ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 324

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Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

49. Jahrgang
30. Dezember 2006


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Inhalt

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II   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

430. Plenartagung vom 26. Oktober 2006

2006/C 324/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-WettbewerbsrechtsKOM(2005) 672 endg.

1

2006/C 324/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (kodifizierte Fassung)KOM(2006) 226 endg. — 2006/0073 (COD)

7

2006/C 324/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (kodifizierte Fassung)KOM(2006) 219 endg. — 2006/0071 (COD)

8

2006/C 324/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über irreführende und vergleichende WerbungKOM(2006) 222 endg. — 2006/0070 (COD)

10

2006/C 324/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anbringungsstelle des amtlichen Kennzeichens an der Rückseite von zweirädrigen oder dreirädrigen KraftfahrzeugenKOM(2006) 478 endg. — 2006/0161 (COD)

11

2006/C 324/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von SpirituosenKOM(2005) 125 endg. — 2005/0028 (COD)

12

2006/C 324/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Verwendung nicht heimischer und gebietsfremder Arten in der AquakulturKOM(2006) 154 endg. — 2006/0056 (CNS)

15

2006/C 324/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über einen Aktionsplan der Gemeinschaft für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren 2006-2010KOM(2006) 13 endg.

18

2006/C 324/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidung 90/424/EWG über bestimmte Ausgaben im VeterinärbereichKOM(2006) 273 endg. — 2006/0098 (CNS)

22

2006/C 324/0

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Qualitätsanforderungen an Muschelgewässer (kodifizierte Fassung)KOM(2006) 205 endg. — 2006/0067 (COD)

25

2006/C 324/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Kälbern (kodifizierte Fassung)KOM(2006) 258 endg. — 2006/0097 (CNS)

26

2006/C 324/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (kodifizierte Fassung)KOM(2006) 286 endg. — 2006/0100(COD)

27

2006/C 324/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Gemeinschaftskriterien für Maßnahmen zur Tilgung und Überwachung bestimmter Tierseuchen (kodifizierte Fassung)KOM(2006) 315 endg. — 2006/0104 (CNS)

28

2006/C 324/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über einen EU-ForstaktionsplanKOM(2006) 302 endg.

29

2006/C 324/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Berichtigung der Richtlinie 2002/2/EG zur Änderung der Richtlinie 79/373/EWG über den Verkehr mit MischfuttermittelnKOM(2006) 340 endg. — 2006/0117 (COD)

34

2006/C 324/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verfahren zur vorherigen Prüfung und Beratung künftiger Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des VerkehrsKOM(2006) 284 endg. — 2006/0099 (COD)

36

2006/C 324/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Satzung des gemeinsamen Unternehmens Galileo im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 876/2002 des RatesKOM(2006) 351 endg. — 2006/0115 (CNS)

37

2006/C 324/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1321/2004 über die Verwaltungsorgane der europäischen SatellitennavigationsprogrammeKOM(2006) 261 endg. — 2006/0090 (CNS)

41

2006/C 324/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -diensteKOM(2006) 382 endg. — 2006/0133 (COD)

42

2006/C 324/0

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Abbau von Grenzkontrollen der Mitgliedstaaten im Straßen- und Binnenschiffsverkehr (kodifizierte Fassung) KOM(2006) 432 endg. — 2006/0146 (COD)

47

2006/C 324/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Economic Governance — Bedingungen für eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitiken in Europa

49

2006/C 324/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Zentralbank Dritter Bericht über die praktischen Vorbereitungen für die künftige Erweiterung des EurogebietsKOM(2006) 322 endg

57

2006/C 324/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen SicherheitKOM(2006) 16 endg. — 2006/0006 (COD)

59

2006/C 324/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Rahmenstrategie für MehrsprachigkeitKOM(2005) 596 endg.

68

2006/C 324/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch Europäische TransparenzinitiativeKOM(2006) 194 endg.

74

2006/C 324/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich der Einführung eines Aktionsprogramms für das Zollwesen in der Gemeinschaft (Zoll 2013)KOM(2006) 201 endg. — 2006/0075 (COD)

78

DE

 


II Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

430. Plenartagung vom 26. Oktober 2006

30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch — Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“

KOM(2005) 672 endg.

(2006/C 324/01)

Die Kommission beschloss am 19. Dezember 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Grünbuch — Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 20. September 2006 an. Berichterstatterin war Frau SÁNCHEZ MIGUEL.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Frau SÁNCHEZ MIGUEL gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zur Hauptberichterstatterin bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 99 gegen 28 Stimmen bei 22 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Mit der Vorlage des Grünbuchs über den Schadenersatz wegen Verletzung der EU-Wettbewerbsregeln eröffnet die Kommission eine breit angelegte Debatte über die Notwendigkeit von Gemeinschaftsleitlinien, um Schadenersatzklagen von Unternehmen, Verbrauchern und Arbeitnehmern gegen diejenigen Unternehmen zu erleichtern, die im Rahmen ihrer Tätigkeit gegen die Artikel 81 und 82 EG-Vertrag verstoßen.

1.2

Der EWSA möchte zunächst betonen, dass es darum geht, für einen wirksamen Schutz der Marktteilnehmer auf dem europäischen Binnenmarkt zu sorgen. Wegen des freien Warenverkehrs ist es geboten, dass die aus Verträgen und Dienstleistungsaufträgen abgeleiteten Rechte und Verpflichtungen inhaltlich in allen Staaten eine gewisse Einheitlichkeit aufweisen. Sofern es um grenzübergreifende Geschäfte geht, sollte eine gewisse Harmonisierung zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gefördert werden.

1.3

Zweitens ist die Tätigkeit der Wettbewerbsbehörden auf europäischer wie nationaler Ebene zu berücksichtigen, denen es obliegt, verbotene Handlungen festzustellen und wirtschaftliche Sanktionen festzulegen, die gegen die Unternehmen verhängt werden können, die gegen die Regeln verstoßen. Mit dem Grünbuch strebt die Kommission an, die privatrechtliche, d.h. gerichtliche Durchsetzung von Schadenersatz zu ermöglichen, weshalb diese Art von Klagen mit der bisherigen Praxis der Wettbewerbsbehörden in Einklang zu bringen ist.

1.4

In Bezug auf die wichtigsten, in diesem Grünbuch gestellten Fragen ist anzumerken, dass der EWSA keine einheitliche Position vertritt, sondern zu jeder dieser Fragen Argumente bereitstellt, die es der Kommission ermöglichen, Entscheidungen über die Festlegung von Leitlinien für eine künftige Rechtsetzung festzulegen. Abschnitt 5 dieser Stellungnahme enthält zu all diesen Fragen Antworten und Argumentationen.

2.   Einleitung

2.1

Im europäischen Binnenmarkt hat eine umfangreiche Reorganisation in Bezug auf die Wettbewerbsregeln stattgefunden. Dies hat zum einen ermöglicht, dass die Unternehmen auf diesem Markt dank präziser Vorschriften in einem Rahmen des freien Wettbewerbs tätig sein können. Zum anderen wurden so die nationalen Wettbewerbsvorschriften der Mitgliedstaaten angeglichen, damit die Unternehmen ihr Recht auf Niederlassungsfreiheit unter gleichen Bedingungen besser wahrnehmen können.

2.2

Eines der Themen im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt ist der wirksame Schutz der Akteure auf anderen Seite des Marktes, nämlich der Verbraucher im weitesten Sinne, deren Rechte geschmälert werden, wenn Liefer- und Dienstleistungsaufträge grenzübergreifend vergeben werden. Die Verbraucher eines Mitgliedstaates sind in der Wahrnehmung ihrer Rechte als solche eingeschränkt, wenn die dort tätigen Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, wohingegen das Wettbewerbsrecht für den Binnenmarkt als Ganzes gilt.

2.3

In den gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften fehlt ein wirksames System für den Ersatz von Schäden auf Grund von Verstößen gegen die Vorschriften der Artikel 81 und 82 des EG-Vertrages im Binnenmarkt. Das neue Konzept der Kommission für die Wettbewerbspolitik und den Verbraucherschutz war Anlass für die Vorlage des Grünbuchs. Sie stellt darin die wichtigsten Fragen für eine legislative Maßnahme zu einem späteren Zeitpunkt, mit der die Rechte der Geschädigten für den Fall geschützt werden sollen, dass der freie Wettbewerb im Binnenmarkt beeinträchtigt wurde.

2.4

Zu berücksichtigen ist auch die Bedeutung von Artikel 153 Absatz 3 EG-Vertrag (1), der es erlaubt, dem Verbraucherschutz als Querschnittspolitik in allen Politikfeldern Rechnung zu tragen.

2.5

In diesen Sinne enthält das Grünbuch die wichtigsten Fragen für den Erlass von Schutzmaßnahmen und der Einführung von Schadenersatzklagen auf Grund des Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften, insbesondere in Bezug auf die Artikel 81 und 82 des Vertrags und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich das Grünbuch auf einen komplexen Bereich der Rechtsetzung bezieht, was zu einer Reform der einzelstaatlichen Verfahrensvorschriften führen kann. Und dies lässt Zweifel aufkommen, vor allem in Bezug auf Fragen der Subsidiarität, auch in Fällen, in denen die entsprechenden Vorschriften noch andere Bereiche des Zivilrechts betreffen.

2.6

In dem Grünbuch wird von einer doppelten Anwendung des Wettbewerbsrechts ausgegangen. Zunächst sind da die zentralen Behörden — nicht nur die Kommission, sondern auch die nationalen Wettbewerbsbehörden, die unter Ausnutzung ihrer Befugnisse die Vorschriften im Einzelfall anwenden. Die Wettbewerbsbehörden sind zunächst befugt, einen Verstoß gegen die Vorschriften festzustellen sowie Verträge für nichtig zu erklären, die den Wettbewerb einschränken. Zweitens können sie wirtschaftliche Sanktionen verhängen, bei denen sie sich auf die Verordnungen über die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften stützen.

2.7

Zum anderen wird die private Durchsetzung der Wettbewerbsregeln vor den ordentlichen Gerichten anerkannt, denn diese Vorschriften sind von den Gerichten unmittelbar anzuwenden. Besondere Bedeutung in diesem Bereich der privaten Rechtsverfolgung haben die Klagen auf Unterlassung verbotener Verhaltensweisen, mit denen den Unternehmen die Fortsetzung dieser Verhaltensweisen untersagt wird, sodass die schädlichen Auswirkungen auf Wettbewerber und Verbraucher verringert werden.

2.8

Dennoch ist der Ersatz des erlittenen Schadens der letztliche Zweck eines wirksamen Schutzes der mit dem Vertrag gewährten Rechte, und dies ist auch das Hauptziel der Schadenersatzklagen, die wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsvorschriften erhoben werden. Die Einschränkung des freien Wettbewerbs betrifft sowohl Unternehmen als auch die Verbraucher, die letztendlich die Zielgruppe der Markttätigkeit sind.

2.9

Es liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor, in der Privatpersonen, die durch Verstöße gegen die Artikel 81 und 82 des Vertrags geschädigt wurden, das Recht zuerkannt wird, Ersatz für diesen Schaden zu verlangen. Selbst in Fällen, in denen eine nationale Rechtsvorschrift diesem Recht entgegenstand (2), soll die unmittelbare Geltung der Vertragsartikel der Rechtsnorm des Mitgliedstaates vorgehen.

2.10

Das Grünbuch enthält verschiedene Optionen, die erörtert werden sollen, um die möglichen Schadenersatzverfahren festzulegen, die auf Grund des Tätigwerdens der staatlichen Wettbewerbsbehörden oder durch private Klagen der Geschädigten angestrengt werden. Dazu werden in dem Grünbuch eine Reihe von als wesentlich erachteten Fragen aufgeführt, die der Diskussion eine bestimmte Richtung geben sollen, damit die bestmöglichen Ergebnisse erzielt werden — sowohl im Rahmen einer späteren Anwendung als auch bei der Anpassung der nationalen Rechtssysteme, die nicht immer miteinander übereinstimmen.

3.   Hintergrund und Ziele des Grünbuchs

3.1

Die Gliederung des Grünbuchs folgt einer Liste von Fragen, die darauf abzielen, den rechtlichen Charakter der Schadenersatzklagen mit zahlreichen Varianten zu erörtern, und einen künftigen Vorschlag der Kommission für einen Rechtsakt eingrenzen und strukturieren. Dabei geht es darum zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine Klage auf Ersatz eines erlittenen Schadens eingeführt werden kann, die unter Berücksichtigung der in einigen Mitgliedstaaten bereits vorhandenen Rechtsvorschriften die Durchsetzung des Anspruchs erleichtert.

3.2

Die Kommission stellt zunächst drei Fragen, mit mehrfachen Optionen:

Frage A: Sollte es in zivilen Schadenersatzverfahren nach Artikel 81 und 82 EG-Vertrag besondere Regeln für die Offenlegung von Urkundsbeweisen geben? Wenn ja, welcher Art sollte diese Offenlegung sein?

Frage B: Sind besondere Regeln für den Zugang zu Dokumenten, die sich im Besitz einer Wettbewerbsbehörde befinden, für wettbewerbsrechtliche Schadenersatzklagen hilfreich? Wie könnte ein derartiger Zugang aussehen?

Frage C: Sollte die Beweislast des Klägers in Schadenersatzprozessen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts erleichtert werden und wenn ja, wie? Wenn ja, welche?

Das Verschuldenserfordernis wird als zweite Frage aufgeführt, da es in vielen Mitgliedstaaten für Schadenersatzklagen besteht. Die Frage ist:

Frage D: Sollte für wettbewerbsrechtliche Schadenersatzklagen ein Verschuldenserfordernis bestehen?

Mit Blick auf die dritte Frage, das Konzept des Schadenersatzes, stellen sich zwei Fragen:

Frage E: Wie sollte der Schadenersatz definiert werden?

Frage F: Nach welcher Methode sollte die Höhe des Schadenersatzes berechnet werden?

Eine weitere der aufgeworfenen Fragen betrifft die „passing on defense“ wie auch die Klagebefugnis des direkten Abnehmers:

Frage G: Sollte es Regeln zur Zulässigkeit und Handhabung der „passing on defense“ geben? Wenn ja, welcher Art sollten diese Regeln sein? Sollte der indirekte Abnehmer Klagebefugnis haben?

Eine wichtige Frage ist dabei, ob Klagen dieser Art dazu dienen können, die Interessen der Verbraucher zu schützen, denn eine Durchsetzung der Ansprüche durch Einzelklagen wird als schwierig erachtet. In diesem Falle wäre es sinnvoll, auf Sammelklagen zurückzugreifen, die in einigen Ländern der EU bereits möglich sind.

Frage H: Sollten Sammelklagen und der Schutz der Verbraucherinteressen durch besondere Verfahren gewährleistet werden? Wenn ja, wie könnten diese Verfahren ausgestaltet sein?

Die Prozesskosten haben große Bedeutung für die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Klagen, denn häufig verbietet sich die Klageerhebung angesichts der für die Prozessparteien anfallenden Kosten. Die Frage ist:

Frage I: Sollten besondere Regeln eingeführt werden, um das Kostenrisiko für den Kläger zu verringern? Wenn ja, welche Art von Regeln?

Die Koordinierung der privaten und der staatlichen Rechtsdurchsetzung kann einer der Schwerpunkte sein, wenn es um die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Klagen geht. Daher wird die Frage gestellt:

Frage J: Wie können private und staatliche Wettbewerbsrechtsdurchsetzung optimal koordiniert werden?

Die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit sowie der anzuwendenden Rechtsvorschriften ist eine weitere wichtige Frage angesichts des grenzübergreifenden Charakters der durch das Wettbewerbsrecht verbotenen Praktiken. Die Frage ist:

Frage K: Welches materielle Recht sollte bei kartellrechtlichen Schadenersatzklagen anwendbar sein?

Weitere Fragen in dem Vorschlag sind:

Frage L: Sollte ein Sachverständiger, wann immer erforderlich, vom Gericht bestellt werden?

Frage M: Sollten Verjährungsfristen ausgesetzt werden? Wenn ja, ab wann?

Frage N: Ist eine Klarstellung der gesetzlichen Verpflichtung, dass ein Kausalzusammenhang bestehen muss, erforderlich, um Schadenersatzklagen zu erleichtern?

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Im Zusammenhang mit der Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln durch die Gemeinschaftsorgane und die Behörden der Mitgliedstaaten wird in der Verordnung 1/2003 (3) anerkannt, dass sowohl die Kommission als auch die einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts sorgen müssen. Sie können im Rahmen ihrer Zuständigkeit erklären, dass eine Verhaltensweise eines Unternehmens verboten oder als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung anzusehen ist, und entsprechende Sanktionen verhängen, wobei diese in Art und Höhe dem verursachten Schaden entsprechen müssen.

4.2

Problematisch wird es bei der privaten Rechtsdurchsetzung in Zivilstreitigkeiten, bei denen die durch verbotene Verhaltensweisen im Wettbewerb geschädigten Privatpersonen einschließlich Verbraucher ein Gerichtsverfahren anstrengen, um Ersatz für den durch eine Beschränkung des Wettbewerbs entstandenen Schaden zu erlangen. Dies ist das Problem, das auf EU-Ebene gelöst werden muss, denn der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt macht eine Gemeinschaftsmaßnahme erforderlich, wenn insbesondere berücksichtigt wird, dass die Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ist, und dass angesichts des Fehlens einer gemeinschaftlichen Rechtsnorm die einzelstaatlichen Gerichte zuständig sind.

4.2.1

Die Lösung zur Erleichterung des Schadenersatzes für Verbraucher muss nicht notwendigerweise für Streitfälle zwischen Unternehmen geeignet sein. Es sind jedoch letztere, die die meisten Verfahren wegen Wettbewerbsbeschränkungen anstrengen. Die Kommission sollte in ihrem Vorschlag ein Konzept für diese Art von Streitfällen vorsehen. Im Rahmen dieses Konzepts sollte auch der Schutz der Arbeitnehmer von Unternehmen vorgesehen werden, die in wettbewerbswidrige Praktiken verwickelt sind.

4.3

Angesichts des Fehlens gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften über den Ersatz von Schaden auf Grund von Verstößen gegen die Artikel 81 und 82 EG-Vertrag hat der EuGH, dem Vorabentscheidungsfragen zur Anwendung dieser Normen seitens eines nationalen Gerichtes vorgelegt wurden, jedenfalls erklärt, dass die Vertragsartikel unmittelbar anzuwenden seien (4). Für Schadenersatzansprüche, die durch eine Beschränkung des Wettbewerbs entstehen, sind die nationalen Gerichte zuständig. Der EuGH hat dabei seine bereits in zahlreichen Urteilen geäußerte Rechtsauffassung bekräftigt, dass der „Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen“ hat, die in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden ist und die zugleich diesen und den Einzelnen Pflichten auferlegt (5).

4.4

Der EuGH hat zudem bestätigt, dass die Artikel 81 und 82 EG-Vertrag „in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugen und unmittelbar in deren Person Rechte entstehen lassen, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben“ (6), und er fügt hinzu: „Mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung ist es jedoch Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen“ (7).

4.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass gemeinschaftliche Leitlinien ausgearbeitet werden könnten, in denen die Bedingungen für die Durchführung der Schadenersatzverfahren wegen Vertragsverletzungen festgelegt werden sollten. In diesen Verfahren müssen die Geschädigten in einem angemessenen Rahmen Ersatz für den möglicherweise durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen erlittenen wirtschaftlichen Schaden bzw. für den entgangenen Gewinn erlangen. Insbesondere müssen die Verbraucher aber ihre wirtschaftlichen Rechte wahrnehmen können, die ihnen in den Verbraucherschutzvorschriften zuerkannt wurden. Daher begrüßt der EWSA die Erarbeitung des Grünbuchs auf diesem Gebiet, möchte jedoch auch die Notwendigkeit betonen, die Verfahrensfristen zu verkürzen, um schneller die besten Ergebnisse zu erhalten.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der EWSA erachtet es als vorrangige Aufgabe festzulegen, wie ausgehend von einer Zivilklage vor einem ordentlichen Gericht künftige Schadenersatzverfahren wegen wettbewerbswidriger Handlungen ausgestaltet werden sollen.

5.2

Die Rechtsdurchsetzung durch die staatlichen — sowohl gemeinschaftlichen als auch einzelstaatlichen — Wettbewerbsbehörden ist in einem Instrument betreffend die Durchführung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geregelt, der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (8), die diesen Behörden weit reichende Befugnisse für das Tätigwerden in Verfahren betreffend die Unternehmen zuerkennt, die des Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verdächtigt werden. Trotz ihrer umfassenden Befugnisse können die Behörden jedoch lediglich erklären, dass ein Unternehmen gegen die Vorschriften zum Schutze des Wettbewerbs verstoßen hat und ihrerseits Geldbußen auferlegen.

5.3

Problematisch ist die Sache deshalb, weil die Wettbewerbsbehörden auf Gemeinschaftsebene über keine Zuständigkeit verfügen, Maßnahmen zur Wiedergutmachung des erlittenen Schadens anzuordnen. Zudem kann der Europäische Gerichtshof nur über Vorabentscheidungsfragen entscheiden, da die nationalen Gerichte die alleinige Zuständigkeit besitzen. Daher hat der Gerichtshof gefordert, dass die Mitgliedstaaten die Verfahrensmodalitäten für die Erhebung von Schadenersatzklagen festlegen müssen (9).

5.4

Die private Wettbewerbsrechtsdurchsetzung bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag bedeutet, dass sich die einzelstaatlichen Gerichte in Zivilverfahren um Schadenersatz für Privatpersonen auf diese Artikel stützen können. Das Problem besteht dabei darin festzulegen, welche Art von Klage geeignet ist, und vor allem, ob eine besondere Klage eigens dafür vorgesehen werden sollte. Dabei sind zahlreiche Probleme zu bedenken, was auch an der breiten Palette von Fragen ersichtlich ist, die die Kommission in ihrem Grünbuch aufwirft. Der EWSA möchte mit einigen Überlegungen zu den aufgeworfenen Fragen zur Orientierung der Debatte beitragen.

5.4.1

Zugang zu Beweismitteln: In den Rechtsvorschriften über den Zugang zu Beweismitteln im Zivilprozess geht es hauptsächlich um zwei Fragen: 1. die Beweislast und 2. die Beweiswürdigung. Diese Fragen müssen in den Zivilverfahren geprüft werden und dies kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschehen: a) nach der Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde; b) vor der Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde; c) zeitgleich bei der Prüfung bestimmter Verhaltensweisen durch die zuständige Behörde.

5.4.1.1

Die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 enthält eine erschöpfende Auflistung der Fälle, in denen die Wettbewerbsbehörden der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten verlangen können, dass Beweismittel zur Feststellung des Vorliegens verbotener Verhaltensweisen vorgelegt werden (10). Könnten die Akten zu Verfahren der Wettbewerbsbehörden als Beweismaterial genutzt werden, so könnte dies daher ein Weg sein zur Überwindung der Schwierigkeiten, die Privatpersonen bei der Erlangung von Beweismitteln haben. Die Frage ist, ob es im Ermessen der Gerichte, an die ein Antrag gestellt wird, liegen soll, den Zugang zu den Akten anzuordnen, oder ob die Privatpersonen, die Kläger, ungehindert Zugang erhalten. Es liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des EuGH (11) zu der Verpflichtung der Kommission vor, bis zum Abschluss des Verfahrens zur Hauptsache keine Akteneinsicht zu gewähren.

5.4.1.2

Im Fall der so genannten Folgeklagen (Anschlussklagen) wäre somit davon auszugehen, dass die Wettbewerbsbehörden den Gerichten die Beweismittel zur Verfügung stellen, nachdem sie wettbewerbswidrige Praktiken festgestellt und die betroffenen Privatpersonen eine Schadenersatzklage erhoben haben. Es käme somit zu einem Zusammenwirken zwischen behördlicher und privater Rechtsdurchsetzung (12).

5.4.1.3

In den Fällen, in denen keine Schadenersatzklagen wegen des Verstoßes gegen gemeinschaftliche Wettbewerbsvorschriften im Ergebnis einer Entscheidung der zuständigen Behörden vorgesehen sind, sollte nach Ansicht des EWSA für eine Klageerhebung die Vorlage von Beweisanzeichen durch den Kläger genügen. Allerdings müssten diese ausreichend substantiiert sein, damit die Gerichte die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der Klage abschätzen können (Tatsachenermittlung). Der EWSA empfiehlt daher nicht nur besondere Regeln für die Offenlegung von Urkundsbeweisen, sondern auch, den Gerichten eine aktive Rolle und umfangreiche Befugnisse zuzuerkennen, einschließlich der Befugnis, im Zusammenhang mit grundlegenden Aspekten des Verfahrens Strafen zu verhängen, insbesondere mit Blick auf die Suche nach Urkundsbeweisen, deren Zusammenstellung und Offenlegung.

5.4.1.4

Die im Bereich der Verletzung der Wettbewerbsregeln (Verordnung 1/2003) zuständigen nationalen Gerichte haben auch über Schadenersatzklagen wegen Verstoßes gegen das Kartellrecht zu entscheiden. Ihr Zugang zu den Dokumenten wird daher kein unüberwindbares Hindernis bilden, wobei das bereits erwähnte Geschäftsgeheimnis gewahrt bleiben muss. Die Vorschriften für die Akteneinsicht müssen sich dabei vorrangig nach dem Recht des Gerichtsstandes richten, wobei allerdings die Wettbewerbsbehörden verpflichtet werden müssen, dem Gericht die von diesem angeforderten Beweisstücke bereitzustellen.

5.4.1.5

Dabei ist hervorzuheben, dass der Zugang zu Dokumenten, die bereits im Rahmen eines Verstoßverfahrens zusammengetragen wurden, besonders wichtig ist für die Schadenersatzklagen wegen Verletzung der Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft. Dabei ist unerheblich, welche Behörde die Ermittlungen durchgeführt hat (Justiz- oder Verwaltungsbehörden) und welches Ergebnis das Verfahren hatte (13).

5.4.1.6

Sollten die mit einem Kartellverfahren befassten Behörden auch für die Auswahl des für eine Schadenersatzklage gegebenenfalls bereitzustellenden Beweismaterials zuständig sein können, so könnten Zweifel hinsichtlich der für die Auswahl maßgeblichen Kriterien entstehen und eine entsprechende Haftung begründet werden.

5.4.1.7

Für den Fall, dass den Gerichten für diese Art von Klagen weit gehende und besondere Befugnisse erteilt werden, ist davon auszugehen, dass es sich negativ auf die Bewertung einer Klage auswirken könnte, wenn eine der Parteien es ablehnte, Beweismittel vorzulegen. Damit würde ermöglicht, dass das Gericht bei der Prüfung der Beweise für eine Tatsache eine solche Ablehnung in Rechnung stellte.

5.4.1.8

Für Fälle, in denen Verbraucher mit betroffen sind, besteht eine weitere Möglichkeit darin, die Beweislast umzukehren und auf den Beklagten zu verlagern; mit anderen Worten — sobald die Wettbewerbsbehörden eine bestimmte Handlung für wettbewerbswidrig erklärt haben, kann der Beklagte von der Zahlung von Schadenersatz nur freigestellt werden, wenn er nachweist, dass diese Handlung die Kläger nicht tangiert. Hier handelt es sich um einen der allgemeinen Grundsätze des Verbraucherschutzes, auf den hinzuweisen ist. Allerdings gilt weiterhin in fast allen Mitgliedstaaten die Regel, dass die Beweislast den Klägern obliegt, wobei jedoch Ausnahmen zugestanden werden, die zu einer Umkehr der Beweislast führen (14), wie aus mehreren Gerichtsentscheidungen ersichtlich ist (15)  (16). In Fällen, in denen in einer Entscheidung der Regelverstoß bereits bestätigt wurde, käme es zu einer nicht hinnehmbaren Verdoppelung der Beweisführung, würde bei auf diesen Verstoß gestützten Schadenersatzklagen die Beweislast nicht umgekehrt. Denn der Beweis wäre in diesem Fall nicht durch eine Behörde mit besonderen Ermittlungsbefugnissen, sondern von den Geschädigten selbst zu führen, was das Ungleichgewicht zwischen den Parteien bei dieser Art von Klagen noch verstärken würde.

5.4.1.9

Ebenfalls im Zusammenhang mit der Vorlage der Beweise stellt sich die Frage der Gerichtssachverständigen: die Komplexität der Schadenersatzklagen macht ihre Hinzuziehung häufig erforderlich. Allerdings wird zu vermeiden sein, dass zu viele Sachverständige ggf. auch kontradiktorisch tätig werden, um einer Minderung der Verfahrenseffizienz entgegenzuwirken. Im Einklang mit den den Gerichten bereits übertragenen umfangreichen Befugnissen könnte diesen die Bestellung der Sachverständigen für den Fall übertragen werden, dass sich die Parteien nicht einigen können, wobei sie sich ggf. mit den Wettbewerbsbehörden abstimmen sollten.

5.4.2

Schadenersatz. In der Hauptsache geht es um die Bewertung des den Privatpersonen zugefügten Schadens und dessen Quantifizierung. Die GD SANCO hat eine Studie (17) durchgeführt, um das Konzept des den Verbrauchern zugefügten Schadens zu klären und um eine Begriffsbestimmung zu erarbeiten, die auf verschiedenen Gebieten, u.a. im Bereich Wettbewerb, anwendbar ist. Dieses Thema findet einen starken Widerhall, da die Bewertung der Schäden davon abhängt, wie groß das Marktsegment ist, in dem es zu verbotenen Handlungen gekommen ist. In jedem Falle dürfte die Individualisierung des Schadens ernsthafte Schwierigkeiten bei der Bewertung bereiten, denn es ist häufig sehr viel einfacher, die Gewinne von Unternehmen durch eine Kartellvereinbarung statt die Verluste zu ermitteln, die durch eben diese Vereinbarung entstanden sind.

5.4.2.1

Zwar ist es wichtig, den Gerichten für die Entscheidung bei dieser Art von Klagen weit reichende Befugnisse zu übertragen, es erscheint jedoch sinnvoll, ausgewogen vorzugehen. Aus Gründen der Geschlossenheit des Systems und mit Blick auf die ggf. entstehende Rechtsprechung wird es zweckmäßig sein, Leitlinien für die Kriterien vorzugeben (Bestimmung der Billigkeit), die bei der Festlegung der Höhe der Entschädigungen zu beachten sind.

5.4.2.2

Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist die Verjährung (18) des Rechtes, Ersatz für den durch Kartellabsprachen entstandenen Schaden zu verlangen. Insbesondere bei auf eine Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde gestützten Klagen kann die Verjährungsfrist erst beginnen, wenn die endgültige Entscheidung über den Verstoß ergangen ist. Anderenfalls könnten zusätzliche Schwierigkeiten für den Zugang zu Beweismitteln entstehen.

5.4.2.3

Schließlich ist auch die Frage des rechtlichen Charakters der Schadenersatzklagen insofern zu behandeln, als das Fehlen einer vertraglichen Bindung zwischen dem Unternehmen, das gegen die Regeln verstoßen hat, und dem Verbraucher in den meisten Fällen die Bestimmung der Rechtsgrundlage für die Klage erschweren dürfte. In diesem Falle würde die Anwendung der Vorschriften über die außervertraglichen Schuldverhältnisse (19) es ermöglichen, der Struktur der Haftungsklagen zu folgen, die in der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten eine lange Tradition haben.

5.4.3

Sammelklagen gegenüber Einzelklagen auf Schadenersatz  (20). Bei dem Bemühen um Ersatz des Schadens auf Grund einer Verletzung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln werden durch Sammelklagen eine Reihe wichtiger Ziele in vollem Umfang erreicht: i) wirksamer Schadenersatz, da die Forderung des Schadenersatzes durch Verbände im Namen der betroffenen Verbraucher erleichtert und somit ein Beitrag zum tatsächlichen Zugang zu den Gerichten geleistet wird; ii) Abschreckung und Vorbeugung von Kartellverhalten wegen des großen gesellschaftlichen Echos, das diese Art von Klagen findet. Auch vom Standpunkt des Rechtsverletzers aus gesehen würde die Möglichkeit, sich in Sammelverfahren zu verteidigen, erhebliche Vorteile hinsichtlich Kosten und Effizienz bringen.

5.4.3.1

Wichtigster Punkt für die Sammelklagen ist die Einführung des Klagerechts für die Verbände analog zu dem Klagerecht in der Richtlinie 98/27/CE (21) im Bereich der Klagen auf Unterlassung von Verhaltensweisen, die spezifische Interessen der Verbraucher schädigen. In dieser dem Verbraucherschutz dienenden Richtlinie, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Gerichtsfähigkeit der Verbände und ihrer Mitteilung an die Kommission beruht (22), ist zwar kein Schadenersatz bzw. keine Entschädigung für den erlittenen Schaden vorgesehen, sie hat aber dennoch den Weg auf europäischer Ebene dafür bereitet, dass Einrichtungen und Verbände das Klagerecht erhalten und streitige Verfahren im Namen kollektiver Interessen anstrengen können (23).

5.4.4

Finanzierung der Schadenersatzklagen. Die tägliche Praxis der Schadenersatzklagen lässt erkennen, dass die Prozesskosten auf die Inanspruchnahme des Klagerechts eine abschreckende Wirkung haben. Zunächst verhindern die hohen Prozesskostenvorschüsse für eine Klage die Inanspruchnahme dieses Rechtes; außerdem erhöht die Langwierigkeit der Zivilverfahren die Kosten. Die für den Verbraucherschutz zuständigen staatlichen Stellen könnten die Einrichtung eines Fonds zur Finanzierung von Sammelklagen prüfen.

5.4.4.1

Anderenfalls käme es zu einer großen Zersplitterung zwischen den Geschädigten mit teilweise lächerlichen Einzelbeträgen, wodurch für die Finanzierung dieser Art von Klagen hohe Hürden im Vergleich zu den Beklagten entstehen würden, die zu ihrer Verteidigung weitaus größere Mittel einsetzen können.

5.4.4.2

Die Erfahrungen haben gezeigt, dass aufgrund des Unterschieds zwischen den von den Geschädigten zu tragenden Kosten und den Kosten bei den Unternehmen, die einen Regelverstoß begangen haben, bzw. deren Unternehmensverbände für letztere ein gewisser Druck entsteht. Es wird davon ausgegangen, dass die Ungleichheiten zwischen den Parteien bei dieser Art von Klagen beseitigt werden können, indem für Kläger auf Schadenersatz wegen Verletzung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln eine volle Befreiung von den Prozesskosten bzw. eine entsprechende Minderung vorgesehen wird. Die Möglichkeit, Parteien wegen bösgläubig angestrengter Verfahren Geldbußen aufzuerlegen bzw. sie im Falle des Unterliegens zur Zahlung der Prozesskosten zu verurteilen, muss dabei jedoch unangetastet bleiben.

5.4.5

Die „passing on defense“ und das Klagerecht der Folgevertragspartner (indirekten Abnehmer) bedingt insofern eine komplizierte Verfahrensweise, als die durch eine verbotene Handlung eines Unternehmens verursachten Schäden in der Lieferkette weitergegeben werden und sich sogar auf den Endverbraucher auswirken könnten. Damit gestaltet sich die Schadenersatzklage noch schwieriger, insbesondere wegen des schwierigen Nachweises einer Verbindung zwischen dem Schaden und der verbotenen Handlung. Die schwierige Beweisführung spricht für einen Ausschluss der „passing on defense“ von der Schadenersatzklage.

5.4.6

Gerichtliche Zuständigkeit und anwendbares Recht: Das Übereinkommen von Brüssel regelt die gerichtliche Zuständigkeit für die Zustellung von Schriftstücken und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Im Nachgang wurden mit der Verordnung 44/2001 Normen aufgestellt für die Behandlung grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten innerhalb der EU. Somit wäre ein Großteil möglicher Schwierigkeiten bei der Durchführung von Schadenersatzklagen wegen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen als ausgeräumt anzusehen. Sammelklagen im Bereich der Schadenersatzverfahren wegen Verletzung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln sind bisher nur in einer Minderheit der Mitgliedstaaten gängige Praxis. Wird ihre Einführung erwogen, so muss auch über einige Aspekte dieser Klagen, insbesondere über den Gerichtsstand und das anzuwendende Recht nachgedacht werden. Die Vorzüge hinsichtlich Kosten und Effizienz dieser Art von Klagen sowohl für die Kläger als auch für die Beklagten können nur zum Tragen kommen, wenn die Vorschriften einheitlich angewandt werden, d.h. wenn das Recht des Gerichtsstandes Vorrang hätte. Ebenso ist die Verfügbarkeit von Informationen nicht nur über die für die Einleitung der Verfahren zuständigen Behörden, sondern auch über noch anhängige Verfahren und die entsprechenden Entscheidungen als ein wichtiger Schritt in Richtung der Einführung einer echten privaten Wettbewerbsrechtsdurchsetzung anzusehen.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe: ABl. C 185 vom 8.8.2006.

(2)  Siehe: Rechtssache Courage Ltd gegen Bernard Crehan. C-453/99 vom 20.9.2001. Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal (England and Wales) (Civil Division) — Vereinigtes Königreich.

(3)  Verordnung (EWG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln. ABl. L 1 vom 4.1.2003, S.1. Stellungnahme des EWSA: ABl. C 155 vom 29.5.2001, S. 73.

(4)  Siehe das in Fußnote 3 zitierte Urteil in den Erwägungsgründen 17 bis 19.

(5)  Siehe den Erwägungsgrund 19 des zitierten Urteils, in dem eine Vielzahl von Urteilen aufgeführt ist, in denen diese Rechtsauffassung über die unmittelbare Geltung der im EG-Vertrag enthaltenen Vorschriften vertreten wird.

(6)  Siehe den Erwägungsgrund 23 des zitierten Urteils mit umfangreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung.

(7)  Siehe den Erwägungsgrund 29 des zitierten Urteils.

(8)  An dieser Stelle ist die Funktion herauszuheben, die dem Netz der Wettbewerbsbehörden für die Zusammenarbeit bei der Durchführung der Wettbewerbsregeln zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden zugefallen ist (siehe ABl. C 101 vom 27.4.2004).

(9)  Siehe den Erwägungsgrund 29 des zitierten Urteils.

(10)  Tatsächlich wurden die Befugnisse auf diesem Gebiet ausgeweitet, wenngleich in bestimmten Fällen eine Genehmigung durch nationale Justizbehörden erforderlich ist (beispielsweise bei der Eintragung von Unternehmen).

(11)  Urteil vom 18.5.1982, Rechtssache C-15/155; AM&S/Kommission (Slg.1982, S. 417).

(12)  Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. C 101 vom 27.4.2004.

(13)  Siehe die Annahme von Verpflichtungszusagen, die in Artikel 5 der Verordnung 1/2003 vorgesehenen ist.

(14)  Siehe die Beispiele in „Study on the conditions of claims for damages in cases of infringement of EC competition rules — comparative report“ von Denis Waelbroeck, Donald Slater und Gil Even-Shoshan, vom 31.8.2004 (S. 50 ff.).

(15)  Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1. Stellungnahme des EWSA: ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 6.

(16)  Allerdings enthält bereits Artikel 2 der Verordnung 1/2003 Vorschriften über die Beweislast und ihre Umkehr: „In allen einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Verfahren zur Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags obliegt die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1 oder Artikel 82 des Vertrags der Partei oder der Behörde, die diesen Vorwurf erhebt. Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des Artikels 81 Absatz 3 des Vertrags vorliegen, obliegt den Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, die sich auf diese Bestimmung berufen.“

(17)  Analyse der Problematik des Schadens für den Verbraucher und der am besten geeigneten Methoden zur Einschätzung dieses Schadens (2005/S 60-057291).

(18)  Rdnr. 4 der Schlussfolgerungen des Urteils des EuGH vom 13.7.2006 in den verbundenen Rechtssachen C-295/04 bis 298/04 in Bezug auf die Aussetzung der Verjährung (Vorabentscheidungsersuchen eingereicht vom Giudice di pace di Bitonto (Italien) in den Verfahren Vincenzo Manfredi gegen Lloyd Adriatico Assicurazioni SpA (C-295/04), Antonio Cannito gegen Fondiaria Sai SpA (C-296/04) und Nicolò Tricarico (C-297/04), Pasqualina Murgolo gegen Assitalia SpA (C-298/04).

Es wird auf die Bedeutung dieser jüngsten Entscheidung des EuGH verwiesen, mit der die angeführte Rechtsprechung bekräftigt wird.

(19)  Vorschlag für eine Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht — „Rom II“, KOM(2003) 427 endg.

(20)  Die Praxis der sogenannten class actions der nordamerikanischen Gesetzgebung wird als nicht geeignet weder für die Rechtsordnungen der europäischen Staaten noch für das europäische Rechtsmodell angesehen, zumindest in den meisten Staaten, die über ihr eigenes traditionelles System der Schadenersatzklagen verfügen.

(21)  Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. L 166 vom 11.6.1998, S. 51. Stellungnahme des EWSA: ABl. C 30 vom 30.1.1997, S. 112.

(22)  Siehe die Mitteilung der Kommission zu der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, betreffend die qualifizierten Einrichtungen, die berechtigt sind, eine Klage im Sinne des Artikels 2 dieser Richtlinie zu erheben — mit einem Verzeichnis von 276 qualifizierten Einrichtungen, ABl. C 39 vom 16.2.2006, S. 2.

(23)  „(…) Unter Kollektivinteressen sind die Interessen zu verstehen, bei denen es sich nicht um eine Kumulierung von Interessen durch einen Verstoß geschädigter Personen handelt. Dies gilt unbeschadet von Individualklagen der durch einen Verstoß geschädigten Personen.“; Siehe Erwägungsgrund 2 der Richtlinie.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (kodifizierte Fassung)“

KOM(2006) 226 endg. — 2006/0073 (COD)

(2006/C 324/02)

Der Rat beschloss am 6. Juni 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 20. September 2006 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses beschloss das Plenum, über diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung abzustimmen und bestellte Herrn RETUREAU gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 95 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorschläge der Kommission

1.1

Es handelt sich um eine Kodifizierung. Die zu kodifizierenden Texte ändern trotz einiger formaler Anpassungen das zum Zeitpunkt der Kodifizierung geltende Recht nicht. Die Kodifizierung wird bei unverändertem Recht durchgeführt.

1.2

Im Zusammenhang mit dem „Europa der Bürger“ ist es ein wichtiges Anliegen, das Gemeinschaftsrecht verständlich und transparent zu gestalten. Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission haben daher die Notwendigkeit hervorgehoben, mehrfach geänderte Rechtsakte zu kodifizieren, und sich in einer interinstitutionellen Vereinbarung auf ein beschleunigtes Verfahren geeinigt. An den zu kodifizierenden Rechtsakten dürfen keine materiell-inhaltlichen Änderungen vorgenommen werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der EWSA stellt fest, dass die Vorschläge der Kommission der Zielsetzung des beschleunigten Verfahrens für die Kodifizierung genau entsprechen.

2.2

Allerdings stellt sich die Frage nach der Festigung der Rechtsvorschriften für Urheberrechte und verwandte Schutzrechte: Eine Kodifizierung ist erst dann wirklich sinnvoll, wenn davon auszugehen ist, dass keine weiteren tiefgreifenden Entwicklungen des diesbezüglichen Rechts zu erwarten sind.

2.3

Da sich das Gemeinschaftsrecht immer weiter entwickelt (insbesondere werden Vorschläge für „strafrechtliche Maßnahmen“ erwartet) und die Umsetzung in einzelstaatliches Recht unterschiedlich erfolgt, ist festzustellen, dass nicht auf Ausgewogenheit zwischen den Rechten der Inhaber von Urheberrechten, insbesondere von verwandten Schutzrechten, und den Rechten der Adressaten der Werke (Öffentlichkeit, Wissenschaft, Hochschulen etc., d.h. „Konsumenten von Kulturdienstleistungen“) geachtet wird, da die Rechte der Adressaten urheberrechtlich geschützter Werke in mehreren Mitgliedstaaten immer stärker beschnitten werden. In zahlreichen Fällen wird z.B. das Recht auf Privatkopien durch den DRM-Kopierschutz (Verwaltung digitaler Rechte) über das Material bzw. die Software infrage gestellt. Das Reverse Engineering mit dem Ziel der Interoperabilität von Software wird aus denselben Gründen infrage gestellt.

2.4

Diese für die „Konsumenten“ ungünstige Entwicklung wird durch eine Verschärfung der strafrechtlichen Sanktionen bei einer Umgehung des DRM-Schutzes für Privat- oder Sicherungskopien noch verschlechtert.

2.5

Der EWSA ist daher der Ansicht, dass die Kodifizierungsmaßnahmen im Bereich der Urheberrechte und verwandter Schutzrechte verfrüht sind, da das Gemeinschaftsrecht insbesondere unter Berücksichtigung der Lissabon-Strategie neu austariert werden sollte. Zudem werden zahlreiche wichtige Fragen der Subsidiarität überlassen, und die Umsetzung in einzelstaatliches Recht weist Divergenzen auf, die einen freien Verkehr von Werken und „Kulturdienstleistungen“ u.U. behindern könnten.

2.6

In diesem Stadium hätte eine einfache Konsolidierung durch das Amt für amtliche Veröffentlichungen eine Klärung des Stands des zum Zeitpunkt der Konsolidierung geltenden Rechts ermöglicht; dieses Verfahren kann im Anschluss bei jeder umfassenden Änderung des anwendbaren Rechts zum Einsatz kommen, ohne dass künftige Entwicklungen quasi blockiert erschienen, was die Entscheidung für eine Kodifizierung vermuten lassen könnte.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss würde sich die Aufnahme der Anerkennung und eines geeigneten Schutzes von Lizenzen in das Gemeinschaftsrecht wünschen, wie der „Lesser General Public License“ (LGPL) („kleine“ allgemeine öffentliche Lizenz für die technische Dokumentation) oder die „Creative Commons“-Lizenz für Bücher und künstlerisches Schaffen; solche Lizenzen bieten den Nutzern viel Freiheit; die „General Public License“ gilt beispielsweise häufig bei der Software von Computerservern (Internet-Browser, Verwaltungen, Unternehmen).

3.2

Diese freizügigeren Nutzerrechte fördern die Verbreitung und Aneignung von Werken durch die Nutzer und Adressaten und entsprechen voll und ganz der Zielsetzung einer raschen Verbreitung von Wissen und Technologie im angestrebten Sinne der Lissabon-Strategie.

3.3

Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die Überlegungen, die sich mit einer Kodifizierung auf einen Stillstand hin zu bewegen scheinen, erneut aufzunehmen und Initiativen ins Auge zu fassen, um Werke möglichst umfassend zugänglich zu machen, indem freie Lizenzen anerkannt und die Rechte von Inhabern und Nutzern in der Informationsgesellschaft kritisch gegeneinander abgewogen werden, um Wettbewerbsfähigkeit und Innovation in der Europäischen Union zu stärken.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (kodifizierte Fassung)“

KOM(2006) 219 endg. — 2006/0071 (COD)

(2006/C 324/03)

Der Rat beschloss am 6. Juni 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 20. September 2006 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses beschloss das Plenum, über diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung abzustimmen und bestellte Herrn RETUREAU gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 104 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Vorschläge der Kommission

1.1

Es handelt sich um eine Kodifizierung. Die zu kodifizierenden Texte ändern trotz einiger formaler Anpassungen das zum Zeitpunkt der Kodifizierung geltende Recht nicht. Die Kodifizierung wird bei unverändertem Recht durchgeführt.

1.2

Im Zusammenhang mit dem „Europa der Bürger“ ist es ein wichtiges Anliegen, das Gemeinschaftsrecht verständlich und transparent zu gestalten. Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission haben daher die Notwendigkeit hervorgehoben, mehrfach geänderte Rechtsakte zu kodifizieren, und sich in einer interinstitutionellen Vereinbarung auf ein beschleunigtes Verfahren geeinigt. An den zu kodifizierenden Rechtsakten dürfen keine materiell-inhaltlichen Änderungen vorgenommen werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der EWSA stellt fest, dass die Vorschläge der Kommission der Zielsetzung des beschleunigten Verfahrens für die Kodifizierung genau entsprechen.

2.2

Allerdings stellt sich die Frage nach der Festigung der Rechtsvorschriften für Urheberrechte und verwandte Schutzrechte: Eine Kodifizierung ist erst dann wirklich sinnvoll, wenn davon auszugehen ist, dass keine weiteren tiefgreifenden Entwicklungen des diesbezüglichen Rechts zu erwarten sind.

2.3

Die Schutzdauer des Urheberrechts wurde von einer Dauer von zehn Jahren an ihrem modernen Ursprung im 19. Jahrhundert auf heute 70 Jahre nach dem Tod des Autors angehoben; es ist keineswegs ausgeschlossen, dass diese Schutzdauer in Zukunft nicht auf den Druck von Rechtsnachfolgern oder Inhabern von verwandten Schutzrechten hin weiter ausgedehnt werden könnte.

2.4

Die Lage stellt sich letztlich sehr unausgewogen zugunsten der Autorenerben (ca. drei Generationen) und der Inhaber verwandter Schutzrechte dar, daher müssten die im Vergleich zu den Bedürfnissen der Öffentlichkeit und der Autoren selbst unverhältnismäßig angestiegenen Schutzdauern überdacht werden. Wenn ein WTO-Mitglied wie die USA den Urheberschutz wie abzusehen auf 90 Jahre bzw. ein Jahrhundert („Disney-Amendment“) verlängert, was geschieht dann in Europa? Müssen wir die Handelsabkommen zum „geistigen Eigentum“ überarbeiten?

2.5

Zahlreiche Werke — literarische, philosophische und sonstige — erscheinen in nur einer einzigen Auflage, in ihrer Originalsprache, und während der Lebensdauer der Autoren oder ihrer Erben erscheint keine weitere Auflage. Auch wenn diese Werke keine „Bestseller“ waren, haben einige von ihnen doch einen bestimmten Wert, jedoch ist der Zugang zu ihnen potenziellen Lesern sehr bald verschlossen. Von einer unbestimmten Verlängerung der Rechte profitieren letztlich nur wenige Autoren, während das Schutzsystem durch seine Dauer sehr viel mehr Werke „stilllegt“, die den Lesern, Studenten nicht mehr zur Verfügung stehen, sobald die erste Auflage vergriffen ist.

2.6

Daher stellt sich die Frage nach einer Stabilisierung der Rechtsvorschriften für Urheberrechte und verwandte Schutzrechte; eine Kodifizierung ist erst dann wirklich sinnvoll, wenn davon auszugehen ist, dass keine weiteren tiefgreifenden Entwicklungen des diesbezüglichen Rechts zu erwarten sind.

2.7

Im digitalen Zeitalter sollte eingehend über die Verbreitung von Werken und das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zum universellen Schaffen und universeller Kultur nachgedacht werden. Die Kodifizierung erscheint dem EWSA daher verfrüht; der Ausschuss hätte eine einfache Konsolidierung sowie eine Überarbeitung der Bedingungen und der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte im Einklang mit der Lissabon-Strategie vorgezogen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss würde sich die Aufnahme der Anerkennung und eines geeigneten Schutzes von Lizenzen in das Gemeinschaftsrecht wünschen, wie der „Lesser General Public License“ (LGPL) („kleine“ allgemeine öffentliche Lizenz für die technische Dokumentation) oder der „Creative Commons“-Lizenz für Bücher und künstlerisches Schaffen; solche Lizenzen bieten den Nutzern viel Freiheit; die „General Public License“ gilt beispielsweise häufig bei der Software von Computerservern (Internet-Browser, Verwaltungen, Unternehmen).

3.2

Diese freizügigeren Nutzerrechte fördern die Verbreitung und Aneignung von Werken durch die Nutzer und Adressaten und entsprechen voll und ganz der Zielsetzung einer raschen Verbreitung von Wissen und Technologie im angestrebten Sinne der Lissabon-Strategie.

3.3

Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die Überlegungen, die sich mit einer Kodifizierung auf einen Stillstand hin zu bewegen scheinen, erneut aufzunehmen und Initiativen ins Auge zu fassen, um Werke möglichst umfassend zugänglich zu machen, indem freie Lizenzen anerkannt und die Rechte von Inhabern und Nutzern in der Informationsgesellschaft kritisch gegeneinander abgewogen werden.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über irreführende und vergleichende Werbung“

KOM(2006) 222 endg. — 2006/0070 (COD)

(2006/C 324/04)

Der Rat beschloss am 6. Juni 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 20. September 2006 an. Berichterstatter war Herr WESTENDORP.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses beschloss das Plenum, über diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung abzustimmen und bestellte Herrn WESTENDORP gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter. In Abwesenheit von Herrn WESTENDORP erläuterte Herr PEGADO LIZ die Stellungnahme.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 86 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Im Zusammenhang mit dem „Europa der Bürger“ ist es ein wichtiges Anliegen, das Gemeinschaftsrecht verständlich und transparent zu gestalten. Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission haben daher die Notwendigkeit hervorgehoben, mehrfach geänderte Rechtsakte zu kodifizieren und sich in einer interinstitutionellen Vereinbarung auf ein beschleunigtes Verfahren geeinigt. An den zu kodifizierenden Rechtsakten dürfen keine materiell-inhaltlichen Änderungen vorgenommen werden.

1.2

Der vorliegende Vorschlag der Kommission entspricht genau der Absicht und den Regeln der Kodifizierung, der EWSA erhebt daher keine Einwände.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/11


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anbringungsstelle des amtlichen Kennzeichens an der Rückseite von zweirädrigen oder dreirädrigen Kraftfahrzeugen“

KOM(2006) 478 endg. — 2006/0161 (COD)

(2006/C 324/05)

Der Rat beschloss am 27. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 Herrn JANSON zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 104 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Soll das Gemeinschaftsrecht verständlich und transparent sein, müssen häufig geänderte Rechtsakte kodifiziert werden.

1.2

Bei der Kodifizierung ist das übliche Rechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft uneingeschränkt einzuhalten.

1.3

Mit diesem Vorschlag soll die Richtlinie 93/94/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 über die Anbringungsstelle des amtlichen Kennzeichens an der Rückseite von zweirädrigen oder dreirädrigen Kraftfahrzeugen kodifiziert werden. Die neue Richtlinie ersetzt die verschiedenen Rechtsakte, die Gegenstand der Kodifizierung sind. Der Vorschlag behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen, wobei nur insoweit formale Änderungen vorgenommen werden, als diese aufgrund der Kodifizierung selbst erforderlich sind.

1.4

Der Vorschlag der Kommission wird dem mit der Kodifizierung verfolgten Ziel voll und ganz gerecht und entspricht den einschlägigen Bestimmungen. Dementsprechend unterstützt der EWSA diese Vorlage.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitrios DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/12


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen“

KOM(2005) 125 endg. — 2005/0028 (COD)

(2006/C 324/06)

Der Rat beschloss am 25. Januar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 und 251 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Berichterstatter war Herr WILKINSON.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Herrn DORDA gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 76 gegen 3 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, die geltenden Bestimmungen zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen zu aktualisieren, ebenso insbesondere die vorgeschlagenen Änderungen des Systems der „geographischen Angabe“ (g.A.) dahingehend, dass die zuständigen einzelstaatlichen Behörden Anträge einreichen, sowie das vorgeschlagene Verfahren für Änderungen an der neuen Verordnung.

1.2

Der Ausschuss kann jedoch die in dem Vorschlag für eine Verordnung vorgesehene Einführung von Kategorien nicht befürworten, da diese missverständlich sein könnten.

1.3

Die Angabe der Inhaltstoffe von Spirituosen wird nur insoweit befürwortet, als sie in gleicher Weise bei allen alkoholischen Getränken Anwendung findet.

1.4

Die „Echtheitsindikatoren“ (EI) sind wichtig bei der Bekämpfung von Betrug und gefälschten Produkten; Bestimmungen für deren Anwendung sind in den Vorschlag aufzunehmen.

1.5

Die Begriffsbestimmung ist bei Wodka besonders umstritten — insbesondere hinsichtlich der Rohstoffe, aus denen er hergestellt werden darf. Der Ausschuss schlägt vor, dass die Rohstoffe für Wodka auf Getreide, Kartoffeln und Rübenmelasse beschränkt werden und folglich kein Grund besteht, die verwendeten Rohstoffe auf den Etiketten anzugeben.

2.   Einleitung

2.1

Die derzeitigen Vorschriften über Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen sind in der Verordnung des Rates (EWG) 1576/89 (1) und der Verordnung der Kommission (EG) 1014/90 (2) enthalten. Mittels dieser Vorschriften wurde der Spirituosensektor erfolgreich geregelt. Nunmehr müssen allerdings bestimmte Punkte geklärt werden, um den Entwicklungen seit der Einführung dieser Vorschriften Rechnung zu tragen. Dies führte zur Erarbeitung des aktuellen Vorschlags für eine Verordnung.

2.2

Der Vorschlag zielt darauf ab, mehr Klarheit in die gegenwärtigen Verordnungen (siehe Fußnote 1 und Fußnote 2) zu bringen, sie an neue technische Erfordernisse anzupassen und zusätzliche Faktoren wie die Anforderungen der WTO zu berücksichtigen. Außerdem zielt der Vorschlag darauf ab, den guten Ruf in der EU hergestellter Spirituosen zu erhalten und den Verbrauchern die nötigen Informationen zur Verfügung zu stellen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag, die geltenden Verordnungen abzuändern und zu aktualisieren; er stellt fest, dass die Organisation der Spirituosenhersteller auf EU-Ebene (3) eingehend konsultiert wurde und diese Maßnahme ebenfalls begrüßt.

3.2

Der Ausschuss billigt insbesondere jene Änderungen, durch die das System der geografischen Angaben (g.A.) den Anforderungen der WTO entsprechend gestaltet wird, sowie den Vorschlag, einfache und transparente Abläufe für Änderungen der vorgeschlagenen Verordnung zuzulassen.

3.3

Dass diese neue Verordnung zwei geltende Verordnungen ersetzen wird, sollte im ersten Absatz der einführenden Erwägungsgründe klargestellt werden, indem neben dem bestehenden Verweis auf die Aufhebung und Ersetzung der Verordnung (EWG) 1576/89 ein Verweis auf die Verordnung (EG) 1014/90 hinzugefügt wird.

3.4

Die Spirituosenindustrie ist von sehr großer Bedeutung für die Wirtschaft der EU, da sie mit etwa 5 Milliarden EUR zu den jährlichen Exporten beiträgt, (4) unmittelbar etwa 50.000 Menschen beschäftigt (mittelbar etwa fünfmal so viele) und über 1 Milliarde EUR Anlageinvestitionen im Jahr tätigt. Die Spirituosenindustrie gehört außerdem zu den wichtigsten Kunden der landwirtschaftlichen Erzeuger in der EU. Vor der jüngsten Erweiterung wurden von dem Industriezweig etwa 2 Millionen Tonnen Getreide, 2,5 Millionen Tonnen Zuckerrüben, 300.000 Tonnen Früchte und 16 Millionen Hektoliter Wein jährlich verbraucht; diese Zahlen müssen für die EU-25 entsprechend aktualisiert werden, da mit dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten auch Kartoffeln einzubeziehen sind; der jährliche Verbrauch von Kartoffeln als Rohstoff für Spirituosen beträgt etwa 100.000 Tonnen.

3.5

Die Spirituosenindustrie der EU ist gegenwärtig die wettbewerbsfähigste der Welt und Veränderungen dürfen keinesfalls dazu führen, dass dieser Vorsprung verloren geht. Es wird daher von besonderer Bedeutung sein, den ausgezeichneten Ruf und die andauernde Innovationsfähigkeit zu erhalten.

3.6

Durch die Änderungen zur Konsolidierung und Aktualisierung der bestehenden Verordnungen dürfen unter keinen Umständen die diesen eigenen Grundprinzipien angetastet werden. Von besonderer Bedeutung sind hier die geltenden Etikettierungsvorschriften, auf die in den Anmerkungen von Anlage I genauer eingegangen wird.

3.7

Die individuellen Begriffsbestimmungen von Spirituosen sind komplex und der Ausschuss behandelt diese nur dann, wenn eine Klärung von grundlegender Bedeutung zu sein scheint.

Besondere Bemerkungen

4.   Kategorien

4.1

In dem Vorschlag wird die Unterteilung von Spirituosen in „Kategorien“ eingeführt; es wird vorgeschlagen, alle Spirituosen in die Kategorien „A“ („Brände“), „B“ (spezifische Spirituosen) und „C“ (sonstige Spirituosen) einzuteilen. Es wird nicht erklärt, warum eine solche Unterteilung in Kategorien als notwendig erachtet wird. Der Ausschuss kommt allerdings zu der Ansicht, dass daraus Unklarheiten entstehen könnten, weil bestimmte Getränke in Abhängigkeit von der angewandten Herstellungsmethode mehreren Kategorien zugeteilt werden könnten. Der Ausschuss stellt außerdem fest, dass in der Begründung die Kategorie „A“ als Produktgruppe bezeichnet wird, die „ausschließlich die reinste Form des Produkts“ umfasst. Dies könnte den Eindruck hervorrufen, dass andere Kategorien nicht rein sind, wohingegen das Ziel der Verordnung ist, den hervorragenden Ruf aller in der EU hergestellter Spirituosen zu garantieren.

4.2

Der EWSA stellt fest, dass die vorgeschlagene Klassifizierung keine rechtlichen Auswirkungen hätte. Der Ausschuss ist allerdings nicht der Auffassung, dass die vorgeschlagene Unterteilung in Kategorien für die Verbraucher oder andere Personen hilfreich wäre. Auch für den strukturellen Aufbau des Dokuments scheint diese Unterteilung nicht notwendig. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass Kategorien, wenn sie eingeführt werden sollen, klar zu begründen sind. Der Ausschuss hätte in diesem Falle allerdings Bedenken hinsichtlich der vorgesehenen Einteilung der einzelnen Kategorien.

4.3

Der EWSA gibt darüber hinaus zu bedenken, dass durch die Unterteilung in Kategorien möglicherweise die Grundlage für Ungleichbehandlungen verschiedener Spirituosen bei der Etikettierung oder der Besteuerung gelegt werden könnte. Der Ausschuss spricht sich gegen solche Ungleichbehandlungen aus.

4.4

Der bisherige Verlauf der Diskussion hat gezeigt, (5) dass die vorgeschlagene Einteilung in Kategorien umstritten ist und deshalb wahrscheinlich geändert werden muss. In diesem Falle wäre zu überlegen, ob der Vorschlag teilweise zu überarbeiten ist, um verschiedene traditionelle Verfahren entsprechend zu berücksichtigen; darüber hinaus müsste Anlage II des Vorschlags ausgearbeitet werden, um genauer festzulegen, welche Verfahren bei der Produktion erlaubt sind.

5.   Verbraucherinteressen

5.1

Dem EWSA sind keine Forderungen von Verbraucherorganisationen im Bereich Spirituosen bekannt. Wahrscheinlich wird deren Anliegen weiterhin bleiben, den sehr hohen Qualitätsstandard von Spirituosen beizubehalten und einen (bei angemessenem Genuss) unbedenklichen Konsum zu gewährleisten.

5.2

Die Frage der Auflistung der Inhaltsstoffe wird im Kommissionsdokument nicht behandelt. Der EWSA befürwortet diese Haltung, da dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt unnötig und unrealistisch wäre. Der EWSA würde jedoch eine Auflistung der Inhaltsstoffe befürworten, wenn diese bei allen alkoholischen Getränken gleichermaßen angewandt und so durchgeführt würde, dass den Verbrauchern daraus ein Mehrwert entstünde.

6.   Geographische Angaben

6.1

Der EWSA begrüßt die Klarstellung der Regeln für „geographische Angaben“ (g.A.), die bei Spirituosen Anwendung finden. Es wäre hilfreich, klar festzustellen, dass Anträge bei der Kommission nur durch Mitgliedstaaten oder, wenn dies zweckmäßig ist, durch Behörden eines Drittlandes gestellt werden können.

6.2

Einige Sorgfalt sollte darauf verwandt werden, g.A.-Regeln nicht auf zu viele Produkte anzuwenden, damit die g.A. weiterhin als wertvolle Information angesehen werden.

6.3

Der EWSA geht davon aus, dass die Bestimmungen in Artikel 5, durch die es den Mitgliedstaaten gestatten wird, strengere Rechtsvorschriften zu erlassen und anzuwenden, als dies nach der neuen Verordnung nötig wäre, sich vor allem auf Produkte mit einer bereits vorhandenen g.A. bezieht. Es wäre jedoch sinnvoll klarzustellen, ob dieser Artikel auf alle Produkte (mit oder ohne g.A.) angewandt werden kann.

7.   Aroma/Aromatisierung/Süßung

7.1

Die Begriffe „Aroma“ und „Aromatisierung“ müssen strikt auseinander gehalten werden (6) und es ist zu klären, welches Verfahren bei welchen Produkten angewandt werden darf. Gegenwärtig herrschen in dem Vorschlag diesbezüglich noch schwerwiegende Unklarheiten.

7.2

Begriffsbestimmungen für einige aromatisierte Spirituosen könnten sich als notwendig erweisen. Dies sollte mit in die Überlegungen einbezogen werden.

7.3

Im Falle der Süßung sollte die Kommission die Notwendigkeit in Betracht ziehen, ihren Standpunkt zum „Abrunden“ zu klären. Beim „Abrunden“ wird eine bestimmte Menge von Süßstoffen zugesetzt, um den Geschmack des Endprodukts auszugleichen.

8.   Künftige Änderung der Verordnung

8.1

Der Ausschuss unterstützt den Kommissionsvorschlag, die einzelnen Begriffsbestimmungen von Spirituosen in einer Anlage anzufügen und dem Durchführungsausschuss für Spirituosen anschließend die Möglichkeit zu geben, diese zu ändern, ohne gleich den ganzen Text der Verordnung zur Diskussion zu stellen. Dadurch können Innovationen besser in die Verordnung einfließen.

8.2

Es sollte allerdings eine Frist von etwa fünf Jahren nach Inkrafttreten der neuen Verordnung eingehalten werden, in der keine Möglichkeit besteht, Änderungen von einzelnen Begriffsbestimmungen in Anlage II des Kommissionsvorschlags vorzunehmen, um eine gewisse Stabilität zu erreichen.

9.   Echtheitsindikatoren (EI)

9.1

In dem Vorschlag wird nicht auf die Problematik der Echtheitsindikatoren eingegangen. Diese Problematik sollte aber behandelt werden. Der Europäische Verband der Spirituosenhersteller (CEPS) schlägt vor, dass EI aus Lebensmitteln bestehen sollten und in Konzentrationen von weniger als 0,1 % Gewichtsvolumen in einem Erzeugnis vorhanden sein sowie keinerlei unterscheidbaren Charakter zu diesem Produkt hinzufügen dürfen. Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag des CEPS.

9.2

EI gewinnen zunehmend an Bedeutung bei der Bekämpfung von Betrug und gefälschter Ware. EI kommen nicht nur bei Spirituosen zur Anwendung; für ihre Nutzung ist aber wichtig, dass die Spirituosenhersteller im Zusammenhang mit diesem Vorschlag ihrem Gebrauch zustimmen.

10.   Wodka

10.1

Der EWSA möchte zwar hinsichtlich der Begriffsbestimmungen von Erzeugnissen nicht zu sehr in die Tiefe gehen, der Fall Wodka beinhaltet jedoch besondere Schwierigkeiten, wie beim Landwirtschafts- und Fischereirat vom 20. Februar 2006 offenbar wurde. (7) Der Ausschuss hat sich daher mit diesem Problem befasst, um möglicherweise mit seinen Überlegungen zur Konsensfindung beizutragen.

10.2

Der Ausschuss prüft den Fall Wodka in Anhang II seiner Stellungnahme sorgfältig und kommt zu dem Schluss, dass es Gründe gibt, die für Wodka verwendbaren Rohstoffe bestimmten Einschränkungen zu unterwerfen (und nur Getreide, Kartoffeln und Rübenmelasse zuzulassen). Entscheidend ist, dass dadurch diese große Kategorie besser geschützt werden kann und die Gewerbetreibenden an deren Ruf und Ansehen arbeiten können. Es müssen jedoch Vorschriften für diejenigen Erzeugnisse geschaffen werden, die dann nicht mehr unter die Bezeichnung „Wodka“ fallen würden; für diese Erzeugnisse sollte eine Übergangsperiode von etwa drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Übereinkunft über die neue Verordnung eingeräumt werden, damit eine andere Kategorie gewählt und die entsprechende Marktanpassung vorgenommen werden kann.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. L 160 vom 12.6.1989. Zuletzt geändert durch die Beitrittsakte von 2003.

(2)  ABl. L 105 vom 25.4.1990. Zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) 2140/98.

(3)  Der Europäische Verband der Spirituosenhersteller (CEPS) vertritt die Herstellerorganisationen aus 27 Staaten.

(4)  Der Industriezweig steuert einen Zugewinn zur EU-Handelsbilanz von jährlich etwa 4,2 Milliarden EUR bei.

(5)  Siehe beispielsweise den Bericht der Arbeitsgruppe Wein und Alkohol (Spirituosen) des Rates der Europäischen Union zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen, 9871/06 vom 8. Juni 2006.

(6)  Mit „natürlichem Aroma“ wird der Geschmack bezeichnet, der aus den Rohstoffen, die im Herstellungsprozess verwandt werden und daher im Destillat vorhanden sind, selbst entsteht; eine „natürliche Aromatisierung“ wird dem Destillat zugesetzt.

(7)  Pressemitteilung 6083/06 (Presse 39), 2708. Tagung des Rates Landwirtschaft und Fischerei vom 20. Februar 2006 in Brüssel.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Verwendung nicht heimischer und gebietsfremder Arten in der Aquakultur“

KOM(2006) 154 endg. — 2006/0056 (CNS)

(2006/C 324/07)

Der Rat beschloss am 2. Mai 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Berichterstatter war Herr TORNBERG.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Herrn ESPUNY MOYANO gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 94 Ja-Stimmen ohne Gegenstimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der Rat hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) um eine Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Verwendung nicht heimischer (1) und gebietsfremder (2) Arten in der Aquakultur ersucht.

1.2

Das Ziel des Kommissionsvorschlags ist der Schutz des aquatischen Milieus und seiner Artenvielfalt vor den Risiken, die mit dem Auftreten nicht heimischer Arten einhergehen. Nach Ansicht der Kommission ist das geltende Regelwerk — einschließlich der Habitat-Richtlinie (3) — nicht ausreichend.

1.3

Die Kommission schlägt eine Verordnung vor, die auf bereits gängiger Praxis und bestehenden Verhaltskodizes basiert, ohne dabei künftige Strategien zu beeinträchtigen.

1.4

Probleme, die zum Beispiel mit Themen wie Freizeitfischerei, Zierfische und andere exotische Tiere in Zusammenhang stehen, werden in der vorgeschlagenen Verordnung nicht behandelt; vielmehr zielt sie darauf ab, die von nichtheimischen Arten fern ihrer natürlichen Lebensräume ausgehenden künftigen Probleme vorherzusehen, zu verhindern und zu bewältigen.

1.5

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass innerhalb der Europäischen Union eine Tendenz zur Überregulierung festzustellen ist. Im Falle der vorgeschlagenen Verordnung sollte dies vermieden werden.

1.6

Der EWSA empfiehlt die Aufstellung einer Liste etablierter Arten (d.h. „naturalisierter“ nicht heimischer Arten), um Bürokratie und Verwaltungsaufwand für diese Arten zu vermindern.

1.7

Der Ausschuss hält es für ratsam, den Begriff „gebietsfremde Arten“ genau zu definieren. Desgleichen sollten die Begriffe „Zonen“ und „Ökoregion“ im Rahmen der vorgeschlagenen Verordnung definiert werden.

1.8

Der EWSA ist auch der Auffassung, dass unter dem Blickwinkel der EU als Binnenmarkt zwischen nicht-heimischen und gebietsfremden Arten innerhalb und außerhalb der EU unterschieden werden sollte.

1.9

Der EWSA weist auf die absehbaren Probleme hin, die kleine Produzenten bei der Einführung dieser Verordnung treffen würden. Insbesondere verweist er auf die umfangreichen Angaben, wie sie Anhang I des Vorschlags vorsieht.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Prinzipiell begrüßt der EWSA ausdrücklich den Vorschlag, auf EU-Ebene eine Regelung der Einfuhr nicht im Gemeinschaftsgebiet heimischer Arten zur Nutzung in der Aquakultur zu treffen, welche die Vielfalt der heimischen aquatischen Fauna und Flora schützt (4) und zugleich die Entwicklung der Aquakultur fördert.

2.2

Der Ausschuss erkennt an, dass eine Verordnung über die Verwendung nicht heimischer Arten in der Aquakultur sehr wichtig und dringend notwendig ist, um das aquatische Milieu und seine Artenvielfalt zu schützen.

2.3

Falls die vorgeschlagene Verordnung angenommen wird, sollte die Kommission unbedingt eine entsprechende Informationskampagne zu der Verordnung starten, um eventuellen Missbrauch durch die Medien, die Verbrauchern Angst einjagen und ihre Auflagen steigern wollen, vorzubeugen.

2.4

Nach Ansicht des EWSA muss mit der Verordnung die Entwicklung der Aquakultur in Europa gefördert werden (5), denn es handelt sich hierbei um einen Wachstumssektor, der künftig zahlreiche Möglichkeiten eröffnet, falls er durch die derzeitige Fassung des vorliegenden Vorschlags nicht daran gehindert wird.

2.5

Der EWSA konstatiert rasche Fortschritte und Entwicklungen des Sektors außerhalb der EU sowie seine Saturierung und seinen Bedarf an der Entwicklung neuer Arten. Ferner hat der Aquakultur-Sektor nach Ansicht des Ausschusses das Potenzial, im Rahmen der GFP (Gemeinsamen Fischereipolitik) zu einer Erfolgsgeschichte für die Fischerei zu werden.

2.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass der EU-Binnenhandel vereinfacht werden sollte — mit weniger Bürokratie und Dokumentation und ohne Überregulierung.

2.7

Der Ausschuss hält es für notwendig zu gewährleisten, dass die Verordnung nicht zu kompliziert für die Weiterentwicklung des Sektors wird, und ist besorgt hinsichtlich der Einheit ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte. Darüber hinaus ist der Ausschuss der Meinung, dass die Umsiedlung von Arten in der EU bereits hinreichend kontrolliert wird.

2.8

Die wahren Schwierigkeiten für das aquatische Milieu in unseren Regionen werden durch die Einführung von exotischen oder nicht heimischen Arten in der Aquakultur verursacht. Um den Vorschlag so weit wie möglich zu vereinfachen und zu kürzen, schlägt der Ausschuss vor, sich auf dieses Problem zu konzentrieren und gebietsfremde Arten gesondert zu behandeln. Die Verwendung gebietsfremder Arten scheint in der Aquakultur keine große Rolle zu spielen. Ein anderes Problem in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die Kommission für die Regionen, in denen eine Art nicht heimisch ist, keine Definition liefert.

2.9

Eine weitere Vereinfachung bestünde darin, zwischen Arten innerhalb der EU und nicht heimischen und gebietsfremden Arten von außerhalb der EU zu unterscheiden. Der EWSA empfiehlt, dies im Hinblick auf die fortschreitende Vollendung des Binnenmarktes in Erwägung zu ziehen.

2.10

Der Ausschuss gibt zu bedenken, dass es aufgrund der mangelnden Berechenbarkeit des Sektors für die Produzenten möglicherweise nicht immer machbar und praktikabel ist, die Vorausplanung zu gewährleisten, die von der Kommission als notwendig erachtet wird, um die Genehmigung für Einfuhr und Verbringung zu erhalten.

2.11

Wenn zum Beispiel ein Erzeuger eine bestimmte Art aus Israel züchtet und sein Tierbestand verendet, muss er schnell handeln und, um keine wertvolle Zeit zu verlieren, beispielsweise aus den USA importieren. Durch den Vorschlag der Kommission würde der Produzent bis zum Erhalt einer neuen Genehmigung an der Ausübung seiner Geschäftstätigkeit gehindert. Umsiedlungen und Verbringungen, insbesondere Verbringungen zu Handelszwecken, sollten von den vorgeschlagenen Verordnungen ausgenommen werden, da allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass das mit der Züchtung von nicht heimischen und gebietsfremden Arten verbundene „Risiko“ für die Aquakultur gering ist.

2.12

Der EWSA stellt fest, dass der oftmals von der Kommission gewählte Ansatz bei den einschlägigen Fachleuten Unzufriedenheit hervorruft. Daher sollten insbesondere die Vereinfachung und der Praxisbezug der Verordnung sowie die Kostenminimierung für die interessierten Kreise gewährleistet sein.

2.13

Der Ausschuss weist darauf hin, dass in dem Vorschlag Zierfische und Lachs nicht behandelt werden, und hebt hervor, dass diese aber möglicherweise beträchtlich zu dem Gesamtproblem beitragen.

2.14

Nach Ansicht des Ausschusses ist unbedingt dafür zu sorgen, dass die Ziele, der Geltungsbereich und die Grenzen der Verordnung eindeutig bestimmt werden. Da es für diesen Sektor keine umfassenden, detaillierten Vorschriften gibt, sollte die Kommission nach Ansicht des EWSA solch eine überwölbende Verordnung vorschlagen oder zumindest einen Aktionsplan für die künftige Ausrichtung des Sektors auf den Weg bringen.

2.15

Der Ausschuss weiß sehr wohl, dass der vorliegende Vorschlag aus der Zeit vor der Vereinfachungsinitiative der EU (2004) stammt, ist jedoch der Ansicht, dass der Vorschlag dieser Initiative Rechnung tragen und entsprechend vereinfacht werden sollte.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der Vorschlag geht weit über das notwendige und gerechtfertigte Maß hinaus, indem der Status quo der bereits zum Teil seit Jahrhunderten in der europäischen Aquakultur genutzten Arten (zum Beispiel Karpfen, Regenbogenforelle, Saibling und andere) nicht berücksichtigt wird. Die bisherige Kultur dieser Arten hat zu keinen Beeinträchtigungen der Ökosysteme geführt. Risikoprüfungen für das Verbringen dieser Arten in allen Entwicklungsstadien und langwierige Genehmigungsverfahren sind realitätsfern und nicht praktikabel. Es ist gängige Praxis, dass Aquakulturbetriebe im Gemeinschaftsraum unter Beachtung der Veterinärvorschriften grenzüberschreitend kooperieren und auch kurzfristig Karpfen, Forellen und andere etablierte Fischarten verbringen.

3.2

Der Ausschuss fordert nachdrücklich, durch eine Positivliste oder durch Ausnahmeregelungen der einzelnen Mitgliedstaaten die etablierten Fischarten (6) von der Regelung des Verordnungsentwurfs auszuschließen. Gebietsfremde Arten sollten ebenfalls ausgenommen werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die kontrollierte Aquakultur mit der Ausbreitung oder Umsiedlung heimischer, aber gebietsfremder Fisch- oder sonstiger Arten in Verbindung gebracht wird.

3.3

Das Thema gebietsfremde Arten wird bereits durch spezielle Vorschriften der Mitgliedstaaten geregelt. Der Schwerpunkt des Verordnungsvorschlags sollte darauf liegen, die aquatische Vielfalt der EU vor den Risiken zu schützen, die mit der Einfuhr nicht heimischer Arten einhergehen. Die Umsetzung des Verordnungsvorschlags würde sich hinsichtlich der nicht heimischen Arten äußerst schwierig gestalten, denn es gibt in diesem Zusammenhang keine allgemein akzeptierte Definition der „heimischen Gebiete“. Die Bestimmungen über gebietsfremde Arten sollten weggelassen werden, da die vorgeschlagene Ratsverordnung dann verständlicher würde und weitaus leichter und kostengünstiger umgesetzt werden könnte.

3.4

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Entscheidungsfrist über einen Antrag auf Verbringung von bis zu einem Jahr (Artikel 10) Produktionsentscheidungen in nicht hinnehmbaren Maß verzögern und zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führen würde, und empfiehlt daher eine Verkürzung dieses Zeitraums.

3.5

Ferner sind nach Ansicht des EWSA in Artikel 10 unbedingt mögliche Vorkehrungen für den Fall vorzusehen, dass ein Zulassungsantrag unbeantwortet bleibt. Beispielsweise gilt im spanischen Recht Schweigen als Zustimmung, wenn binnen Jahrsfrist keine Antwort erfolgt. Dieser Artikel des Vorschlags sollte, sofern dies rechtlich möglich ist, dem spanischen Beispiel folgen.

3.6

Sammelanträge für fünf Jahre (Artikel 6) sind nicht praktikabel, da häufig sehr kurzfristig nicht geplante Entscheidungen über Zukäufe, Verkäufe und den Austausch von Fischen in verschiedenen Entwicklungsstadien notwendig sind. Der Verordnungsvorschlag würde mit der vorgesehenen Regelung den genannten Zielstellungen „Förderung der Aquakultur“ und „Förderung der Diversifizierung der Artenpalette der Aquakultur“ direkt entgegenwirken.

3.7

Die Entscheidung über Anträge zur Einfuhr und Verbringung von Wasserorganismen für die Aquakultur ist verantwortungsbewusst und auf wissenschaftlicher Grundlage in einem möglichst kurzen Zeitraum zu erteilen.

3.8

Für die zuständigen Behörden, den vorgesehenen Beratungsausschuss und die Aquakulturbetriebe ergibt sich aufgrund der Regelungsbreite ein immenser personeller und finanzieller Aufwand, der mit dem vorhandenen Personal nicht aufgefangen werden kann. Dies widerspricht den allgemeinen Bemühungen um Bürokratieabbau sowohl in den Mitgliedstaaten als auch auf EU-Ebene.

3.9

Die überdimensionierte Regelung ist nach Ansicht des EWSA auf ein absolut notwendiges Maß zu reduzieren. Insbesondere sollte Anhang I der vorgeschlagenen Verordnung weniger Kriterien umfassen.

3.10

Die Einfuhr und das Verbringen nicht heimischer Fischarten können erhebliche Risiken bergen. Zur Abschätzung dieser Risiken bedarf es profunder wissenschaftlicher Kenntnisse. Die dafür notwendigen wissenschaftlichen Angaben können nicht — wie in Anhang I vorgesehen — von Antragstellern aus der Praxis gemacht werden; Antragsteller wären auf den Rat von Sachverständigen angewiesen.

3.11

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass den Produzenten als Hilfestellung eine Liste von europäischen Wissenschaftlern mit dem erforderlichen Fachwissen leicht zugänglich gemacht werden sollte. Zugleich sollten den Produzenten auch Informationen bzw. Schulungen zur Antragstellung zur Verfügung stehen.

3.12

Es wird vorgeschlagen, anstelle der vorgesehenen Einzelprüfungen nur eine exemplarische Prüfung der Risiken für die Ökoregion beziehungsweise den Mitgliedstaat durch eine befähigte wissenschaftliche Einrichtung vorzusehen. Wird bei solch einer exemplarischen Prüfung das Risiko als „gering“ eingeschätzt, kann sich die Beantragung bei zukünftigen routinemäßigen Verbringungen in dieser Ökoregion auf die Angabe örtlicher, personeller und zeitlicher Daten beschränken. Dieser Vorschlag würde bei seiner Umsetzung neben einer besseren Qualität der Risikobewertung gleichzeitig zu einer enormen Einsparung des bürokratischen Aufwands für den Aquakulturbetreiber und die Behörden führen. Die Kosten für die exemplarische Einzelfallprüfung durch eine wissenschaftliche Einrichtung sollten aus dem Europäischen Fischereifonds (EFF) getragen werden.

3.13

Des Weiteren betont der Ausschuss, dass der Begriff Ökoregion in der Ratsverordnung mit Blick auf eine Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten definiert werden muss.

3.14

Nach Ansicht des EWSA wäre es zielführend, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Verordnung und ihrem Inkrafttreten mindestens ein Jahr läge, um die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften entsprechend anzupassen und den einschlägigen Sektor sowie die interessierten Kreise über die anstehenden Veränderungen zu informieren.

3.15

Der Ausschuss verweist auf seine früheren Stellungnahmen zu den Themen GFP (7), Aquakultur (8) sowie Biodiversität (9) und bekräftigt deren Aussagen im Zusammenhang mit dieser Stellungnahme.

3.16

Der Ausschuss weist die Kommission auf das Problem der genetisch veränderten Organismen und der polyploiden Arten hin, deren potenzielle Gefahr für das aquatische Milieu nicht unterschätzt werden sollte. Für genetisch veränderte Organismen und Lachs in Aquakultur sowie für die Einführung und Umsiedlung von Zierarten müssen strengerer Regelungen getroffen werden.

3.17

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, diese Stellungnahme sowie die vorher genannten zur Kenntnis zu nehmen, um bessere Arbeitsbedingungen für den Aquakultur-Sektor zu schaffen, was die Verwendung nicht heimischer und gebietsfremder Arten in der Aquakultur betrifft.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Nicht heimische Arten gemäß der Definition in dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates KOM(2006) 154 endg. (Artikel 3).

(2)  Gebietsfremde Arten gemäß der Definition in dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates KOM(2006) 154 endg. (Artikel 3).

(3)  Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.

(4)  In der Studiengruppe wurde das Beispiel des Amerikanischen Ochsenfrosches erörtert, der in die südfranzösische Region Aquitaine und in andere Teile Europas entwichen ist und dort Schäden anrichtet. Der Ochsenfrosch ist zwar kein Aquakultur-Produkt, doch ist davon auszugehen, dass er aus dem — nicht von der vorliegenden Verordnung erfassten — Zierbereich stammt.

(5)  Siehe die Ausführungen in der Stellungnahme des EWSA zum Thema nachhaltige Entwicklung und Aquakultur, CESE 595/2003, ABl. C 208 vom 3.9.2003.

(6)  Zum Beispiel Karpfen (cyprinus carpio) und Regenbogenforelle (oncorhynchus mykiss) in Polen, um nur wenige zu einigen.

(7)  Vereinfachung der GFP, CESE 961/2006, Berichterstatter: Herr SARRÓ IPARRAGUIRRE (am 5. Juli 2006 verabschiedet).

(8)  Siehe Fußnote Nr. 4.

(9)  Erhaltung der Biodiversität, CESE 752/2006, Berichterstatter: Herr RIBBE (am 18. Mai 2006 verabschiedet).


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/18


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über einen Aktionsplan der Gemeinschaft für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren 2006-2010“

KOM(2006) 13 endg.

(2006/C 324/08)

Die Europäische Kommission beschloss am 5. April 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Berichterstatter war Herr NIELSEN.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Herrn NIELSEN gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 92 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Das Interesse am Schutz und am Wohlbefinden der Tiere nimmt in weiten Teilen der Europäischen Union und auch außerhalb der EU zu. Es ist deshalb zweckmäßig, die Bemühungen der Marktkräfte zu unterstützen und die Mindestvorschriften der EU im notwendigen Umfang anzupassen. Dies ist nicht zwangsläufig mit restriktiveren Anforderungen gleichzusetzen, vielmehr geht es um eine bessere und sachgerechtere Rechtsetzung, die auf wissenschaftlichen und sozioökonomischen Erkenntnissen beruht. Darüber hinaus ist es wichtig, eine Form der gemeinsamen Qualitätsbezeichnung für Erzeugnisse einzuführen, die besonderen Ansprüchen in Bezug auf das Wohlbefinden von Tieren genügt. Auch für Tiere, die in der Forschung und für Versuche sowie für gesetzlich vorgeschriebene Kontrolltests genutzt werden, bedarf es wesentlicher Verbesserungen.

1.2

Der Aktionsplan der Kommission trägt diesen Erfordernissen im Großen und Ganzen Rechnung und kann die Grundlage für weitere Prioritäten in diesem Bereich darstellen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss stimmt dem Vorschlag für eine Strategie zwar grundsätzlich zu, prüft jedoch im weiteren Verlauf die spezifischen Vorschläge der Kommission auf ihre Ausgewogenheit zwischen Tierschutzbelangen und sozioökonomischen Gesichtspunkten. Entscheidend ist indessen, dass es durch die Einfuhren aus Drittländern mit weniger strengen Normen nicht zur Verdrängung der EU-Erzeugnisse kommt. Dies hätte zur Folge, dass die Tierzucht in Gebiete mit unzureichenden Verhältnissen abwandert, während die Erzeuger in der EU die Produktion einstellen müssten. In Bezug hierauf ist der EWSA keinesfalls überzeugt, dass der Aktionsplan der Kommission dauerhafte Lösungen sichern kann.

1.3

Der EWSA bedauert zutiefst, dass diese Frage nicht in der aktuellen Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) erörtert werden kann. Dennoch muss das Wohlergehen der Tiere auf längere Sicht beim Handel mit Agrarerzeugnissen als nicht handelspolitisches Anliegen eingestuft werden. Andernfalls könnte sich die Europäische Union veranlasst sehen, einseitig Schritte zu unternehmen, um das notwendige Verständnis für die Anpassung der Rechtslage herbeizuführen. Kurzfristig müssen sowohl die Kommission als auch die Zivilgesellschaft Druck auf den Einzelhandel und die Lebensmittelindustrie in der EU ausüben, um die Einhaltung der entsprechenden Normen durch Zertifizierungsmechanismen und ähnliche Garantien bei der Einfuhr aus Drittstaaten sicherzustellen.

1.4

Im Forschungsbereich müssen die Arbeiten koordiniert und ausgebaut werden, um die Mittel weitestgehend gemeinsam nutzen zu können. Die Bestimmungen müssen außerdem in regelmäßigen Zeitabständen u.a. im Lichte der technischen Entwicklung und des neuesten Kenntnisstandes einer Überprüfung unterzogen werden.

1.5

Der Ausschuss begrüßt unter anderem die vorgeschlagene Errichtung eines europäischen Zentrums oder Labors für Tierschutz. Es sollte jedoch überlegt werden, ob nicht eine weitergehende Lösung im Sinne eines weltweiten Zentrums angestrebt werden könnte, das zur Lösung der Probleme im Zusammenhang mit dem Schutz und Wohlbefinden von Tieren beitragen und somit der Arbeit innerhalb der OIE (1) und des Europarats und in Bezug auf bilaterale Abkommen der EU förderlich sein kann.

1.6

Darüber hinaus sollte die Kommission in Zusammenarbeit mit der OIE und dem Europarat die Initiative zu einer internationalen Konferenz im Hinblick darauf ergreifen, dass ein dauerhaftes Netzwerk mit Forschern in Drittländern geschaffen wird und in diesem Bereich ein größeres Maß an informeller internationaler Zusammenarbeit erfolgt.

1.7

Was den Einsatz von Tieren für Versuche und toxikologische Tests anbetrifft, so hält es der Ausschuss für erforderlich, die Strategie zu erweitern und ein Bedarfskriterium aufzunehmen, so dass eine Art nachgewiesener gesellschaftlicher Bedarf für das betreffende Produkt vorhanden sein muss.

2.   Zusammenfassung des Aktionsplans

2.1

Mit dem Aktionsplan wird vorrangig das Ziel verfolgt, das Wohlbefinden der Tiere in der EU und weltweit sicherzustellen, künftigen Handlungsbedarf aufzuzeigen und eine effizientere Koordinierung der bestehenden Ressourcen zu gewährleisten. Für den Zeitraum 2006-2010 sollen laut diesem Plan folgende fünf Hauptaktionsbereiche für den Tierschutz, unter anderem mit Blick auf die Weiterverfolgung nach 2010, überwacht und bewertet werden:

Anpassung bestehender Mindestnormen, um sie mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und sozioökonomischen Bewertungen in Einklang zu bringen;

Förderung der Zukunftsforschung;

Einführung einheitlicher Tierschutzindikatoren;

Durchführung von Initiativen mit Blick auf die Unterrichtung über die geltenden Normen;

Lancierung internationaler Initiativen zur Sensibilisierung für den Tierschutz und diesbezüglich Konsensfindung.

2.2

Des Weiteren umfasst der Plan 28 Initiativen, deren Durchführung die Kommission bis 2010 plant. Von diesen Vorhaben bilden 21 einen Katalog von Maßnahmen, die bereits umgesetzt sind oder deren Umsetzung angekündigt bzw. bereits in besonderen Gemeinschaftsbestimmungen vorgesehen ist.

2.3

Parallel dazu hat die Kommission Arbeitsdokumente vorgelegt, die die strategischen Grundlagen für die Initiativen und eine Beschreibung der Grundlage für die vorgeschlagenen Maßnahmen im Aktionsplan bilden. Für die Kommission ist ein wesentliches Element im Aktionsplan die Einhaltung der im Jahre 2005 verabschiedeten Erklärung zu Tierversuchen (2).

2.4

Nach Einschätzung der Kommission könnte ihre Aufgabe im Tierschutzbereich durch eine effizientere Koordinierung der zuständigen Dienststellen erleichtert werden. Dies würde auch zur Sicherstellung konsequenterer und besser koordinierter Anstrengungen quer durch alle Politikfelder der Kommission beitragen. Auch sollten tierschutzrelevante Maßnahmen nach Maßgabe des „Protokolls zum EG-Vertrag über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere“ und mit Blick auf die sozioökonomischen Auswirkungen bewertet werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Als Vertreter der Zivilgesellschaft und aufgrund seiner repräsentativen Zusammensetzung nimmt der EWSA selbstverständlich seine Mitverantwortung für die Gestaltung der Bestimmungen über den Tierschutz als Teil des „europäischen Gesellschaftsmodells wahr“ (3). Es ist wichtig, dass die bisher eingeschlagene Richtung und die Sicherung des Wohlergehens der Tiere in der Europäischen Union auf einem vertretbaren und akzeptablen Niveau beibehalten werden, wobei es zu keiner unnötigen Wettbewerbsverzerrung und keiner Aushebelung des Tierschutzes durch die Einfuhr aus Drittstaaten mit niedrigeren Standards kommen darf. Der übergeordnete strategische Plan bringt auch mehr Transparenz in diese Arbeit und verbessert die Möglichkeiten für eine konstruktive Mitarbeit aller Beteiligten. Dies gilt nicht zuletzt für die landwirtschaftlichen Erzeuger, die aus Rücksicht auf ihre langfristigen Investitionen, ihre Motivation und die Betriebsführung in die Gestaltung der künftigen Strategie einbezogen werden sollten.

3.2

Die Landwirtschaft in der EU ist in der Regel für angemessene und ausgewogene Tierschutzbestimmungen aufgeschlossen, weist jedoch auf das Risiko der Wettbewerbsverzerrungen hin, die teils infolge der Möglichkeit zusätzlicher einzelstaatlicher Auflagen, teils durch die Einfuhr aus Drittstaaten mit fehlenden oder weniger anspruchsvollen Standards entstehen können. Das Risiko der Wettbewerbsverzerrung infolge zusätzlicher einzelstaatlicher Bestimmungen wird überdies durch die im Rahmen der GAP erhobene Forderung nach „Cross compliance“ noch erhöht. Dies führt zu einer Rechtsunsicherheit in den Mitgliedstaaten und zu einem diesbezüglichen Klärungsbedarf.

3.3

Bei der Einfuhr aus Drittstaaten würden gemeinsame Regeln in der EU mit ihrem 30 Staaten und 500 Millionen Einwohner umfassenden Binnenmarkt (4) auch in Staaten außerhalb der EU und für deren Ausfuhren in die EU Anreize schaffen. So hat etwa die zur Weltbank gehörende Internationale Finanzkorporation unlängst auf das weltweit steigende Interesse am Wohlergehen der Tiere und die Notwendigkeit von Anpassungen an diese Entwicklung hingewiesen, die sowohl in der Primärproduktion als auch in der industriellen Verarbeitung (5) erfolgen sollten.

3.4

Kurzfristig müsste allerdings den Einzelhandelsketten und der verarbeitenden Industrie in der EU deutlich gemacht werden, dass sie bei importierten Agrarerzeugnissen und verarbeiteten tierischen Produkten aus Drittländern im eigenen Interesse und im Sinne ihrer Öffentlichkeitswirkung darauf achten sollten, dass im Erzeugerland ein angemessener Verhaltenskodex eingehalten wird, wozu auch Tierschutznormen, die den einschlägigen EU-Bestimmungen entsprechen, gehören. Dies kann zum Beispiel in Form einer verbindlichen Zusammenarbeit mit den Lieferanten geschehen (6). Die Kommission sollte unter allen Umständen dahingehend tätig werden, und auch die Zivilgesellschaft sollte diesen Sachverhalt mit Hilfe der Medien beleuchten. So muss den Einzelhandelsketten und der Nahrungsmittelindustrie in der EU verdeutlicht werden, dass künftig bei importierten landwirtschaftlichen Erzeugnissen und verarbeiteten tierischen Produkten aus Drittländern stärker auf die Produktionsverhältnisse geachtet werden wird. Verbraucher- und Bauernverbände sollten Aufgaben dieser Art gemeinsam auf einzelstaatlicher Ebene übernehmen. Ungeachtet dessen ist es zugleich ganz entscheidend, dass längerfristig das Wohlergehen der Tiere als nicht handelspolitisches Anliegen im Handel mit Agrarprodukten eingestuft wird — siehe unten.

3.5

Was das Risiko der internen Wettbewerbsverzerrung in der EU angeht, so wäre eine Harmonisierung der Bestimmungen mit einem damit einhergehenden Verbot strengerer einzelstaatlicher Normen unlogisch und für die Öffentlichkeit in mehreren Mitgliedstaaten nicht hinnehmbar. Werden künftigen Mindestnormen auf EU-Ebene jedoch verstärkt sachlichere, auf Forschung und wissenschaftlichen Untersuchungen beruhende Kriterien zugrunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass Verständnis und Akzeptanz zunehmen und die Veranlassung für weitergehende einzelstaatliche Bestimmungen entfällt. Im Sinne einer sachdienlichen Regulierung müssen neue Maßnahmen unbedingt auf wissenschaftlichen Daten und angemessenen sozioökonomischen Beurteilungen beruhen. Zugleich sollte Gewähr dafür gegeben werden, dass die Forschungsresultate als Schritt zur Festlegung der vorgeschlagenen Indikatoren kompetent bewertet und angewandt werden. Den Mitgliedstaaten sollte zugleich die Möglichkeit eingeräumt werden, aufgrund von Umwelt- und Klimaverhältnissen flexibel zu agieren.

3.6

Die Anpassung, Verwaltung und Vermittlung dieser Normen sowie die Durchführung relevanter sozioökonomischer Untersuchungen und Folgenabschätzungen könnte laut Kommission durch die Einrichtung eines Europäischen Zentrums oder Labors für Tierschutz gefördert werden. Der EWSA plädiert dafür, eine weitsichtigere Lösung in Erwägung zu ziehen, etwa ein weltweites Zentrum, das einen Beitrag zum internationalen Umgang mit Tierschutzfragen leisten und somit den Arbeiten innerhalb der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) und des Europarats sowie eventuellen bilateralen Abkommen förderlich sein.

3.7

Was die Frage der Versuchstiere anbelangt, so hält auch der Ausschuss die Partnerschaft zwischen der Kommission und der Industrie für Alternativen zu Tierversuchen in der Industrie für erstrebenswert, etwa im Zusammenhang mit der Errichtung des Zentrums und der Vorlage einer Strategie für die Anwendung des sogenannten 3R-Prinzips, das als Richtschnur für den Einsatz von Versuchstieren in der EU dienen kann (7). Die Kommissionsinitiative kann sich positiv auf die Arbeit zur Förderung alternativer Methoden auswirken, die bereits in anderen Zusammenhängen stattfinden (8). Dabei plädiert der Ausschuss allerdings für die Erweiterung der Strategie um ein Bedarfskriterium, sodass die Durchführung eines Tierversuchs für das jeweilige Produkt, für das eine chemische oder andere Substanz verwendet werden soll, von dessen gesellschaftlicher Notwendigkeit abhängt.

Wettbewerbsverzerrung bei der Einfuhr aus Drittstaaten

3.8

Aufgrund des starken Wettbewerbsdrucks und der Öffnung des EU-Marktes muss von einem bedeutenden Risiko ausgegangen werden, dass Produkte aus Drittstaaten mit weniger strengen oder fehlenden Tierschutznormen die Produktion und den Absatz in der EU schrittweise in Bedrängnis bringen, und zwar auch auf den Märkten außerhalb der Europäischen Union. Da die Mehrkosten für den Tierschutz im Verhältnis zu den sehr beschränkten Gewinnspannen in der Landwirtschaft groß sind, könnten sie darüber entscheiden, ob ein Landwirt seine Erzeugung weiterführen kann. Hinzu kommt, dass es für die Landwirte in den meisten Fällen zu riskant sein dürfte, die Produktion auf eine kleine Verbrauchergruppe auszurichten, die gewillt ist, den Aufpreis zu bezahlen (9).

3.9

Die Einfuhren aus Drittstaaten mit weniger strengen Tierschutznormen werfen somit überaus komplexe Probleme auf und der Ausschuss ist keinesfalls überzeugt, dass der Aktionsplan der Kommission ausreicht, um auf Dauer nachhaltige Lösungen zu sichern. Der Ausschuss nimmt mit tiefem Bedauern zur Kenntnis, dass dieses Problem in der derzeitigen Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) nicht erörtert werden kann. Dessen ungeachtet muss die Europäische Union im WTO-Rahmen weiterhin darauf pochen, dass Tierschutzbelange im Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen als nicht handelspolitische Anliegen eingestuft werden.

3.10

Können weder auf diesem Wege ausreichend nachhaltige Lösungen gefunden noch ein ausreichendes Verständnis im WTO-Rahmen erwirkt werden, sollte die Europäische Union — der fehlenden internationalen Akzeptanz zum Trotz — beim Import aus Drittländern die Einhaltung der entsprechenden Regeln einfordern. Eine Provokation kann sich mithin als notwendig erweisen, um für die notwendige Aufmerksamkeit zu sorgen und Verständnis für das Erfordernis einer Anpassung der Rechtslage zu wecken.

4.   Besondere Anmerkungen

4.1

Die Einhaltung der einschlägigen EU-Bestimmungen erfordert, dass die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten ihre selbstgesetzten Fristen für die Vorlage, Annahme und Umsetzung der konkreten Bestimmungen einhalten, was bislang nicht immer der Fall war. Die Frist für mehrere im Aktionsplan enthaltene Initiativen ist somit auch bezüglich früherer Beschlüsse überschritten.

4.2

Nicht erfasst von dem Aktionsplan sind die mit den Tiertransporten über große Entfernungen verbundenen Probleme, die eine Konsequenz des EU-Binnenmarkts und des Wegfalls der Veterinärgrenzen sind. Der Rat beschloss 2004 eine ab 2007 (10) in Kraft tretende Änderung der Bestimmungen zum Schutz von Tieren beim Transport; die Kommission hat mitgeteilt, nach 2010 einen Vorschlag zu unterbreiten. Genau wie auf anderen Gebieten, so ist es auch in diesem Bereich wichtig, dass die Vorschriften auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und die entscheidenden Bestimmungen über die Transportzeit und die Platzanforderungen beim Transport einer wirksameren Kontrolle unterworfen werden.

4.3

Alle Erfahrungen deuten darauf hin, dass das Management ein für den Tierschutz ausschlaggebender Faktor ist. Dieser Aspekt sollte bei künftigen Tierschutzbestimmungen im Mittelpunkt stehen, und zwar sollten u.a. Anforderungen an Ausbildung und Beratung gestellt werden, was wiederum mit einer fortlaufenden Kontrolle des Wohlergehens der Tiere in den Produktionssystemen zu kombinieren ist. Zugleich sollten die Produktionssysteme weniger stark im Detail reguliert werden und die Rechtsvorschriften so gestaltet werden, dass sie leichter zu handhaben sind.

4.4

Die Tiererzeugung wird strukturell durch immer größere und stärker spezialisierte Produktionseinheiten und den Einsatz neuer Technologien geprägt. Dadurch kann das Wohlbefinden der Tiere besser als bislang überwacht werden, etwa durch die Erfassung einer Reihe tierschutzrelevanter Indikatoren. Außerdem können neue Produktionsgebäude auf der Grundlage immer genauerer Kenntnisse über objektive, messbare Tierschutzindikatoren konzipiert werden. Hierbei könnte die Definition wissenschaftlich fundierter Benchmarks durch das vorgeschlagene Zentrum die Entwicklung fördern. Die Anwendung neuer Forderungen sollte allerdings unter Rücksichtnahme auf die langen Abschreibungszeiträume für Investitionen in der Landwirtschaft erfolgen.

4.5

Der EWSA befürwortet die Errichtung einer besonderen „Informationsplattform“ für den Tierschutz, die den Dialog und die Vermittlung von Fachwissen zwischen Verbrauchern, Erzeugern, Einzelhändlern und der Industrie usw. fördern soll (11). Hierbei gibt es freilich wesentliche Beschränkungen — so dürfte es den Verbrauchern in der Praxis unmöglich sein, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Produktionssystemen mitsamt ihren Vor- und Nachteilen zu erfassen. Die Verbraucherorganisationen wünschen daher, dass die EU und die Mitgliedstaaten Verantwortung übernehmen, indem sie Mindestnormen vorgeben.

4.6

Der EWSA befürwortet auch die Einführung eines gemeinsamen Vermarktungssystems, das der Anwendung von Tierschutznormen, die über die Mindestnormen hinausgehen, förderlich sein könnte. Es kommt dabei entscheidend darauf an, dass die Regelung auf gemeinsamen objektiven Kriterien und dokumentierten Erkenntnissen beruht. Zwar kann die EU eine solche Kennzeichnungsregelung für die Erzeuger und den Handel ausarbeiten, entscheidend ist jedoch, dass die Entwicklung von Produkten, die strengeren Tierschutznormen entsprechen, weitestgehend von den Marktkräften vorangetrieben wird. Eine Voraussetzung für den Erfolg ist allerdings, dass eine Kennzeichnungsregelung von Kontrollmaßnahmen und einer zielorientierten Informationskampagne begleitet wird, sodass ihre Glaubwürdigkeit gesichert ist.

4.7

Die Einführung einer Kennzeichnungsregelung, die die Angabe des Ursprungslandes der Importerzeugnisse vorschreibt, wird auf allgemeiner Ebene entschieden. Eine solche Regelung ist für tierische Erzeugnisse sowie für die daraus im Wege der industriellen Weiterverarbeitung hergestellten Produkte besonders relevant. Sie sollte darüber informieren, dass ein Erzeugnis gegebenenfalls nicht in Übereinstimmung mit den EU-Tierschutznormen produziert wurde.

4.8

Dem Aktionsplan der Kommission zufolge zeichnet sich die ökologische Produktion durch die dabei angestrebten hohen Standards aus, weshalb sie laut Kommission als wegweisend für den höchsten Standard im Tierschutz gelten sollte (12). Die Erfahrungen zeigen, dass auf einigen Gebieten durch die ökologische Erzeugung ein besserer Tierschutz erreicht werden kann, daneben aber auch nicht sachgemäße Verhältnisse herrschen und ein Bedarf an zusätzlichen Kenntnissen besteht.

4.9

Unter allen Umständen müssen die Ressourcen in der Europäischen Union bestmöglich genutzt werden. Dies gilt nicht nur für die Forschung und für wissenschaftliche Untersuchungen, wo die Ressourcen der Mitgliedstaaten zur möglichst uneingeschränkten gegenseitigen Nutzung koordiniert werden sollten. Eine Koordinierung durch die Einrichtung eines gemeinsamen beratenden Ausschusses aus Fachleuten könnte hier einen Beitrag zur besseren Nutzung der Ressourcen leisten. Außerdem sollte die Kommission in Zusammenarbeit mit der OIE und dem Europarat die Initiative für eine internationale Konferenz ergreifen, die zum Aufbau eines beständigen Netzwerks zwischen Forschern innerhalb und außerhalb der EU und zur Verstärkung der informellen internationalen Zusammenarbeit auf diesen Gebieten führen soll.

4.10

Die Veterinärmaßnahmen der EU und die Maßnahmen der Union zur Krankheitsbekämpfung haben eine Reihe sozialstaatlicher Auswirkungen, auch wenn dieser Zusammenhang nicht immer eindeutig sein mag. Außerdem reagiert die Öffentlichkeit mit Besorgtheit, wenn bei Ausbruch gefährlicher Tierseuchen große Mengen gesunder Tiere gekeult und beseitigt werden. Daher müssen verstärkt prophylaktische Maßnahmen in den Mittelpunkt gestellt und in Zusammenarbeit mit Forschern und Tierärzten gangbare Alternativen für die Bekämpfung der Nutztierseuchen ausgearbeitet werden.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Weltorganisation für Tiergesundheit (World Organisation for Animal Health — früher „Internationales Tierseuchenamt“ — OIE: „Office international des épizooties“ — „International Office of Epizootics (IOE))“.

(2)  Die Erklärung zu Tierversuchen wurde am 7. November 2005 in Brüssel verabschiedet. Sie betrifft die Umsetzung des Aktionsprogramms zur Anwendung des 3R-Prinzips: Reduction (Verringerung der Anzahl der Versuchstiere), refinement (Verfeinerung der Tierversuchsmodelle mit geringerer Belastung der Versuchstiere) und replacement (Ersetzung — Entwicklung alternativer Methoden für Tierversuche).

(3)  Deshalb ist es bedauerlich, dass der EWSA erst mehr als drei Monate nach Vorlage des Aktionsplans um Stellungnahme ersucht wurde.

(4)  Dazu gehören auch Norwegen, Island und Liechtenstein, die ebenfalls dem Binnenmarkt der EU (Europäischer Wirtschaftsraum) angehören, sowie Rumänien und Bulgarien.

(5)  „Creating Business Opportunity through Improved Animal Welfare“ — Internationale Finanzkorporation (IFC) der Weltbank, April 2006. Die IFC umfasst 178 Mitgliedstaaten; die Aufforderung bezieht sich insbesondere auf Investitionen in den Entwicklungsländern mit Blick auf den Export in die entwickelten Länder.

Bezüglich des Wohlbefindens der Tiere gelten in einigen Ländern außerdem traditionell Verhaltenskodizes, während gesetzliche Regelungen im eigentlichen Sinne fehlen. Dies gilt zum Beispiel für Australien, Neuseeland, Argentinien und Brasilien.

(6)  Eine verbindliche Zusammenarbeit kann zum Beispiel in gemeinsamen Bestrebungen der Erzeugerseite (in einem Drittland) und dem EU-Importeur auf den Gebieten Forschung, Entwicklung sowie Zertifizierung zur Erfüllung von Standards für Erzeugung und Verarbeitung bestehen, wie dies in zunehmendem Maße in der EU geschieht.

(7)  Ca. 90 % der Versuchstiere gehen auf das Konto von Forschung und Entwicklung, 10 % werden für gesetzlich vorgeschriebene toxikologische Sicherheitstests neuer Arzneimittel und Chemikalien eingesetzt. Die steigende Aufmerksamkeit, die Versuchstieren zuteil wird, äußert sich in der EU-Kosmetikrichtlinie, die der Industrie auferlegt, Alternativen für Tierversuche zu finden.

(8)  Hierunter besonders das „Europäische Zentrum für die Validierung von Alternativmethoden“ (ECVAM) und die „Europäische Plattform für alternative Methoden“ (European Concencus Platform for Alternatives to Animal Experimentation — ECOPA).

(9)  Zwar mag die Öffentlichkeit positiv eingestellt sein, was die höheren Preise für Tierschutzmaßnahmen anbelangt, doch reagieren die Verbraucher in der Praxis oft anders.

(10)  Verordnung (EG) Nr. 1/2005 des Rates vom 22.12.2004 über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der Richtlinien 64/432/EWG und 93/119/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1255/97.

(11)  Eine Internetseite mit der Beschreibung der Normen und Indikatoren sowie ihre Bedeutung könnte z.B. ein Teil der Informationsplattform sein, besonders in Verbindung mit einer Kennzeichnungsregelung.

(12)  Der Vorschlag der Kommission hinsichtlich der Definition ökologischer Produkte geht aus KOM (2005) 671 hervor. Es handelt sich um den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die ökologische/biologische Erzeugung und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen und den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 des Rates über den ökologischen Landbau/die biologische Landwirtschaft und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidung 90/424/EWG über bestimmte Ausgaben im Veterinärbereich“

KOM(2006) 273 endg. — 2006/0098 (CNS)

(2006/C 324/09)

Der Rat beschloss am 22. Juni 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Berichterstatter war Herr NIELSEN.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses beschloss das Plenum, über diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung abzustimmen, und bestellte Herrn NIELSEN gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Das System der Finanzhilfen für Schutz- und Bekämpfungsmaßnahmen im Veterinärwesen wurde im Laufe der Zeit allmählich weiterentwickelt und an die dabei bislang gesammelten Erfahrungen angepasst. Doch soll dieses System nun einer gründlicheren Überprüfung unterzogen werden, um künftigen Entwicklungen, nicht zuletzt dem verstärkten Handel, Rechnung zu tragen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wird den diesbezüglichen Fortgang begleiten und möchte eine konstruktive Rolle dabei spielen, diesem Prozess Form und praxisbezogene Substanz zu verleihen.

1.2

Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission, der fürs erste nur begrenzte Änderungen und Anpassungen vorsieht. Dies steht in Einklang mit den Vorschlägen aus der vorläufigen Bewertung der allgemeinen Politik in diesem Bereich, und eine Vereinfachung der Verwaltungsverfahren und Spielraum für mehrjährige Planungen sind allemal wünschenswerte Ziele. Der EWSA unterstützt ferner den Vorschlag, Finanzhilfen für elektronische Systeme für die Abwicklung der Verfahren für Handel und Einfuhr und für integrierte EDV-Systeme für das Veterinärwesen zu gewähren. Die vorgeschlagene Liste der Tierseuchen und Zoonosen und das vereinfachte Verfahren zu ihrer Änderung erscheinen ebenfalls zweckmäßig.

2.   Hintergrund

2.1

Die Kommission hat eine Bewertung der gesamten Tiergesundheitspolitik der Gemeinschaft in Angriff genommen. Dazu gehört auch eine Kosten-Nutzen-Analyse der gegenwärtigen Instrumente zur Finanzierung der Überwachung, Bekämpfung und Tilgung von Tierseuchen und Zoonosen. Ferner wird überlegt, wie Erzeugern am besten Anreize gegeben werden können, damit sie alle geeigneten Schutzmaßnahmen treffen. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Bewertung sollen Alternativen zu der derzeitigen Art und Weise vorgeschlagen werden, wie den Mitgliedstaaten gemeinschaftliche Finanzhilfen gewährt werden (1). Vorläufig hat sich die Kommission dafür entschieden, lediglich einige wenige Änderungen vorzunehmen, die aber keine Änderung der Politik der Tilgung, Überwachung und Bekämpfung von Tierseuchen und Zoonosen beinhalten. Mit dem Vorschlag wird lediglich versucht, unmittelbar umsetzbare und offensichtlich erforderliche Änderungen vorzunehmen, die sich bei der im Gang befindlichen Evaluierung als sinnvoll erwiesen haben.

2.2

Mit dem Kommissionsvorschlag werden die Genehmigungs- und Finanzierungsverfahren für die nationalen Programme zur Tilgung, Überwachung und Bekämpfung von Tierseuchen und Zoonosen vereinfacht. Gemäß diesem Vorschlag sollen solche Programme für bis zu sechs Jahren genehmigt und finanziert werden. Bislang waren die Mitgliedstaaten zwar berechtigt, mehrjährige Programme vorzulegen, aber die Kommission durfte die Finanzierung solcher Programme stets nur für ein Jahr genehmigen. Ferner gibt es den Vorschlag, den Anwendungsbereich der Finanzhilfen auf die Verbesserung der Informationspolitik im Bereich des Tierschutzes und der Sicherheit von Lebensmitteln tierischen Ursprungs sowie auf die Verwendung integrierter EDV-Systeme für das Veterinärwesen auszudehnen (2).

2.3

Nach der gegenwärtigen Regelung kann Finanzhilfe geleistet werden, um Ausgaben zu decken, die die Mitgliedstaaten im Rahmen der Finanzierung nationaler Programme zur Tilgung, Bekämpfung und Überwachung von 23 endemischen Tierkrankheiten und acht Zoonosen oder anderen Tierkrankheiten tätigen (3). Die Liste kann auf Vorschlag der Kommission durch den Rat mit qualifizierter Mehrheit ergänzt oder geändert werden. Im Hinblick auf eine bessere Definition der Prioritäten schlägt die Kommission ein kürzeres Verzeichnis der Seuchen vor, die für eine Finanzierung infrage kommen. Die Kommission erklärt, dass die Liste in stärkerem Maße unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Tierkrankheiten auf die Gesundheit des Menschen wie auch auf den internationalen und innergemeinschaftlichen Handel erstellt wurde. Ferner wird empfohlen, die Liste der Tierseuchen und Zoonosen zusammenzufassen und die Finanzhilfen nach einem einheitlichen Verfahren zu gewähren (4). Dies gestattet nach Aussage der Kommission eine bessere Verwendung der Mittel, was dazu beiträgt, dass die Prioritäten der Mitgliedstaaten mit denjenigen der Gemeinschaft und mit anderen nationalen Programmen in Einklang gebracht werden können. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, alle künftigen Änderungen an der Liste nach dem Verwaltungsausschussverfahren anzunehmen. Dies sei besonders wichtig im Hinblick auf neu auftretende Tierseuchen, die die Tiergesundheit und die menschliche Gesundheit gefährden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die gemeinschaftliche Kofinanzierung von Maßnahmen zur Tilgung, Überwachung und Bekämpfung von Tierseuchen und Zoonosen hat angesichts der komplexen Natur und Auswirkungen der Krankheiten und der erheblichen Kosten, die solche Maßnahmen mit sich bringen, stets ein erhebliches Interesse geweckt. Um aber bedrohliche Tierseuchen zu bekämpfen, müssen eindeutige finanzielle Verfahren vorhanden und muss von Anfang an gewährleistet sein, dass in allen Fällen wie etwa dem Keulen von Tieren oder der Vernichtung von Erzeugnissen eine vollständige Entschädigung erfolgt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass zu Beginn eines Ausbruchs oder Verdachts eines Ausbruchs einer bedrohlichen Tierseuche die getroffenen Maßnahmen zu wenig effektiv sind und damit die Folgen der Seuche weiter um sich greifen als eigentlich erforderlich. Dies gilt insbesondere für nationale Entscheidungsprozesse. Auch zieht der Ausbruch einer bedrohlichen Tierseuche häufig einen Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit auf sich und bewirkt starke Verbraucherreaktionen selbst bei völligem Fehlen von direkten und unanfechtbaren Bezügen zu Fragen der Lebensmittelsicherheit.

3.2

Ein erweiterter Marktzugang und Handel, längere Transportzeiten und Massentierhaltung erhöhen auf verschiedene Weise die Gefahr der Verbreitung von Krankheiten und verstärken die ökonomischen Folgen von Vorbeugungs- und Bekämpfungsmaßnahmen. Auch aus diesem Grund besteht die Notwendigkeit einer Gesamtbewertung der gemeinschaftlichen Tiergesundheitspolitik mit einer ausführlichen Kosten-Nutzen-Analyse der gegenwärtigen Finanzinstrumente für die Überwachung, Bekämpfung und Tilgung von Tierkrankheiten und Vorbeugungsmaßnahmen in Herden. Der EWSA möchte eine aktive Rolle bei der Ausarbeitung der erforderlichen Kofinanzierungsmodelle bezüglich der nationalen Programme spielen, nicht zuletzt, damit ein kohärenter und wirksamerer Rahmen für die Politik der Lebensmittelsicherheit bereitgestellt wird, der eine größere Transparenz gewährleistet.

3.3

In diesem Zusammenhang bedauert der EWSA, dass die vorhandenen Regelungen unübersichtlich und komplex sind und fordert im Zuge der zu erwartenden Überarbeitung ein leichter verständliches und kohärentes System sowie eine bessere Klassifizierung der Regeln für die Kofinanzierung. Es ist also erforderlich, die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften auf dem weiten Gebiet der Tiergesundheit und der Lebensmittelsicherheit zu ermitteln und deren Anwendung zu vereinfachen. Dies wäre auch der Arbeit der Kommission und der Mitgliedstaaten im internationalen Rahmen förderlich, da dadurch die Transparenz der EU-Rechtsvorschriften und deren Verständnis bei den Handelspartnern und Nachbarn der Gemeinschaft verbessert würde. Die Informationssammlung und -verbreitung wird ebenfalls dazu beitragen, eine effizientere Anwendung der Regelungen zu gewährleisten.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Vorschlag, die Genehmigung und Finanzierung nationaler Programme gleich für eine Reihe von Jahren zu gestatten, eindeutig eine Verwaltungsvereinfachung bewirkt und dazu verhilft, die Programmziele effektiver umzusetzen. Er wird ferner zu einer besseren und transparenteren Verwaltung beitragen und somit eine bessere Verwendung der Gemeinschaftsmittel sicherstellen.

4.2

Die Sammlung und Verbreitung von aktuellen Informationen zum Thema Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit ist für eine bessere Entwicklung und Umsetzung der Rechtsvorschriften in diesem Bereich unerlässlich. Künftig wird es besonders wichtig sein, transparentere Gemeinschaftsvorschriften aufzustellen und sie den betroffenen Behörden, Erzeugern und Verbrauchern zu übermitteln.

4.3

Der EWSA unterstützt den Vorschlag einer finanziellen Beteiligung der Gemeinschaft an der Informationspolitik im Bereich der Tiergesundheit, des Tierschutzes und der Sicherheit von Lebensmitteln tierischen Ursprungs und an der Errichtung und Entwicklung von Informationsinstrumenten wie etwa einer geeigneten Datenbank zur Erfassung und Speicherung aller Informationen über die entsprechenden Gemeinschaftsvorschriften.

4.4

Es ist ebenfalls zweckmäßig, die technischen Entwicklungen bei den EDV-Systemen im Veterinärwesen zu berücksichtigen und die erforderlichen Mittel für die Errichtung, Verwaltung und Unterhaltung integrierter EDV-Systeme für das Veterinärwesen bereitzustellen.

4.5

Die Liste der Tierseuchen und Zoonosen, für die eine Kofinanzierung infrage kommt, muss selbstverständlich die Prioritäten wiedergeben, die entsprechend den möglichen Folgen solcher Seuchen und Zoonosen für die menschliche Gesundheit und den internationalen und innergemeinschaftlichen Handel mit Tieren und Erzeugnissen tierischen Ursprungs festgelegt werden. Der EWSA stimmt darin überein, den Schwerpunkt, wie vorgeschlagen, stärker auf Zoonosen und die Gesundheit der Bevölkerung als auf die eher herstellungsbedingten Krankheiten zu legen und befürwortet den Vorschlag, die Listen der Tierseuchen und Zoonosen zusammenzulegen und Finanzhilfen der Gemeinschaft nach einem einheitlichen Verfahren zu gewähren.

4.6

Selbstverständlich müssen sowohl die technischen Vorschriften als auch die Vorschriften für die Übermittlung von Informationen zu den Tilgungs-, Bekämpfungs- und Überwachungsprogrammen, für die eine Finanzhilfe der Gemeinschaft beantragt wird, aktualisiert sowie regelmäßig und rechtzeitig an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die aus der Durchführung der Programme gezogenen Rückschlüsse angepasst werden. Es ist deswegen nur folgerichtig, der Kommission entsprechend dem Vorschlag zu gestatten, diese technischen Kriterien nach dem Verwaltungsausschussverfahren festzulegen und erforderlichenfalls zu aktualisieren.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Als Grundlage für diese Bewertung wurde von externen Sachverständigen ein umfassender Bericht erstellt (Evaluierung der gemeinschaftlichen Tiergesundheitspolitik (CAHP) 1995–2004 und künftige Alternativen. 25. Juli 2006.

Siehe http://ec.europa.eu/food/animal/diseases/strategy/final_report_en.htm.

(2)  Gemäß Artikel 37 Buchstabe a) der Entscheidung 90/424/EWG des Rates kann gemeinschaftliche Finanzhilfe für die Informa-tisierung der veterinärmedizinischen Verfahren bei der Einfuhr gewährt werden. Das sogenannte Shift-Projekt und das ent-sprechende EDV-Instrument zum Verbund der Veterinärbehörden (Animo) sind durch das integrierte Traces-System ersetzt worden, das seit dem 1. Januar 2005 für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist.

(3)  Der Finanzbeitrag zu nationalen Kontrollmaßnahmen und -programmen beträgt gewöhnlich 50 Prozent der Ausgaben beziehungsweise 60 Prozent bei der Maul- und Klauenseuche.

(4)  Die vorhandene Liste umfasst die folgenden herstellungsbedingten Krankheiten: IBR/IPV, enzootische Rinderleukose, Aujeszky-Krankheit, Salmonella pullorum, Salmonella gallinarum, Maedi/Visna- und CAE-Virus, Johne-Krankheit (Paratuberkulose), Mycoplasma gallisepticum sowie bestimmte Krankheiten, die von Vektor-Insekten in den französischen Übersee-Departements übertragen werden.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/25


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Qualitätsanforderungen an Muschelgewässer (kodifizierte Fassung)“

KOM(2006) 205 endg. — 2006/0067 (COD)

(2006/C 324/10)

Der Rat beschloss am 6. Juni 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Berichterstatter war Herr KALLIO.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Herrn KALLIO gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 111 Ja-Stimmen bei einer Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Mit dem vorliegenden Vorschlag soll die Richtlinie 79/923/EWG des Rates vom 30. Oktober 1979 über die Qualitätsforderungen an Muschelgewässer kodifiziert werden. Die neue Richtlinie ersetzt die verschiedenen Rechtsakte, die Gegenstand der Kodifizierung sind. Der Vorschlag behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen, wobei nur insoweit formale Änderungen vorgenommen werden, als diese aufgrund der Kodifizierung selbst erforderlich sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Ausschuss erachtet es als sehr hilfreich, sämtliche Texte in einer Richtlinie zusammenzufassen. Im Zusammenhang mit dem „Europa der Bürger“ unterstützt der Ausschuss die Kommission in ihrem Bemühen, das Gemeinschaftsrecht zu vereinfachen und klarer zu gestalten, damit es für die Bürgerinnen und Bürger besser verständlich und zugänglich wird, so dass sich ihnen neue Möglichkeiten eröffnen und sie die spezifischen Rechte, die ihnen das Gemeinschaftsrecht zuerkennt, besser in Anspruch nehmen können.

2.2

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass bei der Kodifizierung das übliche Rechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft uneingeschränkt einzuhalten ist.

2.3

Es ist gewährleistet, dass diese kodifizierte Fassung keine materiellen Änderungen aufweist und lediglich dazu dienen soll, das Gemeinschaftsrecht klar und transparent zu gestalten. Der Ausschuss befürwortet diese Zielsetzung voll und ganz und unterstützt angesichts der genannten Gewährleistung den Vorschlag.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitrios DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/26


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestanforderungen für den Schutz von Kälbern (kodifizierte Fassung)“

KOM(2006) 258 endg. — 2006/0097 (CNS)

(2006/C 324/11)

Der Rat beschloss am 22. Juni 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Berichterstatter war Herr NIELSEN.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Herrn NIELSEN gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Hintergrund

1.1

Der Vorschlag der Kommission beinhaltet die Kodifizierung der Richtlinie 91/629/EWG über Mindestanforderungen für den Schutz von Kälbern, welche im Eilverfahren laut interinstitutionellem Abkommen vom 20. Dezember 1994 durchgeführt werden soll. Die Kodifizierung wird bei Rechtsakten eingesetzt, die durch zahlreiche Änderungen schwer verständlich geworden sind.

1.2

Die zur Frage stehende Richtlinie wurde wiederholt umfassend überarbeitet. Für die Adressaten dieses Rechtsakts ist es mittlerweile zu einem schwierigen Unterfangen geworden, Inhalt und Tragweite ohne juristische Analyse und eine Präzisierung des geltenden Textes zu erfassen.

2.   Bemerkungen des EWSA

2.1

Aus den genannten Gründen begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss den Vorschlag zur Kodifizierung. Hierdurch wird der Zugang der Unionsbürger zum Gemeinschaftsrecht erleichtert und ein Beitrag zu einer besseren Rechtsetzung geleistet, wie es der Ausschuss in früheren Stellungnahmen gewünscht und zum Ausdruck gebracht hat (1).

2.2

In Artikel 6 der Richtlinie heißt es, dass die Kommission dem Rat spätestens am 1. Januar 2006 einen auf der Grundlage einer Stellungnahme der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit ausgearbeiteten Bericht über das bzw. die Intensivhaltungssysteme unterbreiten muss, bei denen die Erfordernisse einer artgerechten Kälberhaltung in gesundheitlicher, tierzüchterischer, physiologischer und verhaltensmäßiger Hinsicht erfüllt sind, sowie über die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der verschiedenen Systeme. Ferner muss sie dem Bericht geeignete Vorschläge beifügen, die den darin enthaltenen Schlussfolgerungen Rechnung tragen. Danach muss der Rat spätestens drei Monate nach Vorlage der Vorschläge mit qualifizierter Mehrheit einen Beschluss fassen.

2.3

Dies ist nicht geschehen. Obwohl der Stichtag längst verstrichen ist, schlägt die Kommission vor, eine Kodifizierung ab diesem Datum vorzunehmen, was zur Folge haben dürfte, dass das vereinfachte Verfahren nicht angewendet werden kann, wäre doch für die Änderung ein neuer Beschluss erforderlich.

2.4

Der EWSA hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es nicht hinnehmbar ist, dass die Institutionen und die Mitgliedstaaten Fristen festsetzen, die sie selbst nicht einhalten können. Dadurch werden der Respekt vor den Gemeinschaftsbestimmungen und das Vertrauen in sie untergraben mit der Folge, dass sich auch die übrigen Betroffenen nicht an die Fristen gebunden fühlen.

2.5

Die Kommission hat in ihrem Vorschlag für einen Aktionsplan der Gemeinschaft für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren auch die „Vorlage eines Berichts an den Rat und das Europäische Parlament über den Schutz von Kälbern in landwirtschaftlichen Tierhaltungen“ für 2008 (2) angekündigt. Dieser Bericht wird auf einem im Juni 2006 veröffentlichten Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) (3) basieren. Die Kommission wird den Bericht nun analysieren, weitere Daten einholen, die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte bewerten sowie Experten, Mitgliedstaaten und andere Interessenträger vor der Unterbreitung konkreter Vorschläge konsultieren. Der EWSA begrüßt die gründliche Vorarbeit, bedauert jedoch das Überschreiten der Frist.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe u.a. die 2005 erarbeitete Sondierungsstellungnahme des EWSA „Bessere Rechtsetzung“, ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 39.

(2)  KOM(2006) 13 endg. vom 23.1.2006.

(3)  http://www.efsa.europa.eu/science/ahaw/ahaw_opinions/1516_en.html.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/27


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (kodifizierte Fassung)“

KOM(2006) 286 endg. — 2006/0100(COD)

(2006/C 324/12)

Der Rat beschloss am 4. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Berichterstatter war Herr CHIRIACO.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Herrn CHIRIACO gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 97 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Mit dem vorliegenden Vorschlag soll die Richtlinie 90/219/EWG des Rates vom 23. April 1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen kodifiziert werden. Die neue Richtlinie ersetzt die verschiedenen Rechtsakte, die Gegenstand der Kodifizierung sind. Der Vorschlag behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen, wobei nur insoweit formale Änderungen vorgenommen werden, als diese aufgrund der Kodifizierung selbst erforderlich sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Ausschuss erachtet es für sehr hilfreich, sämtliche Texte in einer Richtlinie zusammenzufassen. Im Zusammenhang mit dem „Europa der Bürger“ ist es dem Ausschuss — wie auch der Kommission — ein wichtiges Anliegen, das Gemeinschaftsrecht zu vereinfachen und klarer zu gestalten, damit es für die Bürger nicht nur besser verständlich und zugänglicher wird und ihnen neue Möglichkeiten eröffnen kann, sondern damit sie auch die spezifischen Rechte, die es ihnen zuerkennt, besser in Anspruch nehmen können.

2.2

Zur Erhaltung und zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, um einen bestmöglichen Einsatz der Biotechnologie sicherzustellen, insbesondere wenn es um die menschliche Ernährung geht, und sämtliche Anwendungen genetisch veränderter Mikroorganismen (GVM) müssen in geschlossenen Systemen erfolgen, um jegliche negativen Auswirkungen zu vermeiden.

2.3

Der EWSA betont, dass die Kontrolle über die GVM verloren gehen könnte, wenn sie nicht in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auf einheitliche Weise durchgeführt wird, weil sich die verwendeten GVM vermehren und über die nationalen Grenzen hinaus verbreiten können.

2.4

Der EWSA verweist darauf, dass ein „genetisch veränderter Mikroorganismus“ (GVM) ein „Mikroorganismus [ist], dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie es unter natürlichen Bedingungen … nicht vorkommt“, und pflichtet dem von der Kommission hinsichtlich der Sicherheit und Hygiene am Arbeitsplatz sowie der Unfallverhütung und der Emissionskontrolle vertretenen Standpunkt bei.

2.5

Es ist gewährleistet, dass diese kodifizierte Fassung keine materiellrechtlichen Änderungen aufweist und lediglich dazu dienen soll, das Gemeinschaftsrecht klar und transparent zu machen. Der Ausschuss befürwortet diese Zielsetzung voll und ganz und stimmt dem Vorschlag angesichts der genannten Gewährleistung zu.

Brüssel, den 26.Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Gemeinschaftskriterien für Maßnahmen zur Tilgung und Überwachung bestimmter Tierseuchen (kodifizierte Fassung)“

KOM(2006) 315 endg. — 2006/0104 (CNS)

(2006/C 324/13)

Der Rat beschloss am 11. Juli 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 24 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Alleinberichterstatter war Herr COUPEAU.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Herrn COUPEAU gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der Vorschlag der Kommission besteht darin, die Entscheidung 90/638/EWG des Rates vom 27. November 1990 über Gemeinschaftskriterien für Maßnahmen zur Tilgung und Überwachung bestimmter Tierseuchen zu kodifizieren. Die neue Entscheidung ersetzt die verschiedenen Rechtsakte, die Gegenstand der Kodifizierung sind. Sie behält deren materiellen Inhalt bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen, wobei nur insoweit formale Änderungen vorgenommen werden, als diese aufgrund der Kodifizierung selbst erforderlich sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Daher begrüßt der Ausschuss die vorgeschlagene Kodifizierung, da den Bürgern dadurch der Zugang zum Recht erleichtert und ein Beitrag zu einer besseren Rechtsetzung geleistet wird.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Es sollte auch darüber nachgedacht werden, ob weitere Vereinfachungsverfahren angewandt werden sollten, wobei die Effizienz des Überwachungssystems aufrechtzuerhalten und die Tilgung von Tierseuchen weiterhin sicherzustellen ist.

3.2

Die Krankheitserreger, von denen die Tiere befallen werden, stammen zunehmend aus Ländern außerhalb der Europäischen Union. In naher Zukunft werden die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten immer wachsamer sein und die Kompetenzen im Bereich der Bekämpfung von Tierkrankheiten zusammenlegen müssen, um die Gesundheit der Bürger zu schützen, damit diese gefahrlos Fleischprodukte verzehren können.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/29


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über einen EU-Forstaktionsplan“

KOM(2006) 302 endg.

(2006/C 324/14)

Die Europäische Kommission beschloss am 19. Juli 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beauftragte die Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz am 4. Juli 2006 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 Herrn WILMS zum Hauptberichterstatter und verabschiedete einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss stellt fest, dass ein EU-Forstaktionsplan ökonomisch, ökologisch, und sozial (nachhaltig) ausgewogen und gleichrangig aufgestellt sein muss. Gleiches gilt für die praktische Verwirklichung der Schlüsselfunktionen.

1.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Hauptziele von 4 auf 5 Ziele erweitert werden sollten. Ein zusätzliches Ziel wäre der Punkt „Förderung des Arbeitsplatzes Wald“, der „die Sicherung und den Ausbau der beruflichen Qualifikation von Beschäftigten im Wald“ sowie „die Stärkung und den Erhalt ländlicher Räume“ beinhalten sollte.

1.3

Der EWSA schlägt vor, das Thema „Sicherung und Ausbau der beruflichen Qualifikation von Beschäftigten im Wald“ unter dem Ziel „Arbeitsplatz Wald“ zu berücksichtigen. Es handelt sich um einen vernünftigen Vorschlag, da der Aktionsplan in den ländlichen Räumen letztlich vom Personal der Forstbetriebe, der Ministerien und Verwaltungen der Mitgliedstaaten in die Praxis umgesetzt werden soll.

1.4

Der EWSA sieht in „der Stärkung und dem Erhalt ländlicher Räume“ einen wesentlichen Punkt, damit der EU-Forstaktionsplan erfolgreich vor Ort in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden kann. Mit dem Kapitel „Ländlicher Raum“ sorgt der Aktionsplan aktiv dafür, dass diese Räume in Europa eine Zukunft haben und nicht als ökologische und soziale Brachflächen verkümmern und zurückbleiben.

1.5

Der EWSA legt Wert darauf, dass der EU-Forstaktionsplan von großer Verlässlichkeit geprägt und keine reine Willenserklärung ist. In der Verlässlichkeit liegt der Schlüssel zur Akzeptanz und Glaubwürdigkeit eines EU-Forstaktionsplans.

2.   Einleitung

2.1

Bei der Erstellung des EU-Forstaktionsplans haben die Kommission und die Mitgliedstaaten eine gemeinsame Vision der Forstwirtschaft und des Beitrags der Wälder und der Forstwirtschaft zur modernen Gesellschaft formuliert:

2.2

Wälder für die Gesellschaft: langfristige, multifunktionelle Forstwirtschaft, die aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Anforderungen erfüllt und forstbezogene Existenzen sichert.

2.3

Eine multifunktionelle Forstwirtschaft bietet wirtschaftliche, ökologische, soziale und kulturelle Vorteile. Sie liefert erneuerbare und umweltfreundliche Rohstoffe und spielt eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung, die Beschäftigung und den Wohlstand in Europa, insbesondere in den ländlichen Gebieten. Wälder tragen zur Lebensqualität bei, indem sie einen angenehmen Lebensraum, Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten bieten und gleichzeitig für Umweltschutz und ökologische Werte stehen. Wälder sollten das spirituelle und kulturelle Erbe bewahren, das sie repräsentieren.

2.4

In Übereinstimmung mit den vorstehenden Erwägungen verfolgt der Aktionsplan vier Hauptziele:

Verbesserung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit;

Verbesserung und Schutz der Umwelt;

Erhöhung der Lebensqualität;

Förderung von Koordination und Kommunikation.

2.5

Der Fünfjahresaktionsplan (2007-2011) besteht aus einer Reihe von Schlüsselaktionen, die die Kommission gemeinsam mit den Mitgliedstaaten umsetzen möchte. Er enthält außerdem zusätzliche Aktionen, die von den Mitgliedstaaten gemäß ihren spezifischen Gegebenheiten und Prioritäten mit Unterstützung durch bestehende Gemeinschaftsinstrumente durchgeführt werden können, wobei die Umsetzung auch nationale Instrumente erforderlich machen kann.

2.6

Im Hinblick auf die praktische Umsetzung des EU-Forstaktionsplans ist ein transparenter Rahmen für forstbezogene Maßnahmen und Entscheidungen auf Gemeinschafts- und Mitgliedstaatsebene festzulegen.

2.7

Der Aktionsplan sollte der Information und Entwicklung von weiteren zielorientierten forstpolitischen Aktivitäten zwischen Gemeinschaftsmaßnahmen und den Forstpolitiken der Mitgliedstaaten dienen.

2.8

Hauptziele des EU-Forstaktionsplans sind der Erhalt, die Unterstützung und der Ausbau der ökonomischen, ökologischen und sozialen (nachhaltigen) Waldbewirtschaftung und der multifunktionellen Rolle der Wälder.

2.9

Grundsätzlich sind national vergleichbare Forstprogramme als verbindlicher Rahmen für die Umsetzung internationaler forstbezogener Verpflichtungen und Regeln festzulegen. Die wachsende Bedeutung globaler und sektorübergreifender Themen, wie z.B. die Nutzung von Holz als Energielieferant in der Forstpolitik, erfordert bessere Kohärenz, Information und Koordination.

2.10

Vor dem Hintergrund der großen Vielfalt der ökologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Gegebenheiten und der unterschiedlichen Waldbesitzerverhältnisse in der EU sollte der Aktionsplan nach Auffassung des EWSA der Notwendigkeit spezifischer regionaler Ansätze und Maßnahmen für die verschiedenen Arten der Forstbewirtschaftung und Besitzverhältnisse Rechnung tragen. Der Aktionsplan verdeutlicht, welche wichtige Rolle die Waldbesitzer, die Beschäftigten der Forstwirtschaft und der ländliche Raum bei einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder in der EU spielen.

2.11

Der EWSA empfiehlt der Kommission, folgende fünf Hauptziele in ihrem EU-Forstaktionsplan zu berücksichtigen:

Verbesserung einer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit,

Verbesserung und Schutz der Umwelt,

Erhöhung der Lebensqualität durch eine nachhaltige Waldbewirtschaftung,

Förderung von Koordination und Kommunikation,

Förderung des „Arbeitsplatzes Wald“.

3.   Aktionen

3.1   „Verbesserung einer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit“

3.1.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass über die Holzernte hinaus andere potenzielle Erzeugnisse des Waldes, z.B. die Bereitstellung von hochwertigem Trinkwasser oder die Bindung von CO2 und der Emissionshandel, im Rahmen dieses Ziels berücksichtigt werden sollten.

3.1.2   Zu Schlüsselaktion 2: „Förderung von Forschung und technologischer Entwicklung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Forstsektors“

3.1.2.1

Neben der Förderung sollte der allgemeine Austausch/Wissenstransfer von Ergebnissen der Forschung und technologischen Entwicklung zwischen europäischen Forschungszentren auch zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Forstsektors beitragen.

3.1.2.2

Zur Verbesserung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit der Forstwirtschaft ist im Rahmen des Aktionsplans in Zusammenarbeit mit den einzelnen Mitgliedstaaten wissenschaftlich zu klären, wie viele Beschäftigte mit entsprechenden Qualifikationen in den Mitgliedstaaten nötig sind, um eine nachhaltige Waldbewirtschaftung auf Grundlage nationaler Gesetze und Verordnungen auf wirtschaftlich sinnvolle Weise durchzuführen.

3.1.3   Zu Schlüsselaktion 3: „Austausch und Bewertung von Erfahrungen über die Wertbemessung und die Vermarktung von Nichtholzerzeugnissen und Dienstleistungen in Zusammenhang mit Wäldern“

3.1.3.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass den Waldbesitzern der Wert der zurzeit nicht vermarkteten Waren und Dienstleistungen des Waldes nicht über Subventionen erstattet werden sollte. Die Bezahlung für Leistungen sollte von den einzelnen Nutzern bzw. Nutznießern unmittelbar an die Waldbesitzer erfolgen.

3.1.3.2

Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission dem Ständigen Forstausschuss vorschlagen, eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe einzusetzen, die prüft und dokumentiert, welche Aktivitäten und Erfahrungen im Zusammenhang mit zusätzlichen Vermarktungsmöglichkeiten von Produkten und Dienstleistungen des Waldes in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen. Von einem solchen Austausch der Dokumentation werden alle Waldbesitzer und Mitgliedstaaten profitieren.

3.1.4   Zu Schlüsselaktion 4: Förderung der Verwendung von Forstbiomasse zur Energieerzeugung

3.1.4.1

Bei der Aufarbeitung von Waldrestholz zu Energieholz ist auszuschließen, dass die Nutzung zu einer Verarmung der Böden und einer Einschränkung der Artenvielfalt führt.

3.1.4.2

Hinsichtlich der Nutzung chemisch behandelter Holzabfälle zur Energiegewinnung ist sicherzustellen, dass bei der Verbrennung keine gefährlichen Rückstände in Luft und Boden gelangen.

3.1.4.3

Nach Auffassung des EWSA müssen Entscheidungen auf europäischer Ebene auf der Grundlage wissenschaftlich fundierter Forschungsergebnisse zu der Frage, wer (Mitgliedstaaten) Energieholz wie und wo entsprechend nachhaltig einsetzt und verbraucht, getroffen werden. Allein in den Entwicklungsländern gehen 50 % der Holznachfrage als unersetzbarer Brennstoff (Energielieferant) ohne entsprechende Wertschöpfung verloren. Dieses darf den Mitgliedstaaten der EU nicht widerfahren und ist auszuschließen. Die jeweils strategisch ökologisch, ökonomisch und sozial günstigste europäische Energieerzeugung mit Holz ist mit langem zeitlichem Wirkungsgrad abzuwägen und praktisch umzusetzen.

3.1.4.4

Vor jedem Einsatz genmanipulierten Saat- und Pflanzguts in der Forst- und Waldwirtschaft ist dessen ökologische Unbedenklichkeit sicherzustellen.

3.1.5   Zu Schlüsselaktion 5: „Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Waldbesitzern und Förderung von Aus- und Weiterbildungsstrukturen in der Forstwirtschaft“

3.1.5.1

Der Ausbau der Zusammenarbeit ist nicht allein mit den Waldbesitzern anzustreben, sondern auch mit den Beschäftigten in der Forstwirtschaft. Hier kommt besonders dem „Förster“ und mittleren Management des ländlichen Raums als Bindeglied zwischen Waldbesitzer und Industrie eine besondere Rolle zu, die in Strukturen entsprechend zu erhalten und zu fördern sind. Die Mobilisierung von Holz und die Bewirtschaftung der Wälder hängen von der Bereitstellung eines qualifizierten Managements vor Ort ab.

3.1.5.2

Vor diesem Hintergrund sollten die Mitgliedsstaaten nach dem Dafürhalten des EWSA die berufliche Aus- und Weiterbildung von Waldbesitzern, Forstmanagement, Waldarbeitern und forstwirtschaftlichen Dienstleistungsunternehmen stärken. Sie sollten nicht nur die Verbände der Waldbesitzer, sondern auch die Berufsverbände der Beschäftigten durch die Einrichtung von Beratungsdiensten fördern. Diese Förderung ist Bestandteil einer nachhaltigen (sozialen) Entwicklung, die besonders dem ländlichen Raum entgegenkommt.

3.1.5.3

Zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der Forstwirtschaft können die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Prioritäten darüber hinaus

den Ausbau von Berufsverbänden unterstützen;

forstwirtschaftliche Berufsverbände grundsätzlich an forstpolitischen Entscheidungen beteiligen;

die einzelnen Berufsbilder der Forstwirtschaft auf Grundlage des EU-Forstaktionsplans fördern;

die freiwillige Zertifizierung der Forstwirtschaft in anerkannten Systemen unparteiisch unterstützen.

3.2   „Verbesserung und Schutz der Umwelt“

3.2.1

Der EWSA hält den Erhalt, Schutz und Ausbau der ökologischen Nachhaltigkeit in Forst und Naturschutz für wesentlich, um dieses von der Kommission vorgeschlagene Ziel zu erreichen.

3.2.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die freiwillige Zertifizierung der Forstbetriebe mit anerkannten Zertifizierungssystemen in hohem Maße dazu beiträgt, die ökologische Nachhaltigkeit zu sichern, zu fördern und auszubauen.

3.2.3   Zu Schlüsselaktion 8: „Einrichtung eines europäischen Waldüberwachungssystems“

3.2.3.1

Der EWSA begrüßt die Einrichtung eines europäischen Waldüberwachungssystems. Die relevanten internationalen Organisationen, die beteiligt werden sollen, sind namentlich zu nennen, damit ausgeschlossen werden kann, dass wichtige Akteure und somit Fachkenntnisse fehlen.

3.2.3.2

Ein europäisches Forstzentrum für Forstdaten sollte die gesammelten und wissenschaftlich ausgewerteten Daten nach den Richtlinien des Datenschutzes einer breiten Öffentlichkeit vorstellen und bei Bedarf zur Verfügung stellen.

3.2.4   Zu Schlüsselaktion 9: „Verbesserung des Schutzes der Wälder in der EU“

3.2.4.1

Wichtige Grundlage für eine aktuelle Information betreffend die Waldzustände sind jährlich erstellte und veröffentlichte Waldzustandsberichte der einzelnen Mitgliedstaaten. Die Ausarbeitung der einzelnen Berichte ist durch den ELER und das Instrument Life+ zu fördern.

3.2.4.2

Der Umbau von Brand begünstigenden Monokulturen zu Mischbeständen als Vorbeugung gegen Waldbrände sollte intensiver genutzt und gefördert werden.

3.3

Für das dritte von der Kommission vorgeschlagene Ziel des Aktionsplans („Erhöhung der Lebensqualität“) schlägt der EWSA folgende neue Formulierung vor: „Verbesserung der Lebensqualität durch eine nachhaltige Waldbewirtschaftung“

3.3.1

In ihrer Mitteilung stellt die Kommission fest, dass die Mitgliedstaaten Investitionen anregen können, um den öffentlichen Waldbestand auszubauen. Der EWSA ist der Auffassung, dass der ELER zudem Unterstützung bei der Erhaltung und Stärkung der ländlichen Räume bieten sollte.

3.3.2   Zu Schlüsselaktion 10: „Förderung von Bildungs- und Informationsmaßnahmen im Umweltbereich“

3.3.2.1

Die Förderung von Bildungs- und Informationsmaßnahmen sollte sich nicht nur auf den Umweltbereich beziehen, sondern auch auf den Sozialbereich. Zwischen diesen beiden Bereichen bestehen Schnittstellen: Beispielsweise verlangen die soziale Kompetenz von Lehrenden oder die kulturelle Dimension ein Höchstmaß an Bildung und Information im Sozialbereich.

3.3.3   Zu Schlüsselaktion 12: „Untersuchung des Potenzials von Wäldern in und im Umfeld von Städten“

3.3.3.1

In Stadt- und Ballungsräumen nehmen der Wald und der Vorrat an Holz in allen Mitgliedstaaten nachweislich ab. Neben höheren Emissionsschäden ist der Wald besonders durch Rodung gefährdet. Ausgleichsflächen im gleichen Naturraum sind selten vorhanden. Ursache ist der überdurchschnittliche Bedarf an Wohn- und Industrieflächen und der stetige Ausbau der Infrastruktur. Straßen, Bahntrassen und Flughafenerweiterungen spielen hierbei eine besondere und übergeordnete Rolle.

3.4   „Förderung von Koordination und Kommunikation“

3.4.1   Zu Schlüsselaktion 13: „Stärkung der Rolle des Ständigen Forstausschusses“

3.4.1.1

Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass während der Dauer der Umsetzung des Aktionsplans gemeinsame Sitzungen zu organisieren sind, in denen Verbände und Akteure der gesamten nachhaltigen Forstwirtschaft Europas zusammentreffen und ihre Bereiche entsprechend vertreten. Gleiches gilt für die Einrichtung von Ad-hoc-Arbeitsgruppen. Mit dieser Maßnahme wird sichergestellt, dass der Aktionsplan von vielen Akteuren der Forstwirtschaft getragen und unterstützt wird.

3.4.2   Zu Schlüsselaktion 6: „Stärkung des Profils der EU in internationalen Forstfragen“

3.4.2.1

Eine Maßnahme zur Reduzierung der weltweiten Entwaldung wäre die Schaffung eines europäischen Urwaldschutzgesetzes, in dem unter anderem festgelegt wird, unter welchen rechtlichen Bedingungen Tropen- und Urwaldholz in die EU gelangt, veredelt und eingesetzt wird. Die Kommission sollte eine entsprechende Gesetzesinitiative prüfen und bis zum Jahr 2012 ein Europäisches Urwaldschutzgesetz verabschiedet haben. Darüber hinaus unterstreicht der EWSA, dass der laufende FLEGT-Prozess ein Mittel zur Bekämpfung der weltweiten Entwaldung und der Verschlechterung der Situation der Urwälder sein kann. Die FLEGT-Rechtsvorschriften sollten weiter als System dienen, das verhindert, dass illegal geschlagenes Holz in die Märkte und verarbeitenden Betriebe der EU gelangt.

3.4.3   Zu Schlüsselaktion 18: „Verbesserung von Informationsaustausch und Kommunikation“

3.4.3.1

An Veranstaltungen mit großer Öffentlichkeitswirkung der Mitgliedstaaten sind sämtliche Stakeholder der Forstwirtschaft als Multiplikatoren zu beteiligen und finanziell zu unterstützen.

3.5

Um eine nachhaltige Forstwirtschaft in der EU zu garantieren, ist nach Auffassung des EWSA die berufliche Qualifikation von Beschäftigten im Wald sicherzustellen. Deshalb fordert der EWSA die Kommission auf, folgendes neues Ziel zu berücksichtigen: „Förderung des Arbeitsplatzes Wald“.

3.5.1

Der EWSA betont, dass der Wald sämtliche Funktionen und gesellschaftlichen Leistungen nur erfüllen kann, wenn für seine Bewirtschaftung und Pflege ausreichend Personen (Waldarbeiter, Maschinenführer, forstwirtschaftliche Verwaltungsangestellte und Forstmanager) beschäftigt werden. Diese sollten über eine fachliche Grundqualifikation verfügen und ständig weitergebildet werden. Dies gilt selbstverständlich auch für mitarbeitende Waldbesitzer. Die Qualifikation ist den ökonomischen, ökologischen und sozialen beruflichen Anforderungen anzupassen. Das trifft insbesondere auf die Sicherstellung des Naturschutzes im Wald zu.

3.5.2

Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt der EWSA folgende Schlüsselaktionen vor:

Schlüsselaktion 19: „Förderung von Ausbildung und Fortbildung“

Schlüsselaktion 20: „Untersuchung des Zusammenhangs von nachhaltiger Waldbewirtschaftung und beruflicher Bildung/Qualifikation im Forstsektor“

Schlüsselaktion 21: „Ländlicher Raum“.

3.5.3   Zu Schlüsselaktion 19: „Förderung von Ausbildung und Fortbildung“

3.5.3.1

Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten die Ausbildung/Fortbildung, Forschung, die Entwicklung und den Technologietransfer in den Bereichen Forst, Holz und Naturschutz verstärkt fördern.

3.5.3.2

Der EWSA unterstreicht, dass die Kommission anerkannte forstwirtschaftliche Zertifizierungssysteme unterstützen sollte, die zur Sicherung und zum Ausbau der Beschäftigung beitragen, indem sie Indikatoren einer nachhaltigen Personalplanung und -entwicklung der Forstbetriebe liefern.

3.5.4   Zu Schlüsselaktion 20: „Untersuchung des Zusammenhangs von nachhaltiger Waldbewirtschaftung und beruflicher Bildung/Qualifikation im Forstsektor“

3.5.4.1

Die Kommission sollte die wissenschaftliche Untersuchung der Frage fördern, welcher Zusammenhang zwischen der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und der beruflichen Bildung/Qualifikation von Waldbesitzern und Beschäftigten in der Forstwirtschaft (Bedarfsklärung) besteht.

3.5.4.2

Der EWSA rät der Kommission, eine Studie zur Ermittlung der spezifischen Berufsbilder durchzuführen, die erforderlich sind, um eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Forstsektors zu gewährleisten.

3.5.5   Zu Schlüsselaktion 21: „Ländlicher Raum“

3.5.5.1

Zu einem überwiegenden Teil befindet sich der Wald der Mitgliedstaaten in strukturschwachen ländlichen Räumen. Der Forstsektor sorgt in diesen Räumen für den Erhalt der Infrastruktur und Beschäftigung und Einkommen der Waldbesitzer und ländlichen Bevölkerung. Ohne eine wirtschaftlich intakte Forstwirtschaft würden diese auch ökologisch und touristisch wertvollen Gebiete von der allgemeinen Entwicklung eines Landes abgekoppelt werden. Absehbare Folgen wären z.B. Bevölkerungsabwanderung/Landflucht, Überalterung, brachliegende Waldflächen oder Verlust der Infrastrukturen. Die Zerstörung ländlicher Strukturen führt zwangsläufig zu einer erschwerten Inanspruchnahme des Rohstoffs Holz bei steigendem globalem Bedarf.

3.5.5.2

Die Kommission sollte die Untersuchung und Forschung zum Thema „Bedeutung der Forstwirtschaft für den ländlichen Raum“ fördern und unterstützen.

3.5.5.3

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten dazu auf, die Arbeitsmarktsituation im ländlichen Raum zu sichern und zu verbessern. Soziale Härten auf Grundlage eines anhaltenden Strukturwandels sind zu vermeiden. Gegebenenfalls ist einer solchen Entwicklung durch koordinierte Programme entgegenzuwirken. Die Attraktivität ländlicher Räume für die Bevölkerung, insbesondere junge Menschen, ist zu erhöhen.

3.5.5.4

Der EWSA drängt die Kommission, die Entwicklung der ländlichen Räume durch den ELER finanziell zu unterstützen. Eine finanzielle Unterstützung sollte nach Antragstellung direkt an Waldbesitzer/Forstbetriebe bzw. an betriebliche forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse erfolgen.

4.   Bewertung

4.1

Die Kommission sollte sicherstellen, dass alle Interessenträger der europäischen Forstwirtschaft in der Beratungsgruppe „Forstwirtschaft und Kork“ vertreten sind.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Berichtigung der Richtlinie 2002/2/EG zur Änderung der Richtlinie 79/373/EWG über den Verkehr mit Mischfuttermitteln“

KOM(2006) 340 endg. — 2006/0117 (COD)

(2006/C 324/15)

Der Rat beschloss am 10. Juli 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 152 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2006 an. Berichterstatter war Herr NIELSEN.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses beschloss das Plenum, auf seiner Oktober-Plenartagung über diese Stellungnahme abzustimmen, und bestellte Herrn NIELSEN gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 85 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Hintergrund

1.1

Die Vorschriften aus dem Jahr 1979 für die Produktion und den Verkehr mit Mischfuttermitteln für Nutztiere sind mehrfach geändert wurden, u.a. in Bezug auf die Etikettierung und Informationen über die Zusammensetzung (1). Ebenfalls mehrfach neu austariert wurde das Verhältnis zwischen der von der Futtermittelbranche befürworteten Rücksicht auf Vertraulichkeit und der von der Landwirtschaft befürworteten vollständigen Aufklärung über den Inhalt und die Zusammensetzung.

1.2

1990 wurden die Etikettierungsvorschriften harmonisiert, wonach die Einzelfuttermittel in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils (ohne die Verpflichtung einer genauen Mengenangabe) angegeben werden sollten. Als Folge der BSE-Krise (Bovine Spongiforme Enzephalopatie) und der Dioxin-Krise wurde 2002 beschlossen, die sog. „offene Deklaration“ einzuführen, die sowohl quantitative als auch qualitative Inhaltsangaben umfasst. Dies beinhaltete die Angabe der Einzelfuttermittel in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtshundertteils mit einer Toleranz von +/- 15 % des angegebenen Wertes. Ferner wurde geregelt, dass auf Antrag des Kunden die genaue Angabe der Gewichtshundertteile der in dem Futtermittel enthaltenen Einzelfuttermittel übermittelt werden sollte (2).

1.3

Wegen dieser Verpflichtung wurde der Europäische Gerichtshof um eine Vorabentscheidung im Zusammenhang mit der Prüfung von Anträgen ersucht, die die Futtermittelindustrie auf Streichung oder Aussetzung der geltenden nationalen Rechtsvorschriften gestellt hatte. In seinem Urteil vom 6. Dezember 2005 (3) gab der Gerichtshof den EU-Institutionen im Großen und Ganzen Recht, u.a. auch im Hinblick auf die Gültigkeit der Richtlinie. Der Gerichtshof vertrat jedoch die Auffassung, dass die Pflicht, den Kunden auf Anfrage über die genaue mengenmäßige Zusammensetzung von Mischfuttermitteln zu unterrichten, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ungültig sei. Der EuGH vertrat u.a. die Auffassung, diese Pflicht könne nicht mit dem Gesundheitsschutz begründet werden und gehe über den hierfür erforderlichen Aufwand hinaus.

1.4

Vor diesem Hintergrund schlägt die Kommission eine „berichtigende Entscheidung“ vor, die den Grundsatz berücksichtigt, dass Änderungsrechtsakte selbst nicht geändert werden sollten, aber berichtigt werden können. Dies gewährleistet der Kommission zufolge „die Transparenz und Klarheit des Gemeinschaftsrechts und verpflichtet die Mitgliedstaaten gleichzeitig nicht unmittelbar zur Änderung ihrer eigenen Rechtsvorschriften, da sie im Rahmen ihres jeweiligen Rechtssystems ohnehin alle Maßnahmen ergreifen müssen, die geeignet sind, um dem Urteil des EuGH Folge zu leisten“.

2.   Bemerkungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA)

2.1

Das Urteil des EuGH ist der Futtermittelbranche in der EU bekannt, und mit obenstehender Aussage räumt die Kommission ein, dass die Berichtigung keine praktische Bedeutung hat. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Vorschriften die aktuelle Rechtslage widerspiegeln sollten und befürwortet daher den Vorschlag der Kommission für eine Berichtigung.

2.2

Im Übrigen stimmt der EWSA mit Rücksicht auf die Verbraucherbestimmungen und den Wettbewerb in diesem Bereich dem Grundsatz der „offenen Deklaration“ zu. Für landwirtschaftliche Erzeuger sind möglichst genaue Kenntnisse über den Inhalt von Futtermischungen wichtig, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Zusammensetzung des Futters, sondern auch, um Preise und Qualität vergleichen zu können. Die Argumente der Futtermittelindustrie und ihre Forderung nach Vertraulichkeit im Hinblick auf den Wettbewerb auf dem Futtermittelmarkt und Patentierungsmöglichkeiten erscheinen in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen in Bezug auf die Verhältnisse auf dem Markt für Mischfuttermittel weniger schwerwiegend.

2.3

Der EWSA räumt jedoch ein, dass in bestimmten Fällen und für ganz bestimmte Mischfuttermittel, z.B. für die Fischzucht, besondere Bedingungen gelten (4). Der EWSA fordert die Kommission daher auf, eine Ausnahmeregelung für einige wenige Arten von Spezialmischungen zu erwägen, um diese von der Pflicht zur Angabe der Einzelfuttermengen in Mischfutter in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtshundertteils auszunehmen und so mit Rücksicht auf die technische Entwicklung Vertraulichkeit zu ermöglichen. Diese Option sollte allerdings Einzelfällen vorbehalten sein, bei denen sie absolut unumgänglich ist.

2.4

Die Bestimmung zur Angabe des Gewichtshundertteils mit einer Toleranz von +/- 15 % des angegebenen Wertes ist unter praktischen Gesichtspunkten insgesamt realistisch. Erweist es sich in der Praxis als unmöglich, kleinere Mengen von beispielsweise 10 % mit der entsprechenden Genauigkeit zu kontrollieren, so soll die einzelstaatliche Kontrollbehörde auf Grundlage der Dokumentation des Unternehmens Kontrollen vornehmen können.

2.5

Gelegentlich wird behauptet, dass es praktisch nicht möglich ist, den Inhalt einer Mischung zu analysieren. Diese Aussage trifft — mit oben erwähnter Ausnahme — nicht zu, da in allen Mitgliedstaaten Laboratorien eingerichtet wurden, die in der Lage sind, diese Aufgabe angemessen zu erledigen.

2.6

Nicht zuletzt hält der EWSA im Hinblick auf den Binnenhandel und die Wahrung der einschlägigen europäischen Rechtsvorschriften deren Kontrolle und vollständige Einhaltung durch die Behörden der Mitgliedstaaten, die nicht immer gegeben war, für sehr wichtig. Die Kommission sollte ihren diesbezüglichen Verpflichtungen mit Hilfe des Lebensmittel- und Veterinäramts (LVA) engagierter nachkommen als bisher.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Richtlinie 79/373/EWG des Rates über den Verkehr mit Mischfuttermitteln und spätere Änderungen.

(2)  Richtlinie 2002/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002, die von den Mitgliedstaaten ab November 2003 angewandt werden sollte.

(3)  Verbundene Rechtssachen C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194-04.

(4)  Für die Fischzucht bestehen für die einzelnen Fischarten spezifische Bedürfnisse, und bei der Zusammensetzung der Nebenprodukte der Fischerei und der Fischindustrie, die als Rohwaren in die Mischungen einfließen, bestehen große Unterschiede.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/36


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Verfahren zur vorherigen Prüfung und Beratung künftiger Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Verkehrs“

KOM(2006) 284 endg. — 2006/0099 (COD)

(2006/C 324/16)

Der Rat beschloss am 23. Juni 2006 gemäß Artikel 157 Absatz 3 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Am 4. Juli 2006 beauftragte das Ausschusspräsidium die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit der Vorbereitung der Arbeiten.

Aufgrund der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 Herrn TÓTH zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 110 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Mit dem vorliegenden Vorschlag (1) soll die Entscheidung des Rates vom 21. März 1962 (2) über die Einführung eines Verfahrens zur vorherigen Prüfung und Beratung künftiger Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Verkehrs aufgehoben werden.

1.2

Mit diesem Entscheidungsvorschlag soll die Entscheidung des Rates vom 21. März 1962 kodifiziert werden. Der Vorschlag behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen, wobei nur insoweit formale Änderungen vorgenommen werden, als diese aufgrund der Kodifizierung selbst erforderlich sind.

1.3

Dieser Vorschlag zur Kodifizierung ergibt sich aus dem Beschluss der Europäischen Kommission vom 1. April 1987 (3), in dem sie ihre Dienststellen anweist, alle Rechtsakte spätestens nach der zehnten Änderung im Interesse der Klarheit und des guten Verständnisses der Gemeinschaftsvorschriften zu kodifizieren.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Ausschuss zeigt sich über die jüngsten Entwicklungen besonders besorgt, die eine Entfremdung zwischen den Unionsbürger und dem Europagedanken sowie — viel schlimmer noch — dem Entscheidungsfindungs- und Beschlussfassungsprozess in der EU nach sich ziehen. Auftrag des Ausschusses ist es, zur Überwindung der immer größeren Kluft zwischen Europa und der organisierten Zivilgesellschaft, d.h. den Unionsbürgern beizutragen.

2.2

So lange verschiedene, mehrmals geänderte Vorschriften in aufgesplitterter Form bestehen bleiben und daher teilweise im ursprünglichen und teilweise in einem späteren Rechtsakt zur Abänderung dieses ersten zu suchen sind, macht es die aufwendige Suche den Unionsbürgern wie auch zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen unmöglich, die erforderlichen rechtlichen Informationen auf einfachem Wege zu ermitteln.

2.3

Daher bringt der Ausschuss seine uneingeschränkte Unterstützung für diesen Vorschlag in der besonderen Hoffnung zum Ausdruck, dass er allen Bürgern und zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu dienen wird, bessere und genauere Informationen zu einem bestimmten europäischen Rechtsakt zu erhalten.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2006) 284 endg.

(2)  ABl. 23 vom 3.4.1962, S. 720-721.

(3)  KOM(87) 868 PV.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/37


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Satzung des gemeinsamen Unternehmens Galileo im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 876/2002 des Rates“

KOM(2006) 351 endg. — 2006/0115 (CNS)

(2006/C 324/17)

Der Rat beschloss am 19. Juli 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 171 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft am 4. Juli 2006 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 Herrn PEZZINI zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 116 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bekräftigt zum wiederholten Male, dass er dem Erfolg des satellitengestützten Navigationsprogramms Galileo große Bedeutung beimisst. In zahlreichen einschlägigen Stellungnahmen (1) hat der EWSA unterstrichen, dass Galileo das große wissenschaftliche und technische Prestigevorhaben der Europäischen Union ist, vor allem aufgrund der strategischen Bedeutung des zivil betriebenen europäischen Satellitennavigationssystems — nicht nur für das weltweite satellitengestützte Navigations- und Ortungssystem, sondern auch für Dienstleistungen für Unternehmen, Bürger und Gesellschaft sowie für eine weltweit wettbewerbsfähigere europäische Industrie.

1.2

Nach Ansicht des Ausschusses muss der strategische Wert des Galileo-Programms universal anerkannt werden, denn es ist das größte Vorhaben einer öffentlich-privaten Partnerschaft, das jemals auf europäischer Ebene verwirklicht wurde, und die erste öffentliche Infrastruktur mit einer Konstellation von 30 Satelliten auf drei verschiedenen Umlaufbahnen — im Besitz der europäischen Organe —, die einen neuen, weltweit öffentlich zugänglichen Dienst mit einem exponentiell wachsenden Markt (2) und einer genauen räumlichen und zeitlichen Positionsbestimmung auf dem gesamten Planeten bieten kann.

1.3

Nicht verhehlen kann der Ausschuss seine Besorgnis über die Verzögerungen beim Abschluss der Phase der Entwicklung und Bewertung im Orbit der Satelliten und der Bodenkomponenten des Systems, die unter der Verantwortung des gemeinsamen Unternehmens Galileo im Laufe des Jahres 2006 abgeschlossen werden sollte, jedoch noch bis Anfang 2009 andauert. Folglich können die nachfolgenden Phasen — der Aufbau der Satellitenkonstellation und der komplette Aufbau des Bodensegments sowie der Betriebsbereitschaft, insbesondere in kommerzieller Hinsicht, nicht vor Ende 2010 abgeschlossen werden.

1.4

Der Ausschuss teilt uneingeschränkt die Auffassung, dass eine Vergeudung von Mitteln und Kompetenzen zu vermeiden ist, die aus der Verlängerung der Tätigkeiten des gemeinsamen Unternehmens Galileo resultieren. Dieses sollte nach der Einrichtung der Europäischen Aufsichtsbehörde GNSS durch die Verordnung des Rates vom 12. Juli 2004 (3), die bereits Mitte 2006 ihren Betrieb aufgenommen hat, die gesamte Phase der Entwicklung und Bewertung im Orbit abdecken.

1.5

In diesem Zusammenhang unterstreicht der Ausschuss jedoch, „dass der Übergang vom gemeinsamen Unternehmen Galileo (Galileo Joint Undertaking — GJU) auf die Galileo-Aufsichtsbehörde (Galileo Supervisory Authority — GSA) reibungslos verlaufen muss“, wie er in seiner unlängst vorgelegten Stellungnahme betont hat. Dabei ist folgendes zu gewährleisten:

Rechtssicherheit bei der Übertragung der Tätigkeiten vom GJU auf die GSA;

Interventionskompetenzen der GSA in der Entwicklungsphase;

abgestimmte Lösungen für Probleme infolge der Vereinbarung zwischen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und dem GJU sowie infolge der Übertragung der Tätigkeiten der Drittländer (4) des GJU auf die GSA;

kompetentes und erfahrenes Personal

eine eindeutige internationale Haftungsregel für die Startstaaten der Satelliten.

1.6

Der Ausschuss stimmt den Grundsätzen des Änderungsvorschlags für die Satzung des GJU zu (5), zu dem er gemäß Artikel 171 des EG-Vertrags um Stellungnahme ersucht werden muss, stellt folgende Beobachtungen an und formuliert folgende nachstehend erläuterte Empfehlungen.

1.6.1

Hinsichtlich der Änderungen oben genannter Verordnung hält der EWSA es für unzureichend, Änderungen nur zur Satzung — im Anhang der Verordnung — vorzuschlagen, wenngleich er diese begrüßt. Vielmehr sind seiner Ansicht nach folgende Änderungen vorzusehen:

Änderung des Artikel 1 der Verordnung: „Zur Durchführung der Entwicklungstätigkeiten des Galileo-Programms und zu deren Übertragung auf die GSA wird bis zum 31. Dezember 2006 ein gemeinsames Unternehmen im Sinne von Artikel 171 des Vertrags gegründet“;

Anfügung eines letzten Absatzes an Artikel 1 der Verordnung: „Mit Datum vom 1. Januar 2007 löst die GSA das abgewickelte gemeinsame Unternehmen mit sämtlichen Rechten und Pflichten, einschließlich derjenigen aus der Vereinbarung mit der Europäischen Weltraumorganisation, ab“;

Im Anhang über die Satzung des gemeinsamen Unternehmens in Artikel 21 folgende neue Bestimmung einfügen: „Vor Beginn des Abwicklungsverfahrens werden mit der Gemeinschaft Vereinbarungen über die Modalitäten der Teilnahme von Drittländern an den Tätigkeiten der GSA getroffen, die dem Aufsichtsrat des gemeinsamen Unternehmens bzw. der ESA angehören und keine EU-Mitglieder sind.“

1.6.2

Hinsichtlich der Galileo-Aufsichtsbehörde (GSA) ist es nach Ansicht des EWSA unverzichtbar „die … Verordnung über die Einrichtung der Aufsichtsbehörde [zu ändern], um die vom Gemeinsamen Unternehmen auf die Aufsichtsbehörde übertragenen Aufgaben wie die Durchführung der Entwicklungs- und der IOV-Phase, die Verwaltung der unter den europäischen Rahmenprogrammen für Forschung und technologische Entwicklung durchgeführten Arbeiten oder die Begleitung und Verwaltung der technischen Weiterentwicklungen des Betriebssystems in die Verordnung aufzunehmen“.

1.6.2.1

Die GSA wurde mit der Verordnung 1321/2004/EG des Rates vom 12. Juli 2004 gegründet und ist seit Mitte 2006 in Betrieb, um die Verwaltung der öffentlichen Interessen der europäischen Satellitennavigationsprogramme EGNOS und Galileo zu gewährleisten und als Vergabebehörde für den künftigen Konzessionär von Satellitennavigationsdiensten zu fungieren; allerdings ist sie weder für die Durchführung der Entwicklungsphase noch für Forschungstätigkeiten bzw. -arbeiten zu dieser oder den nachfolgenden Phasen zuständig und wurde auch nicht mit den für diese Aufgaben notwendigen Human- und Finanzressourcen ausgestattet.

1.6.2.2

Zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates KOM(2006) 261 endg. vom 2. Juni 2006 zur Änderung der Verordnung 1321/2004/EG über die Verwaltungsorgane der europäischen Satellitennavigationsprogramme ist der Ausschuss nicht um Stellungnahme ersucht worden. Daher geht die Prüfung dieser Bestimmungen formal über diese Stellungnahme hinaus.

1.7

Der Ausschuss hält Änderungen der Verordnung 1321/2004/EG jedoch für unverzichtbar, um die Kontinuität des Galileo-Programms und eine reibungslose Übertragung der Tätigkeiten des gemeinsamen Unternehmens Galileo auf die Aufsichtsbehörde sowie — nach Abwicklung des gemeinsamen Unternehmens — einen optimalen Abschluss der Entwicklungsphase des Programms zu gewährleisten. Ebenso müssen die rechtlichen, technischen und finanziellen Modalitäten und Fragen für die Zeit nach dem 31. Dezember 2006 eindeutig festgelegt werden, um den Abschluss der einzelnen Phasen zu erleichtern und einen optimalen Betrieb des Systems sicherzustellen.

1.8

Der Ausschuss betont, wie wichtig es ist, dass „die Kommission, das Gemeinsame Unternehmen GALILEO, die Europäische Aufsichtsbehörde GNSS und die Europäische Weltraumorganisation jede Anstrengung unternehmen, um den uneingeschränkten Betrieb des Systems GALILEO bis Ende 2010 zu gewährleisten“, wie es in den Schlussfolgerungen des Rates (Verkehr, Telekommunikation und Energie) vom 12. Oktober 2006 heißt. Des Weiteren hat der Rat die Rechtsvorschläge der Kommission angenommen, die darauf abzielen, dass im Laufe des Jahres 2006 die verbleibenden Tätigkeiten des gemeinsamen Unternehmens GALILEO auf die Behörde übertragen werden.

1.9

Der Ausschuss fordert, über die Entwicklung des GALILEO-Programms und über die entscheidende Rolle der ESA bei der Konzeption und Weiterentwicklung der europäischen GNSS-Programme auf dem Laufenden gehalten zu werden. Des Weiteren würde der EWSA es begrüßen, wenn die Kommission ihn zu dem Grünbuch über die Anwendungen des GALILEO-Programms, das sie vor Ende 2006 (6) veröffentlichen will, um Stellungnahme ersuchte.

2.   Begründung

2.1

Der EWSA hat die Entstehung und Entwicklung des europäischen satellitengestützten Navigations- und Ortungsprogramms Galileo von Anfang an verfolgt und dessen grundlegende strategische Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Systems anerkannt, denn Galileo hat innovative Auswirkungen auf Wirtschaft, Beschäftigung und Gesellschaft und kann eine Verbesserung der Lebensqualität der Bürger gewährleisten.

2.2

Das Programm GALILEO umfasst vier Phasen:

die Definitionsphase (1999-2001), in der die Architektur des gesamten Systems und die — weiter unten aufgeführten — fünf angebotenen Dienstarten definiert wurden; diese Phase wurde hauptsächlich über das Fünfte FTED-Rahmenprogramm 1998-2002 finanziert;

die Entwicklungs- und Bewertungsphase, welche die Entwicklung der Satelliten und der Bodenkomponenten des Systems sowie dessen Bewertung im Orbit vorsieht, begann 2002 und sollte bis 2005, wird aufgrund der Verzögerungen jedoch bis Anfang 2009 dauern. Die öffentliche finanzielle Ausstattung durch die EU/ESA sollte sich ursprünglich auf 1,2 Mrd. EUR belaufen, plus 100 Mio. EUR aus dem Sechsten FTED-Rahmenprogramm 2002-2006, und wird nunmehr 1,5 Mrd. +EUR betragen, die bis zum 31. Dezember 2006 vom gemeinsamen Unternehmen Galileo und ab dem 1. Januar 2007 von der Aufsichtsbehörde verwaltet werden. Der erste Versuchssatellit, GIOVE-A, hat seinen Hauptauftrag bereits erfüllt; momentan sind noch einige technische Aspekte zu regeln, die für die weiteren Fortschritte des Vorhabens grundlegend sind;

die Aufbauphase, die den Bau und Start der Satelliten der Konstellation sowie den kompletten Aufbau des Bodensegments des Systems umfasst. Diese Phase sollte von 2006 bis 2007, wird jedoch von 2009 bis 2010 dauern. Die ursprünglich vorgesehene finanzielle Gesamtausstattung belief sich auf 2,1 Mrd. EUR: Ein Drittel (700 Mio. EUR) wird aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert, zwei Drittel (ca. 1,4 Mrd. EUR) müssen von privaten Konsortien bestritten werden. Die Aufbau- und die nachfolgende Phase kommerzieller Nutzung sind Gegenstand einer Konzession für ca. 20 Jahre. Die Aufsichtsbehörde ist die Vergabebehörde;

die Phase kommerzieller Nutzung kann nicht vor Ende 2010 beginnen. Sie sieht jährliche Betriebs- und Wartungskosten in Höhe von ca. 220 Mio. EUR vollständig zu Lasten des Privatsektors vor, mit Ausnahme einer außerordentlichen Intervention von Gemeinschaftsmitteln in Höhe von insgesamt 500 Mio. EUR für die ersten Jahre dieser Phase, nach Maßgabe der anstehenden Beschlüsse zur Finanziellen Vorausschau des Gemeinschaftshaushalts 2007-2013.

2.3

Der Ausschuss ist zutiefst besorgt über die Verzögerungen in der Phase der Entwicklung und Bewertung im Orbit und folglich in den nachfolgenden Phasen der kommerziellen Nutzung. Dies führt zu einer Verschiebung, die den allgemeinen Zeitplan für das Vorhaben gefährdet und die Verwirklichung eines außergewöhnlichen Instruments verzögert, das die Zuständigkeiten und Ergebnisse der europäischen Forschung bündelt, um eine erfolgreiche Teilnahme am Weltmarkt für satellitengestützte Radionavigationsprodukte und -dienste zu gewährleisten. Dieser Markt hat 2005 einen Wert von 60 Mrd. EUR erreicht, seine jährliche Wachstumsrate betrug 25 %, und allein in der EU wurden 150.000 Arbeitsplätze, hauptsächlich in den Bereichen Hi-Tech, Forschung und Dienstleistungen, geschaffen.

2.4

Mit noch größerer Sorge sieht der EWSA die derzeitige Ungewissheit über die Modalitäten sowie die rechtlichen, technischen und finanziellen Fragen; diese Besorgnis hat er auch in seiner unlängst vorgelegten Stellungnahme (7) formuliert. Werden diese Unsicherheiten, die sowohl das gemeinsame Unternehmen Galileo/GJU als auch die gemeinsame Aufsichtsbehörde Galileo/GSA betreffen, nicht bis Ende des Jahres 2006 beseitigt, dann drohen sie die ordnungsgemäße Vollendung der einzelnen Phasen zur Gewährleistung des optimalen Betriebs des Systems zu gefährden, das eine grundlegende Rolle für die Verwirklichung einer wettbewerbsfähigeren europäischen Wissensgesellschaft in der Welt spielen kann.

2.5

Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen, dass der Privatsektor unmittelbar mit dem Start des gemeinsamen Unternehmens Galileo in die Entwicklung und den Betrieb des Systems einbezogen werden sollte, um in den einzelnen Umsetzungsphasen eine kontinuierliche Unterstützung sicherzustellen, denn Galileo ist das größte europäische Vorhaben einer öffentlich-privaten Partnerschaft.

2.6

Nach Abschluss der Definitionsphase wurde im Mai 2002 gemäß Artikel 171 des EG-Vertrags durch Verordnung 876/2002/EG das gemeinsame Unternehmen Galileo errichtet und wurden die EU und die ESA (8) als Gründungsmitglieder für einen Zeitraum von vier Jahren bestimmt, um „die einheitliche Verwaltung und finanzielle Kontrolle des Vorhabens in der Forschungs-, der Entwicklungs- und der Demonstrationsphase des Galileo-Programms und die Bereitstellung der dem Programm zugewiesenen Mittel“ zu gewährleisten.

2.7

Das gemeinsame Unternehmen wurde gegründet, um die Entwicklungsphase erfolgreich durchzuführen und die nachfolgenden Phasen des Galileo-Programms vorzubereiten. Seine beiden Hauptaufgaben sind:

die Leitung und Koordinierung der erforderlichen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten über eine Vereinbarung mit der Europäischen Weltraumorganisation, der die Durchführung der einschlägigen Maßnahmen übertragen wurde;

die Leitung des Auswahlverfahrens für den künftigen Konzessionär des Systems.

2.8

In der Entschließung vom 29. Januar 2004 zu dem Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Raumfahrtpolitik (9) hat das Europäische Parlament auch die enorme Bedeutung des Galileo-Programms für die Entwicklung der Industrie, des Verkehrs, des Umweltschutzes und für die Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie unterstrichen und die Kommission und den Rat aufgefordert, eine Aufsichtsbehörde einzurichten und Galileo mit effektiven Strukturen auszustatten, um einen transparenten Betrieb und die Sicherheit des Systems zu gewährleisten (10).

2.9

Die Aufsichtsbehörde (GSA) wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1321/2004 des Rates vom 12. Juli 2004 eingerichtet und ist seit Mitte 2006 in Betrieb, um die Verwaltung der öffentlichen Interessen bezüglich der europäischen Satellitennavigationsprogramme EGNOS und Galileo zu gewährleisten und als Vergabebehörde für den künftigen Konzessionär satellitengestützter Radionavigationsdienste zu fungieren.

2.10

Folglich ermöglicht die aktuelle GSA-Verordnung keine Eingriffe in die Durchführung der Entwicklungsphase oder der Forschungstätigkeiten bzw. -arbeiten zu dieser oder den nachfolgenden Phasen und stellt nicht die für diese Aufgaben notwendigen Human- und Finanzressourcen bereit.

2.11

Des Weiteren sieht die GJU-Verordnung (11) eine Laufzeit von vier Jahren vor, die Mitte 2006 ablief; folglich müsste diese Verordnung verlängert werden, um die Verhandlungen über die Auswahl des künftigen Systemkonzessionärs sowie die gesamte Phase der Entwicklung der Satelliten und der Bodenkomponenten des Systems und dessen Bewertung im Orbit abzuschließen.

2.12

Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen bei der Vollendung des Vorhabens und von Unsicherheiten in den Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren sollte nach Ansicht des Ausschusses eine rasche und transparente Revision der GJU- und der GSA-Verordnung vorgenommen werden, um eine klare Kompetenzübertragung und eindeutige Beziehungen zwischen beiden Einrichtungen zu gewährleisten.

2.13

Der Ausschuss stimmt den Zielen des Kommissionsvorschlags zu, eine Vergeudung von Mitteln und Kompetenzen zu vermeiden, die durch eine Verlängerung der Tätigkeit des gemeinsamen Unternehmens Galileo nach der Einrichtung der gemeinsamen Aufsichtsbehörde Galileo GSA, die bereits Mitte 2006 in Betrieb ging, entstehen würde.

2.14

Der EWSA hält den Vorschlag inhaltlich jedoch für unzureichend, da er auf die Satzung des GJU — im Anhang der Verordnung EG/876/2002 — beschränkt ist und zugleich auch die Verordnung über die GSA überarbeitet werden sollte. Außerdem ist der Ausschuss zu diesem Revisionsvorschlag bislang noch nicht um eine Stellungnahme ersucht worden.

2.15

Nach dem gegenwärtigen Stand des Programms wird die Entwicklungsphase von Galileo nicht vor Ende 2008 abgeschlossen. Erst dann sind die vier Satelliten betriebsbereit, die im Rahmen der „Phase der Bewertung im Orbit“ von der Europäischen Weltraumorganisation gebaut und gestartet werden. Allerdings soll das gemeinsame Unternehmen nach der geltenden Satzung seinen Betrieb erst Ende 2008 einstellen und somit etwa drei Jahre länger als ursprünglich vorgesehen tätig sein.

2.16

Des Weiteren wurde die GSA gegründet, um die Verwaltung der öffentlichen Interessen der europäischen Satellitennavigationsprogramme EGNOS und Galileo zu gewährleisten und als Vergabebehörde für den künftigen Konzessionär der Satellitennavigationsdienste zu fungieren, nicht jedoch, um die Entwicklungsphase oder Forschungstätigkeiten in dieser Phase zu verwalten; auch wurden ihm keine für diese Aufgaben notwendigen Human- und Finanzressourcen bereitgestellt.

2.17

Der Ausschuss stimmt den Ausführungen des Rates zu, wenn er die „Bedeutung der Förderung des Satellitennavigationssystems, um — insbesondere über Forschungstätigkeiten — kommerziellen Erfolg zu erzielen“, hervorhebt. Dem Rat zufolge stammt der Großteil der wirtschaftlichen Gewinne von GALILEO aus „terrestrischen Anwendungen“ (12).

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitrios DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Europäisches Programm für die satellitengestützte Navigation (GALILEO)“, ABl. C 311 vom 7.11.2001, S. 19.

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung des gemeinsamen Unternehmens GALILEO“, ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 42.

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Stand der Durchführung des Forschungsprogramms GALILEO zu Beginn des Jahres 2004“, ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 35.

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich der Umsetzung der Aufbau- und der Betriebsphase des europäischen Satellitennavigationsprogramms“, ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 28.

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Programm GALILEO: Voraussetzungen für eine erfolgreiche Errichtung der europäischen Aufsichtsbehörde“.

(2)  Bis 2020 wird der weltweite Umsatz auf den Galileo-Märkten jährlich schätzungsweise 300 Milliarden Euro betragen, und es werden etwa drei Milliarden Empfangsgeräte in Betrieb sein. Allein in der Europäischen Union werden dadurch voraussichtlich 150.000 Arbeitsplätze entstehen. Vgl. KOM(2006) 272 endg. „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Stand des Programms GALILEO“.

(3)  ABl. L 246 vom 20.07.2004. Die Aufsichtsbehörde nimmt die Interessen der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit den europäischen GNSS-Satellitennavigationsprogrammen und die Aufgaben einer Regulierungsbehörde für diese Programme wahr. Gremien der Aufsichtsbehörde sind der Aufsichtsrat und der Exekutivdirektor. Der Aufsichtsrat setzt sich aus einem von jedem Mitgliedstaat ernannten Vertreter und einem von der Kommission ernannten Vertreter zusammen.

(4)  Eine chinesische Einrichtung, das nationale Fernerkundungszentrum National Remote Sensing Centre of China, und die israelische Handelsgesellschaft MATIMOP gehören dem Verwaltungsrat des gemeinsamen Unternehmens an und verfügen über ein proportional zu ihren Beiträgen gewichtetes Stimmrecht in dessen Verwaltungsrat. Beide haben jeweils einen Beitrag von fünf Mio. Euro zum Unternehmensfonds geleistet.

(5)  Anhang der Verordnung 876/2002.

(6)  Vgl. Schlussfolgerungen des Rates über die Fortschritte des GALILEO-Programms, Luxemburg, 12. Oktober 2006 (Dokument liegt noch nicht auf Deutsch vor).

(7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Programm GALILEO: Voraussetzungen für eine erfolgreiche Errichtung der europäischen Aufsichtsbehörde“, CESE 1179/2006 vom 13.9.2006.

(8)  Europäische Weltraumorganisation (ESA).

(9)  PE T5-0054/2004 vom 29. Januar 2004.

(10)  Aufsichtsbehörde und Sicherheitsvorschriften, Gegenstand von Beschlüssen des Rates vom 12. Juli 2004.

(11)  GJU, Gemeinsames Unternehmen Galileo.

(12)  Vgl. Schlussfolgerungen des Rates über die Fortschritte des GALILEO-Programms, Luxemburg, 12. Oktober 2006 (Dokument liegt noch nicht auf Deutsch vor).


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1321/2004 über die Verwaltungsorgane der europäischen Satellitennavigationsprogramme“

KOM(2006) 261 endg. — 2006/0090 (CNS)

(2006/C 324/18)

Der Rat beschloss am 29. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 171 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft am 25. Oktober 2006 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 25./26. Oktober 2006 (Sitzung vom 26. Oktober), Herrn BUFFETAUT zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 111 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss misst — wie er bereits vielfach bekräftigt hat — dem Erfolg des Programms GALILEO größte Bedeutung bei.

1.2

Wie er schon in seiner Initiativstellungnahme „Programm GALILEO: Voraussetzungen für eine erfolgreiche Errichtung der europäischen Aufsichtsbehörde“ betont hat, muss der Übergang vom gemeinsamen Unternehmen GALILEO auf die GALILEO-Aufsichtsbehörde reibungslos und in einem rechtssicheren Umfeld erfolgen.

1.3

Er stimmt daher dem rechtlichen Ansatz des Rates zu, der darin besteht, die Verordnung (EG) Nr. 1321/2004 über die Verwaltungsorgane der europäischen Satellitennavigationsprogramme zu ändern, um die Fortführung des Programms GALILEO und die ordnungsgemäße Übertragung der Tätigkeiten des gemeinsamen Unternehmens GALILEO auf die Aufsichtsbehörde zu gewährleisten.

1.4

Seines Erachtens wird mit der vorgeschlagenen Änderung von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1321/2004, in dem die Aufgaben der Aufsichtsbehörde festgelegt werden, auf sachdienliche Weise der Notwendigkeit entsprochen, es der Aufsichtsbehörde zu ermöglichen, einerseits den Abschluss der Entwicklungsphase sicherzustellen und andererseits die Forschungsarbeiten durchzuführen, die für die europäischen GNSS-Programme von Nutzen und erforderlich sind.

1.5

Desgleichen ist der Ausschuss der Ansicht, dass mit dem für Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1321/2004 des Rates vorgeschlagenen neuen Wortlaut auf angemessene Weise dem Erfordernis entsprochen wird, für die erforderliche Rechtssicherheit im Bereich des Eigentums zu sorgen, und zwar sowohl im Hinblick auf das System — vor dem Abschluss der Entwicklungsphase — als auch die vor der Auflösung des gemeinsamen Unternehmens sowie in der Entwicklungsphase nach dessen Auflösung geschaffenen oder entwickelten materiellen und immateriellen Güter.

1.6

Er betont, dass — wie auch der Rat unterstreicht — eine unnötige und kostspielige Verdoppelung der Strukturen weitestgehend zu vermeiden und in der Übergangsphase für eine harmonische Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsorganen zu sorgen ist.

1.7

Schließlich begrüßt der EWSA, dass der vorgeschlagene Wortlaut mit den Empfehlungen im Einklang steht, die er in seiner Initiativstellungnahme TEN/246 ausgesprochen hat.

2.   Vorschlag des Rates

2.1

Mit dem Verordnungsvorschlag des Rates sollen die rechtlichen und eigentumsrechtlichen Probleme behoben werden, die sich aufgrund der bestehenden Rechtstexte aus der Auflösung des gemeinsamen Unternehmens vor Abschluss der Entwicklungsphase und der Übernahme seiner Tätigkeit durch die europäische Aufsichtsbehörde hätten ergeben können.

2.2

Um diese Probleme zu vermeiden, wird in dem Verordnungsvorschlag vorgeschlagen, den aktuellen Wortlaut von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1321/2004 zu ergänzen und Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung durch einen neuen Wortlaut zu ersetzen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Zu Beginn des GALILEO-Programms wurden dem gemeinsamen Unternehmen und der europäischen Aufsichtsbehörde unterschiedliche Aufgaben zugewiesen und hierfür unterschiedliche Zeitpläne festgelegt. Angesichts des ca. zweijährigen Verzugs in der Entwicklungsphase und der Verzögerungen bei der tatsächlichen Errichtung der europäischen Aufsichtsbehörde hat es sich nun aus wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Gründen als notwendig erwiesen, der Aufsichtsbehörde ein Eingreifen in die Entwicklungsphase zu gestatten und das gemeinsame Unternehmen aufzulösen. Natürlich macht dies eine Änderung des geltenden Rechts, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 1321/2004 erforderlich.

3.2

In der unvermeidbaren Übergangsphase müssen diese beiden Einrichtungen eng zusammenzuarbeiten, um eine harmonische Übertragung der Tätigkeiten zu ermöglichen.

3.3

Die Übertragung von Tätigkeiten und Know-how kann nur dann ordnungsgemäß vonstatten gehen, wenn der rechtliche Rahmen eindeutig festgelegt und die Rechtssicherheit gewährleistet ist.

3.4

Mit dem Verordnungsvorschlag soll hinsichtlich der folgenden wesentlichen Aspekte eben dieser Rechtsrahmen geschaffen und diese Rechtssicherheit gewährleistet werden:

Übernahme der Tätigkeiten des gemeinsamen Unternehmens in der Entwicklungsphase, für die die europäische Aufsichtsbehörde derzeit nicht zuständig ist;

Möglichkeit der europäischen Aufsichtsbehörde, Forschungsarbeiten durchzuführen;

Lösung des Problems der auf die europäische Aufsichtsbehörde zu übertragenden Eigentumsrechte am System und an den materiellen und immateriellen Gütern.

3.5

Der Verordnungsvorschlag wird diesen Erfordernissen gerecht, und es ist zu begrüßen, dass der Rat deutlich seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht hat, jegliche Verdoppelung der Strukturen, die ebenso unnötig wie kostspielig wäre, zu vermeiden.

3.6

In rechtlicher Hinsicht sollte sich der Rat in einem weiter gefassten, nicht unmittelbar mit der vorliegenden Verordnung in Verbindung stehenden Zusammenhang mit der Frage der internationalen Haftung der Startstaaten für die Satelliten der GALILEO-Konstellation befassen.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste“

KOM(2006) 382 endg. — 2006/0133 (COD)

(2006/C 324/19)

Der Rat beschloss am 4. September 2006 gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beschloss am 12. September 2006, die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit den Vorarbeiten zu dieser Stellungnahme zu beauftragen.

In Anbetracht der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 Herrn HERNÁNDEZ BATALLER zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 131 gegen 7 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Fazit und Empfehlungen

1.1

Die Kommission hat angesichts der hohen Preise, welche die Verbraucher für Mobiltelefongespräche im „Auslandsroaming“ entrichten müssen, einen Verordnungsvorschlag vorgelegt und darin eine Reihe von Kriterien festgelegt, welche der Ausschuss befürwortet. Der Vorschlag der Kommission dient der Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage für ein derartiges abgestimmtes Eingreifen, das die Vollendung des Binnenmarktes im Bereich der elektronischen Kommunikation voranbringen soll und den Bürger in den Mittelpunkt der Gemeinschaftspolitik stellt.

1.2

Der Vorschlag ist notwendig und angemessen und sorgt für einen hohen Verbraucherschutz, wobei insbesondere das Informationsrecht der Verbraucher durch Maßnahmen für mehr Transparenz und der Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen verbessert wird und für die Erbringung von Roamingdiensten für Sprachanrufe zwischen den Mitgliedstaaten sowohl auf Endkunden- als auch auf Großkundenebene Preisobergrenzen vorgeschrieben werden.

1.3

Die Kommission sollte nach Ansicht des Ausschusses bei der Überprüfung der Funktionsweise der Verordnungen ihre weiteren Vorschläge vorzugsweise an dem Calling-Party-Pays-Prinzip (Anrufer zahlt für den Anruf) ausrichten und dafür Sorge tragen, dass die Preise, die die Kunden für das Auslandsroaming zahlen, weitgehend den Preisen für Anrufe im Heimatnetz entsprechen (Inlandspreisprinzip).

2.   Einleitung

2.1

Mit der zunehmenden Mobilität der Unionsbürger über die Grenzen ihrer Heimatländer hinaus und insbesondere innerhalb der EU wächst zugleich die Notwendigkeit, Telefongespräche über die immer stärker verbreiteten Mobiltelefone zu ermöglichen. Die Möglichkeit, dass die Nutzer von Mobiltelefonen aufgrund von Vereinbarungen zwischen den Netzbetreibern in den einzelnen Ländern auch auf Auslandsreisen Anrufe tätigen und annehmen können, wird in diesem Zusammenhang als „Roaming“ bezeichnet.

2.1.1

Es handelt sich somit um Dienstleistungen, die ein Mobilfunknetzbetreiber in einem Mitgliedstaat (besuchtes Netz) für einen Mobilfunknetzbetreiber in einem anderen Land (Heimatnetz) erbringt. Der entsprechende Markt umfasst im Wesentlichen folgende Dienstleistungen:

Diensterbringung für Mobilfunkbetreiber eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats, dessen Netz von einem mobilen Standort aus angerufen wird;

Diensterbringung für Mobilfunkbetreiber eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats, aus dessen Netz von einem mobilen Standort aus angerufen wird;

Diensterbringung für Mobilfunkbetreiber innerhalb des gleichen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats, aus dessen Netz von einem mobilen Standort aus Daten übertragen werden;

Diensterbringung für Mobilfunkbetreiber innerhalb des gleichen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats als Transitland, über dessen Netz sowohl Telefongespräche als auch Datenübertragung an Nutzer von Mobilfunknetzen oder Festnetzen im In- und Ausland übertragen werden.

2.1.2

Man geht davon aus, dass fast 150 Mio. europäische Bürger diese Dienste bereits auf Urlaubsreisen und vor allem im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit (drei Viertel des Gesamtvolumens) nutzen.

2.2

Das Roaming bringt den Bürgern zweifellos soziale und wirtschaftliche Vorteile, zieht aber aufgrund seiner weit über den Gebühren für Inlandsgespräche liegenden Preise immer wieder die Kritik der Nutzer, Verbraucherverbände, Regulierungsbehörden und politischen Verantwortlichen auf sich. Die Kritik geht dahin, dass es in Bezug auf das Roaming kaum eine Preistransparenz für den Endkunden gibt, der Preis ausgehend von den tatsächlichen Kosten der Erbringung dieser Dienste kaum gerechtfertigt ist und es zudem große Preisunterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Netzbetreibern gibt. Insgesamt schwankt der Preis zwischen 0,20 EUR, die ein finnischer Nutzer zahlt, der von Schweden aus nach Hause anruft, und 13,05 EUR für einen Anruf eines Maltesers aus Lettland in seine Heimat. Verschiedenen EU-weiten Branchenuntersuchungen für diese Dienstleistungen zufolge nehmen die Telefongesellschaften jährlich 8,5 Mrd. EUR für Roamingdienste in der EU ein, was drei bis sieben Prozent ihres Gesamtumsatzes ausmacht, wobei diese Ziffer noch steigt.

2.3

Die Kommission hat seit Ende der 90er Jahre ihre Besorgnis angesichts der hohen Roamingpreise für Mobilfunkkunden auf Reisen innerhalb Europas mit mehreren Initiativen zum Ausdruck gebracht:

Mitte 1999 führte die Kommission eine Branchenuntersuchung in Bezug auf nationale und internationale Roamingdienste durch und leitete daraufhin gegen einige Mobilfunkbetreiber im Vereinigten Königreich und in Deutschland Verfahren wegen Verstoßes gegen die geltenden Vorschriften ein.

Nachdem 2002 der europäische Rechtsrahmen für die elektronische Kommunikation (1) verabschiedet wurde, führte die Kommission in ihrer Empfehlung vom 11. Februar 2003 (2) über relevante Produkt- und Dienstmärkte des elektronischen Kommunikationssektors den nationalen Großkundenmarkt für das Auslandsroaming in öffentlichen Mobilfunknetzen als einen der Dienste für die Vorabregulierung auf.

Im Mai 2005 stellte die Gruppe Europäischer Regulierungsstellen (ERG) (3) fest, dass die Endkundentarife ohne klare Rechtfertigung sehr hoch waren, was anscheinend auf hohe Großkundenentgelte der ausländischen Netzbetreiber, in vielen Fällen aber auch auf hohe Endkundenaufschläge des Heimatanbieters des Kunden zurückzuführen war, sowie dass geringere Großkundenentgelte oft nicht an den Endkunden weitergegeben wurden und dass den Verbrauchern häufig keine klaren Informationen über die Roamingtarife zur Verfügung standen.

Im Oktober 2005 machte die Kommission erneut auf das Problem der hohen Auslandsroamingentgelte und die mangelnde Preistransparenz aufmerksam und veröffentlichte im Internet eine Website zur Verbraucherinformation, mit der sie nicht nur verdeutlichte, dass die Entgelte in vielen Fällen offensichtlich überhöht sind, sondern auch zeigte, dass es in der Gemeinschaft große Preisunterschiede gibt, die sich für gleichartige Anrufe nicht rechtfertigen lassen.

Das Europäische Parlament begrüßte am 1. Dezember 2005 in seiner Entschließung zu den europäischen Vorschriften und Märkten im Bereich der elektronischen Kommunikation 2004 (4) die Initiative der Kommission für mehr Transparenz beim Auslandsroaming und forderte die Kommission auf, neue Initiativen zu entwickeln, um die hohen Gebühren beim grenzüberschreitenden Mobiltelefonverkehr zu senken.

Im Dezember 2005 teilte die Gruppe Europäischer Regulierungsstellen der Europäischen Kommission ihre Bedenken mit, dass die von den nationalen Regulierungsbehörden (NRB) getroffenen Maßnahmen das Problem der hohen Preise nicht lösen würden und merkte dazu an, dass das Roaming ein Ausnahmefall sei, bei dem das offensichtliche Problem der Verbraucherbenachteiligung nicht vorbeugend durch die Anwendung des Rechtsrahmens zu lösen sei.

Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, zur Verwirklichung der in der erneuerten Lissabon-Strategie (5) für das Wirtschaftswachstum und die Produktivitätssteigerung gesetzten Ziele auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene eine gezielte, wirksame und integrierte Politik hinsichtlich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu verfolgen, wies der Europäische Rat im März 2006 in seinen Schlussfolgerungen auf die große Bedeutung hin, die der Senkung der Roaminggebühren für den Wettbewerb zukommt.

2.4

Trotz des eindeutigen Befunds der vorgebrachten Kritik, der Initiativen der europäischen Institutionen, der von einigen Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen und selbst der von bestimmten Betreibern vorgenommenen Gebührensenkungen konnten bislang keine Maßnahmen ergriffen werden, um in abgestimmter Weise eine wesentliche Senkung der Mobilfunk-Roamingentgelte in der Gemeinschaft zu erreichen.

2.5

Schließlich hat die Kommission nach einer Prüfung der verschiedenen Rechtsetzungsoptionen und ihrer Konsequenzen am 12. Juli 2006 einen Vorschlag für eine Verordnung über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft vorgelegt, mit der sowohl das Entgelt, das die Netzbetreiber für die Abwicklung von Telefongesprächen im Mobilfunknetz voneinander verlangen können, als auch der Endkundenpreis für im Ausland (allerdings nur innerhalb der EU) getätigte und angenommene Mobilfunk-Telefongespräche begrenzt werden. Mit dieser Verordnung soll die Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste geändert werden.

3.   Der Kommissionsvorschlag

3.1

Mit ihrem Vorschlag für eine Verordnung strebt die Kommission die Schaffung einer einheitlichen, objektiven, kohärenten und angemessenen Rechtsgrundlage an, mit der die Vollendung des Binnenmarktes im Bereich der elektronischen Kommunikation vorangebracht werden soll, die im Einklang mit der erneuerten Lissabon-Strategie zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung durch die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit steht und die der damit verbundenen i2010-Initiative der Kommission gerecht wird.

3.2

Auf dieser Rechtsgrundlage könnten den terrestrischen Mobilfunknetzbetreibern in der Gemeinschaft Höchstentgelte pro Minute für die Erbringung von Roamingdiensten für Sprachanrufe zwischen den Mitgliedstaaten sowohl auf Endkunden- als auch auf Großkundenebene vorgeschrieben werden. Die Preisobergrenzen sollten den verschiedenen Kostenelementen, die bei der Abwicklung eines ausgehenden Auslandsroaminganrufs eine Rolle spielen (einschließlich Gemeinkosten, Signalisierung, Verbindungsaufbau, Transit und Anrufzustellung) sowie den Unterschieden bei den tatsächlichen Kosten der Erbringung dieser Dienste Rechnung tragen.

3.3

Mit dem „europäischen Heimatmarktkonzept“ soll ein hoher Verbraucherschutz für Nutzer öffentlicher Mobilfunknetze auf Reisen innerhalb der Gemeinschaft als auch ein wirksamer Wettbewerb zwischen den verschiedenen Mobilfunkbetreibern erreicht werden, die ihre Angebote differenziert gestalten und ihre Preisstruktur entsprechend den Marktbedingungen und den Wünschen der Kunden anpassen können.

3.4

Im Hinblick auf die zu zahlenden Entgelte werden dabei folgende Preisbeschränkungen festgelegt:

Die Preise auf Großkundenebene für Inlandsgespräche innerhalb des besuchten Landes dürfen das Zweifache des durchschnittlichen Zustellungsentgelts der Mobilfunkbetreiber mit beträchtlicher Marktmacht nicht übersteigen. Das durchschnittliche Mobilfunk-Zustellungsentgelt gilt als verlässlicher Vergleichsmaßstab für die hauptsächlichen Kostenbestandteile auf Großkundenebene, denn diese Zustellungsentgelte unterliegen bereits der Regulierungsaufsicht entsprechend dem gemeinsamen Rechtsrahmen für die elektronische Kommunikation von 2002 und werden daher nach dem Grundsatz der Kostenorientierung festgelegt.

Für Auslandsgespräche zurück in das Heimatland oder in ein Drittland innerhalb der Gemeinschaft darf der Preis das Dreifache des oben genannten durchschnittlichen Zustellungsentgelts nicht übersteigen.

Auf der Endkundenebene wird die Preisobergrenze für die gleiche Art von Roaminganrufen in Höhe von 130 % der geltenden Obergrenze für Großkunden festgesetzt, wobei alle mit der Abwicklung regulierter Roaminganrufe verbundenen Festbestandteile, wie einmalige Entgelte oder Freischaltungsentgelte darin enthalten sind, nicht aber die Mehrwertsteuer. Die Preisobergrenzen der Endkundenentgelte für ausgehende regulierte Roaminganrufe werden sechs Monate nach dem Inkrafttreten der vorgeschlagenen Verordnung rechtsverbindlich, damit die Netzbetreiber die notwendigen Anpassungen vornehmen können.

Der Vorschlag sieht überdies Preisobergrenzen in Höhe von 130 % des oben genannten durchschnittlichen Zustellungsentgelts für die Gebühren vor, die Roamingkunden für die Annahme von Anrufen auf Auslandsreisen in der Gemeinschaft berechnet werden, wobei alle mit der Abwicklung regulierter Roaminganrufe verbundenen Festbestandteile, wie einmalige Entgelte oder Freischaltungsentgelte darin enthalten sind, nicht aber die Mehrwertsteuer.

3.5

Gegenstand des Vorschlags ist auch die Preistransparenz, weshalb für die Mobilfunkanbieter die Verpflichtung eingeführt wird, ihren Roamingkunden auf Anfrage persönliche Informationen über Endkunden-Roamingentgelte zur Verfügung zu stellen. Die Kunden können wählen, ob sie diese kostenlosen Informationen per Kurznachricht (SMS) oder fernmündlich über ihr Mobiltelefon erhalten möchten. Zusätzlich müssen die Mobilfunkanbieter ihre Kunden bereits bei Vertragsabschluss über die Roamingentgelte informieren, sie regelmäßig darüber auf dem Laufenden halten und ihnen wesentliche Änderungen mitteilen.

3.6

Die Preisvorschriften dieser Verordnung sollen unabhängig davon gelten, ob ein Roamingkunde bei seinem Heimatanbieter eine vorausbezahlte Karte erworben oder einen Vertrag mit nachträglicher Abrechnung geschlossen hat, damit alle Mobiltelefonnutzer in den Genuss dieser Bestimmungen kommen.

3.7

In dem Vorschlag wird den nationalen Regulierungsbehörden die Befugnis übertragen, diese Bestimmungen entsprechend ihrer derzeitigen Rolle innerhalb des gemeinsamen Rechtsrahmens für die elektronische Kommunikation durchzusetzen. Sie sind nicht nur für die Übermittlung des regelmäßig von der Kommission veröffentlichten durchschnittlichen Zustellungsentgelts der Mobilfunkbetreiber zuständig, sondern auch damit beauftragt, die Entwicklung der Großkunden- und Endkundenentgelte für die Erbringung von Sprach- und Datenkommunikationsdiensten für Roamingkunden, einschließlich der Übermittlung von Kurznachrichten (SMS) und multimedialen Nachrichten (MMS), insbesondere auch in den Gebieten in äußerster Randlage der Gemeinschaft zu beobachten. Dies dient sowohl der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Kostendeckung für die Netzbetreiber als auch der Verhängung von Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung.

3.8

Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (6) beschlossen werden. Der Zeitraum nach Artikel 5 Absatz 6 des Beschlusses 1999/468/EG wird auf drei Monate festgesetzt. Die Kommission wird von dem mit Artikel 22 der Richtlinie 2002/21/EG eingesetzten Kommunikationsausschuss unterstützt.

3.9

Der Vorschlag sieht eine Überprüfung der Verordnung nach zwei Jahren vor. Das bedeutet, dass die Kommission nach den Grundsätzen einer besseren Rechtsetzung die Aufhebung der Verordnung erwägen wird, wenn sich herausstellen sollte, dass sie aufgrund der Marktentwicklung nicht mehr notwendig ist.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss begrüßt die Anstrengungen der Kommission zur Schaffung einer Rechtsgrundlage für wirksame Maßnahmen, um eine Senkung der Mobilfunk-Roamingentgelte in der Gemeinschaft zu erreichen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Kommission von einer bis zu 70 %igen Senkung der Roaminggebühren mit Einsparungen für die Verbraucher in Höhe von 5 Mrd. EUR ausgeht.

4.1.1

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen zu einem hohen Verbraucherschutz beitragen, und zwar sowohl im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher — Senkung der Roaminggebühren — als auch im Hinblick auf eine bessere Preistransparenz — Stärkung des Informationsrechts der Verbraucher. Der Ausschuss befürwortet somit die Überlegungen, die die Kommission zur Vorlage dieses Vorschlags veranlasst haben, welcher seine Unterstützung findet.

4.2

Angesichts der Vorbehalte bestimmter Regulierungsbehörden und auch Mobilfunkbetreiber ist sich der Ausschuss durchaus der Schwierigkeit bewusst, diese Maßnahmen zur Verbilligung der Roamingpreise einvernehmlich festzulegen. Im Wesentlichen wurde von den Beteiligten bemängelt, dass die Kommissionsinitiative in ihrem Regulierungsteil zu weit gehe; dass die beteiligten Akteure nicht ausreichend konsultiert worden seien; dass die Vorschriften unmittelbar und sehr kurzfristig in Kraft treten sollen, ohne dass sich die Unternehmen daran anpassen können; dass den Unternehmen der Branche die Gelegenheit zur Selbstregulierung gegeben werden müsse; dass nur die Endkundenpreise, nicht aber die Großkundenpreise Gegenstand einer Regulierung sein sollten; dass diese Initiative möglicherweise Nachteile insbesondere für die Mobilfunkbetreiber in den Hauptreiseländern bringe bzw. dass sie den unerwünschten Effekt haben könne, dass die Preise für andere Telekommunikationsdienste steigen; und dass die künftigen Investitionen für den Ausbau der elektronischen Kommunikation (Mobilfunktechnik der dritten Generation — 3G, Breitband usw.) gefährdet werden.

4.3

Dem kann man die hohen Einnahmen der Mobilfunkbetreiber entgegenhalten, deren wirtschaftliche Lebensfähigkeit auch nach dieser Senkung der Roamingpreise gesichert ist, wie selbst die Diensteanbieter in Branchenuntersuchungen einräumen.

4.3.1

Im Hinblick auf die geeignete Form der Regulierung muss festgestellt werden, dass zwar bestimmte Mobilfunkbetreiber Anstrengungen zur Senkung ihrer Roamingpreise unternommen haben, die Erfahrung jedoch zeigt, dass diese Initiativen eine Lösung des Problems in dem erforderlichen Tempo und mit der notwendigen angemessenen Einheitlichkeit nicht sicherstellen können.

4.3.2

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass eine Verordnung erlassen werden muss, da diese in den Mitgliedstaaten unmittelbar gilt. Eine Verordnung ist in diesem Fall der reinen Selbstregulierung des Marktes und den möglichen Regulierungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten vorzuziehen, da es sich um ein grenzüberschreitendes Problem handelt, bei dem den einzelstaatlichen Regulierungsbehörden die Hände gebunden sind.

4.4

Die Möglichkeit, in der Zukunft virtuelle Mobilfunkbetreiber zu gründen, zeigt die Gefahren auf, wenn in einzelnen Gebieten innerhalb der EU unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden, da diese Unterschiede später die Gesamtentwicklung der elektronischen Kommunikation in ganz Europa gefährden könnten.

4.5

Neben den bisherigen Bemerkungen bedauert der EWSA, dass die Maßnahmen der Kommission gegen die überteuerten Roamingpreise der Betreiber letztendlich weit unter den Erwartungen der Verbraucher geblieben sind und auch hinter den ursprünglich von der Kommission angestrebten Maßnahmen zurückstehen.

4.6

Nach Ansicht des Ausschusses sollte als Ziel die völlige Abschaffung der Preisunterschiede zwischen den einzelnen am Roaming teilnehmenden Mitgliedstaaten — unbeschadet des Wettbewerbs zwischen den Angeboten der einzelnen Betreiber — angestrebt werden. Das bedeutet, dass die Kunden unabhängig von ihrem Aufenthaltsort den gleichen Preis zahlen wie in ihrem Heimatland („europäisches Heimatmarktkonzept“). Mit diesem Verordnungsvorschlag jedenfalls wird dieses Ziel der Gleichstellung von Inlandspreisen und Roamingpreisen trotz Senkung der Entgelte nicht erreicht.

4.7

Im Hinblick auf die Gebühren für den angerufenen Roamingkunden werden in dem Verordnungsvorschlag zwar Obergrenzen festgelegt, diese Gebühren werden jedoch nicht grundsätzlich abgeschafft, wie Großkunden und Verbraucher seit langem fordern und die Kommission auch ursprünglich geplant hatte. Nach Ansicht des Ausschusses wäre es zweckmäßiger, in Zukunft eine Einführung des Calling-Party-Pays-Prinzips (Anrufer zahlt für den Anruf) anzustreben, da es besser dem Billigkeitsgrundsatz entspricht.

4.8

Der EWSA bedauert, dass die Kommission nicht die möglichen sozialen Folgen dieser Maßnahme für die Beschäftigung berücksichtigt hat, und hofft dass ihre Umsetzung weder mit Einbußen bei den Arbeitsplätzen noch mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Branche verbunden ist, sondern vielmehr an den in der Europäischen Sozialpolitischen Agenda (7) enthaltenen Erwartungen festgehalten werden kann.

4.8.1

Der Zeitraum von sechs Monaten, um den das Inkrafttreten der Preisobergrenzen für Endkunden, das heißt, für die Verbraucher, herausgezögert wird, ist nach Auffassung des Ausschusses zu lang. Die Mobilfunkbetreiber können sich ohne Probleme an die neue Situation anpassen, weshalb diese Verzögerung wegfallen sollte.

4.8.2

Es wäre jedoch angemessen, wenn in dem Verordnungsvorschlag Übergangsregelungen für diesen Zeitraum von sechs Monaten vorgesehen würden, mit entsprechenden Abhilfemaßnahmen für Mobilfunkbetreiber insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten, bei denen es aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung zu einseitigen Belastungen kommt. Natürlich vorausgesetzt, dass die Verbraucher dieser Mitgliedstaaten durch diese Übergangsregelungen nicht diskriminiert werden.

4.9

Der Ausschuss hofft, dass es mit der Anwendung der Verordnung zu keiner Anpassung der Mobilfunkgebühren kommt, in deren Zuge gewisse Betreiber unter Berufung auf bestimmte Umstände versuchen, ihre Kosten durch Erhöhung der Einnahmen für andere Dienstleistungen zu decken. Aus diesem Grund muss darauf geachtet werden, dass die Mechanismen zur Preisfestsetzung auf Großkunden- und Endkundenebene eine völlige Deckung sämtlicher Kosten der Dienstleistung sicherstellen.

4.9.1

In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der elektronischen Kommunikation um einen sehr dynamischen Markt handelt, schließt sich der Ausschuss dem Vorschlag der Kommission an, die Anwendung dieser Verordnung spätestens zwei Jahre nach deren Inkrafttreten zu überprüfen, wobei in dem entsprechenden Bericht die Notwendigkeit der weiteren Regulierung oder die Möglichkeit der Aufhebung in Anbetracht der Marktentwicklung und der Wettbewerbssituation begründet werden muss.

4.9.2

Bei dieser Überprüfung der Anwendung der Verordnung müssen auch deren Auswirkungen auf die Beschäftigung, die Arbeitsbedingungen und die Investitionen der Betreiber untersucht und die entsprechenden Schlüsse daraus gezogen werden.

4.10

Überdies vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die Festlegung dieses neuen Regulierungsrahmens die Gelegenheit bietet, über die überteuerten Roamingpreise hinaus auch andere Probleme im Zusammenhang mit dem Roaming zu lösen, wie zum Beispiel die ebenso missbräuchliche Praxis der Aktivierung des Roamingdienstes in Grenzgebieten zwischen zwei Mitgliedstaaten.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Richtlinie 2002/21/EG vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. L 108 vom 24.4.2002, S. 33). Gleichen Datums sind die Richtlinie 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie) (ABl. L 108 vom 24.4.2002, S. 7), die Richtlinie 2002/20/EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikations-netze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie) (ABl. L 108 vom 24.4.2002, S. 21) und die Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) (ABl. L 108 vom 24.4.2002, S. 51). Außerdem ist die Richtlinie 2002/58/EG vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (ABl. L 201 vom 31.7.2002, S. 37) zu nennen.

(2)  Empfehlung der Kommission vom 11. Februar 2003 über relevante Produkt- und Dienstmärkte des elektronischen Kommunikationssektors, die aufgrund der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste für eine Vorabregulierung in Betracht kommen — C(2003) 497 (ABl. L 114 vom 8.5.2003, S. 45). Darin sind 18 Märkte aufgeführt, die als in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts definierte Märkte gelten.

(3)  Beschluss 2002/627/EG der Kommission vom 29. Juli 2002 zur Einrichtung der Gruppe Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (ABl. L 200 vom 30.7.2002, S. 38), geändert durch den Beschluss 2004/641/EG der Kommission vom 14. September 2004 (ABl. L 293 vom 16.9.2004, S. 30).

(4)  Entschließung des Europäischen Parlaments 2005/2052 (INI).

(5)  Mitteilung für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates — Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze — Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon — KOM(2005) 24 vom 2.2.2005 — und Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes von der Tagung des Europäischen Rates am 22./23. März 2005.

(6)  ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

(7)  KOM(2005) 33 endg., Mitteilung der Kommission — Sozialpolitische Agenda.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Abbau von Grenzkontrollen der Mitgliedstaaten im Straßen- und Binnenschiffsverkehr“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2006) 432 endg. — 2006/0146 (COD)

(2006/C 324/20)

Der Rat beschloss am 27. September 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft am 12. September 2006 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 Herrn SIMONS zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 133 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss begrüßt die Bedeutung, die der Vorsitz des Europäischen Rates der Kodifizierung beimisst, da hierdurch Rechtssicherheit in Bezug auf die Frage, welches Recht zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einen spezifischen Gegenstand anwendbar ist, geschaffen und das Gemeinschaftsrecht für den EU-Bürger besser verständlich und zugänglicher wird.

1.2

Mit dem vorliegenden Vorschlag sollen die Verordnung (EWG) Nr. 4060/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über den Abbau von Grenzkontrollen der Mitgliedstaaten im Straßen- und Binnenschiffsverkehr und die an diesem Rechtsakt mit der Verordnung 3356/91 angebrachten Änderungen kodifiziert werden. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass erwogen werden sollte, ob und inwieweit Rechtsvorschriften zu anderen Verkehrsarten, wie z.B. Schiene, intermodaler Verkehr, Kurzstreckenseeverkehr und Luftfahrt, in den vorliegenden Kodifizierungsvorschlag einbezogen werden sollten.

1.3

Der Ausschuss stimmt dem Vorschlag für eine kodifizierte Fassung unter dem Vorbehalt zu, dass der Inhalt der zu kodifizierenden Beschlüsse unverändert bleibt, so dass sich die Anpassungen auf Zusammenfügungen und rein formale, für die Kodifizierung erforderliche Änderungen beschränken.

1.4

Aufgrund der Bedeutung des Zugangs zu einem transparenten Gemeinschaftsrecht für die Bürger der Europäischen Union fordert der Ausschuss die Kommission auf, die Möglichkeiten für weitere Kodifizierungen von Rechtsakten zu prüfen.

1.5

Stichproben, Prüfungen und Untersuchungen, die durchgeführt werden, sollten von den Mitgliedstaaten untereinander abgestimmt bzw. die Ergebnisse im Sinne eines ungehinderten Transportverlauf gegenseitig ausgetauscht werden, um zu verhindern, dass jedes Land erneut eine Untersuchung oder Kontrolle durchführt. Im Binnenschiffsverkehr dürfte dies über die Binnenschifffahrtsinformationsdienste (RIS) unproblematisch zu bewerkstelligen sein.

2.   Einleitung

2.1

In einem Europa mit einem umfangreichen Gemeinschaftsrecht, dessen geltende Rechtsvorschriften häufig geändert werden, fällt es dem Bürger schwer, den Überblick zu behalten, da es vielfach zu einer Fragmentierung von Regelwerken kommt.

2.2

Die Europäische Kommission bezeichnet die Vereinfachung und Verdeutlichung des Gemeinschaftsrechts als ein großes Anliegen, damit dieses für den Bürger besser zugänglich wird.

2.3

Die Kommission hat daher ihre Dienststellen angewiesen, alle Rechtsakte spätestens nach der zehnten Änderung zu kodifizieren.

2.4

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Edinburgh im Dezember 1992 wurde die Bedeutung der Kodifizierung unterstrichen, da hierdurch deutlich gemacht wird, welches Recht zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einen spezifischen Gegenstand anwendbar ist und sie somit für mehr Transparenz sorgt.

2.5

Da an den zu kodifizierenden Rechtsakten keine materiell-inhaltlichen Änderungen vorgenommen werden dürfen, haben sich das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission in der Interinstitutionellen Vereinbarung vom 20. Dezember 1994 auf ein beschleunigtes Verfahren für die rasche Annahme kodifizierter Rechtsakte geeinigt.

2.6

Mit dem vorliegenden Vorschlag soll die Verordnung (EWG) Nr. 4060/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über den Abbau von Grenzkontrollen der Mitgliedstaaten im Straßen- und Binnenschiffsverkehr kodifiziert werden. Die neue Verordnung integriert die Verordnung (EWG) Nr. 4060/89 sowie die verschiedenen Änderungsrechtsakte.

2.7

Der Vorschlag der Kommission behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen, wobei nur insoweit formale Änderungen vorgenommen werden, als diese aufgrund der Kodifizierung selbst erforderlich sind.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss stellt fest, dass sich der Kommissionsvorschlag nur auf die Kodifizierung der Verordnung (EWG) Nr. 4060/89 bezieht, den Abbau von Grenzkontrollen der Mitgliedstaaten im Straßen- und Binnenschiffsverkehr, und nicht auf andere Verkehrsarten, wie z.B. Schiene, intermodaler Verkehr, Kurzstreckenseeverkehr und Luftfahrt. Auch bei diesen Verkehrsarten gibt es noch immer Grenzkontrollen. Nach Ansicht des Ausschusses sollten auch diese Verkehrsarten in die Überlegungen einbezogen werden.

3.2

Der Ausschuss betont, dass die Verordnung (EWG) Nr. 4060/89 und der Kodifizierungsvorschlag den Abbau systematischer Kontrollen an den Grenzen der Mitgliedstaaten betreffen. Die Möglichkeit, dass diese nur im Rahmen der im gesamten Gebiet eines Mitgliedstaats ohne Diskriminierung durchgeführten üblichen Kontrollen stattfinden, bleibt uneingeschränkt bestehen, wie auch in Artikel 3 der vorgeschlagenen Verordnung festgehalten ist.

3.3

Nach Ansicht des Ausschusses ist die Initiative der Kommission zur Vorlage dieses Kodifizierungsvorschlags zu begrüßen. Je transparenter das Gemeinschaftsrecht für die EU-Bürger wird, desto besser. Der Ausschuss fordert die Kommission daher auch auf, nach weiteren Möglichkeiten für die Kodifizierung von Rechtsakten zu suchen.

3.4

Zwar können die Mitgliedstaaten laut Erwägungsgrund 4 des Vorschlags die Stichproben, Prüfungen und Untersuchungen nach den geltenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft dort planen und vornehmen, wo sie dies wünschen, doch sollten diese im Sinne eines ungehinderten Transportverlaufs untereinander abgestimmt werden bzw. zumindest gegenseitig ausgetauscht werden, um zu verhindern, dass jedes Land erneut eine Untersuchung oder Kontrolle durchführt. Im Binnenschiffsverkehr dürfte dies über die Binnenschifffahrtsinformationsdienste (RIS) unproblematisch zu bewerkstelligen sein.

4.   Besondere Bemerkungen

Keine.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Economic Governance — Bedingungen für eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitiken in Europa“

(2006/C 324/21)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Januar 2006, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Economic Governance — Bedingungen für eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitiken in Europa“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. September 2006 an. Berichterstatter war Herr NYBERG.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 86 gegen 9 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Zusammenfassung und Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich dafür entschieden, in der diesjährigen Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik nicht auf die Grundzüge der Wirtschaftspolitik für den dreijährigen Zeitraum einzugehen, sondern sich statt dessen mit den formalen Grundlagen der Grundzüge zu befassen. Das Fundament für die Gemeinschaftspolitik in geld- und finanzpolitischen Fragen liegt in den in Maastricht angenommenen Vertragsbestimmungen über die Gemeinschaftswährung, im Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie in den Vertragsbestimmungen über die wirtschaftspolitischen Grundzüge. Es geht darum, zu Bestimmungen zu gelangen, die möglichst positive Auswirkungen auf die übergreifenden Ziele in puncto Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung haben.

Um zu vermeiden, dass eines der beiden wirtschaftspolitischen Aktionsfelder das andere allzu sehr dominiert, sollten die EZB und der Rat „Wirtschaft und Finanzen“ (Ecofin) von denselben politischen Zielsetzungen ausgehen. Es ist besonders wichtig, dass die Mitglieder der Eurogruppe im Ecofin-Rat und die EZB denselben Ansatz verfolgen.

Die Stellungnahme ist in verschiedene Themenbereiche untergliedert: Geldpolitik, Stabilitäts- und Wachstumspakt, Grundzüge der Wirtschaftspolitik, Lohnbildung und Zusammenhang zwischen Inflation und Wachstum. In den Empfehlungen des Ausschusses soll indes auch aufgezeigt werden, welche Aktivitäten von den verschiedenen Akteuren — Rat „Wirtschaft und Finanzen“, EZB, Kommission und Sozialpartner — erwartet werden.

EZB

Das Ziel der Preisstabilität sollte als symmetrisches Ziel, z.B. 2 % +/- einem Prozentpunkt neu festgelegt werden. Ein solches Ziel mit einem Mittelwert erleichtert es, die genaue Distanz zum Zielwert abzuschätzen und kann auch von Bedeutung sein, will man der EZB ein Gegensteuern bei Veränderungen der Preisstabilität infolge sinkender bzw. steigender Nachfrage ermöglichen.

Für eine Politik, die stärker auf den Zusammenhang zwischen geldpolitischen und finanzpolitischen Maßnahmen achtet, bietet sich die Kerninflation als das anzuwendende Maß an. Dabei bleiben Preisveränderungen, die die EZB nicht zu beeinflussen vermag und zufällig sein können, unberücksichtigt. Dieser Inflationsbegriff ist zur Messung der Veränderungen der Preistrends besser geeignet. Außerdem sollte die EZB bei ihrer Bewertung der Preisentwicklung darauf achten, ob diese auf Steueränderungen basiert.

Die Forderung nach Preisstabilität der Bewerber für den Beitritt zur Gemeinschaftswährung muss einer Überprüfung unterzogen werden. Dies macht eine formelle Änderung des Vertrags erforderlich. Im Hinblick auf die Tatsache, dass eine solche Änderung nicht einmal im Verfassungsvertrag zu finden ist, sollte aber eine flexible Interpretation des Vertrags erfolgen, bei der der hinter der Forderung liegende Zweck und nicht der momentane Ist-Zustand für einen eventuellen Beitritt zur Gemeinschaftswährung entscheidend ist. Sinnvollerweise sollte für Euro-Bewerber in puncto Preisstabilität das gleiche Ziel gelten wie für die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets.

Stabilität und Vertrauen in die Geldpolitik basiert nicht nur auf einer Inflationsrate, die unter der 2 %-Marke liegt. Ein etwas höheres Niveau als Maß für die Preisstabilität sollte die Stabilität nicht unterhöhlen. Entscheidend ist vielmehr das Wissen über den Willen und das Vermögen, die Inflation unter Kontrolle zu halten, damit das anvisierte Ziel erreicht wird.

Die EZB sollte ihre Sitzungsprotokolle veröffentlichen.

Rat „Wirtschaft und Finanzen“

Solange die Kapazitätsauslastung noch nicht einen Wert erreicht hat, der zu einem Anstieg der Inflation führt, besteht kaum die Gefahr einer prozyklischen Politik. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch viel zu hoch und es gibt große Ressourcen für eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligungsrate. In Jahren mit günstiger wirtschaftlicher Entwicklung sollte die Wirtschaftspolitik insbesondere auf die Planung zur Bewältigung künftiger Wirtschaftsprobleme aufgrund der demografischen Entwicklung ausgerichtet sein. In Zeiten positiver wirtschaftlicher Entwicklung sind die allgemeinen Ziele der EU bezüglich Haushalt und Schuldenstand nicht hinreichend. Mitgliedstaaten, die diese Ziele bereits erreicht haben, dürfen sich nicht bequem zurücklehnen.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kriterien des ausgeglichenen Haushalts und der öffentlichen Schulden beibehalten werden sollten, doch sollte die Diskussion vorankommen, indem man die wirklichen Ziele der Wirtschaftspolitik betrachtet.

Die dreijährigen Grundzüge der Wirtschaftspolitik sollten als zentrale Zielwerte — neben den in der Lissabon-Strategie genannten Prozentsätzen für die Beschäftigungsquote — einen Mindestwert für das Wirtschaftswachstum und eine prozentuale Senkung der Arbeitslosigkeit vorsehen. Einzelstaatliche Zielsetzungen sollten festgelegt werden, die jedoch nicht unterhalb der gemeinschaftlichen Zielwerte liegen dürfen.

Die Finanzminister müssen konsequent sein und dürfen in ihren Heimatländern nicht anders handeln, als sie dies in Brüssel angekündigt haben.

Sozialpartner/Köln-Prozess

Zwischen den Treffen im Rahmen des Köln-Prozesses sollte man gemeinsame Untersuchungen über die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die Auswirkungen verschiedener politischer Maßnahmen und ähnliche Fragen durchführen.

Im Rahmen des Köln-Prozesses ist wohl ausreichend politisches Gewicht versammelt, um dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten ihre Schuldigkeit in Bezug auf statistische Wirtschaftsdaten erfüllen.

Das Parlament sollte vor jedem Treffen eine Entschließung zur Wirtschaftslage und zur gewünschten Politik vorlegen.

Sowohl der Rat „Wirtschaft und Finanzen“ als auch die Eurogruppe sollten anwesend sein, damit nicht nur das gesammelte Gremium der Finanzminister, sondern auch die Finanzminister vertreten sind, die direkt für die Finanzpolitik zuständig sind, die mit der Geldpolitik der EZB verbunden werden soll.

Kommission

Für die Kerninflation sollte eine weitere Untersuchung durchgeführt werden. Eine eingehendere Studie der politischen Maßnahmen, die in den Ländern mit einem guten Verhältnis — niedrige Inflation im Verhältnis zur Wachstumsrate — ergriffen wurden, könnte als Grundlage für ein künftiges Benchmarking dienen.

Untersuchungen können Aufschluss darüber geben, inwiefern sich z.B. unterschiedliche Wachstumsraten auf Veränderungen der Produktivität zurückführen lassen. In welchem Maße beruhen unterschiedliche Raten der Produktivitätssteigerung auf Unterschiede bei den Investitionen und Innovationen? Welche Verfahren zur Steigerung der Produktivität gibt es sonst noch? Der EWSA möchte deshalb die Kommission auffordern, den Zusammenhang zwischen den übergreifenden Zielen für Wachstum und Beschäftigung z.B. anhand von Produktivitätssteigerungen und Inflationsraten zu untersuchen.

Quintessenz

Erreicht werden soll eine bessere Koordinierung von Geld- und Finanzpolitik, bei der Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung wichtige Ziele für alle wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger wie EZB, Kommission, Rat „Wirtschaft und Finanzen“, Sozialpartner sowie die Mitgliedstaaten darstellen. Wenn alle Akteure alle drei Ziele als Ausgangspunkt ihrer Maßnahmenvorschläge betrachten, sind sie auch gezwungen, sämtliche Konsequenzen ihrer Vorschläge zu berücksichtigen. Dies führt zu einer einheitlicheren Politik, die ein in sich geschlosseneres Ergebnis zeitigt.

1.   Einleitung

1.1

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der EU (Broad Economic Policy Guidelines) beziehen sich nunmehr auf einen dreijährigen Zeitraum. Die diesjährigen Grundzüge enthalten lediglich kleinere Anpassungen der 2005 angenommenen Grundzüge.

1.2

Der EWSA hat sich deswegen dafür entschieden, in der diesjährigen Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik nicht auf diese Veränderungen einzugehen, sondern sich stattdessen mit den formalen Grundlagen der Grundzüge zu befassen. Eine solche Untersuchung kann sich nicht auf den Wortlaut der Grundzüge der Wirtschaftspolitik beschränken, sondern muss sich auch mit der Geldpolitik und ihrer Verbindung zur Finanzpolitik beschäftigen.

1.3

Das Fundament für die Gemeinschaftspolitik in geld- und finanzpolitischen Fragen liegt in den in Maastricht angenommenen Vertragsbestimmungen über die Gemeinschaftswährung, im Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie in den Vertragsbestimmungen über die wirtschaftspolitischen Grundzüge. Aufgrund der im Jahr 2005 eingeführten Neuerungen erfolgt die Beschäftigung mit diesen Grundzügen im Rahmen des jährlichen „Lissabon-Prozesses“.

1.4

Ziel ist es, die Wechselwirkungen dieser Bestimmungen und ihre Auswirkungen auf die praktischen politischen Maßnahmen auf Unionsebene sowie auf einzelstaatlicher Ebene zu betrachten. Eine solche Untersuchung wird notwendigerweise ziemlich theoretisch sein, damit die Debatte vorangebracht und die Politiken verbessert werden können. Im Sinne einer umfassenden Analyse muss auch die Frage der Lohnbildung angeschnitten werden. Dabei soll verifiziert werden, ob die Bestimmungen möglichst positive Auswirkungen auf die übergreifenden Ziele der Preisstabilität, des Wachstums und der Beschäftigung zeitigen.

1.5

Unsere Empfehlungen beschränken sich nicht nur auf die aktuelle Politik, sondern beziehen sich auch auf Änderungen der Bestimmungen, die unmittelbar durchgeführt werden können, vor allem, wenn dies mit Verhaltensänderungen der Entscheidungsträger einhergeht. Nur in einem Fall macht unser Vorschlag eine Änderung des Vertrags erforderlich.

2.   Der Vertrag von Maastricht und die gemeinsame Geldpolitik

2.1

Die EZB verfolgt das übergreifende Ziel der Preisstabilität. Als weiteres Ziel wird in den in Maastricht angenommenen Bestimmungen des Vertrags die Förderung des Wachstums durch die EZB — bei erreichter Preisstabilität — genannt. In diesem Kontext wird gewöhnlich ein Vergleich mit der Politik der Federal Reserve der USA angeführt, deren Politik mehr auf einer Gesamtschau von Preisstabilität, Beschäftigung und Wachstum basiert. Dies mag einen lediglich graduellen Unterschied nahe legen, in der Durchführung der Geldpolitik treten die Unterschiede jedoch deutlicher zu Tage: Die Federal Reserve führt häufig die Beschäftigungsentwicklung für Änderungen der Zinssätze an. Für die EZB scheint Preisstabilität der einzige Grund für die Änderung der Zinssätze zu sein.

2.2

Außer den faktischen geldpolitischen Maßnahmen ist deshalb auch der Wortlaut der Zielsetzung für die Gestaltung der übergreifenden Wirtschaftspolitik von Bedeutung.

2.3

Gemäß einem umfassenden Verständnis von Wirtschaftspolitik, die sowohl die Geldpolitik als auch die Finanzpolitik umfasst, ist deshalb nicht nur die Zinspolitik für die Durchführung der Finanzpolitik ausschlaggebend, die Wahl geldpolitischer Ziele ist mindestens ebenso wichtig. Ein Finanzminister mag mitunter von folgender Erwägung geleitet sein: Wird meine Entscheidung für eine bestimmte Maßnahme dadurch neutralisiert, dass die Zinsen zum Ausgleich der Wirkung verändert werden? Um zu vermeiden, dass eines der beiden wirtschaftspolitischen Aktionsfelder das andere allzu sehr dominiert, sollten die EZB und der Rat „Wirtschaft und Finanzen“ von denselben politischen Zielsetzungen ausgehen. Es ist besonders wichtig, dass die Mitglieder der Eurogruppe im Ecofin-Rat und die EZB denselben Ansatz verfolgen. Das geldpolitische Ziel sollte auf eine ausgesprochen lange Frist festgelegt werden. Bei zahlreichen Anlässen wurde von der EZB vorgebracht, dass das Ziel der Inflationsrate von 2 % auf eine Absprache im Ecofin-Rat zurückgeht. Die Meinungen über die anzustrebende Inflation gehen vielleicht nicht so weit auseinander, aber das Ziel und die Maßnahmen müssen von allen respektiert werden können.

2.4

Als die EZB das Ziel für Preisstabilität festlegte, wurde eine Inflationsrate von unter 2 % gewählt. Bereits im Jahr 2003 wurde dieses Ziel dahingehend geändert, dass nunmehr zwar eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 % angestrebt werden soll. Die Zielsetzung wurde dadurch etwas realistischer, da die ursprüngliche Definition „von unter 2 %“ bedeuten konnte, dass auch eine deflationäre Entwicklung vertretbar war.

2.5

Zwei Probleme konnten mit dieser Definition jedoch nicht ausgeräumt werden: Es ist so gut wie unmöglich zu bestimmen, wie weit das Ziel jeweils entfernt ist und welche Abweichungen zulässig sind. Bei einem symmetrischen Zielwert wird eine gewisse Bandbreite um die anvisierte Inflationsrate zugestanden. Angesichts des von der EZB anvisierten Ziels von nahe 2 % wäre ein Ziel von 2 % plus/minus 1 Prozentpunkt die beste Lösung. Mit einem solchen Zielwert ließe sich auch die mitunter auftretende Nervosität dämpfen, die bei vereinzelten Abweichungen im Promillebereich festzustellen ist. Nach Auffassung des EWSA sprechen alle Gründe dafür, das von der EZB anvisierte Ziel in ein symmetrisches Ziel umzuwandeln. Ein solches Ziel mit einem Mittelwert kann auch von Bedeutung sein, will man der EZB ein Gegensteuern bei Veränderungen der Preisstabilität infolge sinkender bzw. steigender Nachfrage ermöglichen. Betrachtet man die bisherige Entwicklung, so erfolgten Zinserhöhungen während des günstigen europäischen Konjunkturverlaufs vor dem Jahrtausendwechsel rasch, wohingegen Zinssenkungen in den folgenden schlechten Jahren spürbar langsamer vonstatten gingen.

2.6

Das zweite Problem besteht darin, welche Inflation gemessen werden soll. In der offiziellen Definition des Ziels durch die EZB wird der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) herangezogen, d.h. das Maß für die allgemeine Inflationsrate. Davon könnte man z.B. Energiepreise oder Lebensmittelpreise ausnehmen, um Inflationsraten zu erhalten, die sich mittels Geldpolitik besser gestalten lassen und die nicht auf unbeeinflussbaren Faktoren basieren. Dadurch soll vor allem die zeitlich begrenzte Auswirkung von Ölpreissteigerungen ausgeglichen werden, die rasch eine andere Richtung einschlagen können. Ein geänderter Preisindex ist erforderlich, um unmittelbare Auswirkungen vorübergehender Preisschwankungen auf die EZB-Politik zu vermeiden. Selbst bei einem voraussichtlich langfristigen Anstieg des Ölpreises können momentane Veränderungen des Ölpreises niemals durch Zinsänderungen ausgeglichen werden, die im Allgemeinen erst nach ein bis zwei Jahren Wirkung zeigen.

2.7

Der als Kerninflation bezeichnete Inflationsbegriff ist zur Messung von Inflationstendenzen der Binnenwirtschaft (der Eurozone für die EZB) gedacht. Diese Veränderungen des Preisniveaus beziehen sich mehr auf Trends, die es insbesondere für die EZB zu beeinflussen gilt. Die unmittelbare Auswirkung von Zinsänderungen auf die Preissteigerungsrate lassen sich mit diesem Inflationsbegriff am Beispiel der Zinspolitik der EZB am besten aufzeigen. Wenn die EZB ein Überschreiten der Inflation des festgelegten Werts akzeptiert, dann lässt sich dies wahrscheinlich darauf zurückführen, dass sie diesen eingeschränkten Inflationsbegriff auch mit berücksichtigt hat. Der zusätzliche Verweis auf die Kerninflation würde es der EZB ermöglichen, ein besseres Verständnis ihrer Politik zu erzielen. Für eine Politik, die stärker auf den Zusammenhang zwischen geldpolitischen und finanzpolitischen Maßnahmen achtet, bietet sich die Kerninflation als das anzuwendende Maß an. Damit ließen sich mit einer der Gesamtschau verpflichteten Wirtschaftspolitik einfacher positive Effekte für Wachstum und Beschäftigung erzielen.

2.8

Ein Vergleich zwischen der offiziellen Inflationsrate gemäß HVPI und der nach dem Begriff der Kerninflation ermittelten Preissteigerung zeigt für die meisten Jahre nur geringe Unterschiede (siehe Anhang). Die Energiepreise haben das allgemeine Preisniveau nur in 2005 nennenswert beeinflusst. Vergleicht man die Inflation mit dem Zielwert der EZB, so liegt die Kerninflation lediglich in den Jahren 2000 und 2005 zu weit unterhalb des Zielwerts. Bei der Verwendung des Begriffs der Kerninflation wäre beispielsweise im Jahr 2005 eine weniger restriktive Politik angezeigt gewesen.

2.9

Ein weiterer Faktor, der die Inflationsrate beeinflusst, aber nicht als unmittelbare Auswirkung der Binnennachfrage angesehen wird, sind Veränderungen von Steuern und Abgaben. Erhöhen Mitgliedstaaten z.B. zwecks Verminderung des Haushaltsdefizits die MwSt, dann steigt damit auch die Inflationsrate. Die EZB kann sich zu Zinserhöhungen veranlasst sehen, wird die Preisstabilität mithilfe des HVPI gemessen. Eine MwSt-Erhöhung hat jedoch eine nachfragesenkende Wirkung auf die Volkswirtschaft und sollte deshalb im Zuge einer wirtschaftspolitischen Gesamtschau eigentlich mit Zinssenkungen einhergehen. In solchen Fällen — wie z.B. in Deutschland mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 % zum 1. Januar 2007 — sollte die EZB folglich sehr genau sowohl auf die Ursachen der Preissteigerung, als auch darauf schauen, ob es sich um ein einzelnes Vorkommnis handelt, das nicht zu einer Erhöhung der Inflationstendenz führt. Ein weiterer Aspekt ist anzuführen: Wenn es die EZB zulässt, dass eine solche Steuererhöhung in einem Land die Geldpolitik beeinflusst, hat dies negative Auswirkungen auch auf alle anderen Euroländer.

2.10

Für einen Beitritt der bislang nicht am Euro beteiligten Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftswährung müssen diese laut Vertrag nach wie vor eine Inflationsrate aufweisen, „die der Inflationsrate jener — höchstens drei — Mitgliedstaaten nahe kommt, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben“. Dabei bedeutet „nahe kommen“ eine Differenz von maximal 1,5 Prozentpunkten. Bestes Ergebnis bedeutet in diesem Zusammenhang niedrigste Inflationsrate. Dieses Ziel ist heutzutage nicht mehr so selbstverständlich wie zu Beginn der Neunzigerjahre. Betrachtet man die jüngste Entwicklung, kann dies einer Forderung nach einer niedrigeren Inflation, als sie zurzeit in den Euroländern besteht, gleichkommen. Noch absurder ist diese Voraussetzung, da sie auf der Inflationsrate aller EU-Mitgliedstaaten — und nicht nur der Euroländer — basiert. In der letzten Zeit waren eben nicht zur Eurozone gehörende Mitgliedstaaten der EU-15 unter den drei für die Voraussetzung der Preisstabilität der Euro-Bewerberländer ausschlaggebenden Ländern. Deshalb muss die Forderung nach Preisstabilität der Bewerber für den Beitritt zur Gemeinschaftswährung einer Überprüfung unterzogen werden. Dies macht eine formelle Änderung des Vertrags erforderlich. Im Hinblick auf die Tatsache, dass eine solche Änderung nicht einmal im Verfassungsvertrag zu finden ist, könnte diese Änderung so viel Zeit erfordern, dass die Mehrzahl der Euro-Bewerberländer gezwungen ist, die Erfüllung der jetzigen Bestimmungen anzustreben. Vielmehr sollte eine flexible Interpretation des Vertrags erfolgen, bei der der hinter der Forderung liegende Zweck und nicht der momentane Istzustand für einen eventuellen Beitritt zur Gemeinschaftswährung entscheidend ist. Sinnvollerweise sollte für Euro-Bewerber in puncto Preisstabilität das gleiche Ziel gelten wie für die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets. Sollte dieses Ziel auf 2 % mit einer Schwankungsbreite von +/- 1 Prozentpunkt neu festgelegt werden, so sollte dies auch für die Euro-Kandidaten gelten.

2.10.1

In Staaten mit hohem Wirtschaftswachstum kann auch eine flexiblere Einstellung in puncto Preisstabilität erforderlich sein. Irland ist ein Beispiel dafür, dass eine etwas höhere Inflation notwendigerweise mit den Anpassungen einhergeht, die in einer stark wachsenden Wirtschaft erforderlich sind.

2.11

Inflation ist ein statistisches Maß, das als Grundlage für die Wirtschaftspolitik notwendig ist. Doch werden Preissteigerungen vom Bürger auf andere Art und Weise erfahren. Es herrscht das Gefühl einer starken Beeinflussung durch Mieten, Lebensmittel- und Benzinpreise usw. vor. Andererseits werden die Preissenkungen bei bestimmten Waren nur von wenigen bemerkt. Bedenklicher ist jedoch, dass die Auswirkungen die Menschen sehr unterschiedlich treffen. Betreffen die Preissteigerungen insbesondere Güter des täglichen Bedarfs, sind die Armen am stärksten betroffen, denn eine allgemeine Preissteigerung von 2-3 % kann für diese einen erheblichen Anstieg der Lebenshaltungskosten bedeuten. Die Politiker müssen diese Auswirkungen zur Kenntnis nehmen und entsprechende politische Gegenmaßnahmen ergreifen. Dies ist weniger eine Frage des Umfangs der Haushaltspolitik als vielmehr ihres konkreten Inhalts.

3.   Der Stabilitäts- und Wachstumspakt 2005

3.1

Wurde die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten infolge der Neufassung des Stabilitäts- und Wachstumspakts verändert und hat sich die Bewertung der Länder durch die Kommission und später durch den Rat gewandelt? Es scheint, als ob sich lediglich Litauen eindeutig auf die aus der Neufassung des Pakts hervorgehende Definition des Defizits bezogen hat. Die Neufassung des Pakts hat zwischenzeitlich dazu geführt, dass alle Mitgliedstaaten auf einzelstaatlicher Ebene mittelfristige Ziele für die öffentlichen Finanzen aufgestellt haben. Die Ziele gehen von der aktuellen Lage in den jeweiligen Ländern aus.

3.2

Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nach der Änderung des Pakts konnte dieser natürlich keine nennenswerten Auswirkungen haben. Die meisten eingeführten Neuerungen bezogen sich auf Situationen, in denen man von einer Zuspitzung der wirtschaftlichen Probleme ausging. Hingegen folgte eine Phase konjunkturellen Aufschwungs und wirtschaftlicher Erholung, die sich sogar auf die Indikatoren des Pakts auswirkten.

3.3

Die wirtschaftliche Entwicklung in 2005 und die Erwartungen für 2006 lassen — insbesondere angesichts der positiveren Entwicklung in Deutschland — davon ausgehen, dass den Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts generell besser entsprochen werden kann. Die Tatsache, dass diese Entwicklung in Zeiten enormer Ölpreissteigerungen eintritt, spricht für die große Kraft des konjunkturellen Aufschwungs. Die Auswirkungen der Ölpreissteigerungen können sich auf die verschiedenen Länder — je nach Grad der Abhängigkeit von Ölimporten — unterschiedlich auswirken. Selbst in Zeiten günstiger Konjunktur gibt es doch einige Länder, die nach wie vor vom Ziel des Haushaltausgleichs weit entfernt sind. Ihnen dürften die Entwicklungen in den anderen EU-Ländern zugute kommen.

3.4

Das erreichte oder erwartete Wachstum entspricht allerdings in den meisten Ländern noch nicht dem Niveau, ab dem ein härteres Vorgehen des Pakts bei Haushaltsmaßnahmen zur Verbesserung der Haushaltslage in Zeiten günstiger Konjunktur erforderlich wäre. Solange die Kapazitätsauslastung noch nicht einen Wert erreicht hat, der zu einem Anstieg der Inflation führt, besteht kaum die Gefahr einer prozyklischen Politik. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch viel zu hoch und es gibt große Ressourcen für eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligungsrate. Das Zusammenspiel zwischen Finanzpolitik und Geldpolitik ist im Unterschied zur schlechten konjunkturellen Lage vergangener Jahre neuen Belastungen ausgesetzt. In Zeiten günstiger Wirtschaftsentwicklung sollte die Wirtschaftspolitik hauptsächlich auf die Planung zur Bewältigung künftiger wirtschaftlicher Probleme aufgrund der demografischen Entwicklung ausgerichtet sein.

3.5

In Zeiten positiver wirtschaftlicher Entwicklung sind die allgemeinen Ziele der EU für öffentliche Haushalte und Staatsschulden nicht hinreichend. Mitgliedstaaten, die diese Ziele bereits erreicht haben, dürfen sich nicht bequem zurücklehnen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, die einzelstaatlichen Ziele gemäß der Neufassung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage einzusetzen.

3.6

Neben der Tatsache, dass die schlechte Wirtschaftslage vor dem Jahr 2005 in erster Linie für die Probleme bei der Einhaltung der Kriterien des Pakts verantwortlich war, gibt es darüber hinaus auch statistische Gründe, die häufig übersehen werden. In einer Wirtschaft mit niedriger Inflation bleibt der reale Wert der öffentlichen Schulden unverändert. In einer solchen Lage gibt es keine einfachen Lösungen, vielmehr sind praktische Maßnahmen zum Schuldenabbau erforderlich. Das Gegenteil trifft für ausgebliebenes Wachstum zu. Bei starkem Wachstum verringert sich der Anteil der öffentlichen Schulden am BIP ohne weiteres Zutun. Ähnliche Auswirkungen sind beim Ausgleich des Haushalts zu beobachten. Bei hoher Inflationsrate verringert sich der Wert des Anteils des öffentlichen Sektors — die Haushaltslage verbessert sich statistisch. Bei Wirtschaftswachstum steigen die Einnahmen der öffentlichen Hand, ohne dass Steuererhöhungen erforderlich wären. Zu einem gewissen Grad sind die schwierigen statistischen Auswirkungen auf öffentliche Schulden und Haushaltslage unlängst von positiven statistischen Effekten abgelöst worden.

3.7

In den schlechten Zeiten war u.a. eine ungewöhnlich hohe Sparrate zu beobachten. Dieses Kapital wanderte wegen mangelnder europäischer Investitionsmöglichkeiten in die USA ab. Aufgrund des gestiegenen wirtschaftlichen Vertrauens, das mit besseren Zeiten einhergeht, kann von verringerter Zukunftssorge und somit von einer geringeren Sparrate ausgegangen werden. Eine weiter steigende Nachfrage kann einen Tugendkreislauf in Gang setzen.

3.8

Finanzpolitik hat schließlich auf Gemeinschaftsebene mit einem besonderen Problem zu kämpfen: diejenigen, die sie formulieren und für ihre Einhaltung sorgen können, wechseln ständig. Mitunter wird in einem Jahr ein Viertel der Finanzminister ausgewechselt. Das Verantwortungsgefühl für eine von Amtsvorgängern konzipierte Politik ist nicht so ausgeprägt. Deshalb sollten im Ecofin-Rat mehr langfristige Entschlüsse gefasst werden, damit eine bereits eingeleitete Politik nicht von einer neuen Finanzministerriege wieder umgeworfen wird. Der ständige Wechsel der Minister macht es auch schwer, zu einem Ecofin-Rat zu gelangen, der über den politischen Willen zur Verfolgung einer gemeinsamen Politik verfügt.

4.   Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und der Lissabon-Prozess

4.1

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik bestehen seit 1993. Sie betrafen zunächst nur die Finanzpolitik, wurden dann um Fragen der Beschäftigung erweitert. Ab dem Jahr 2005 wurden sie mit den beschäftigungspolitischen Leitlinien und dem Lissabon-Programm im Rahmen eines koordinierten Prozesses zusammengeführt. Hier handelt es sich in der Praxis um einzelstaatliche Politiken, für die die Kommission und der Rat Richtlinien aussprechen. Anders als beim Stabilitäts- und Wachstumspakt sind keine Sanktionen vorgesehen.

4.2

Die Debatte wird seit Bestehen der EWU vom Ungleichgewicht zwischen der zentralen Geldpolitik und der nach wie vor einzelstaatlich geführten Finanzpolitik beherrscht. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist eine Mischform, da er auch Elemente einer gemeinsamen, durch Sanktionen untermauerten Politik aufweist, während die Grundzüge auf Empfehlungen basieren.

4.3

Welche Möglichkeiten gibt es für die Weiterentwicklung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik? Diesbezüglich ist eine eindeutige Trennung zwischen der Bestimmung der wirtschaftspolitischen Ziele auf der einen Seite und der Mittel, mit denen diese erreicht werden sollen, auf der anderen Seite unbedingt erforderlich.

4.4

Was den Stabilitäts- und Wachstumspakt betrifft, so gelten in der öffentlichen Diskussion ein ausgeglichener Haushalt und ein bestimmter Anteil der Staatsschulden am BIP als Ziele. Die beiden Kriterien stellen jedoch kein eigentliches Ziel dar, sondern sind eher ein Anhaltspunkt für die einzuschlagende wirtschaftspolitische Ausrichtung. Die Ausgeglichenheit oder ein Überschuss der öffentlichen Haushalte schaffen einen Handlungsspielraum für Zeiten wirtschaftlicher Rezession. Ein Überschuss stellt die finanziellen Mittel für eine spätere wirtschaftliche Stimulierung bereit. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kriterien des ausgeglichenen Haushalts und der öffentlichen Schulden beibehalten werden sollten. Die Diskussion sollte indes vorankommen, indem man die wirklichen Ziele der Wirtschaftspolitik betrachtet.

4.5

Die übergreifenden Zielsetzungen für die gesamte Wirtschaftspolitik, die sowohl die Geld- wie die Finanzpolitik umfasst, lauten Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung. Diese Ziele müssen zum Ausdruck kommen. Die Problematik der Preisstabilität wurde bereits behandelt. Die wirtschaftspolitischen Grundzüge sollten deshalb darauf basieren, dass man auf EU-Ebene auch Definitionen für das anzustrebende Wachstum und die Vollbeschäftigung festlegt. Bei der praktischen Ausführung stößt dies allerdings auf erhebliche Probleme. Sollen realistische Ziele festlegt werden, sind diese im Zusammenhang mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage zu sehen. Das bedeutet, dass sie häufigen Änderungen unterzogen sein könnten, anstatt — wie das Ziel der Preisstabilität — langfristig angelegt zu sein.

4.6

Die Meinungen darüber, wie gut wirtschaftliche Entwicklung durch das Wachstum wiedergegeben wird, gehen auseinander. Bei der herkömmlichen Methode werden soziale und umweltspezifische Auswirkungen nicht berücksichtigt. Betrachtet man indes ausschließlich das Wirtschaftswachstum, gibt es zwei gebräuchliche Methoden für dessen Bestimmung: Anstieg des realen Pro-Kopf-BIP oder Ermittlung über Kaufkraftparitäten (KKP). Mit letzterem Verfahren soll die tatsächliche Wirtschaftslage verschiedener Länder miteinander verglichen werden. Da es um die Ermittlung der Wachstumsrate geht, spielt die Wahl der Indikatoren hier keine Rolle. Die jährlichen Abweichungen je nach Typus des zu messenden BIP sind gering. Vor einigen Jahren führte man Untersuchungen durch, um festzustellen, ab welcher Wachstumsrate die Arbeitslosigkeit abnimmt. Dabei ergab sich das Ziel einer Mindestwachstumsrate von ca. 3 %. Dieser Zielwert kann sich jedoch im Zeitablauf verändern und muss nicht für alle Volkswirtschaften gleich sein. Angesichts der Schwierigkeiten beim Abbau der Arbeitslosigkeit ist es indes kaum möglich, von einer niedrigeren Wachstumsrate als der, ab der die Arbeitslosigkeit abnimmt, auszugehen. Allerdings haben in den letzten Jahren tatsächlich nur wenige Länder diese erforderliche Wachstumsrate erreicht.

4.7

Beim Ländervergleich und bei der Wahl der Politik zur Steigerung des Wachstums muss zwischen den beiden wichtigsten wachstumssteigernden Methoden unterschieden werden. Wachstum kann entweder durch die Erhöhung der Produktion unter Anwendung derselben Technologie — oft durch Zunahme der Erwerbsbeteiligung -, oder durch die Steigerung der Produktivität erzielt werden, wobei mit derselben Anzahl von Arbeitnehmern mehr produziert wird. In den nächsten Jahren besteht nach wie vor die Möglichkeit, die erste Methode anzuwenden. Aufgrund der demografischen Entwicklung bleibt indes in einigen Jahren wahrscheinlich nur die letztere Methode übrig.

4.8

Was die Beschäftigung betrifft, ist es bedeutend schwieriger, einen Zielwert anzugeben. Das Ziel muss in zwei Bereiche untergliedert werden, denn es geht zum einen um den Anteil der Erwerbstätigen an den Erwerbspersonen (Beschäftigungsquote), zum anderen um die Arbeitslosenquote. In der Lissabon-Strategie wurden Zielvorgaben für die Beschäftigungsquote insgesamt (70 %), für die Beschäftigungsquote von Frauen (60 %) und für Personen zwischen 55 Jahren und rentenfähigem Alter (50 %) aufgestellt.

4.9

Bezüglich der Arbeitslosenquote werden keine prozentualen Zielwerte genannt. Zunächst gilt es festzuhalten, dass es zahlreiche unterschiedliche Methoden zur Bestimmung von Arbeitslosigkeit gibt. Angesichts der offenen Arbeitslosigkeit zum einen sowie der Tatsache, dass einige Personen in diverse arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eingebunden sind, zum anderen sind mindestens zwei Zielwerte erforderlich. Nur sehr wenige Länder kommen in die Nähe so genannter Vollbeschäftigung (d.h. sie weisen eine wenige Prozentpunkte betragende Arbeitslosenquote auf, die in einer dynamischen Wirtschaft aufgrund notwendiger ständiger Veränderungen immer auftritt). Deshalb mag es vielmehr sinnvoll sein, langfristig einen Abbau der Arbeitslosigkeit um eine bestimmte Prozentzahl anzustreben.

4.10

Als Ergebnis dieser Überlegungen sollten die dreijährigen Grundzüge der Wirtschaftspolitik den zentralen Vorschlag eines Mindestwerts für das Wirtschaftswachstum und eine prozentuale Senkung der Arbeitslosigkeit beinhalten. Als Zielwerte für die Beschäftigungsquote können bis auf weiteres die in der Lissabon-Strategie genannten Prozentsätze beibehalten werden. Für die Finanzpolitik sollte die gleiche Situation wie bei der Geldpolitik — mit eindeutigen Zielen für die zu erwägenden Maßnahmen — geschaffen werden.

4.11

Die Rolle der wirtschaftspolitischen Grundzüge sollte dann in erster Linie darin bestehen, dass die Mitgliedstaaten Bericht über die von ihnen ergriffenen Maßnahmen zum Erreichen der Zielwerte erstatten und dass die Kommission und der Rat im Anschluss darüber befinden, inwiefern die Zielerreichung als hinreichend anzusehen ist. Werden die Ziele nicht erreicht, müsste die EU die jeweils ergriffenen Maßnahmen kritisieren und Vorschläge machen können, die auf einem Vergleich mit erfolgreichen Maßnahmen in anderen Mitgliedstaaten basieren. Jedes Land ist jedoch auf der Grundlage seiner spezifischen Voraussetzungen und seiner aktuellen wirtschaftlichen Lage zu beurteilen.

4.12

Da sich Finanzpolitik auch weiterhin in einzelstaatlicher Zuständigkeit befindet, ist die gegenwärtige Betonung der wirtschaftlichen Lage in der gesamten EU für die Bewertung der jeweiligen einzelstaatlichen Politiken nicht von besonderer Relevanz. Die wirtschaftspolitischen Grundzüge sollten daher neu ausgerichtet werden. In den künftigen Grundzügen der Wirtschaftspolitik sollten für die übergreifenden Ziele einzelstaatliche Zielsetzungen festgelegt werden, die jedoch nicht unterhalb der gemeinschaftlichen Zielwerte bleiben sollten, und jedes Land sollte danach bewertet werden, in welchem Maße es seinen jeweiligen Zielsetzungen entspricht.

4.13

Mittels deutlicherer Betonung der von den einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Voraussetzungen ergriffenen Maßnahmen und mittels stärkerer Anbindung an die eindeutigeren beschäftigungspolitischen Ziele der Lissabon-Agenda könnten die Grundzüge der Wirtschaftspolitik enger mit den sonstigen Zielsetzungen der Lissabon-Agenda verknüpft werden. Die übergreifende Wirtschaftspolitik kann in stärkerem Maße ein natürlicher Bestandteil der nationalen Reformprogramme werden und damit die Umsetzung der Lissabon-Agenda insgesamt beschleunigen.

5.   Lohnbildung und die wirtschaftspolitischen Leitlinien

5.1

1999 wurde der so genannte „Köln-Prozess“ ins Leben gerufen. Dieses jährlich stattfindende Diskussionsforum des Rates „Wirtschaft und Finanzen“, der EZB, der Kommission und der Sozialpartner (EGB und UNICE/CEEP), auf dem aktuelle politische Fragen erörtert werden, ist nur wenig bekannt. Der Köln-Prozess hat dennoch auf wertvolle Weise dazu beigetragen, dass die Beteiligten mehr über die Politik und die wirtschaftspolitischen Ansichten der anderen Beteiligten erfahren haben.

5.2

Diese Gespräche finden auf zwei Ebenen statt: auf der Ebene der Sachverständigen einerseits und in der hochrangigen Gruppe andererseits. In den gewöhnlich halbjährlich stattfindenden Treffen werden die aktuelle Wirtschaftslage und die hierfür erforderliche Politik erörtert.

5.3

Die Diskussionen des Jahres 2005 zeigen, dass es sowohl bezüglich der Analyse als auch der Vorschläge für Maßnahmen unterschiedliche Ansichten gibt. Die Kommission weist auf die Besserung der Wirtschaftslage hin. Die EZB unterstreicht die Bedeutung der Lohnzurückhaltung, was natürlich auch von der UNICE unterstützt wird. Die CEEP nennt das Erfordernis öffentlicher Investitionen. UEAPME geht es nicht nur darum, dass Kleinunternehmen berücksichtigt werden müssen, sondern dass möglicherweise auch eine höhere Inflation hingenommen werden muss. Der EGB weist darauf hin, dass die Wirtschaft generell stimuliert werden muss, um die Inlandsnachfrage anzukurbeln; ferner macht er darauf aufmerksam, dass Löhne und Gehälter nicht nur ein Kostenfaktor sind, sondern auch die wesentliche Voraussetzung für die Nachfrage bilden. Die Arbeitnehmer hätten seit vielen Jahren das ihre getan, um die Inflation gering zu halten, indem die Löhne weniger stark als die Produktivitätsgewinne gestiegen seien.

5.4

Angesichts dieser Beschreibung drängt sich die Frage auf, ob der Köln-Prozess nicht einen neuen Anstoß benötigt. Wie könnte dieser zuwege gebracht werden? Bislang drehte sich der Dialog im Rahmen des Köln-Prozesses darum, dass man sich traf und Ansichten austauschte. Eine Möglichkeit wäre, zwischen den Treffen gemeinsame Untersuchungen über die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die Auswirkungen verschiedener politischer Maßnahmen und ähnliche Fragen durchzuführen. Dies könnte zu einer Annäherung der unterschiedlichen Sichtweisen der wirtschaftlichen Realität führen, die als Ausgangspunkt dienen muss. Dieser Vorschlag kann auch mit dem bereits vom EWSA vorgebrachten Vorschlag bezüglich einer Einrichtung für unabhängige Wirtschaftsanalysen verbunden werden (1).

5.5

Eine Frage, die nicht in gleichem Maße ideologisch geprägt, aber trotzdem von entscheidender Bedeutung dafür ist, für welche Politik man sich entscheidet, betrifft die Zuverlässigkeit von statistischen Daten. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass es allen Mitgliedstaaten gelingt, die erforderlichen statistischen Daten gleichzeitig zugänglich zu machen. Wenn auf der Grundlage fehlerhafter statistischer Angaben entschieden wird, welche politischen Maßnahmen erforderlich sind, so hat dies verheerende Auswirkungen. Vielleicht ist im Rahmen der Gespräche des Köln-Prozesses ausreichend politisches Gewicht versammelt, um dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten ihre Schuldigkeit in Bezug auf statistische Wirtschaftsdaten erfüllen. Das Europäische Parlament hat auch wiederholt bessere Statistiken gefordert.

5.6

Auch Änderungen der formellen Strukturen könnten vielleicht zu einer lebhafteren Debatte führen. Die Rolle des Europäischen Parlaments könnte gestärkt werden. Von einer rein formalen Anwesenheit des Parlaments könnte dazu übergegangen werden, dass das Parlament vor jedem Treffen eine Entschließung zur Wirtschaftslage und der gewünschten Politik vorlegt. Diese könnte mit der förmlicheren Überprüfung, die wahrscheinlich von der Kommission durchgeführt wird, verglichen werden. Sowohl der Ecofin-Rat als auch die Eurogruppe sollten anwesend sein, damit nicht nur das gesammelte Gremium der Finanzminister, sondern auch die Finanzminister vertreten sind, die direkt für die Finanzpolitik zuständig sind, die mit der Geldpolitik der EZB kombiniert werden soll.

5.7

Zwar sind alle Beteiligten in ihrer Politik unabhängig — die EZB, die Finanzminister und die Sozialpartner -, doch bedarf es unbedingt der von uns befürworteten verbesserten Zusammenarbeit. Unabhängigkeit darf weder bedeuten, sich nicht an der allgemeinen Debatte zu beteiligen, noch, sich guten Ratschlägen zu verschließen. Die Autonomie nimmt auch keinen Schaden, wenn öffentlich darüber gesprochen und nicht immer darauf hingewiesen wird, dass alle Urteile selbständig und vollkommen unabhängig getroffen werden. Finanzminister müssen Konsequenz zeigen und dürfen zuhause nicht anders agieren, als sie es in Brüssel proklamiert haben. Für die EZB sollte es möglich sein, die Praxis der Zentralbanken des Vereinigten Königreichs und Schwedens zu übernehmen und ihre Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen.

6.   Welcher Zusammenhang besteht zwischen Inflation und Wachstum?

6.1

Im Bericht des Europäischen Parlaments über die integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung vom 26. Mai 2005 heißt es, „…, dass das Wachstum der Eurozone und der Europäischen Union der 25 Mitgliedstaaten sein potenzielles Niveau auf Dauer nicht erreicht und weiterhin zu schwach bleibt, insbesondere in den vier wichtigsten Volkswirtschaften der Eurozone; in der Erwägung, dass das Konsumverhalten der Haushalte weiterhin gedämpft ist und dass die Wirtschaftsaussichten für 2005 und 2006 nicht zufriedenstellend sind, was dazu beiträgt, dass die Arbeitslosenrate weiterhin hoch ist und nur langsam abnehmen wird; unter Hinweis darauf, dass die Investitionsneigung trotz der niedrigsten Zinssätze seit dem Zweiten Weltkrieg weiterhin schwach ausgeprägt ist;

6.2

Inflation und Arbeitslosigkeit sind das klassische Gegensatzpaar der Wirtschaftsliteratur. Statistisch betrachtet bedingen gute Ergebnisse bei dem einen schlechte Ergebnisse beim anderen. Der Ausschuss hat sich u.a. aufgrund von Berichten — wie z.B. dem Parlamentsbericht — stattdessen entschlossen, den Zusammenhang zwischen Inflation und Wachstum zu untersuchen.

6.3

In einer bestimmten Wirtschaftslage kann das Wachstum in Ländern mit niedriger Inflation mit Ländern mit hoher Inflation verglichen werden. Es ist auch zu erkennen, wie sich das Wachstum in einem Land in verschiedenen Wirtschaftslagen bei unterschiedlich hoher Inflation verändert. Die Tabellen des Ausschusses sind vielleicht nicht in strengem Sinne wissenschaftlich, doch sind sie ein guter Hinweis dafür, dass Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Inflation und Wachstum wichtig sind, um den geeigneten Policy-Mix zu bestimmen.

6.4

Wenn man sieht, dass es einerseits Länder mit relativ hoher Inflation und starkem Wachstum und andererseits Länder mit niedriger Inflation und schwachem Wachstum gibt, sollte aufgrund dieses Befunds auch untersucht werden, ob zwischen Inflation und Wachstum mehr als ein statistischer Zusammenhang besteht. Um herauszufinden, ob es sich bei den gegebenen Zusammenhängen tatsächlich um ursächliche Zusammenhänge handelt, ist zunächst eine Bereinigung erforderlich, da unterschiedliche Wirtschaftslagen und insbesondere unterschiedliche Entwicklungsniveaus (BIP) vorliegen können. Ferner muss auch untersucht werden, ob spezielle wirtschaftspolitische Maßnahmen durchgeführt wurden, die bei anderen Inflationsraten zu einem starken bzw. geringen Wachstum geführt haben könnten. Folglich muss man häufig bestimmte Länder betrachten und kann vielleicht keine Schlussfolgerungen über allgemeine Zusammenhänge zwischen Inflation und Wachstum ziehen.

6.5

Die Wachstumsrate ist ein echtes Problem, zumindest für die 15 „alten“ EU-Mitgliedstaaten. Statistischen Daten der Kommission zufolge war das Wachstum dieser Staaten so niedrig, dass sie jedes Jahr ca. einen halben Prozentpunkt des BIP im Vergleich zu anderen Industrieländern (1995-2005) eingebüßt haben (2). Im gleichen Zeitraum ist die Inlandsnachfrage in diesen Staaten im Vergleich zu den anderen Industrieländern um ca. einen Prozentpunkt zurückgegangen. Die relativ guten Jahre nach der Jahrtausendwende waren durch die gestiegene Auslandsnachfrage nach europäischen Produkten bedingt. Eine Analyse der Ursachen, die der fast katastrophal zu nennenden Entwicklung der Wachstumsrate zugrunde liegen, ist erforderlich, um künftig zu einer besseren Politik zu gelangen.

6.6

Diese Beschreibung der „Kosten“ einer niedrigen Inflation kann mit einer anderen Beschreibung der Kosten der hohen Inflation aus einem Schreiben von EZB-Präsident Wim Duisenberg an das Parlament verglichen werden: „Die quantitative Definition der Preisstabilität der EZB basiert auf stabilen und fundierten wirtschaftlichen Kriterien. Indem nur eine geringe Teuerungsrate zugelassen wird, werden die Kosten der Inflation minimiert, die der Öffentlichkeit gut bekannt und in der einschlägigen Literatur umfassend dokumentiert sind.“

6.7

Bei der Suche nach dem optimalen Zielwert für die Inflation muss darauf geachtet werden, sowohl die mit hoher Inflation einhergehenden Kosten, als auch die durch die Schwierigkeiten bei der Realisierung ausreichenden Wachstums verursachten Kosten zu vermeiden. Ebenfalls ist anzuerkennen, dass Inflation als solche weder Lösung noch Problem ist. Vielmehr geht es um die wirtschaftliche Flexibilität, die durch eine gewisse Inflation ermöglicht wird, bzw. um die katastrophalen Auswirkungen auf das Vertrauen, das langfristige Handeln und auf die Einkommensverteilung, die durch eine hohe Inflation hervorgerufen werden können.

6.8

Der Anhang enthält Angaben zu Inflation (HVPI und Kerninflation) und Wachstum (reales BIP-Wachstum) für die EU-Staaten. Ausgangsjahr ist das Jahr, in dem die EZB ihre Tätigkeit aufnahm.

6.8.1

Insgesamt handelt es sich um einen Zeitraum mit niedriger Inflation und geringem Wachstum. Einigermaßen akzeptable Wachstumsraten lagen nur 2001 und 2002 bzw. für einige Länder ab 2004 vor. In fast allen diesen Ländern geht die Inflation mit Wachstum einher. Nach den Wachstumsraten in den früheren Jahren (1999-2000) aufgrund der hohen Nachfrage auf dem Weltmarkt konnte die EU-Binnennachfrage keine ausreichenden Wachstumsimpulse vermitteln. Die Inflationsrate stieg im Zuge der wirtschaftlichen Aufhellung dieses Jahr sowie in der jüngsten Vergangenheit nicht nennenswert über 2 % an.

6.8.2

Zu allen Ländern ließen sich verschiedene Bemerkungen vorbringen, doch soll eine Beschränkung auf die folgenden Kommentare erfolgen:

 

Von der für die Mehrzahl der Länder zutreffenden Situation, die durch niedrige Inflation und niedriges Wachstum gekennzeichnet ist, weichen einige Länder ab. Irland, das über ein hohes Wachstum und eine hohe Inflation verfügt, konnte seine erhöhte Wachstumsrate beibehalten und gleichzeitig die Inflationsrate senken. Griechenland verbindet eine hohe Wachstumsrate mit hoher Inflation. Italien und Portugal haben eine etwas zu hohe Inflationsrate bei annäherndem Nullwachstum. Spaniens zufriedenstellende Wachstumsrate geht mit einer Inflationsrate einher, die über der 2 %-Marke liegt. Die Diskussion in Spanien macht deutlich, wie Wachstum die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt, wohingegen eine so hohe Inflation nur die Wirtschaftsexperten bekümmert. Ein außergewöhnliches Ergebnis kann Finnland mit einem hohen Wachstum in 2004 bei praktisch nicht vorhandener Inflation aufweisen (was zum Teil auf gesenkte Steuern auf Alkohol zurückzuführen ist). Slowenien ist es gelungen, die Inflationsrate kontinuierlich zu senken und gleichzeitig ein ziemlich starkes Wachstum beizubehalten. Litauen weist ein hohes Wachstum auf, das mit niedriger, aber ansteigender Inflation einhergeht. Die Tschechische Republik konnte das Wachstum ohne Zunahme der Inflation steigern, während Estland ein noch höheres Wachstum erzielen konnte, was allerdings mit steigender Inflation verbunden ist. Das Wachstum in Lettland erreichte den europäischen Spitzenwert, allerdings bei einer extrem hohen Zunahme der Inflationsrate.

6.8.3

Interpretiert man Inflation als Maß des allgemeinen Nachfrageniveaus in einem Wirtschaftssystem, so waren folglich beide mit wenigen Ausnahmen zu niedrig. Die Inflationsrate war aufgrund der Schwierigkeiten, bei insgesamt geringen Preisveränderungen zu ausreichenden wirtschaftlichen Anpassungen zu gelangen, wachstumshemmend. Trotz der allgemein verbreiteten Kenntnis darüber, dass eine gewisse Inflation als Schmiermittel für eine dynamische Wirtschaft benötigt wird, wurde eine solche Aussage als politisch nicht korrekt aufgefasst. In der heutigen globalisierten Wirtschaft gelten dynamische Veränderungen allerdings als Voraussetzung für internationale Wettbewerbsfähigkeit.

6.8.4

Stabilität und Vertrauen in die Geldpolitik basieren nicht nur auf einer Inflationsrate, die unter der 2 %-Marke liegt. Ein etwas höheres Niveau als Maß für die Preisstabilität sollte die Stabilität nicht unterhöhlen. Entscheidend ist vielmehr das Wissen über den Willen und das Vermögen, die Inflation unter Kontrolle zu halten und somit das gewählte Ziel zu erreichen.

6.9

Eine weitere Untersuchung kann mit Zeitreihen für die Kerninflation durchgeführt werden. Abgesehen von 2005 ist der Unterschied zwischen dem Verbraucherpreisindex und der Preisentwicklung ohne Berücksichtigung der Energiepreise ziemlich gering. Eine eingehendere Studie der genauen politischen Maßnahmen, die in den Ländern mit einem guten Verhältnis — niedrige Inflation im Verhältnis zur Wachstumsrate — durchgeführt wurden, könnte als Grundlage für ein künftiges Benchmarking genutzt werden.

6.10

Der Anhang enthält auch Angaben über die Produktivität pro Arbeitsstunde. Die Zahlen zeigen nicht die Entwicklung in jedem einzelnen Land, sondern die Entwicklung in den Ländern im Vergleich zur durchschnittlichen Produktivität in der EU-15. Der Tabelle kann somit entnommen werden, ob sich ein Land dem Durchschnitt angenähert hat.

6.10.1

Die Verhältnisse dürften sich innerhalb von sechs Jahren nicht besonders schnell geändert haben, was für die Mehrzahl der Länder zutrifft. Doch gibt es einige Ausnahmen: Griechenland schließt — von niedriger Produktivität ausgehend — rasch zu den übrigen Ländern auf. Irland liegt über dem Durchschnittswert, wobei die Produktivität weiterhin steigt. Italien bleibt in diesem Zeitraum gegenüber den anderen Ländern zurück. Dies gilt auch für Portugal, das jedoch zu Beginn des Zeitraums ein sehr niedriges Produktionsniveau aufwies.

6.10.2

Auch hier können eingehendere Untersuchungen Aufschluss geben. Inwiefern lassen sich z.B. unterschiedliche Wachstumsraten auf Veränderungen der Produktivität zurückführen? In welchem Maße beruhen unterschiedliche Produktivitätssteigerungsraten auf Unterschieden bei Investitionen und Innovationen? Inwiefern führen Unterschiede zwischen den Bildungssystemen zu divergierenden Innovationsniveaus? Welche weiteren Möglichkeiten zur Steigerung der Produktivität gibt es? Der EWSA möchte deshalb die Kommission auffordern, den Zusammenhang zwischen den übergreifenden Zielen für Wachstum und Beschäftigung z.B. anhand von Produktivitätssteigerungen und Inflationsraten zu untersuchen.

6.11

Eine erste Schlussfolgerung aus den statistischen Angaben zu Inflation und Wachstum kann bislang allerdings lauten, dass Geld- und Finanzpolitik besser aufeinander abgestimmt werden müssen. Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung müssen für alle wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger — EZB, Kommission, Rat „Wirtschaft und Finanzen“, Sozialpartner und Mitgliedstaaten — wichtige Ziele werden. Wenn alle Akteure die selben Ziele verfolgen — d.h. alle gründen ihre Vorschläge für Maßnahmen auf diese drei Ziele -, müssen sie sämtliche Auswirkungen ihrer Vorschläge berücksichtigen. Maßnahmen, die sich in einer bestimmten Wirtschaftslage hervorragend auf die Preisstabilität auswirken, können in anderen Wirtschaftslagen völlig falsch sein. Unter bestimmten Umständen können sie Wachstum und Beschäftigung fördern, in anderen Situationen jedoch genau das Gegenteil bezwecken.

6.12

Ein Beispiel für eine neue Erkenntnis bei der EZB, die als Ausgangspunkt für eine neue koordinierte Politik dienen könnte, ist im monatlichen Bulletin der EZB vom Februar 2004 zu lesen. Hier werden die wichtigsten Faktoren zur Ankurbelung von Investitionen genannt: ausreichende Rentabilität, ausreichend zugängliche Finanzierungsmöglichkeiten und ausreichende Rahmenbedingungen für die Nachfrage.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 68: „Die Stärkung der Economic Governance — die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts“.

(2)  Kommissionsdatenbank AMECO

(http://ec.europa.eu/economy_finance/indicators/annual_database/ameco_en.htm). Vergleich des Wachstums des BIP der EU-15 mit dem einer Referenzgruppe von Industrieländern (die die USA, Kanada, Japan, Korea, Australien, Neuseeland, Norwegen und die Schweiz umfasst).


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Zentralbank „Dritter Bericht über die praktischen Vorbereitungen für die künftige Erweiterung des Eurogebiets“

KOM(2006) 322 endg

(2006/C 324/22)

Die Europäische Kommission beschloss am 13. Juli 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt am 4. Juli 2006 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 Frau ROKSANDIĆ zur Hauptberichterstatterin und verabschiedete mit 102 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss stellt fest, dass die Europäische Kommission in ihrem Bericht den Verlauf der gegenwärtigen Vorbereitungen auf die Einführung des Euro in Slowenien sowie die Fortschritte der zehn Mitgliedstaaten, die — sobald sie die Voraussetzungen erfüllen — den Euro einführen sollen, in geeigneter Weise und detailgenau darstellt. Der Ausschuss unterstützt deshalb den Kommissionsbericht.

1.2

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, bei der Ausarbeitung ihrer weiteren Berichte und Empfehlungen zur künftigen Erweiterung der Eurozone abzuwägen und diese Bemerkungen nach Möglichkeit zu berücksichtigen.

2.   Inhalt des Kommissionsberichts

2.1

Das Kommissionsdokument ist schon der dritte seit 2004 regelmäßig erscheinende Jahresbericht über den Fortschritt in den elf Mitgliedstaaten (1), die den Euro einführen sollen, wenn sie die notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Diesmal wird über die Vorbereitungen vor dem üblichen Termin im November berichtet, da die Eurozone durch den Beitritt Sloweniens am 1. Januar 2007 (2) erweitert wird und in dem Bericht ein detaillierter Überblick über den Stand der Vorbereitungen in diesem Mitgliedstaat gegeben wird. Darüber hinaus wird über die laufenden praktischen Vorbereitungen auf nationaler Ebene in den übrigen zehn Mitgliedstaaten berichtet.

2.2

Im Rahmen des in der politischen und wirtschaftlichen Verantwortung der Mitgliedstaaten liegenden Erweiterungsprozesses des Eurogebiets hebt die Kommission die Bedeutung sorgfältiger Planung sowie gründlicher und umfassender praktischer Vorbereitungen hervor, bei der sowohl der öffentliche als auch der private Sektor sowie die breitere Öffentlichkeit zusammenarbeiten müssen. In den Schlussfolgerungen werden sowohl die erforderlichen weiteren Schritte in Slowenien angeführt als auch die Notwendigkeit, die Vorbereitungen in den anderen Mitgliedstaaten zu beschleunigen sowie die meisten einzelstaatlichen Pläne für die Übernahme des Euro zu verstärken.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss behandelt zum ersten Mal einen Kommissionsbericht über die praktischen Vorbereitungen auf die künftige Erweiterung des Eurogebiets, der schon zum dritten Mal seit der Einführung des Euro im Jahre 2002 veröffentlicht wird. Dennoch scheint es wichtig hervorzuheben, dass der Übergang zum Euro nicht nur als technisches Projekt zu behandeln und zu verstehen ist, sondern als eine umfassende Veränderung, die bedeutende Folgen in den Bereichen Wirtschaft, Währung und Soziales mit sich bringt.

3.2

Die Mitgliedstaaten sind zweifelsohne selbst für die erfolgreiche Einführung des Euro verantwortlich, dennoch muss die unabdingbare Mitarbeit aller Organisationen der Zivilgesellschaft hervorgehoben werden, die als Vertreter einzelner Gesellschaftsgruppen und durch ihre Aktivitäten in diesen Prozess in allen Mitgliedstaaten, die in das Eurogebiet eintreten werden, mit einzubinden sind. Die gegenwärtige Erweiterung des Eurogebietes findet durch einzelne Staaten statt und nicht durch zwölf Staaten auf einmal, wie bei der Einführung des Euro 2002 geschehen. Der Ausschuss hat bereits 2001 festgestellt, dass dem Vorgang nicht nur bedeutende Mittel zuflossen, sondern auch alle Beteiligten in die Maßnahmen einbezogen wurden sowie die Gesellschaft vorbereitet und beteiligt wurde (3). Dies muss auch für Slowenien gewährleistet sein, da das Land in weniger als drei Monaten den Euro einführen wird.

3.3

Die Öffentlichkeit Sloweniens war laut einer Umfrage (4) von allen Mitgliedstaaten, die dem Eurogebiet beitreten werden, am besten über den Euro informiert. Hierzu hat eine umfassende mit staatlichen und europäischen Mitteln durchgeführte Informationskampagne erheblich beigetragen. Dennoch ist es eine bedenkliche Entwicklung, dass die slowenische Gesellschaft, laut der jüngsten Meinungsumfrage durch Eurobarometer im April 2006, auch die meisten Bedenken hinsichtlich des Einflusses der Euro-Einführung auf die Inflation und den Preisanstieg in ihrem Staat hat — sogar mehr Bedenken als in den skeptischsten Staaten (5).

3.4

Eine Preiskontrolle sowohl über Waren als auch über Dienstleistungen insbesondere im öffentlichen Bereich kann kurz vor und in einem bestimmten Zeitraum nach der Einführung des Euros die Bedenken in der Bevölkerung hinsichtlich der problematischen Seiten der Euroeinführung bedeutend verringern, die Gefahren einer ungerechtfertigten Preisanhebung reduzieren sowie ein unangebrachtes Aufrunden bei der Umrechnung der Währungen verhindern. In der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Erweiterung des Eurogebietes wird auf ähnliche Schwierigkeiten hingewiesen (6).

3.5

Die freiwillige Zusammenarbeit zwischen den Verbraucherverbänden und dem Handel ist zwar zu begrüßen, aber nicht ausreichend. Eine alle drei Monate veröffentlichte Übersicht der Warenpreisüberwachung in der Zeit kurz vor der Einführung des Euro scheint nicht auszureichen, um in der öffentlichen Meinung den Eindruck negativer Folgen weitestgehend auszuräumen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss schlägt der Europäischen Kommission vor, den Mitgliedstaaten zu empfehlen, bei den Vorbereitungen auf den Eintritt in das Eurogebiet insbesondere darauf zu achten, neben einer notwendigen Informationskampagne über die Einführung des Euro auch alle Gesellschaftsgruppen mit Hilfe der organisierten Zivilgesellschaft in diesen Prozess einzubeziehen. Hierfür sollten die Mitgliedstaaten und die Europäische Union finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um die einzelnen Gesellschaftsgruppen in die Lage zu versetzen und darauf vorzubereiten, mit dem Euro als neuer Währung zu arbeiten und zu leben.

4.2

Angebracht wäre außerdem, ernsthaft eine Kontrolle über Dienstleistungspreise im öffentlichen Sektor bei der Einführung des Euro in Betracht zu ziehen, wie auch einen monatlichen Bericht über die Preisentwicklung von Waren und Dienstleistungen, insbesondere sechs Monate vor und mindestens ein Jahr nach der Einführung des Euro. Die Mitgliedstaaten könnten bei einer künftigen Erweiterung des Eurogebietes leicht die Schwächen, die bei der Einführung des Euro 2002 zu Tage traten, vermeiden.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Allen neuen Mitgliedstaaten wurde vom 1. Mai 2004 an der Status von Staaten mit einer Ausnahmeregelung auf Grundlage des Artikels 4 des Beitrittsvertrags eingeräumt; für Schweden gilt dies bereits seit Mai 1998.

(2)  Beschluss des Rates 2006/495/EG und Verordnung des Rates (EG) Nr. 1086/2006, beide vom 11.7.2006.

(3)  Stellungnahme des EWSA ECO/053 vom 29.3.2001, S.4-5.

(4)  ABl. C 155 vom 29.5.2001.

(5)  Ebd. S. 31.

(6)  Entschließung des Europäischen Parlaments über die Erweiterung des Eurogebietes vom 1.6.2006, Ziffer 12.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/59


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“

KOM(2006) 16 endg. — 2006/0006 (COD)

(2006/C 324/23)

Der Rat beschloss am 24. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 149 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2006 an. Berichterstatter war Herr GREIF.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Plenartagung im Oktober zu erörtern und Herrn GREIF gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zum Hauptberichterstatter zu bestellen.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 118 gegen 0 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Die wichtigsten politischen Botschaften des EWSA

1.1

Der EWSA begrüßt die Vorlage der Durchführungsverordnung zur neuen Verordnung 883/2004 zur Koordinierung der Anwendung der einzelstaatlichen Systeme der Sozialen Sicherheit als einen wichtigen Schritt hin zur Verbesserung der Freizügigkeit in der Union.

1.2

Der EWSA hält es für angebracht, insbesondere im laufenden „Europäischen Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer“ die Mitgliedstaaten aufzufordern, ein möglichst zügiges Inkrafttreten der im Entwurf vorliegenden Durchführungsverordnung anzupeilen. Denn erst damit kann auch die neue Verordnung 883/2004 angewandt werden, und die damit einhergehenden Verbesserungen und Vereinfachungen kommen zum Tragen.

1.3

Die rasche Verabschiedung wäre mehr als ein Symbol, geht es doch tatsächlich darum, für die Bürgerinnen und Bürger in Europa einen konkreten Akt zu setzen, um die Möglichkeiten zur Mobilität zu erhöhen. Die Anwendung der Verordnung 883/2004 und der hier diskutierten Durchführungsverordnung würde für alle Nutzer und Anwender zahlreiche Vereinfachungen, Klarstellungen und Verbesserungen im Bereich der Sozialrechtkoordinierung mit sich bringen.

1.4

Der EWSA begrüßt insbesondere den erweiterten persönlichen und sachlichen Geltungsbereich und alle Regelungen zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Sozialversicherungsträgern.

1.5

Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, sobald wie möglich die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten, um alle jene Verordnungen und Verträge anzupassen, die den Geltungsbereich der Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme auf den EWR-Raum, die Schweiz, Grönland sowie auf Drittstaatsangehörige ausdehnen. Die angesprochenen Verordnungen und Verträge weisen allesamt einen Bezug auf die Verordnung 1408/71 und ihre Durchführungsverordnung 574/72 auf. Die entsprechenden Änderungen mit Bezug auf die neue Verordnung 883/2004 müssen spätestens bis zum Start ihrer Anwendung abgeschlossen sein.

1.6

Was die Implementierung besserer und schnellerer Verfahren für den Datenaustausch betrifft, anerkennt der EWSA die Potenziale zur Kosteneinsparung in der Verwaltung sowie die Vorteile hinsichtlich der Beschleunigung der Verfahren für die Versicherten bei grenzübergreifenden Sachverhalten. Der EWSA weist jedoch auch darauf hin, dass die reine Beschleunigung der Übermittlung alleine nicht den Durchbruch darstellen wird. Die gewünschte Effizienz bei den Bearbeitungszeiten wird nur bei gleichzeitiger Gewährleistung ausreichender und gut qualifizierter personeller sowie entsprechender technischer Ressourcen durch die Träger in den Mitgliedstaaten zu erreichen sein.

1.7

Im Zusammenhang mit der in Zukunft in erster Linie elektronisch vor sich gehenden Datenübertragung unterstreicht der EWSA weiters seine Bedenken, wonach es sich dabei um eine Reihe sensibler personenbezogener Daten (u.a. Gesundheit, Berufsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit betreffend) handelt. Es muss deshalb unbedingt gewährleistet sein, dass diese Daten entsprechend gesichert sind und nicht in falsche Hände gelangen können.

1.8

Der EWSA regt weiters an, die Erfahrungen bei der Implementierung der europäischen Krankenversicherungskarte zu nutzen, auch was die bestehenden Mängel bei der praktischen Anwendung in einzelnen Mitgliedstaaten betrifft. Die Mitgliedstaaten sind angehalten, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, damit die europäischen Bürgerinnen und Bürger insbesondere im Bereich der Krankenversicherung die Vorteile der neuen Regelungen voll nutzen können.

1.9

Der EWSA begrüßt ausdrücklich alle jene Maßnahmen in der Durchführungsverordnung, die allen Anwendern der neuen Koordinierungsverordnung mehr Rechtssicherheit und Transparenz bringen sollen, ist es doch in der Vergangenheit zwischen Mitgliedstaaten etwa vorgekommen, dass Schulden aus der Verrechnung zwischen den Trägern selbst über Jahre hinweg nicht abgegolten wurden. Der EWSA hofft, dass die zwischenstaatliche Zahlungsmoral deutlich erhöht wird. Ein Durchsetzungsdefizit für die Beitreibung offener Forderungen zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit bleibt aber weiterhin erhalten.

1.10

Der EWSA stellt die Frage, ob nicht durch die Regelungen in der Verordnung und Durchführungsverordnung — insbesondere durch die Einbeziehung von wirtschaftlich nicht aktiven Personen in den persönlichen Geltungsbereich — eine Entwicklung ausgelöst werden könnte, die gut ausgebaute Sozialsysteme in der EU aushöhlen und eine Tendenz zum Abbau von Leistungen induzieren könnte. Der EWSA hält es in diesem Zusammenhang für notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um vergleichbare und aussagekräftige Daten bereitzustellen, die den derzeit stattfindenden und künftig zu erwartenden grenzüberschreitenden Bezug von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen in der EU ausweisen. Interessant sind insbesondere Veränderungen, die mit der Anwendbarkeit der Verordnung 883/2004 einhergehen.

1.11

Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten schließlich auf, Maßnahmen zu verstärken, um allen potenziellen Nutzern der Verordnung die Regelungen und Vorteile der Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme näher zu bringen. Dafür notwendige Vorbereitungen sind nach Ansicht des Ausschusses unverzüglich in Angriff zu nehmen.

2.   Einleitung

2.1

Die gemeinschaftlichen Vorschriften zur Koordinierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit sind gegenwärtig in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und ihrer Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 574/72 geregelt. Diese beiden Verordnungen wurden im Laufe der Jahre mehrfach geändert und aktualisiert. Die Verordnung 1408/71 soll durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates ersetzt werden, die bereits am 29. April 2004 beschlossen wurde.

2.2

Diese Verordnungen zur Koordinierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit zielen darauf ab, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit Personen in ihrem Geltungsbereich, die in einen anderen Mitgliedstaat reisen, sich dort aufhalten oder dort wohnen, nicht ihre Ansprüche im Bereich der sozialen Sicherheit verlieren. Um die Wahrung der Ansprüche zu gewährleisten, enthalten die Verordnungen unterschiedliche Modalitäten, die den besonderen Anforderungen der unterschiedlichen Zweige der sozialen Sicherheit entsprechen sowie Grundsätze für die Koordinierungspraxis. Es handelt sich somit um eine Koordinierung, nicht um eine Harmonisierung der Systeme.

2.3

Gemäß Artikel 89 der neuen Verordnung 883/2004 ist deren Durchführung in einer weiteren Verordnung zu regeln. Erst mit Beschluss dieser seit 31.1.2006 im Entwurf vorliegenden Durchführungsverordnung (KOM(2006) 16 endg.) — die Gegenstand der vorliegenden Stellungnahme des EWSA ist — kann die in Kraft getretene neue Verordnung 883/2004 angewandt werden. Bis zu diesem Beschluss gelten die Verordnung 1408/71 und ihre Durchführungsverordnung 574/72 uneingeschränkt weiter.

2.4

Die Zweiteilung zwischen Grundverordnung und Durchführungsverordnung hat sich in der gemeinschaftsrechtlichen Behandlung der Koordinierung der Sozialsicherungssysteme in den Mitgliedstaaten eingebürgert. In der Grundverordnung werden die Grundsätze festgelegt, in der Durchführungsverordnung eher „Technisches“.

2.4.1

Der vorliegende Entwurf der Durchführungsverordnung kann daher als eine Art „Gebrauchsanweisung“ für die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 angesehen werden. So gilt es hier, alle schwebenden Fragen verwaltungs- und verfahrenstechnischer Art zu klären sowie bestimmte Aspekte der gemeinschaftlichen Koordinierung zu behandeln, die spezifische Verfahren erfordern.

2.4.2

Beispielsweise muss bei den Altersrenten präzisiert werden, wie Versicherte vorzugehen haben, um ihre Rente zu beantragen, bei welchem Träger sie einen Antrag einreichen müssen, wenn sie in mehreren Mitgliedstaaten gearbeitet haben, wie die Träger untereinander Informationen austauschen, um den vollständigen Versicherungsverlauf der Betroffenen zu berücksichtigen und wie die Träger, jeder für seinen Teil, die zu zahlende Rente berechnen.

2.5

Dennoch ist die Trennung zwischen „Grundsätzlichem“ und „Technischem“ in der Praxis nicht ganz so klar erfolgt. In der vorliegenden Durchführungsverordnung finden sich einige Punkte, die systematisch in die Grundverordnung 883/2004 gehören würden.

2.5.1

Die mehr als sechsjährigen Verhandlungen zur Verordnung 883/2004 wurden erfreulicherweise im April 2004 noch vor der letzten Erweiterungsrunde in der EU zu einem positiven Ende gebracht und somit ein weiterer Aufschub hintan gehalten. Dadurch blieb die Verordnung 883/2004 in einzelnen Teilen Stückwerk (z.B. teilweise leere Anhänge, insbesondere Anhang XI). In der nun vorgelegten Durchführungsverordnung müssen daher auch einige materielle Dinge geregelt werden, die systematisch eigentlich in die Grundverordnung 883/2004 gehören würden. Es handelt sich dabei insbesondere um Aspekte des finanziellen Ausgleichs zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit. Hinsichtlich der Rechte der Bürgerinnen und Bürger gibt es keine offenen materiellen Punkte.

2.5.2

Auf die angesprochenen materiellen Fragen wird im Rahmen dieser Stellungnahme des EWSA ein besonderes Augenmerk zu legen sein.

3.   Wesentliche Inhalte der Durchführungsverordnung

3.1

Mit den vorliegenden Durchführungsbestimmungen soll Folgendes erreicht werden:

Vereinfachung und Straffung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften;

Klärung der Rechte und Pflichten aller an der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Beteiligten (Träger der sozialen Sicherheit, zuständige Behörden, Arbeitgeber und Versicherte, Arbeitnehmer und Selbständige);

Verbesserung der Koordinierungspraxis zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit, um zu vermeiden, dass die Verfahrenslast primär bei den Versicherten liegt;

Erleichterung der Verfahren für die Versicherten für die Erstattung bzw. Leistungsgewährung bei grenzübergreifenden Sachverhalten sowie Verkürzung der Antwort- und Bearbeitungsfristen;

Implementierung besserer und schnellerer Verfahren für den Datenaustausch (insbesondere die Förderung des Einsatzes elektronischer Verfahren für den Informationsaustausch und die Arbeit mit elektronischen Dokumenten);

Einsparungen bei Verwaltungskosten (u.a. über effizientere Erstattung von Forderungen zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit);

Fortschritte bei der Bekämpfung von Betrug und Missbrauch (u.a. über wirksame Mechanismen zur grenzübergreifenden Beitreibung von Forderungen).

3.2

Die neue Durchführungsverordnung unterscheidet sich in ihrer Struktur maßgeblich von der Verordnung 574/72 zur Durchführung der Verordnung 1408/71. Das liegt vor allem daran, dass sich die neue Durchführungsverordnung in ihrem Aufbau an der neuen Grundverordnung 883/2004 orientiert, die sich von der Grundverordnung 1408/71 in einigen Punkten substanziell unterscheidet. In erster Linie sind hier die Unterschiede im persönlichen und sachlichen Geltungsbereich zu nennen, die in der neuen Verordnung 883/2004 jeweils weiter gefasst sind, als in der derzeit gültigen Verordnung 1408/71. Weiters wurde in der neuen Verordnung 883/2004 der Fokus auf allgemeine Bestimmungen und Definitionen gelegt, zum Unterschied von speziellen Bestimmungen in den Kapiteln zu den einzelnen Versicherungszweigen in der Verordnung 1408/71.

3.2.1

Die Verordnung 1408/71 war ursprünglich nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Angehörigen konzipiert gewesen. Anfang der 1980er Jahre erfolgte eine Erstreckung des persönlichen Anwendungsbereichs auf Selbständige. Ende der 1990er Jahre auf Beamte und Studierende.

3.2.2

Voraussetzung für den persönlichen Geltungsbereich war die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates oder als Staatenlose oder Flüchtlinge der Wohnsitz in einem Mitgliedstaat. Einbezogen sind auch die Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

3.2.3

Erfasst sind auch Hinterbliebene, sofern sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates haben, wobei in diesem Fall die Staatsangehörigkeit der Person, von der die Rechte abgeleitet werden, nicht relevant ist.

3.2.4

Die Verordnung 883/2004 gilt nunmehr für alle EU-Bürger, die im Rahmen nationaler Gesetzgebungen versichert sind, da auch Nichterwerbstätige voll erfasst werden.

3.2.5

Auch der sachliche Geltungsbereich wurde gegenüber der Verordnung 1408/71 weiter gefasst: In der neuen Verordnung 883/2004 sind zusätzlich zu den bestehenden Regelungen noch Vorruhestandsleistungen und die den Mutterschaftsleistungen gleichgestellten Vaterschaftsleistungen einbezogen. Im Unterschied zur Verordnung 1408/71 sind Unterhaltsvorschussleistungen jedoch nicht mehr in den Geltungsbereich der Verordnung 883/2004 einbezogen.

3.2.6

Die Verordnung 883/2004 gilt nun für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen: a) Leistungen bei Krankheit; b) Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft; c) Leistungen bei Invalidität; d) Leistungen bei Alter; e) Leistungen an Hinterbliebene; f) Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; g) Sterbegeld; h) Leistungen im Fall der Arbeitslosigkeit; i) Vorruhestandsleistungen; j) Familienleistungen.

3.3

Die Ausweitung des Geltungsbereichs macht bestimmte neue Regeln und Verfahren erforderlich, die auf diese Personengruppen zugeschnitten sind. Dazu gehören etwa die Bestimmungen hinsichtlich der anwendbaren Rechtsvorschriften für die Anrechnung der Zeiten, die von Personen, die weder als Arbeitnehmer noch als Selbständige jemals erwerbstätig waren, in ihren verschiedenen Wohnstaaten der Kindererziehung gewidmet wurden.

3.4

In ihrem Aufbau folgt die vorgelegte Durchführungsverordnung dem Aufbau der Grundverordnung 883/2004: Im Titel 1 werden die allgemeinen Vorschriften behandelt, in Titel 2 die anzuwendenden Rechtsvorschriften, in Titel 3 die besonderen Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten gefolgt von Finanzvorschriften (Titel 5) sowie Übergangs- und Schlussbestimmungen. In seinen besonderen Bemerkungen zu einzelnen Artikeln der Verordnung wird sich der Ausschuss auf die allgemeinen Vorschriften sowie die anzuwendenden Rechtsvorschriften konzentrieren, weniger auf Details zu den einzelnen Leistungsarten.

3.4.1

Die Anhänge der Durchführungsverordnung sind derzeit noch leer und müssen mit Inhalt gefüllt werden. Sie enthalten: Durchführungsbestimmungen zu Abkommen, die weiter in Kraft bleiben, und neue Durchführungsbestimmungen zu Abkommen (Anhang 1), Sondersysteme für Beamte (Anhang 2), Mitgliedstaaten, die Sachleistungskosten auf der Grundlage von Pauschalbeträgen erstatten (Anhang 3) und die bereits erwähnte Liste der zuständigen Behörden und Träger (Anhang 4).

3.5

Darüber hinaus stellen viele Maßnahmen und Verfahren der Verordnung auf mehr Klarheit bei den Kriterien ab, die von den Trägern der Mitgliedstaaten im Rahmen der Verordnung 883/2004 anzuwenden sind.

3.5.1

So wurden zahlreiche Definitionen in den Allgemeinen Bestimmungen im Titel 1 der Verordnung 883/2004 zusammengefasst, die sich in der Verordnung 1408/71 auf einzelne Zweige der sozialen Sicherheit aufteilen, und dort teilweise uneinheitlich geregelt sind. Es gibt mehr Nachdruck auf allgemeine Definitionen und weniger Festlegungen in den einzelnen Kapiteln. Somit wurde in der neuen Verordnung nicht jede Versicherungsklasse als „eigene Welt“ behandelt, in der die entsprechenden Vorschriften zu behandeln sind.

3.5.2

Einen wichtigen Schritt stellt auch der Artikel 5 (Assimilierung von Fakten) dar. Diese Tatbestandsangleichung besagt, dass Sachverhalte oder Ereignisse, die in einem anderen Mitgliedstaat eingetreten sind, so zu behandeln sind, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären.

3.6

Die Inhalte der Grundverordnung und Durchführungsverordnung betreffen nur grenzüberschreitende Sachverhalte zwischen zumindest zwei Mitgliedstaaten. Nur für diese Fälle gibt es für die Versicherten oder Arbeitgeber zusätzliche Anforderungen, z.B. die Meldung einer Entsendung beim Sozialversicherungsträger. Welche sonstigen Verpflichtungen Versicherte oder Arbeitgeber im jeweils zuständigen Mitgliedstaat haben, bleibt weiterhin Angelegenheit der Mitgliedstaaten und wird durch die Grundverordnung oder Durchführungsverordnung nicht berührt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt die Vorlage der Durchführungsverordnung zur neuen Verordnung 883/2004 zur Koordinierung der Anwendung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit. Dieser Vorschlag ist ein Schritt hin zu besseren Bedingungen für die Freizügigkeit in der Union. Er enthält keine gröberen Probleme für die unterschiedlichen Anwender der Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherung in den Mitgliedstaaten und auch keine erkennbar problematischen Regelungen für die Versicherten.

4.2

Der Verordnungsentwurf enthält vielmehr zahlreiche Vereinfachungen, Klarstellungen und Verbesserungen. Der EWSA begrüßt insbesondere den erweiterten persönlichen und sachlichen Geltungsbereich und alle Regelungen zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Sozialversicherungsträgern.

4.2.1

Der ausgeweitete persönliche Geltungsbereich hat vor allem in jenen Ländern maßgebliche Auswirkungen auf die Zahl der erfassten Personen, in denen der Versicherungsschutz an den Wohnsitz gekoppelt ist. In Ländern, in denen der Versicherungsschutz an die Erwerbstätigkeit gekoppelt ist, ist die Auswirkung weniger stark ausgeprägt, hier werden kaum neue Personengruppen erfasst.

4.3

Der EWSA wiederholt daher seine insbesondere an die Mitgliedstaaten gerichtete und bereits in früheren Stellungnahmen aufgestellte Forderung, die Behandlung der im Entwurf vorliegenden Durchführungsverordnung so rasch als irgend möglich voranzutreiben und ein möglichst zügiges Inkrafttreten anzupeilen. Die neue Koordinierungsverordnung und die damit einhergehenden Verbesserungen und Vereinfachungen müssen möglichst rasch in Kraft treten (1).

4.4

Der vorliegende Entwurf zur Durchführung der Verordnung 883/2004 kommt mit einiger zeitlicher Verzögerung erst rund eineinhalb Jahre nach der Beschlussfassung der Verordnung 883/2004. Er liegt nun seit Beginn des Jahres 2006 auf dem Tisch. Auf Grund der Komplexität und Breite der zu behandelnden Sachverhalte aber auch den zahlreichen schwebenden Fragen, benötigt es mit Sicherheit noch einige Zeit, bis alle detaillierten Fragen zur Handhabung und über die Prozeduren in den einzelnen Mitgliedstaaten und Institutionen auf Ebene des Rates und in den Verwaltungskommissionen geklärt sein werden.

4.4.1

Es ist geplant, dass die Durchführungsverordnung zu Beginn des Jahres 2008 in Kraft tritt. Wie in Artikel 91 festgelegt tritt die Verordnung erst nach einer Frist von 6 Monaten nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft. Diese Frist erscheint notwendig, aber auch ausreichend für die Anpassung der Systeme auf die neuen Regelungen. Eine Ausweitung der sechsmonatigen Frist zwischen Veröffentlichung und Inkrafttreten soll jedenfalls vermieden werden.

4.4.2

Im Dienste einer raschen Anwendbarkeit der Grundverordnung fordert der EWSA die Mitgliedstaaten daher auf, ihre Träger der sozialen Sicherheit bereits jetzt mit den notwendigen personellen und technischen Ressourcen auszustatten, um diese rasche Umstellung zu ermöglichen. Bestehende Instrumente der Akteure und Nutzer auf nationaler Ebene — insbesondere die bestehenden TRESS Netzwerke (2), die auf Ebene der Mitgliedstaaten die interessierten Kreise und Akteure zusammenbringen — sollen dazu genutzt werden, die praktische Anwendung dieser Verordnung nach deren Inkrafttreten in den einzelnen Mitgliedstaaten entsprechend zu evaluieren. Die Kommission wird vom EWSA aufgefordert, diese Maßnahmen zu unterstützen. Eine Ausweitung der sechsmonatigen Frist zwischen Veröffentlichung und Inkrafttreten soll jedenfalls vermieden werden.

4.5

Auch an der Verordnung 883/2004 selbst wird noch gearbeitet. Speziell Anhang XI ist hier zu erwähnen. Dieser Anhang wurde bei der Beschlussfassung im Jahr 2004 leer gelassen und wird nun in der Ratsarbeitsgruppe zeitgleich mit dem Entwurf der Durchführungsverordnung kombiniert diskutiert bzw. parallel behandelt.

4.5.1

Der Anhang XI hat nicht nur Bezug auf die Verordnung 883/2004, sondern auch auf die Durchführungsverordnung selbst. Die beiden Texte kann man nicht voneinander losgelöst betrachten. Der Anhang XI behandelt „Besondere Vorschriften für die Anwendung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten“. Der Inhalt des Anhangs wird vom Europäischen Parlament gemeinsam mit dem Rat festgelegt. Der Inhalt des Anhangs muss bis zum Inkrafttreten der Durchführungsverordnung feststehen.

4.5.2

In diesem Anhang können bestimmte Verfahren definiert werden, wie gewisse Rechtsvorschriften angewandt werden sollen. Die Mitgliedstaaten versuchen darin, bestimmte nationale Bestimmungen aufrechtzuerhalten. Der Anhang XI ist hinsichtlich der möglichen Fülle an Einträgen ein besonders sensibler Teil der Verordnung. Der EWSA wird dazu in unmittelbarem Anschluss an diese Stellungnahme gesondert Stellung beziehen.

4.6

Die Verfolgung von Partikulärinteressen darf insbesondere auch vor dem Hintergrund des von der Kommission für 2006 ausgerufenen Jahres der Mobilität der Arbeitnehmer das Inkrafttreten der neuen Koordinierungsverordnung 883/2004 und damit die Anwendung aller bereits beschlossenen Verbesserungen, nicht weiter verzögern. Die rasche Verabschiedung wäre mehr als ein Symbol, geht es doch tatsächlich darum, für die Bürgerinnen und Bürger in Europa einen konkreten Akt zu setzen, um die Möglichkeiten zur Mobilität zu erhöhen (3).

4.7

Der EWSA weist darauf hin, dass die Verordnung 1408/71 und auch deren Durchführungsverordnung 574/72 für bestimmte Personengruppen auch im Fall des Inkrafttretens dieser Durchführungsverordnung und der damit verbundenen Anwendbarkeit der Verordnung 883/2004 weiterhin in Geltung bleiben, sofern nicht noch weitere Verordnungen oder Abkommen geändert werden (siehe Artikel 90 der Grundverordnung und Artikel 90 der Durchführungsverordnung).

4.7.1

Der Geltungsbereich der Koordinationsregelungen der sozialen Sicherheit in 1408/71 wurde im Laufe der Jahre auf weitere Personengruppen ausgeweitet. Diese Einbindung weiterer Personengruppen erfolgte aber nicht in der Verordnung 1408/71 oder 574/72 selbst, sondern durch spezifische zusätzliche Verordnungen oder Abkommen.

4.7.2

Das betrifft einerseits die Anwendbarkeit der Koordinierungsregeln für Drittstaatenangehörige, ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen, die in der Verordnung 859/2003 geregelt ist. Seit 1. Juni 2003 sind Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, von den Koordinierungsregelungen erfasst wie EU-Bürger. Festzuhalten ist, dass sich die Einbeziehung von Drittstaatsangehörigen in den Geltungsbereich nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte dieser Versicherten zwischen zumindest zwei EU-Ländern bezieht, nicht auf grenzüberschreitende Sachverhalte zwischen ihrem Heimatland und einem EU-Staat.

4.7.3

Andererseits sind bereits seit 1994 die Regelungen der Verordnungen 1408/71 und 574/72 auf die Mitgliedstaaten des EWR und auf die EWR-Bürger anzuwenden. Das Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz, gültig seit 1. Juni 2002, weitet die Koordinierungsregelungen auch im Verhältnis mit der Schweiz aus. Und Grönland mit seinen Bürgern wurde mit der Verordnung 1661/85 einbezogen.

4.7.4

Alles das brachte auch für die EU-Bürger einen vergrößerten örtlichen Geltungsbereich. EWR-Staaten und Grönland wurden den EU-Staaten gleichgestellt. Diesen Zustand gilt es im Sinne der Verwirklichung der Gleichbehandlung im sozialen Bereich zwischen Staatsangehörigen der Gemeinschaft und Drittstaatsangehörigen beizubehalten. In diesen Verordnungen sind entsprechende Änderungen notwendig, soll diese erweiterte Bindung im Geltungsbereich auch für die Verordnung 883/2004 gelten.

4.8

Der EWSA fordert in diesem Sinn, dass so rasch wie möglich, spätestens jedenfalls bis zum Start der Anwendung der neuen Koordinierung, die entsprechenden Verordnungen und Verträge geändert werden, die allesamt einen Bezug auf die Verordnung 1408/71 aufweisen. Forthin soll auch die Verordnung 883/2004 mit demselben erweiterten räumlichen und persönlichen Geltungsbereich angewandt werden können. Andernfalls würden die betroffenen Drittstaatsangehörigen sowie die Bürger des EWR, der Schweiz und Grönlands nicht unter deren Schutz fallen und auch EU-Bürger bei bestimmten grenzüberschreitenden Sachverhalten mit diesen Ländern möglicherweise Nachteile erleiden. Für diese Fälle wäre weiterhin die Verordnung 1408/71 anzuwenden.

4.8.1

Die Kommission ist angehalten, hier so bald wie möglich die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten. Zum einen kommt es zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Bürgerinnen und Bürger mit Wohnsitz in der Europäischen Union. Auf der anderen Seite ist es auch für die Träger der sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten eine unbotmäßige Mehrbelastung, zwei derart komplexe Verordnungen gleichzeitig anwenden zu müssen.

4.8.2

Zusätzlich ist zu beachten, dass bei einer weiteren Gültigkeit der Verordnung 1408/71 und ihrer Durchführungsverordnung 574/72 diese beiden Verordnungen weiterhin laufend novelliert und an Veränderungen angepasst werden müssen, selbst wenn sie nur noch für eine kleine Gruppe von Begünstigten gelten. Dies ist für die Verwaltung der Europäischen Union sowie auch für alle Anwender der Verordnungen eine unzumutbare Belastung.

4.9

Die Verordnung 883/2004 sieht auch die Implementierung besserer Verfahren hinsichtlich eines schnelleren und zuverlässigeren Datenaustausches zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten vor. Dies soll insbesondere über die Förderung des Einsatzes elektronischer Verfahren für den Informationsaustausch und die Arbeit mit elektronischen Dokumenten erfolgen.

4.9.1

Während bislang eine Abwicklung über Papierdokumente vorgesehen war und die elektronische Abwicklung optional nur bei wechselseitigem Einverständnis zweier Mitgliedstaaten erfolgte, soll nun der gesamte Datenaustausch zwischen den Institutionen in der Regel elektronisch abgewickelt werden.

4.9.2

Dadurch erhofft man sich neben Kosteneinsparung in der Verwaltung insbesondere auch Vorteile hinsichtlich der Beschleunigung der Verfahren für die Versicherten und die Verkürzung von Antwort- und Bearbeitungsfristen sowie Beschleunigung von Erstattung bzw. Leistungsgewährung bei grenzübergreifenden Sachverhalten.

4.9.3

Der Verordnungsvorschlag legt dabei keinesfalls fest, dass jeder Träger mit jedem Träger in der EU elektronisch kommunizieren muss. Vielmehr reicht zumindest eine Zugangsstelle in einer Institution pro Mitgliedstaat aus, die für Empfang und Sendung der elektronischen Sozialversicherungsdaten ausgestattet ist, und die die Weiterleitung an die zuständigen Träger im Inland abwickelt. Zum Zweck der Identifizierung der Kommunikationspartner muss laut Artikel 83 der Vorlage allerdings eine öffentlich zugängliche Datenbank geschaffen werden. Diese enthält die „zuständigen Behörden“, die „zuständigen Träger“ und die „Träger des Wohnorts“ sowie die „Träger des Aufenthaltsorts“, „Zugangsstelle“ und „Verbindungsstelle“ laut Definition. Dieser Zugang macht es möglich, bisherige Verordnungsanhänge mit entsprechend aktualisierten Listen der Institutionen zu ersetzen.

4.9.4

Der EWSA regt in diesem Zusammenhang an, die Erfahrungen bei der Implementierung der europäischen Krankenversicherungskarte zu nutzen, auch was die bestehenden Mängel bei der praktischen Anwendung in einzelnen Mitgliedstaaten betrifft. Insbesondere sollte geprüft werden, inwiefern bestehende Datenbanken für Krankenversicherungsträger genutzt werden können. Die Verwaltungskommission wird hier gefordert sein, die notwendigen Daten zu identifizieren, die für die Kommunikation essenziell sind. Darüber hinaus sollten die Mitgliedstaaten angehalten werden, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, damit die europäischen Bürgerinnen und Bürgern insbesondere im Bereich der Krankenversicherung die Vorteile der neuen Regelungen voll nutzen können.

4.10

Der EWSA erkennt, dass durch die elektronische Weiterleitung der Daten eine beschleunigte Abwicklung möglich ist, die im Interesse der Versicherten liegt. Insofern wird diese Umstellung begrüßt. Der EWSA gibt jedoch zugleich zu bedenken, dass es sich dabei um eine Reihe sensibler personenbezogener Daten (u.a. Gesundheit, Berufsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit betreffend) handelt. Es muss deshalb unbedingt gewährleistet sein, dass diese Daten entsprechend gesichert sind und nicht in falsche Hände gelangen können.

4.10.1

Zwar gelten auch hier die vollen Garantien bestehender Gemeinschaftsbestimmungen zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr. Diese waren in der Verordnung 1408/71 in Artikel 84 geregelt und finden sich in der Verordnung 883/2004 im Artikel 77. Der EWSA fordert trotzdem, insbesondere vor dem Hintergrund der nun zur Regel werdenden elektronischen Datenübertragung zwischen den Trägern in den Mitgliedstaaten, in der Durchführungsverordnung ausdrücklich auf die Sensibilität der Daten hinzuweisen und geeignete Mechanismen zu finden, um deren Sicherheit zu gewährleisten.

4.10.2

Jedenfalls vermisst der EWSA eine Formulierung wie in Artikel 84(5) b in der Verordnung 1408/71, die ausdrücklich untersagt, die Daten zu anderen Zwecken als zu denen der sozialen Sicherheit zu verwenden. Ein solcher Passus ist beim Artikel 4 der Durchführungsverordnung explizit anzumerken.

4.11

Der Vorteil durch den Einsatz elektronischer Mittel für den Datenaustausch zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit sollte jedoch nicht überschätzt werden. Zweifellos wird es zu einer rascheren Übermittlung von Daten kommen. Dazu ist vielfach eine Umstrukturierung der nationalen Institutionen notwendig.

4.11.1

Fraglich ist jedoch, ob durch Beschleunigung in der Zeit der Übermittlung tatsächlich maßgebliche Vorteile für die Versicherten liegen. Denn die Zeit der Übermittlung ist in der Regel im Verhältnis zur gesamten Zeit, einen Akt zu bearbeiten, relativ gering. Gewisse Fälle werden aufgrund der Komplexität der Sachverhalte (v.a. im Bereich der Rentenversicherung: zwischenstaatliche Teilleistungen, Proratisierung, etc.) weiterhin einer spezifischen Bearbeitung bedürfen und nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand von EDV-Programmen zu bewältigen sein. Hier wird es notwendig sein, dass diese Akten weiterhin von Sachbearbeitern bearbeitet werden müssen.

4.11.2

Die reine Beschleunigung der Übermittlung von Daten und Fakten wird aus Sicht des EWSA somit nicht den Durchbruch darstellen. Die gewünschte Effizienz bei den Bearbeitungszeiten wird nur bei gleichzeitiger Gewährleistung ausreichender und gut qualifizierter personeller sowie entsprechender technischer Ressourcen durch die Träger in den Mitgliedstaaten zu erreichen sein.

4.11.3

Der EWSA fordert daher die Mitgliedstaaten auf, das Personal in den Trägern der sozialen Sicherheit ab sofort auf die neuen Regelungen der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung vorzubereiten. Entsprechende Schulungen und Training des Personals sind unumgänglich. Der EWSA fordert die Kommission auf, im Rahmen ihrer Zuständigkeit entsprechende Initiativen zu ergreifen, um die Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen. Insbesondere Mittel der Gemeinschaft für Trainingsprogramme und gegebenenfalls auch eine Mitwirkung in der Ausbildung werden gefordert.

4.12

Weil die von der Verordnung 883/2004 erfassten Systeme der sozialen Sicherheit auf der Solidarität aller Versicherten beruhen, sind Mechanismen für eine wirksamere Beitreibung der Forderungen vorzusehen, die sich auf unrechtmäßig in Anspruch genommene Leistungen oder auf von den Versicherten bzw. den zur Beitragszahlung Verpflichteten nicht abgeführte Beiträge beziehen.

4.12.1

Der EWSA schließt sich der Meinung der Kommission an, dass verbindlichere Verfahren zur Verkürzung der Erstattungsfristen für diese Forderungen unter den Trägern der Mitgliedstaaten wesentlich erscheinen, um das Vertrauen in den Austausch zu erhalten.

4.12.2

So sieht die Durchführungsverordnung gemeinsame Fristsetzungen zur Erledigung bestimmter Verpflichtungen oder bestimmter Verwaltungsabläufe vor, die zu klaren und geordneten Beziehungen zwischen den Versicherten und den Trägern beitragen sollen.

4.12.3

Darüber hinaus sind — in Anlehnung an die Richtlinie 76/308/EWG über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern — Verfahren für die Amtshilfe unter Trägern geplant. Außerdem werden Zinsen für Beitragsschulden eingeführt, womit die Zahlungsmoral gesteigert werden soll.

4.12.4

Der EWSA begrüßt ausdrücklich alle diese Maßnahmen, die in der Durchführungsverordnung angelegt sind, um allen Anwendern der neuen Koordinierungsverordnung mehr Rechtssicherheit und Transparenz zu bringen, ist es doch in der Vergangenheit zwischen Mitgliedstaaten etwa vorgekommen, dass Schulden aus der Verrechnung zwischen den Trägern selbst über Jahre hinweg nicht abgegolten wurden. Der EWSA hofft, dass die zwischenstaatliche Zahlungsmoral deutlich erhöht wird. Ein Durchsetzungsdefizit für die Beitreibung offener Forderungen zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit bleibt aber weiterhin erhalten.

4.13

Der EWSA begrüßt weiters die größere Flexibilität der neuen Durchführungsverordnung im Vergleich zur Verordnung 574/72 zur Durchführung von 1408/71, die es den Mitgliedstaaten weiterhin ermöglicht, auf bilateraler Ebene etwas besser umzusetzen als in der Durchführungsverordnung gefordert, sofern die Interessen der Begünstigten und das Funktionieren der Koordinierung dabei nicht gefährdet werden. Der EWSA setzt sich entsprechend dieses Primates, wonach diese Flexibilität nicht auf Kosten der Begünstigten gehen darf, jedoch für eine andere, schärfere Formulierung in Artikel 9 ein als jene, dass „die Ansprüche der Berechtigten nicht beeinträchtigt werden“ dürfen. Insbesondere sollte explizit festgehalten werden, dass durch die andersartige Umsetzung beispielsweise auch keine Fristen verlängert oder zusätzliche Dienstwege gefordert werden können.

4.14

Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, jene Maßnahmen zu verstärken, die allen Nutzern der Verordnung die Regelungen und Vorteile der Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme näher bringen, inklusive der Änderungen durch die Anwendbarkeit von 883/2004. Die Informationen sollen an Unternehmen sowie alle Versicherten ergehen, insbesondere an die Erwerbstätigen in den unterschiedlichsten Beschäftigungsformen, vom Arbeitnehmer bis hin zum informellen Sektor. Dafür notwendige Vorbereitungen sind nach Ansicht des Ausschusses unverzüglich in Angriff zu nehmen.

4.15

Die Verordnung 883/2004 sieht vor, dass die Verfahren der Forderung nach einer ausgewogenen Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten genügen müssen. Der EWSA stellt in diesem Zusammenhang dennoch die Frage, ob durch die Regelungen in Verordnung und Durchführungsverordnung nicht eine Entwicklung ausgelöst werden könnte, die die gut ausgebauten Sozialsysteme in der EU aushöhlen und eine Tendenz zum Abbau von Leistungen induzieren könnte. Der EWSA hält speziell im Zusammenhang mit der Einbeziehung von wirtschaftlich nicht aktiven Personen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung und der Freizügigkeit von Personen innerhalb der Union fest, dass es durch die Koordinierungsbestrebungen zu keiner Nivellierung nach unten und zum Abbau von Sozialstandards kommen darf.

4.15.1

Der EWSA hält es in diesem Zusammenhang für notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um vergleichbare und aussagekräftige Daten bereitzustellen, die den derzeit stattfindenden und künftig zu erwartenden grenzüberschreitenden Bezug von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen in der EU dokumentieren. Insbesondere Änderungen, die mit der Verordnung 883/2004 einhergehen, sind von Relevanz.

5.   Weitere besondere Anmerkungen zu einzelnen Artikeln

5.1   Artikel 2: Modalitäten des Datenaustausches zwischen den Trägern

Der EWSA fordert, dass klare Fristen für Beantwortungen und Erledigungen geschaffen werden. Für ein Überschreiten dieser Fristen muss es Schadenersatz für die Versicherten geben, sofern ein Schaden entsteht. Die Rechte der Versicherten müssen durchsetzbar sein, entsprechende Rechtsmittel sind zu schaffen. Entstehende Nachteile dürfen nicht auf die Versicherten abgewälzt werden. Der Schaden muss von jenem Träger ersetzt werden, in dessen Verantwortungsbereich er verursacht wurde. Ein solcher Passus ist in Artikel 2 der Durchführungsverordnung einzufügen.

5.2   Artikel 3: Umfang und Modalitäten des Datenaustausches zwischen den Anspruchsberechtigten und den Trägern

Artikel 3 Absatz 4: Im Sinne der Beschleunigung der Verfahren sollen Anreize gesetzt werden, dass sowohl die Versendung von Dokumenten, aber insbesondere die Versendung von Empfangsbestätigungen in elektronischer Form erfolgen. Die Papierform soll nur in Ausnahmefällen verwendet werden.

5.3   Artikel 4: Format und Modalitäten des Datenaustausches

Hinsichtlich der elektronischen Kommunikation ist neben der in Ziffer 3.10.2 angesprochenen Datensicherheit auch sicherzustellen, dass eine elektronische Kommunikation mit den Versicherten nur mit deren Einverständnis erfolgen kann. Insbesondere bei den Betroffenen im Bereich der Rentenversicherung haben viele Personen ihr gesamtes Leben außerhalb des Bereichs der elektronischen Kommunikation gelebt. Sie können jetzt nicht dazu gezwungen werden. Viele haben auch keinen Zugang zu elektronischen Mitteln. Auch auf andere Gruppen mit verminderten oder erschwerten Möglichkeiten im Zugang zur EDV (u.a. Menschen mit Behinderungen) ist hier entsprechend Rücksicht zu nehmen. Der öffentliche und möglichst universelle Zugang zu den entsprechenden Technologien ist zu fördern.

In diesem Sinn regt der EWSA an, in Artikel 4.2 der Verordnung folgende Formulierung anzufügen: „Alle Maßnahmen und Modalitäten des elektronischen Datenaustausches haben den Anforderungen allgemeiner Zugänglichkeit zu gehorchen“. Der EWSA erachtet darüber hinaus die Formulierung im Artikel 4 Absatz 3 als problematisch, wonach bei der Kommunikation mit den Anspruchsberechtigten vorzugsweise elektronische Techniken zu verwenden sind. Der EWSA fordert hier den Zusatz „sofern die Anspruchsberechtigten sich damit einverstanden erklären“.

5.4   Artikel 5: Rechtswirkung der in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Dokumente und Belege

Artikel 5 Absatz 2: Hier heißt es, eine staatliche Behörde kann sich an den Träger eines anderen Mitgliedstaates wenden, der das Dokument ausgestellt hat, um eine Klarstellung hinsichtlich Dokumenten zu erhalten. Wenn es sich wie in Artikel 5 Absatz 1 um ein Dokument einer Steuerbehörde handelt, soll sich dann die Stelle der sozialen Sicherheit eines Staates mit der Steuerbehörde eines anderen Staates in Verbindung setzen, um eine Klarstellung zu erhalten? Das scheint impraktikabel und umständlich.

Wozu dienen die „Verbindungsstellen“? Der EWSA schlägt vor, die Informations- und Assistenzbefugnisse der Verbindungsstellen zu stärken, damit diese die entsprechende Rolle ausüben können. Die Träger müssen sich dann zur Klärung der Fragen nur an die Verbindungsstelle wenden.

Artikel 5 Absatz 3: Es erscheint nicht als Vereinfachung und Verbesserung der Koordinierung zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit, dass sich die Verwaltungskommission sechs Monate Zeit lassen kann, um zwischen zwei oder mehreren Institutionen aus zwei oder mehreren Staaten zu schlichten. Diese Frist ist übertrieben lang. Der EWSA fordert, dass die Bearbeitung eines Antrags einschließlich aller Dienstwege zwischen Institutionen insgesamt nicht länger als drei Monate dauern darf.

5.5   Artikel 8: Vereinbarungen zwischen Verwaltungen zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten

Hier werden die Mitgliedstaaten ermächtigt, gemeinsame Abkommen miteinander zu schließen, sofern durch diese die Vereinbarungen und Ansprüche der Berechtigten nicht beeinträchtigt werden. Im Sinne der Transparenz und der Rechtssicherheit für die Betroffenen fordert der EWSA, dass diese Abkommen der Kommission gemeldet und bei ihr hinterlegt werden müssen. Eine Auflistung dieser Vereinbarungen in einem Anhang der Durchführungsverordnung würde zusätzliche Rechtssicherheit schaffen.

5.6   Artikel 11: Bestimmung des Wohnorts

In Artikel 11 werden in Absatz 1 a) — e) zur Bestimmung des Wohnorts objektiv bestimmbare Fakten mit dem Willen der Person gleichberechtigt als Entscheidungskriterien angeführt. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine solche Ermittlung des Wohnorts zuallererst nach objektiv bestimmbaren Fakten erfolgen soll. Nur wenn dies nicht möglich ist, soll auch auf den geäußerten Willen abgestellt werden können, also in einem nachrangigen Kriterium in Punkt 2.

Der EWSA hat darüber hinaus seine Zweifel, ob das Nachforschen nach den individuellen Gründen des Wechsels des Wohnorts nicht als ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger anzusehen ist.

5.7   Artikel 12: Zusammenrechnung von Zeiten

In Artikel 12 Absatz 3 wird festgelegt, dass beim Zusammentreffen einer Pflichtversicherungszeit in einem Mitgliedstaat mit einer freiwilligen Versicherungszeit in einem anderen Mitgliedstaat nur die Pflichtversicherungszeit zu berücksichtigen ist. Dies darf nach Ansicht des EWSA keinesfalls dazu führen, dass etwaige für die freiwillige Versicherung geleistete Beiträge dadurch wertlos werden. Für einen solchen Fall ist in der Durchführungsverordnung vorzusehen, dass geleistete Beiträge den Versicherten wertgesichert zurückerstattet werden.

5.8   Artikel 16: Verfahren zur Durchführung des Artikels 12 der Verordnung 883/2004

Hier wird für die Entsendung von Arbeitnehmern gefordert, dass der Arbeitgeber den zuständigen Träger „so weit angemessen“ vorab von der Entsendung zu unterrichten hat. Der EWSA fordert das Streichen dieses Passus „so weit angemessen“, da er einen zu breiten Interpretationsspielraum zulässt.

Es ist sicherzustellen, dass der Träger in der Regel vorab zu unterrichten ist, um Rechtssicherheit für die Versicherten bei der Entsendung zu schaffen und Probleme zu vermeiden, die diese bei Eintritt eines Versicherungsfalles während der Entsendung haben, wenn der Träger des Mitgliedstaates, in den der Arbeitnehmer entsandt wird, nicht unterrichtet ist.

5.9   Artikel 21: Pflichten des Arbeitgebers

Artikel 21 ermöglicht es, dass die Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge der sozialen Sicherheit vom Arbeitnehmer wahrgenommen wird, sofern der Arbeitgeber keine Niederlassung in dem Mitgliedstaat hat, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer gelten. Der Arbeitgeber muss dies mit dem Arbeitnehmer vereinbaren.

Für den EWSA ist es wichtig, dass hier in jedem Fall die Verantwortung der Arbeitgeber gewahrt bleibt. So darf die Möglichkeit der Übertragung der Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge nicht dazu führen, dass etwaige Dienstgeberbeiträge auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden, und dass dessen Nettoentgelt dadurch geschmälert wird. Der Arbeitnehmer muss etwaige abzuführende Dienstgeberbeiträge in voller Höhe vom Dienstgeber abgegolten bekommen.

Der EWSA fordert, dass die in Artikel 21 (2) angesprochene Vereinbarung jedenfalls in schriftlicher Form zu erfolgen hat, um Rechtsunsicherheit auszuschließen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem zuständigen Träger diese Vereinbarung mitzuteilen, soll nach Ansicht des EWSA strikter betont werden. Eine solche Mitteilung soll unverzüglich (innerhalb eines zu definierenden kurzen Zeitrahmens) und in schriftlicher Form erfolgen.

5.10   Artikel 25: Aufenthalt in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat

In Artikel 25 A Punkt 1 wird für den Aufenthalt in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat die Ausstellung eines Dokuments zum Nachweis der Anspruchsberechtigung auf Sachleistungen verlangt. Es sollte aus Sicht des EWSA klargestellt werden, dass die Europäische Krankenversicherungskarte diese Voraussetzungen erfüllt und keine Zusatzbescheinigung erforderlich ist. Sollte es in Hinkunft eine andere Form des Nachweises geben, so kann dieser Artikel immer noch modifiziert werden.

Unter Artikel 25 B ist der Formulierung nach unklar, ob der Versicherte ein Wahlrecht hat, die Kostenerstattung beim Träger des Aufenthaltsorts oder beim zuständigen Träger zu beantragen.

5.11   Artikel 26: Geplante Behandlungen

Die Formulierung unter Artikel 26 B „Übernahme der Kosten von Sachleistungen bei geplanten Behandlungen“ kann aus Sicht des EWSA zu Fehlinterpretationen führen und sollte ergänzt werden. Der Intention der Kommission folgend schlägt der EWSA folgenden Beginn dieses Absatzes vor: „Wird die Genehmigung erteilt und hat der Versicherte die Kosten der Behandlung selbst getragen, so übernimmt der zuständige Träger die Kosten nach dem höchsten Satz und zahlt diesen Betrag an den Versicherten aus …“

Ansonsten könnte man interpretieren, dass der zuständige Träger dem ausführenden Träger die Kosten ersetzt, und danach der Versicherte die Auszahlung eines eventuellen Unterschiedsbetrags verlangen könnte. — Das ist nicht die Intention bei der Übernahme der Kosten bei geplanten Verhandlungen.

5.12   Artikel 88: Änderung der Anhänge

Wie bereits in Ziffer 4.5 ausgeführt, werden im parallel zur Durchführungsverordnung auf Ratsebene verhandelnden, derzeit noch leeren Anhang XI seitens der Mitgliedstaaten bestimmte Verfahren definiert, wie spezifische nationale Rechtsvorschriften angewandt werden sollen. Die Mitgliedstaaten versuchen darin, bestimmte nationale Bestimmungen aufrechtzuerhalten. Der Anhang XI ist hinsichtlich der möglichen Fülle an Einträgen ein sensibler Teil der Verordnung 883/2004.

Der EWSA spricht sich dafür aus, bei Einträgen in diesen Anhang strikt auf das Gebot der Notwendigkeit zu achten. Der EWSA wird dazu eine gesonderte Stellungnahme abgeben.

5.13   Artikel 91: Schlussbestimmungen

Hinsichtlich der Bedeutung einer raschen Umsetzung der Durchführungsverordnung für die Bürgerinnen und Bürger fordert der EWSA — wie bereits in Ziffer 4.4 ausgeführt — die Mitgliedstaaten auf, eine klare Frist zu setzen, bis zu der die Verhandlungen im Rat über die Durchführungsverordnung abgeschlossen sein müssen. Ein solcher politisch vereinbarter Termin war auch im Rahmen der europäischen Krankenversicherungskarte sinnvoll und machbar. Die Grundverordnung 883/2004 muss möglichst rasch in Kraft treten.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitrios DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Soziale Sicherheit von Arbeitnehmern und Selbständigen“ (Berichterstatter: Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO), ABl. C 24 vom 31.1.2006.

(2)  Training and Reporting on European Social Security (siehe auch: http://www.tress-network.org/).

(3)  Siehe auch Stellungnahmeentwurf zum Thema „Änderung der Verordnung Nr. 1408/71“ (SOC/213, CESE 920/2006, Berichterstatter: Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO, Ziffer 5).


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/68


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“

KOM(2005) 596 endg.

(2006/C 324/24)

Die Europäische Kommission beschloss am 22. November 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 6. September 2006 an. Berichterstatterin war Frau LE NOUAIL-MARLIÈRE.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und hat Frau LE NOUAIL-MARLIÈRE gemäß Artikel 20 GO zur Hauptberichterstatterin bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 105 gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen:

1.1

Der Ausschuss empfiehlt Folgendes:

Die Kommission klärt die Mitgliedstaaten auf, indem sie ihnen die in den geforderten nationalen Plänen herzustellenden Verbindungen oder in deren Rahmen durchzuführenden zusätzlichen Maßnahmen genauer erläutert, und macht deutlich, dass die Mehrsprachigkeit einen möglichen Beitrag zur politischen und kulturellen Integration der EU leistet und ein Katalysator für Verständigung und soziale Eingliederung ist,

der Umfang des Bildungsangebots muss auf europäischer Ebene abgestimmt werden, wenn langfristig Ergebnisse erzielt werden sollen, und das potentielle Fähigkeitenreservoir darf nicht auf eine begrenzte Zahl von Sprachen reduziert werden,

alle mehrsprachigen Praktiken im beruflichen, kulturellen, politischen, wissenschaftlichen und sozialen Bereich müssen gefördert und unterstützt werden,

als Sachverständige sollten nicht nur Fachleute aus sozialen und wissenschaftlichen Fächern, sondern auch Sprachpraktiker, Linguisten, Dolmetscher, Übersetzer sowie Sprachlehrer und Sprachenspezialisten hinzugezogen werden,

die heutigen Generationen junger und weniger junger Erwachsener müssen im Rahmen dieser Zielsetzungen mit Hilfe des lebenslangen Lernens und durch die Achtung ihrer kulturellen Rechte angemessen und stärker berücksichtigt werden, wenn die Kommission mit der Programmphase beginnt,

die Kommission sollte sich nicht nur auf die akademischen Arbeiten stützen, sondern auch auf die Maßnahmen der in diesem Bereich aktiven Verbände, und die von der Zivilgesellschaft ergriffenen Initiativen unterstützen.

2.   Einleitung: Wesentlicher Inhalt der Kommissionsmitteilung

Mit dieser Mitteilung legt die Europäische Kommission eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit vor und erneuert ihr eigenes Engagement für die Mehrsprachigkeit. Zum ersten Mal befasst sich die Kommission in einer Mitteilung mit diesem Politikbereich. Sie beleuchtet verschiedene Dimensionen der europäischen Politik in diesem Bereich und schlägt spezifische Maßnahmen vor.

Die Mitgliedstaaten werden aufgerufen, ihre Aufgaben wahrzunehmen und das Lehren und Lernen von Fremdsprachen sowie ihre Anwendung zu fördern. Bemerkenswert ist die Einrichtung eines neuen institutionellen Konsultationsportals in 20 Sprachen durch die Kommission.

Die Kommission stellt in diesem ersten politischen Dokument zur Mehrsprachigkeit eine neue Rahmenstrategie vor, die spezifische Maßnahmen in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Beziehungen zu den Bürgern beinhaltet. Sie verfolgt damit drei Zielsetzungen: Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt in der Gesellschaft; Förderung einer leistungsstarken multilingualen Wirtschaft; Zugang der Bürger zu den Rechtsvorschriften, Verfahren und Informationen der Europäischen Union in ihrer Sprache. Die Kommission erinnert daran, dass der Europäische Rat von Barcelona im Jahre 2002 die Notwendigkeit hervorgehoben hat, die Vermittlung von mindestens zwei Fremdsprachen zu fördern, und fordert die Mitgliedstaaten auf, Aktionspläne für die Mehrsprachigkeit zu verabschieden, die Ausbildung der Fremdsprachenlehrer zu verbessern, die notwendigen Mittel bereitzustellen, um das Sprachenlernen von frühester Kindheit an zu ermöglichen sowie das Unterrichten anderer Fächer in einer Fremdsprache auszubauen. Die europäischen Unternehmen brauchen Mitarbeiter mit Kenntnissen in den Sprachen der Europäischen Union und unserer Handelspartner in der Welt, und da die Wirtschaftsbereiche, in denen Sprachkenntnisse eine Rolle spielen, in den meisten europäischen Staaten eine rasante Entwicklung verzeichnen, schlägt die Kommission eine Reihe von Maßnahmen vor, um den Aspekt der Mehrsprachigkeit in der Wirtschaft der Union zu verstärken. Im Hinblick auf ihre multilinguale Kommunikationspolitik plant die Kommission einen Ausbau des mehrsprachigen Charakters ihrer zahlreichen Internetsites und ihrer Publikationen durch die Schaffung eines internen Netzes, das über die sprachliche Kohärenz in ihren Dienststellen wachen soll. Sie schlägt des Weiteren vor, eine hochrangige Gruppe zur Mehrsprachigkeit einzusetzen, die sich aus unabhängigen Sachverständigen zusammensetzt und ihr dabei behilflich ist, die Fortschritte in den Mitgliedstaaten zu analysieren. Ferner sollte in Kürze eine Ministerkonferenz über die Mehrsprachigkeit stattfinden, auf der die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, über ihre Fortschritte auf diesem Gebiet zu berichten. Schließlich soll eine neue Mitteilung vorbereitet werden, in der dieser globale Ansatz der Mehrsprachigkeit in der Europäischen Union weiterentwickelt wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag und weist darauf hin, dass es sich um eine „neue“ Rahmenstrategie handelt und die Mitteilung „das erste politische Dokument über Mehrsprachigkeit“ ist. In diesem Zusammenhang reichen die zahlreichen Anknüpfungspunkte zur alten Rahmenstrategie (1) nicht aus, um ein klares Bild von den Schlussfolgerungen zu erhalten. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass es von Nutzen wäre, wenn die Kommission in einer Synthese deutlich machte, welchen Mehrwert der neue Rahmen liefern soll und welche Auswirkungen im Vergleich erwartet werden. Wird es eine Folgenabschätzung geben, wie sie im interinstitutionellen Abkommen zwischen der Kommission und dem EWSA (2) und im Rahmen der Vereinfachung von Rechtsetzung und der Governance definiert wird? Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Mitteilung vielleicht allein nicht ausreicht, die Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, Programme zu verabschieden, die dazu noch nicht einmal obligatorisch sind. Obwohl die Rahmenstrategie vom Rat gefordert wird, setzt sie eine notwendige Harmonisierung voraus, um die Ressourcen, die gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union selbst zur Verfügung gestellt werden, zu optimieren. Diese Harmonisierung kann nur mit genauer Kenntnis der bereits durch die Mitgliedstaaten oder die EU durchgeführten Aktionen Gestalt annehmen.

3.2

Die Europäische Kommission bekräftigt ihr eigenes Engagement: Der Ausschuss schließt daraus, dass es ein früheres Engagement gegeben hat. Er bemerkt, dass die Maßnahmen der Kommission im Bereich der Mehrsprachigkeit weder innerhalb der Kommissionsdienststellen noch in ihren Beziehungen nach außen Anlass zur Zufriedenheit geben.

3.3

Der Ausschuss stellt ein störendes Ungleichgewicht bei der Behandlung der Institutionen auf der einen und der europäischen Zivilgesellschaft in allen ihren Organisationsformen (unabhängiger Dialog zwischen den Sozialpartnern und ziviler Dialog) auf der anderen Seite fest. Alle zur Erarbeitung des EU-Rechts, zu den Anhörungsverfahren und Diskussionen nützlichen und erforderlichen Vermerke, Untersuchungen und Dokumente sind zu einem unverhältnismäßig hohen Teil in englischer Sprache verfasst und zugänglich. Gleiches gilt in verstärktem Maße für die internen oder durch die Kommission organisierten Sitzungen. Ein Sachverständiger der Kommission muss daher de facto Englisch sprechen, ebenso ein Vertreter der Zivilgesellschaft in Brüssel. Fast alle statistischen oder qualitativen Untersuchungen, auf die in der vorliegenden Stellungnahme Bezug genommen wird, liegen ebenfalls nur in englischer Sprache vor. (3)

3.4

Es kommt immer wieder vor, dass Dokumente nicht in der Sprache des Berichterstatters einer Institution oder der gewöhnlich konsultierten Fachleute vorliegen; die Vereinbarung über die drei Pivot-Arbeitssprachen der EU-Institutionen wird in der offiziellen wie auch der informellen Kommunikation der Institutionen bei weitem nicht immer eingehalten. Es sollte hinzugefügt werden, dass es auf diese Weise ein Leichtes ist, einige Diskussionsteilnehmer in zunehmendem Maße von Debatten auszuschließen. Es ist also nicht verwunderlich, in verschiedenen statistischen Erhebungen zu lesen, dass die befragten Personen es bevorzugen, ihr Studium in englischer Sprache zu absolvieren, da sie sich von dieser Entscheidung die besten Berufschancen versprechen. Genau aus dieser Motivation heraus sahen mehrere Generationen von Eltern und Regierungen das Erlernen des Englischen als „erste Wahl“ an und führten damit die gegenwärtige Situation herbei.

3.5

In dem Anhang zur Mitteilung steht des Weiteren zu lesen, dass die (als Mutter- oder Fremdsprache) meistgesprochene Sprache in der EU nicht jene ist, die die höchste Zahl an Muttersprachlern aufweist. Diese Sprache werde (werde, da Eurostat nicht definiert, wie hoch das Niveau und wie groß der Wortschatz sein muss, bevor man eine Sprache wirklich sprechen kann) von 47 % der Befragten gesprochen, während sie nur für 13 % von ihnen die Muttersprache sei.

3.6

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass dadurch die direkte und indirekte demokratische Beteiligung der Unionsbürger sowie ihrer Vertretungen — Parlament und Ausschüsse (EWSA, AdR) — an der Erarbeitung der sie betreffenden Regelungen faktisch beeinträchtigt wird. Wenn Berichterstatter der Institutionen oder Vertreter der Zivilgesellschaft im Rahmen der demokratischen und gesetzlichen Institutionen oder Instanzen konsultiert werden, können sie sich häufig nur mühsam oder durch vage Vermutungen einen Begriff davon machen, was die Kommission vorbringt. Wie kann ignoriert werden, dass der Bürger im Vorfeld zu keinem Zeitpunkt effizienten Zugang zur Information gehabt hat? Im Rahmen einer Mitteilung über ein derartiges Thema ist das besonders inkohärent. Es erfordert Mittel und den politischen Willen, diese gemeinsame, intellektuelle und kulturelle Inkohärenz und die Abhängigkeit von der Wirtschaft zu überwinden, die der erforderlichen Beteiligung der Bürger abträglich ist.

Der Ausschuss nimmt daher erfreut zur Kenntnis, dass die Kommission beabsichtigt, diese Nachteile auszugleichen und ein leistungsfähigeres Portal zu schaffen, das allerdings die Mehrsprachigkeit und nicht ihre gesamte Kommunikation betrifft. Die von der Kommission verfolgten Zielsetzungen zur institutionellen Kommunikation treten im Kapitel „Mehrsprachigkeit und die Beziehungen Kommission — BürgerInnen“ nicht sehr deutlich hervor: Die vorliegende Mitteilung könnte als einfache Fortsetzung des Plans D aufgefasst werden. Die Kommunikation in 20 Amtssprachen ändert nichts an der institutionellen Kommunikation, die erst stattfindet, nachdem Beschlüsse gefasst wurden, an denen der Bürger keinen Anteil hat und durch die die Bürgerbeteiligung an sich keine Stärkung erfährt.

3.7

Zahlreiche Beobachter weisen darauf hin, dass die ersten Seiten der Portale oder Websites der Institutionen vielsprachig scheinen, aber bei einer vertieften Recherche nur noch Dokumente in englischer Sprache zur Verfügung stehen.

3.8

Der Ausschuss betont, dass jede Sprache als Teil des kulturellen Erbes der Menschheit ihre Daseinsberechtigung hat, und ist der Ansicht, dass die englische Sprache durch übermäßige und laienhafte, weil in der Fachwelt erzwungene, kulturell jedoch weniger entwickelte Verwendung Schaden nehmen könnte. Mit dieser Bemerkung verweist der Ausschuss auf seine Beobachtungen zum Thema weiter unten sowie auf den Status der Sprachen und ihre Verwendungsweisen.

3.9

Angesichts der rein wirtschaftlichen Ausrichtung der Mehrsprachigkeit (auf Konsum, Information, Beruf, Industrie, wissensbasierte Wirtschaft) schlägt der Ausschuss eine stärkere Berücksichtigung menschlicher, sozialer, soziologischer, kultureller und politischer Aspekte vor. Wenn, wie auf der Pressekonferenz aus Anlass der Veröffentlichung dieser Kommissionsmitteilung verlautete, das Kernstück dessen, was den Menschen vom Tier unterscheidet, die Sprache und der durch sie ermöglichte Austausch der Menschen untereinander ist, dann sollte in der Mitteilung gebührend berücksichtigt werden, dass die zwischenmenschlichen Kontakte nicht nur kaufmännischer oder kommerzieller Natur sind, genauso wenig, wie sie ausschließlich durch Beziehungen im Zusammenhang mit der Landes- oder Ressourcenverteidigung bestimmt werden. So wäre es von Vorteil, wenn die Kommission sich in ihrer Mitteilung auf die Arbeiten der Unesco auf diesem Gebiet stützen würde, um konstruktive Empfehlungen unterbreiten zu können. (4)

3.10

Der Ausschuss begrüßt die Verbindungen zwischen der Lissabon-Strategie, ihrer Umsetzung, der europäischen Strategie für Beschäftigung und dieser neuen Rahmenstrategie, schlägt aber vor, dass in der Mitteilung verstärkt auf die notwendigen konkreten Verfügungen zu einer stärkeren Kohärenz zwischen den internen Dienststellen und den Generaldirektionen (Beschäftigung, Kultur, …) der Kommission eingegangen wird. Der Ausschuss empfiehlt, dass die Kommission den Mitgliedstaaten präzise die vorhandenen Verbindungen oder die zusätzlich umzusetzenden Maßnahmen erläutern und ihnen plausibel machen sollte, dass durch die Mehrsprachigkeit ein möglicher Beitrag zur politischen und kulturellen Integration der EU geleistet werden kann und sie als Katalysator für Verständigung und soziale Eingliederung fungiert. Eine Studie über die sektoralen Auswirkungen sollte auch Angaben über Qualität und Anzahl der gesicherten bzw. geschaffenen Arbeitsplätze sowie darüber enthalten, welche realen Veränderungen bei den Löhnen erwartet werden.

Der Ausschuss unterstützt die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, „nationale Pläne auszuarbeiten, die Aktionen zugunsten der Mehrsprachigkeit eine Struktur geben, ihre Kohärenz sichern und ihnen die Richtung vorgeben“, weist jedoch darauf hin, dass das Angebot auf europäischer Ebene koordiniert werden muss, wenn man auf lange Sicht erreichen will, dass nicht nur einige wenige Sprachen als kompetenzfördernd angesehen werden.

Im Rahmen der „Strategie, die EU zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“ sollten die Europäer auch in anderen Weltsprachen kommunizieren können und sich nicht auf die im Binnenmarkt praktizierten Sprachen beschränken, damit Europa seine Sprachbarrieren überwinden kann. Andernfalls könnte die Europäische Union Gefahr laufen, Gefangene ihrer eigenen Sprachbarrieren zu werden.

Das Recht der Einwanderer, die Sprache des Aufnahmelandes zu erlernen, sollte mit dem Recht einhergehen, ihre eigene Sprache und Kultur zu bewahren. (5) Die Europäische Union sollte diese Sprachkenntnisse als zusätzliche Humanressource zur Erreichung „weltweiter Wettbewerbsfähigkeit“ ansehen. Einige Unternehmen haben das bereits bedacht, aber es muss noch einmal daran erinnert werden, dass die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaftsvertreter sowie bestimmte Verbraucherorganisationen in diese Überlegungen eingebunden werden müssten. Eine Vorbildfunktion sollten ferner die lokalen Gebietskörperschaften haben, die konkrete Maßnahmen ins Leben gerufen haben und beispielsweise Neuankömmlinge im Hinblick auf ihre Integration in den gängigsten Sprachen der neuen Einwanderer empfangen.

3.11

Ein weiterer Bereich der Wirtschaft, der in der Mitteilung vertieft werden sollte, betrifft die Bedürfnisse und Motivationen der Arbeitnehmer in der Ausübung ihres Berufes oder innerhalb der Beratungsinstanzen, beispielsweise der europäischen Betriebsräte. Der Ausschuss hält es für bedauerlich, dass durch die Mitteilung harmonisierte Programme empfohlen werden könnten, in denen diesen besonderen Bedürfnissen nicht Rechnung getragen wird. In einer Mitteilung dieser Tragweite sollten unter voller Berücksichtigung des sozialen Dialogs und der Grundrechte (6) Themen vorgeschlagen werden, die den Unternehmen und Beschäftigten Perspektiven und Mittel an die Hand geben, um die wichtigsten Träger dieser auf Wissen basierenden, weltweit wettbewerbsfähigsten Wirtschaft zu sein.

3.12

Der Ausschuss erkennt die Einzigartigkeit Europas im Hinblick auf die Mehrsprachigkeit an. (7) Europa ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall, es gibt andere Kontinente, Staaten oder politische Gebilde, in denen eine Vielzahl von verschiedenen Sprachen gesprochen wird.

4.   Spezifische Bemerkungen

4.1

Die Debatten sowie die europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarats (8) dürfen nicht den Blick auf andere wichtige Bereiche versperren, z.B.:

a)

Der Status der Sprachen. Eine Sprache kann Folgendes sein: Amtssprache, Arbeitssprache, Gemeinschaftssprache, Minderheitensprache, dominierende Sprache, Sprache des kulturellen Austausches, der Wissenschaft oder des Handels, Behördensprache, Diplomatensprache, Umgangssprache, berufsspezifische Sprache (Gesundheit, Lehre, Bausektor, Industrie, Mode etc.). Die Achtung der Sprachenvielfalt, für die die Europäische Union plädiert und eintritt, setzt voraus, dass mehrere und angemessene Lösungen für diese Vielfalt von Situationen und Bedürfnissen in Auge gefasst werden. Ein einheitlicher Lösungsvorschlag, der versuchen würde, die Sprachenproblematik auf eine Logik „Ausbildung — Arbeitsmarktchancen — Beschäftigung“ oder „Sprachtechnologien — Markt für neue Produkte — Binnenmarkt“ zu reduzieren, würde nicht das Ziel erreichen, dass alle EU-BürgerInnen neben ihrer Muttersprache zwei Fremdsprachen sprechen, sondern könnte kontraproduktiv wirken und die Zahl der tatsächlich im europäischen Kulturraum bekannten oder gesprochenen Sprachen reduzieren. Der Ausschuss empfiehlt, jegliche berufliche, kulturelle, politische, wissenschaftliche und sonstige Benutzung im jeweiligen Anwendungsbereich zuzulassen und zu fördern, und befürwortet die in der Zivilgesellschaft ergriffenen zahlreichen Bürgerinitiativen. Durch jede in den ursprünglichen Sprachen erlaubte und geförderte schriftliche oder mündliche Mitteilung wird der öffentliche Raum der Freiheiten vergrößert, ohne dass sie unbedingt übersetzt oder verdolmetscht werden müssen. Die Frage der Zahl der benutzten Sprachen ist also nicht den Kosten für ihre Übersetzung bzw. Verdolmetschung oder ihre Unterrichtung untergeordnet.

b)

Die Beherrschung einer oder mehrerer Fremdsprachen ist mit einer gewissen sozialen Macht verbunden. Der Zugang zu den Finanzmitteln für mehrsprachigen Unterricht und ihre Zuweisung bestimmen in gewissem Maße die soziale Ausgrenzung oder Integration und die materielle oder kulturelle Armut, da die Kenntnis einer Sprache nicht nur Zugang zu sozialen und wirtschaftlichen, sondern vor allem kulturellen und solidarischen Netzen verschafft. Die Zugehörigkeit zu einem Netz trägt zu einer höheren persönlichen Unabhängigkeit bei und ist gleichzeitig ein Faktor für die Integration in die heutige Gesellschaft. Wenn nicht ab sofort dieses Ziel der Mehrsprachigkeit auf allen relevanten Ebenen der Gesellschaft, einschließlich der gefährdeten oder benachteiligten Gruppen, sichergestellt wird, würden bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen.

c)

Demokratie: Der Ausschuss unterstützt das Ziel, dass alle Bürger neben ihrer Muttersprache zwei Fremdsprachen sprechen können, aber wie viele BürgerInnen haben heute wirklich Aussichten darauf, es noch zu Lebzeiten zu verwirklichen? Was die berufliche, politische und wirtschaftliche „Elite“ der heutigen Erwachsenengeneration anbelangt, wird dieses Ziel im Rahmen des Aktionsplans 2004-2006 zur Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt sowie des Programms Kultur 2007-2013  (9) sowohl für die europäischen als auch für die einzelstaatlichen Institutionen schon schwer zu erreichen sein, wird aber an der ehrgeizigen Zielgruppe „alle BürgerInnen“ festgehalten, wird es nach Dafürhalten des Ausschusses ein äußerst umfangreiches Unterfangen. Es ist beispielsweise bekannt, welche Sprache sich als erste Fremdsprache durchgesetzt hat. Seltenere oder weniger geläufige Sprachen (10) haben weniger Sprecher, da sie erst später in den höheren Schulklassen oder an Universitäten gelehrt werden. Der Ausschuss unterstützt daher die Empfehlung, Kindern schon sehr frühzeitig die Möglichkeit zum Erwerb einer Fremdsprache zu geben, unter der Voraussetzung, dass bei der Sprachenwahl in globalen Zusammenhängen gedacht wird, die den Hauptgegenstand der Mitteilung bilden sollten. Es geht um die Zukunft und die gesellschaftlichen Grundlagen der kommenden Generationen;

d)

Der Erhalt der Sprachen als europäisches sprachliches Erbe: Möglichst viele Bürger dazu zu bewegen, eine zweite oder dritte Sprache zu erlernen, ist nicht dasselbe wie für den Fortbestand möglichst vieler europäischer Sprachen in Europa oder auf der ganzen Welt zu sorgen. Diese beiden Ziele widersprechen sich nicht, aber sie setzen unterschiedliche Herangehensweisen und Umsetzungsformen voraus. Unter diesem besonderen Gesichtspunkt sollte die Kommission bei ihrer Initiative zur Rechtsetzung, die darauf abzielt, den Gebrauch von Sprachen und die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien aufeinander abzustimmen, die Gefahr der Verarmung nicht aus dem Auge verlieren, wenn die Anstrengungen in diesem besonderen Bereich ungleich verteilt würden (11). Der Ausschuss empfiehlt, als Sachverständige nicht nur Fachleute aus sozialen und wissenschaftlichen Fächern, sondern auch Sprachpraktiker, Dolmetscher, Übersetzer sowie Sprachlehrer und Sprachenspezialisten hinzuzuziehen. Die oben erwähnten Erklärungen und Konventionen der UNESCO weisen beispielsweise deutlich darauf hin, dass im Verhältnis zur weltweiten Sprachenvielfalt nur eine unzureichende Anzahl an Sprachen im Internet vertreten ist und sich diese eingeschränkte Verwendung auf die Qualität und Anzahl der noch existierenden Sprachen auswirkt;

e)

Die Erhaltung von Minderheiten-, Regional- und Lokalsprachen in Europa sollte nicht nur an den Kosten für ihre Unterrichtung gemessen werden. Wie mittlerweile in zahlreichen Fachveröffentlichungen anerkannt wird, werden dank der geistigen Flexibilität, die schon kleine Kinder durch die Vermittlung einer Zweitsprache erlangen, nicht nur kognitive Fähigkeiten entwickelt, die für das spätere Lernen nützlich sind, sondern es wird dadurch auch ein Einstieg in verwandte Sprachen erleichtert. Daher reicht es langfristig betrachtet nicht aus, für die Erhaltung des sprachlichen Erbes zu sorgen, indem es bereits im jüngsten Kindesalter weitergegeben oder im Privatleben und in der Öffentlichkeit rehabilitiert wird, sondern es muss auch berücksichtigt werden, dass eine Sprache, die lebendig bleiben soll, gesprochen werden und ein Umfeld aufweisen muss, durch das ihre öffentliche und damit soziale Existenz gefördert wird, denn es nützt nichts, in der Primarstufe Sprachen zu lernen, wenn sie aufgrund mangelnder Kontinuität des Bildungsangebots in der Sekundarstufe wieder aufgegeben werden (12). Die Bildungssysteme können der wirtschaftlichen Dynamik Rechnung tragen, wenn die erforderlichen Querverbindungen zu anderen Sprachen hergestellt werden und das Erlernen einer Minderheiten- oder Regionalsprache im weiteren Verlauf der schulischen Ausbildung als Grundlage für eine zweite Fremdsprache dienen kann. In diesem Zusammenhang ist das Studium der Sprachenverwandtschaft genauso wichtig wie die zahlenmäßige Erfassung der gesprochenen Sprachen (13).

f)

Bürgernähe: bedeutet nicht nur, dass man im Internet amtliche oder institutionelle Texte zugänglich macht, sondern auch, dass die europäischen Bürger in die Lage versetzt werden, ihre jeweiligen Nachbarn jenseits der Grenze und deren Sprache besser kennen zu lernen und sich in ihr zu unterhalten. Die Sprache ist ein Kommunikationsmittel, aber auch ein Abbild der Welt. In dieser Hinsicht steht sie neben anderen Ausdrucksformen wie Malerei, Musik, Grafik, Mimik und Tanz, darstellende Kunst etc. Den Bürgern soll ein Kennenlernen und ein Austausch in ihren Sprachen ermöglicht werden, wobei die Kulturen und Identitäten zu achten sind, die die europäische Identität (oder europäische Werte) ausmachen. Der EWSA betont die vom Ausschuss der Regionen erwähnte positive Rolle des Austauschs und der Städtepartnerschaften (14) und unterstreicht, dass, wie die Strategie auch lauten mag, im Bereich des Sprachenlernens die Nachfrage genauso notwendig ist wie das Angebot. Auch sollte die Motivation, Sprachen zu erlernen, auch aus anderen Aspekten als nur unter dem Gesichtspunkt des Nutzens (Wirtschaft und Beschäftigung) betrachtet werden;

g)

Die Bedürfnisse im Bereich Zusammenhalt und europäische Identität beziehen sich nicht nur auf den Handel oder die Identität. Menschen unterschiedlicher geographischer, sozialer und kultureller Herkunft mit teils gemeinsamer, teils unterschiedlicher Entwicklung verspüren ein reales Verständigungsbedürfnis. Es fehlt eine Folgenabschätzung, in der auch nebensächlichere Aspekte berücksichtigt werden, die langfristig von Bedeutung sein können. Die für Angebot und Nachfrage auf dem Gebiet der Sprachenausbildung erforderliche Zeit zählt nach Jahren und Generationen;

Ganz allgemein ist in der Mitteilung das Engagement der Kommission zeitlich nicht strukturiert: frühere und künftige, kurz- oder mittelfristige Maßnahmen, Verpflichtungen gegenüber den kommenden Generationen.

Gleiches gilt für die humanitären und kulturellen Aspekte, für Asyl- und Einwanderungsfragen, für die Bedürfnisse und die Rolle der Gebietskörperschaften in diesem Bereich sowie für wirtschaftliche und soziale Fragestellungen. Die Wirtschafts- und Sozialpartner (UNICE, CEEP, EGB) sowie NGO, die auf dem Gebiet der Menschenrechte, der sozialen und kulturellen Rechte tätig sind, sowie Universitäten und Verwaltungen sollten gleichberechtigt gehört werden, das heißt, nicht um eine nicht ohne sie, sondern mit und von ihnen festgelegte Strategie umzusetzen. Dies wäre die beste Garantie für die umfassende Berücksichtigung, die für die erfolgreiche Verwirklichung dieser ehrgeizigen Ziele erforderlich ist. Die Umsetzung und der Erfolg der „1+2“-Strategie des Rates (15) erfordern Mittel, die über den institutionellen Rahmen hinausgehen und voraussetzen, dass möglichst viele Bürger und Einwohner der Europäischen Union mitwirken, sich betroffen und gefordert fühlen.

Der Ausschuss befürwortet den Aktionsrahmen zur Förderung des Sprachunterrichts und des Erlernens von Sprachen und merkt an, dass sein Erfolg von dem Zuspruch abhängen wird, den er bei den in erster Linie betroffenen Personen, d.h. den Lehrern und den Lernenden, findet.

Bevor sie neue Maßnahmen ergreifen, sollten die Kommission und der Rat daher zunächst ihre Strategie konsolidieren, indem sie die Öffentlichkeit und die Jugendlichen besser über die genauen Gründe unterrichten, aus denen sie sich für diese besondere Diversifizierung entschieden haben, anstatt den Gebrauch einer einzigen gemeinsamen Sprache zu fördern, sei es eine lebende oder alte, moderne oder künstliche Sprache.

Die tieferen Beweggründe lassen sich folgendermaßen kurz und schematisch umreißen:

Die Förderung des Gebrauchs und der Verbreitung einer einzigen, hegemonialen lebenden Sprache verschafft dem wichtigsten Herkunftsland ungerechte wirtschaftliche Vorteile und kann zu einer Beschneidung der kulturellen Rechte und des Weltkulturguts führen.

Die Kosten für das Erlernen und die allgemeine Verbreitung einer wissenschaftlich und künstlich geplanten europäischen Sprache wie Esperanto fielen geringer aus (Lerndauer und Umsetzung des Vorhandenen) (16) als bei einer existierenden lebenden Sprache, doch sind in der Europäischen Union auch in diesem Jahrhundert noch nicht die nötigen politischen und kulturellen Voraussetzungen vorhanden (17).

Sollen hingegen im geographischen und politischen Raum Europas mehr Sprachen bekannt sein und gesprochen werden, so müssen mehr Menschen eine zweite Sprache lernen und sprechen.

Aus diesem Grund empfiehlt der Ausschuss, die heutigen Generationen junger und weniger junger Erwachsener im Rahmen dieser Ziele mit Hilfe des lebenslangen Lernens und durch die Achtung ihrer kulturellen Rechte angemessen und stärker zu berücksichtigen, wenn die Kommission mit der Programmphase beginnt.

Die Jugendlichen sollten dafür sensibilisiert und dazu motiviert werden, sich für die Berufe des 21. Jahrhunderts im Bereich der Kommunikation mit mehreren Sprachen (18) auszurüsten. Die Berufe, die professionelle und gründliche Sprachkenntnisse erfordern (Linguisten, Dolmetscher, Übersetzer und Lehrer) sollten größere Wertschätzung erfahren, wobei ein erstes sicheres Mittel, dies zu erreichen, darin besteht, ihre soziale Rolle anzuerkennen und die diese Berufe Ausübenden dabei einzubinden.

Das von der Kommission empfohlene frühzeitige Lernen erfordert — wie sie im Übrigen einräumt — Mittel und entsprechend geschultes Personal, aber auch die Befürwortung des vorgeschlagenen Ansatzes durch die Eltern bei der Diversifizierung der Wahlmöglichkeiten.

Der Ausschuss erkennt außerdem die Rolle der Familie bei der Erleichterung des frühzeitigen Erlernens als positiv an und unterstreicht den kulturellen Beitrag, den Familien mit „gemischten“ Kulturen leisten, wie beispielsweise Familien mit Eltern aus verschiedenen Ländern. Diese Familien pflegen in der Regel über Generationen hinweg eine Kultur der Offenheit und Toleranz, wie mehrere europäische und kanadische Studien bestätigen.

h)

Das Kapitel Übersetzer und Dolmetscher: Der Ausschuss betont, dass die Bedürfnisse nicht nur institutioneller, beruflicher oder wirtschaftlicher Art sind und dass auch weitere teilnehmende Gesprächspartner gehört werden müssen. Die sozialen und kulturellen Bedürfnisse sollten in zweierlei Hinsicht berücksichtigt werden, im Hinblick auf die Menschenrechte und die Vollendung des Binnenmarktes.

Wenn beispielsweise überall davon die Rede ist, dass es im Bereich Übersetzen und Dolmetschen teils wegen des Mangels an Übersetzern und Dolmetschern, teils aus finanziellen Gründen zu Engpässen komme, schlägt der Ausschuss vor, über die Verantwortung der Mitgliedstaaten und der EU nachzudenken: Ausbildung in unzureichender Zahl, Diversifizierung der Sprachen, Ausbildungskosten, Löhne und berufliche Stellung. Der Ausschuss verweist auf alle weiter oben angesprochenen Aspekte und fügt hinzu, dass dieser Bereich nicht der einzige ist, in dem ein Fachkräftemangel herrscht und dass die niedrige Geburtenziffer nicht der Grund für jeden Mangel sein kann. Das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in diesem Bereich des Arbeitsmarktes ist im Vorfeld sicher nicht richtig eingeschätzt worden, obwohl der europäische Integrationsprozess, die schrittweisen Erweiterungen sowie die Globalisierung des Handels Gelegenheit geboten hätten, Lehren aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu ziehen.

Zusammengefasst empfiehlt der Ausschuss, dass sich die Mitgliedstaaten aktiv an der Vorausplanung in diesem Bereich beteiligen, und unterstützt die Kommission in diesem Punkt.

4.2

Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Kommission Kenntnisse über die bisherige Sprachenpolitik der Mitgliedstaaten auswerten, damit sie die Maßnahmen einschätzen kann, die sie den Mitgliedstaaten vorgibt.

4.3

Der Ausschuss nimmt die Bemühungen der Kommission zur Kenntnis, begrüßt den innovativ angelegten Ansatz, befürwortet die Sprachenvielfalt als ein Aspekt des kulturellen, sozialen und politischen Pluralismus und ist sich der Gefahr des kontraproduktiven Ergebnisses einer weiteren Institutionalisierung des Gebrauchs einer reduzierten Anzahl von Sprachen bewusst. Der Ausschuss erwartet, dass die angekündigte Mitteilung zu diesem Thema auf einer umfassenderen Konsultation der Zivilgesellschaft beruht.

4.4

Der Ausschuss befürwortet die Initiative der Kommission, die Forschungsarbeiten der Hochschulen im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms stärker zu unterstützen, und empfiehlt, dabei nicht nur die akademischen Arbeiten zu berücksichtigen, sondern auch die Maßnahmen der Netze der in diesem Bereich aktiven Verbände (19).

Im Anhang der vorliegenden Stellungnahme gibt der Ausschuss die Arbeiten der im November 2005 von Verbänden der organisierten Zivilgesellschaft (20) veranstalteten „Europäischen Konferenz über Mehrsprachigkeit“ wieder, an denen auch das Forum der Kulturinstitute (21) mitgewirkt hat. Im Ergebnis dieser Konferenz wurde eine „Charta der Mehrsprachigkeit“ erarbeitet, die auf der Website des Verbandes ASEDIFRES, der beabsichtigt, sie den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und institutionellen Vertretern zu unterbreiten, zur Diskussion gestellt wird. Der Ausschuss befürwortet und fördert in seiner Eigenschaft als „Brücke zwischen der Zivilgesellschaft und den Institutionen“ derartiger Initiativen als bewährte Praktik.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2002) 72, KOM(2003) 449, KOM(2005) 24 vom 2.2.2005, 2005/29/EG, KOM(2005) 356, KOM(2005) 229 und 465.

(2)  Protokoll über die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss (November 2005).

(3)  Anm. 2, 12, 17, 19, 24, 25, 26, 30, 31, 32, 37 etc. der Mitteilung KOM(2005) 596.

(4)  Allgemeine Erklärung der Unesco zur kulturellen Vielfalt vom 2. November 2001, Konvention zum Schutz und zur Förderung kultureller Ausdrucksformen vom 10. Dezember 2005, die an die notwendige sprachliche Vielfalt sowie an die Ausdrucksformen zur Umsetzung der Vielfalt und des kulturellen Pluralismus als unveräußerliche, unverzichtbare und miteinander verbundene Grundrechte erinnern. Ferner muss die Allgemeine Erklärung der Sprachenrechte erwähnt werden, die auf der Weltkonferenz der Sprachenrechte (6.-8. Juni 1996) in Barcelona proklamiert und von 66 nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie Juristenverbänden unterzeichnet wurde.

(5)  Stellungnahme des AdR, CdR 33/2006, verabschiedet auf der 65. Plenartagung am 14. Juni 2006. Berichterstatter: Seamus MURRAY, Ziffer 1.10.

(6)  Durch Artikel 21 der Grundrechtscharta der Europäischen Union wird die Diskriminierung aufgrund der Sprache verurteilt. In Artikel 22 heißt es, dass die EU die kulturelle, religiöse und sprachliche Vielfalt respektiert. Es kann bereits auf Gerichtsverfahren verwiesen werden, in denen Arbeitssituationen verhandelt wurden, in denen diese durch die nationale Gesetzgebung garantierten Rechte missachtet werden (General electric medical systems GEMS, Entscheidung des Berufungsgerichts von Versailles, 2. März 2006, Frankreich).

(7)  Ziffer IV.2 der Mitteilung.

(8)  Charta der Regional- und Minderheitensprachen vom 5. November 1992, ratifiziert von 21 Mitgliedern des Europarats, darunter 13 EU-Mitgliedstaaten.

(9)  KOM(2004) 469 endg.

(10)  „Weniger verbreitete Sprachen“.

(11)  Les processus de modernisation dans l'enseignement des langues pour adultes (Modernisierungsprozesse im Sprachunterricht für Erwachsene), Doktorarbeit von Judith BARNA, Universität Charles de Gaulle — Lille 3, Frankreich, 2005.

(12)  Am 14. Dezember 2005 auf der Vollversammlung des Wirtschafts- und Sozialrats von Aquitanien verabschiedete Stellungnahme, Langues et cultures d'Aquitaine (Sprachen und Kulturen von Aquitanien), Berichterstatter: Sèrgi JAVALOYES.

(13)  Schlussfolgerungen des Rates zu dem Europäischen Indikator für Sprachenkompetenz (ABl. 2006/C 172/01).

(14)  Vorgenannte Stellungnahme, CdR 33/2006.

(15)  Eine Muttersprache und zwei lebende Fremdsprachen, Europäischer Rat von Barcelona, 15./16. März 2002, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Teil I, Ziffer 43.

(16)  L'enseignement des langues étrangères comme politique publique (Fremdsprachenunterricht als öffentliche Politik), François GRIN, 2005.

(17)  GRIN, 2005, a.a.O., Fußnoten 59 und 84: Alle haben vergessen, dass zu Zeiten des Völkerbunds zahlreiche Staaten die Einführung des Esperanto als internationale Sprache unterstützt haben oder dass die Vollversammlungen der UNESCO 1954 und 1985 Entschließungen verabschiedet haben, die das Esperanto befürworteten. Damals (im September 1922) wurde der Vorgang von Frankreich blockiert, das die Unterrichtung des Esperanto und die Propaganda für diese Sprache als gefährlichen Vektor des Internationalismus und Konkurrent für die Rolle der französischen Sprache in der Welt untersagt hatte. Ebenfalls ist hier die Einführungsvorlesung zum Thema „La Quête d'une langue parfaite dans l'histoire de la culture européenne“ (Die Suche nach einer perfekten Sprache in der Geschichte der europäischen Kultur) von Umberto ECO anzuführen, der 1992 den europäischen Lehrstuhl im Collège de France, Paris, erhielt.

In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuss darauf, dass der Unterricht in den alten, so genannten toten Sprachen nach und nach eingestellt wurde. Über die Frage, welche lingua franca (gemeinsame Sprache) eventuell am besten für die heutige europäische Welt geeignet wäre, hinaus trugen diese Sprachen insofern den Keim für eine erleichterte gegenseitige Verständigung zwischen Europäern in sich, als sie der Ursprung zahlreicher europäischer Sprachen (die sich in die Gruppe der indoeuropäischen und die der finnougrischen Sprachen unterteilen lassen) sind und ihre Kenntnis das rasche Erlernen anderer Sprachen ermöglicht.

(18)  Für den Begriff Mehrsprachigkeit im Französischen (plurilinguisme und multilinguisme) gibt es mehrere Definitionen. Einige verstehen unter „plurilinguisme“ die Fähigkeit des Einzelnen, mehrere Sprachen zu sprechen, und unter „multilinguisme“ das soziale Umfeld in einem geographischen Gebiet, in dem mehrere Sprachen in Gebrauch sind (Europäische Konferenz über Mehrsprachigkeit, 2005). Andere wiederum definieren die beiden Begriffe genau umgekehrt (GRIN, 2005). In den Augen der Kommission deckt der Begriff „multilinguisme“ beide Aspekte ab, sowohl die Fähigkeiten des Einzelnen als auch das gemeinsame Umfeld.

(19)  Wie zum Beispiel: Linguamón, Casa de les llengües, Projekt „Haus der gefährdeten Sprachen“, linguamon@linguamon.cat, das assoziative Netz Babel freiwilliger Dolmetscher und Übersetzer, die an den internationalen und regionalen Sozialforen mitwirken, oder der Verband ASEDIFRES, www.europe-avenir.com, Mitveranstalter der „Europäischen Konferenz über Mehrsprachigkeit“ im November 2005.

(20)  Die Teilnehmerliste, die Ergebnisse und die vollständigen Berichte über die Arbeiten können von der in Fußnote 21 genannten Website abgerufen werden.

(21)  Mitglieder dieses Forums sind: die Alliance française, das schwedische Kulturzentrum, das italienische Sprachen- und Kulturzentrum, das Institut der Universität London in Paris, das Institut Camões, das Institut Cervantes, das finnische Institut, das Goethe-Institut, das ungarische Institut und das niederländische Institut,

http://www.forumdeslangues.net.


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/74


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch „Europäische Transparenzinitiative“

KOM(2006) 194 endg.

(2006/C 324/25)

Die Kommission beschloss am 12. Mai 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: Grünbuch „Europäische Transparenzinitiative“

Der Ausschuss setzte gemäß Artikel 19 Absatz 1 seiner Geschäftsordnung einen Unterausschuss für die Vorarbeiten ein.

Aufgrund der Neubesetzung des Ausschusses hat das Plenum beschlossen, diese Stellungnahme auf der Oktober-Plenartagung zu erörtern, und Frau SÁNCHEZ MIGUEL gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung zur Hauptberichterstatterin bestellt.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 132 gegen 7 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorgeschichte

1.1

Die Europäische Kommission ist sich der Notwendigkeit bewusst, einen Rahmen festzulegen, mit dem die Transparenz zwischen den europäischen Organen und Einrichtungen und den Lobbygruppen gefördert und die für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen über die Empfänger der in den verschiedenen Politikbereichen verteilten EU-Gelder verbessert werden kann.

1.2

Vor diesem Hintergrund gab die Kommission den Startschuss für die „Europäische Transparenzinitiative“, wenngleich dieses Anliegen bereits im Weißbuch „Europäisches Regieren“ zum Ausdruck gebracht worden war, das später zu folgenden konkreten Ergebnissen führte:

der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission;

einem eigenen Register für Dokumente der „Komitologie“-Ausschüsse;

der Einrichtung von Datenbanken mit Informationen über Gremien und Sachverständigenausschüsse, die die Kommission beraten;

dem „Kodex für gute Verwaltungspraxis“ der Kommission, in dem die Standards für ihre Beziehungen zu Einzelpersonen festgelegt sind.

1.3

Dementsprechend werden in dem Grünbuch drei Schwerpunkte festgelegt, die es mit Blick auf eine öffentliche Diskussion über die Transparenz der Maßnahmen der EU-Organe und -Einrichtungen zu berücksichtigen gilt, und zwar:

die Notwendigkeit eines strukturierteren Rahmens für die Lobbyarbeit;

das Feedback zu den Mindeststandards für die Konsultation;

die Offenlegungspflicht für Informationen über Empfänger von EU-Geldern im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung.

2.   Zusammenfassung der Ziele des Grünbuchs

2.1   Transparenz und Interessenvertretung

2.1.1

Die Kommission hält es für erforderlich, die Begriffe „Lobbyist“ und „Lobbyarbeit“ klar zu definieren, um die Ergebnisse der Standards besser bewerten zu können und mehr Transparenz in ihre Beziehungen zu Lobbygruppen oder sonstigen Bürgerinnen und Bürgern, die sich an die europäischen Organe und Einrichtungen wenden, zu bringen.

2.1.2

Der grundlegende Rahmen für die Beziehungen zwischen den EU-Organen und -Einrichtungen und Lobbygruppen muss nach Ansicht der Kommission einige wesentliche Elemente beinhalten, die — ausgehend von der Legitimierung dieser Lobbyarbeit — der Transparenz dieser Beziehungen förderlich sind. So sollte keine fragwürdige Einflussnahme und kein wirtschaftlicher Druck auf die Beschlussfassung gestattet sowie keinerlei finanzielle, materielle oder personelle Unterstützung gewährt werden dürfen. Die Verbreitung zweifelhafter, absichtlich zweideutiger oder falscher Informationen muss verhindert werden. Die Lobbyarbeit sollte auf jeden Fall im Sinne des allgemeinen Wohls der Gemeinschaft betrieben werden.

2.1.3

Vor allen Dingen aber müssen sämtliche Praktiken als rechtswidrig erachtet werden, die Betrug oder Korruption Vorschub leisten können oder sowohl in Bezug auf die Informationen, die sie bereitstellen, als auch im Hinblick auf die Legitimität ihrer Mitglieder irreführend sein können. Ein wichtiger Punkt ist die Repräsentativität der jeweiligen Gruppen.

2.1.4

Die Transparenz der Beziehungen zwischen den EU-Organen und -Einrichtungen und den Lobbygruppen kann mithilfe der bestehenden Maßnahmen, insbesondere der Kontrollmöglichkeiten durch die Öffentlichkeit, gefördert werden. Zu diesem Zweck wurden „Allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation“ festgelegt, die eine Berichterstattung über europäische Organisationen der Zivilgesellschaft mithilfe der Datenbank CONECCS ermöglichen, in der sachdienliche Daten zur Bestätigung ihrer Repräsentativität enthalten sind.

2.1.5

In jedem Fall aber erscheint eine Verstärkung der Kontrollmöglichkeit durch die Öffentlichkeit erforderlich, auch wenn einige der von der Kommission diesbezüglich vorgeschlagenen Maßnahmen in vielen Mitgliedstaaten bereits angewandt werden. Die erste Maßnahme bezieht sich auf die von den Lobbygruppen gelieferten Informationen, die durch einen Online-Fragebogen auf der Website der Kommission unterstützt werden.

2.1.6

Das wichtigste Instrument ist das webgestützte System zur freiwilligen Registrierung, über das die Informationen bereitgestellt werden können, die für die Messung der angestrebten Ziele und die Finanzierungsquellen erforderlich sind. Es sei hier angemerkt, dass viele Generaldirektionen der Europäischen Kommission über ein System zur Anerkennung zugelassener Organisationen verfügen, um die Beziehungen zu diesen zu erleichtern.

2.1.7

Ein weiterer wichtiger Punkt, der alle Lobbygruppen — ebenso wie ihre Vertreter, unabhängig von deren Kategorie — gleichermaßen betrifft, sind die Verhaltenskodizes. In diesen freiwillig akzeptierten Verhaltensregeln wären gemeinsame und von den Gruppen, die sie entwickelt haben, unabhängige Mindestanforderungen enthalten.

2.2   Feedback zu den Mindeststandards für die Konsultation

2.2.1

Die Kommission hat im Rahmen ihrer jährlichen Arbeitsprogramme Mindeststandards für die Konsultation erarbeitet, um die Qualität ihrer Legislativvorschläge zu verbessern; dies erklärt die Relevanz der Endergebnisse für die Folgenabschätzungen. Es gibt jedoch einige Entscheidungen, die von dieser Konsultation ausgenommen sind, wie etwa das Komitologieverfahren und der soziale Dialog im Sinne von Artikel 137 bis 139 EGV, auf die weiter unten eingegangen wird.

2.2.2

Diese Verfahrensweise hat sich seit ihrer Einführung für die Kommission durchaus gelohnt, und zwar nicht nur hinsichtlich der Zahl, sondern auch bezüglich der Ergebnisse der Vorschläge, zu denen eine Konsultierung erfolgte, zumal über das Internetportal.

2.3   Offenlegung von Informationen über Empfänger von EU-Geldern

2.3.1

Die meisten Mitgliedstaaten verfügen mittlerweile über Informationskanäle, um die Liste der Empfänger von Gemeinschaftsgeldern, die in Partnerschaft mit ihnen finanziert werden, öffentlich zu machen. Das auffallendste Beispiel ist die Veröffentlichung der Liste der GAP-Empfänger. Dennoch sind die Daten, die übermittelt werden, von Land zu Land unterschiedlich, ebenso wie die Informationen über die Verwendung der Gelder bei unmittelbar von der EU finanzierten Maßnahmen.

2.3.2

Es geht nun darum, diese Informationen durch die Kommission zentral bereitzustellen. Das Problem sind die Komplexität, die sich aus den verschiedenen Empfängerkategorien ergibt, sowie die damit möglicherweise einhergehenden Verwaltungskosten. Die Aufstellung von Mindestanforderungen für die Informationen unter Beachtung der Datenschutzstandards könnte eine Lösung sein.

3.   Wichtigste im Grünbuch angesprochene Fragen

3.1

In Bezug auf den Punkt „Transparenz und Interessenvertretung“ ergeben sich folgende Fragestellungen:

3.1.1

Maßnahmen zur Verstärkung der Transparenz der Lobbyarbeit.

3.1.2

Müssen die Lobbygruppen automatisch konsultiert werden, wenn sie in einem Register stehen?

3.1.3

Muss das Register der Öffentlichkeit uneingeschränkt zugänglich sein? Wer würde dieses Register verwalten?

3.1.4

Müssen die derzeit geltenden Verhaltenskodizes geändert werden?

3.1.5

Soll die Einhaltung der Verhaltenskodizes kontrolliert werden, und sollen eventuell sogar Sanktionen verhängt werden können?

3.2

Betreffend das „Feedback zu den Mindeststandards für die Konsultation“ ergibt sich nur eine Frage:

3.2.1

Hat die Kommission die allgemeinen Grundsätze und die Mindestnormen für die Konsultation auf zufrieden stellende Weise angewandt?

3.3

In Bezug auf die Offenlegung von Informationen über Empfänger von EU-Geldern ergeben sich folgende Fragestellungen:

3.3.1

Müssen alle Mitgliedstaaten verpflichtet werden, Informationen über Empfänger von Gemeinschaftsgeldern offen zu legen?

3.3.2

Wenn ja, wie weit soll diese Information gehen? Landesweit, mit inhaltlichen Vorgaben?

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Vorlage des Grünbuchs „Europäische Transparenzinitiative“ durch die Kommission. Die Vielzahl von Interessen, die auf die Gemeinschaftspolitik einzuwirken versuchen, macht es erforderlich, dass die Kommission Standards aufstellt, durch die einerseits die Bedingungen geregelt werden, unter denen die Einflussnahme zu erfolgen hat, und andererseits die Mindestanforderungen festgelegt werden, die an Interessenvertreter und Lobbygruppen zu stellen sind.

4.2

Es sollte jedoch bereits im Voraus eindeutig definiert werden, was unter „Lobbygruppen“ zu verstehen ist und wie ihre Beziehung zur Kommission auszusehen hat:

4.2.1

Die im Grünbuch (1) enthaltene Definition von „Lobbyisten“ ist gelinde gesagt verwirrend, da sie sich auf Berufsverbände, Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaftsverbände usw. bezieht, die Tätigkeiten ausüben, „mit denen auf die Politikgestaltung und den Entscheidungsprozess der europäischen Organe und Einrichtungen Einfluss genommen werden soll“. Der EWSA hat in dem Bemühen um eine Abgrenzung gegenüber den Lobbygruppen bereits das Konzept der „Organisationen der Zivilgesellschaft“ (2) entwickelt. Darüber hinaus sind in den Artikeln 137 bis 139 EGV die Bedingungen, unter denen die „Sozialpartner“ den sozialen Dialog zu führen haben, festgelegt (3). Die Organisationen, die in der EU lobbyistisch tätig sind, unterscheiden sich in ihren Zielen, Strukturen und den von ihnen vertretenen Interessengruppen. Industrie-, Arbeitgeber- oder Gewerkschaftsverbände, die die Interessen von Tausenden oder gar Millionen europäischer Unternehmen bzw. Arbeitnehmer vertreten, sollten also nicht den lobbyistisch tätigen Organisationen oder Interessengruppen, die enge kommerzielle oder andere Interessen verfolgen, zugerechnet werden, da sie breite allgemeine und öffentliche Interessen der Gesellschaft vertreten und die Entwicklung von Industrie und Wirtschaft sowie den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt fördern. Diese Organisationen sind nicht gewinnorientiert. Ihre auf das Allgemeinwohl ausgerichtete Tätigkeit wird in der Öffentlichkeit gut wahrgenommen, über sie wird ausführlich in der Presse berichtet, und sie sind selbst daran interessiert, dass über ihre Aktivitäten so viel wie möglich informiert wird. Es handelt sich bei diesen Organisationen um Sozialpartner, die zusammen mit staatlichen Institutionen auf europäischer Ebene am sozialen Dialog teilnehmen.

4.2.2

Daher sollte genau geklärt werden, wen der Begriff „Lobbygruppen“ umfasst, und vor allem sollte ausdrücklich anerkannt werden, dass diese Teil der partizipativen Demokratie der EU sind.

4.2.3

Im Vertrag über eine Verfassung für Europa heißt es in Artikel 1-46 Absatz 3 über die Gewährleistung des Grundsatzes der partizipativen Demokratie: „Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Die Entscheidungen werden so offen und so bürgernah wie möglich getroffen.“ In Artikel 1-47 Absatz 3 heißt es weiter: „Um die Kohärenz und die Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten, führt die Kommission umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durch“.

4.2.4

Hinsichtlich der Tätigkeit der „Lobbygruppen“ sollte zwischen Informationszugang und Konsultation unterschieden werden. Alle EU-Bürger haben ein Recht auf Information, sie ist Teil der Transparenz, zu der alle Gemeinschaftsinstitutionen verpflichtet sind. Die Konsultation ist hingegen denjenigen vorbehalten, die ein berechtigtes Interesse an einer der Politiken der Gemeinschaft haben.

4.2.5

Die Kommission verabschiedete „Mindeststandards für die Konsultation“ (4), mit denen ein allgemeiner transparenter, kohärenter und gleichzeitig flexibler Rahmen für die Durchführung von Konsultationen zu konkreten Politikbereichen geschaffen werden sollte, insbesondere solchen, die eine Folgenabschätzung erfordern. Im Grünbuch werden einige der Bedingungen, die für die Teilnahme und Konsultation der interessierten Kreise gegeben sein müssen, dahingehend umformuliert und verbessert, dass sich ein transparentes Bild ergibt.

5.   Besondere Bemerkungen zu den im Grünbuch aufgeworfenen Fragen

5.1

Register. Das Erfordernis eines Registereintrags muss als eine zwingende Voraussetzung für den Erwerb eines Rechts wie dem der obligatorischen Konsultation der interessierten Kreise in sie betreffenden Belangen erachtet werden. Der EWSA ist diesbezüglich der Auffassung, dass die Forderung nach einem obligatorischen Register eine Mindestvoraussetzung für die Transparenz ist, die bei Konsultationen zu Fragen der Gemeinschaftspolitik gewahrt werden muss, und dass vor allem dafür gesorgt werden muss, dass die Konsultation nicht der Erlangung von Vorteilen dient, die mit dem Allgemeinwohl unvereinbar sind.

5.1.1

Es steht außer Frage, dass das Register öffentlich sein muss. Zudem sollte dieses Register von der Kommission verwaltet werden, da jede andere Art der Verwaltung aufgrund seines öffentlichen Charakters ausgeschlossen ist. Schließlich sollte — unabhängig von dem gewählten obligatorischen Registrierungssystem — der Umfang der von den Betroffenen zu liefernden Daten dem angestrebten Ziel angemessen sein, d.h. es den Bürgern Europas ermöglichen, über die Interessengruppen informiert zu werden, die auf die Politiken und Entscheidungen der Union Einfluss nehmen wollen.

5.1.2

In diesem Sinne muss eindeutig sein, welchen Beitrag die Lobbygruppen zu den Organen und Einrichtungen der EU leisten, wen sie vertreten, welche Ziele sie verfolgen und wie sie sich finanzieren. Aus diesen Mindestangaben sollte daher nicht nur der Name und Sitz der Organisation, ihr Gesellschaftszweck, d.h. die von ihr verfolgten Ziele, hervorgehen, sondern auch der Name der Personen, die ermächtigt sind, sie zu vertreten und in ihrem Namen zu sprechen sowie alle relevanten Informationen, die es ermöglichen, Kenntnis von ihrer Satzung und ihren geprüften Abschlüssen zu erlangen.

5.2

Verhaltenskodex. Ein Verhaltenskodex muss an die Erfüllung von Mindestanforderungen für die Erlangung eines bestimmten beruflichen oder politischen Status geknüpft sein. Dieses Erfordernis muss als ein eng mit der Registrierungspflicht zusammenhängendes Instrument erachtet werden, dessen Erfüllung seitens der eintragungswilligen Interessengruppen deren Konsultation durch die Kommission und andere Gemeinschaftseinrichtungen gewährleistet.

5.2.1

Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission einen verbindlichen und dadurch die rechtliche und faktische Gleichbehandlung aller Betroffenen sichernden, an eine Pflichtregistrierung gebundenen Verhaltenskodex nach Art desjenigen des Europäischen Parlaments (5) annehmen und ihn inhaltlich an den angestrebten Zweck der Konsultation anpassen, insbesondere hinsichtlich der bei Verstößen drohenden Konsequenzen.

5.3

Feedback über die Mindestnormen für die Konsultation: Die einzelnen Generaldirektionen sind verpflichtet, die Folgen der Konsultation zu bewerten, allerdings nur bei strategisch wichtigen Vorschlägen der Kommission. Dieser Folgenabschätzung muss eine Aufstellung der konsultierten Personen beigefügt werden. Nach Ansicht des EWSA sollte eine solche Folgenabschätzung oder ein solches Feedback bei allen Vorschlägen, die Gegenstand einer öffentlichen Konsultation sind, erfolgen. Für eine bessere Weiterentwicklung der Konsultationen sollte die Kommission einige wichtig Fragen angehen, nämlich:

die verwendeten Sprachen,

die Neutralität der Fragen,

die Gewichtung der einzelnen Standpunkte und Bemerkungen der an den Konsultationen beteiligten Organisationen gemäß ihrer Repräsentativität.

5.3.1

Der EWSA vertritt die Meinung, dass allgemeine Informationen über eine Konsultation nicht ausreichen, sondern dass jede konsultierte Organisation spezifische Informationen in Bezug auf die Konsultation sowie auf die Festlegung von breiteren Zeitspannen für die Debatte innerhalb der Organisationen erhalten muss. Ein stärkerer Rückgriff auf Konsultationen per Internet kann dazu führen, dass den Ansichten einzelner Personen oder nicht repräsentativer Organisationen die gleiche Gewichtung beigemessen wird, wie den Ansichten der Organisationen, die die gemeinsame Position der Mitgliedsorganisationen aus verschiedenen Ländern vertreten.

5.4

Offenlegung von Informationen über die Empfänger von EU-Geldern. Der EWSA schlägt vor, wie bei den von der Kommission verwalteten Geldern auch im Falle der von allen anderen europäischen Institutionen verwalteten Mittel Informationen über die Empfänger offen zu legen. Dies gilt auch für die von den einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung verwalteten Gelder, für deren Verteilung die Mitgliedstaaten zuständig sind.

5.4.1

Einige Mitgliedstaaten kommen ihrer Offenlegungspflicht, u.a. im Bereich der Agrarbeihilfen der EU, auf beispielhafte Weise nach, andere wiederum nicht. Der EWSA plädiert dafür, alle Mitgliedstaaten zur Offenlegung sämtlicher Informationen über die Empfänger im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung zu verpflichten und diese Daten auch über das Internet zu publizieren.

5.5

Der EWSA bittet die Kommission zu prüfen, ob es nicht zweckmäßig wäre, die auf die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens ausgeübte Kontrolle auch auf die Mitglieder der Kommission auszudehnen, die diese Aufgaben — wie in Artikel 213 Absatz 2 EGV vorgesehen — wahrnehmen, und fordert die strikte Einhaltung der Artikel 11 und 16 des Beamtenstatuts. Die Berücksichtigung aller am Konsultationsverfahren und an der Entscheidungsfindung Beteiligten ist für die Transparenz und ein reibungsloses Funktionieren der Institutionen erforderlich.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Grünbuch, Abschnitt II, Ziffer 1, erster Absatz.

(2)  Siehe insbesondere die Stellungnahmen des Ausschusses zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“ vom 23. September 1999 (ABl. C 329 vom 17.11.1999), „Die organisierte Zivilgesellschaft und europäische Governance — Beitrag des Ausschusses zur Erarbeitung des Weißbuchs“ vom 26. April 2001 (Abl. C 193 vom 10. Juli 2001), „Europäisches Regieren — ein Weißbuch“ vom 21. März 2002 (Abl. C 125 vom 27. Mai 2002), „Die Repräsentativität der europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft im Rahmen des zivilen Dialogs“ vom 14. Februar 2006 (Abl. C 88 vom 11. April 2006).

(3)  Es muss berücksichtigt werden, dass in Artikel 1-48 des Verfassungsvertrags die Funktion der Sozialpartner und des autonomen sozialen Dialogs festgelegt wird, wobei dieser Dialog von der Konsultation der so genannten interessierten Kreise der vorhergehenden Artikel abgegrenzt wird.

(4)  KOM(2002) 704 endg. vom 11. Dezember 2002.

(5)  Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, Anlage IX, Artikel 3, Verhaltenskodex.

„1.

In ihren Beziehungen zum Parlament sind die Personen, die in dem Register nach Artikel 9 Absatz 2 GO aufgeführt sind, verpflichtet:

a)

die Bestimmungen von Artikel 9 GO und dieser Anlage einzuhalten;

b)

das/die von ihnen vertretene(n) Interesse/Interessen gegenüber Mitgliedern des Parlaments, ihren Mitarbeitern oder Beamten des Organs offen zu legen;

c)

alle Vorstöße, um sich Informationen zu erschleichen, zu unterlassen;

d)

sich nicht auf eine formelle Beziehung zum Parlament bei Geschäften mit Dritten zu berufen;

e)

Kopien von Dokumenten, die beim Parlament beschafft wurden, nicht zur Gewinnerzielung an Dritte zu verbreiten;

f)

die Bestimmungen von Anlage I Artikel 2 Absatz 2 strikt einzuhalten;

g)

sich zu vergewissern, dass jede Zuarbeit im Rahmen der Bestimmungen von Anlage I Artikel 2 in das entsprechende Register eingetragen wird;

h)

bei der Einstellung ehemaliger Beamter der Organe die Bestimmungen des Statuts zu beachten;

i)

sämtliche Bestimmungen des Parlaments über die Rechte und Pflichten ehemaliger Mitglieder zu beachten;

j)

zur Vermeidung etwaiger Interessenkonflikte die vorherige Zustimmung des betroffenen Mitglieds oder der betroffenen Mitglieder hinsichtlich einer vertraglich geregelten Beziehung oder Beschäftigung eines Mitarbeiters eines Mitglieds einzuholen und sich anschließend zu vergewissern, dass dies in das in Artikel 9 Absatz 2 GO vorgesehene Register eingetragen wird.

2.

Jeder Verstoß gegen diesen Verhaltenskodex kann zum Entzug des Ausweises führen, der für die betroffenen Personen und gegebenenfalls für ihr Unternehmen ausgestellt wurde.“


30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/78


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich der Einführung eines Aktionsprogramms für das Zollwesen in der Gemeinschaft (Zoll 2013)“

KOM(2006) 201 endg. — 2006/0075 (COD)

(2006/C 324/26)

Der Rat beschloss am 22. Juni 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 Frau BATUT zur Hauptberichterstatterin und verabschiedete mit 108 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Das Zollwesen dient in allen Staaten zur Wahrung der nationalen wirtschaftlichen Interessen und beruht traditionell auf der unmittelbaren Beschlagnahmung im Verkehr befindlicher Waren mit Hilfe sofort greifender Verfahren. Nach Einführung des gemeinsamen Außenzolltarifs in den sechziger Jahren wurden im Zuge der Schaffung des Binnenmarkts 1993 die Kontrollen an den Grenzen der EU-Mitgliedstaaten aufgehoben und so der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr ermöglicht. Der innergemeinschaftliche Warenverkehr, dessen Volumen sich seit dem Wegfall der Binnengrenzen nahezu verdoppelt hat, macht den Großteil des Handels der einzelnen Mitgliedstaaten aus.

1.2

Die nationalen Zollverwaltungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sind jahrelang praktisch keinerlei Anpassungen unterzogen worden. Ihr struktureller und personeller Aufbau in den Mitgliedstaaten war ausschließlich auf die nationale Ebene ausgerichtet.

1.3

Die Schaffung der Union, die digitale Revolution und die Einrichtung von Netzwerken — als grenzüberschreitende Gebilde — haben jedoch dazu beigetragen, dass der direkte Umgang mit Waren im Zollbereich teilweise an Bedeutung verlor. In dem Kommissionsvorschlag zum Programm „Zoll 2013“ wird eine weiterreichende Integration der Zollverfahren angeregt, wobei den Lissabon-Zielen Rechnung getragen werden sollte, ohne jedoch eine Integration der Verwaltungen anzustreben, deren nationale Rolle nach wie vor grundlegend ist. Dennoch müssen die Interessen der Union sowie der dort lebenden Bürger und Verbraucher gewahrt werden.

2.   Hintergrund des Entscheidungsvorschlags

2.1   „Zoll 2000“

2.1.1

Bereits 1995 schlug die Europäische Kommission ein Fünfjahresprogramm mit dem Titel „Zoll 2000“ vor, dem das Programm „Zoll 2002“ folgte. Als längerfristiges Ziel wird angestrebt, dass die einzelstaatlichen Zollbehörden verfahrenstechnisch „wie eine einzige Verwaltung“ handeln: „Der Handelsraum ohne zollrechtliche Binnengrenzen innerhalb der 15 Mitgliedstaaten der Gemeinschaft erfordert an allen Orten des Zollgebiets eine einheitliche Zollabwicklung gleich gelagerter Transaktionen“. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind Zusammenarbeit, eine einheitliche Anwendung des Zollrechts sowohl innerhalb der Gemeinschaft als auch an ihren Außengrenzen, ein den Wirtschaftsakteuren zugängliches Kommunikationsnetz, die Verbesserung der Verwaltungspraxis und der Qualifikation der zuständigen Beamten sowie der Ausbau der Automatisierung und die Entwicklung elektronisch gestützter Abfertigungssysteme (1).

2.2   „Zoll 2002“

2.2.1

Im Rahmen des Programms „Zoll 2002“ wurde eine Gruppe für Zollpolitik sowie ein Ausschuss „Zoll 2002“ eingerichtet. In diesen Gremien werden die Ansätze der Vertreter von Kommission und Mitgliedstaaten zusammengeführt und zwar in Bezug auf Methoden und Maßnahmen, Bewertungen, Investitionen, EDV-Plattformen, Verfahrensmodernisierung, Kontrollstandards, Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Markenpiraterie und -nachahmung, Unterstützung der Bewerberstaaten und Austausch von Beamten.

2.2.2

Der EWSA begrüßte damals die Schaffung eines elektronisch gestützten Kommunikationssystems für den Zollbereich auf europäischer Ebene aus, wobei eine „aktive Einbindung der Wirtschaftbetroffene Unternehmen, Verbände, Beratender Zollausschuss und WSAin die amtlichen Entscheidungsprozesse“ gewährleistet werden sollte, da eine solche Einbeziehung„das gegenseitige Verständnis [fördert] und verhindert, dass es zu unnötigen Umsetzungsschwierigkeiten kommt.“ Der EWSA wies auf die dadurch eröffneten Vereinfachungsmöglichkeiten hin. Seinerzeit äußerte sich der Ausschuss dahingehend, dass eine Bündelung der Informationen durch die Kommission mit der mittelfristigen Errichtung eines „gemeinschaftlichen europäischen Zollfahndungsdienstes (EUROZOLL ähnlich EUROPOL)“ erwogen werden sollte, und verwies auf „die Forderung nach einem einheitlichen Bildungsweg in den Bereichen Zollrecht und Zollverfahren für die Zollbeamten in den Mitgliedstaaten“. Hierbei seien „neben dem Subsidiaritätsprinzip die unterschiedlichen Laufbahnen der Zollbeamten […] zu beachten“  (2). Diese Empfehlungen des Ausschusses wurden von den für die Entscheidung zuständigen Institutionen nicht aufgegriffen.

2.3   „Zoll 2007“

2.3.1

Anschließend wurde ein neues Fünfjahresprogramm, „Zoll 2007“  (3), angenommen, welches das Vorgängerprogramm verlängert und erweitert. Sein Ziel umfasst nicht nur den Handel und das Zollwesen, sondern auch den notwendigen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union sowie die Schaffung eines sicheren und risikofreien Umfelds für ihre Bürger. Die Globalisierung der Weltwirtschaft schreitet voran, und mit ihr auch die durch sie hervorgerufenen Umwälzungen. Der Zoll spielt hier eine wichtige Rolle für die Regulierung des Handelsumfelds. Die rasante Beschleunigung der Digitalisierung machte das ehrgeizige Ziel einer Zusammenfassung der Zollverfahren möglich. Das Ziel von „Zoll 2007“ besteht darin, sicherzustellen, dass die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft im Bereich der Zollpolitik in allen Mitgliedstaaten konsequent und professionell angewandt werden. Zentrale Elemente sind daher vorbildliche Verfahren, der Austausch von Beamten, Seminare und Überwachungsmaßnahmen, ebenso wie ein stärkerer Einsatz des e-Zolls.

2.3.2

Der Ausschuss seinerseits empfiehlt, dass „die Kommission bei der Überwachung der Kontrollstandards in den Mitgliedstaaten eine proaktivere Rolle spielen“ sollte und dass dies zum Teil durch die Schaffung eines Systems von für das gesamte Gemeinschaftsgebiet zuständigen Zollinspektoren erreicht werden könnte (4).

2.3.3

Der EWSA erkannte in seiner Stellungnahme an, dass die Verbesserung des Zollwesens die Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft, die Beschäftigungsförderung und die Unterstützung des legalen Handels zum Ziel haben kann. Er vertrat die Ansicht, dass es die Möglichkeit geben sollte, die anfänglichen Fortschritte zu überwachen und erforderlichenfalls korrigierend einzugreifen. Diese Bekundung wurde berücksichtigt (5).

2.3.4

Die Zwischenbewertung zeigt, dass Beteiligte und Akteure zwar insgesamt mit dem Programm „Zoll 2007“ zufrieden waren, dass es jedoch erforderlich wäre, die Sicherheitsanforderungen mit dem Bestreben der Kommission zu vereinbaren, den Handel weiter zu erleichtern, und dass es gewisse Bedenken bezüglich der Rolle der elektronischen Zölle gab. Das Programm leistet einen signifikanten Beitrag zum Ziel der nationalen Zollverwaltungen, als eine (gemeinsame) Behörde zu agieren.

2.4   Das Jahr 2006

2.4.1

2006 wurden drei wichtige EU-Texte für den Zoll vorgelegt:

der Vorschlag für eine Verordnung „Modernisierter Zollkodex“,

der „Vorschlag für eine Entscheidung über ein papierloses Arbeitsumfeld für Zoll und Handel“

und der in dieser EWSA-Stellungnahme erörterte Vorschlag.

2.4.2

Der Gemeinschaftliche Zollkodex, der im Wege einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates modernisiert werden soll und zu dem der EWSA am 5. Juli 2006 eine Stellungnahme abgegeben hat, ist ebenfalls ein wichtiges Hintergrunddokument, für die Beschäftigung mit dem Aktionsprogramm „Zoll 2013“, mit dem erklärtermaßen die Rechtstexte der Entwicklung der Märkte und Technologien und den aufeinander folgenden Erweiterungen der Europäischen Union angepasst werden sollen. Die Informatisierung schreitet immer weiter voran, und deshalb muss auch die Verwaltung online sein; der neue Zollkodex schreibt die bislang optionelle Verwendung der computerisierten Verfahren verbindlich vor, was den großen Betreibern die Arbeit erleichtern, hingegen für die kleinen Betreiber möglicherweise eine Erschwernis darstellen wird. Außerdem sind die nichttarifären Maßnahmen, beispielsweise in den Bereichen Bekämpfung der Markenpiraterie, Sicherheit, Kontrolle illegaler Einwanderung, Bekämpfung von Geldwäsche und Drogenhandel, Hygiene, Gesundheit, Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Maßnahmen betreffend die Mehrwertsteuer- und Verbrauchssteuererhebung sehr wichtig geworden. Die Mitgliedstaaten sind nach wie vor Dreh- und Angelpunkt dieses Instruments, müssen hierfür die Kosten tragen, u.a. für die Interoperabilität der Informatiksysteme, und ihre Zollbehörden können Kontrollen jedweder Art durchführen, aber die Europäische Kommission sieht für sich selbst (in Artikel 196 des Verordnungsvorschlags) eine größere Regulierungsbefugnis in Bezug auf die Zollsysteme, die Mitgliedstaaten und die internationalen Übereinkommen vor. Im modernisierten Zollkodex werden die Rolle und der Status aller am Zollverfahren beteiligten Akteure neu definiert.

2.4.3

Die Verpflichtung zur Online-Präsenz führt zwangsläufig zur Abschaffung papiergestützter Verfahren.

2.4.3.1

Der Vorschlag für einen Beschluss über elektronische Zollverfahren sieht eine Reihe von Maßnahmen und Fristen für die Herbeiführung von Kompatibilität zwischen den elektronischen Zollsystemen der Mitgliedstaaten und in diesem Wege die Schaffung eines einheitlichen gemeinsamen Internetportals vor. Die Kommunikation zwischen den Wirtschaftbeteiligten und den Zollbehörden wird dadurch effizienter sein und der Austausch zwischen den Zollbehörden schneller vonstatten gehen. Die „Papierform“ muss zur Ausnahme werden. Die Kommission sieht auch die Einrichtung einer einheitlichen Schnittstelle vor, so dass die als „vertrauenswürdig“ eingestuften Wirtschaftsbeteiligten (sprich die Beteiligten und die „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“ im Sinne der Artikel 2, 4, 13 und 16 des Entwurfs einer Verordnung über den modernisierten Zollkodex) nur mehr mit einer einzigen Stelle zu tun hätten und nicht, wie bisher, mit verschiedenen Grenzkontrollbehörden. Die Informationen, zumal die zollrelevanten Angaben, würden nur einmal übermittelt. Die Waren würden dann von den Zollbehörden und anderen behördlichen Einrichtungen (Polizei, Grenzschutz, Veterinär- und Umweltkontrolldienste) nach dem Prinzip des „einzigen Schalters“ gleichzeitig und am selben Ort kontrolliert.

2.4.4

In seiner Stellungnahme vom 13. September 2006 vertritt der EWSA die Ansicht, dass die gemeinschaftliche Zollverwaltung eines der langfristigen Ziele der Union sein sollte: „Dank einer solchen Verwaltung würde der Zoll einfacher, zuverlässiger und kostengünstiger werden. Dadurch wäre auch die Zusammenschaltung mit anderen Systemen in der EU und in Drittstaaten möglich“,

3.   Das Programm „Zoll 2013“

3.1

Interoperabilität, Kostensenkung, bessere Verfahren: Das hier erörterte Programm „Zoll 2013“ setzt die oben beschriebenen Vorgängerprogramme fort und löst Programm „Zoll 2007“ ab. Mit diesem Programm soll in diesem Zusammenhang, in dem so die starke Kohärenz der scheinbar zusammenhanglosen Elemente sichtbar wird, zur Anwendung der modernen Zollverfahren beigetragen werden, mit deren Hilfe — unter Beibehaltung von Kontrollen — der Güterstrom beschleunigt, der Handel erleichtert und die Handelsfreiheit vergrößert wird. Die Europäische Kommission (6) hält den Zoll für das einzige Instrument mit einer globalen Sichtweise bzw. Querschnittsansicht der Wirtschaft. Die Lage stellt sich heute sehr viel komplexer dar als früher, mit Interaktionen der Personen- und Güterströme. Zur Bewältigung dieser Komplexität sind den Kommissionsvertretern zufolge flexible Reaktionsmöglichkeiten und Mittel erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen sowohl auf dem Binnenmarkt als auch auf dem Weltmarkt zu sichern.

3.1.1

Das neue Programm läuft vom 1.1.2008 bis 31.12.2013, also sechs Jahre, um seine Dauer an die Laufzeit des mehrjährigen Finanzrahmens anzupassen.

3.1.2

In Artikel 4 Absatz 1 des Vorschlags werden folgende Ziele aufgeführt, für deren Erreichung die Adressaten des Programms Unterstützung erhalten sollen:

a)

Zolltätigkeiten sollen den Erfordernissen des Binnenmarktes gerecht werden, einschließlich die Sicherheit der Lieferkette;

b)

effiziente Zusammenarbeit und Aufgabenerfüllung, als ob die verschiedenen Zollverwaltungen eine einzige Verwaltung wären;

c)

notwendiger Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft;

d)

verstärkte Sicherheit der Bürger;

e)

Vorbereitung auf die Erweiterung, einschließlich des Erfahrungs- und Wissensaustauschs mit den Zollbehörden der betroffenen Länder.

3.1.3

Die Mittel: gemeinsame Maßnahmen und Vollendung des e-Zolls

Zu den für das Programm vorgesehenen Mitteln (Artikel 2) gehört die im Rahmen von „Zoll 2007“ eingeführte Palette an Mitteln, die noch erweitert wird; die Mobilisierung erfolgt zweigleisig: einerseits über die Geräte bzw. das Material (Hardware und Software) und andererseits über die Menschen (gemeinsame Maßnahmen und Fortbildungsmaßnahmen):

a)

Kommunikations- und Informationsaustauschsysteme;

b)

Benchmarking;

c)

Seminare und Workshops;

d)

Projektgruppen und Lenkungsgruppen;

e)

Arbeitsbesuche;

f)

Fortbildungsmaßnahmen;

g)

Überwachungsmaßnahmen;

h)

sonstige für die Verwirklichung der Programmziele erforderlichen Aktivitäten.

Mithin zielen die vorgesehenen Maßnahmen auf die Schaffung eines gesamteuropäischen elektronischen Zollsystems ab.

3.1.4

Die Adressaten der vorgesehenen Maßnahmen sind (laut Artikel 3) in erster Linie die Mitgliedstaaten und außerdem wegen der Bedeutung des Zollwesens im internationalen Wirtschaftsgeschehens in unterschiedlichem Maße auch die Kandidatenländer, die potentiellen Kandidatenländer, die Partnerländer der Europäischen Nachbarschaftspolitik und die Drittländer.

3.1.5

Die verschiedenen Akteure werden in mehreren Artikeln des Kommissionsvorschlags definiert.

3.1.5.1

Dem Erwägungsgrund 6 (7) zufolge ist eine „Intensivierung der Beziehungen zwischen den Zollverwaltungen der Gemeinschaft, der Wirtschaft, den Vertretern aus Recht und Wissenschaft und den im Außenhandel tätigen Unternehmen“ erforderlich. Dieses Programm sollte Personen, die diese Kreise oder Einheiten vertreten, die Möglichkeit bieten, gegebenenfalls an Programmaktivitäten teilzunehmen.

3.1.5.2

Akteure werden (laut Artikel 2) in erster Linie die einzelstaatlichen Verwaltungen sein, auf die in Artikel 2 Absatz 2 mit dem Passus „die für die Zollverwaltung und zollrelevante Aktivitäten zuständigen öffentlichen Behörden und andere Organe der Teilnehmerländer“ Bezug genommen wird, ferner, auf Gemeinschaftsebene, die Kommission, die (laut Artikel 19) vom „Zoll 2013-Ausschuss“ unterstützt wird, sowie die Gruppe für Zollpolitik, die aus nationalen Vertretern besteht. Außerdem können aufgrund von Artikel 14 auch „Vertreter internationaler Organisationen, Verwaltungen in Drittländern, sowie Wirtschaftsbeteiligte und ihre Organisationen […] an Aktivitäten, die innerhalb des Programms organisiert werden, teilnehmen, falls diese Teilnahme für die Durchführung der in Artikel 4 und 5 genannten Ziele entscheidend ist“, und schließlich kann (nach Artikel 7 Absatz 6) die Kommission „das Kommunikations- und Informationsaustauschsystem anderen öffentlichen Verwaltungen für zollrelevante oder andere Zwecke zur Verfügung stellen, sofern sie einen finanziellen Beitrag für das Programm leisten“. Insgesamt ist die Zahl der Akteure gerade aufgrund der Tatsache, dass der Zoll für den internationalen Handel eine regulierende Rolle spielt, sehr hoch.

3.1.5.3

Schließlich behält sich die Europäische Kommission die Möglichkeit (8) vor, zu prüfen, inwieweit die Ausführung einiger Verwaltungs- und Durchführungsaufgaben im Rahmen dieses Programms einer Exekutivagentur zugewiesen werden könnte.

3.1.6   Budget

3.1.6.1

Die Interoperabilität wird den Informationsaustausch zwischen den Verwaltungen der einzelnen Länder ermöglichen; durch Schnittstellen mit kommerziellen Wirtschaftsbeteiligten trägt das Programm „Zoll 2013“ zur Durchführung der Verordnung zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft sowie zur Umsetzung der Entscheidung über ein papierloses Arbeitsumfeld für Zoll und Handel bei. Sobald das neue automatisierte System vollkommen operativ ist, wird der Binnenmarkt vollendet sein und nur noch Außengrenzen haben. Das Programm „Zoll 2013“ berücksichtigt die globale Dimension der Märkte und der Beziehungen zu den Drittstaaten, die „Teilnehmerländer“ und förderberechtigt sein können.

3.1.6.2

Die Hauptverantwortung für die Verwirklichung des Programms liegt bei den Teilnehmerländern (Erwägungsgrund 11). Aus den Haushaltsmitteln der Gemeinschaft sind insgesamt 323,8 Mio. EUR bereitzustellen (Punkt 4 der Begründung und Artikel 16 Absatz 1), die jedoch nicht die Gesamtkosten darstellen; ein Großteil der Kosten wird von den Mitgliedstaaten getragen. Die über das Programm „Zoll 2013“ sechs Jahre lang von jedem EU-Mitgliedstaat geleistete Hilfe beliefe sich theoretisch auf 2 Mio. EUR pro Jahr, aber es gäbe mehr „Teilnehmerländer“ als die 27 Mitgliedstaaten.

3.1.6.3

Die Kosten zwischen der Union und den Teilnehmerländern werden folgendermaßen aufgeteilt (Artikel 17):

„2.

Die Gemeinschaft übernimmt folgende Ausgaben:

a)

die Kosten für die Anschaffung, Entwicklung, Einrichtung, Wartung und Betriebskosten der gemeinschaftlichen Elemente der in Artikel 7(3) genannten Kommunikations- und Informationsaustauschsysteme;“

sowie die Veranstaltungskosten für die für gemeinsame Maßnahmen erforderlichen Treffen;

„6.

Die Teilnehmerländer übernehmen folgende Kosten:

a)

die Kosten für die Entwicklung, den Erwerb, die Einrichtung und Wartung der nichtgemeinschaftlichen Elemente für die in Artikel 7(4) beschriebenen Kommunikations- und Informationsaustauschsysteme;

b)

die Kosten der beruflichen Grund- und Fortbildung ihrer Beamten, einschließlich Sprachkurse.

3.1.7   Personal

3.1.7.1

Bei dem Vorschlag liegt der Schwerpunkt auf dem Bedarf an solider Grund- und Fortbildung sowie Kompetenzen, um ein reibungsloses Funktionieren zu gewährleisten. Das Personal der nationalen Zollverwaltungen wird hier in Artikel 12 des Vorschlags berücksichtigt. Die Kettenreaktion soll durch eine „strukturierte“ Zusammenarbeit zwischen nationalen Schulungseinrichtungen des Zolls ausgelöst werden: Auf Gemeinschaftsebene werden Programme und „Fortbildungsstandards“ ausgearbeitet, „um so einen gemeinsamen Grundstock für die Fortbildung von Zollbeamten zu schaffen, der das ganze Spektrum der Zollregeln und Zollverfahren abdeckt und es den Teilnehmern ermöglicht, die notwendigen beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben“ (Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe (a)). Die angebotenen Kurse können Beamten aus anderen Ländern offen stehen (Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe (b)) und das Herzstück des Systems muss von den nationalen Zollbehörden vollständig in ihre eigenen Fortbildungsprogramme integriert werden (Artikel 12 Absatz 2). Diese sorgen natürlich im Übrigen dafür, dass „ihre Beamten die Grundausbildung und Fortbildung erhalten, die sie dazu befähigen, die […] gemeinsamen beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben,“ ebenso wie die entsprechende Sprachausbildung und kommen für alle entstehenden Kosten auf (Artikel 12 Absatz 2).

3.1.7.2

So wird es keine Bildungseinrichtung auf Gemeinschaftsebene geben, aber gemeinschaftliche Inhalte. Die Kommission wählt eine Baumstruktur, ohne „gegebenenfalls [die] Entwicklung der erforderlichen Infrastrukturen und Instrumente für gemeinsame Zollfortbildungen und Zollfortbildungsmanagement“ (Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe (c)) auszuschließen.

3.1.7.3

Im Übrigen wird in dem Vorschlag in dem Bemühen um Komplementarität — ein Aspekt, der dem EWSA bereits früher ein Anliegen war — die „Sondierung der Möglichkeiten, wie Fortbildungsaktivitäten mit anderen für die Verwaltung der Außengrenzen zuständigen öffentlichen Stellen entwickelt werden können“ (Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe (d)) genannt. Demnach können die Kosten für die Anschaffung, Entwicklung, Einrichtung, Wartung und Betriebskosten der Schulungssysteme und -module, sofern sie für alle Teilnehmerländer gleich sind, über das Programm finanziert werden (Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe (d)).

3.1.8   Rolle der Kommission

3.1.8.1

Sie bildet das Herzstück der Baumstruktur. Es gibt keine Gemeinschaftsstruktur, aber die Kommission steht im Zentrum des Geschehens. Sie wird selbst festlegen, welche Beteiligten, für die die Kriterien noch nicht definiert sind, zugelassen werden (Artikel 196 des Modernisierten Zollkodex der Gemeinschaft), welche anderen öffentlichen Dienststellen neben dem Zoll für nicht zollrelevante Zwecke (Begründung unter Artikel 7) Zugang zu den gesicherten Daten sowie zu den Grund- und Fortbildungen haben können, welche neuen Wirtschaftsbeteiligten des Privatsektors (juristische und wissenschaftliche Kreise) einbezogen werden könnten.

4.   Allgemeine Bemerkungen des Ausschusses

4.1

Der Ausschuss bedauert, dass die vorgenannten Dossiers trotz ihres offensichtlichen Zusammenhangs sowie ihrer Bedeutung für die Verwaltungen und deren Mitarbeiter von der Kommission im Laufe des Jahres 2006 ohne jegliche Ordnung vorgelegt wurden, obwohl es sich weder um dringliche, noch um völlig neue Fragen handelt, die jedoch alle miteinander verknüpft sind.

4.2

Demnach bedauert er um so mehr, die vorliegende Stellungnahme aufgrund des Zeitplans für die Aufstellung des Haushaltsplans in aller Eile vorbereitet haben zu müssen, obwohl es sich, wie bereits gesagt, um einen Vorschlag handelt, der Teil eines großen Zusammenhangs darstellt, dessen Auswirkungen auf dieses Verfahren vollkommen vorhersehbar waren.

4.3

Nach Ansicht des EWSA könnte es sich die Zollunion, die die Speerspitze der europäischen Wirtschaftsintegration war, heutzutage nicht ohne Folgen leisten, gegenüber dem internationalen Handel, den sie regulieren soll und der in ständigem Wandel begriffen ist, in Rückstand zu geraten. Informatikanwendungen gehören selbstverständlich zu ihrer eigenen Palette und die exponentiellen Möglichkeiten, die sie bieten, müssen den Wirtschaftsbeteiligten wie den Kontrollbehörden zur Verfügung gestellt werden. Folglich begrüßt der Ausschuss das Programm „Zoll 2013“ und die Aufstockung der Haushaltsmittel; so können die Teilnehmerländer weiter unterstützt werden, insbesondere um ihre Anwendungen zu modernisieren, ihre Akteure zu sensibilisieren und ihre Beamten aus- und fortzubilden.

4.4

Austausch von Wissen, gemeinsame Maßnahmen und Überwachungsmaßnahmen sind sowohl für den reibungslosen Ablauf der Interoperabilität als auch für die gegenseitige Kenntnis der Akteure positiv, werden jedoch einer kleinen Anzahl von Mitarbeitern der Zollverwaltungen vorbehalten sein.

4.5

Der EWSA stellt fest, dass — entsprechend seinem anlässlich früherer Programme geäußerten Wunsch — ein Evaluierungsverfahren eingeführt wurde. Er begrüßt dies, bedauert jedoch gleichzeitig, dass bisher keinerlei Angaben zu den künftigen Indikatoren gemacht wurden.

4.6

Allerdings meldet der Ausschuss Vorbehalte an:

4.6.1

„Bei den Maßnahmen des Zolls müssen die Prioritäten auf die Verbesserung der Kontrollen und Betrugsbekämpfung, die Minimierung der Kosten, die den Wirtschaftsbeteiligten durch die Einhaltung des Zollrechts entstehen, die Gewährleistung einer effizienten Abwicklung der Warenkontrollen an den Außengrenzen sowie auf den Schutz der europäischen Bürger und die Sicherheit der internationalen Lieferkette gelegt werden.“ (Erwägungsgrund 3).

4.7

Der EWSA ist jedoch der Auffassung,

4.7.1

dass es zwar lobenswert ist, das Ziel anzustreben, „den Bürgern und Wirtschaftsbeteiligten der Gemeinschaft an jedem Ort im Zollgebiet der Gemeinschaft […] einen gleichwertigen Schutz [zu bieten]“ (Erwägungsgrund 2), dass dies jedoch für die Steuerzahler, die Wirtschaftsbeteiligten und insbesondere die Bürger unzureichend ist, wenn „gleichwertig“ nicht auch gleichzeitig „hervorragend“ bedeutet, d.h. auf höchstem Niveau. Sicherheit bedeutet z.B., dass ein Teddybär, der gemäß den Gemeinschaftsnormen kontrolliert wurde und somit in die Gemeinschaft eingeführt werden durfte, weil die Zöllner festgestellt hatten, dass seine Augen so fest angebracht sind, dass ein Kind sie nicht ausreißen und daran ersticken kann. In dem Kommissionsvorschlag wird im Prinzip auf das Ziel der Kontrolle und der Sicherheit eingegangen, ohne dass dies vorher näher erläutert wird; dieses Ziel sollte im gesamten Zollgebiet gleichwertig sein und bestmöglich erreicht werden;

4.7.2

dass das Ziel, einerseits den Verwaltungsaufwand zu verringern und andererseits mit Hilfe elektronischer Systeme eine kostenintensive Automatisierung herbeizuführen, — gekoppelt mit der Verpflichtung der Haushaltsbehörden in den Mitgliedstaaten, für eine Einhaltung der in den Verträgen vorgegebenen Schwellenwerte für Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung zu sorgen — dazu führen kann, dass die einzelstaatlichen Verwaltungen unabhängig voneinander Personal abbauen, was die Zusammenarbeit erschwert und/oder ihre Kosten durch eine teilweise Privatisierung auslagern, was wiederum zu Rechtsunsicherheit für Wirtschaftsbeteiligte und Bürger im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Diensten führen kann, die über weit reichende Befugnisse verfügen;

4.7.3

dass die angestrebte Erleichterung des Handels eine Erhöhung der Betrugsquote (legale Handelswaren) und des Schmuggels (illegale Waren) zur Folge haben könnte, da in diesem Bereich nur noch sehr wenige physische Kontrollen durchgeführt würden; es wäre sinnvoll gewesen, aufzuzeigen, wie die Betrugsbekämpfung mit Hilfe elektronischer Kontrollkriterien bei gleicher Behandlung in allen Teilnehmerländern mit wenigen Bediensteten effizient funktionieren kann. Nach Auffassung des Ausschusses hängt die Kontrolldichte stets von politischen Entscheidungen sowie von dem gewünschten Verhältnis zwischen Handelsfreiheit und Sicherheit der Bürger ab, wobei die Durchführung der Kontrollen natürlich von den zuständigen Beamten und deren Handlungsmöglichkeiten abhängt. Überdies ist das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit nicht gegeben, wenn die Absicht, den Handel durch eine tatsächliche Verringerung der Kontrolldichte sowie des Kontrollpersonals zu erleichtern, stärker ins Gewicht fällt als das Erfordernis der Sicherheit, auf das — wie der Ausschuss feststellen muss — in dem Vorschlag nicht sehr ausführlich eingegangen wird. Die Zollpolitik wird von der Union definiert, doch liegt es bei den nationalen Verwaltungen, ihre Strukturen zu gestalten, die sie vorteilhaft neu ausrichten könnten, ohne sie abzubauen.

4.7.3.1

Der Ausschuss betont, dass der EWSA in Stellungnahmen zu den oben genannten vorherigen Kommissionsvorlagen zum Zollwesen bereits zwei Mal empfohlen hat, die Maßnahmen und Strukturen in gewissem Maße zu zentralisieren; die Kommission legte sich jedoch schon 2005 (9) auf ein Vernetzungskonzept fest, das auf einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den nationalen EDV-Systemen im Zollbereich beruht, und vertrat die Auffassung, dass gleichzeitig mit der Vereinfachung der Verfahren die Kontrollen verstärkt werden sollten. Die interoperablen und papierlosen Verfahren haben bedeutende Umstrukturierungen der Zolldienste auf nationaler Ebene zur Folge und gehen mit der Schließung von für Zollanmelder offene Zollämter einher, was wiederum zu einer verringerten Reaktionsfähigkeit der Zollbehörden in Notfällen gesundheitlicher (z.B. BSE) oder sicherheitspolitischer (Terrorismus) Art sowie zu tief greifenden Veränderungen für das betroffene Personal führt.

4.7.3.2

Ferner bekräftigt der Ausschuss einen Kritikpunkt, den er bereits in Bezug auf die vorherigen Kommissionsvorlagen (10) geäußert hatte, nämlich das „Fehlen[s] einer wirklichen Berücksichtigung der Interdependenz der verschiedenen Behörden bei der Bekämpfung der Kriminalität“. Diese Kritik kann hier insofern abgeschwächt werden, als die Möglichkeit einer Öffnung für andere öffentliche Dienststellen vorgesehen ist (Artikel 7 Absatz 6).

4.7.3.3

Ganz allgemein hätte die Anerkennung der zentralen Rolle, die die Zollunion und die sie umsetzenden einzelstaatlichen Verwaltungen bei der Regulierung des Welthandels spielen, die Kommission zu der Feststellung veranlassen können, dass diese Rolle nur der öffentlichen Hand übertragen werden kann.

4.7.3.4

In dem Zwischenbericht zur Bewertung des Programms „Zoll 2007“ wurde die Dringlichkeit des Sprachproblems hervorgehoben, das die Zollbediensteten in ihrer grenzüberschreitenden Tätigkeit einschränkt; nach Ansicht des EWSA wird diesem Problem in dem Programm 2013 nicht hinreichend Rechnung getragen, da es nach dessen Maßgabe in den Zuständigkeitsbereich der Teilnehmerländer fällt; diese Frage sollte jedoch ein europäisches Anliegen sein.

4.7.3.5

Vor dem Hintergrund einer globalisierten Wirtschaft hätte die Kommission auf eine Maßnahme zur Unterweisung von Drittländern verweisen und dabei vor allem auf Prävention sowie die Schulung der Behörden bestimmter Länder eingehen können, die bekanntermaßen betrügerischen Warengeschäften Vorschub leisten (insbesondere Markenpiraterie und -nachahmung), um diesen Ländern klar zu machen, wie sehr dies ihrer eigenen Wirtschaft schadet und um ihnen Techniken zur internen Kontrolle dieses Phänomens zu vermitteln.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Artikel 3 des Kommissionsvorschlags: Programmteilnehmer (Adressaten)

5.1.1

Der Kommissionsvorschlag sieht Maßnahmen vor, die an den alten wie den neuen Grenzen der Europäischen Union sowie mit den Ländern der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) durchgeführt werden sollen und auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit Drittländern abzielen. Diese Länder können unter bestimmten Bedingungen an einigen Aktivitäten beteiligt werden. Dies erscheint dem Ausschuss für eine möglichst rasche Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach dem eventuellen EU-Beitritt dieser Länder äußerst wichtig. Die von ihnen zu erfüllenden Bedingungen, um in den Genuss der im Rahmen des Programms „Zoll 2013“ gewährten Unterstützung zu kommen, werden im Kommissionstext jedoch nicht präzisiert.

5.2   Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe (i): Verbesserung der Zusammenarbeit

5.2.1

Die Kommission plädiert zu Recht dafür, „die Zusammenarbeit zwischen den Zollverwaltungen der EU und der Drittstaaten zu verbessern“. Sie hätte bei den (in Artikel 14 angesprochenen) internationalen Organisationen, die an dem Programm teilnehmen können, vielleicht als Beispiel die Weltzollorganisation (WCO) anführen können.

5.3   Artikel 3, 10, 14, 19 und Erwägungsgrund 6

5.3.1

In diesen Textstellen sind die Akteure festgelegt, die für die weitere praktische Umsetzung des Programms jenseits der Maßnahmen Sorge tragen, die auf der Ebene der Kommission, des (in Artikel 19 genannten) „Zoll 2013“-Ausschusses und der nationalen Verwaltungen bereits ergriffen wurden. Welche Art von Beitrag sie leisten sollen und welche Beziehung sie zueinander unterhalten sollen, wird in der Kommissionsvorlage nicht genau definiert. Obwohl sie durchaus ihr Know-how einbringen, werden einige unter ihnen als Nutzer des Programms „Schuldner“ bleiben; die Teilnehmerländer sind nämlich nicht alle gleichgestellt. Die Vertreter von internationalen Organisationen, Verwaltungen in Drittländern sowie Wirtschaftsbeteiligten und ihren Organisationen können (nach Artikel 14) am Programm teilnehmen, aber nur die „Mitgliedstaaten“ können (nach Artikel 10) den „Projektgruppen sowie Lenkungsgruppen, die die Koordinierungsarbeiten übernehmen“ angehören.

5.3.2

In Ermangelung präziser Regelungen entscheidet die Kommission selbst. In Anwendung des modernisierten Zollkodex wird sie die Bedingungen festlegen, die zu erfüllen sind, um den Status eines „zugelassenen Beteiligten“ zuerkannt zu bekommen; gemäß Artikel 194 des modernisierten Zollkodex kann die Kommission von sich aus beschließen, die Normen für die Interoperabilität der Zollsysteme der Mitgliedstaaten zu ändern, und die Fälle festlegen, in denen sie von den Mitgliedstaaten verlangen kann, von ihnen getroffene Entscheidungen zu ändern. Die Kommission selbst bestimmt, welche öffentlichen und privaten Dienste am Programm „Zoll 2013“ teilnehmen und gegen Entgelt oder gratis die betreffenden Datenbanken nutzen können und welche Bedingungen (von den Teilnehmerländern) erfüllt werden müssen, um in den Genuss der im Rahmen des Programms „Zoll 2013“ gewährten Unterstützung zu kommen.

5.3.3

Der Ausschuss ist sich darüber im Klaren, dass ein solches Unterfangen eine effiziente Führung braucht, fragt sich aber gleichwohl, welche Möglichkeiten der bürgerlichen Kontrolle dieses integrierten Systems überhaupt bestehen, und fordert, alles Erdenkliche zu tun, um zu vermeiden, dass ein von Hypertechnikern beherrschtes System entsteht, dessen Baumstruktur zu einem undurchdringlichen Dickicht gerät, das sich der Kontrolle der Bürger und ihrer Vertreter völlig entzieht. Die Zersplitterung von zolltechnischen Aufgaben zugunsten unabhängiger oder privater Einrichtungen, wie etwa Agenturen oder Zulieferern, wäre ein zusätzliches Risiko.

5.4   Artikel 17: Budget

5.4.1

Für die praktische Umsetzung des Programms sind (laut Erwägungsgrund 11) in erster Linie die teilnehmenden Ländern verantwortlich. Aus den Haushaltsmitteln der Gemeinschaft werden insgesamt 323,8 Mio. EUR bereitgestellt (Punkt 4 der Begründung und Artikel 16 Absatz 1) dies entspricht — wie bereits gesagt — theoretisch einem jährlichen Betrag von lediglich 2 Mio. EUR pro Mitgliedstaat über einen Zeitraum von sechs Jahren. Der Kostenanteil der Mitgliedstaaten, die das betreffende Personal und die Infrastruktur verwalten, wird — öffentlicher und privater Sektor zusammengenommen — bei der letztlichen Verwirklichung eines integrierten europäischen Zollwesens am größten sein.

5.4.2

Der Ausschuss stellt fest, dass aus dem Vorschlag für eine Entscheidung nicht hervorgeht, wie sich die zugewiesenen Mittel, die sich laut dem Impact Assessment  (11) (Finanzbogen) auf 259,6 Mio. EUR für Informatik und lediglich 57,4 Mio. EUR für Humankapital belaufen, technisch verteilen.

5.5   Artikel 8 und Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe (d): Fortbildung des Personals

5.5.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass in den Mitgliedstaaten sowohl bei den Unternehmen, sprich den Wirtschaftsbeteiligten, sowie auch bei den Zollverwaltungen die Beschäftigten eine Beschleunigung des bereits in Gang gebrachten Reformprozesses erleben werden und trotz der Fortbildungsmaßnahmen, die ihnen geboten werden, für einige unter ihnen — einschließlich der Beamten — gewissermaßen Sozialpläne vorgesehen werden müssten, falls sie der Umstrukturierung nicht gewachsen sein sollten, und zwar während eines Übergangszeitraums, der dem geschichtlichen Kontext Rechnung trägt, in dem dieses Programm angesiedelt ist (Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt).

5.5.2

Andererseits sieht der Kommissionsvorschlag in dem Bemühen um Komplementarität — ein Aspekt, der dem EWSA bereits früher ein Anliegen war — die „Sondierung der Möglichkeiten, wie Fortbildungsaktivitäten mit anderen für die Verwaltung der Außengrenzen zuständigen öffentlichen Stellen entwickelt werden können“ vor. Es wäre hilfreich gewesen, wenn die Kommission präzisiert hätte, an welche Dienste dabei gedacht ist und bei welchen Adressaten des Programms sie angesiedelt sind.

5.6   Artikel 13: Überwachungsmaßnahmen

5.6.1

Soweit die Kenntnis des Gesprächspartners bei grenzüberschreitenden Beziehungen größeres Vertrauen gestattet und größere Effizienz ermöglicht, sollte dieses gemeinsame Monitoring nach Meinung des Ausschusses weitgehend auch von Zollbeamten in nicht-leitender Stellung und nicht nur von Zollbeamten in leitender Stellung durchgeführt werden, wie dies das frühere Programm „Matthäus“ vorsah.

6.   Empfehlungen des Ausschusses

6.1

In der Mitteilung der Europäischen Kommission, mit der 2005 das Programm „Zoll 2013“ angekündigt wurde, wurde ausgeführt, dass im künftigen Programm „die Kofinanzierung aus Programmen der ersten und der dritten Säule vorgesehen sein sollte“, da einschlägige Maßnahmen nicht auf eine bestimmte Säule beschränkt werden können. Beim Programm „Zoll 2013“ ist dies aber nicht der Fall. Dies scheint jedoch im Widerspruch zu der teilweise dem Zoll obliegenden Aufgabe zu stehen, illegale Handelsströme zu bekämpfen und für die Sicherheit der Menschen und Gebiete einzutreten, die zum Kapitel Justiz und Inneres gehört. Der Ausschuss spricht sich dafür aus, diese ebenfalls auf der dritten Säule beruhende Finanzierungsmöglichkeit zu prüfen, um die Komplementarität zwischen den Diensten zur Betrugsbekämpfung zu erleichtern und doppelten Kostenaufwand zu vermeiden.

6.2

Nach Auffassung des EWSA sollte untersucht werden, wie die Rechtskonzepte im Zollbereich weiterentwickelt werden könnten, falls gemeinrechtliche Konzepte nicht ausreichen. In diesem Fall sollten die neuen Gegebenheiten im Zollwesen berücksichtigt werden, insbesondere die Begriffe des Computerbetrugs und der Piraterie sowie das Konzept der Strafmaßnahme: Die Union wird über einen Markt, ein interoperables Zollnetz, einheitlich funktionierende Zollverwaltungen und eine einheitliche Einstufung von Rechtsverstößen verfügen, wohingegen die Strafmaßnahmen im Zollbereich weiterhin unterschiedlich sind; dies kann nur zur Verlagerung des illegalen Handels und somit zu einer unterschiedlichen Behandlung je nach dem Ort der Einfuhr ins Zollgebiet führen, was dem mit dem gesamten System verfolgten Zweck zuwider laufen würde.

6.3

Die Tatsache, dass das Programm „Matthäus“ durch Arbeitsbesuche ersetzt wurde, verdeutlicht, dass die Prämisse der Austauschbarkeit der Beamten auf dem Unionsgebiet, von der dieses frühere Programm ausging, nicht mehr gilt. Nun findet die Mobilität im Rahmen des Netzes statt, doch sollten die Arbeitsbesuche nach Ansicht des Ausschusses nicht kürzer sein als die in der Vergangenheit durchgeführten Austauschprogramme; darüber hinaus sollten alle Zollbediensteten im Interesse einer besseren Kenntnis der Kollegen und der Methoden in großem Umfang daran teilnehmen.

6.4

Nach Auffassung des EWSA sollte geprüft werden, auf welche Weise im Rahmen des Programms dazu beigetragen werden könnte, im Übergangszeitraum 2008-2013 Unterstützung für das Personal bereit zu stellen, das von den „Umstrukturierungen“ im Zuge der endgültigen Schaffung eines EDV-gestützten Zollwesens in den Mitgliedstaaten betroffen ist — erforderlichen auch in Form regelrechter Sozialpläne.

6.5

Der Ausschuss fordert, dass zugunsten der Bürger folgende Punkte in dem Programm „Zoll 2013“ klar gestellt werden:

a)

Die Rolle des Zollwesens mit genauen Angaben darüber, welche öffentlichen Dienste Zugang zu den entsprechenden Handelsdaten sowie zu sonstigen Daten erhalten, sei es kostenfrei bzw. gegen Entgelt;

b)

die Stellung des europäischen Zollwesens im Verhältnis zu anderen Zollsystemen weltweit (unter Sicherheitsaspekten);

c)

der Grad der Zusammenarbeit (qualitativ und quantitativ), der von potenziellen Bewerberländern, den Nachbarländern und Drittländern erwartet wird, sowie die dafür vorgesehenen Haushaltsmittel;

d)

die Art und erwartete Rolle der internationalen Organisationen, die an den im Rahmen des Programms veranstalteten Aktivitäten teilnehmen können.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. L 33 vom 4.2.1997 und ABl. L 13 vom 19.1.2000.

(2)  ABl. C 174/14 vom 17.6.1996.

(3)  KOM(2002) 26 endg. — 2002/0029 (COD).

(4)  ABl. C 241/8 vom 7.10.2002.

(5)  Siehe Fußnote 4.

(6)  Anhörung von TAXUD — A/2 — Direktion Steuern und Zollunion der Europäischen Kommission, 18.9.2006.

(7)  KOM(2006) 201 endg., S. 11.

(8)  Punkt 4 der Begründung: Auswirkungen auf den Haushalt.

(9)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Gemeinschaftsprogramme „Zoll 2013“ und „Fiscalis 2013“. KOM(2005) 111 endg. vom 6.4.2005.

(10)  KOM(2005) 608 endg.

(11)  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen Customs 2013Impact Assessment, Dok. SEK(2006) 570, S. 30.