette besser integriert werden müssen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich wiederholt für Maßnahmen zur Entwicklung des Kurzstreckenseeverkehrs ausgesprochen, der ein Wachstums- (und Beschäftigungs-) Potenzial hat und eine Alternative zu anderen, weniger umweltfreundlichen Verkehrsträgern darstellt, weil er zur Reduzierung von Staus und Unfällen sowie der Lärmbelastung und Luftverschmutzung beitragen kann.

4.2

Die aufeinander folgenden Programme und Maßnahmen zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs haben bemerkenswerte Ergebnisse gezeitigt: einerseits ist seit 2000 eine durchschnittliche Zunahme um 3,2 % pro Jahr (bzw. 8,8 % im Falle des Containerverkehrs) festzustellen, und andererseits wurde eine erhebliche Zahl von Hindernissen, die nachweislich eine stärkere Entwicklung des Sektors erschweren, beseitigt (von den anfänglichen 161 Hindernissen bestehen nur noch 35). Vermutlich umfasst diese Zahl jene Hindernisse, die am schwierigsten zu beseitigen sind, was bedeutet, dass dieser Weg entschlossen fortgesetzt werden muss.

4.3

Auf seiner Tagung am 11. Dezember 2006 verabschiedete der Rat eine Reihe von Schlussfolgerungen zur Mitteilung der Kommission sowie Empfehlungen hinsichtlich des Rechtsrahmens, des verstärkten Ausbaus und der Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission, wobei er die in der Halbzeitüberprüfung vorgeschlagenen Maßnahmen im Allgemeinen begrüßte.

4.4

Bei der Beurteilung der Ergebnisse des Programms etwa drei Jahre nach seiner Verabschiedung gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass das Programm „nahezu abgeschlossen“ ist, obgleich sie feststellt, dass der Kurzstreckenseeverkehr in die „Logistikkette des Landverkehrs“ stärker eingebettet werden muss. Es zeigt sich allerdings, dass ein nicht unerheblicher Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen bereits abgeschlossen hätte sein sollen. Beispielhaft für diese Verzögerung ist die die Statistik betreffende Aktion Nr. 14, die schon 1992 in einer Mitteilung vorgeschlagen wurde. Ein erstes Instrument wird derzeit bei Eurostat erprobt.

4.5

In seiner Stellungnahme (4) zu dem 2003 vorgelegten Programm unterstreicht der EWSA die Notwendigkeit, die Rolle der Ansprechpartner (focal points) als Bindeglieder zur Wirtschaft und als Mittler zur Erleichterung der Einbindung dieses Verkehrsträgers in ein intermodales Logistikmodell aufzuwerten. Der EWSA fordert seitens der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner größere Anstrengungen zum Ausbau des Netzes der Ansprechpartner.

4.6

Es ist nicht klar, ob es eine „intermodale Beförderungskette“ überhaupt gibt, auch wenn die Kommission diesen Ausdruck verwendet: Die Gesamtheit der verschiedenen Logistiksysteme und intermodalen Netze kann nicht per se als intermodale Kette verstanden werden. Der Mangel an Koordination und Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Transportsegmenten ist sicherlich das Haupthindernis bei der Gestaltung und Entwicklung einer kohärenten und nachhaltigen Verkehrspolitik der Gemeinschaft.

4.7

Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen sich dringend der Aufgabe stellen, günstige Bedingungen für die Entwicklung der verschiedenen Verkehrsträger zu schaffen, indem sie nicht nur die Existenz von Infrastrukturen, die die Intermodalität erleichtern, sicherstellen, sondern auch die Lücke schließen, die die Wirtschaft nicht beseitigen konnte, d.h. dem Fehlen einer wirklich komplementären Zusammenarbeit im Sinne der wirtschaftlichen wie auch der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit abhelfen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Legislative Aktionen

5.1.1

Von allen vorgeschlagenen Maßnahmen wurde nur die Einführung neuer intermodaler Ladeeinheiten nicht verwirklicht. Dieser Vorschlag rief erhebliche Bedenken seitens verschiedener Wirtschaftsakteure hervor, die sich auf das Argument stützen, dass die neuen Modelle für Ladeeinheiten nicht nur auf europäischer, sondern auf internationaler Ebene festgelegt werden müssen. Der EWSA hat auch einige dieser Einwände aufgegriffen, für die angemessene Antworten gefunden werden sollten. Die Kommission hat die Debatte über diesen Vorschlag vor kurzem wieder in Gang gebracht. Der überarbeitete Vorschlag dürfte einigen der zum Ausdruck gebrachten Bedenken Rechnung tragen, indem er sicherstellt, dass die Einführung eines neuen Containermodells nicht zwangsläufig zu Änderungen an den existierenden Containermodellen führt.

5.1.2

Das Programm MARCO POLO sollte weiterhin eine wichtige Rolle bei der Finanzierung und Entwicklung neuer oder bestehender Verkehrswege spielen. Die Aufnahme der Hochgeschwindigkeitsseewege als neue spezifische Aktion könnte dazu einen konkreten Beitrag leisten. Allerdings bestehen weiterhin Unklarheiten hinsichtlich des Begriffs „Hochgeschwindigkeitsseewege“. Zwar ist der Vorschlag, ihre Anwendung nicht auf TEN-T zu begrenzen, zu unterstützen; es ist aber notwendig, dass ihre Einführung transparent ist und keine Wettbewerbsstörungen hervorruft.

5.1.3

Im Bereich des Umweltschutzes haben die Anstrengungen der Wirtschaft zu positiven Ergebnissen geführt. Dieses Engagement muss jedoch verbessert werden — ungeachtet der Vergleiche mit anderen Verkehrsträgern. Die Investitionen in die Erforschung und Entwicklung umweltfreundlicherer Kraftstoffe und Motoren muss angeregt und verstärkt werden. Die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften sollten in Einklang mit den möglichen Weiterentwicklungen überarbeitet werden. Zudem muss in die Modernisierung bestimmter Segmente der Gemeinschaftsflotte investiert werden.

5.1.4

Der EWSA fragt sich, warum in dieser Mitteilung nicht auf die Schaffung eines „Gemeinsamen Europäischen Seeverkehrsraums“ hingewiesen wird, so wie in anderen Dokumenten, z.B. dem Grünbuch über eine künftige Meerespolitik, der Halbzeitüberprüfung des Weißbuchs von 2001 und der Mitteilung über die Güterverkehrslogistik. Ein solcher Schritt könnte entscheidend dazu beitragen, dass der Kurzstreckenseeverkehr im innergemeinschaftlichen Güterverkehr eine herausragende Stellung einnimmt. Es wäre vollkommen logisch, wenn der Seeverkehr zwischen Gemeinschaftshäfen als nationaler und nicht als internationaler Verkehr behandelt würde — mit offenkundigen Vorteilen im Sinne einfacherer Zollverfahren.

5.2   Technische Aktionen

5.2.1

Der EWSA nimmt die erreichten Fortschritte hinsichtlich der vorgeschlagenen technischen Aktionen zur Kenntnis und drängt die Kommission und die Mitgliedstaaten, ihre Umsetzung weiter voranzutreiben. Es ist besonders wichtig, dass die Kontaktgruppen zwischen den verschiedenen Verwaltungen ihre Arbeit fortsetzen, um gemeinsame Lösungen für die verbleibenden Probleme zu finden.

5.3   Operative Aktionen

5.3.1

Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen der Kommission in Bezug auf die Umsetzung der Maßnahmen lautet, dass der Zuständigkeitsbereich der Förderzentren des Kurzstreckenseeverkehrs auf die Förderung des multimodalen Landverkehrs und der damit verbundenen Logistik ausgeweitet werden sollte. Es ist sehr wichtig, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Logistiksegmenten gezielt zu fördern.

5.3.2

Ebenso können die Ansprechpartner dazu beitragen, Lösungen auf lokaler und/oder regionaler Ebene zu finden, um die Hindernisse, die einer höheren Leistung des Kurzstreckenseeverkehrs entgegenstehen, zu beseitigen. Die Beteiligung der Sozialpartner muss ebenso gefördert werden wie die des Forums der maritimen Industrie (MIF).

5.3.3

Die Bereitstellung zuverlässiger, vergleichbarer und vollständiger Statistiken ist ein wichtiger Aspekt. Wie oben erwähnt, wurde auf diese Notwendigkeit bereits in einer Mitteilung aus dem Jahr 1992 hingewiesen. Der EWSA erkennt die in der letzten Zeit verzeichneten Fortschritte an und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2003) 155 endg.

(2)  CESE 1398/2003 (Berichterstatter: Herr CHAGAS). ABl. C 32 vom 5.2.2004.

(3)  Vereinfachende Formblätter der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation.

(4)  Siehe Fußnote 2.


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur“

KOM(2006) 569 endg. — 2006/0182 (COD)

(2007/C 168/15)

Der Rat beschloss am 10. November 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe c) des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatter war Herr SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 26. April) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Kommission, dem dritten Bereich des Verkehrssicherheitsmanagements, sprich dem Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur, konkret Gestalt zu geben. Neben auf die Fahrer ausgerichteten Maßnahmen und Maßnahmen für Verbesserungen in Bezug auf die Fahrzeuge soll durch die vorgeschlagene Richtlinie die Sicherheit in alle Phasen der Planung, des Entwurfs und des Betriebs der Straßen des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) integriert werden. Für die Straßenverkehrssicherheitspolitik sind alle Aspekte gleich wichtig.

1.2

Zwar ist sich der Ausschuss darüber im Klaren, dass Maßnahmen im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur dort, wo die Infrastruktur gut ausgebaut ist, im Allgemeinen geringere Wirkungen zeitigen werden als Maßnahmen, die auf die Fahrer oder die Fahrzeuge abheben, doch ist er der Überzeugung, dass alle Mittel eingesetzt werden müssen, um die Verkehrssicherheit zu verbessern und die Zahl der Unfallopfer auch hier zu senken.

1.3

Die vorgeschlagenen Maßnahmen für den dritten Bereich des Verkehrssicherheitsmanagements sollten sich nach Auffassung des Ausschusses nicht auf das TEN-V beschränken, sondern auf alle bekanntermaßen unfallträchtige Außerortsstraßen in den Mitgliedstaaten ausgedehnt werden. Das Ziel ist immer eine größtmögliche Senkung der Unfallopferzahlen, und es ist festzustellen, dass vor allem bei der Infrastruktur, die nicht zum TEN-V zählt, „Gewinne“ (1 300 anstelle von 600 Verkehrstoten weniger) möglich wären; daher sollte von der Kommission erwartet werden können, dass dies sehr viel stärker berücksichtigt wird. Der Ausschuss hält Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe c) des EG-Vertrags diesbezüglich für eine gute Rechtsgrundlage.

1.4

Daher fordert der Ausschuss die Mitgliedstaaten auf, der Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf alle Außerortsstraßen zuzustimmen.

1.5

Die Kommission hat für die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen die Form einer Richtlinie gewählt. Der Ausschuss ist mit Blick auf die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen der Auffassung, dass eine Richtlinie nicht die gewünschte Wirkung erzielen wird, da den Mitgliedstaaten zu viel Freiheit gelassen wird, so dass eine einheitliche Umsetzung nicht stattfinden wird. Angesichts der Zielsetzung der Kommission Senkung der Zahl der Verkehrstoten um 50 % bis 2010 (im Vergleich zum Jahr 2000) muss die Kommission nach Ansicht des Ausschusses ein verbindlicheres Rechtsinstrument als eine Richtlinie wählen, deren Bestimmungen von allen betroffenen staatlichen und privaten Akteuren einzuhalten sind.

1.6

Die Tatsache, dass bei der in Ziffer 1.3 genannten Rechtsgrundlage das Subsidiaritätsprinzip geachtet werden muss, ist kein Hindernis. Im Gegenteil: Die in diesem Fall so unverzichtbar notwendige Sicherstellung einer einheitlichen Umsetzung erfordert gerade ein europäisches Vorgehen.

1.7

Der Ausschuss möchte noch darauf hinweisen, wie wichtig die Untersuchung der Ursachen von Verkehrsunfällen ist. Gerade anhand solcher Untersuchungen kann ermittelt werden, inwieweit die Dimensionierung der Straßenverkehrsinfrastruktur Unfallursache ist, und auf der Grundlage dieser Untersuchungen können auch wirksame Maßnahmen ergriffen werden.

2.   Einleitung

2.1

Bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden Verkehrsunfälle als ein mit der Mobilität unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens untrennbar verbundenes Phänomen betrachtet.

2.2

Auch die Rolle der Europäischen Gemeinschaft war begrenzt: Sie konnte aufgrund fehlender eindeutiger Zuständigkeiten nur wenig tun. Tätig werden konnte sie durch die Annahme von Richtlinien, insbesondere im Bereich technischer Standards, um die Sicherheitsfunktionen von Kraftfahrzeugen zu verbessern (Gurtpflicht, Geschwindigkeitsbegrenzer für LKW usw.).

2.3

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts ist ein Umdenken in diesem Bereich festzustellen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Verkehrssicherheit den Unionsbürgern eines der wichtigsten Anliegen ist. In erster Linie ist hier an den Straßenverkehr zu denken, der die meisten Menschenleben fordert.

2.4

Im Jahr 2000 kamen in der damals 15 Mitgliedstaaten zählenden Europäischen Union über 40 000 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben, mehr als 1,7 Millionen erlitten Verletzungen. Die direkt messbaren Kosten von Verkehrsunfällen belaufen sich auf 45 Mrd. EUR, während die indirekten Kosten, einschließlich physischer und psychischer Schäden bei den Opfern und ihren Angehörigen, pro Jahr eine Höhe von 160 Mrd. EUR erreichen.

2.5

Auch die Europäische Gemeinschaft ist seit dem Vertrag von Maastricht rechtlich besser ausgerüstet, um Maßnahmen im Bereich der Verkehrssicherheit zu erlassen, auch wenn eine wirkliche Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich noch immer durch das Subsidiaritätsprinzip behindert wird.

2.6

Im Weißbuch aus dem Jahr 2001 über die europäische Verkehrspolitik bis 2010: „Weichenstellungen für die Zukunft“ sowie in der Mitteilung vom Juni 2003 über das europäische Aktionsprogramm für Straßenverkehrssicherheit wird auf Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit ausführlich eingegangen. Neben Maßnahmen für Fahrer und Maßnahmen für Fahrzeuge bilden Maßnahmen in Bezug auf die physische Infrastruktur einen dritten wichtigen Baustein.

2.7

Zur Verbesserung der Sicherheit der Straßenverkehrsinfrastruktur wurden bisher keine Initiativen auf europäischer Ebene ergriffen. Zwar war eine Verbesserung der Sicherheit auf denjenigen Straßen zu beobachten, die mit Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) gestützten Verkehrsbeeinflussungsanlagen ausgerüstet sind, doch sind noch längst nicht alle Straßen mit IKT-Systemen ausgestattet.

2.8

Bei der Verbesserung der Sicherheit der physischen Infrastruktur bleibt also noch viel zu tun. Die Regierungen der Mitgliedstaaten neigen jedoch dazu, weniger Finanzmittel für die Straßeninfrastruktur bereitzustellen, wohingegen die Verkehrsteilnehmer gerade der Qualität und Sicherheit der Straßen immer größere Bedeutung beimessen.

2.9

Daher möchte die Kommission mit der vorgeschlagenen Richtlinie die Sicherheit in alle Phasen der Planung, des Entwurfs und des Betriebs der Straßen des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) integrieren. Sie plant, neben einer Abschätzung der wirtschaftlichen und ökologischen Folgen auch eine Bewertung des Sicherheitseffekts einzuführen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass sich die Kommission mit der Halbierung der Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr in der Europäischen Union bis 2010 (im Vergleich zum Jahr 2000) ein recht ehrgeiziges Ziel gesteckt hat. Dies brachte er auch in seiner Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission „Europäisches Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit — Halbierung der Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr in der Europäischen Union (von 40 000 im Jahr 2000 auf 25 000 im Jahr 2010) bis 2010: eine gemeinsame Aufgabe“ vom 10. Dezember 2003 zum Ausdruck.

3.2

Dass es sich hierbei um eine ehrgeizige Aufgabe handelt, wird auch dadurch belegt, dass 2005 noch immer 41 500 Unfallopfer im europäischen Straßenverkehr zu beklagen waren. Und dies trotz der Tatsache, dass inzwischen zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit auf EU-Ebene ergriffen worden waren, sowohl hinsichtlich der Fahrer als auch der Fahrzeuge. Da der Ausschuss der Ansicht ist, dass jeder Verkehrstote ein Unfallopfer zu viel ist, erwartet er von der Kommission ein sehr viel entschlosseneres Vorgehen, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Z.B. die Lancierung einer EU-weiten Kampagne durch die Kommission, um die Verkehrssicherheit zu fördern sowie Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, striktere Maßnahmen zur Senkung der Zahl der Unfallopfer zu ergreifen.

3.3

Nach Auffassung des Ausschusses sind zumal auf die Fahrer und die Fahrzeuge ausgerichtete Maßnahmen der Gemeinschaft zur Verbesserung der Verkehrssicherheit am wirksamsten. Die seiner Meinung nach weniger wirksamen Maßnahmen im Bereich der Verbesserung der Straßenverkehrsinfrastruktur, dem dritten Bereich des Verkehrssicherheitsmanagements, werden je nach der Lage in dem jeweiligen Mitgliedstaat für die Senkung der Verkehrstotenzahl wenig bringen. Der Ausschuss ist dennoch der Ansicht, dass alle Mittel und Wege genutzt werden müssen, um die Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr zu senken. Beispielsweise durch die Einführung von Standards für die Dimensionierung der Straßeninfrastruktur sowie für die Beschilderung in den EU-Mitgliedstaaten.

3.4

Das Bild, das der Ausschuss von den Folgen der vorgeschlagenen Richtlinie hat, wird durch die Folgenabschätzung des Forschungsnetzes ROSEBUD aus dem Jahr 2003 bestätigt. Hier wird davon ausgegangen, dass durch die Anwendung der Richtlinie zur Sicherheit der Straßeninfrastruktur auf die Straßen des TEN-V jährlich mehr als 600 tödliche Verkehrsunfälle und ca. 7 000 Verkehrsunfälle mit Verletzten vermieden werden könnten. Würde der Anwendungsbereich der Richtlinie auch auf alle Außerortsstraßen ausgedehnt, würde die Zahl der Unfallopfer jährlich um ca. 1 300 abnehmen, womit umgerechnet ca. 5 Mrd. EUR eingespart werden könnten.

3.5

Der Ausschuss hält Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe c) des EG-Vertrags diesbezüglich für eine gute Rechtsgrundlage. Daher fordert der Ausschuss die Mitgliedstaaten auf, der Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf alle Außerortsstraßen zuzustimmen.

3.6

Der Richtlinienentwurf enthält ein Mindestmaß an Vorschriften, das nach Ansicht der Kommission notwendig ist, um die Sicherheit zu verbessern und die bewährten Verfahren zu verbreiten. In diesem Zusammenhang nennt die Kommission die folgenden vier Verfahren eines umfassenden Konzepts für das Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur: Bewertung des Sicherheitseffekts, Sicherheitsaudits, Ermittlung von Unfallschwerpunkten und Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen der Straßenwartung. Der Ausschuss hegt ernste Zweifel, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen in Form einer Richtlinie wirksam sein werden, da eine einheitliche Umsetzung der oben genannten vier Verfahren in allen Mitgliedstaaten der EU nicht stattfinden wird.

3.7

Die Kommission hält eine Richtlinie für die richtige Form, weil so die Sicherheit verbessert, der Verwaltungsaufwand eingeschränkt und den einzelnen Mitgliedstaaten ihre hergebrachte Praxis, ihre Werte und Normen gelassen würden. Der Ausschuss bezweifelt dies unter Verweis auf die in den Ziffern 3.4 und 3.5 angeführten Gründe.

3.8

Eine Richtlinie wird nicht die gewünschte Wirkung erzielen, da den Mitgliedstaaten zu viel Freiheit gelassen wird, so dass eine einheitliche Umsetzung nicht stattfinden wird. Angesichts der Zielsetzung der Kommission Senkung der Zahl der Verkehrstoten um 50 % bis 2010 (im Vergleich zum Jahr 2000) muss die Kommission nach Ansicht des Ausschusses ein verbindlicheres Rechtsinstrument als eine Richtlinie wählen, deren Bestimmungen von allen betroffenen staatlichen und privaten Akteuren einzuhalten sind.

3.9

Der Kommission zufolge werden die in dem Richtlinienentwurf enthaltenen Vorschläge nur geringe zusätzliche Kosten verursachen, die bereits innerhalb kurzer Zeit durch Kosteneinsparungen infolge sinkender Unfallzahlen wieder wettgemacht werden. Der Ausschuss fragt sich, worauf die Kommission diese Annahme stützt.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass sich Maßnahmen für den dritten Bereich des Verkehrssicherheitsmanagements, die Straßenverkehrsinfrastruktur, ebenso wie für die ersten beiden Bereiche — die Fahrzeuge und die Fahrer — nicht nur auf die Straßen des TEN-V beschränken sollten, sondern auf alle Außerortsstraßen ausgeweitet werden sollten, auf denen nachweislich viele Unfälle passieren.

4.2

Dies ist auch eines der Ergebnisse der öffentlichen Anhörung im Internet vom 12. April bis 19. Mai 2006. In einem erheblichen Teil der Stellungnahmen wird vorgeschlagen, den Geltungsbereich der Richtlinie auf Straßen auszuweiten, die nicht Teil des transeuropäischen Straßennetzes sind, weil gerade auf diesen Straßen die meisten tödlichen Verkehrsunfälle vermieden werden können.

4.3

In der vorgeschlagenen Richtlinie werden Verfahren für die Bewertung des Sicherheitseffekts baulicher Maßnahmen, für Sicherheitsaudits und Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen der Straßenwartung festgelegt. Von jedem Mitgliedstaat wird mit Hilfe der in den Anhängen aufgenommenen Spezifizierungen der genannten Bereiche erwartet, dass die geforderten Informationen auf vergleichbare Weise erbracht werden. Nach Auffassung des Ausschusses wird den Mitgliedstaaten durch das Instrument einer Richtlinie ein zu großer Spielraum gelassen, als dass ein guter Vergleich der Effizienz der Richtlinie möglich wäre.

4.4

Bei der Bewertung des Sicherheitseffekts werden z.B. in Anhang I zu der Richtlinie verschiedene Bestandteile und Aspekte genannt, die von den Mitgliedstaaten bei der Bewertung zu berücksichtigen sind. Diese Auflistung lässt den Mitgliedstaaten bei der Bewertung ein so großes Maß an Freiheit, dass sehr zu bezweifeln steht, dass hier vergleichbare Angaben entstehen werden.

4.5

Gleiches gilt für die in Anhang II zu der Richtlinie aufgenommenen Kriterien für Sicherheitsaudits von Straßen. Auch hier verfügen die Mitgliedstaaten über einen großen Auslegungsspielraum.

4.6

In Bezug auf die Sicherheitsüberprüfungen kommt zu den oben genannten Kritikpunkten noch hinzu, dass Anhang III zu der Richtlinie vorgibt, dass der Bericht der Sicherheitsinspektoren die „Analyse der Unfallberichte“ enthalten muss. Nach Auffassung des Ausschusses ist die Analyse der Unfallberichte weniger wichtig als vielmehr die Untersuchung der Unfallursache. Leider findet sich dies weder in Artikel 7 des Richtlinienvorschlags noch in Anhang IV, in dem näher auf die Angaben in Unfallberichten eingegangen wird.

4.7

Wie der Ausschuss bereits in seiner Stellungnahme vom 10. Dezember 2003 zu der Mitteilung der Kommission „Europäisches Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit — Halbierung der Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr in der Europäischen Union bis 2010: eine gemeinsame Aufgabe“ bemerkt hat, würde eine Analyse der Unfallschwerpunkte in Verbindung mit einer Analyse der Unfallursachen je Unfallschwerpunkt viele Informationen liefern. Ferner wies der Ausschuss in dieser Stellungnahme auch auf die gute Arbeit von „EuroRAP“ hin. EuroRAP gibt eine Karte mit Straßen verschiedener Länder heraus, aus der das Unfallrisiko einzelner Strecken hervorgeht. Die Grundlage für diese Karte bildet die Unfallhäufigkeit auf diesen Strecken.

4.8

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, in ihren Vorschlag aufzunehmen, dass die Mitgliedstaaten mehr Park- und Rastplätze für alle Verkehrsteilnehmer (auch für Menschen mit Behinderungen) entlang der Hauptinfrastruktur anlegen müssen. Hier wird eine Sicherung der Parkplätze gewünscht, da ungesicherte Parkplätze dazu führen, dass die Fahrer weiterfahren — was u.a. das Risiko birgt, dass die Fahrt- und Ruhezeitenregelung überschritten wird, was wiederum die Verkehrssicherheit beeinträchtigt.

4.9

Der Ausschuss möchte darauf hinweisen, dass die Straßenbeleuchtung als Aspekt ein Schattendasein führt. Im Sinne einer verbesserten Verkehrssicherheit ist zu empfehlen, dass die Mitgliedstaaten ihre Maßnahmen in diesem Bereich aufeinander abstimmen.

4.10

Schließlich möchte der Ausschuss die Kommission darauf aufmerksam machen, dass eine visuelle Darstellung von Unfallschwerpunkten durch die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer von Bedeutung ist.

Brüssel, den 26. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/74


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG über die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste“

KOM(2006) 594 endg. — 2006/0196 (COD)

(2007/C 168/16)

Der Rat beschloss am 1. Dezember 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 47 Absatz 2, Artikel 55 und Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatter war Herr HENCKS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 26. April) mit 131 gegen 26 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Mit diesem Vorschlag für eine Richtlinie will die Kommission zum 1. Januar 2009 die letzte Stufe der Liberalisierung des Postmarktes vollenden; dabei soll in allen EU-Mitgliedstaaten ein Universaldienst im Wesentlichen in seiner derzeitigen Form beibehalten, die Exklusivrechte (reservierter Bereich) zur Finanzierung dieses Universaldienstes sollen hingegen abgeschafft werden.

1.2

Das größte Problem bei der Organisation dieser letzten Etappe besteht darin, die Maßnahmen festzulegen, die ergriffen werden müssen, um im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, die Bedürfnisse der Bürger — unabhängig von ihrem Wohnort, ihrer finanziellen oder sonstigen Situation -, die Beschäftigung und die nachhaltige Entwicklung einen leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Postsektor aufrechtzuerhalten, der Privatpersonen und Unternehmen in Europa weiterhin einen qualitativ hochwertigen Universaldienst zu erschwinglichen Preisen bietet.

1.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Elemente, auf die sich der Vorschlag der Kommission stützt, nicht mit der notwendigen Sicherheit eine nachhaltige Finanzierung des Universaldienstes in allen Mitgliedstaaten, insbesondere denjenigen mit geographisch und demographisch schwierigen Bedingungen, garantieren können und infolgedessen beim jetzigen Stand der Dinge die Aufhebung der Finanzierung durch einen reservierten Bereich, dessen Effizienz und Antidiskriminierungseffekt sich in vielen Mitgliedstaaten bewährt hat, nicht zu rechtfertigen vermögen.

1.4

Der EWSA unterstützt es nicht, dass zur Deckung etwaiger Restkosten für das Netz des Universaldienstes die Nutzer der Dienstleistungen mit einer Gebühr oder Tariferhöhung belastet bzw. öffentliche Subventionen herangezogen werden, während der gegenwärtige Dienst keine spezifischen Kosten für die Nutzer/Steuerzahler mit sich bringt.

1.5

Der EWSA kann zum jetzigen Zeitpunkt weder ein System des „play or pay“ befürworten, in dem jedem Anbieter eine Universaldienstverpflichtung zukommt, von der er sich durch eine Beteiligung an der Finanzierung des Universaldienstes befreien kann, noch kann er die Schaffung eines Ausgleichsfonds gutheißen.

1.6

Die Kommission muss den Rahmen, innerhalb dessen die Liberalisierung der Postdienste ihren Fortgang nehmen könnte, näher darlegen. Diese Voraussetzung muss gegeben sein, bevor ein reservierter Bereich, der zur Finanzierung des Universaldienstes notwendig ist, abgeschafft wird.

1.7

Angesichts der Unsicherheiten und Risiken, die mit einer vollständigen Liberalisierung des Postmarktes verbunden sind, erscheint der Stichtag 1.1.2009 unrealistisch. Dies gilt umso mehr, als den Postbetreibern in den Mitgliedstaaten, die erst 2004 der EU beigetreten sind, nicht genügend Zeit zur Verfügung stünde, um sich an die neue Situation anzupassen.

1.8

Der EWSA fordert,

die gegenwärtige Richtlinie beizubehalten,

eine etwaige vollständige Liberalisierung des Postsektors zum 1.1.2012 unter dem Vorbehalt vorzusehen, dass bis zu diesem Zeitpunkt in enger Abstimmung mit allen betroffenen Seiten solide Finanzierungsvorschläge gefunden werden, die gegenüber dem reservierten Bereich einen zusätzlichen Vorteil bieten,

Sendungen, die an Blinde und Sehbehinderte und ihre Organisationen adressiert bzw. von diesen verschickt werden, als portofreie Spezialsendungen in den Universaldienst einzubeziehen.

2.   Einleitung

2.1

Den Postdiensten kommt für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt sowie für die Umsetzung der Lissabon-Strategie eine beträchtliche sozioökonomische Bedeutung zu. Sie leisten einen direkten Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft und zur Wahrung der Grundrechte des Einzelnen, zur Vernetzung und Solidarität der Menschen und Regionen, zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und schließlich auch zur nachhaltigen Entwicklung.

2.2

Nach Schätzungen der Kommission fertigen die Postdienste in der EU jährlich 135 Milliarden Sendungen ab und erzielen somit einen Umsatz von etwa 88 Milliarden EUR, bzw. etwa 1 % des BIP der EU. Zwei Drittel dieses Umsatzes werden mit Briefsendungen erzielt, das verbleibende Drittel mit Paketdiensten, Expressdiensten und verwandten Dienstleistungen.

2.3

Ein Postuniversaldienst, der allen Bürgern, unabhängig von ihrem Wohnort, ihrer finanziellen und ihrer sonstigen Situation, den Zugang zu qualitativ hochwertigen und zuverlässigen Postdiensten zu erschwinglichen Preisen garantiert, ist ein wesentliches Element des europäischen Sozialmodells und der Lissabon-Strategie. Ein qualitativ hochwertiger Universaldienst ist eine Notwendigkeit sowohl für die Bürger als auch für die Wirtschaftsakteure: diese Hauptauftraggeber für Postdienste sind darauf angewiesen, dass jeder Brief und jedes Päckchen jedem Adressaten, unabhängig von dessen Merkmalen und dessen Wohnort, zugestellt wird.

2.4

Die Reformen, die technologischen Entwicklungen sowie ein höherer Automatisierungsgrad des Postsektors haben zu beträchtlichen qualitativen Verbesserungen sowie zu mehr Effizienz und stärkerer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Kunden geführt.

2.5

Diese Entwicklungen, die im Gegensatz zu den pessimistischen Vorhersagen stehen, wonach die Postdienste einen kontinuierlich rückläufigen Markt darstellen, zeigen, dass die Betreiber in der Entwicklung neuer Dienste, wie Home Shopping, E-Commerce und Hybrid-Post, ein Wachstumspotenzial sehen.

2.6

Im Gegensatz zu anderen netzgebundenen Wirtschaftszweigen zeichnet sich das Postgewerbe, insbesondere das der Zustellung, immer noch durch eine ausgeprägt manuelle Tätigkeit und eine personenbezogene Dienstleistung aus und stellt der Postsektor im Hinblick auf Arbeitsplätze einen wichtigen Faktor dar; Schätzungen zufolge hängen in der EU mehr als 5 Millionen Arbeitsplätze direkt vom Postsektor ab oder stehen in enger Beziehung zu diesem. Die Arbeitskräfte, deren Kosten zumeist Fixkosten sind und den größten Teil der Gesamtkosten ausmachen (+/- 80 %), sehen sich im Rahmen der Liberalisierung und des Zwangs zur Wettbewerbsfähigkeit in besonderem Maße möglichen Rationalisierungsmaßnahmen ausgesetzt.

2.7

Schließlich möchte der EWSA noch auf die regelmäßigen Umfragen von „Eurobarometer“ hinweisen, die ergeben haben, dass die große Mehrheit der Kunden mit der Qualität der Postdienstleistungen allgemein zufrieden ist.

3.   Hintergrund

3.1

Ausgehend von dem Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes für Postdienste (11. Juni 1992) und der Mitteilung über die „Leitlinien für die Entwicklung der gemeinschaftlichen Postdienste“ (2. Juni 1993) wurde mit der als „Postrichtlinie“ bekannten Richtlinie 97/67/EG vor beinahe zehn Jahren mit der schrittweisen und kontrollierten Liberalisierung des Postsektors begonnen.

3.2

Mit der Postrichtlinie, die am 31.12.2008 ausläuft, wurden zur Entwicklung des Binnenmarktes für die folgenden Postdienste gemeinschaftliche Regelungen geschaffen:

den Universaldienst,

den reservierten Bereich (Monopol),

die Tarifierungsgrundsätze und die Transparenz der Rechnungslegung für die Leistungen des Universaldienstes,

die Qualitätsnormen,

die Harmonisierung der technischen Normen,

die Errichtung unabhängiger einzelstaatlicher Regulierungsbehörden.

3.3   Universaldienst

3.3.1

Nach dieser Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, allen Nutzern einen Universaldienst zu erschwinglichen Preisen zu garantieren, durch den an allen Werktagen, mindestens aber an fünf Tagen pro Woche, flächendeckend mindestens folgende Leistungen gewährleistet sind:

Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg und von Postpaketen bis 10 kg;

die Dienste für Einschreib- und Wertsendungen;

überall in der EU angemessene Zugangsstellen zum Postnetz.

3.3.2

Die Regelungen der Gemeinschaft garantieren somit jedem in der EU ansässigen Bürger einen echten Kommunikationsdienst, unabhängig von der geographischen Lage und der demographischen Situation ihres Wohnortes.

3.3.3

Der Universaldienst in der oben definierten Form, der die inländischen ebenso wie die grenzübergreifenden Dienste umfasst, muss bestimmte Qualitätsnormen im Hinblick insbesondere auf die Fristen für die Beförderung sowie die Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit der Dienste, wie sie von den Mitgliedstaaten (Inlandsdienste) sowie dem Parlament und dem Rat (grenzüberschreitende Dienstleistungen in der Gemeinschaft) festgelegt wurden, erfüllen.

3.4   Reservierter Bereich

3.4.1

Wenn ein Mitgliedstaat der Ansicht ist, dass die Verpflichtungen aus dem Universaldienst eine unverhältnismäßige finanzielle Belastung für den betreffenden Dienstleister darstellen, kann er diesem das Monopol reservieren für die Abholung, das Sortieren, den Transport und die Zustellung von Inlandsbriefsendungen sowie, falls für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes erforderlich, von grenzüberschreitenden Brief- und Direktwerbesendungen

bis zu einem Gewicht von 50 Gramm (bzw. deren Frankierung nicht das Zweieinhalbfache des öffentlichen Tarifs einer Briefsendung der ersten Gewichtsklasse der schnellsten Kategorie übersteigt).

4.   Der Richtlinienvorschlag der Kommission

4.1

Die Prospektivstudie, die die Kommission durch ein international tätiges Beratungsunternehmen (1) erstellen ließ, gipfelt in der Schlussfolgerung, dass die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste in allen Mitgliedstaaten im Jahr 2009 mit der Beibehaltung eines qualitativ hochwertigen Universaldienstes zu vereinbaren ist. In dieser Studie wird gleichwohl darauf hingewiesen, dass angesichts der sich hieraus für die Beibehaltung des Universaldienstes ergebenden Risiken vorausgesetzt werden muss, dass die so genannten begleitenden Maßnahmen von der Mehrheit der Mitgliedstaaten getroffen werden.

4.2

Der hier zur Debatte stehende Richtlinienvorschlag sieht die vollständige Liberalisierung des Postmarktes ab dem 1. Januar 2009 vor. Zugleich soll für alle Nutzer in allen EU-Mitgliedstaaten das gemeinsame Universaldienstniveau im Wesentlichen mit den derzeitigen Ausmaßen gewährleistet bleiben.

4.3

Ab dem 1. Januar 2009 dürfen die Mitgliedstaaten für die Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten keine ausschließlichen oder besonderen Rechte (reservierter Bereich) mehr gewähren.

4.4

Die Mitgliedstaaten werden den oder die Anbieter des Universaldienstes nicht mehr unbedingt verbindlich bestimmen müssen, sondern können die Erbringung des besagten Dienstes — mit einer zeitlichen Begrenzung — den Kräften des Marktes überlassen. Dabei bleibt es den Mitgliedstaaten vorbehalten, zu bestimmen, bei welchen spezifischen Diensten oder Regionen die Erbringung des Universaldienstes nicht den Marktkräften überlassen werden kann, sowie diese Dienste kostenwirksam über öffentliche Ausschreibungen bereitzustellen.

4.5

Für den Fall, dass die Erbringung des Universaldienstes eine externe Finanzierung erforderlich macht, könnten die Mitgliedstaaten eine der folgenden Möglichkeiten wählen:

öffentliche Ausschreibungen;

öffentliche Ausgleichszahlungen durch direkte staatliche Beihilfen;

einen durch Beiträge von Dienstanbietern und/oder Nutzern finanzierten Ausgleichsfonds;

„play or pay“-Mechanismen, bei denen die Erteilung von Genehmigungen entweder an eine Universaldienstverpflichtung oder an die Finanzierung eines Ausgleichsfonds gebunden ist.

4.6

Mit dem Richtlinienvorschlag wird auch eine neue Bestimmung eingeführt, die den Mitgliedstaaten die Auflage erteilt, zu beurteilen, ob allen Dienstanbietern ein transparenter und nichtdiskriminierender Zugang zu den Elementen der postalischen Infrastruktur sowie zu den Diensten Postleitzahlsystem, Adressendatenbank, Briefkästen, Hausbrieffachanlagen, Postfächer, Information über Adressenänderungen, Umleitung von Sendungen, Rückleitung an Absender gewährt werden muss. Der nachgelagerte Zugang zu den Diensten „Sortierung“ und „Zustellung“ ist in den genannten Bestimmungen nicht vorgesehen.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1

Der EWSA hat es stets für gut befunden, dass die Liberalisierung der Postdienste im Gegensatz zu anderen Sektoren nicht abrupt, sondern bislang schrittweise und kontrolliert vonstatten ging. Er zeigt sich erfreut darüber, dass der Kommissionsvorschlag die wesentlichen Aspekte des jedem Nutzer garantierten Universaldienstes bestätigt. Ungeachtet dessen fordert der EWSA, Sendungen, die an Blinde und Sehbehinderte adressiert bzw. von diesen verschickt werden, als portofreie Spezialsendungen in den Universaldienst einzubeziehen.

5.2

Für die Kommission besteht das größte Problem bei der Organisation der letzten Etappe zur völligen Liberalisierung des gemeinschaftlichen Postmarktes in der Festlegung von Maßnahmen zur Erreichung eines leistungsfähigen und wettbewerbsfähigen Postsektors, der Privatpersonen und Unternehmen in Europa weiterhin qualitativ hochwertige Dienstleistungen zu erschwinglichen Preisen bietet.

5.3

Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass die Elemente, auf die sich der Vorschlag der Kommission stützt, nicht mit der notwendigen Sicherheit eine nachhaltige Finanzierung des Universaldienstes in allen Mitgliedstaaten, insbesondere denjenigen mit geographisch und demographisch schwierigen Bedingungen, garantieren können, und infolgedessen beim jetzigen Stand der Dinge die Aufhebung der Finanzierung durch einen reservierten Bereich, dessen Effizienz und Antidiskriminierungseffekt sich in vielen Mitgliedstaaten bewährt hat, nicht zu rechtfertigen vermögen.

5.4

Der EWSA unterstützt es nicht, dass zur Deckung etwaiger Restkosten für das Netz des Universaldienstes die Nutzer der Dienstleistungen mit einer Gebühr oder einer Tariferhöhung belastet werden oder eine Finanzierung durch öffentliche Subventionen erfolgt, während der gegenwärtige Universaldienst als solcher keine spezifischen Kosten für die Nutzer/Steuerzahler mit sich bringt.

5.5

Der EWSA kann zum jetzigen Zeitpunkt ein System des „play or pay“ nicht unterstützen, in dem jedem Anbieter eine Universaldienstverpflichtung zukommt, von der er sich durch eine Beteiligung an der Finanzierung des Universaldienstes befreien kann. Probeweise in die Praxis umgesetzt wurde ein solches System — ohne nennenswertes Ergebnis — nur in Finnland. Ebenso wenig angemessen erscheint die Schaffung eines Ausgleichsfonds. In dem einzigen Mitgliedstaat, in dem ein solches System getestet wurde, nämlich Italien, ist dieser Versuch gescheitert.

5.6

Das Gleiche gilt für die Finanzierung des Universaldienstes durch öffentliche Subventionen, die im Prinzip darauf hinausläuft, dass abermals die ohnehin bereits stark belasteten öffentlichen Finanzen beansprucht und letzten Endes die Nutzer/Steuerzahler zur Kasse gebeten werden.

5.7

Schließlich weist der EWSA darauf hin, dass die Vorschläge der Kommission für eine alternative Finanzierung nicht auf ihre Praktikabilität und ihren Nutzeffekt hin untersucht wurden. Kämen sie unter diesen Voraussetzungen zur Durchführung, so wäre das für die Mitgliedstaaten mit dem Risiko einer unumkehrbaren Situation verbunden, in der der Markt vollständig liberalisiert und der Universaldienst nicht mehr garantiert ist.

5.8

Bevor eine neue Etappe der Liberalisierung eingeleitet wird, müssen daher Regeln sowie ein eindeutiger und gesicherter Rahmen festgelegt werden. Der reservierte Bereich darf gegebenenfalls erst aufgehoben werden, nachdem dieser Rahmen, der insbesondere eindeutig definierte und für jeden Mitgliedstaat geprüfte, tatsächlich wirksame und nachhaltige Maßnahmen zur Finanzierung des Universaldienstes enthalten soll, feststeht. Diese Voraussetzung muss gegeben sein, bevor die einzige Finanzierungsart, die sich bis heute als wirksam erwiesen hat, nämlich ein angemessener reservierter Bereich, abgeschafft wird.

5.9

Innerhalb von rund zehn Jahren hat die Zahl der Beschäftigten im Postsektor um mehrere zehntausend abgenommen (laut Kommission 0,7 %), während zahlreiche weitere Arbeitsplätze durch prekäre Arbeitsplatzverhältnisse bzw. Stellen mit schlechten Arbeitsbedingungen ersetzt wurden.

5.10

Wenngleich sich ein Teil dieser Entwicklung durch diverse Faktoren wie die neuen Technologien und die Konkurrenz durch andere Kommunikationsmittel wie die elektronische Kommunikation erklären lässt, ist doch die Liberalisierung des Marktes eine der Hauptursachen.

5.11

Die Behauptung der Kommission, durch die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste könne aufgrund der damit verbundenen größeren Konkurrenz ein Potenzial zur Schaffung von Arbeitsplätzen freigesetzt werden, mit dem sich der Verlust von Arbeitsplätzen bei den traditionellen Anbietern auffangen ließe, muss erst noch bewiesen werden.

5.12

In Bezug auf das Wachstumspotenzial des Sektors bietet der Kommissionstext nichts anderes als den Vorschlag, den offenkundig als irreversibel betrachteten Rückgang der traditionellen Postdienste zu „managen“, ohne ihnen entsprechend den mit der Lissabon-Strategie und der Wissensgesellschaft verbundenen Kommunikationserfordernissen einen neuen Platz zuzuweisen und ohne die Auswirkungen hinsichtlich der Energieeffizienz zu prüfen.

5.13

Mit den Vorschlägen der Kommission bleibt den Mitgliedstaaten die Gewährleistung der wichtigsten Regulierungsaufgaben überlassen, so dass der europäische Binnenmarkt für Postdienste letztlich nichts weiter als ein Nebeneinander von 27 Organisationen und nationalen Märkten ohne gemeinschaftlichen Zusammenhalt sein wird. Der EWSA bekräftigt erneut, dass er an dem Ziel eines vergemeinschafteten Postsektors mit gemeinschaftsweit geltenden Regeln für den Wettbewerb und die Erbringung von Universaldienstleistungen festhält.

5.14

Angesichts der Unsicherheiten und Risiken, die mit einer vollständigen Liberalisierung des Postmarktes verbunden sind, spricht sich der EWSA gegen die Festsetzung des 1.1.2009 als Stichtag aus. Dies gilt umso mehr, als den Postbetreibern in den Mitgliedstaaten, die erst 2004 der EU beigetreten sind, nicht genügend Zeit zur Verfügung stünde, um sich an die neue Situation anzupassen.

5.15

Der EWSA fordert, die gegenwärtige Richtlinie beizubehalten sowie eine etwaige vollständige Liberalisierung des Postsektors zum 1.1.2012 unter dem Vorbehalt vorzusehen, dass bis zu diesem Zeitpunkt in enger Abstimmung mit allen betroffenen Seiten solide Finanzierungsvorschläge gefunden werden, die gegenüber dem reservierten Bereich einen zusätzlichen Vorteil bieten.

Brüssel, den 26. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  The Impact on Universal Service of the Full Market Accomplishment of the Postal Internal Market in 2009/Price Waterhouse & Coopers.


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/77


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“

(2007/C 168/17)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Januar 2006 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu obenerwähnter Thema zu erarbeiten.

Kurz vor Abschluss der Arbeiten an dieser Initiativstellungnahme, am 7. November 2006, wandte sich die deutsche Präsidentschaft mit der Bitte an den Ausschuss, eine Sondierungsstellungnahme zum Thema: „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“ zu erarbeiten.

Das Präsidium des EWSA entschied, 5 der insgesamt 12 aufgeworfenen Fragestellungen von der Fachgruppe TEN bearbeiten zu lassen, die es wiederum als sinnvoll ansah, diese in die laufende Arbeit zum Thema „Die Situation des ÖPNV und SPNV in Europa und insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten“ zu integrieren und das Thema entsprechend zu erweitern.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2007 an. Berichterstatter war Herr RIBBE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) mit 106 gegen 2 Stimmen bei 30 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA beobachtet mit großer Sorge den festzustellenden starken Rückgang des Anteils des öffentlichen Personennahverkehrs am insgesamt stark steigenden Gesamtverkehrsaufkommen in den Städten, der nicht nur in der EU (15) stattfindet, sondern auch und besonders in den neuen Mitgliedstaaten mit großer Geschwindigkeit abläuft.

1.2

Die zunehmende Belastung der Städte durch die Verkehrsströme, besonders durch den Autoverkehr, verursacht eine Vielzahl von in den meisten Fällen ungelösten Problemen, weshalb eine konzertierte Aktion von Kommission, Mitgliedstaaten und Gemeinden nötig ist, um diesen Trend umzukehren.

1.3

40 % aller verkehrsbezogenen Treibhausgasemissionen werden in Europa verursacht. Stadtverkehrspolitik zeigt somit Auswirkungen, die weit über die räumliche Struktur der Städte selbst hinaus reichen.

1.4

Der EWSA sieht zur Verbesserung der Lebensqualität und des Umweltschutzes in den Städten, zur Erfüllung der Ziele zum Klimaschutz und zur Energieeffizienz eine doppelte Notwendigkeit: Oberste Prämisse jeglicher urbaner Planungs- und Verkehrspolitik sollte es nach Auffassung des EWSA sein, Verkehr zunächst nicht oder nur in einem geringen Maße „entstehen“ zu lassen, in der zweiten Priorität den Mobilitätsbedarf möglichst mit umweltverträglichen Verkehrsmitteln, also mit dem ÖPNV, dem Rad bzw. zu Fuß abzuwickeln bzw. abwickeln zu können.

1.5

Die Städte müssen lebenswert bleiben, es kann keine „autogerechte“ Stadt geben. Die Zeiten der gleichzeitigen Förderung aller Verkehrsträger müssen zu Ende sein, denn dafür fehlt es sowohl an Geld als auch Fläche. Der EWSA appelliert daher an die kommunalen Gebietskörperschaften ebenso wie an die nationalen Regierungen und die Kommission, diesen Grundsatz bei allen Verordnungen und Förderprogrammen zu berücksichtigen.

1.6

Die Stadt- und Bauleitplanung der Gebietskörperschaften muss zukünftig die weitere Zersiedlung und die funktionale Trennung von Stadtgebieten verhindern, um Verkehrsentstehung möglichst zu vermeiden. Hierzu sollten auch übergeordnete Instrumente der Landes- und Regionalplanung genutzt werden, damit Verkehr in Abstimmung der Siedlungsentwicklung zwischen den Städten und ihren Umlandbereichen von vorneherein vermieden werden kann.

1.7

Der Ausschuss fordert darüber hinaus eine klare Zielhierarchie und eine Priorisierung zugunsten des ÖPNV — sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs — gegenüber der Kfz-Infrastruktur. Nur so kann die Wohn-, Lebens- und Umweltqualität der Metropolen wieder verbessert werden.

1.8

Er sieht somit im Ausbau des öffentlichen Verkehrsangebotes aus Gründen der Umwelt- und Gesundheitsvorsorge, ebenso wie zur Sicherstellung eines Grundangebotes an Mobilität und aus Gründen der Daseinsvorsorge für alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere auch für behinderte Menschen, ein wichtiges Handlungsfeld für Kommission, Parlament, nationale Regierungen und Kommunen.

1.9

„Wenn … weitere nachteilige Auswirkungen auf Lebensqualität und Umwelt vermieden werden sollen, muss öffentlichen Personenverkehrssystemen im Rahmen einer integrierten Politik in diesem Bereich höhere Priorität eingeräumt werden. Dies betrifft jeden und insbesondere die etwa 40 % der europäischen Haushalte ohne eigenen Pkw.“ Diese Erkenntnis und dieses Bewusstsein der EU-Kommission, niedergeschrieben vor knapp 10 Jahren in „Die Entwicklung des Bürgernetzes“ (1) hat bisher auf die konkrete Politik leider kaum Einfluss gehabt. Überhaupt muss der EWSA feststellen, dass zwischen den vielfachen positiven Bekundungen pro ÖPNV und den realen politischen Taten extreme Lücken klaffen.

1.10

Der EWSA bittet die Kommission im Rahmen des angekündigten „Grünbuchs Stadtverkehr“ um die Vorlage eines entsprechenden politischen Aktionspakets, in dem klare Leitlinien und Programme dargestellt werden, die eine entsprechende Zielerreichung fördern. Darin sollte auch aufgearbeitet werden, warum viele der guten Ankündigungen aus den „Bürgernetzen“ nicht umgesetzt wurden.

1.11

Die Mitgliedstaaten sollen sich verpflichtet fühlen, für die sozialen Leistungen, die sie von den Verkehrsunternehmen verlangen (z.B. ermäßigte Tickets für Schüler, Rentner, behinderte Personen etc.), auch finanziell aufzukommen und die Kommunen bei Investitionsvorhaben zu unterstützen. Kommunen sollten nachhaltige städtische Verkehrspläne, wie in der „Thematischen Strategie für eine Städtische Umwelt“ angesprochen, mit dem verpflichtenden Ziel für eine Verlagerung hin zu umweltverträglichen Verkehrsmitteln (ÖPNV, Rad-, Fußverkehr) aufstellen, die noch festzulegenden europäischen Mindestansprüchen genügen. Hierzu sollte u.a. eine quantitative Zielvorgabe zur Erhöhung der Verkehrsanteile des ÖPNV sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs gehören. Erstellen sie solche Pläne nicht, sollten sie von finanziellen Förderungen aus den Gemeinschaftsfonds ausgeschlossen werden.

1.12

Auch zur Einhaltung der EU-Zielwerte und -Vorschriften für die innerstädtische Luftqualität und zur Verringerung der Feinstaub- und Lärmbelastungen ist der prioritäre Ausbau eines attraktiven öffentlichen Verkehrssystems mit neuen technologischen Informationssystemen und Angeboten (z.B. Handyticketing, Rufbusse und -taxis) sowie Mobilitätsberatung und -marketing erforderlich. Der so genannte Umweltverbund, das heißt das Zusammenspiel z.B. von Bus, Bahn und Fahrrad, muss dringend verbessert werden, Fahrpläne sind besser aufeinander abzustimmen.

1.13

Der EWSA empfiehlt der Kommission, dem Rat, aber auch und besonders dem Ausschuss der Regionen, eine Untersuchung darüber anzustellen, was die Erfolgsfaktoren in jenen Städten waren, in denen die Entwicklung im Bereich einer umweltverträglichen Stadtverkehrsentwicklung entsprechend positiv war, bzw. woran es liegt, dass in vielen anderen weiterhin negative Entwicklungen vonstattengehen. Der EWSA ist sich sicher: es liegt nicht allein am Geld, sondern extrem stark am politischen Bewusstsein und den verkehrs- und siedlungspolitischen Beschlüssen der Entscheidungsträger. Hieran zu arbeiten, ist mindestens ebenso wichtig wie das Sammeln und Zurverfügungstellen von gelungenen Beispielen wie dies z.B. im Civitas-Projekt der EU erfolgt ist.

2.   Hauptelemente und Hintergrund der Stellungnahme

2.1

In den vergangenen Jahren ist das Verkehrsaufkommen sowohl in den Städten als auch außerorts allgemein stark gewachsen und es hat sich vielfach ein dramatischer Wandel im sog. Modal-Split ergeben: Immer mehr Fahrten werden mit Autos, real bzw. vergleichsweise immer weniger mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Dies betrifft den absolut überwiegenden Teil der großen Städte und Ballungszentren in ganz Europa. Unter „öffentlichem Verkehr/öffentlichen Verkehrsmitteln“ (ÖPNV) wird im Folgenden der Verkehr mit Bus, Bahn und Straßenbahnen bezeichnet, der im Auftrag der öffentlichen Hand geplant oder beauftragt und von privaten, kommunalen oder staatlichen Unternehmen durchgeführt wird.

2.2

Von den 50er bis in die 90er Jahre hinein war die verkehrspolitische Strategie der meisten westeuropäischen Länder und vieler Kommunen fast einseitig auf die Entwicklung von Straßeninfrastruktur und Autoverkehr ausgerichtet, während der öffentliche Verkehr zum großen Teil bedeutende Einschnitte hinnehmen musste. Eine Vielzahl zusätzlicher Faktoren wie z.B. die unterschiedlichen Bodenpreise zwischen städtischen und ländlichen Räumen, eine verfehlte Raum- und Regionalplanung, die Steuergesetzgebung sowie die Standortentscheidungen von Unternehmen (Gewerbe- und Handelsgebiete im Außenbereich) haben das Verkehrsaufkommen sowie die Länge der Wege zwischen Arbeit, Ausbildung, Versorgung und Freizeit insgesamt anwachsen lassen.

2.3

Diese Entwicklung hat vielfältige Folgen, sowohl im wirtschaftlichen, im sozialen, gesundheitlichen wie auch im ökologischen Bereich: Arbeitsplätze wurden abgebaut, Menschen, die über kein eigenes Fahrzeug verfügen können oder wollen, bekommen mehr Schwierigkeiten, sich fortzubewegen, Behinderte sind immer noch in vielen europäischen Städten weitgehend vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen, die Umweltschäden bis hin zur ökonomisch wie ökologisch bedrohlichen Veränderung des Weltklimas, sind nicht mehr hinnehmbar.

2.4

Besonders spür- und wahrnehmbar ist die Situation in vielen großen Städten und Ballungszentren, wo sich die Lebensbedingungen aufgrund des sich immer stärker entwickelnden Automobilverkehrs negativ entwickelt haben: Die Anwohner klagen über Lärm- und Luftbelastung, für das Auto und seine Infrastruktur werden große Flächenanteile zu Lasten der Wohn- und Stadtqualität genutzt. Der EWSA erinnert daran, dass rund 80 % der Europäer in urbanen Gebieten leben, die Betroffenheit also sehr groß ist. Doch auch die Autofahrer stöhnen, sie leiden unter den alltäglichen langen Staus und unter der Parkplatzsuche, um nur zwei typische Situationen zu beschreiben.

2.5

In den europäischen Städten werden 40 % aller verkehrsbezogenen Treibhausgasemissionen verursacht (2), und dies hauptsächlich vom Autoverkehr. In Hauptverkehrszeiten, wenn also in städtischen Gebieten die meisten Verkehrsprobleme auftreten, ist der ÖPNV zehnmal energieeffizienter (und somit emissionsärmer) als der Pkw-Verkehr (3). Folglich könnten erhebliche Entlastungen durch eine Verlagerung des Autoverkehrs auf den ÖPNV und den Radfahr- und Fußgängerverkehr erzielt werden. Nur wenn Verkehrsvermeidung und eine Verkehrsverlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel vorangebracht werden, können die Nationalstaaten und die EU ihre eingegangenen Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung nach dem Kyoto-Protokoll — und darüber hinaus — erreichen.

2.6

Unzählige offizielle Papiere und wissenschaftliche Studien sind in den letzten Jahren geschrieben worden, die meisten mit dem gleichen Tenor: Die Stadt muss lebenswert bleiben, es kann und darf deshalb keine „autogerechte“ Stadt geben, auch wenn man sich der Bedeutung des Autos in der heutigen Gesellschaft bewusst ist. In den Städten sollten vielmehr öffentliche Verkehrsmittel und der umweltfreundliche Individualverkehr (wie Radfahren oder Zufußgehen) die tragenden Säulen einer modernen städtischen Verkehrsplanung sein.

2.7

„Ein gut funktionierendes europäisches Verkehrssystem setzt einen attraktiven und umweltverträglichen lokalen und regionalen Personenverkehr voraus. Dieser trägt zu wirtschaftlicher Entwicklung und Beschäftigung bei und verringert das Verkehrsaufkommen. Dank eines geringeren Energieverbrauchs, einer geringeren Lärmbelastung und eines verminderten Schadstoffausstoßes trägt er außerdem zur Regenerierung der Umwelt bei. Er vermindert die soziale Ausgrenzung, indem er den Menschen die Möglichkeit gibt, ihren Arbeitsplatz, die Schule, Einkaufsmöglichkeiten, medizinische und Freizeiteinrichtungen auch ohne Auto zu erreichen, wobei der Tatsache Rechnung getragen wird, dass Frauen, Jugendliche, ältere Menschen, Arbeitslose und Behinderte ganz besonders von öffentlichen Verkehrsmitteln abhängen. Ein attraktiver und umweltverträglicher Personenverkehr ist in städtischen Gebieten … von grundlegender Bedeutung“. Diese Feststellung, vor fast 10 Jahren von der Kommission in ihrer Mitteilung „Die Entwicklung des Bürgernetzes“ (4) getroffen, sagt eigentlich alles aus, was zu diesem Thema politisch zu sagen wäre. Der EWSA hat die Mitteilung damals unterstützt, er steht auch noch heute zu den dort getroffenen Aussagen und erkennt ausdrücklich die hohe Bedeutung des ÖPNV und nicht emittierender Verkehrsträger an.

2.8

Denn verändert hat sich kaum etwas. Im Gegenteil: die jahrzehntelange Straßenbau- und Autoorientierung hat inzwischen vielfach räumliche und ökonomische Strukturen sowohl in der Stadt als auch in der Fläche hervorgebracht, die in höchstem Maße an den Autoverkehr angepasst bzw. auf diesen angewiesen sind und nur schwer verändert werden können. Allein wegen dieser „festgefahrenen“ Strukturen, deren Etablierung nun auch in den neuen Mitgliedstaaten beobachtet werden kann, aber auch aufgrund des nicht wirklich vorhandenen politischen Willens, strukturelle Veränderungen in der Verkehrspolitik anzugehen (5), ist es eine nach wie vor große und bislang weitgehend ungelöste Herausforderung, die negativen Tendenzen der Verkehrsentwicklung aufzuhalten oder gar umzukehren. Die erfolgreiche Trendumkehr in einigen wenigen Städten (z.B. Freiburg und Münster in Deutschland oder Delft in den Niederlanden) aufgrund einer klaren „push and pull“-Verkehrspolitik zeigt jedoch, dass die Entwicklungen politisch beeinfluss- und umkehrbar sind.

2.9

Die Kommission hat in ihren „Bürgernetzen“ (6) darauf hingewiesen hat, dass sie bei der Entwicklung des ÖPNV und SPNV Prioritäten setzen möchte und dass sie es gar für geboten hält, eine sog. „push and pull“-Strategie zu fahren, die darauf abzielt, das Auto bewusst aus den Ballungszentren zu verdrängen und den ÖPNV stark zu fördern. Die derzeitige und immer noch zu beobachtende Entwicklung lässt nur den Schluss zu, dass die Kommission bei der Umsetzung ihres eigenen Anspruchs nicht sehr erfolgreich gewesen ist. Insgesamt scheint die Politik über Ankündigungen, Forschungsprojekte und Modellvorhaben nicht wirklich hinaus zu kommen, was der EWSA zutiefst bedauert.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Die derzeitige Situation des öffentlichen Verkehrs in den EU-Erweiterungsstaaten

3.1.1

Im Vergleich mit Westeuropa stehen viele MOE-Länder heute, was eine umwelt- und sozialverträgliche Verkehrsabwicklung betrifft, noch besser da. Die Entwicklung des Verkehrssektors hat sich in diesen Ländern aus historischen und politischen Gründen anders gestaltet als in Westeuropa, der öffentliche Verkehr beförderte lange Zeit weitaus mehr Passagiere als das Auto; dies galt sowohl im Fern-, im Regional- wie auch im städtischen Verkehr.

3.1.2

Und obwohl nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ ein extrem starker Trend in Richtung der westeuropäischen Entwicklung zu beobachten ist, zeigen heute eine Reihe von Umweltindikatoren, die in Verbindung mit Flächenverbrauch und Verkehr stehen, dass die MOE-Länder im Vergleich mit Westeuropa noch immer besser abschneiden.

3.1.3

Nichtsdestotrotz sind die Trends im Verkehrsbereich in den MOE-Ländern derzeit besonders Besorgnis erregend: Die Pkw-Besitzrate steigt stetig, die für den öffentlichen Verkehr und den Erhalt der gewachsenen Innenstädte negative Zersiedelung und Suburbanisierung nehmen bedrohliche Ausmaße an. Der EWSA sieht hier einen großen Handlungsbedarf für die Gebietskörperschaften, die Nationalstaaten, die Kommission sowie das europäische Parlament, dass auch in den MOE-Staaten diesen Fehlentwicklungen entgegengesteuert wird.

3.1.4

Die Verkehrspolitik der Regierungen der MOE-Länder ist hauptsächlich auf den Bau neuer Schnellstraßen und Autobahnen ausgerichtet. Beim städtischen Verkehr ist festzustellen, dass sich die meisten Zentralregierungen vielfach völlig aus dem einst zentral organisierten und staatlich betriebenen ÖPNV zurückgezogen haben und sich nun völlig unverantwortlich fühlen. Investitionshilfen, wie es sie in Deutschland beispielsweise im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes gibt, durch das mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt die Gebietskörperschaften beim Aufbau und der Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Verkehrsangebotes unterstützt werden, sind in vielen MOE-Staaten nicht vorhanden. Der EWSA hält den Aufbau derartiger Fördersysteme für sinnvoll. In den meisten MOE-Ländern besteht zudem im Vergleich zu den EU-15 ein erheblicher Nachholbedarf im Bereich Kundenorientierung, Komfort, Information und Marketing im Bereich des öffentlichen Verkehrs, das einer Lösung bedarf.

3.1.5

Bei der Verteilung der wenigen EU-Mitteln, beispielsweise aus dem EFRE, die für ÖPNV Investitionen bereitgestellt werden, ergeben sich weitere Probleme. Einerseits sind es häufig die Zentralregierungen, die „ihre“ Prioritäten festlegen und im Rahmen der operationalen Programme in Brüssel anmelden; und die müssen nicht kongruent mit denen der Gemeinden sein. Ferner wurde der Studiengruppe glaubhaft versichert, dass die Antragsstellungsverfahren bei Projekten im ÖPNV bzw. SPNV wesentlich schwieriger und komplizierter seien als bei Straßenbauinvestitionen. Es kommt ferner bei den vergleichsweise wenigen ÖPNV Projekten z.T. zu einer Konkurrenz zwischen Großprojekten wie dem Bau von Metrosystemen und dem Ausbau der wesentlich kostengünstigeren Straßenbahn- und Bussysteme.

3.1.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass bei knapper werdenden öffentlichen Geldern auch beim öffentlichen Verkehr die Kosten-Nutzen-Relation beachtet werden und für die eingesetzten Finanzmittel ein möglichst großes Angebot an attraktiven Beförderungsmöglichkeiten mit einem dichten Haltestellen und Liniennetz bei guter Verknüpfung der Stadt- und Regionalnetze erreicht werden muss. Straßenbahnsysteme erfordern — bei vielfach gleicher Effektivität — aber nur ca. 10 % der Investitionskosten von U-Bahnsystemen und weisen geringere Folgekosten auf. Die Fehler vieler westeuropäischer Städte, die wie zum Beispiel Nantes in Frankreich ein hervorragendes Straßenbahn- und Oberleitungsbussystem abgeschafft haben und nun mit Millionen Euro an Aufwendungen wieder ein Straßenbahnsystem installieren, um ihre Verkehrsprobleme zu lösen, sollten in den MOE-Ländern nicht wiederholt werden.

3.1.7

Die beschriebenen Entwicklungen in den MOE-Ländern gleichen somit mehr und mehr jenen, die seit Jahren in der EU-15 als nicht nachhaltig und unverantwortlich erkannt worden sind.

3.2   Die Entwicklungen im städtischen Verkehr in den letzten Jahrzehnten

3.2.1

In den letzten Jahrzehnten hat sich ein massiver Wandel vollzogen, der in den Städten zu einer verschärften Konkurrenzsituation für den ÖPNV geführt hat:

Das Auto ist längst kein Luxusprodukt mehr, sondern ein allgemein verfügbares und immer komfortableres Gebrauchsgut geworden; wobei der EWSA allerdings zu bedenken gibt, dass 40 % der Haushalte — in der EU über kein Auto verfügen bzw. verfügen wollen.

Um das Auto und alle damit verbundenen Wirtschaftsbereiche herum hat sich eine sehr einflussreiche Lobby gebildet.

Mit dem Auto unterwegs zu sein, ist extrem bequem: es ist quasi immer verfügbar, man erreicht sein Ziel direkt, ohne „umzusteigen“, Witterungseinflüssen ist man in den mehr und mehr klimatisierten Fahrzeugen kaum ausgesetzt; das Auto bietet somit viele Vorteile und Annehmlichkeiten gegenüber dem ÖPNV.

Zu dem zu beobachtenden Verkehrswachstum hat zweifellos die funktionale Aufteilung von Stadtgebieten beigetragen: in einem Stadtteil (oder gar in einer Umlandgemeinde) wird gewohnt, an anderer Stelle gearbeitet, woanders wiederum eingekauft, am vierten Ort wird sich erholt. Der Bau von Einkaufszentren am Rande der Stadt symbolisiert diese Entwicklung wohl am besten.

In den Städten wurden lange Zeit erhebliche Investitionen vorgenommen, um die wachsenden Ansprüche des Autos zu befriedigen: Straßen wurden erweitert, Parkhäuser geschaffen, technische Systeme etabliert, um den ständig steigenden Verkehr überhaupt noch bewältigen zu können.

Andererseits verschwanden aus vielen großen Städten (z.B. Hamburg, Westberlin oder Nantes) beispielsweise die Straßenbahnsysteme, viele Metropolen vernachlässigten ihre ÖPNV-Systeme und achteten auch weniger auf die Bedürfnisse von Radfahrern oder Fußgängern.

Die Investitionen in den ÖPNV, aber auch in die Fahrrad- und Fußgängerinfrastruktur waren in den meisten Städten zu gering, um eine attraktive Alternative zum Auto zu entwickeln.

Vielerorts gibt es keine ausreichende Verknüpfung und Koordination zwischen den öffentlichen Verkehrssystemen der Städte und den Regionalverkehrssystemen, ebenso fehlen in vielen Großstädten tangentiale Verbindungen, so dass die Fahrt zwischen Vorstädten und Stadtvierteln über das Zentrum führt und im Vergleich zur Autonutzung zeitlich nicht attraktiv ist.

3.2.2

Natürlich ist auch dem EWSA klar, dass es keine allgemein gültige Entwicklung gibt, die für alle europäischen Städte gleichermaßen zutrifft. Die Entwicklung ist von Stadt zu Stadt und Region zu Region unterschiedlich verlaufen. Es gab und gibt nämlich auch Städte, die bereits in den letzten Jahren, z.T. Jahrzehnten, sehr intensiv darauf geachtet haben, die ÖPNV-Systeme und den Rad- und Fußgängerverkehr zu fördern. So ist auffällig, dass beispielsweise die Fahrradinfrastruktur in Brüssel eine andere ist als z.B. in Amsterdam oder Münster, und entsprechend unterschiedlich fällt auch der Anteil des Fahrrades am Gesamtverkehr aus. Freiburg, Mulhouse oder jüngst Paris haben — neben anderen Städten — neue Straßenbahnlinien etabliert und so viele Autofahrer zum Umsteigen bewegt.

3.2.3

Es gibt auch einige wenige positive Beispiele in den neuen Mitgliedstaaten, wo Kommunen erfolgreich die „Wende“ überwunden und positive Akzente im Bereich des ÖPNV gesetzt haben. Zweifellos gehört die Stadt Krakau (Polen) hierzu (7). Ein Besuch der für die Erarbeitung dieser Stellungnahme verantwortlichen Studiengruppe in Krakau hat dies eindrucksvoll gezeigt. Dort konnten unabhängige Verkehrsplaner und Umweltgruppen die städtische Verwaltung überzeugen, im Rahmen der — finanziell sehr eingeschränkten — Möglichkeiten den ÖPNV zu modernisieren und zu verbessern. Die Erhaltung, Modernisierung und gar der teilweise Ausbau eines faszinierend dichten Straßenbahnnetzes, der Kauf neuer Straßenbahnfahrzeuge, die Modernisierung der Busflotte, aber auch der Haltestellen, die beginnende Etablierung von Vorrangschaltungen für den ÖPNV, die Schaffung separater Fahrspuren für Busse und Bahnen, aber auch der konsequente Umbau und die teilweise Neuorientierung der ÖPNV-Verwaltung und des Betriebs zeigen dort mittlerweile Erfolge. Der Kostendeckungsgrad liegt bei knapp 90 % und damit weit über den üblicherweise erreichten Werten. Er könnte sogar noch weiter verbessert werden, wenn der kommunale Verkehrsbetrieb keine erheblichen Einnahmeverluste zu verzeichnen hätte, weil die Zentralregierung Fahrpreisermäßigungen für bestimmte Nutzergruppen (wie Schüler, Studenten, Rentner, Behinderte etc.) beschlossen hat, aber die entsprechenden Einnahmeverluste nicht ausgleicht.

3.2.4

Der EWSA spricht sich selbstverständlich nicht gegen entsprechende Fahrpreisverbilligungen für solche Nutzergruppen aus, meint aber, dass die entsprechenden Kosten nicht den Verkehrsunternehmen aufgebürdet werden dürfen.

3.2.5

Die Analyse des positiven Fallbeispiels Krakau bringt allerdings auch die Probleme an den Tag, mit denen die Kommunen, aber auch die Betreiber des ÖPNV zu kämpfen haben: oftmals fehlendes Bewusstsein in der Politik (und dies leider auf allen hierarchischen Ebenen), die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung des Verkehrsmittels (Auto = modern, ÖPNV = altmodisch, etwas für Menschen mit begrenzten finanziellen Ressourcen, die sich kein Auto leisten können), Nichtbeachtung der verkehrstechnischen Folgen städtebaulicher Entwicklung, mangelnde Abstimmung zwischen städtischem Verkehr und Umlandverkehr.

3.2.6

In einigen Städten ist also zumindest partiell ein Umdenken deutlich erkennbar, es wird in „umweltfreundlichere“ Verkehrsträger investiert, was vom EWSA begrüßt wird. Wichtig ist dem Ausschuss deutlich zu machen, dass angesichts knapper öffentlicher Mittel und angesichts der hohen negativen Folgen des innerstädtischen Autoverkehrs die Zeiten der gleichzeitigen Förderung aller Verkehrsträger zu Ende sein müssen. Die Bedeutung des Autos sollte, ganz im Sinne der mittlerweile fast 10 Jahre alten Ideen der „Bürgernetze“, in den Städten zurückgedrängt werden, wozu nicht nur massive Attraktivitätssteigerungen beim ÖPNV und der Fußgänger- und Radfahrinfrastruktur notwendig sind, sondern auch bewusste „Erschwernisse“ beim Auto selbst. Denn für einen gleichzeitigen Ausbau sowohl einer Autoinfrastruktur als auch des ÖPNV fehlt es einerseits an Geld, andererseits an Fläche.

3.2.7

Nur bei einer klaren Zielhierarchie und Priorisierung von ÖPNV- sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs — gegenüber der Kfz-Infrastruktur kann also die Wohn-, Lebens- und Umweltqualität in Metropolregionen verbessert werden. Die ÖPNV-Belange müssen daher vor der Entscheidung über die Flächennutzungsplanung sowie vor der Entscheidung über die übrige Verkehrserschließung im planerischen und politischen Prozess sowie bei der Finanzierung berücksichtigt werden.

3.2.8

Die Maßnahmen, die Kommunen anwenden müssten, sind so vielfältig, dass es nicht Sinn und Aufgabe einer EWSA-Stellungnahme sein kann, hier alle aufzulisten. Zur Attraktivitätserhöhung beim ÖPNV gehört nicht nur ein qualitativ und quantitativ hochwertiges Angebot hinsichtlich Taktfrequenz, Schnelligkeit, Sauberkeit und Sicherheit, Information etc. Verfügbarkeit und Zugänglichkeit (ganz besonders relevant für Behinderte, Mütter mit Kindern etc.) müssen als unabdingbare Voraussetzungen in die Planung einfließen; der Zugänglichkeitsaspekt muss im Hinblick auf die Schaffung attraktiver Umsteigemöglichkeiten zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln besonders berücksichtigt werden, um für alle Bürger ein kohärentes Beförderungsangebot von einem Ort zum anderen sicherzustellen. Auch bezahlbare Fahrpreise spielen bei der Wahl des Verkehrsmittels eine wichtige Rolle. Konkrete, praktische Hinweise, wie eine entsprechende Qualitätssteigerung erreicht werden kann, sollten den politisch Verantwortlichen noch besser als bisher zur Verfügung gestellt werden. Weniger (und dafür teure) Parkmöglichkeiten in den Zentren, dafür mehr und billige Parkangebote an den Endhaltestellen der schienengebundenen Nahverkehrssysteme, separate Straßenbahn- und Busspuren, die teilweise natürlich zu Lasten des Platzangebotes für Autos gehen (müssen) sind weitere Maßnahmen, entsprechende Verkehrsverlagerungen zu erreichen. (Im Zusammenhang mit der Verknappung des Parkraums muss bei der diesbezüglichen Planung weiterhin eine ausreichende Zahl an Sonderparkplätzen für Personen mit stark eingeschränkter Mobilität, die sich nur mit Hilfe eines speziell ausgestatteten Kraftfahrzeugs fortbewegen können, sichergestellt werden.) London, Stockholm (nach einem Bürgerentscheid!) haben damit begonnen, von Autofahrern Nutzungsgebühren zu erheben, wenn sie in die Innenstadt fahren wollen (bzw. bestimmte Straßen benutzen), und sie erreichen damit gute Erfolge. In Madrid und weiteren europäischen Großstädten wird dies derzeit geprüft.

3.2.9

In London beispielsweise werden die Einnahmen aus der sog. City-Maut überwiegend in das städtische Bussystem investiert. Allein dies führte zu einer bemerkenswerten Verbesserung des öffentlichen Verkehrs und zu einer klaren Verringerung der Treibhausgasemissionen (um — 10 %), des Energieverbrauchs (minus 20 %) sowie der Stickoxid- und der Partikelemissionen (minus 16 %) (8).

3.2.10

Doch leider geht der Trend trotz dieser genannten guten Beispiele und trotz der Verfügbarkeit von Best-practice-Beispielen — die u.a. im Civitas-Projekt der EU gefördert und dokumentiert wurden — noch nicht in Richtung einer wirklich „neuen“ städtischen Verkehrspolitik. Und gerade in den mittel- und osteuropäischen Ländern werden derzeit jene „Fehler“ wiederholt, deren schwerwiegende Konsequenzen Tag für Tag in den westeuropäischen Städten beobachtet werden können.

3.2.11

Oberste Prämisse jeglicher urbaner Planungs- und Verkehrspolitik sollte es nach Auffassung des EWSA sein, Verkehr zunächst nicht oder nur in einem geringen Maße „entstehen“ zu lassen, in der zweiten Priorität den Mobilitätsbedarf möglichst mit umweltverträglichen Verkehrsmitteln, also mit dem ÖPNV, dem Rad bzw. zu Fuß abzuwickeln bzw. abwickeln zu können.

3.2.12

Hierzu ist es notwendig, einen großen Mix aus planerischen und organisatorischen Maßnahmen zusammenzustellen und entsprechende Investitionsentscheidungen zu treffen. Dass eine nachhaltige städtische Verkehrsplanung funktionieren kann, und dass diese einerseits die Lebensbedingungen in der Stadt verbessert, ohne dass sie die Wirtschaftskraft schwächt, zeigen viele Einzelbeispiele in europäischen Städten. Es zeigt sich aber auch, dass vielerorts solche Maßnahmen bislang nicht ergriffen worden sind, was an fehlendem Know-how bzw. anderen politischen Prioritäten liegt.

3.2.13

Der EWSA empfiehlt der Kommission, dem Rat, aber auch und besonders dem Ausschuss der Regionen, eine Untersuchung darüber anzustellen, was die Erfolgsfaktoren in jenen Städten waren, in denen die Entwicklung im Bereich einer umweltverträglichen Stadtverkehrsentwicklung entsprechend positiv waren, bzw. woran es liegt, dass in vielen anderen weiterhin negative Entwicklungen vonstattengehen. Der EWSA ist sich sicher: es liegt nicht allein am Geld, sondern extrem stark am politischen Bewusstsein und den verkehrs- und siedlungspolitischen Beschlüssen der Entscheidungsträger. Hieran zu arbeiten, ist mindestens ebenso wichtig wie das Sammeln und Zurverfügungstellen von gelungenen Beispielen.

3.3   Die Fragen der deutschen Präsidentschaft

3.3.1   Koordinierung der Planung von Verkehrs- und Siedlungsstruktur (Wie kann Siedlungsentwicklung und ÖPNV-Netz in Übereinstimmung gebracht werden?)

3.3.1.1

Es ist keine Frage: Es bedarf in den meisten Fällen einer besseren Koordination bei der Planung. Es ist eindeutig, dass sich die Verkehrs- und Siedlungsstruktur wechselseitig bedingen. Dies ist seit langem bekannt. Die Flächennutzungs- und Bauleitplanung, die in der Hauptverantwortung der Kommunen liegt, ist somit eine der entscheidenden Determinanten für Höhe und Art des zukünftigen Verkehrsaufkommens. Eine besser abgestimmte Regional- und Landesplanung sollte zukünftig eine stärker an den Zielen der Verkehrsvermeidung ausgerichtete Siedlungsentwicklung fördern und die Zersiedelung sowie die Erschließung von Handels- und Gewerbestandorten in der Peripherie zu Lasten der Innenstädte verhindern.

3.3.1.2

Die Verkehrserschließung von bestehenden und neuen Siedlungs- und Gewerbegebieten z.B. durch leistungsfähige ÖPNV-Systeme verbessert eindeutig deren Standortattraktivität. Dies lässt sich relativ leicht durch die Veränderungen bei Bodenpreisen nachweisen. Sie ist aber auch Voraussetzung dafür, nicht übermäßig neue Umweltbelastungen zu erzeugen.

3.3.1.3

Für den EWSA ist es keine Frage, dass die Metropolregionen, aber nicht nur diese, sondern alle Städte, zukünftig noch wesentlich stärker als bisher auf die sog. „Innenentwicklung“ achten sollten, also primär innerstädtische Flächen nutzen sollten, bevor Flächen in den Randbereichen bzw. Außenbezirken der Städte neu erschlossen werden. Diese Auffassung steht im Einklang mit den Zielsetzungen der Bodenschutzstrategie der EU.

3.3.1.4

Weitere Voraussetzungen sind verkehrssparsame, verdichtete, funktionsgemischte Siedlungsstrukturen mit entsprechenden Handels- und Gewerbestandorten, Akzeptanz und Kultivierung eines massiv verlangsamten an die anderen Verkehrsteilnehmer angepassten Autoverkehrs zur Rückeroberung städtischer Lebensräume. Dazu sind flächendeckende Verkehrsberuhigung, „Spielstraßen“, in denen Fußgänger und Radfahrer Vorrecht vor motorisiertem Verkehr haben, sowie Fußgängerzonen auszubauen. Sozial und kulturell aufgewertete Stadtviertel mit dezentralen Einkaufs- und Freizeitangeboten wirken besonders verkehrssparend.

3.3.2   Sicherstellung eines leistungsfähigen und attraktiven öffentlichen Personennahverkehrs zur Entlastung der Ballungsräume vom Individualverkehr (Marktordnung, Finanzierung, Kundenzufriedenheit)

3.3.2.1

Eine Entlastung der Ballungsräume vom Individualverkehr wird nur möglich sein, wenn ein leistungsfähiger und attraktiver ÖPNV zur Verfügung steht. „Attraktiv“ und „leistungsfähig“ heißt, dass das Angebot in Menge und Qualität so gestaltet sein muss, dass die Benutzung möglichst einfach und möglichst angenehm ist.

3.3.2.2

Es kann nicht die Aufgabe des EWSA sein, in einer solchen Stellungnahme das ganze Bündel notwendiger Maßnahmen im Bereich Marktordnung, Finanzierung und Kundenzufriedenheit aufzuzählen. Klar ist jedoch: Die Attraktivität der Verkehrsmittel definiert sich nicht nur über Menge und Qualität des Angebotes, sondern auch über den Preis. Die Internalisierung der externen Kosten im Bereich des Verkehrs, oft genug politisch angekündigt, würde eindeutig helfen, die Wettbewerbsposition des ÖPNV zu verbessern.

3.3.2.3

Die Kunden werden den ÖPNV in Konkurrenz zum Auto nur dann wieder stärker nutzen, wenn ein preiswürdiges Angebot vorliegt, das heißt, wenn ein qualitativ hochwertiges Angebot zu einem angemessenen Preis geboten wird. Das lässt sich nur erreichen, wenn die Effizienz des ÖPNV kontinuierlich gesteigert wird. Wird hier ein Optimum erreicht, kann auch der Kostendeckungsgrad erhöht werden. Vollständige Kostendeckung der Investitions- und Betriebskosten des ÖPNV aus den Fahrpreisen kann dennoch kein politisches Ziel sein. Eine derartige einseitige betriebswirtschaftliche Kostenrechnung blendet nämlich die Internalisierung externer Kosten des Verkehrs in den Städten aus. Der EWSA sieht es deshalb als extrem wichtig an, dass von Seiten der Politik endlich Kostenwahrheit im Verkehr geschaffen wird, wozu die Internalisierung der externen Kosten unverzichtbar gehört. Die Internalisierung der externen Kosten im Bereich des Verkehrs, oft genug politisch angekündigt, würde eindeutig helfen, die Wettbewerbsposition des ÖPNV zu verbessern

3.3.2.4

Staatliche oder nationale Infrastrukturentscheidungen (z.B. Fernstraßen, die für den Nah- und Regionalverkehr in Konkurrenz zum ÖPNV genutzt werden) und steuerliche Rahmensetzungen (Kfz-Entfernungspauschale, Kraftstoffbesteuerung, Ökosteuer zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs etc.) bis hin zur EU-Förderpolitik (z.B. im Rahmen der transeuropäischen Netze) sind wichtige Einflussfaktoren für die Verkehrsmittelwahl und damit die Chance, einen finanzierbaren und kundenorientierten ÖPNV mit hoher Netzdichte und zeitlicher Angebotsqualität aufzubauen.

3.3.2.5

Zur Sicherstellung eines leistungsfähigen und attraktiven ÖPNV sowie der Entlastung der Ballungsräume vom motorisierten Individualverkehr und dem Straßengüterverkehr (nicht vom gewünschten individuellen Rad- und Fußverkehr) bedarf es einer integrierten Raum- und Verkehrsplanung, welche die einzelnen Verkehrsarten und -zwecke erfasst und im regionalen Verbund mit den peripheren Räumen bewertet. Nach einer abgestimmten Zielhierarchie und entsprechend abgeleiteten Strategien sind dann unterschiedlichste Maßnahmen in einem politischen und kommunikativen Prozess umzusetzen. Hierzu ist die Integration von Planungskompetenz und Finanzierungskompetenz wichtig. Weitere Vorraussetzungen sind verkehrssparsame, verdichtete, funktionsgemischte Siedlungsstrukturen mit entsprechenden Handels- und Gewerbestandorten, Akzeptanz und Kultivierung des Langsamverkehrs zur Rückeroberung städtischer Lebensräume.

3.3.2.6

Um die Anbindung des in der ländlichen Umgebung benutzten oder von fern kommenden Individualverkehrs an die öffentlichen städtischen Verkehrsnetze attraktiv und praktikabel zu gestalten, sollten (siehe auch Ziffer 3.2.8) an geeigneten peripheren Halteknoten ausreichend ausgestattete, preiswerte und bequeme Parkmöglichkeiten geschaffen werden („Park and Ride“)

3.3.2.7

Der EWSA fordert als steuernde Maßnahme zur Verkehrsvermeidung und -verlagerung auch eine schrittweise Angleichung der Kraftstoffbesteuerung in der EU auf hohem Niveau, um eine einheitliche Wettbewerbsituation sowie Finanzierungsquellen für den ÖPNV zu erschließen.

3.3.3   Förderung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs

3.3.3.1

Gemessen an der Anzahl der Wege (nicht der Länge) wird jede dritte Strecke ausschließlich zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt, was die hohe Bedeutung des Rad- und Fußgängerverkehrs in unseren europäischen Städten deutlich macht. Auf der anderen Seite wird immer noch mehr als die Hälfte aller Wege unter 5 km mit dem Auto zurückgelegt, obwohl in dieser Distanz häufig das Rad das schnellere Verkehrsmittel wäre. Durch die Verbesserung der Erreichbarkeit von Haltestellen des ÖPNV, von Abstell- und Mitnahmemöglichkeiten können im innerstädtischen Verkehr auch weitere Distanzen mit einer Kombination von umweltverträglichen Verkehrsmitteln zurückgelegt und der Modal-Split verändert werden. (Die Frage, wie der Radverkehr, gerade über Ländergrenzen hinweg, auf europäischer Ebene gefördert werden kann, wird in der Sondierungsstellungnahme „Förderung des grenzüberschreitenden Radverkehrs“ TEN/277, R/CESE 148/2007, gesondert behandelt).

3.3.3.2

Als öffentliches Verkehrsmittel bietet das „Citybike“ die Möglichkeit, in der ganzen Stadt Distanzen mit dem Fahrrad zurückzulegen. Diese Citybikes können an öffentlichen Bike-Stationen innerhalb der Stadt entliehen und an jeder beliebigen Station zurückgegeben werden. Es ist nur eine Anmeldung, z.B. mit einer Kreditkarte, erforderlich. Die Nutzungsgebühr muss sehr preiswert sein.

3.3.3.3

Fahrradfahren und Zufußgehen ist nicht nur extrem umweltfreundlich, sondern zudem auch gesund. In unserer Gesellschaft, in der Bewegungsmangel mittlerweile hohe Gesundheitskosten verursacht, sollte es auch aus gesundheitspolitischen Gründen durchaus wünschenswert sein, den Anteil des Rades und des Fußgängerverkehrs zu fördern.

3.3.3.4

Es ist leicht zu verstehen, dass hierfür eine entsprechende qualitativ hochwertige Infrastruktur vorhanden sein muss. Beim Rad gehören hierzu nicht nur die Radwege in den Städten, sondern auch gesicherte Abstellmöglichkeiten und andere Serviceangebote (z.B. Mitnahmemöglichkeiten im ÖPNV und in der Bahn). Die Niederlande dürften das europäisch beste Beispiel dafür sein, wie man eine Fahrradinfrastruktur entwickelt. Deshalb stellt sich auch weniger die Frage, was Kommunen machen können, sondern die, warum sie die vergleichsweise kostengünstigen Möglichkeiten zur Attraktivitätssteigerung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs bisher nicht nutzen und umsetzen.

3.3.3.5

Gerade in Ballungsräumen, in denen die Wohn- und Aufenthaltsqualität verbessert sowie die Umsetzung der EU-Luftqualitätsrichtlinien und der EU-Umgebungslärmrichtlinien überfällig ist, kommt der Förderung des Rad- und Fußgängerverkehrs besondere Bedeutung zu. Bei einem Vergleich der Modal-Split-Werte von europäischen Großstädten und Ballungsräumen wird deutlich, dass es entscheidende Faktoren für hohe Anteile dieser Verkehrsarten an den täglichen Wegen, die Attraktivität der angebotenen Infrastruktur sowie begleitende Förder- und Imagemaßnahmen gibt: Anteil der verkehrsberuhigten und autofreien Räume, dichtes Netz, Vorrang bei Querungen und an Ampeln, Gehsteigbreiten, Beschilderung, Aufenthalts- und Ruhemöglichkeiten, Radabstellanlagen und -stationen, Öffentlichkeitskampagnen (walk to school-days, Wettbewerb mit dem Rad zur Arbeit, car-free days, Rad-Mitnahmemöglichkeit im ÖPNV). Ebenso ist ein Rad- und Fußwegebeauftragter als Stabsstelle sinnvoll.

3.3.4   Einsatz moderner Informations-, Kommunikations- und Leittechniken

3.3.4.1

Die Verkehrstelematik kann zur Verlagerung von Verkehr auf den ÖPNV und die bessere Ausnutzung vorhandener Kapazitäten beitragen. Hierdurch lassen sich Verkehrssicherheit erhöhen und Umweltbelastung verringern. Letzteres sowie die Verkehrsverlagerung stehen allerdings bisher nicht im Fokus bei Entwicklung und Nutzung der Verkehrstelematik. Der EWSA sieht mit Sorge, dass Millionen Euro an Forschungs- und Entwicklungsgeldern sowie Förderungen in diesem Bereich eher zu einer „Verflüssigung“ des Kfz-Verkehrs und damit zu keiner Umweltentlastung geführt haben. Ebenso hat die Kapazitätserhöhung bei gleichmäßigerem Straßenverkehr nicht zu einem Verzicht auf den Neu- oder Ausbau des Straßennetzes beigetragen. Die Umlenkung des Autoverkehrs bei Stausituationen auf den ÖPNV trägt nicht zu einer gleichmäßigeren Auslastung von ÖV-Systemen bei und ist daher — aus Sicht des ÖPNV — eher kontraproduktiv zu werten.

3.3.4.2

Der EWSA spricht sich für den prioritären Einsatz der Verkehrstelematik im Bereich des ÖPNV zur umfassenden Verkehrs- und Reisendeninformation aus. Ebenso sieht er Einsatzmöglichkeiten im Bereich des Flottenmanagements und der City-Logistik (Leerfahrtenvermeidung, Fahrtenbündelung). Ebenso sollte im Rahmen einer integrierten Verkehrsplanung die Effizienzsteigerung durch telematische Systeme zur Vermeidung von Aus- und Neubau bestehender Infrastrukturen genutzt werden. Insgesamt macht der Einsatz von Telematik im Verkehrsbereich nur Sinn, wenn damit tatsächlich eine Reduktion von Pkw- und Kfz-Fahrten erreicht wird.

3.3.5   Reduzierung von städtischen Umweltbelastungen

3.3.5.1

Nur mit den vorgeschlagenen Maßnahmen für eine klare Priorisierung des Umweltverbundes aus Rad fahren, zu Fuß gehen und ÖPNV-Nutzung können die städtischen Umweltbelastungen wie z.B. Feinstaub, Lärm und der Flächenverbrauch durch den fließenden und ruhenden Autoverkehr verringert und die entsprechenden EU-Richtlinien zur Gesundheitsvorsorge und Attraktivitätssteigerung der Städte umgesetzt werden. Technische Maßnahmen wie Russfilter etc. können, so wichtig und sinnvoll sie vielfach auch sind, die städtischen Umweltbelastungen allein nicht reduzieren. An strukturellen verkehrspolitischen Änderungen werden die Gemeinden nicht vorbei kommen.

4.   Forderungen

Der ÖPNV kann nur dann sinnvoll entwickelt werden, wenn im Rahmen einer konzertierten Aktion EU-Kommission, Mitgliedstaaten und lokale Stellen eine aktive Politik für öffentliche Verkehrsträger entwickeln, wozu auch gehört, die Dominanz des Autos in Frage zu stellen.

Forderungen an die EU-Ebene

4.1

Die Kommission ist aufgerufen, die Finanzmittelverteilung bei den Regionalentwicklungsmaßnahmen neu zu regeln. Der EWSA schlägt vor, dass auch beim EFRE, analog zum Kohäsionsfonds, ein bestimmter, hoher Anteil der für Verkehrsprojekte vorgesehenen Investitionen für Investitionen in öffentliche Verkehrsprojekte zweckgebunden werden muss.

4.2

Solange die verursachten Kosten des motorisierten Individualverkehrs nicht über Straßenbenutzungsgebühren und andere finanzielle Belastungen getragen werden, ist eine vollständige Erwirtschaftung der Trassenkosten schienengebundener Verkehre nicht gerechtfertigt.

4.3

Eine Internalisierung der externen Kosten im Verkehrsbereich sowie eine Steuerung der Verkehrsmittelwahl über die Preisgestaltung (Kfz-Steuer, Benzinsteuer, Parkgebühren, Straßenbenutzungsgebühren) sind notwendige Rahmenbedingungen zum Stoppen des Abwärtstrends des öffentlichen Verkehrs und zur Erzielung einer Trendwende in Richtung Ausweitung des Angebots, Vernetzung, Erzielung höherer Nachfrage und Kostendeckungsgrade im öffentlichen Verkehr. Der EWSA hat sich mehrfach für die Internalisierung externer Kosten ausgesprochen, die Kommission hat mehrfach entsprechende Ankündigungen gemacht. Doch passiert ist nichts. Die Kommission ist aufgerufen, u.a. bei der geplanten Vorlage eines Grünbuchs „Stadtverkehr“ endlich entsprechende Aussagen zu machen und die Umsetzung unverzüglich anzugehen.

4.4

Der EWSA bittet die Kommission, ähnlich dem Marco-Polo-Programm, ein konkretes EU-Förderprogramm für die Verkehrsverlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr auszuarbeiten, mit dem auch Pilotprojekte für zukunftsweisenden öffentlichen Personennah- und -regionalverkehr insbesondere in den MOE-Staaten finanziert werden können. Solche Pilotprojekte sollten auf Strecken mit bislang ungenutztem großen Fahrgastpotenzial eine Modernisierung der Infrastruktur (inkl. sinnvoller Neubaumaßnahmen), eine Modernisierung der Fahrzeuge, Einführung eines attraktiven Fahrplans und eine optimale Vernetzung mit dem übrigen öffentlichen Personennah- und -regionalverkehr beinhalten. Und auch in Städten sollten modellhafte Initiativen unterstützt werden.

4.5

Ebenso wäre ein konkretes EU-Förderprogramm zum Thema Mobilität und Stadtentwicklung bzw. Regionalplanung sinnvoll. Hier könnten Modellprojekte gefördert werden, die nicht zu einer planlosen Zersiedelung führen, sondern die bestehenden Siedlungskerne sowie ein abgestuftes System zentraler Orte fördern, Siedlungsachsen definieren, die dann auch tatsächlich mit einem attraktiven SPNV bzw. ÖPNV erschlossen werden können.

4.6

Der EWSA empfiehlt ferner zur Verbesserung der statistischen Datengrundlage eine Berichtspflicht für ausgewählte Parameter des öffentlichen Verkehrs in den einzelnen Ländern und die systematische Verbreitung von Best-practice-Beispielen im öffentlichen Verkehr. Eine gute Grundlage bietet hierfür der Europäische Informationsdienst für den Nahverkehr und sein Internetportal Eltis (www.eltis.org), eine Initiative der Kommission. Die dort aufgeführten Fallbeispiele zu einzelnen Maßnahmen sollten vor allem im Hinblick auf Beispiele aus den neuen Mitgliedstaaten und den Beitrittskandidaten systematisch ergänzt werden.

4.7

Die EU-Kommission und der Rat sollten überlegen, die Gebietskörperschaften zu verpflichten, nachhaltige städtische Verkehrspläne, mit dem verpflichtenden Ziel für eine Verlagerung hin zu umweltverträglichen Verkehrsmitteln (ÖPNV, Rad-, Fußverkehr) aufzustellen. Diese sollten noch festzulegenden europäischen Mindestansprüchen genügen. Sollten die Kommunen solche Pläne nicht erstellen, sollten sie von finanziellen Förderungen aus den Gemeinschaftsfonds ausgeschlossen werden.

Forderungen an die Mitgliedstaaten

4.8

Die neuen Mitgliedstaaten bittet der EWSA ihre Verantwortung für den SPNV und den ÖPNV wahrzunehmen und z.B. über Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetze zu unterstützen. Sie dürfen die Kommunen nicht finanziell und organisatorisch im Regen stehen lassen.

4.9

Es kann nicht angehen, dass Unternehmen die finanziellen Lasten zu tragen haben, die aus durchaus sinnvollen sozialpolitischen Entscheidungen (wie reduzierte Fahrpreise für sozial schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen) resultieren. Der EWSA kann hierin nur ein verantwortungsloses Verhalten von Regierungen gegenüber dem ÖPNV erkennen.

4.10

Die Mitgliedstaaten sollten sich verpflichtet fühlen, für die sozialen Leistungen, die sie von den Verkehrsunternehmen verlangen (z.B. ermäßigte Tickets für Schüler, Rentner, behinderte Personen etc.), auch finanziell aufzukommen.

4.11

Die Mitgliedstaaten sollten eine Internalisierung der externen Kosten des motorisierten Individualverkehrs vorantreiben, um mit den eingenommenen Geldern die öffentlichen Verkehrsangebote massiv auszubauen und die Verkehrsverlagerung voranzutreiben.

4.12

Gegebenenfalls gemeinsam mit der EU Kommission sollten die Mitgliedstaaten versuchen, Best-practice-Beispiele für eine positive Entwicklung des ÖPNV möglichst breit bekannt zu machen. Dem ÖPNV mangelt es zwar auch an Geld, aber nicht nur: ohne Bewusstsein und ohne Ideen, ohne „benchmarking“ kann man selbst mit noch so viel Geld oft nichts erreichen.

Forderungen an die Kommunen

4.13

Zur Sicherstellung eines leistungsfähigen und attraktiven ÖPNV sowie der Entlastung der Ballungsräume vom motorisierten Individualverkehr und dem Straßengüterverkehr bedarf es einer integrierten Raum- und Verkehrsplanung, welche einerseits auf Verkehrsvermeidung ausgerichtet ist und andererseits auf umweltschonende Verkehrsträger setzt. Dazu müssen zunächst die einzelnen Verkehrsarten und -zwecke erfasst und im regionalen Verbund mit den peripheren Räumen bewertet werden.

4.14

Nach einer abgestimmten Zielhierarchie und entsprechend abgeleiteten Strategien sind dann von den Kommunen unterschiedlichste Maßnahmen in einem politischen und kommunikativen Prozess umzusetzen.

4.15

Die Gebietskörperschaften sollten sich klare Ziele setzen, wie und um wie viel sie den Anteil des ÖPNV und des Umweltverbundes aus Radfahren und Zufußgehen erhöhen und den absoluten Anteil des motorisierten Individualverkehrs somit verringern wollen. Hierzu ist die Integration von Planungskompetenz und Finanzierungskompetenz wichtig.

4.16.

Eine vorausschauende Planung für den öffentlichen Verkehr als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge muss auch eine Bodenbevorratungspolitik für z.B. Trassen und Stationen des öffentlichen Verkehrs berücksichtigen.

4.17.

Die Beteiligung der Bürgerschaft sowie von Nutzervereinigungen an den Planungsprozessen ist für den Erfolg der öffentlichen Verkehrssysteme von großer Bedeutung. Der EWSA empfiehlt daher den Gebietskörperschaften eine umfangreiche Bürgerbeteiligung beim Ausbau ihrer öffentlichen Nahverkehrssysteme.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Vorsitzende

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  „Die Entwicklung des Bürgernetzes — warum ein attraktiver lokaler und regionaler Personenverkehr wichtig ist und wie die Europäische Kommission zu seiner Schaffung beiträgt!“ — KOM(1998) 431 endg. vom 10.7.1998.

(2)  GD TEN Roadmap 2006/TREN/029.

(3)  S. UITP „Die Rolle des ÖPNV bei der Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen und der Verbesserung der Energieeffizienz“, März 2006.

(4)  KOM(1998) 431 vom 10.7.1998.

(5)  U.a. mit Hinweis auf die Bedeutung der Automobilindustrie für die Gesamtwirtschaft.

(6)  Siehe dazu KOM(1998) 431 endg.

(7)  Die Umsetzung der Maßnahmen wurde dort durch das Programm Caravelle im Rahmen von Civitas von der EU-Kommission unterstützt.

(8)  S. UITP (FN2).


20.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 168/86


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Förderung des grenzüberschreitenden Radverkehrs“

(2007/C 168/18)

In einem Schreiben vom 7. November 2006 ersuchte das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Rahmen des deutschen EU-Ratsvorsitzes gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Stellungnahme zu folgendem Thema: „Förderung des grenzüberschreitenden Radverkehrs“.

Am 21. November 2006 beschloss der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit der Vorbereitung der Arbeiten zu beauftragen.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) Herrn SIMONS zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 128 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerung

1.1

Noch gibt es zwar keine europäische Radverkehrspolitik, doch unterstützt die Europäische Kommission über Finanzhilfen die Forschung, Entwicklung und Durchführung von Projekten im Rahmen einer Politik für nachhaltige Mobilität und eine nachhaltige Energienutzung.

1.2

Der EWSA empfiehlt, das Fahrrad als Verkehrsmittel in der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik im Allgemeinen und insbesondere im künftigen Grünbuch zum städtischen Nahverkehr umfassend zu berücksichtigen.

1.3

In Europa müssen alle Züge — auch die internationalen Hochgeschwindigkeitszüge — mit einem Raum für die Mitnahme von u.a. Fahrrädern ausgestattet werden.

1.4

Mindestanforderungen an die Qualität der Radverkehrsinfrastruktur, die mit Hilfe von EU-Finanzhilfen angelegt wird, sind erforderlich.

1.5

Der EWSA empfiehlt, auch Haushaltsmittel für EU-Finanzhilfen für die Anlage und Instandhaltung von Radverkehrsinfrastruktur bereitzustellen. Ihre Zweckmäßigkeit hat diese Infrastruktur in der Praxis in europäischen Städten und Ländern schon bewiesen.

1.6

Die Europäische Kommission muss den Austausch von Wissen, bewährten Verfahren und Sensibilisierungsmaßnahmen für das Radfahren auch weiterhin bzw. künftig finanziell fördern und die Aufnahme der Radverkehrspolitik (z.B. durch die Intermodalität von Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln) in allen von der Europäischen Kommission geförderten Projekte im Verkehrsbereich verbindlich vorschreiben.

1.7

Die Aufstellung und Durchsetzung geeigneter Sicherheitsvorschriften für Radfahrer und ihr Verkehrsmittel sowie für die Radverkehrsinfrastruktur und den sonstigen Verkehr muss auch auf europäischer Ebene angeregt werden.

1.8

Bei der Weiterentwicklung der europäischen Politik in den Bereichen Raumordnung (darunter auch die Städtebaupolitik), Umwelt, Wirtschaft, Gesundheit, Erziehung und Bildung sollte die Radverkehrspolitik auch berücksichtigt werden.

1.9

Die Europäische Kommission sollte das Monitoring und die Datenerhebung im Zusammenhang mit dem Radverkehr in Europa gut organisieren und eine Harmonisierung der Erhebungsmethoden anregen.

1.10

Die Europäische Kommission muss den weiteren Ausbau der EuroVelo-Routen auch weiterhin finanziell unterstützen, damit ein vollständiges europäisches Radwegenetz, ein TEN (transeuropäisches Netz) für den Radverkehr, entsteht.

1.11

Die Verwaltung und das Sekretariat des EuroVelo-Netzes sollte einer von der Europäischen Kommission unterstützten europäischen Organisation übertragen werden, die von zentraler Stelle aus dafür sorgt, dass bei den einzelnen EuroVelo-Routen nach Projektabschluss die Infrastruktur und die Information der Radfahrer weiter unterhalten werden.

2.   Einleitung

2.1

Das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) im Rahmen des deutschen EU-Ratsvorsitzes um eine Sondierungsstellungnahme zum grenzüberschreitenden Radverkehr ersucht. Das BMVBS stellte drei Fragen.

2.2

In dieser Sondierungsstellungnahme wird zunächst auf den aktuellen Stand der Radverkehrspolitik in der EU eingegangen (Frage 3 des BMVBS), wobei der Schwerpunkt auf dem Fahrrad als Verkehrsmittel im Alltag liegen soll. Anschließend werden Möglichkeiten erörtert, wie die grenzüberschreitende Radverkehrsinfrastruktur verbessert (Frage 2 des BMVBS) und der europäischen Zusammenarbeit beim Ausbau des Routennetzes Gestalt gegeben werden kann (Frage 1 des BMVBS). Im Mittelpunkt der letztgenannten zwei Fragen steht der Fahrradtourismus.

3.   Aktueller Stand der Radverkehrspolitik in der EU

3.1

Die Radverkehrspolitik ist für die EU bislang kaum ein eigenständiges Thema gewesen. Das Fahrrad kam in der Vergangenheit auf europäischer Ebene vor allem im Rahmen der Umweltproblematik zur Sprache, nachdem vor allem aus den Reihen der Umweltbewegung aufgrund der Nachteile des zunehmenden Autoverkehrs zu einer besseren Radverkehrspolitik aufgerufen worden war. So forderte das für Umwelt zuständige Kommissionsmitglied Ritt Bjerregaard in einem 12-Punkte-Programm (1) die lokalen Gebietskörperschaften in Europa zu einer fahrradfreundlichen Politik auf.

3.2

Im Verkehrsweißbuch von 2001 und seiner Zwischenbilanz aus dem Jahr 2006 liegt der Schwerpunkt auf anderen Verkehrsträgern. Die Reaktion des Europäischen Parlaments (2) auf das Weißbuch enthält jedoch den Aufruf an die Europäische Kommission, mehr in Fahrradmitnahmemöglichkeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln zu investieren.

3.3

Das heutige für Verkehr zuständige Kommissionsmitglied Jacques Barrot betonte in seiner Rede auf der Euro-Velo-city-Konferenz 2005 in Dublin, dass die EU trotz des Subsidiaritätsprinzips bei der Förderung des Fahrradfahrens in Europa eine Rolle spielen müsse. Das Fahrrad kann auf dem Weg hin zu der angestrebten Ausgewogenheit zwischen den Verkehrsträgern eine größere Rolle übernehmen. Die Rolle der Europäischen Kommission besteht für Herrn Barrot in Folgendem: Finanzhilfen, Verbesserung der Verkehrssicherheit und der Information der Entscheidungsträger sowie Zusammenarbeit.

3.4

Die Europäische Kommission unterstützt im Rahmen von Forschung und Entwicklung die CIVITAS (CIty VITAlity Sustainability) Initiative. Bislang wurden in 36 Städten in 17 Ländern auf einen nachhaltigen städtischen Nahverkehr ausgerichtete Maßnahmen umgesetzt. Eine der acht für integrierte Lösungen aufgestellten Kategorien bezieht sich auf die Förderung einer Lebensweise, bei der die Kraftfahrzeugnutzung u.a. durch eine stärkere Nutzung des Fahrrads verringert wird (3). Im Rahmen des „Programms intelligente Energie für Europa“ unterstützt die Europäische Kommission STEER-Projekte, die eine nachhaltige Energienutzung in Transport und Verkehr fördern sollen. Zwei dieser Projekte sind auf den Wissensaustausch im Bereich der Radverkehrspolitik ausgerichtet (4).

3.5

Die Europäische Kommission ruft in ihrem Grünbuch zum Thema „Förderung gesunder Ernährung und körperlicher Bewegung: eine europäische Dimension zur Verhinderung von Übergewicht, Adipositas und chronischen Krankheiten“ (5) dazu auf, Antworten auf folgende Fragen zu geben: Welchen Beitrag können Maßnahmen auf politischer Ebene dazu leisten, dass körperliche Bewegung in die Tagesroutine „eingebaut“ wird und welche Maßnahmen sind z.B. bei der Gestaltung von Wohngebieten erforderlich, um Umfelder zu schaffen, die der körperlichen Bewegung förderlich sind.

3.6

Viele Antworten auf diese Fragen wurden in Radfahrkreisen bereits gefunden. Sachverständige bringen das Radfahren immer mehr mit dem Thema Gesundheit in Verbindung. Und das nicht nur, weil das Radfahren einen Beitrag zur gesunden Menge an täglicher Bewegung liefern kann. Es wird darauf hingewiesen, dass das Radfahren einerseits im Rahmen der Umweltpolitik zu einer Reduzierung des Feinstaubgehalts der Luft in städtischen Gebieten beitragen kann, während es andererseits das das schlechte Image der Luftqualität in städtischen Gebieten bedroht wird.

3.7

Mit der Entwicklung eines immer stärker integrierten Mobilitätsmanagements gewann auch das Fahrrad bei der Suche nach einer Lösung für die Stauproblematik an Bedeutung. Neben dem täglichen Berufsverkehr trägt auch der Freizeit- und Urlaubsverkehr in hohem Maße zu Verkehrsstauungen bei. Auch aufgrund der Nutzung von Größenvorteilen (z.B. Zusammenlegungen von Krankenhäusern, große Einkaufskomplexe auf der grünen Wiese) und den hierdurch verursachten größeren Entfernungen. Das Fahrrad wird so als Verkehrsmittel möglicherweise weniger attraktiv.

3.8

Ein häufig auftretendes Problem ist, dass der Neu- bzw. Ausbau von Infrastruktur für den Binnenverkehr bestehende oder geplante Fahrradwege durchkreuzt und so unüberwindbare Hindernisse für Radfahrer bildet — auch für Freizeitradler, die durch große Verkehrsinfrastrukturanlagen in ihren Stadtteilen bzw. ihrer Stadt quasi eingeschlossen sind. Dies muss berücksichtigt werden, und vor allem müssen Lösungen bei Infrastrukturprojekten für das Auto und die Eisenbahn gefunden werden. Wo immer es technisch möglich ist, sollte bei derartigen neuen Infrastrukturprojekten immer auch ein Radweg angelegt werden müssen.

3.9

In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass Instrumente wie Mindestqualitätsstandards für die Radweginfrastruktur, die mit EU-Beihilfen angelegt wird, erforderlich sind. Städte nutzen eine gute, komfortable und sichere Radweginfrastruktur mit Radwegen und Fahrradabstellmöglichkeiten in der Innenstadt als Attraktivitätsfaktor, um ein angenehmes Aufenthaltsklima in der Innenstadt zu schaffen.

3.10

Innerhalb Europas gelten die Niederlande als die Radfahrernation schlechthin und somit als Vorbild. Diese Bezeichnung verdanken die Niederlande nicht nur ihrem größten Anteil an Fahrradmobilität in Europa, sondern auch dem Fahrradmasterplan (1990-1997). Andere Länder in Europa sind dem Beispiel der Niederlande gefolgt und wurden vom öffentlichen Interesse an einer guten Radverkehrspolitik und dem (auch finanziellen) Engagement überzeugt.

3.11

Da der niederländische Fahrradmasterplan auf Radwege (Radrouten) ausgerichtet war, zeigte er anschaulich, dass eine gute Radverkehrspolitik nicht nur für gute (komfortable, schnelle und sichere) Radwege, sondern auch dafür sorgen muss, dass sichere und bequeme Abstellmöglichkeiten für Fahrräder an Wohngebäuden, Bahnhöfen, öffentlichen Verkehrsknotenpunkten, Bushaltestellen und dem Fahrtziel vorhanden sind.

3.12

Die Europäische Verkehrsministerkonferenz (ECMT) hat vor einigen Jahren eine Übersicht über die Verkehrspolitik der Mitgliedstaaten der ECMT erstellen lassen (6). Aus dieser Übersicht geht hervor, dass nur wenige Länder keine nationale Radverkehrspolitik verfolgen (7). Natürlich bestehen in Bezug auf den Umfang, den Status und die Auswirkungen der nationalen Politik in den einzelnen Ländern Unterschiede. Die ECMT nennt als Durchschnittsanteil des Fahrrads an den Verkehrsbewegungen in Europa einen Prozentsatz von 5 %. Länder wie Dänemark (18 %) und die Niederlande (27 %) beweisen jedoch, dass ein sehr viel höherer Anteil möglich ist (8).

3.13

Diese Unterschiede auf Ebene der einzelnen Länder — zu denen auch noch lokale Unterschiede kommen — zeigen, dass die Fahrradnutzung durch staatliche Maßnahmen beeinflusst werden kann. Das Wachstumspotenzial besteht insbesondere bei Strecken zwischen 5 und 8 Kilometern vom Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf das Fahrrad. Der Anteil der Kraftfahrzeugnutzung bei diesen kurzen Strecken liegt in Europa bei über 50 %. Selbst bei Strecken von weniger als 2 Kilometern liegt die Kraftfahrzeugnutzung noch bei 30 % (9).

3.14

Die Radverkehrspolitik ist vor allem auf den Umstieg auf das Fahrrad für diese kurzen Entfernungen ausgerichtet. Doch werden mittlerweile auch größere Entfernungen ins Visier genommen; nachgedacht wird über schnelle, direkte Radrouten über größere Entfernungen in den großstädtischen Gebieten.

3.15

Das Wachstumspotenzial der Fahrradnutzung für kurze Entfernungen ist die Berechnungsgrundlage für den potenziellen Beitrag einer guten Radverkehrspolitik zur Bekämpfung des Klimawandels. Jüngeren Berechnungen zufolge liegt beispielsweise in den Niederlanden der Anteil kurzer Fahrten mit dem Auto (< 7,5 km) im Verhältnis zum Gesamtausstoß des Autoverkehrs bei ca. 6 % (10).

3.16

Ein eigenes, geliehenes oder gemietetes Fahrrad kann zu einer stärkeren Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel beitragen. Denn das Fahrrad vergrößert den Aktionsradius um den Aufenthaltsort, den Bahnhof und die Bushaltestelle, innerhalb dessen ein Verkehrsmittelbenutzer den Bahnhof oder die Haltestelle innerhalb weniger Minuten ohne Auto erreichen kann.

3.17

Die Unterschiede zwischen den einzelnen europäischen Ländern in Bezug auf den Anteil des Fahrrads an der Anzahl der Verkehrsbewegungen lassen sich nicht nur durch rein soziale, klimatologische, geografische und kulturelle Gegebenheiten erklären, obgleich diese natürlich auch eine Rolle spielen (11). Ein bedeutsamer Faktor in Radfahrnationen ist das große Engagement und Interesse von Verbänden, die sich für eine gute Radverkehrspolitik einsetzen. Häufig gehen die Initiativen, die zur Aufstellung eines nationalen Masterplans führen, von ihnen aus.

3.18

Eine Kontrolle und Auswertung der Radverkehrspolitik auf europäischer Ebene wird leider durch den Mangel an brauchbaren und zugänglichen statistischen Daten verhindert. Nicht nur die Verbände, sondern auch die ECMT fordern eine bessere Datensammlung in Bezug auf die Radverkehrspolitik und die Fahrradnutzung (12) (Fußnote 9). Dass wichtige Statistiken zur Fahrradnutzung nicht mehr in das statistische Taschenbuch „EU ENERGY & TRANSPORT IN FIGURES“ aufgenommen werden, hat großes Unverständnis hervorgerufen.

3.19

Während GPS-gestützte Navigationssysteme für das Auto inzwischen üblich geworden sind, kommt das Angebot an Navigationssystemen, die alle Radwege umfassen, schwerer in Gang, da das digitale Basiskartenmaterial die Radwege meist nicht erfasst oder wiedergibt und es daher noch inventarisiert und digitalisiert werden muss. In Radfahrnationen ist in diesem Bereich jedoch schon viel getan worden, z.B. werden Radroutenplaner im Internet angeboten (13).

3.20

Die europäische Fahrrad- und Fahrradzubehörbranche macht einen geschätzten Umsatz von 8 500 000 000 Euro und beschäftigt (direkt und indirekt) ca. 130 000 Menschen. Hinzu kommen noch die über 25 000 Fahrradgeschäfte, Vertragshändler und ihre Beschäftigten (14). Nicht berücksichtigt wird hierbei die Hochtechnologieforschung. Die wirtschaftliche Bedeutung des Fahrradtourismus nimmt zu, insbesondere auch in wirtschaftlich schwächeren Regionen, in denen kleine Betriebe entlang der Radfernstrecken vom Fahrradtourismus profitieren (15).

3.21

Bislang gibt es noch keine europäische Radverkehrspolitik. Das Grünbuch zum städtischen Nahverkehr, an dem die Europäische Kommission gerade arbeitet, wird, wie die Kommission angekündigt hat, auch das Fahrrad berücksichtigen. Dies bietet die Chance, das Fehlen einer europäischen Radverkehrspolitik und ihrer Integration in andere Politikbereiche durch die künftige Aufnahme des Radfahrens als wichtige Verkehrsart in den Städten zu kompensieren.

3.22

In der Sondierungsstellungnahme zum Thema „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“ — TEN/276, CESE 273/2007 — wird neben der Förderung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs (Ziffer 3.3.3) auch auf die Koordinierung der Planung von Verkehrs- und Siedlungsstruktur (Ziffer 3.3.1) eingegangen. Die Radverkehrspolitik muss in diese Planung der Siedlungsstruktur einfließen.

4.   Verbesserung der grenzüberschreitenden Infrastruktur für den Radverkehr

4.1

Probleme im grenzüberschreitenden Radverkehr innerhalb Europas treten vor allem auf, wenn Radfahrer das eigene Fahrrad ins Ausland mitnehmen möchten und hierfür internationale Hochgeschwindigkeitszüge nutzen wollen. Die internationalen Hochgeschwindigkeitszüge sind eine wichtige Infrastruktur für Radtouristen. In Europa ist es jedoch bislang nicht möglich, das Fahrrad in solchen Zügen mitzunehmen.

4.2

Während der Fahrradtourismus zunimmt und von der EU sowie den staatlichen und regionalen Behörden gezielt als nachhaltige und insbesondere für wirtschaftlich schwächere Regionen wichtige Form des Tourismus gefördert wird, werden Fahrradtouristen stark eingeschränkt, wenn sie sich für die Bahn als Verkehrsmittel für die Beförderung in die Ferienregion oder in die Startregion ihres internationalen Fahrradurlaubs entscheiden. Fluggesellschaften haben keine Probleme damit, das Fahrrad eines Touristen zu befördern, auch die Mitnahmemöglichkeiten für Fahrräder auf Fähren sind gut (auch wenn die Radwege und die Beschilderung für Fahrradfahrer zu den Häfen und aus den Häfen heraus nicht immer ausreichen), während Eisenbahngesellschaften die Mitnahme von Fahrrädern in Hochgeschwindigkeitszügen verweigern.

4.3

Mit der großen Mehrheit, mit der das Europäische Parlament im Januar 2007 (16) für die Verpflichtung stimmte, in jedem Zug einen Mehrzweckraum für die Mitnahme von z.B. Rollstühlen, Skiern und Fahrrädern vorzusehen, zeichnet sich eine Lösung für dieses Problem im grenzüberschreitenden Radverkehr ab. In Europa sollten alle Züge — auch die internationalen Hochgeschwindigkeitszüge — mit einem Raum für die Mitnahme von Fahrrädern ausgestattet werden.

4.4

Die Verkehrssicherheit der Radfahrer stellt sich in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich dar. Dies liegt insbesondere daran, dass in einigen Ländern Radwege fehlen, so dass Radfahrer auf Straßen fahren müssen, die vom Auto- und Lastverkehr mit 50 km/h, 80 km/h oder noch höheren Geschwindigkeiten befahren werden. So wird die Bevölkerung vom Radfahren abgehalten. Die Aufstellung und Durchsetzung geeigneter Sicherheitsvorschriften für Radfahrer und ihr Verkehrsmittel sowie für die Radverkehrsinfrastruktur und den sonstigen Verkehr muss auch auf europäischer Ebene angeregt werden.

4.5

Auch unterscheidet sich die Qualität der bestehenden Radverkehrsinfrastruktur. Fahrradtouristen meiden eher Länder, die sie als unsicher empfinden, wenn sie von zu Hause eine sicherere Infrastruktur gewohnt sind. Mindestqualitätsanforderungen (z.B. für die Breite der Radwege (auch für andere Fahrräder, die in ihrer Bauweise vom Standardmodell abweichen) (17), die Beschilderung) sollten aufgestellt werden, denen die mit Hilfe von EU-Finanzhilfen angelegte Fahrradinfrastruktur entsprechen muss; außerdem sollten Budgets für Finanzhilfen für die Anlage von Radverkehrsinfrastruktur bereitgestellt werden, die ihre Zweckmäßigkeit in der Praxis in europäischen Städten und Ländern schon bewiesen hat.

4.6

Zwar ist der unterschiedlich große Anteil des Fahrrads an den Verkehrsbewegungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten und Städten auch eine Folge sozialer, geografischer, klimatologischer und kultureller Unterschiede, doch liegt die Hauptursache für die unterschiedlich ausgeprägte Fahrradnutzung vor allem in der unterschiedlichen Verkehrspolitik, daher ist der Austausch von Wissen, bewährten Verfahren und Sensibilisierungsmaßnahmen für das Radfahren wichtig. Die Europäische Kommission sollte diesen Austausch und Sensibilisierungsmaßnahmen auch weiterhin bzw. künftig finanziell fördern und die Aufnahme der Radverkehrspolitik (z.B. durch die Intermodalität von Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln) in allen von der Europäischen Kommission geförderten Projekten im Verkehrsbereich verbindlich vorschreiben.

4.7

Das Fahrrad ist ein praktisches und unmittelbar verfügbares Verkehrsmittel, dem als Baustein einer gesunden und nachhaltigen Lebensweise die Aufnahme der Radverkehrspolitik auch in andere Politikbereiche als lediglich dem Verkehr nützt. Bei der Weiterentwicklung der europäischen Politik nicht nur bei der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik, sondern auch in den Bereichen Raumordnung (darunter auch die Städtebaupolitik), Umwelt, Wirtschaft, Gesundheit, Erziehung und Bildung sollte die Radverkehrspolitik auch berücksichtigt werden. Daher sollte die Europäische Kommission auch das Monitoring und die Datenerhebung im Zusammenhang mit dem Radverkehr in Europa gut organisieren und eine Harmonisierung der Erhebungsmethoden anregen.

5.   Europäische Zusammenarbeit beim Ausbau des EuroVelo-Radroutennetzes

5.1

Das Projekt „EuroVelo“ wurde 1995 von der europäischen Radfahrervereinigung ECF (European Cyclists Federation) mit dem Ziel initiiert, 12 Radfernrouten quer durch Europa (durch EU-Mitgliedstaaten und Nicht-EU-Länder) zu verbinden bzw. zu entwickeln (18). Die Gesamtlänge der vorgeschlagenen Routen beträgt 66 000 Kilometer. Die Routen bauen zum Großteil auf bereits bestehenden lokalen und regionalen Routen auf. Dass dieses Projekt den gesamten europäischen Kontinent überspannt, die Vision eines gesamteuropäischen Radroutennetzes, war als Perspektive für das Projekt von Beginn an sehr werbewirksam.

5.2

Das Projekt hat lokale und regionale Gebietskörperschaften und nationale Einrichtungen zur Zusammenarbeit bei der Schaffung internationaler Radfernrouten angeregt. Im vergangenen Jahr wurde die EuroVelo 6 „Atlantic Ocean — Black Sea“ eröffnet. INTERREG-Mittel haben beim Zustandekommen dieser Routen eine große Rolle gespielt. Dies gilt auch für den Nordseeküstenradweg, der als INTERREG-Projekt Ende 2006 endete und von der ECF als EuroVelo 12 geführt wird.

5.3

Das mit EuroVelo angestrebte Ziel sind die Schaffung und der Betrieb eines anerkannten transeuropäischen Radroutennetzes, vergleichbar mit dem Schienen- und Straßennetz als TEN (transeuropäisches Netz). Es liegt auf der Hand, dass dies nicht so sehr im Rahmen der europäischen Verkehrspolitik als vielmehr für den Tourismus und die Entwicklung der Regionen in Europa wünschenswert ist. Neben einer dauerhaften Verwaltung und Koordinierung der Routen sowie der Information über die Routen ist der weitere Ausbau des Netzes zweifelsohne eine große Aufgabe. Die im Jahr 2002 veröffentlichten Leitlinien für alle wichtigen Aspekte bei der Schaffung einer EuroVelo-Route haben sich als sehr wertvoll für die Vermeidung von Fehlinvestitionen erwiesen. Die Europäische Kommission sollte die Schaffung von EuroVelo-Routen auch weiterhin finanziell fördern, damit ein vollständiges europäisches Radroutennetz, ein TEN für den Radverkehr, entsteht.

5.4

Die Debatten unter den Partnern der North Sea Cycle Group über die Frage, wie die Kontinuität des Radwegs, dessen Vermarktung und die Zusammenarbeit zwischen den vielen Projektpartnern (ca. 70 Regionen in acht Ländern) in Zukunft sichergestellt werden kann, haben noch zu keinem Ergebnis geführt. Diese Frage spielt auch eine Rolle bei internationalen Radfernrouten, die über eine Projektfinanzierung (häufig 50 % EU-Mittel) realisiert wurden und bei denen für die Verwaltung der Zusammenarbeit und die gemeinsame Vermarktung nach einer Lösung gesucht wird.

5.5

Eine vieldiskutierte Lösung ist, die Verwaltung, die Routenkoordinierung und das Sekretariat einer Route nach Abschluss der Infrastrukturarbeiten und der Beschilderung einer europäischen Organisation, beispielsweise der ECF, zu übertragen, nach dem Vorbild von Organisationen auf nationaler Ebene. Der ECF zufolge ist die dauerhafte Aufrechterhaltung der Qualität der Routen nach Abschluss der Aufbauphase ein wichtiger Fragenkomplex, für den auf internationaler, sprich europäischer Ebene eine Lösung gefunden werden muss. Die Verwaltung und das Sekretariat des EuroVelo-Netzes sollte einer von der Europäischen Kommission unterstützten europäischen Organisation übertragen werden, die von zentraler Stelle aus dafür sorgt, dass bei den einzelnen EuroVelo-Routen nach Projektabschluss die Infrastruktur (einschließlich der Beschilderung) und die Information der Radfahrer (einschließlich Informationen über Hilfe bei Pannen und Unfällen) weiter unterhalten werden. Wie bei vielen europäischen Initiativen und der europäischen Zusammenarbeit bedarf dies einer finanziellen Unterstützung seitens der EU.

5.6

Die ECF selbst hat trotz knapper Mittel ihren Einsatz für das Projekt EuroVelo intensiviert, um eine Lösung für dieses Problem zu finden und diese auch praktisch umzusetzen. Ein Bestandteil dieser Bemühungen ist die Mitarbeit an der Weiterentwicklung einer eindeutigen, aber in allen Ländern gut anwend- und anpassbaren Beschilderung innerhalb des Projekts EuroVelo 6 sowie Bemühungen um eine Anerkennung dieses Beschilderungssystems durch die UNO (19). Die ECF sollte die Anwendung des im Rahmen der Partnergruppe der EuroVelo 6 entworfenen Beschilderungssystems offiziell anerkennen und dessen weitere Anwendung fördern.

Brüssel, den 25. April 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Europäische Kommission, GD XI: „Fahrradfreundliche Städte: vorwärts im Sattel“, Luxemburg, 1999.

(2)  Entschließung vom 12. Februar 2003 — EP-Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr, Berichterstatter: Juan de Dios Izquierdo Collado, 9. Dezember 2002, BERICHT über das Weißbuch der Kommission „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“ FINAL A5-0444/2002, http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A5-2002-0444+0+DOC+XML+V0//DE

(3)  Siehe: www.civitas-initiative.org.

(4)  Siehe: http://ec.europa.eu/energy/intelligent/projects/steer_en.htm#policy.

(5)  KOM(2005) 637 endg.

(6)  ECMT, National Policies to Promote Cycling, (Implementing sustainable urban travel policies: moving ahead), OECD Publications Service, 2004.

(7)  ECMT, National Policies to Promote Cycling, S. 43.

(8)  ECMT, National Policies to Promote Cycling, S. 20.

(9)  ECMT, National Policies to Promote Cycling, S. 24.

(10)  Siehe: http://www.fietsersbond.nl/urlsearchresults.asp?itemnumber=1.

(11)  In den Niederlanden wurde in den vergangenen Jahren mit der Untersuchung des Phänomens begonnen, dass z.B. Einwanderer aus Marokko (auch in der zweiten Generation) das Fahrrad durchschnittlich weitaus weniger nutzen als autochthone Niederländer. Vgl. „Het fietsgebruik van allochtonen nader belicht“, Fietsberaad-publicatie nummer 11a, November 2006. Siehe: http://www.fietsberaad.nl.

(12)  Vgl. ECMT, National Policies to Promote Cycling, S. 24.

(13)  Für Beispiele siehe: www.radroutenplaner.nrw.de und http://www.fietsersbond.nl/fietsrouteplanner.

(14)  Gemäß einer Schätzung für das Jahr 2003 von COLIBI (Vereinigung der europäischen Fahrradindustrie) und COLIPED (europäische Vereinigung der Zweiradteile- und Zweiradzubehörindustrie).

(15)  Quelle: Präsentation von Les Lumsdon auf der Schlusskonferenz der North Sea Cycle Route, 9. November 2006, über Tourismus, wirtschaftliche Entwicklung und EU-Finanzhilfen, siehe: http://www.northsea-cycle.com sowie http://www.uclan.ac.uk/facs/lbs/research/institutes_and_centres/transport/docs/Northseacycleconf.doc.

(16)  Siehe: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P6-TA-2007-0005+0+DOC+XML+V0//DE.

(17)  Z.B.: Tandems, Lastendreiräder, aerodynamische Liegeräder und Kabinenfahrräder.

(18)  Siehe: http://www.ecf.com/14_1.

(19)  Siehe: http://www.unece.org/trans/main/welcwp1.html.