ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 221

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

48. Jahrgang
8. September 2005


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II   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005

2005/C 221/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik — 2003(SEK(2004) 658 endg.)

1

2005/C 221/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr(KOM(2004) 143 endg. — 2004/0049 (COD))

8

2005/C 221/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr(KOM(2004) 144 endg. — 2004/0050 (COD))

13

2005/C 221/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse(KOM(2004) 374 endg.)

17

2005/C 221/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Nutzung geothermischer Energie — Wärme aus der Erde

22

2005/C 221/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich der Umsetzung der Aufbau- und der Betriebsphase des europäischen Satellitennavigationsprogramms(KOM(2004) 477 endg. — 2004/0156 (COD))

28

2005/C 221/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer Raumdateninfrastruktur in der Gemeinschaft (INSPIRE)(KOM(2004) 516 endg. — 2004/0175 (COD))

33

2005/C 221/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Hochwasserrisikomanagement — Vermeidungs-, Schutz- und Minderungsmaßnahmen(KOM(2004) 472 endg.)

35

2005/C 221/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik(KOM(2004) 489 endg. — 2004/0164 (CNS))

40

2005/C 221/0

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2759/75, der Verordnung (EWG) Nr. 2771/75, der Verordnung (EWG) Nr. 2777/75, der Verordnung (EG) Nr. 1254/1999, der Verordnung (EG) Nr. 1255/1999 und der Verordnung (EG) Nr. 2529/2001 hinsichtlich der besonderen Marktstützungsmassnahmen(KOM(2004) 712 endg. — 2004/0254 (CNS))

44

2005/C 221/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Peking +10: Bewertung der erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der Gleichstellung von Mann und Frau in Europa und in den Entwicklungsländern

46

2005/C 221/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Beschaffung von Verteidigungsgütern(KOM(2004) 608 endg.)

52

2005/C 221/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EWG) Nr. 91/440 des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft(KOM(2004) 139 endg. — 2004/0047 (COD))

56

2005/C 221/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zertifizierung von mit dem Führen von Triebfahrzeugen und Lokomotiven im Eisenbahnnetz der Gemeinschaft betrautem Zugpersonal(KOM(2004) 142 endg. — 2004/0048 (COD))

64

2005/C 221/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen(KOM(2004) 699 endg. — 2004/0242 (CNS))

71

2005/C 221/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens(KOM(2004) 173 endg./3 — 2004/0055 (COD))

77

2005/C 221/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Jugendlichen, der Menschenwürde und des Rechts auf Gegendarstellung hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen audiovisuellen Medien und der europäischen Informationsdiensteindustrie(KOM(2004) 341 endg. — 2004/0117 (COD))

87

2005/C 221/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Beschäftigungspolitik: Rolle des EWSA nach der Erweiterung und in der Perspektive des Lissabonner Prozesses

94

2005/C 221/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Finanzierung von Natura 2000(KOM(2004) 431 endg.)

108

2005/C 221/0

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt(KOM(2004) 2 endg. — 2004/0001 (COD))

113

2005/C 221/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Clearing und Abrechnung in der Europäischen Union — Künftige Maßnahmen(KOM(2004) 312 endg.)

126

2005/C 221/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein integriertes Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens(KOM(2004) 474 ENDG. — 2004/0153 (COD))

134

2005/C 221/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Bessere Integration von Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen

141

2005/C 221/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Verbraucherpolitik nach der EU-Erweiterung

153

DE

 


II Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005

8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik — 2003“

(SEK(2004) 658 endg.)

(2005/C 221/01)

Die Europäische Kommission beschloss am 4. Juni 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik — 2003 — Erster Teil“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr CHIRIACO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 75 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der Jahresbericht 2003 über die Wettbewerbspolitik hebt die Änderungen hervor, die in der internen Organisation dieses Bereichs sowie in der Arbeitsweise der Kommission erfolgt sind und verdeutlicht, wie die Kommission zu einem kohärenten wirtschaftlichen Ordnungsrahmen in Europa beiträgt.

1.2

Für die Verwirklichung der Wettbewerbsfähigkeitsziele der Lissabonner Strategie spielt die Wettbewerbspolitik der EU eine maßgebliche Rolle, denn sie beinhaltet nicht nur kartell- und fusionsrechtliche Regelungen, sondern auch die Anwendung effektiver und strenger Vorschriften für staatliche Beihilfen.

1.3

Damit die 10 neuen Beitrittsländer „weich landen“ können, hat die Kommission ein System gemeinsamer Wettbewerbsregeln für die einheitliche Anwendung der Regeln für staatliche Beihilfen erarbeitet, und betont, wie wichtig es ist, die Frage der wettbewerbsverfälschenden staatlichen Maßnahmen mit dem gleichen Nachdruck anzugehen wie die Durchsetzung der für Unternehmen geltenden Regeln.

1.4

2003 wurden insgesamt 815 neue Fälle registriert, in denen gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen wurde, und u.a. wurde ein „Verbindungsbeauftragter“ für die Verbraucher eingesetzt, um einen ständigen Dialog mit den europäischen Verbrauchern zu gewährleisten: die Belange der Verbraucher stehen bei der Wettbewerbspolitik im Vordergrund, doch ihre Stimme findet bei der Klärung einzelner Fälle oder bei der Erörterung von Grundsatzfragen nicht ausreichend Gehör. Das Aufgabengebiet des „Verbindungsbeauftragten“ ist nicht auf die Fusionskontrolle beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf kartellrechtliche Fragen — Kartellbildung und Missbrauch marktbeherrschender Stellungen — sowie auf weitere Verfahren und Maßnahmen dieses Bereichs.

1.5

Die Europäische Kommission hat im Oktober 2003 den Entwurf einer Verordnung und Leitlinien für Technologietransfer-Vereinbarungen veröffentlicht, zu dem sich der EWSA bereits in einer Stellungnahme geäußert hat (1). In dem Reformvorschlag wird berücksichtigt, wie sich derartige Vereinbarungen in den letzten Jahren entwickelt haben, und das Ziel verfolgt, den Anwendungsbereich der gemeinschaftlichen Gruppenfreistellungsverordnung zu vereinfachen und auszudehnen. Die neuen Regeln haben folgende Vorteile:

die Gruppenfreistellungsverordnung enthält nur noch eine „schwarze Liste“, d.h. was nicht ausdrücklich von der Gruppenfreistellung ausgeschlossen ist, gilt als freigestellt,

Lizenzvereinbarungen zwischen Wettbewerbern werden deutlich von Lizenzvereinbarungen zwischen Nicht-Wettbewerbern abgegrenzt,

die Verabschiedung eines „Modernisierungspakets“ ist bereits vorgesehen.

1.6

Die Kommission hat außerdem einen Chefökonomen für Wettbewerbsfragen mit Wirkung vom 1. September 2003 ernannt und zugleich die Rolle des Anhörungsbeauftragten deutlich gestärkt. Der Chefökonom hat drei Aufgaben zu erfüllen:

wirtschaftspolitische und ökonometrische Beratung und Lenkung bei der Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts, wozu die Mitwirkung an der Ausarbeitung allgemeiner Leitlinien gehören kann;

allgemeine Beratung und Lenkung bereits im Anfangsstadium von Wettbewerbsverfahren;

detaillierte Beratung und Lenkung in den bedeutendsten und mit komplexen wirtschaftlichen Fragen verbundenen Wettbewerbsfällen, insbesondere wenn sie einer gründlichen quantitativen Analyse bedürfen.

1.7

Der Anhörungsbeauftragte seinerseits spielt mit größeren Befugnissen die Rolle des unabhängigen Garanten für das Recht auf Verteidigung in einigen Wettbewerbsverfahren. Er ist direkt dem zuständigen Mitglied der Kommission unterstellt und nimmt von der GD Wettbewerb keinerlei Weisungen entgegen. Er kann sich jederzeit einschalten, wenn es um begründete Fragen verfahrensrechtlicher Art geht; er organisiert mündliche Anhörungen und führt diese objektiv durch, er entscheidet, ob Dritte gehört und ob neue Unterlagen vorgelegt werden dürfen. Über all dies erstattet er dem zuständigen Mitglied der Kommission Bericht.

2.   Anwendung der Regeln zur Kartellbekämpfung — Artikel 81 und Artikel 82 EG-Vertrag

2.1

Im Oktober 2003 hat die Kommission die Abschlussphase des Reformprozesses zur Durchsetzung des Kartellrechts (sogenanntes Modernisierungspaket) auf den Weg gebracht, um die Durchsetzungsbefugnisse der Wettbewerbsbehörden leichter anwendbar zu machen und die in der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Kooperationsmechanismen zwischen der Kommission, den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und den nationalen Gerichten zu präzisieren.

2.2

Das Modernisierungspaket umfasst insbesondere eine neue Verordnung über die Modalitäten für die Anhörung der beteiligten Parteien sowie eine Reihe anderer Verfahrensfragen wie Akteneinsicht und Umgang mit vertraulichen Informationen. Die sechs im Entwurf vorgelegten Mitteilungen betreffen unter anderem Kooperationsmechanismen innerhalb des Netzes der europäischen Wettbewerbsbehörden sowie zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten, das Konzept der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten, die Behandlung von Beschwerden und die Beratungsschreiben, mit denen Unternehmen bei der Bewertung neuer oder ungelöster Rechtsfragen unterstützt werden sollen. Hinsichtlich des gesamten Modernisierungspakets wird auf die Stellungnahme des EWSA (1) verwiesen.

2.3

Im Jahr 2003 hat die Kommission fünf Entscheidungen gegen unzulässige horizontale Absprachen erlassen: französisches Rindfleisch, Sorbate, elektrische und mechanische Kohlenstoff- und Graphitprodukte, organische Peroxide und Kupferindustrierohre. Die verhängten Geldbußen beliefen sich auf 400 Mio. EUR: Sie waren jeweils so bemessen, dass sie eine abschreckende Wirkung entfalteten. Die Inspektionen werden auch in den Unternehmen durchgeführt. Dem Unternehmen, das als erstes aussagt und vollständige Beweismittel für die Durchführung einer Inspektion vorlegt, wird die Geldbuße vollständig erlassen. Es ist vorgesehen, dass die Kommission jedoch eine befürwortende Stellungnahme abgibt, wenn die Unternehmensabsprachen den Wettbewerb auf den betroffenen Märkten nicht beschränken und die Verbraucher von diesen Kooperationen profitieren. Ebenfalls im Jahr 2003 hat sich die Kommission zu drei Fällen des Verstoßes gegen Artikel 82 geäußert:

Gebühren, welche die Deutsche Telekom AG von Konkurrenzunternehmen für den Zugang zur örtlichen Infrastruktur ihres eigenen Telekommunikationsnetzes verlangt hatte,

Preispolitik der Firma Wanadoo bei ihren ADSL-Diensten,

Missbrauch einer beherrschenden Stellung der Ferrovie dello Stato Spa (FS) auf den Märkten für den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur, Traktionsleistungen und Passagierbeförderung.

3.   Wettbewerbsentwicklung in einzelnen Wirtschaftszweigen

3.1

Im Jahr 2003 waren spürbare, wenngleich nicht völlig zufriedenstellende Fortschritte beim Liberalisierungsprozess im Energiesektor (Strom und Gas) zu verzeichnen: Im Juni erfolgte die Annahme eines Pakets von Rechtsvorschriften, wonach alle europäischen Strom- und Gaskunden spätestens am 1. Juli 2007 ihren Anbieter frei wählen können. Diese Bestimmungen sollen ein Gleichgewicht zwischen Anreizen zur Schaffung neuer Infrastrukturen und der vollständigen Verwirklichung des gemeinsamen Marktes gewährleisten.

3.2

Unter den Verbrauchern und Unternehmen verschiedener EU-Mitgliedstaaten ist jedoch nach wie vor ein Gefühl der Unzufriedenheit aufgrund des immer noch hohen Preisniveaus und der nicht immer zufriedenstellenden Effizienz dieser Dienstleistungen weit verbreitet. Darüber hinaus wird insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten von den Sozialpartnern und Verbraucherverbänden nachdrücklich die Wahrung der Unabhängigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden und der nationalen Regulierungsbehörden für öffentliche Versorgungsleistungen gefordert.

3.2.1

Dort, wo angemessene und umfassende Wettbewerbsvorschriften in Kraft sind, kommt es insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten bisweilen vor, dass die für Kontrolle und Regulierung zuständigen Stellen bei der unabhängigen Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf Widerstand stoßen; daher haben sich die Sektorregelungen für den Schutz der Verbraucherinteressen bzw. das effiziente Funktionieren der Märkte mitunter als uneffektiv erwiesen. Der Ausschuss befürwortet ein pragmatischeres Zusammenspiel von Wettbewerbs- und Verbraucherschutzpolitik. Eine besser organisierte und stärker eingebundene Verbraucherbewegung wird auch die Entscheidungsfindung auf Regierungsebene unterstützen können und Informationen über die Märkte und wettbewerbswidrige Praktiken liefern.

3.3

Im Bereich der Postdienstleistungen zielt die Postrichtlinie aus dem Jahr 2002 auf die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste ab, insbesondere durch einen schrittweisen Abbau des reservierten Bereichs und durch die Liberalisierung des Marktes für abgehende grenzüberschreitende Postsendungen. Darüber hinaus wird die Kommission auf der Grundlage einer Einigung des Europäischen Rates im Laufe des Jahres 2006 eine Studie erstellen, um die Auswirkungen der Universaldienste auf jeden Mitgliedstaat zu evaluieren. Ausgehend von den Ergebnissen dieser Studie wird die Kommission einen Vorschlag annehmen, der auf die vollständige Öffnung des Postmarktes ab 2009 bzw. auf jede andere Maßnahme abzielt, welche die Universalität der Dienste gewährleisten soll.

3.4

Was die elektronische Kommunikation angeht, so lief die Frist für die Umsetzung des neuen Regulierungsrahmens für diesen Sektor im Juli 2004 ab. In ihrem diesbezüglichen Bericht hat die Kommission insbesondere folgende Prinzipien hervorgehoben: Die Märkte müssen anhand der für den Wettbewerb geltenden Grundsätze analysiert werden; Regulierungsmaßnahmen gegen einen Betreiber können nur dann ergriffen werden, wenn er eine beherrschende Stellung innehat; alle elektronischen Kommunikationsdienste und -netze sind gleich („technologieneutral“) zu behandeln. Der Ausbau und der nunmehr allgemeine Zugang zur elektronischen Kommunikation können das Wirtschaftswachstum allein nicht wieder ankurbeln. Hierfür ist es vielmehr grundlegend, den Kenntnis- und Kompetenzstand all derer zu erhöhen, welche die Informations- und Kommunikationstechnologien benutzen müssen.

3.5

Hinsichtlich des Luftverkehrssektors beschloss die Kommission im Jahre 2003, in einen umfassenden und nicht einzelfallbezogenen Dialog mit den einschlägigen Akteuren des Sektors einzutreten. Damit sollen transparente Wettbewerbsleitlinien im Bereich der Allianzen/Fusionen im Luftverkehrsbereich vorbereitet werden.

3.5.1

Ferner wurden die Arbeiten zur Festlegung und Umsetzung gemeinsamer Leitlinien für die Durchsetzung der kartellrechtlichen Bestimmungen im Schienenverkehrssektor in Bezug auf den Güter- und Personenverkehr vorangetrieben.

3.5.2

Der Dialog mit der Branche hat sich auch in den Bereichen Seeverkehr, Kraftfahrzeugvertrieb und Versicherungswirtschaft mit dem Ziel weiterentwickelt, bestehende Rechtsvorschriften über die Gruppenfreistellung zu überprüfen oder neue geeignete Vorschriften zu erlassen.

3.5.3

In dem besagten Dialog sind auch vergleichbare Formen steuerlicher Behandlung zu berücksichtigen.

3.6

Medien: Die Kommission misst der Pluralität der Medien eine grundlegende Bedeutung für das Funktionieren der EU und die kulturelle Identität der Mitgliedstaaten bei, betont jedoch, dass die Kontrolle der Konzentration der Medien in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten ist. Die Anwendung der Instrumente der Wettbewerbspolitik im Mediensektor beschränkt sich auf die zugrunde liegende Marktstruktur, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Verhaltens von Medienunternehmen und die Kontrolle staatlicher Beihilfen. Diese Instrumente können die Kontrolle der Medienkonzentration sowie Maßnahmen zur Sicherung der Medienvielfalt auf nationaler Ebene nicht ersetzen. Die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften dient ausschließlich der Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung in den betreffenden Märkten und der Kontrolle des Marktausschlusses.

3.6.1

Es ist festzustellen, dass es mit diesem unter formalen Gesichtspunkten zwar richtigen Ansatz der Kommission insbesondere in einigen Ländern nicht gelungen ist, die Begründung marktbeherrschender Stellungen und damit verbundene wettbewerbswidrige Praktiken zu verhindern oder zu bekämpfen. Betroffen sind davon verschiedene Märkte, und der Markt der Fernsehwerbung, der bisher noch nicht entsprechend untersucht wurde, hat unter ihnen ein immer entscheidenderes Gewicht, wenn es um den Schutz der Vielfalt geht.

3.6.2

Darüber hinaus wurden bei der Kontrolltätigkeit die Methoden außer Acht gelassen, die einige im Medienbereich tätige Konzerne anwenden, um ihre beherrschende Stellung auszubauen: insbesondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung feindlicher Übernahmen durch eine Verschuldung der Zielgesellschaft oder die Erteilung von Mehrfachstimmrechten, die die Kontrolle der Gesellschaft durch die Minderheitsaktionäre erleichtern.

3.6.3

Die Kommission muss deshalb bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln und der Kontrolle der Wettbewerbspraktiken besonders wachsam sein.

3.7

Freie Berufe: Die Kommission hat eine Studie des Wiener Instituts für Höhere Studien (IHS) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, der zufolge das Ausmaß der Reglementierung der Dienstleistungen der freien Berufe zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und zwischen den verschiedenen Berufen stark voneinander abweicht. Die Schlussfolgerung der Studie lautet, dass in Ländern mit einer restriktiveren Reglementierung und mehr Freiheit bei der Berufsausübung eine höhere Wertschöpfung möglich ist.

3.7.1

Des Weiteren wurden auf der Konferenz über die Reglementierung freiberuflicher Dienstleistungen am 28. Oktober 2003 in Brüssel, an der 260 Vertreter der betreffenden Interessengruppen teilnahmen, die Auswirkungen der Regeln und Rechtsvorschriften auf Marktstruktur und Verbraucherschutz erörtert.

3.7.2

Bei derselben Gelegenheit kündigte Kommissionsmitglied Monti die Absicht der Kommission an, im Jahr 2004 einen Bericht über den Wettbewerb bei freiberuflichen Dienstleistungen herauszugeben. Dieser Bericht, der äußerst wichtige Leitlinien enthält, wurde am 9. Februar 2004 veröffentlicht.

4.   Reform der Fusionskontrolle

4.1

Am 27. November 2003 erzielte der Rat eine politische Einigung über die Neufassung der Fusionskontrollverordnung unter weitgehender Einbeziehung der von der Kommission im Dezember 2002 vorgeschlagenen Reformen. Diese Änderungen umfassten nicht-legislative Maßnahmen, die auf eine Straffung des Entscheidungsverfahrens, eine Aufwertung des Instruments der wirtschaftlichen Analyse und eine wirksamere Wahrung der Verteidigungsrechte abzielten. So wurde beispielsweise ein Chefökonom für Wettbewerbsfragen ernannt, und es wurden Kontrollforen eingesetzt, die völlig unvoreingenommene Schlussfolgerungen garantieren sollen. Bezüglich der Prüfung der Zusammenschlüsse wird auf die Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (2) verwiesen.

4.2

Ziel: Es soll gewährleistet sein, dass die in der Fusionskontrollverordnung vorgesehene materiellrechtliche Prüfung (Kriterium der beherrschenden Stellung) wirksam alle wettbewerbswidrigen Zusammenschlüsse erfasst; zugleich soll weiterhin Rechtssicherheit garantiert werden. Das Kriterium der materiellrechtlichen Prüfung wird dem Kriterium der wesentlichen Verminderung des Wettbewerbs („substantial lessening of competition“) gegenübergestellt, und die neue Formulierung des Kriteriums lautet letztendlich wie folgt: „Zusammenschlüsse, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, sind für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären.“

4.2.1

In der neuen Bestimmung stellt die Formulierung „insbesondere durch Begründung oder Verstärkung ...“ die Möglichkeit in Aussicht, den Anwendungsbereich des Verbots nicht mehr eng mit dem Erfordernis einer beherrschenden Stellung zu verknüpfen. Diese Vorschrift muss jedoch im Lichte der gemeinsamen Erklärung von Rat und Kommission zu Artikel 2 unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund 25 der Verordnung (3) ausgelegt werden, wo es heißt: „dahingehend auszulegen, dass er sich über das Konzept der Marktbeherrschung hinaus ausschließlich auf diejenigen wettbewerbsschädigenden Auswirkungen eines Zusammenschlusses erstreckt, die sich aus nicht koordiniertem Verhalten von Unternehmen ergeben, die auf dem jeweiligen Markt keine beherrschende Stellung haben würden“. Hieraus folgt, dass der Anwendungsbereich weiterhin in Bezug auf den Begriff der beherrschenden Stellung definiert wird.

4.3

Leitlinien für die Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse: d.h. Zusammenschlüsse zwischen Konkurrenzunternehmen oder potenziellen Konkurrenzunternehmen. Solche Zusammenschlüsse sind nur insoweit unzulässig, als sie die Marktmacht von Unternehmen in einer Weise stärken, die negative Folgen für die Verbraucher, insbesondere in Form höherer Preise, schlechterer Produktqualität und geringerer Auswahl, haben dürfte. Dies gilt unabhängig davon, ob die wettbewerbswidrigen Wirkungen aus der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung oder daraus resultieren, dass ein Oligopol vorliegt. Bei der Beurteilung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb wird jedoch geprüft, wie sich der Markt sonst entwickelt hätte. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass der Erwerb eines „konkursbedrohten Unternehmens“ ein Tätigwerden der Kommission nicht rechtfertigen würde.

4.4

Neue beispielhafte Verfahrensweisen (best practices): Im Zusammenhang mit dem Reformpaket von 2002 fand eine öffentliche Anhörung statt, die im Februar 2003 abgeschlossen wurde und interessierten Parteien Leitlinien über den üblichen Ablauf von Fusionskontrollverfahren in der EU liefern sollte.

5.   Internationale Zusammenarbeit

5.1

Die Kommission arbeitet aktiv in der Arbeitsgruppe „Fusionskontrolle“ des ICN (International Competition Network) mit, die sich mit multijurisdiktionellen, d.h. in die Zuständigkeit mehrerer Länder bzw. Ländergruppen fallenden Fusionen, befasst. Die Arbeitsgruppe ist in drei Untergruppen unterteilt:

Anmeldung und Verfahrensweisen,

Untersuchungsmethoden,

analytischer Rahmen.

5.1.1

Die Kommission arbeitet in allen drei Untergruppen mit. Das wichtigste Anliegen besteht darin, die Verständigung zwischen den verschiedenen Rechtssystemen zu verbessern, um die Kontrolle der Zusammenschlüsse effizienter zu gestalten.

5.1.2

Allgemeiner betrachtet ist das ICN ein virtuelles Netz zwischen verschiedenen Wettbewerbsbehörden zur Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit und zur Unterbreitung von Vorschlägen mit dem Ziel, die durch die Fusionskontrolle verursachten Kosten zu senken und die verfahrens- und materiellrechtliche Konvergenz zu fördern.

5.1.3

Auf der zweiten ICN-Konferenz im Juni 2003 in Merida, Mexiko, wurde besonders betont, dass auf dem Gebiet des Wettbewerbsschutzes eine klare und leicht verständliche Sprache verwendet werden muss und wettbewerbsfördernde Aktivitäten in regulierten Sektoren von strategischer Bedeutung sind, um so die durch die Fusionskontrolle verursachten Kosten zu senken und Hürden abzubauen, die die Verständigung über die Fusionspolitik zwischen den verschiedenen Rechtssystemen erschweren.

6.   Staatliche Beihilfen

6.1

Die Kontrolle staatlicher Beihilfen dient dazu, die Auswirkungen der von den Mitgliedstaaten an Unternehmen gewährten Beihilfen auf den Wettbewerb zu ermitteln. Ziel: Es muss sichergestellt sein, dass staatliche Eingriffe das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes nicht gefährden, Wettbewerb und Wettbewerbsmärkte in der Gemeinschaft gefördert und Strukturreformen vorangebracht werden. Besonders ist darauf zu achten, dass die staatlichen Beihilfemaßnahmen nicht die erwiesenen Nutzeffekte der Liberalisierung zunichte machen. Europäischer Rat von Stockholm: Die Mitgliedstaaten haben die Aufgabe, das Gesamtniveau staatlicher Beihilfen zu verringern und die Beihilfen auf horizontale Ziele von gemeinsamem Interesse, wie z.B. Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, Beschäftigung, Umweltschutz, Förderung von Forschung und Entwicklung der KMU, auszurichten. Die Kommission erachtet die Rückzahlung rechtswidriger Beihilfen an die Mitgliedstaaten als eine ihrer Prioritäten.

6.1.1

In diesem Zusammenhang ist zu bedauern, dass etliche Mitgliedstaaten ihr öffentliches Beschaffungswesen nicht Bietern aus anderen Mitgliedstaaten geöffnet haben. In der EU hat das öffentliche Beschaffungswesen ein jährliches Volumen von mehr als 1,5 Billionen Euro: die in einigen Mitgliedstaaten verbreitete Praxis, inländische Unternehmen zu bevorzugen, schadet dem Wettbewerb und erhöht die Steuerlast der Verbraucher.

6.2

Staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten. Die bis Oktober 2004 geltenden diesbezüglichen Leitlinien sahen vor, dass die Beihilfen nur unter bestimmten strengen Auflagen als vereinbar angesehen werden. Diese Leitlinien wurden überprüft und dabei hauptsächlich folgende Möglichkeiten erwogen:

Beschränkung der Rettungsbeihilfen auf widerrufliche, befristete Finanzhilfen, die nur so lange gewährt werden, bis ein umfassender Umstrukturierungsplan in Kraft gesetzt werden kann,

Beihilfenkontrolle vorrangig bei großen Unternehmen mit EU-weitem Warenverkehr,

Stärkung des Grundsatzes (vor allem bei großem Unternehmen), nach dem der Beihilfeempfänger verpflichtet ist, einen großen Teil der Umstrukturierungskosten ohne Beihilfen zu finanzieren,

Anwendung des Grundsatzes der „einmaligen Beihilfe“.

6.3

Multisektoraler Rahmen für große Investitionsvorhaben: Strenge Regeln für Wirtschaftszweige mit strukturellen Schwierigkeiten. Eine Liste dieser Wirtschaftszweige sollte bis Ende 2003 vorliegen. Wegen methodischer und technischer Schwierigkeiten hat die Kommission die Annahme der Liste verschoben, und die bestehenden Übergangsregeln für „sensible“ Sektoren wurden bis Dezember 2006 verlängert.

6.4

FuE-Beihilfen für KMU: Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen können zu mehr Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung beitragen. Für KMU sind sie von besonderer Bedeutung.

6.5

Umweltschutzbeihilfen, FuE-Beihilfen, Ausbildungsbeihilfen, steuerliche Vergünstigungen. Im Bereich der steuerlichen Vergünstigungen wurden alternative Besteuerungsbeihilfen wie die „Kostenaufschlagsmethode“ (das steuerbare Einkommen wird pauschal auf der Grundlage eines Prozentsatzes der Ausgaben und der Geschäftsführungskosten bestimmt) geprüft. Im Rahmen der sektorbezogenen Beihilfen (vgl. insbesondere Anwendung der BSM — befristete Schutzmaßnahmen) wurden folgende Sektoren berücksichtigt: Stahl, Telekommunikation, Kohle, Schienenverkehr, kombinierter Verkehr, Straßenverkehr, See- und Luftverkehr.

6.6

Landwirtschaft: Am 23. Dezember 2003 hat die Kommission eine neue Verordnung erlassen, mit der bestimmte Kategorien von Beihilfen bis zu einer bestimmten Höhe freigestellt werden. Eine vorherige Anmeldung bei der Kommission ist für diese Beihilfen nicht länger erforderlich. Die bis Ende 2006 geltende Verordnung betrifft Beihilfen an in der Landwirtschaft tätige KMU. Angesichts der KMU-Definition (bis 250 Beschäftigte, 40 Mio. EUR Umsatz oder 27 Mio. EUR Bilanzsumme) fallen fast sämtliche landwirtschaftlichen Betriebe und Unternehmen unter diese Verordnung. Schließlich führt die Kommission ein neues Transparenzinstrument ein: Fünf Tage vor Beginn der Beihilfeauszahlungen werden sämtliche freigestellten Beihilfen, aufgeschlüsselt nach Mitgliedstaat, in Kurzform im Internet veröffentlicht, um zu gewährleisten, dass alle Interessenten über sämtliche erforderlichen Informationen verfügen.

7.   Allgemeine Bemerkungen

7.1

Nach einer Zusammenfassung und teilweisen Kommentierung des XXXIII. Berichts über die Wettbewerbspolitik von 2003 sind nun einige allgemeine Erwägungen zu dem Bericht als Ganzem und einigen seiner bedeutendsten, zukunftsorientierten Aspekte anzustellen.

7.2   Verhältnis zwischen Wettbewerbspolitik und Wirtschaftsentwicklungspolitik

7.2.1

Die Wettbewerbspolitik der Europäischen Union ist wirksamer und offener für ein positives Verhältnis zu den Unternehmen und Verbrauchern geworden, was der Einführung neuer Verfahren für die Anwendung der Kartellbekämpfungsregeln, der Überarbeitung der Fusionskontrollverordnung und schließlich der neuen organisatorischen Ordnung innerhalb der Kommission zu verdanken ist.

7.2.2

Dank der Wettbewerbspolitik hat die EU wesentliche Fortschritte im Liberalisierungsprozess gemacht, indem sie ganze Wirtschaftszweige erneut der Logik und Dynamik des Marktes überlassen und somit einen konkreten Beitrag zur Schaffung eines europäischen Binnenmarkts geleistet hat. Die Wettbewerbspolitik ist daher von wesentlicher Bedeutung, und ihre völlige Autonomie muss stets gewährleistet sein.

7.2.3

Gleichwohl kann die Wettbewerbspolitik allein nicht den heute EU-weit besonders akuten Bedarf an einem kräftigen Wachstumsaufschwung sowie an einer auf Innovation und sozialem Dialog basierenden nachhaltigen Wirtschaftsentwicklungspolitik decken. Die weltweiten strukturellen Veränderungen in Produktion und Handel, beginnend mit denjenigen, die durch das neue technologische System verursacht wurden, verlangen von der Kommission den Einsatz und die Koordinierung weiterer Instrumente der Wirtschaftspolitik, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu bewahren und wiederzubeleben, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu stärken und die Beschäftigung, den Umweltschutz sowie umfassende und anspruchsvolle Forschungs- und Entwicklungsprogramme zu fördern. Der in der Kommissionsmitteilung zum Thema „Den Strukturwandel begleiten: Eine Industriepolitik für die erweiterte Union“ sowie in der entsprechenden Stellungnahme des EWSA (4) zum Ausdruck gebrachte Standpunkt weist deutlich in diese Richtung. In der Lissabon-Agenda wird der zu beschreitende Weg beschrieben. Gleichwohl muss auch die Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen sowohl auf allgemeiner wie auf sektorspezifischer Ebene ermöglicht und beschleunigt werden.

7.2.3.1

Was die sektorspezifische Ebene betrifft, betont der EWSA, der die Erwägungsgründe seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2004 zum Thema „LeaderSHIP 2015 — Die Zukunft der europäischen Schiffbau- und Schiffsreparaturindustrie sichern: Wettbewerbsfähigkeit durch Kompetenz“ (5) bekräftigt, dass das neue vollständig integrierte Konzept, das vom Rat (Wettbewerbsfähigkeit) im November 2003 festgelegt wurde, tatkräftig umgesetzt werden muss, um so die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken sowie Forschung, Entwicklung und Innovation in allen Sektoren zu fördern.

7.3   Staatliche Beihilfen und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

7.3.1

Der Reformprozess zur Straffung und Vereinfachung der Kontrollverfahren für staatliche Beihilfen hat bedeutende Fortschritte erzielt und ist dabei dem vom Europäischen Rat von Stockholm vorgezeichneten Weg gefolgt: Verringerung der Höhe staatlicher Beihilfen und deren Umwidmung auf Querschnittsziele von gemeinsamem Interesse, u.a. Kohäsionsziele. In diesem Sinne muss die Kommission tatsächlich verschiedene Maßnahmen ergreifen, wie eine gewisse Ausweitung des Anwendungsbereiches der Beihilfen für Forschung und Entwicklung, Leitlinien für Vereinbarungen über Technologietransfer, über die Umstrukturierung von maroden Unternehmen und über Beihilfen für Bildung und Umweltschutz sowie multisektorale Vorschriften für breitangelegte Investitionsprojekte.

7.3.2

Mit seinem Urteil in der Rechtssache Altmark (Juli 2003) hat der Gerichtshof bekräftigt, dass Entschädigungen für Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI) erbringen, aufgrund einiger Bedingungen von der Definition staatlicher Beihilfen ausgeschlossen sind. Einige Probleme bleiben jedoch ungelöst, besonders mit Blick auf das optimale Verhältnis, das zwischen staatlichen Beihilfen und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI) geschaffen werden muss. Die vom Gerichtshof gestellten Bedingungen sind nämlich dergestalt, dass die Rechtssicherheit, insbesondere im Bereich der Kostenbewertung, der Vorschriften über die Finanzierung von Dienstleistungen (4) sowie der Bestimmung der Ziele für die Verpflichtungen des entschädigungsberechtigten öffentlichen Dienstes verbesserungsbedürftig sind. Im Übrigen wurde in dem Grünbuch über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI) (im Mai 2003 veröffentlicht) bereits anerkannt, dass zu prüfen ist, ob die für die DAI geltenden Grundsätze in einem allgemeineren Gemeinschaftskontext weiter gestärkt werden müssen, und dass die optimalen Rechtsvorschriften für diese Dienstleistungen sowie Maßnahmen für eine größere Rechtssicherheit aller Akteure genau festzuschreiben sind.

7.3.3

Wo die Verpflichtungen für Universaldienste nämlich nicht ordnungsgemäß festgelegt und finanziert werden, machen die verpflichteten Unternehmen womöglich immer mehr Verluste, weil u.U. Konkurrenzunternehmen in die profitträchtigsten Tätigkeitssegmente eindringen.

7.3.4

Aus diesem Grunde betont der EWSA die bereits in seiner Stellungnahme (1) zu dem von der Kommission vorgelegten Grünbuch hervorgehobene Notwendigkeit, einen eindeutigen Rechtsakt über die DAI zu verabschieden, der allen Nutzern einen wirksamen und gleichberechtigten Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen gewährleistet, die ihre Ansprüche erfüllen können. Darüber hinaus empfiehlt er, insbesondere im Hinblick auf die Reorganisation und Funktionsweise der Sozialdienste einen möglichst breiten Dialog mit den Sozialpartnern und NGO zu fördern.

7.4   Freie Berufe

7.4.1

Die eingehende Analyse, welche die Kommission zu den regulatorischen Rahmenvorgaben für die Dienstleistungen der freien Berufe in den Mitgliedstaaten durchgeführt hat, war sehr nützlich, konnte sie doch wirkungsvoll verdeutlichen, dass die einschlägigen restriktiven Regelungen — mit Besonnenheit — überarbeitet und die großen Kultur- und Wissensressourcen der freien Berufe produktiver und wettbewerbsfähiger eingesetzt werden müssen: Natürlich ist dies von großem Vorteil — nicht nur für die Angehörigen der freien Berufe, sondern auch für die Unternehmen und Verbraucher.

7.4.2

So ist der mehrfach vom Gerichtshof bekräftigte Grundsatz nunmehr allgemein anerkannt, dass auch beim Angebot der Dienstleistungen der freien Berufe die Wettbewerbsregeln eingehalten werden müssen. Zwar ist absolut richtig, dass ökonomische Kriterien nicht den einzigen Parameter zur Bewertung der Dienstleistungen der freien Berufe bilden können, sind diese doch weder rein technischer Natur noch werden sie monoton angewandt, sondern stellen vielmehr ein problemspezifisches Wissen bereit; richtig ist jedoch auch, dass sie eine Wirtschaftstätigkeit darstellen, die, wenn sie unter Einhaltung der Wettbewerbsbestimmungen ausgebaut wird, mehr Wohlbefinden schafft und einen wichtigen Beitrag zur Lissabon-Agenda leisten kann.

7.4.2.1

In diesem Zusammenhang ist der Inhalt der Mitteilung der Kommission zum Thema „Bericht über den Wettbewerb bei freiberuflichen Dienstleistungen“ (6) von Bedeutung. Darin wird einerseits die wichtige Rolle betont, die die freiberuflichen Dienstleistungen bei der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft spielen können, da sie eine wesentliche Inputleistung für die Unternehmen und die Familien erbringen. Andererseits wird u.a. auf der Grundlage empirischer Untersuchungen über die nachteiligen Auswirkungen, die eine übermäßige oder veraltete Reglementierung — wie die zuweilen existierende Reglementierung in Bezug auf Preise, Werbung, Zugangsvoraussetzungen und ausschließliche Rechte sowie die Unternehmensform — auf die Verbraucher haben kann oder hat, argumentiert.

7.4.3

Der Reformprozess muss also umgesetzt und beschleunigt werden. Zu diesem Zweck fordert der EWSA die Kommission auf, ihrer Verpflichtung nachzukommen, 2005 einen neuen Bericht über die „Fortschritte bei der Beseitigung restriktiver und nicht gerechtfertigter Regeln“ zu veröffentlichen. Ferner erinnert er daran, dass die Kommission sich in diesem Zusammenhang auch verpflichtet hat, eingehend zu untersuchen, welche Beziehung zwischen dem Reglementierungsniveau, den wirtschaftlichen Ergebnissen (Preise und Qualität) und der Verbraucherzufriedenheit besteht.

7.4.4

Zugleich betont der EWSA erneut die Bedeutung des EuGH-Urteils vom 9. Oktober 2003 in der Rechtssache Consorzio Industrie Fiammiferi, das die einzelstaatlichen Behörden dazu legitimiert, die einzelstaatlichen Bestimmungen, welche die Unternehmen zu einem dem Artikel 81 EG-Vertrag zuwiderlaufenden Verhalten verpflichten, nicht zur Anwendung zu bringen.

7.4.5

Schließlich muss eine größere und bewusstere Teilhabe der interessierten Kreise am Reformprozess gefördert werden.

7.5   Informationsvielfalt und Wettbewerbsrecht

7.5.1

In ihrem XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik stellt die Kommission zum einen fest, dass die Aufrechterhaltung und der Ausbau der Medienvielfalt und die Freiheit, Informationen weiterzugeben und zu empfangen, grundlegende Ziele der Europäischen Union seien, da sie wesentliche Werte des demokratischen Prozesses darstellten; zum anderen verdeutlicht die Kommission, dass die Kontrolle der Medienkonzentration in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten ist. Wie die Kommission weiter ausführt, dient die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften ausschließlich der Lösung von Problemen in Zusammenhang mit der Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung in den betreffenden Märkten und der Kontrolle des Marktausschlusses von Wettbewerbern. Nach Auffassung des EWSA erscheint diese Unterscheidung zwischen den Aufgaben der EU und den Aufgaben der einzelnen Mitgliedstaaten einerseits äußerst vage und lässt andererseits jedoch einige Probleme ungelöst:

Es sei darauf hingewiesen, dass in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtsvorschriften und Ansätze existieren, die eine Harmonisierung erfordern: die Kommission hat 1989 begonnen, dahingehende Maßnahmen zu ergreifen, die sie 1997 mit der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ fortgesetzt hat; darin werden nicht nur Ziele für wirtschaftliche Effizienz festgeschrieben, sondern auch die Achtung der kulturellen Vielfalt, der Minderheitenschutz, das Klagerecht usw.;

darüber hinaus ist im Medienbereich zwischen allgemeinen Kartellbekämpfungsregeln und Bestimmungen zu unterscheiden, die speziell auf den Schutz der Informationsvielfalt ausgerichtet sind. Funktionierende Wettbewerbsregeln sind eine grundlegende Voraussetzung, aber nicht ausreichend für die Förderung der Medienvielfalt. Im Unterschied zu einem Wettbewerbssystem, in dem die Marktmacht jedes Unternehmens sich der Initiative und Tätigkeit von Konkurrenzunternehmen stellen muss, erfordern die Förderung und der Schutz der Medienvielfalt hingegen die ausdrückliche Anerkennung des Bürgerrechts auf tatsächlich verfügbare, freie Informationsquellen und alternative und potenziell vielfältige Informationen — ein Recht, das auf allen Ebenen geschützt werden muss;

schließlich bleibt festzustellen, dass der Prozess einer fortschreitenden Annäherung zwischen Telekommunikation, Informatik, Rundfunk, Fernsehen und Verlagswesen es erschwert, die strukturellen Ordnungen der verschiedenen Märkte genau zu bestimmen. Ohne richtiges Verständnis dieses Prozesses besteht zugleich die Gefahr einer Aufweichung der Wettbewerbsregeln und einer Schwächung des Grundsatzes der Medienvielfalt.

7.5.2

Die neue Verfassung wird das Mandat der Kommission deutlich erweitern. Der EWSA ist überzeugt, dass die Kommission dank der neuen rechtlichen Rahmenbedingungen ihre Rolle als Lenkerin und/oder unmittelbare Akteurin für die Verteidigung und den Ausbau der Informationsfreiheit und -vielfalt wahrnehmen kann.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 80 vom 30.3.2004.

(2)  ABl. C 117 vom 30.4.2004.

(3)  Verordnung Nr. 139/2004 des Rates vom 20.1.2004.

(4)  ABl. C 157 vom 28.6.2005.

(5)  ABl. C 302 vom 7.12.2004.

(6)  KOM(2004) 83 endg. vom 9.2.2004.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr“

(KOM(2004) 143 endg. — 2004/0049 (COD))

(2005/C 221/02)

Der Rat beschloss am 28. April 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr CHAGAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 119 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Verkehr (im folgenden „Qualitätsverordnung Personenverkehr“ genannt) ist Bestandteil des so genannten Dritten Eisenbahnpakets, das von der Europäischen Kommission am 3. März 2004 verabschiedet wurde. Die weiteren Elemente sind:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: Liberalisierung des internationalen Eisenbahnpersonenverkehrs (KOM(2004) 139 endg.);

Vorschlag für eine Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal (KOM(2004) 142 endg.);

Vorschlag für eine Verordnung zu Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr (KOM(2004) 144 endg.);

sowie

Mitteilung der Kommission zur Fortsetzung der Integration des europäischen Eisenbahnsystems (KOM(2004) 140);

Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission zur schrittweisen Öffnung des Marktes für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr (SEK(2004) 236).

1.2

Das so genannte Erste Eisenbahnpaket (auch Infrastrukturpaket genannt) trat am 15. März 2001 in Kraft und musste bis zum 15. März 2003 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: u.a. freier Markzugang für den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr auf dem Transeuropäischen Eisenbahngüternetz bis 15. März 2003 und Liberalisierung des gesamten internationalen Schienengüterverkehrs bis 15. März 2008 (1);

Ausweitung des Geltungsbereichs für eine Europäische Lizenz für Eisenbahnunternehmen (Änderung der Richtlinie 95/18/EG) (2);

Harmonisierung der Bestimmungen zur Zuteilung von Infrastrukturkapazitäten und zur Berechnung der Infrastrukturgebühren, Regelungen für ein Sicherheitszertifikat (ersetzt Richtlinie 95/19/EG) (3).

1.3

Im Oktober 2003 hat die Europäische Kommission wegen fehlender Notifizierung der Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets in nationales Recht Klage gegen neun Mitgliedstaaten beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Im Mai 2004 stand die Notifizierung von fünf Ländern aus und zwei Mitgliedstaaten hatten die Bestimmungen nur teilweise in nationales Recht umgesetzt.

1.4

Das so genannte Zweite Eisenbahnpaket wurde am 30. April 2004 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht und muss bis zum 30. April 2006 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: Vorverlagerung des freien Marktzugangs für den internationalen Eisenbahngüterverkehr auf den 1. Januar 2006 und Liberalisierung des nationalen Eisenbahngüterverkehrs einschließlich Kabotage ab dem 1. Januar 2007 (4);

Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (5);

Verordnung zur Schaffung einer Europäischen Eisenbahnagentur (6);

Änderung der Richtlinien zur Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitssystems (Richtlinie 96/48/EG) und des konventionellen Eisenbahnsystems (Richtlinie 2001/16/EG) (7).

1.5

Mit diesen beiden Eisenbahnpaketen wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, einen Binnenmarkt für den Eisenbahngüterverkehr herzustellen. Die Maßnahmen umfassen den Marktzugang, die Lizenzierung und Sicherheitszertifizierung von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), den Zugang zur Infrastruktur und die Berechnung der Nutzungsgebühren, die Schaffung eines Rechtsrahmens für die Eisenbahnsicherheit sowie Maßnahmen zur Herstellung einer technischen Interoperabilität des Eisenbahnsystems.

1.6

Dieser, durch das Erste und Zweite Paket geschaffene Rechtsrahmen erfordert, wie der EWSA bereits in seiner Stellungnahme zum 2. Eisenbahnpaket (8) angemerkt hat, eine völlige organisatorische Umstrukturierung des Sektors mit der Schaffung neuer Behörden und Zuständigkeiten.

1.7

Mit dem jetzigen Entwurf schlägt die Kommission vor, wie bereits im Luftverkehr, wo die Rechte der Fluggäste bei Überbuchungen und Verspätungen besser geschützt werden, auch im Eisenbahnsektor Rechtsvorschriften zum Schutz der Fahrgäste im internationalen Verkehr zu erlassen.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1   Haftung und Entschädigung

2.1.1

Der Verordnungsvorschlag regelt die Haftung des Eisenbahnunternehmens bei Tod und Verletzungen von Fahrgästen sowie bei Verlust und Beschädigung des Gepäcks.

2.1.2

Für Verspätungen werden Mindestausgleichszahlungen festgelegt (Anhang III), die zu leisten sind, ohne dass der Fahrgast das Recht auf Beförderung verliert.

Anhang III

Art des Verkehrsdienstes

Fahrtdauer

50% Ausgleichszahlungen bei

100% Ausgleichszahlungen bei

Grenzüberschreitende Fahrten (zum Teil) mit Höchstgeschwindigkeitszügen im Linienverkehr

Bis zu 2 Stunden

Verspätungen von 30 bis 60 Minuten

Verspätungen über 60 Minuten

Über 2 Stunden

Verspätungen von 60 bis 120 Minuten

Verspätungen über 120 Minuten

Grenzüberschreitende Fahrten mit anderen Linienverkehrszügen als Hochgeschwindigkeitszüge

Bis zu 4 Stunden

Verspätungen von 60 bis 120 Minuten

Verspätungen über 120 Minuten

Über 4 Stunden

Verspätungen von 120 bis 240 Minuten

Verspätungen über 240 Minuten

2.1.3

Der Verordnungsvorschlag regelt umfassend die Rechte der Fahrgäste bei Verpassen von Anschlüssen oder der Annullierung von Zügen sowie die Betreuung der Kunden bei Verspätungen und Anschlussverpassungen.

2.2   Informationsbereitstellung und Fahrkartenverkauf

2.2.1

Anhang I regelt die vom Eisenbahnunternehmen anzugebenden Mindestinformationen vor, während und nach der Fahrt. Im Anhang II werden die auf der Fahrkarte anzugebenden Mindestanforderungen festgelegt.

2.2.2

Fahrkarten und/oder Durchgangsfahrkarten müssen von den Eisenbahnunternehmen für die Knotenbahnhöfe sowie für die umliegenden Zonen verkauft werden. Mehrere Eisenbahnunternehmen müssen zu diesem Zweck zusammenarbeiten und Verträge abschließen, um den Verkauf von Durchgangsfahrkarten zu gewährleisten. Diese Fahrkarten müssen an Fahrkartenschaltern, Fahrkartenautomaten, per Telefon oder Internet angeboten werden. Im Fall geschlossener Fahrkartenschalter oder defekter Automaten müssen die grenzüberschreitenden Fahrkarten im Zug erhältlich sein. Systemverkäufer müssen für Informationserteilung und Fahrkartenverkäufe für alle Eisenbahnunternehmen offen stehen.

2.2.3

Die Eisenbahnunternehmen müssen die Öffentlichkeit über Pläne zur Einstellung grenzüberschreitender Dienste informieren.

2.3   Personen mit eingeschränkter Mobilität

2.3.1

Der Verordnungsentwurf regelt die Betreuung von Personen mit eingeschränkter Mobilität im Bahnhof und im Zug sowie beim Ein-, Aus- und Umsteigen. Der Betreuungsbedarf muss 24 Stunden vorher angemeldet werden.

2.4   Dienstqualitätsnormen und Beschwerdeverfahren

2.4.1

Die Eisenbahnunternehmen sind verpflichtet, Dienstqualitätsnormen (definiert im Anhang IV) festzulegen und ein Qualitätsmanagementsystem einzurichten. Die erreichte Dienstqualität muss jährlich im Geschäftsbericht veröffentlicht werden.

2.4.2

Ein Beschwerdeverfahren ist einzurichten, wobei dem Kunden in der Sprache zu antworten ist, in der er die Beschwerde einreicht. Die Beschwerde kann in einer der Sprachen der Länder eingereicht werden, die der internationale Zug befährt. In jedem Fall sind Deutsch, Englisch und Französisch zulässig. Dies gilt auch für das Einreichen von Beschwerden am Verkaufsschalter.

3.   Bewertung des Vorschlags

3.1   Grundsätzliche Bemerkungen

3.1.1

Im Vorschlag der Kommission werden gleichzeitig zwei Bereiche geregelt. Die Vorschläge zur Haftung der Unternehmen und Entschädigungen im Fall von Verspätungen, Annullierungen, Personen- und Sachbeschädigungen ebenso wie die Betreuung von Personen mit eingeschränkter Mobilität entsprechen in etwa dem Geltungsbereich der Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall von Nichtbeförderung, Annullierung und großen Verspätungen (9). Hier werden Fahrgastrechte für einen zweiten Verkehrssektor, den Eisenbahnsektor, auf europäischer Ebene geregelt.

3.1.2

Der zweite Bereich betrifft einen anderen Komplex. Hier werden die Unternehmen zur Zusammenarbeit verpflichtet, um eine Fahrplanauskunft, Fahrpreisauskunft und den Fahrschein aus einer Hand in einem Wettbewerbssystem zu garantieren. Dabei sind sowohl die Verbindungen zwischen so genannten Knotenpunkten als auch die Bahnhöfe in einer Zone um den nächstgelegenen Knotenbahnhof umfasst. Dieser Vorschlag ist in engem Zusammenhang mit dem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG und der Liberalisierung des grenzüberschreitenden Personenverkehrs zu sehen.

3.1.3

Die Normen für Fahrplan- und Fahrpreisauskunft sowie — mit wenigen Ausnahmen wie z.B. für Thalys oder Eurostar — für die Ausstellung der Fahrscheine werden unter den heutigen Bedingungen, zu denen internationale Eisenbahnpersonenverkehre durch Kooperationsverkehre zwischen den Eisenbahnunternehmen oder durch internationale Gruppierungen durchgeführt werden, erfüllt. Im Rahmen eines Systems konkurrierender Unternehmen müssen diese Bestimmungen beibehalten und im Wege der Regulierung oder Gesetzgebung verbessert werden.

3.2   Geltungsbereich

3.2.1

Der Geltungsbereich bezieht sich auf den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr. Die Bestimmungen umfassen aber auch die Verbindungen von den Knotenpunkten zu den umliegenden Bahnhöfen in der nächstgelegenen Zone.

3.2.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss macht darauf aufmerksam, dass die Anschlussverbindungen Dienste betreffen können, die gemeinwirtschaftlichen Verträgen unterliegen.

3.2.3

Der Geltungsbereich wird jedoch durch die in der Verordnung eingeführte Definition von Eisenbahnunternehmen (Artikel 2.1) eingeschränkt. Hier sind nämlich nur Unternehmen einbezogen, deren Haupttätigkeit im Befördern von Personen besteht. Daraus könnte gefolgert werden, dass Eisenbahnunternehmen, die auch Güterverkehr betreiben, von den Bestimmungen der Verordnung ausgeschlossen sind. Dies ist nicht akzeptabel.

3.3   Haftung und Entschädigung

3.3.1

Der EWSA begrüßt grundsätzlich die Einführung europäischer Rechtvorschriften zur Entschädigung von Fahrgästen bei nicht oder nur unbefriedigend erbrachter Leistung und zu Haftungsverpflichtungen der Eisenbahnunternehmen.

3.3.2

Allerdings sollte sichergestellt sein, dass bei den verbindlichen Rechtsvorschriften eine Gleichbehandlung der verschiedenen konkurrierenden Verkehrsträger erfolgt.

3.3.3

Es fällt auf, dass der Eintritt des Entschädigungsfalls für den internationalen Bahnverkehr früher ist als im Luftverkehr und dies obwohl der landgebundene Bahnverkehr oft längere Reisezeiten und größere Störpotenziale aufweist. So sind Fahrpreiserstattungen im Luftverkehr erst nach fünf Stunden Verspätung wirksam.

3.3.4

Die kostenlose Verpflegung von Fahrgästen muss bei Zugverspätungen im angemessenen Verhältnis zur Wartezeit erfolgen. Im Luftverkehr liegt die Grenze bei zwei Stunden Wartezeit und mehr.

3.3.5

Bei Flugannullierungen müssen Ausgleichszahlungen nicht geleistet werden, wenn die Annullierung aufgrund „außergewöhnlicher Umstände“ vorgenommen wird. Dieser Haftungsausschlussgrund gilt für den Schienenpersonenverkehr nicht.

3.3.6

Die Verordnung für den Flugverkehr sieht ferner keinen Entschädigungsanspruch für Folgeschäden aufgrund von Verspätungen oder Annullierungen vor, während dies für den Bahnverkehr verordnet wird. Dagegen sieht der Verordnungsvorschlag keine Obergrenze für Folgeschäden vor.

3.3.7

Die Haftungsobergrenze ist für das Handgepäck und das sonstige Gepäck unterschiedlich festgesetzt: 1.800 Euro für das Handgepäck und 1.300 Euro für das sonstige Gepäck. Aus der Begründung ist zu entnehmen, dass die Kommission sich hier an unterschiedliche vergleichbare Abkommen angelehnt hat (CIV für den Eisenbahnsektor und Montrealer Übereinkommen für den Luftfahrtssektor). Aus Sicht des Fahrgastes ist diese Unterscheidung nicht nachvollziehbar.

3.3.8

Der Verordnungsentwurf enthält unterschiedliche Bestimmungen zur verschuldensabhängigen und verschuldensunabhängigen Haftung des Unternehmens gegenüber dem Kunden. So haftet das Unternehmen bei Verlust oder Beschädigung des Handgepäcks in Obhut des Fahrgastes nur, wenn ein Verschulden des Unternehmens vorliegt. Für andere Haftungsfälle haftet das Unternehmen verschuldensunabhängig.

3.3.9

Für Verspätungen haftet das Unternehmen nicht, wenn diese durch außergewöhnliche Wetterbedingungen, Naturkatastrophen oder Kriegs- und Terrorakte verursacht wurden. Bei anderen Verspätungsursachen haftet das Unternehmen auch ohne Verschulden.

3.3.10

Der EWSA befürwortet grundsätzlich eine verschuldensunabhängige Haftung bei Verspätungen in allen Verkehrssektoren. Es handelt sich dabei nicht um einen Schadensersatz im engeren Sinne, sondern um einen Ausgleich für nicht erbrachte Dienstleistung. Aus Sicht des Verbrauchers/Kunden ist es unerheblich, ob ein Verschulden des Unternehmens vorliegt. Die hier verordneten Einschränkungen sind angemessen.

3.3.11

Aus dem Verordnungsvorschlag geht nicht eindeutig hervor, ob ein Fahrgast aufgrund einer Verspätung auf das Antreten der Reise verzichten kann und hier eine Rückerstattung ohne Abzüge erhält. Gerade bei Geschäftsreisen kann eine Verspätung dazu führen, dass die Reise unnötig wird.

3.4   Betreuung von Personen mit eingeschränkter Mobilität und anderen Fahrgästen

3.4.1

Der EWSA begrüßt die Regelungen zur Betreuung von Personen mit eingeschränkter Mobilität.

3.4.2

Eisenbahnverkehrsunternehmen sollten Informationen allen Fahrgästen — auch Personen mit eingeschränkter Mobilität gemäß Artikel 2 Absatz 21 — zugänglich machen, indem Schalter und Informationstafeln in geeigneter Höhe eingerichtet und leicht lesbare Texte in großer Schrift vorgesehen werden.

3.5   Information der Fahrgäste und Fahrscheine

3.5.1

Der EWSA begrüßt die Bestimmungen zur Information der Fahrgäste vor, während und nach der Fahrt (Anhang I). Insbesondere die mangelnde Unterrichtung vor und während der Fahrt bei Verspätungen führt regelmäßig zu erheblichen Verärgerungen bei den Kunden.

3.5.2

Hinsichtlich der Mindestinformation auf der Fahrkarte (Anhang II) sollte vermerkt werden, ob und wann das Ticket unter Rückerstattung des Fahrpreises zurückgegeben werden kann. Aufgrund sehr unterschiedlicher Buchungssysteme ist dies für den Fahrgast oft nicht erkennbar.

3.5.3

Die Verordnung schreibt vor (Artikel 3, 5 und 6):

dass Eisenbahnunternehmen und/oder Reiseveranstalter Informationen über Fahrzeiten, Fahrpreise, Fahrradmitnahme etc. aller anbietenden Eisenbahnunternehmen in allen Verkaufssystemen (Fahrkartenschalter, Telefon, Internet oder andere zukünftige Systeme) erteilen müssen;

dass die Unternehmen zusammenarbeiten müssen, um den Kunden Durchgangsfahrkarten in allen Verkaufssystemen zu verkaufen.

3.5.4

Der EWSA hält es grundsätzlich für wünschenswert, den Fahrgästen ein einheitliches Buchungs- und Informationssystem für alle Eisenbahnverkehrsangebote und den damit in Verbindung stehenden Dienstleistungen anzubieten.

3.5.5

Allerdings weist er auf die Besonderheiten des Bahnverkehrs hin, nämlich:

die Netzgebundenheit, die Verflechtung zwischen internationalem Fernverkehr, nationalem Fernverkehr und Nahverkehr einschließlich gemeinwirtschaftlicher Verkehre, die anderen Vertragsverpflichtungen unterliegen;

die Vorteile kurzfristiger Buchungen (Spontanreisen), Zustiegsmöglichkeiten auf der Strecke und oft fehlende Verpflichtung zur Sitzplatzbindung;

Fahrkarten, die nicht an die Person gebunden sind.

3.5.6

Eine direkt anwendbare Verordnung kann nicht in angemessener Weise die Komplexität berücksichtigen, die durch die Verknüpfung von internationalen Schienenpersonendiensten mit Regionaldiensten in einem Netzsystem einschließlich der Integration von konkurrierenden Linienanbietern entsteht. Die Anzahl der betroffenen Bahnhöfe (Knotenpunkte und umliegende Bahnhöfe in der Zone eines Knotenpunkts) beispielsweise ist erheblich.

3.5.7

Der Ausschuss betont, dass diese Standards für den internationalen Schienenpersonenverkehr heute weitgehend erfüllt sind. In einem System konkurrierender Unternehmen müssen diese Bestimmungen indes beibehalten und durch eine entsprechende Gesetzgebung verbessert werden.

3.6   Auswirkungen der Verordnung auf die Beschäftigten

3.6.1

Artikel 21 des Verordnungsentwurfs besagt, dass das Eisenbahnunternehmen für sein Personal haftet. Artikel 22 hingegen spricht von der Möglichkeit kumulierter Ansprüche und umfasst hierbei auch Ansprüche gegen das Personal. Es muss eindeutig klargestellt werden, dass das Eisenbahnpersonal keinen Haftungsansprüchen seitens der Passagiere oder Dritter ausgesetzt ist, dass vielmehr weiterhin der Arbeitgeber haftet.

3.6.2

Hohe Entschädigungsleistungen für Verspätungen dürfen nicht dazu führen, dass die Eisenbahnunternehmen bereit sind, höhere Risiken in puncto Sicherheit einzugehen, um Entschädigungsansprüchen auszuweichen. Es muss ebenfalls ausgeschlossen werden, dass Eisenbahnunternehmen ihre Beschäftigten übermäßigen Belastungen aussetzen, mit der Gefahr, dass die Einhaltung von Arbeits-, Einsatz- und Ruhezeiten vernachlässigt wird. Ferner muss sichergestellt sein, dass ausreichend und gut ausgebildetes Personal zur Verfügung steht, um die Qualitätsanforderungen zu erfüllen.

3.6.3

Anhang IV zu Mindestnormen für die Dienstleistungsqualität muss darum die Qualifizierung des entsprechenden Personals umfassen. Dies gilt sowohl für das Personal im Zug als auch das Bahnhofspersonal und das Personal für die Beschwerdebearbeitung.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Der EWSA begrüßt die Vorlage einer Verordnung über Fahrgastrechte und –pflichten im internationalen Eisenbahngüterverkehr. Hier werden die bisher nur für den Luftfahrtsektor geltenden Verbraucherschutzbestimmungen auf einen weiteren Verkehrsträger übertragen.

4.2

Der EWSA spricht sich jedoch gegen eine Ungleichbehandlung von miteinander konkurrierenden Verkehrsträgern aus. Die für den Eisenbahnsektor geltenden Bestimmungen dürfen nicht strenger sein als die für den Luftfahrtsektor geltenden Bestimmungen.

4.3

Der EWSA sieht einen Nachbesserungsbedarf in der Verordnung hinsichtlich Einzelbestimmungen zur Haftung bei Folgeschäden, der Festlegung von Haftungsobergrenzen und bei den Ausschlussgründen bei Zugannullierungen.

4.4

Grundsätzlich spricht sich der EWSA für eine verschuldensunabhängige Fahrpreisrückerstattung für nicht oder unzureichend erbrachte Dienstleistungen aus, wenn sie für alle Verkehrsträger gelten.

4.5

Der EWSA befürwortet das Konzept eines einheitlichen Informations- und Buchungssystems zur Gewährleistung guter Servicequalität für die Fahrgäste. Er hegt jedoch Vorbehalte bezüglich der Behandlung dieses Komplexes im Rahmen der selben Verordnung über Entschädigungs- und Haftungsregelungen.

4.6

Der EWSA verweist darauf, dass die Etablierung eines einheitlichen Informations- und Buchungssystems in einem verflochtenen System mit Netzanbietern im grenzüberschreitenden, nationalen, regionalen und gemeinwirtschaftlichen Verkehr verbunden mit konkurrierenden Linienanbietern äußerst komplex ist, insbesondere wenn dieses System in allen Verkaufssystemen angeboten werden soll.

4.7

Er verweist darauf, dass die Vorlage von Rechtsvorschriften zur Fahrgastinformation und Fahrkartenausstellung im internationalen Eisenbahngüterverkehr in engem Zusammenhang mit der Änderung der Richtlinie 91/440/EWG zur Liberalisierung des grenzüberschreitenden Eisenbahnpersonenverkehrs zu betrachten ist.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Richtlinie 2001/12/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(2)  Richtlinie 2001/13/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 26 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(3)  Richtlinie 2001/14/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 29 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(4)  Richtlinie 2004/51/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 164 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(5)  Richtlinie 2004/49/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 44 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 881/2004 – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(7)  Richtlinie 2004/50/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 114 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(8)  ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(9)  Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/13


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr“

(KOM(2004) 144 endg. — 2004/0050 (COD))

(2005/C 221/03)

Der Rat beschloss am 28. April 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr Chagas.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 130 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der vorliegende Vorschlag für eine Verordnung über Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr (im folgenden „Verordnung zur Qualität im Güterverkehr“ genannt) ist Bestandteil des so genannten Dritten Eisenbahnpakets, das von der Europäischen Kommission am 3. März 2004 verabschiedet wurde. Die weiteren Elemente sind:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: Liberalisierung des internationalen Eisenbahnpersonenverkehrs (KOM(2004) 139 endg.);

Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Verkehr (KOM(2004) 143 endg.)

Vorschlag für eine Richtlinie über Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr (KOM(2004) 144 endg.)

sowie

Mitteilung der Kommission zur Fortsetzung der Integration des europäischen Eisenbahnsystems (KOM(2004) 140 endg.);

Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission zur schrittweisen Öffnung des Marktes für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr (SEK(2004) 236).

1.2

Das so genannte Erste Eisenbahnpaket (auch Infrastrukturpaket genannt) trat am 15. März 2001 in Kraft und musste bis zum 15. März 2003 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: u.a freier Markzugang für den internationalen Schienengüterverkehr auf dem Transeuropäischen Eisenbahngüternetz bis 15. März 2003 und Liberalisierung des gesamten internationalen Schienengüterverkehrs bis 15. März 2008 (1);

Ausweitung des Geltungsbereichs für eine Europäische Lizenz für Eisenbahnunternehmen (Änderung der Richtlinie 95/18/EG) (2);

Harmonisierung der Bestimmungen zur Zuteilung von Infrastrukturkapazitäten und zur Berechnung der Infrastrukturgebühren, Regelungen für ein Sicherheitszertifikat (ersetzt Richtlinie 95/19/EG) (3).

1.3

Im Oktober 2003 hat die Europäische Kommission wegen fehlender Notifizierung der Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets in nationales Recht Klage gegen 9 Mitgliedstaaten beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Im Mai 2004 fehlte die Notifizierung von fünf Ländern, und zwei Mitgliedstaaten hatten die Bestimmungen nur teilweise in nationales Recht umgesetzt.

1.4

Das so genannte Zweite Eisenbahnpaket wurde am 30. April 2004 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht und muss bis zum 30. April 2006 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: Vorverlagerung des freien Marktzugangs für den internationalen Eisenbahngüterverkehr auf den 1. Januar 2006 und Liberalisierung des nationalen Eisenbahngüterverkehrs einschließlich Kabotage ab dem 1. Januar 2007 (4);

Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (5);

Verordnung zur Schaffung einer Europäischen Eisenbahnagentur (6);

Änderung der Richtlinien zur Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitssystems (Richtlinie 96/48/EG) und des konventionellen Eisenbahnsystems (Richtlinie 2001/16/EG) (7).

1.5

Mit dem 1. und 2. Eisenbahnpaket wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, einen Binnenmarkt für den Eisenbahngüterverkehr herzustellen. Die Maßnahmen umfassen den Marktzugang, die Lizenzierung und Sicherheitszertifizierung von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), den Zugang zur Infrastruktur und die Berechnung der Nutzungsgebühren, die Schaffung eines Rechtsrahmens für die Eisenbahnsicherheit sowie Maßnahmen zur Herstellung einer technischen Interoperabilität des Eisenbahnsystems.

1.6

Der hier behandelte Vorschlag ergänzt den geschaffenen Rechtsrahmen zur Marktöffnung durch Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung im Güterverkehr.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1

Mit dem Verordnungsvorschlag zur Qualität im Güterverkehr soll über eine vertragliche Vereinbarung von Entschädigungsleistungen zwischen dem Eisenbahnunternehmen und dem Frachtkunden die Qualität im Eisenbahngüterverkehr verbessert werden. Die Kommission sieht die Hauptursache für den geringen Anteil der Bahnen an der Steigerung des Güterverkehrsaufkommens und den rückläufigen Marktanteil gegenüber anderen Verkehrsträgern in einer mangelnden Qualität und Zuverlässigkeit im Schienengüterverkehr.

2.2

Von der Anwendung von Entschädigungsregelungen erwartet die Kommission einen Anreiz für die Eisenbahnunternehmen, Schienengüterverkehrsdienste effizienter zu gestalten. Sie geht davon aus, dass der Wettbewerb im Laufe der Zeit einen starken Druck zugunsten einer Qualitätsverbesserung ausüben wird, doch vollzieht sich die tatsächliche Öffnung des europäischen Schienengüterverkehrsmarkts nach Auffassung der Kommission nicht rasch genug. Auf die neu eintretenden Unternehmen entfallen nur 3 bis 4 % des Marktes, und in mehreren Mitgliedstaaten gibt es keine Wettbewerber.

2.3

Der Verordnungsentwurf verpflichtet Eisenbahnunternehmen und Kunden, Qualitätsanforderungen in den Beförderungsverträgen festzulegen und bei Nichterfüllung Entschädigungsleistungen zu erbringen. Die Vertragspartner sind verpflichtet, mindestens die folgenden Qualitätsanforderungen zu vereinbaren:

Zeiten zur Übergabe der Güter, des Wagens oder der Züge,

Ankunftszeiten und Entschädigung bei Überschreiten der Lieferfrist,

Entschädigung bei Verlust oder Beschädigung des Gutes,

Entschädigung bei Zugannullierung durch das Eisenbahnunternehmen oder den Frachtkunden,

ein Qualitätsüberwachungssystem.

2.4

Für die Entschädigung bei Verlust, Beschädigung, Verspätung, mangelnder Unterrichtung über Verspätungen, Verlust oder Beschädigung des Gutes aufgrund von Verspätungen werden Mindest- und Höchstsummen in dem Richtlinienentwurf festgelegt. Beispielsweise ist für Beschädigungen die Summe von maximal 75 Euro pro beschädigtes Kilogramm Bruttomasse festgelegt. Bei Verspätungen von Blockzügen ist die Entschädigung auf mindestens 5 % und höchstens 25 % des Beförderungspreises festgelegt. Bei mangelnder Unterrichtung über Verspätungen beträgt die Entschädigung mindestens 5 % des Beförderungspreises.

2.5

Die Vertragspartner sind verpflichtet, Entschädigungen für eine Zugannullierung durch das EVU oder den Frachtkunden festzulegen. Sie können Entschädigungen bei Lieferwertangabe oder Angabe des Interesses an der Lieferung vereinbaren.

2.6

Haftungsausschluss besteht bei Fahrlässigkeit eines Vertragspartners, Fahrlässigkeit oder sonstigem Verschulden Dritter, bei höherer Gewalt oder bei Umständen, deren Eintreten nicht vermieden und deren Folgen nicht abgewendet werden konnten. Wenn der Entschädigungsfall aufgrund des Verschuldens des Infrastrukturbetreibers eintritt, zahlt das Eisenbahnunternehmen und fordert die Leistung vom Infrastrukturbetreiber zurück.

2.7

Bei Beteiligung mehrerer Eisenbahnunternehmen besteht eine „gesamtschuldnerische Haftung“ aller beteiligten Unternehmen, unabhängig bei welchem Unternehmen die Verspätung oder Beschädigung erfolgt ist.

3.   Anmerkungen zum Vorschlag der Kommission

3.1

Im Sinne eines nachhaltigen Verkehrssystems und eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den Verkehrsarten, wie es im Weißbuch zur Europäischen Verkehrspolitik bis 2010 heißt, ist ein größerer Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene Gemeinschaftsziel. Die Verbesserung der Dienstleistungsqualität im Eisenbahngüterverkehr ist dabei einer von vielen Ansätzen und grundsätzlich zu begrüßen.

3.2

Die Kommission schlägt ein Anreizsystem vor, wobei die Qualität und insbesondere die Pünktlichkeit über die Vermeidung von Entschädigungsleistungen gesteigert werden soll. Üblicherweise reagieren Marktteilnehmer auf ein erhöhtes finanzielles Risiko durch mögliche Entschädigungsleistungen zunächst mit einer Erhöhung des Preises.

3.3

Es stellt sich die Frage, ob das von der Kommission vorgeschlagene Instrument einen geeigneten Ansatz darstellt.

3.4

Der Geltungsbereich erstreckt sich auf den internationalen und den nationalen Verkehr. Die Kommission schreibt selbst in ihrer Begründung zum Verordnungsvorschlag, dass Qualitätsverträge bereits heute bestehen, zumeist im nationalen Verkehr, weniger im internationalen Verkehr. An anderer Stelle sagt die Kommission aus, dass Probleme vorwiegend dann auftreten, wenn mehrere Eisenbahnunternehmen beteiligt sind, was vor allem im internationalen Verkehr der Fall ist.

3.5

Es stellt sich die Frage, ob angesichts des Eingriffs in die Vertragsgestaltung von kommerziellen Partnern — es geht hier nicht um Verbraucherschutz — ein eingeschränkter Geltungsbereich für den internationalen Güterverkehr angemessener wäre.

3.6

Ferner sollte überlegt werden, welche positiven Anreize — anstelle von festgelegten Entschädigungsleistungen mittels einer auf den Eisenbahnsektor beschränkten EU-Verordnung zusätzlich zum bereits bestehenden Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr COTIF/CIM — zur Verfügung stehen. So sieht Artikel 11 der Richtlinie 2001/14/EG bereits Bonusmöglichkeiten bei den Infrastrukturgebühren vor, wenn ein Unternehmen zur Minimierung von Störungen und Steigerung der Leistung des Systems beiträgt.

3.7

Zur Förderung des Schienengüterverkehrs ist dringend zu vermeiden, dass eine Ungleichbehandlung der verschiedenen konkurrierenden Verkehrsträger herbeigeführt wird.

3.8

So stellt sich die Frage nach vergleichbaren Gemeinschaftsregelungen für den Güterluftverkehr und den Güterstraßenverkehr. Internationale Abkommen über Entschädigungen bei Beschädigungen oder Verlusten sehen deutlich niedrigere Sätze vor (Montrealer Abkommen für den Luftverkehr 1/3 der in der Verordnung vorgesehenen Höchstsumme, CMR für den Straßengüterverkehr 1/6 der Höchstsumme).

3.9

Unklar bleibt, in welchem Verhältnis das zwischen den Vertragsparteien zu vereinbarende Qualitätsüberwachungssystem mit der Technischen Spezifikation Interoperabilität (TSI) Telematik Güterverkehr steht. Die Frage der europaweiten elektronischen Echtzeit-Überwachung von Güterbewegungen auf der Schiene wird in der TSI Telematik Güterverkehr behandelt. Die harmonisierten technischen Voraussetzungen und Kommunikationsbedingungen werden in dieser Vorschrift definiert. Ihre Anwendung und Umsetzung bedarf jedoch eines hohen Investitionsaufwands und wird viele Jahre benötigen.

3.10

Der Vorschlag sieht vor, dass das Eisenbahnunternehmen eine Rückerstattung der geleisteten Entschädigungszahlungen beim Infrastrukturbetreiber einholen kann, wenn dieser die Verspätung verursacht hat.

3.11

Auch hier ist mit Ausweichreaktionen in Form einer Erhöhung der Trassenpreise (Risikoaufschläge) und dem Einbau von Verspätungspuffern bei der Zeitplanung zu rechnen. Angesichts knapper Infrastrukturkapazitäten wäre dies eine unerwünschte Reaktion. Im Luftfahrtsektor ist dies nach Inkrafttreten der Richtlinie zur Fahrgastentschädigung bereits zu beobachten. Die Risikokalkulation wird für den Infrastrukturbetreiber erheblich kompliziert, da er den Wert der Güterströme und die daraus resultierenden Entschädigungssummen nicht kennt und nicht beeinflussen kann.

3.12

Es sollte bedacht werden, dass sich die Infrastruktur in den neuen Mitgliedsländern in Mittel- und Osteuropa in einem schlechteren Zustand befindet mit hohem Bedarf an Investitionen und dass die Entschädigungsverpflichtungen der Verordnung daher zu erheblichen Problemen führen könnten.

3.13

Der Vorschlag führt zu einem erheblichen Aufwand bei der Bestimmung der Verantwortlichkeiten und beim Einklagen der Entschädigung durch das Eisenbahnunternehmen vom Infrastrukturbetreiber. Ebenso wird die Verantwortungszuweisung aufwändig, wenn mehrere Eisenbahnunternehmen einbezogen sind.

3.14

Das Risiko einer Zahlung hoher Entschädigungsleistungen darf nicht dazu führen, dass Eisenbahnunternehmen Sicherheitsfragen der Einhaltung der Lieferbedingungen unterordnen. Es muss ebenfalls ausgeschlossen werden, dass Eisenbahnunternehmen ihre Angestellten übermäßigen Belastungen aussetzen, sodass diese Gefahr laufen, die Einteilung in Arbeits-, Fahr- und Ruhezeiten zu missachten.

3.15

Der EWSA hat in seiner Stellungnahme zum 2. Eisenbahnpaket bereits darauf verwiesen, wie sich die Sozialbedingungen im Straßenverkehr als Wettbewerbsnachteil für den Gütertransport auf der Schiene darstellen. Die Konsequenz kann nicht sein, die Arbeitsbedingungen im Eisenbahnverkehr denen der Straße anzupassen und Unternehmen zu motivieren, Vorschriften zu missachten und Druck auf die Beschäftigung auszuüben.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Der EWSA begrüßt grundsätzlich Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität des Schienengüterverkehrs.

4.2

Zu bevorzugen wären positive Anreize anstelle von strengen Entschädigungsregelungen, die zu einer Reihe von Ausweichreaktionen und einem komplizierten System der Rückerstattung führen. Dies betrifft insbesondere auch die Rolle des Infrastrukturbetreibers.

4.3

Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität des Schienengüterverkehrs dürfen nicht zu Diskriminierungen gegenüber anderen Verkehrsträgern führen.

4.4

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Unternehmen und Infrastrukturbetreiber in den neuen Mitgliedsländern zu untersuchen.

4.5

Der EWSA besteht darauf, dass Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung im Güterverkehr nicht zu Ausweichreaktionen der Unternehmen in Bezug auf das Sicherheitsbewusstsein und die Arbeitsbedingungen führen dürfen.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Richtlinie 2001/12/EG – ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(2)  Richtlinie 2001/13/EG – ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 26 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(3)  Richtlinie 2001/14/EG – ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 29 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(4)  Richtlinie 2004/51/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 164 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(5)  Richtlinie 2004/49/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 44 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 881/2004 – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(7)  Richtlinie 2004/50/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 114 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/17


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“

(KOM(2004) 374 endg.)

(2005/C 221/04)

Die Kommission beschloss am 13. Mai 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr HENCKS, Mitberichterstatter Herr HERNÁNDEZ BATALLER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 131 gegen 5 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind als gesellschaftliches Thema heutzutage eng mit der Frage der europäischen Integration verknüpft.

1.2

Den geltenden Verträgen zufolge gehören die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu den gemeinsamen Werten der Union und sind für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts der EU von Bedeutung (Artikel 16); der Zugang zu diesen Dienstleistungen und die Rechte in Bezug auf spezifische Teilbereiche der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (soziale Sicherung und soziale Unterstützung, Gesundheitsschutz, Umweltschutz usw.) sind in der Charta der Grundrechte verankert (Kapitel IV Artikel II-34 bis II-36).

1.3

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind nicht nur ein wesentlicher Faktor für Wettbewerbsfähigkeit und ein wichtiges Element im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele von Lissabon, sondern sie sind auch ein Baustein des europäischen Sozialmodells. Sie tragen zur Wahrung der Grundrechte der Bürger bei und beeinflussen die Wissenswirtschaft, den sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalt sowie die nachhaltige Entwicklung.

1.4

Dem Antrag des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, die Förderung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse als Ziel in Artikel 3 des Verfassungsvertrags aufzunehmen, wurde zwar nicht stattgegeben, aber es wurde ein gewisser Fortschritt in Bezug auf die Dienste von allgemeinem Interesse erzielt: In Artikel III-122 wird der Europäischen Union das Recht eingeräumt, einem Querschnittsansatz folgend europäische Gesetze über die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse festzulegen. Ferner wird der Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung anerkannt und die Möglichkeit, dass die lokalen Gebietskörperschaften selbst Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, zu einem Verfassungsgrundsatz erhoben, wodurch das Subsidiaritätsprinzip in Bezug auf die Zuständigkeiten der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in konkrete Form gegossen wird.

1.5

Dennoch herrscht im Sekundärrecht immer noch größtenteils ein allgemeines Ungleichgewicht zwischen dem Wettbewerbsrecht als ausführlichem und unmittelbar geltendem Gemeinschaftsrecht einerseits und den Zielen der Daseinsvorsorge andererseits, die Gegenstand von Ausnahmeregelungen in diesem Recht sind.

1.6

Die Europäische Union hat nach wie vor Schwierigkeiten damit, die Widersprüche zwischen der Errichtung eines Marktes, der einzig und allein auf dem Grundsatz des freien Wettbewerbs beruht, und der notwendigen öffentlichen Steuerung derjenigen Verfahren, die nicht allein wirtschaftlichen Mechanismen überlassen werden dürfen, zu überwinden. Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind weder Mechanismen noch Instrumente, sondern Garant der Grundrechte jedes einzelnen Bürgers und „Bindeglied“ für die soziale Eingliederung.

1.7

Außerdem ist nicht zu übersehen, dass die Bürgerinnen und Bürger der Union zunehmend mit Unverständnis, Kritik und Ablehnung auf die Maßnahmen reagieren, die doch offensichtlich zur Förderung der europäischen Integration auf den Weg gebracht wurden, einer Integration, die sich jedoch immer weiter von den echten Anliegen der Bürger zu entfernen scheint und die soziale Kluft noch verstärkt, wodurch der soziale Zusammenhalt und das Sozialmodell gefährdet werden.

1.8

Die europäische Integration muss zu einer harmonischen Kombination der Marktmechanismen und der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben führen, und zwar in den Bereichen, in denen eine derartige Komplementarität mit den Zielen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vereinbar ist und den Nutzern oder Verbrauchern zusätzlichen Nutzen bringen kann. Das bedeutet, dass die effektive Erfüllung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe im Einklang mit der gemeinschaftlichen Rechtsprechung und vorbehaltlich der in Artikel 86 Absatz 2 des EG-Vertrags festgelegten Bedingungen im Falle einer Kollision Vorrang vor der Anwendung des Wettbewerbsrechts hat.

1.9

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse spiegeln den politischen Willen wider, die Erbringung der Daseinsvorsorge zu steuern und Bedürfnissen und Grundrechten im Rahmen des europäischen Sozialmodells Rechnung zu tragen, einem Modell, in dem alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von Alter, gesellschaftlicher Stellung oder Region, in der sie leben, nicht nur Anspruch auf einen angemessenen sozialen Schutz, sondern auch auf einen einfachen, hochwertigen und erschwinglichen Zugang zu grundlegenden Gütern wie Nahrung, Unterkunft, Wasser, Beförderung, Kommunikation usw. haben. Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind somit eindeutig ein Teil der sozialen Marktwirtschaft, die allein durch den Wettbewerb nicht gewährleistet werden könnte. Ohne angemessenes Tätigwerden der öffentlichen Hand wird die Europäische Union zu einer Union der zwei Geschwindigkeiten werden, in der sich Entwicklungsgefälle, Ungleichheiten und soziale Ausgrenzung weiter verschärfen.

1.10

Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger der Union wird sich in naher Zukunft im Rahmen eines Referendums zur Ratifizierung des Verfassungsvertrags äußern. Ein politisches Europa ohne die Unterstützung seiner Bürger wird es nicht geben. Und diese Unterstützung wird ausbleiben, wenn die Union nicht die Wahrung und Weiterentwicklung des europäischen Gesellschaftsmodells und des europäischen Sozialmodells sichert.

1.11

Vor diesem Hintergrund ist das Weißbuch über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, insofern als es die Grundlagen für die Sicherung hochwertiger, zugänglicher und erschwinglicher Dienstleistungen von allgemeinem Interesse legt, ein wichtiger Schritt (neben anderen), um bei den Europäern für Europa zu werben und um zu verhindern, dass ein „Nein“ die Dynamik der europäischen Integration abrupt stoppt.

1.12

Die Überlegungen, die mit diesem Weißbuch eingeleitet wurden, und alle weiteren damit zusammenhängenden Vorlagen sind untrennbar mit den Überlegungen zu den öffentlich-privaten Partnerschaften, dem Dienstleistungsbinnenmarkt, unter anderem den sozialen Dienstleistungen, den staatlichen Beihilfen, dem derzeit erarbeiteten Bericht über den Wassermarkt, der Überprüfung der Lissabon-Strategie und den Bewertungsberichten verbunden.

2.   Das Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

2.1

In dem von der Europäischen Kommission am 12. Mai 2004 vorlegten Weißbuch wird eine Bilanz aus der grundlegenden Debatte gezogen, die im Anschluss an die Veröffentlichung des Grünbuches im Jahr 2003 auf europäischer Ebene geführt wurde, wie auch aus den zahlreichen Beiträgen zu diesem Grünbuch, insbesondere der europäischen Institutionen und der Zivilgesellschaft. Außerdem werden strategische Ausrichtungen für die kommenden Jahre vorgeschlagen.

2.2

Die Debatte über das Grünbuch hat deutlich gemacht, dass die Meinungen und Perspektiven auseinandergehen. Dennoch hat sich in der Frage der Notwendigkeit, ein harmonisches Miteinander von Marktmechanismen und Gemeinwohlaufgaben sicherzustellen, ein Konsens gebildet.

2.3

Während die Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft organisiert oder aber privaten bzw. öffentlichen gewinnorientierten oder nicht gewinnorientierten Unternehmen übertragen werden kann, obliegt die Festlegung der Gemeinwohlaufgaben nach wie vor den öffentlichen Instanzen auf der jeweiligen Ebene. Letztere sind auch zuständig für die Marktregulierung, und sie haben sicherzustellen, dass die betreffenden öffentlichen oder privaten Akteure die ihnen übertragenen Gemeinwohlverpflichtungen wahrnehmen.

2.4   Der Ansatz der Kommission beruht auf neun Leitprinzipien:

2.4.1

Voraussetzungen für bürgernahe öffentliche Regulierung schaffen: Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sollten möglichst bürgernah organisiert und geregelt sein, und das Subsidiaritätsprinzip muss strengstens eingehalten werden.

2.4.2

Die Ziele öffentlicher Dienste in wettbewerbsfähigen, offenen Märkten erreichen: Die Kommission ist nach wie vor der Auffassung, dass die Ziele eines offenen, wettbewerbsfähigen Binnenmarkts einerseits und die Entwicklung allgemein zugänglicher, hochwertiger Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu erschwinglichen Preisen andererseits miteinander vereinbar sind. Dies bedeutet, dass dem EG-Vertrag zufolge vorbehaltlich der Bedingungen des Artikels 86 Absatz 2 die tatsächliche Erfüllung einer Gemeinwohlaufgabe bei Kollisionen Vorrang vor der Anwendung der Regeln des Vertrags hat.

2.4.3

Kohäsion und universellen Zugang sicherstellen: Dass die Bürgerinnen und Bürger und jedes Unternehmen im gesamten Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu erschwinglichen Preisen Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hat, gilt als wesentliche Voraussetzung für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts in der Europäischen Union. In diesem Zusammenhang gelten Universaldienste als Schlüsselkonzept, das die Gemeinschaft im Hinblick auf die Sicherstellung eines effektiven Zugangs zu Grunddienstleistungen entwickelt hat.

2.4.4

Ein hohes Qualitäts-, Versorgungssicherheits- und Schutzniveau aufrechterhalten: Daneben ist die Sicherheit der Dienstleistungserbringung, insbesondere die Versorgungssicherheit, ein grundlegendes Erfordernis, das bei der Festlegung der Gemeinwohlaufgaben seinen Niederschlag finden muss. Die Bedingungen, unter denen Dienstleistungen erbracht werden, müssen zudem den Dienstleistungsanbietern ausreichende Anreize zur Beibehaltung langfristiger Investitionen in adäquater Höhe bieten.

2.4.5

Die Rechte der Verbraucher und Nutzer sichern: Dazu gehören insbesondere der Zugang zu Dienstleistungen, einschließlich grenzübergreifenden Dienstleistungen, auf dem gesamten Gebiet der Union und für alle Bevölkerungsschichten, die Erschwinglichkeit der Dienstleistungen sowie Sonderregelungen für Einkommensschwache, die physische Sicherheit, die Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit, Kontinuität, hohe Qualität, Angebotsvielfalt, Transparenz und Zugang zur Information der Dienstleistungserbringer und Regulierungsbehörden. Die praktische Verwirklichung dieser Grundsätze setzt gemeinhin unabhängige Regulierungsbehörden mit genau festgelegten Befugnissen und Verpflichtungen voraus. Dies umfasst auch Sanktionsbefugnisse (Mittel zur Kontrolle der Umsetzung und Durchsetzung des Universaldienstkonzepts). Des Weiteren sollten Möglichkeiten im Hinblick auf Vertretung und aktive Teilnahme von Verbrauchern und Nutzern bei der Festlegung der Vorgaben für Dienstleistungen und ihre Bewertung, die Verfügbarkeit adäquater Rechtschutz- und Entschädigungsmechanismen und eine Evolutivklausel vorgesehen werden, d.h. eine rechtliche Bestimmung, die nach Maßgabe der sich ändernden Bedürfnisse und Anliegen der Nutzer und Verbraucher in einem sich wandelnden wirtschaftlichen und technologischen Umfeld Anpassungen der Erfordernisse ermöglicht.

2.4.6

Monitoring und Leistungsevaluierung: Im Einklang mit der in der öffentlichen Konsultation zum Ausdruck gebrachten vorherrschenden Meinung vertritt die Kommission die Auffassung, dass jede Evaluierung mehrdimensional ausgerichtet sein müsste und sämtliche in Frage kommenden rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Aspekte abdecken sollte.

2.4.7

Die Verschiedenheit von Dienstleistungen und Situationen berücksichtigen: Jede Gemeinschaftspolitik im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse muss der Vielgestaltigkeit, die kennzeichnend ist für die unterschiedlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, und den divergierenden Gegebenheiten, unter denen sie erbracht werden, gebührend Rechnung tragen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der gemeinschaftliche Ansatz unbedingt sektorübergreifend mit der gleichen Systematik angewandt werden müsste oder dass die Ausgestaltung gemeinsamer Konzepte, die sich in mehreren Sektoren anwenden lassen, nicht genauso zweckdienlich sein könnte.

2.4.8

Mehr Transparenz schaffen: Das Transparenzprinzip sollte für sämtliche Aspekte der Erbringung von Dienstleistungen gelten und sowohl für die Festlegung von Gemeinwohlaufgaben als auch für die organisatorische Abwicklung, die Finanzierung, die Regulierung der entsprechenden Dienstleistungen, deren Erbringung und ihre Evaluierung sowie für Systeme zur Behandlung von Beschwerden als Richtschnur dienen.

2.4.9

Rechtssicherheit gewährleisten: Die Kommission ist sich dessen bewusst, dass durch die Anwendung des Gemeinschaftsrechts bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse mitunter komplexe Fragen aufgeworfen werden. Deshalb wird sie beharrlich darauf hinarbeiten, die Rechtssicherheit bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in dem Bereich der Bereitstellung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu verbessern, und zwar ohne dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz davon berührt würde.

2.5   Auf dieser Grundlage werden im Weißbuch acht neue Ausrichtungen vorgeschlagen:

2.5.1

Die Vielfalt in einem kohärenten Rahmen berücksichtigen: Die Kommission wird sich bei Inkrafttreten des Verfassungsvertrags mit der Frage der Machbarkeit und der Notwendigkeit eines Rahmengesetztes für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse befassen, eine Überprüfung der Sachlage bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Angriff nehmen und vor Ende 2005 einen entsprechenden Bericht vorlegen.

2.5.2

Die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen präzisieren und vereinfachen: Die Kommission wird bis Juli 2005 eine Entscheidung annehmen über die Anwendung von Artikel 86 des EG-Vertrags auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen für auferlegte Gemeinwohlverpflichtungen, soweit solche Ausgleichszahlungen bestimmten Unternehmen gewährt werden, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen. Sie wird bis Juli 2005 einen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen für auferlegte Gemeinwohlverpflichtungen festlegen, bis Juli 2005 eine Änderung zur Richtlinie 80/723/EWG über Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen annehmen und bis Juli 2005 genauer klären, unter welchen Bedingungen Ausgleichszahlungen für auferlegte Gemeinwohlverpflichtungen als staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 des EG-Vertrags gelten können.

2.5.3

Einen präzisen, transparenten Rahmen für die Auswahl von Unternehmen vorgeben, denen die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auferlegt wird: Die Kommission wird eine öffentliche Konsultation zum Grünbuch über Fragen des öffentlichen Beschaffungswesens bei öffentlich-privaten Partnerschaften durchführen und auf der Grundlage der Ergebnisse der öffentlichen Konsultation für Bereiche, in denen dies angezeigt erscheint, Vorschläge unterbreiten.

2.5.4

Den Gemeinwohlauftrag bei Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen umfassend berücksichtigen: Die Kommission wird 2005 eine Mitteilung über Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen von allgemeinem Interesse vorlegen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in den Bereichen Gesundheitsdienstleistungen und medizinische Versorgung fördern, um damit zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus in der gesamten Union beizutragen.

2.5.5

Ergebnisse bewerten und Leistungsstand evaluieren: Die Kommission hat 2004 ihre erste, auf der Grundlage ihrer Evaluierungsmethodik basierende Querschnittsevaluierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vorgelegt und wird 2006 ihre Evaluierungsmechanismen einer Überprüfung unterziehen.

2.5.6

Die sektoralen Politikbereiche überprüfen: Die Kommission wird die Kooperation der nationalen Regulierungsbehörden im Rahmen der Netzwerke der Regulierungsstellen fördern und die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation zum Grünbuch in den für die verschiedenen Sektoren bereits vorgesehenen Überprüfungen berücksichtigen: Überprüfung des sachlichen Geltungsbereichs des Universaldienstkonzepts im Bereich der elektronischen Kommunikation bis Juli 2005; Überprüfung des Maßnahmenpakets zur elektronischen Kommunikation bis Juli 2006; Überprüfung der Richtlinie über Postdienste bis Ende 2006; Überprüfung des Elektrizitätsbinnenmarkts bis 1. Januar 2006; Überprüfung der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ zum Jahresanfang 2005; gegenwärtig laufende Bewertung des Sektors Wasserwirtschaft.

2.5.7

Die interne Politik der internationalen Handelspolitik zu Grunde legen: Die Kommission wird weiterhin sicherstellen, dass die von der Gemeinschaft bei internationalen Handelsverhandlungen vertretenen Positionen in vollem Umfang im Einklang mit dem internen Regelungsrahmen der EU für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse stehen.

2.5.8

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse bei der Entwicklungszusammenarbeit fördern: Die Kommission wird die Entwicklungsländer darin unterstützen, solide institutionelle bzw. Regulierungsrahmenbedingungen als wesentliche Voraussetzung für verstärkte Investitionen in Grundversorgungsleistungen von allgemeinem Interesse und einen besseren Zugang zur Finanzierung solcher Leistungen zu schaffen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Veröffentlichung des Weißbuchs. Er nimmt die neun Leitprinzipien und die acht neuen Ausrichtungen zur Kenntnis, die in diesem Weißbuch zur Stärkung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vorgeschlagen werden. Allerdings bedauert er, dass seiner in den vergangenen Jahren wiederholt vorgetragenen Forderung nach einer Rahmenrichtlinie bzw. einem Rahmengesetz zur Sicherung des Fortbestehens der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, der Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei ihrer Definition und Organisation, der freien Wahl der Verwaltungsverfahren, ihrer langfristigen Finanzierung, der Bewertung ihrer Effizienz sowie der Verbraucherrechte (1) noch nicht stattgegeben wurde, wenngleich die Kommission bis Ende 2005 einen Bericht über diese Frage vorlegen will.

3.2

Erfreulicherweise enthält das Weißbuch einen genauen Zeitplan für die Vorschläge und Maßnahmen, zu deren Durchführung sich die Europäische Kommission verpflichtet hat, um diese Leitprinzipien und Ausrichtungen in den kommenden Jahren umzusetzen.

3.3

Der Ausschuss wird die Einhaltung dieser Verpflichtungen aufmerksam verfolgen und ist seinerseits bereit, konstruktiv dazu beizutragen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Das erste Leitprinzip „Voraussetzungen für bürgernahe öffentliche Regulierung schaffen“ beinhaltet, dass die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse so bürgernah wie möglich organisiert und geregelt sein sollten und „das Subsidiaritätsprinzip strengstens eingehalten werden müsste“. In Fußnote 30 wird jedoch auf den Vorschlag für eine Verordnung für den örtlichen Binnenverkehr hingewiesen, der „die Vergabe von Konzessionen für öffentliche Dienstleistungen seitens der Mitgliedstaaten erfordern würde“ und somit die systematische Durchführung öffentlicher Ausschreibungen. Wenn die Gebietskörperschaften jedoch nicht mehr frei entscheiden können, wie sie die Bereitstellung der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Dienstleistungen von allgemeinem Interesse handhaben wollen, dann kann von Subsidiarität keine Rede mehr sein.

4.2

In Bezug auf das dritte Leitprinzip „Kohäsion und universellen Zugang sicherstellen“ betont die Kommission, dass „Universaldienste als Schlüsselkonzept gelten, das die Gemeinschaft im Hinblick auf die Sicherstellung eines effektiven Zugangs zu Grunddienstleistungen entwickelt hat“. Das bedeutet, dass „nach Maßgabe der sich ändernden Bedürfnisse und Anliegen der Nutzer und Verbraucher in einem sich wandelnden wirtschaftlichen und technologischen Umfeld Anpassungen der Erfordernisse ermöglicht“ werden. Im Sinne dieser Prinzipien und im Rahmen des eEurope-Aktionsplans, in dem eine generelle Nutzung von Breitbandnetzen für die elektronische Kommunikation vorgesehen ist, erinnert der Ausschuss daran, dass 20 % der Bürgerinnen und Bürger in der EU-15 gegenwärtig vom Zugang zu diesen Dienstleistungen ausgeschlossen sind. Breitbanddienste sind Teil der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die zur Verbesserung des Lebensstandards beitragen, indem sie Entfernungen überbrücken und Gesundheitsfürsorge, Bildung und öffentliche Dienstleistungen sowohl für die geografisch isolierten als auch für die finanziell am schlechtesten gestellten Bürger zugänglicher machen. Daraus folgt, dass ohne eine preiswerte Ausweitung der Universaldienste im Telekommunikationsbereich auf den Zugang zu Hochgeschwindigkeitsverbindungen und zur Mobiltelefonie die Europäische Union bei der Einführung und Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und bei der Verwirklichung der wissensbasierten Gesellschaft noch weiter in Rückstand geraten und die digitale Kluft insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten noch größer wird.

4.3

Das sechste Leitprinzip „Monitoring und Leistungsevaluierung“ entspricht der Forderung des Ausschusses und zahlreicher anderer Akteure, der Leistungsevaluierung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse eine progressive Dynamik zu verleihen, um sie effizienter zu gestalten, einen gleichberechtigten Zugang zu den Diensten zu gewährleisten und sie besser an die sich ändernden Anforderungen der Verbraucher, der Bürger und der Gesellschaft sowie an sich ändernde Vorschriften anzupassen. In dem Weißbuch wird zu Recht betont, dass die Evaluierung „mehrdimensional ausgerichtet sein müsste und sämtliche in Frage kommenden rechtlichen, ökonomischen, sozialen und umweltbezogenen Aspekte abdecken sollte“ — in diesem Zusammenhang spricht sich der Ausschuss dafür aus, dass im Rahmen der Evaluierung die Beschäftigungsfragen genau bewertet werden. Der Ausschuss verweist darauf, dass es Aufgabe der Europäischen Union ist, eine gemeinsame Methodik und gemeinsame Kriterien, insbesondere Qualitätskriterien, festzulegen sowie einen objektiven, unabhängigen und dynamischen Evaluierungsprozess unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips in Gang zu setzen. Nach Auffassung des Ausschusses müssen parallel zu den Vorschlägen des Grünbuches, die sektoralen Politikbereiche zu überprüfen (vgl. Ziffer 2.5.6), Bewertungsberichte über die Auswirkungen der früheren Maßnahmen erarbeitet werden. Er erinnert an seinen Vorschlag, an der Steuerung der Bewertung mitzuwirken, da in ihm alle beteiligten Interessenträger vertreten sind. Der Ausschuss wird im Hinblick darauf analysieren, ob es zweckmäßig ist, eine ständige Studiengruppe zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einzurichten.

4.4

Das siebte Leitprinzip „Die Verschiedenheit von Dienstleistungen und Situationen berücksichtigen“„bedeutet allerdings nicht, dass der gemeinschaftliche Ansatz unbedingt sektorübergreifend mit der gleichen Systematik angewandt werden müsste oder dass die Ausgestaltung gemeinsamer Konzepte, die sich in mehreren Sektoren anwenden lassen, nicht genauso zweckdienlich sein könnte.“ Der Vorschlag für die neue Ausrichtung besteht darin, dass die Kommission sich bei Inkrafttreten des Verfassungsvertrags mit der Frage der Machbarkeit und der Notwendigkeit eines Rahmengesetzes für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse befassen und vor Ende 2005 einen Bericht vorlegen soll. Die Forderung des Ausschusses und zahlreicher anderer europäischer Akteure nach einer Rahmenrichtlinie wird somit im Weißbuch nicht aufgegriffen (siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ — ABl. C 80 vom 30.3.2004). Und dies, obwohl es dringlich erscheint, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse insgesamt, einschließlich der Sozial- und Gesundheitsdienste von allgemeinem Interesse unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten, in Bezug auf das Wettbewerbsrecht, die Finanzierung, die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips und ihren Stellenwert in der europäischen Integration zu konsolidieren.

4.5

Gemäß dem neunten Leitprinzip „Rechtssicherheit gewährleisten“ wird die Kommission „beharrlich darauf hinarbeiten“, ohne dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz davon berührt würde. Für dieses Leitprinzip wurden zwei Ausrichtungen vorgeschlagen:

4.5.1

Bis Juli 2005 sind „die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Ausgleichszahlungen für Gemeinwohlverpflichtungen zu präzisieren und zu vereinfachen“, wodurch bei Wahrung der Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit einerseits die Sicherstellung der Langzeitfinanzierung der für die Kontinuität und Nachhaltigkeit der Dienstleistungen erforderlichen Investitionen und andererseits die Sicherung der Ausgleichszahlungen für Gemeinwohl- oder Universaldienstverpflichtungen gewährleistet werden sollte. Ferner gilt es anzuerkennen, dass diese Ausgleichszahlungen unterschiedliche Formen annehmen können, um eine Anpassung an die festgelegten Ausrichtungen zu ermöglichen: öffentliche Finanzhilfen, interner Finanzausgleich zur Finanzierung der entstehenden Kosten durch die Gewinne aus rentablen Tätigkeiten — eventuell in Verbindung mit ausschließlichen Rechten -, Ausgleichsfonds zwischen Betreibern, Steuerbefreiungen oder sonstige Vergünstigungen, öffentlich-private Partnerschaften, Finanzhilfen für die Erbringung von Dienstleistungen für die Nutzer usw.

4.5.2

Auf der Grundlage der öffentlichen Konsultation zum Grünbuch über Fragen des öffentlichen Beschaffungswesens bei öffentlich-privaten Partnerschaften „einen präzisen, transparenten Rahmen für die Auswahl von Unternehmen vorgeben, denen die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auferlegt wird“. Nach Auffassung des Ausschusses erfordert dies die Anerkennung der Vielfalt der möglichen Bewirtschaftungsmodalitäten für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie die Anerkennung der Wahlfreiheit für jede betroffene Gebietskörperschaft: entweder durch Eigenerbringung (Abteilung oder Regiebetrieb), durch Übertragung an ein öffentliches oder gemischtes Unternehmen, das von der Gebietskörperschaft im gleichen Maße wie deren eigene Dienststellen kontrolliert wird, oder ein sozialwirtschaftliches, genossenschaftliches oder vereinswirtschaftliches Unternehmen, oder durch Übertragung an ein Unternehmen für eine bestimmte Zeit (Konzession nach Ausschreibung), ohne die Möglichkeit einer Umkehr von einer Bewirtschaftungsmodalität in eine andere außer Acht zu lassen.

5.   Schlussfolgerungen

5.1

Das Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse stellt einen Fortschritt bei der Berücksichtigung dieser Dienstleistungen auf Unionsebene dar. Es ist eine gute Grundlage für die Entwicklung von Konzepten für eine europäische Politik im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die es ermöglicht, den europäischen Unternehmen und allen Bürgerinnen und Bürgern zugängliche, erschwingliche und effiziente öffentliche Dienstleistungen zu bieten, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen.

5.2

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind nicht nur ein Kernthema der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch ein Schlüsselelement im sozialen und ökologischen Bereich. Sie ergänzen den dreifachen Ansatz (Wirtschaft, Soziales, Umweltschutz) der Lissabon-Strategie und sind wichtig und unerlässlich, um die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen, auf Grundlage eines dauerhaften Wirtschaftswachstums mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt. Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gehen aufgrund ihrer Besonderheiten über den Rahmen des Binnenmarktes hinaus und sind eine Voraussetzung für das wirtschaftliche und soziale Wohl der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen.

5.3

Es geht also darum, eine harmonische Kombination der Marktmechanismen und der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben in den Bereichen zu erreichen, in denen eine derartige Komplementarität mit den Zielen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vereinbar ist und im Sinne des Wirtschaftswachstums, der Schaffung von Arbeitsplätzen und des dauerhaften Wohlergehens zur Verbesserung der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger der Union beitragen kann.

5.4

Das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf die Nutzung zugänglicher, preiswerter und leistungsfähiger Dienste von allgemeinem Interesse muss im Namen der im Vertrag anerkannten Grundprinzipien der Solidarität und des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts gewahrt und gefestigt werden. Eine von einem Mitgliedstaat beschlossene Liberalisierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse muss unter Einhaltung der vorgenannten Kriterien erfolgen. Deshalb sollte ein Korpus allgemeingültiger Grundsätze für verschiedenartige Dienstleistungen ausgearbeitet werden, deren Erbringungsmodalitäten sich je nach Staat voneinander unterscheiden, wobei das Subsidiaritätsprinzip jedoch in vollem Umfang gewahrt werden muss.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Leistungen der Daseinsvorsorge“, ABl. C 241 vom 7.10.2002, und zu dem „Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“, ABl. C 80 vom 30.3.2004.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Nutzung geothermischer Energie — Wärme aus der Erde“

(2005/C 221/05)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Juli 2004, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Nutzung geothermischer Energie — Wärme aus der Erde“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar 2005) mit 132 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Die vorliegende Stellungnahme ergänzt frühere energie- und forschungspolitische Stellungnahmen des Ausschusses. Sie befasst sich mit der Entwicklung und Nutzung der Geothermie (Erdwärme) als einer Energiequelle, die vom Umfang der Ressource her das Kriterium der Nachhaltigkeit erfüllen könnte, die im Nutzungsprozess kein klimarelevantes CO2 emittiert, und die daher zu den Erneuerbaren Energieträgern gerechnet werden kann. Stand der Entwicklung und Nutzung von Geothermie, ihr mögliches Potenzial und die Probleme der Markteinführung werden kurz umrissen und bewertet. Dies geschieht vor dem Hintergrund der globalen Energiefrage.

Inhaltsverzeichnis:

1.

Die Energiefrage

2.

Geothermie

3.

Derzeitiger Stand

4.

Zukünftige Entwicklung und Empfehlungen

5.

Zusammenfassung

1.   Die Energiefrage

1.1

Nutzbare Energie (1) ist die Grundlage unserer heutigen Lebensweise und Kultur. Erst ihre ausreichende Verfügbarkeit führte zum gegenwärtigen Lebensstandard: Lebenserwartung, Nahrungsversorgung, allgemeiner Wohlstand und persönlicher Freiraum haben in den großen und aufstrebenden Industrienationen ein nie zuvor gekanntes Niveau erreicht. Ohne ausreichende Energieversorgung wären diese Errungenschaften sehr gefährdet.

1.2

Die Notwendigkeit einer gesicherten, preisgünstigen, umweltfreundlichen und nachhaltigen Versorgung mit nutzbarer Energie steht im Schnittpunkt der Ratsbeschlüsse von Lissabon, Göteborg und Barcelona. Dementsprechend verfolgt die Europäische Union in der Energiepolitik drei eng verknüpfte und gleich wichtige Ziele, nämlich Schutz und Verbesserung der (1) Wettbewerbsfähigkeit, (2) Versorgungssicherheit und (3) Umwelt, alle zusammen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung.

1.3

Der Ausschuss hat in mehreren Stellungnahmen (2) festgestellt, dass Bereitstellung und Nutzung von Energie mit Umweltbelastungen, Risiken, Ressourcenerschöpfung sowie problematischen außenpolitischen Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten — siehe derzeitiger Ölpreis -verbunden sind, und dass die wichtigste Maßnahme zur Verringerung des Versorgungsrisikos, des Risikos von Wirtschaftskrisen und anderer Risiken in einer möglichst vielseitigen und ausgewogenen Nutzung aller Energiearten und -formen besteht, einschließlich aller Anstrengungen zur Einsparung und zum rationellen Umgang mit Energie.

1.4

Keine der Optionen und Techniken, die einen Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung leisten können, ist technisch perfekt, gänzlich frei von störenden Einflüssen auf die Umwelt, für alle Bedürfnisse ausreichend und in ihrem Potenzial genügend langfristig überschaubar. Zudem zeigen der gegenwärtige Trend und die Kostenentwicklung sowohl konventioneller Energieträger als auch alternativer Energieformen deutlich, dass Energie in Zukunft kaum mehr so kostengünstig verfügbar sein wird, wie dies bisher mit der Verbrennung (3) fossiler Energieträger wie Erdöl, Kohle und Erdgas der Fall war.

1.5

Darum kann sich eine vorausschauende und verantwortungsbewusste europäische Energiepolitik auch nicht darauf verlassen, dass eine im Sinne der auf die oben genannten Ziele ausgerichtete Energieversorgung durch die Nutzung nur einiger weniger Energieträger garantiert werden kann.

1.6

Eine langfristig verfügbare, umweltschonende und ökonomisch kompatible Energieversorgung ist also weder in Europa noch global sichergestellt (4). Der Schlüssel zu möglichen Lösungen kann nur aus weiterer intensiver Forschung und Entwicklung kommen. Das muss auch die Erstellung von Pilotanlagen, deren technische und wirtschaftliche Erprobung und schließlich deren schrittweise Markteinführung, einschließen.

1.7

Zudem hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass die Behandlung des Energieproblems globaler orientiert sein und einen wesentlich größeren Zeitraum umfassen sollte, da die Veränderungen in der Energiewirtschaft nur langsam verlaufen und die Emission von Klimagasen (Treibhausgasen) kein regionales, sondern ein globales Problem darstellt. Zudem ist zu erwarten, dass sich die Problemlage in Zukunft, insbesondere in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, weiter zuspitzen wird.

1.8

Sowohl die ressourcenseitigen Beschränkungen als auch die Emissionsproblematik werden nämlich zusätzlich durch die Prognose erschwert, dass sich der Weltenergiebedarf, bedingt durch das Bevölkerungswachstum und den Nachholbedarf der weniger entwickelten Länder, bis zum Jahr 2060 voraussichtlich verdoppeln oder gar verdreifachen wird. Nach heutigem Wissensstand wird sich dieser sehr beachtliche zusätzliche Bedarf durch Effizienzsteigerung und Energieeinsparungen allein nicht kompensieren lassen.

1.9

Strategie und Entwicklungsperspektive müssen somit über diesen Zielhorizont von 2060 hinaus ausgerichtet werden.

1.10

Wie der Ausschuss ebenfalls bereits festgestellt hat, gibt es in der Wahrnehmung der Problematik durch die Bürger und in der öffentlichen Diskussion eine zwischen Unter- und Überschätzung von Risiken und Chancen aufgespannte Bandbreite von Meinungen.

1.11

Demzufolge gibt es auch noch keine ausreichend einheitliche globale Energiepolitik. Diese Tatsache erschwert zudem die erforderliche Chancengleichheit der EU im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb.

1.12

Selbst innerhalb der Mitgliedstaaten der Union bestehen gewisse Unterschiede in der Haltung zum Energieproblem. Dennoch herrscht sowohl hier als auch auf Ebene der EU weitgehend darin Übereinstimmung, dass alle Optionen — in mehreren Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Kernenergie — (weiter-)entwickelt werden sollen. Zu diesem Zweck kommt eine große Anzahl dementsprechender F&E-Programme und sonstiger, zum Teil sogar kumulativer Förderprogramme zur Anwendung, und zwar sowohl auf Ebene der Mitgliedstaaten als auch seitens der EU.

1.13

Ein besonderes Ziel der EU ist es dabei, die Nutzung Erneuerbarer Energieträger mittel- bis langfristig deutlich zu erhöhen, was auch dem Klimaschutz zu Gute kommen kann. In diesem Zusammenhang spielt die Geothermie eine wichtige Rolle.

2.   Geothermie (Erdwärme)

2.1

Unter geothermischer Energiegewinnung werden jene Techniken zusammengefasst, welche den aus dem sehr heißen Erdinneren zur Erdoberfläche fließenden Wärmestrom anzapfen und nutzbar machen. Als Wärmeträgermedium wird dabei Wasser (flüssig/dampfförmig) (5) verwendet.

2.1.1

Allerdings ist die Dichte dieses Wärmestroms sehr gering. Die unter der Erdoberfläche herrschenden Temperaturen steigen mit zunehmender Tiefe nur sehr schwach an: Der allgemeine Durchschnittswert liegt bei einem Temperaturanstieg von rund 3oC pro 100 m Tiefe. Geologische Zonen, in denen mit zunehmender Tiefe ein stärkerer Temperaturanstieg erfolgt, bezeichnet man als geothermische Anomalien.

2.1.2

Der Wärmehaushalt der oberflächennahen Erdschichten kann auch durch Sonneneinstrahlung beeinflusst werden; dies wird im Folgenden dennoch unter Erdwärme subsumiert.

2.2

Man unterscheidet zwei Nutzungsformen der Erdwärme.

2.2.1

Dabei handelt es sich einerseits um die Wärmenutzung zu Heizzwecken. Für Heizzwecke werden derzeit in der EU rund 40 % der gesamten Energieversorgung benötigt, und dafür reichen in der Regel relativ geringe (Wasser-)Temperaturen ( bereits < 100oC) aus.

2.2.1.1

Für Heizzwecke allein werden unter anderem so genannte Erdwärmesonden eingesetzt, bei denen ein am unteren Ende gegenüber dem Erdreich abgeschlossenes Koaxialrohr (mit einer Teufe von 2,5 — 3 km) von Wasser gegenläufig durchströmt wird und dabei nutzbare Wärmeleistung bis zu ca. 500 kWth aufnimmt.

2.2.1.2

Eine besondere Nutzungsart sehr oberflächennaher Erdwärme liegt in der Verwendung von Erdwärmepumpen („Umgekehrte Kältemaschine“) zur Gebäudeheizung (von etwa 2 kWth bis 2 MWth); dabei wird zusätzlich noch ein „Kältemittel“ (6) verwendet. Hierzu gibt es mehrere Varianten, die je nach Technik einen Tiefenbereich bereits ab einem Meter bis zu mehrere hundert Meter erfassen.

2.2.2

Dabei handelt es sich andererseits um die Erzeugung von elektrischer Energie, für welche demgegenüber höhere (Wasser-)Temperaturen (z.B. > 120oC) notwendig sind, wobei das zu erwärmende Wasser üblicherweise mittels zweier in größerem Abstand eingebrachter und gegenläufig durchströmter Bohrungen durch den Untergrund geleitet wird. Auf diese Weise sind größere Wärmeleistungen erzielbar, nämlich rund 5 bis 30 MWth.

2.2.2.1

Aber auch diese (Wasser-)Temperaturen sind noch niedrig angesichts des (für die Umsetzung von Wärmeenergie in elektrische Energie) erwünschten thermodynamischen Wirkungsgrads und angesichts der erforderlichen Siedetemperaturen für den Turbinenkreislauf.

2.2.2.2

Daher werden für den Turbinenkreislauf vorzugsweise Arbeitsmittel mit einer gegenüber Wasser niedrigeren Siedetemperatur (wie z.B. Perfluorpentan C5F12) eingesetzt. Dafür werden spezielle Turbinenkreisläufe wie der „Organic Rankine Cycle“ (ORC-Prozess) oder der Kalina-Prozess entwickelt.

2.2.3

Besonders vorteilhaft ist es, beide Anwendungsformen (Elektrizität und Wärme) zu kombinieren und die bei der Stromerzeugung oder für die Stromerzeugung nicht genutzte Wärme für Heizzwecke zu nutzen: gleichzeitige Bereitstellung von Heizwärme und elektrischer Energie.

2.3

Um technisch nutzbare Energie insbesondere für die Stromerzeugung zu liefern, sind in der Regel allerdings nur ausreichend tief — nämlich mehrere Kilometer — unterhalb der Erdoberfläche liegende Wärme-Reservoirs geeignet. Dies erfordert aufwändige Tiefbohrungen.

2.3.1

Allerdings steigen auch die Kosten für Erschließung und Betrieb solcher Anlagen mit zunehmender Tiefe deutlich an. Daher ist, je nach vorgesehener Nutzungsart, eine Abwägung zwischen Bohrtiefe (Teufe), Wirkungsgrad und Wärmeausbeute zu treffen.

2.4

Daher wurde zunächst hauptsächlich in jenen geologischen Zonen nach nutzbaren Wärmereservoirs gesucht, wo geothermische Anomalien herrschen.

2.4.1

So finden sich ausgeprägte geothermische Anomalien (sog. hochenthalpische (7) Lagerstätten) vornehmlich in Regionen erhöhten Vulkanismus (Island, Italien, Griechenland, Türkei). Hochenthalpische Lagerstätten wurden schon im Altertum als Heilbäder genutzt und werden seit etwa hundert Jahren auch zur Stromerzeugung herangezogen (Larderello, Italien, 1904).

2.4.2

Demgegenüber finden sich leichte geothermische Anomalien (sog. niederenthalpische hydrothermale Lagerstätten), d.h. nur leicht erhöhter Temperaturanstieg mit zunehmender Tiefe, in tektonisch aktiven Gebieten (Oberrheingraben, Tyrrhenisches Meer, Ägäis, etc.) und weiterverbreitet in den wasserführenden Sedimenten (Pannonisches Becken in Ungarn und Rumänien, norddeutsch-polnisches Becken).

2.5

Wegen der Begrenztheit von Zonen mit geothermischer Anomalie bemüht man sich seit Mitte der 80er Jahre jedoch zunehmend, auch die in „normalen“ geologischen Formationen gespeicherte Wärme zu erschließen, um den steigenden Bedarf an Nutzenergie besser befriedigen und das Wärme- bzw. Energieangebot besser an den jeweiligen regionalen Bedarf anpassen zu können.

2.5.1

So hat man von den 90er Jahren an begonnen, Lagerstätten abseits geothermischer Anomalien — vorwiegend im deutschsprachigen Raum — zur Energiegewinnung zu nutzen. Die Bereitstellung von elektrischer Energie wurde in Altheim und Bad Blumau (Österreich) und in Neustadt-Glewe (Deutschland) erst in den letzten vier Jahren realisiert.

2.5.2

Da hierfür Tiefen von mindestens 2

Formula

km, besser aber 4 bis 5 km und tiefer erschlossen werden müssen, sind entsprechende Tiefbohrungen erforderlich.

2.6

Vorteile dieser Verfahren sind, dass

die Nutzung der Erdwärme nicht wie Wind- oder Solarenergie von Wetterbedingungen sowie Tages- bzw. Jahresrhythmen abhängt, sodass sie der wichtigen Grundlastversorgung dienen kann;

dabei nur die bereits vorhandene Wärme aus dem in einigen Kilometern Tiefe gelegenen Reservoir an die Erdoberfläche transportiert werden muss, sodass die sonst erforderlichen Prozesse der primären Wärmeerzeugung (wie Verbrennung oder nukleare Prozesse) sowie die damit verbundenen Kosten und Umweltbelastungen entfallen;

es sich um fast unerschöpfliche regenerative Wärmereservoirs handelt, deren Ausbeute theoretisch einen beträchtlichen Beitrag zur Energiebereitstellung liefern könnte.

2.7

Nachteile sind allerdings, dass

die vorhandenen Temperaturen relativ niedrig sind, um einen für Stromerzeugung befriedigenden thermo-dynamischen Wirkungsgrad zu erzielen;

wegen des benötigten Nachstroms an Wärme in die unterirdischen Reservoirs und wegen der Wärmeübertragung aus diesen Reservoirs große Volumina erschlossen und genutzt werden müssen, damit bei großen Wärmeentnahmen keine Erschöpfungserscheinungen eintreten, die zur (gegenüber der beabsichtigten Nutzung vorzeitigen) Aufgabe des Reservoirs zwingen könnten;

bei Nutzung der Reservoirs die mögliche Einwirkung oder Freisetzung umweltbelastender und/oder korrosiver Stoffe (unter anderem CO2, CH4, H2S sowie Salze) verhindert und die Korrosion der Anlagekomponenten beherrscht werden muss;

die Kosten und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten (unter anderem Fündigkeitsrisiko, Erschöpfungsrisiko) zur Erschließung und Nutzung geothermischer Lagerstätten noch vergleichsweise hoch sind.

3.   Derzeitiger Stand

3.1

Im Wesentlichen handelt es sich bei der Tiefen-Geothermie um drei Erschließungs- und Nutzungstechniken — üblicherweise mit der Notwendigkeit von mindestens je zwei Bohrungen (Dublette) (8) — oder deren Varianten, nämlich

hydrothermale Lagerstätten, aus denen unterirdische, nicht-artesische (d.h. nicht unter Überdruck stehende) Warmwasservorkommen an die Oberfläche gefördert und bisher meist zu Heizzwecken genutzt werden. Zurzeit wird dieses Verfahren auch auf Heißwasservorkommen mit höheren Temperaturen zum Zwecke der Stromerzeugung ausgedehnt. Wärmeträgermedium ist das vorhandene Tiefenwasser;

Hot-Dry-Rock-Systeme HDR (Heiße trockene Gesteinsformationen), bei denen geeignete Gesteinsformationen durch Tiefbohrungen und massive Stimulationsmaßnahmen erschlossen werden. Mit Hilfe eingeleiteten Oberflächenwassers wird deren Wärme entnommen, und zwar durch Abkühlung der durch Stimulation künstlich erzeugten Wärmetauscherflächen im Tiefengestein;

unter Druck stehende Heißwasserreservoirs, bei denen das bis über 250oC (so heiß nur in seltenen, besonderen Fällen) heiße Wasser/Dampf-Gemisch zur Stromerzeugung oder Prozesswärmenutzung eingesetzt werden kann.

Ergänzend dazu werden obertägige Techniken (9) entwickelt, die eine verbesserte Wärmeübertragung bzw. Wärmenutzung ermöglichen sollen.

3.2

In der EU beträgt die derzeit installierte Stromerzeugungskapazität aus geothermischen Anlagen — im Wesentlichen unter Nutzung geothermischer Anomalien — rund 1 GWel, also rund 2‰ der in der EU installierten elektrischen Gesamtleistung, und zwar zum größten Teil in Italien. Zur unmittelbaren Wärmenutzung für Heizzwecke sind zurzeit rund 4 GWth installiert. Trendprojektionen für das Jahr 2010 lassen aber bereits 8 GWth oder mehr erwarten.

3.3

Also leisten beide Nutzungsarten bisher keinen quantitativ ins Gewicht fallenden Beitrag zur Energieversorgung in der EU, und selbst ihr Anteil an der Nutzung Erneuerbarer Energieträger ist bisher vernachlässigbar.

3.4

Allerdings zeigt die Nutzung geothermischer Energie in den letzten Jahren ein deutliches Wachstum, und zwar durch Förderung sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch seitens der EU. Solange es sich dabei um den Wärmeleistungsbereich von einigen bis einigen zehn MWth handelt, liefert die Geothermie damit auch Beiträge zur dezentralen Energieversorgung.

3.5

Nach Meinung des Ausschusses ist dies voll gerechtfertigt und unterstützenswert. Auch hier handelt es sich mehrheitlich um Pilotanlagen, in denen verschiedene Methoden erprobt und weiterentwickelt werden sollen.

3.6

Außerhalb der Gebiete mit geothermischen Anomalien liegen die Kosten pro kWhel elektrischer Energie derzeit noch etwa bei der Hälfte der Kosten für Solarstrom und beim Doppelten jener für Windenergie; und selbst dies erfordert meistens, dass Wärme und Strom gleichzeitig bereitgestellt werden.

3.6.1

Allerdings (siehe oben) kann hier das geothermische Energieangebot weitgehend nach dem Bedarf ausgerichtet werden, was bei wachsenden Anteilen Erneuerbarer Energien am Energiemarkt zunehmend von Vorteil sein wird. Dann werden nämlich die Leistungsschwankungen von Wind- und Solarenergie zunehmende Regel- und Puffermaßnahmen erfordern; voraussichtlich werden sie letztlich nicht ohne energieverzehrende und kostenträchtige Speichermedien wie Wasserstoff auskommen.

4.   Zukünftige Entwicklung und Empfehlungen

4.1

Falls die Beschränkung auf Zonen geothermischer Anomalie (siehe auch die Ziffern 2.4 und 2.5) entfallen kann, besitzt die geothermische Energienutzung ein großes Potenzial, um einen maßgeblichen Beitrag zu einer umweltverträglichen und nachhaltigen Energieversorgung zu leisten. (Siehe auch Ziffer 4.13).

4.2

Um dieses Potenzial zu erschließen und zu entwickeln, sind für eine wirtschaftlich sinnvolle Elektrizitätserzeugung Bohrungen von mindestens 4 bis 5 km Tiefe erforderlich, damit jene (Gesteins-) Schichten erschlossen werden können, welche die erforderlichen Mindesttemperaturen von ca. 150oC aufweisen. Zudem muss das Gestein dort so bearbeitet (stimuliert) werden, dass ein ausreichender Wärmeaustausch zwischen dem heißen Gestein und dem natürlich vorhandenen bzw. injizierten Wasser sowie eine ausreichende Wasserströmung ermöglicht werden.

4.2.1

Demgegenüber (siehe auch Ziffer 2.2.1.1) reichen für reine Wärmenutzung (Heizzwecke) auch geringere Bohrtiefen von z.B. 2 — 3 km aus.

4.3

Entsprechende Technologieansätze sind an mehreren Standorten (z.B. Soultz-sous-Forêts, Groß Schönebeck) unterschiedlicher geologischer Formation in Europa bereits in der Entwicklung und Erprobung. Das Ausbaupotenzial liegt hier in der Entwicklung so weit wie möglich standortunabhängiger und damit exportfähiger Nutzungstechnologien. Dieses Ziel erfordert jedoch noch beachtliche F&E-Anstrengungen.

4.4

Einerseits gilt es, die ansatzweise bereits vorhandenen verschiedenen Techniken zur Einsatzreife weiterzuentwickeln und die obengenannten Voraussetzungen für eine nachhaltige Ausbeutung der geothermischen Energie zu verifizieren.

4.4.1

Eine besonders wichtige Frage ist dabei, ob in einem solchen stimulierten Reservoir die hydraulischen und thermodynamischen Voraussetzungen für ausreichende Nachhaltigkeit tatsächlich erfüllbar sind.

4.5

Andererseits müssen dann auch die einzelnen Verfahrensschritte sukzessive so weit verbessert und rationalisiert werden, dass die Kosten für diese Energienutzung wettbewerbsfähig (siehe unten) werden. Dazu müssen entsprechende F&E-Anstrengungen (siehe Ziffer 1.6), aber auch marktvorbereitende Anstrengungen unternommen werden, um herstellungsbedingte Kosteneinsparungen zu erreichen.

4.6

Mittelfristig ist unter wettbewerbsfähig zu verstehen, dass geothermische Energienutzung kostenmäßig mit Windenergienutzung konkurrieren kann. Dies ist zu erwarten angesichts der immer deutlicher erkennbaren Nachteile der Windenergie. Diese betreffen ihr sehr stark schwankendes Angebot, was bekanntlich zu erheblichen Sekundärkosten und auch Emissionen an anderer Stelle führt, die Belastung der Anwohner und des Landschaftsbilds, aber auch den steigenden Reparatur- und Pflegebedarf. Auch die kostenmäßige Belastung der Verbraucher bzw. der öffentlichen Hand muss in die Gesamtbewertung einbezogen werden.

4.7

Langfristig gesehen und unter Berücksichtigung wahrscheinlich weiterhin steigender Preise für Erdöl und Erdgas (und deren möglicher Verknappung), erhebt sich die Frage nach der generellen Wettbewerbsfähigkeit geothermisch gewonnener Energie. Das heißt, ob auch diese Energienutzung — unter Berücksichtigung der externen Kosten aller Energiewandlungstechniken — und wenn ja wann, langfristig ohne jede Subvention bzw. marktverzerrende Vorzugsbehandlungen wettbewerbsfähig werden kann.

4.8

Bis dahin jedoch ist es erforderlich (10):

sowohl seitens der Mitgliedstaaten als auch seitens der EU durch zielführende F&E-Programme die wissenschaftlich-technische Entwicklung so weit voranzutreiben, dass die verschiedenen Techniken und Verfahrensschritte in einer ausreichenden Anzahl von Versuchsanlagen entwickelt und erprobt werden können, und

zur anfänglichen Unterstützung der Markteinführung auch Regelungen (z.B. Stromeinspeisungsgesetz und Raumwärme/Raumklimatisierung) als Anreiz für Privatinvestitionen zu treffen, jeweils mit degressivem Verlauf, welche den Verkauf der geförderten Energie während der Markteinführungsphase befristet attraktiv machen, um auch das wirtschaftliche Potenzial erproben, verbessern und evaluieren zu können. Dies gilt in besonderem Maße auch für Contracting-Modelle seitens der EVUs an die Verbraucher.

Absicherungen zu gewähren gegen die mit der Erkundung und Erschließung von geothermischen Lagerstätten verbundenen Risiken wie das Fündigkeitsrisiko und das Bohrrisiko.

4.9

Der Ausschuss anerkennt mit Befriedigung, dass auf diesem Gebiet bereits vieles geleistet wird. Er unterstützt die Kommission voll in ihren dazu laufenden oder ausgeschriebenen F&E-Projekten und auch in ihrer Absicht, ihre entsprechenden Bemühungen im nächsten F&E-Rahmenprogramm nochmals deutlich zu verstärken. Er unterstützt auch die Mitgliedstaaten in ihren dementsprechenden F&E-Programmen sowie in ihren Bemühungen, schon jetzt durch Fördermaßnahmen die probeweise Markteinführung zu erleichtern und zu stimulieren.

4.10

Der Ausschuss wiederholt in diesem Zusammenhang seine frühere Empfehlung, die Chancen des Europäischen Forschungsraums durch eine umfassende, transparente, koordinierte und von allen Partnern getragene Strategie ENERGIEFORSCHUNG zu nutzen und diese zu einem wesentlichen Element des Siebten F&E-Rahmenprogramm plus Euratom-Programm zu machen.

4.11

Darin sollten auch die notwendigen F&E-Maßnahmen zur Entwicklung der Geothermie enthalten sein und ihren angemessenen Platz erhalten, bis in einem sich ohnedies verändernden Energiemarkt die langfristige Kostenentwicklung und das tatsächlich realisierbare Potenzial dieser Technologie besser abgeschätzt und bewertet werden können.

4.12

Außerdem empfiehlt der Ausschuss, alle — d.h. auch die bisher ausschließlich national geförderten — F&E-Programme zur Geothermie im Sinne der offenen Koordinierung so weit wie möglich in ein europäisches Energieforschungsprogramm einzubinden und damit auch die europäische Kooperation zu fördern.

4.13

In diesem Zusammenhang sieht der Ausschuss auch eine Chance in der Beteiligung der neuen Mitgliedstaaten am F&E-Rahmenprogramm der EU. Die in diesen Ländern anstehende Erneuerung vorhandener Energiesysteme sollte genutzt werden, um dort ebenfalls entsprechende Pilot- und Demonstrationsanlagen zu installieren.

4.14

Der Ausschuss empfiehlt zudem, die Kommission möge sich darum bemühen, die wirksamen Fördermaßnahmen zur Markteinführung (z.B. Stromeinspeisungsgesetze) innerhalb der EU so weit zu harmonisieren, dass zunächst zumindest innerhalb der Technik „Geothermie“ ein EU-weiter fairer Wettbewerb zwischen gleichartigen Techniken ermöglicht wird.

4.15

Wegen der sich bei Geothermie anbietenden und dafür besonders geeigneten gleichzeitigen Bereitstellung von Heizwärme und elektrischer Energie empfiehlt der Ausschuss zudem, dass die Kommission sich auch um entsprechende Wärmenetze und Wärmenutzung bemühen möge.

5.   Zusammenfassung

5.1

Unter geothermischer Energiegewinnung werden jene Techniken zusammengefasst, welche den aus dem sehr heißen Erdinneren zur Erdoberfläche fließenden Wärmestrom anzapfen.

5.2

Dies betrifft in erster Linie die Versorgung mit Heizwärme, aber auch mit elektrischer Energie oder mit gleichzeitiger Bereitstellung beider Energieformen.

5.3

In Gebieten geothermischer Anomalien kommt geothermische Energiegewinnung bereits zur Anwendung; ihr relativer Beitrag zur gesamten Energieversorgung ist dabei jedoch sehr gering.

5.4

Durch den Einsatz von Technologien, welche auch Gebiete außerhalb geothermischer Anomalien erschließen, kann geothermische Energiegewinnung das Potenzial für einen signifikanten Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung entwickeln, und zwar insbesondere im Bereich der Grundlastversorgung. Das ist jedoch mit Tiefbohrungen von rund 4 bis 5 km und zusätzlichen „Stimulationsmaßnahmen“ verbunden.

5.5

Allerdings liegt auch in der „untiefen“ Erdwärmenutzung mit Erdwärmepumpen zur Raumheizung und -klimatisierung ein vielversprechendes Entwicklungspotenzial.

5.6

Das Potenzial zur Grundlastversorgung unterscheidet die Geothermie von Verfahren mit schwankendem Angebot (wie Wind- und Solarenergie), welche zunehmend auf Regel-, Puffer- und Speichertechniken angewiesen sind oder sein werden sowie durch ihren Flächenbedarf und ihre Einwirkung auf das Landschaftsbild auf Widerstände in der Bevölkerung stoßen.

5.7

Der Ausschuss wiederholt seine Empfehlung, die Chancen des Europäischen Forschungsraums durch eine umfassende Strategie ENERGIEFORSCHUNG zu nutzen.

5.8

Darin sollten auch die notwendigen F&E-Maßnahmen zur Entwicklung der Geothermie enthalten sein, in Weiterführung und angemessener Verstärkung der schon bisher laufenden einschlägigen Programme.

5.9

Der Ausschuss empfiehlt, die bisher ausschließlich national geförderten F&E-Programme zur Geothermie im Sinne der offenen Koordinierung in ein solches europäisches Energieforschungsprogramm und dessen integrierende Maßnahmen einzubinden.

5.10

Der Ausschuss empfiehlt, in allen Mitgliedstaaten anfängliche, degressiv verlaufende Anreize und Regelungen zur Markteinführung (z.B. Stromeinspeisungsgesetz) sowie für Privatinvestoren zu schaffen, welche Erschließung und Verkauf der befristet geförderten Energie attraktiv machen, um auf diese Weise dazu beizutragen, auch das wirtschaftliche Potenzial dieser Energieform zu erproben, zu verbessern und zu evaluieren.

5.11

Der Ausschuss empfiehlt, derartige Fördermaßnahmen innerhalb der EU so weit zu harmonisieren, dass im Rahmen der Technik „Geothermie“ ein EU-weiter fairer Wettbewerb ermöglicht wird.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Energie wird nicht verbraucht, sondern nur umgewandelt und dabei genutzt. Dies geschieht durch geeignete Umwandlungsprozesse wie z.B. die Verbrennung von Kohle, die Umwandlung von Windenergie in Strom oder die Kernspaltung (Erhaltung der Energie; E = mc2). Dabei spricht man auch von „Energieversorgung“, „Energiegewinnung“ oder „Energieverbrauch“.

(2)  Förderung der erneuerbaren Energieträger: Aktionsmöglichkeiten und Finanzierungsinstrumente; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung auf der Grundlage des Nutzwärmebedarfs im Energiebinnenmarkt; Entwurf für einen Vorschlag für eine Richtlinie (Euratom) des Rates zur Festlegung grundlegender Verpflichtungen und allgemeiner Grundsätze im Bereich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen und Entwurf für einen Vorschlag für eine Richtlinie (Euratom) des Rates über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Die Bedeutung der Kernenergie für die Stromerzeugung. Fusionsenergie.

(3)  Welche nicht nur wegen der Endlichkeit ihrer Ressourcen, sondern auch wegen der Emission von CO2 (Kyoto !) in Zukunft zunehmend eingeschränkt werden muss.

(4)  Vorzeichen der Gesamtproblematik waren die bisherigen Ölkrisen (z.B. 1973 und 1979), der gegenwärtige Anstieg des Ölpreises sowie die gegenwärtige, das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie kennzeichnende Kontroverse über die Zuteilung von Emissionszertifikaten.

(5)  Siehe jedoch 2.2.1.2 sowie 2.2.2.2.

(6)  In Zukunft z.B. CO2.

(7)  Unter dem in der Thermodynamik verwendeten Bergriff Enthalpie wird die Summe von innerer Energie plus Ausdehnungsenergie (Ausdehnungsarbeit) verstanden.

(8)  Siehe jedoch 2.2.1.1 die geschlossene „Erdwärmesonde“ und 2.2.1.2 die „Erdwärmepumpe“.

(9)  Siehe 2.2.2.2 zum Turbinenkreislauf.

(10)  Siehe „Förderung der erneuerbaren Energieträger: Aktionsmöglichkeiten und Finanzierungsinstrumente“.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates bezüglich der Umsetzung der Aufbau- und der Betriebsphase des europäischen Satellitennavigationsprogramms“

(KOM(2004) 477 endg. — 2004/0156 (COD))

(2005/C 221/06)

Der Rat beschloss am 16. November 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 156 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr RANOCCHIARI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 8./9. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 134 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der EWSA hat die Entstehung und Entwicklung des europäischen satellitengestützten Navigations- und Ortungsprogramms GALILEO von Anfang an verfolgt und dessen grundlegende strategische Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Systems anerkannt, denn GALILEO hat innovative Auswirkungen auf Wirtschaft, Beschäftigung und Gesellschaft und kann eine Verbesserung der Lebensqualität der Zivilgesellschaft gewährleisten (1). Ferner hat der EWSA darauf hingewiesen, dass der Privatsektor unmittelbar mit dem Start des gemeinsamen Unternehmens GALILEO (2) in die Entwicklung und den Betrieb des Systems einbezogen und in der Entwicklungs- und der Aufbauphase eine kontinuierliche Unterstützung sichergestellt werden muss (3).

1.2

Wie der EWSA in seiner jüngsten diesbezüglichen Stellungnahme (4) betonte, „trat das Forschungsprogramm GALILEO als Folge einer Übereinkunft über die finanziellen Beiträge der ESA-Mitglieder am 26. Mai 2003 im ESA-Rat endlich in eine effektive Startphase“; in dieser Stellungnahme bekräftigte der Ausschuss auch, dass „das Forschungsprogramm GALILEO eine große Herausforderung für die EU, ihre Unabhängigkeit, ihre technologischen und wissenschaftlichen Kapazitäten, ihre Wirtschaft und in erster Linie für ihren Raumfahrtsektor“ darstellt.

2.   Derzeitige Lage und erwartete Entwicklungen

2.1

Es sei darauf hingewiesen, dass das Programm GALILEO vier Phasen umfasst:

die Definitionsphase (1999-2001), in der die Architektur des kompletten Systems und die — weiter unten aufgeführten — fünf angebotenen Dienstarten definiert wurden; diese Phase wurde hauptsächlich über das Fünfte FTED-Rahmenprogramm für Gemeinschaftsmaßnahmen 1998-2002 finanziert;

die Entwicklungs- und Bewertungsphase (2002-2005), welche die Entwicklung der Satelliten und der Bodenkomponenten des Systems sowie die Bewertung im Orbit vorsieht. Die öffentliche finanzielle Ausstattung durch die EU/ESA belief sich auf 1,2 Mrd. Euro, plus 100 Mio. Euro aus dem Sechsten FTED-Rahmenprogramm 2002-2006;

die Aufbauphase, die voraussichtlich von 2006 bis 2007 dauert und den Bau und Start der Satelliten — die ersten beiden Satelliten gehen bereits Ende 2005 an den Start — sowie den Aufbau des kompletten Bodensegments umfasst. Die finanzielle Gesamtausstattung beläuft sich auf 2,1 Mrd. Euro: Ein Drittel (ca. 700 Mio. Euro) wird aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert, zwei Drittel (ca. 1,4 Mrd. Euro) müssen von einem ausgewählten Konsortium bestritten werden;

die Phase kommerzieller Nutzung, die 2008 beginnt und jährliche Betriebs- und Wartungskosten in Höhe von ca. 220 Mio. Euro vollständig zu Lasten des Privatsektors vorsieht, mit Ausnahme einer außerordentlichen Intervention von Gemeinschaftsmitteln in Höhe von insgesamt 500 Mio. Euro für die ersten Jahre dieser Phase, nach Maßgabe der anstehenden Beschlüsse zur Finanziellen Vorausschau des Gemeinschaftshaushalts 2007-2013.

2.2

Nach Abschluss der Definitionsphase wurde im Mai 2002 das gemeinsame Unternehmen GALILEO für einen Zeitraum von vier Jahren gegründet, um „die einheitliche Verwaltung und die finanzielle Kontrolle des Vorhabens in der Forschungs-, der Entwicklungs- und der Demonstrationsphase des GALILEO-Programms und die Bereitstellung der dem Programm zugewiesenen Mittel“ zu gewährleisten.

2.3

Durch Verordnung 1321/2004 (5) zur Errichtung der europäischen Aufsichtsbehörde GNSS (Globales Satelliten-Navigationssystem) und durch die Gemeinsame Aktion 2004/552/GASP (6), beide vom 12. Juli 2004, wurden ferner Betriebsstrukturen für das System geschaffen, welche die öffentlichen Interessen in Zusammenhang mit den Programmen verwalten sowie Sicherheit und Schutz des Systems GALILEO gewährleisten sollen.

2.4

Auf internationaler Ebene haben die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika am 26. Juni 2004 nach vierjährigen Verhandlungen ein äußerst wichtiges Abkommen über GALILEO und GPS (7) geschlossen, das — bei völliger Kompatibilität und Interoperabilität — die Förderung, Bereitstellung und Nutzung der Dienste beider satellitengestützter Navigations- und Ortungssysteme und der damit zusammenhängenden Anwendungen betrifft: Beide Systeme werden ohne Interferenzen zwischen den jeweiligen Signalen parallel zueinander funktionieren. Somit kann GALILEO im Rahmen des Globalen Satelliten-Navigationssystems GNSS die weltweit geltende Norm für zivil und kommerziell genutzte (das GPS wird militärisch verwaltet) offene Signale werden und über einen einzigen Empfänger auch für die derzeitigen GPS-Nutzer zugänglich und attraktiv sein.

2.5

Ferner wurde auf der Ebene der internationalen Zusammenarbeit — nach dem am 30. Oktober 2003 mit China unterzeichneten Abkommen — am 13. Juli 2004 ein Kooperationsabkommen mit Israel geschlossen. Seit vielen Jahren gibt es Verhandlungen über die Interoperabilität mit dem russischen System GLONASS  (8). Die Verhandlungen sind bereits vorangeschritten, insbesondere was die Frequenznutzungsrechte und die Nutzung russischer Trägerraketen angeht, während die Kooperationsabkommen mit der russischen Föderation selbst, der Ukraine und Indien auf gutem Wege sind. Ferner wurden mit Australien, Brasilien, Mexiko und Südkorea schon Kontakte geknüpft. Auch die Schweiz, Norwegen und Kanada denken momentan über eine evtl. finanzielle Beteiligung nach.

2.6

Im Mittelmeerraum wurde ein Aktionsplan der Außenministerkonferenz Europa-Mittelmeer (April 2002 in Valencia) auf den Weg gebracht, der die Zusammenarbeit der Mittelmeeranrainer im Bereich der satellitengestützten Navigation und Ortung vorsieht. In Kairo ist unlängst auf Initiative des gemeinsamen Unternehmens GALILEO ein Projekt Euro-Mittelmeer GNSS zur Demonstration, Bildung und Koordinierung des regionalen GNSS-Plans angelaufen, im Rahmen dessen in Zusammenarbeit mit den MEDA-Partnern die Auswirkungen des geostätionären Satelliten und GALILEO-Vorläufers EGNOS  (9) geprüft werden sollen.

2.7

Nach Inbetriebnahme soll das System GALILEO fünf Dienstarten bereitstellen:

einen offenen Basisdienst, der hauptsächlich für Anwendungen für die Allgemeinheit und für Dienste im öffentlichen Interesse vorgesehen ist;

einen kommerziellen Dienst, der die Entwicklung von Anwendungen für professionelle Zwecke ermöglicht und für diese eine gegenüber dem Basisdienst höhere Leistung bietet, insbesondere hinsichtlich der Dienstegarantie;

einen sicherheitskritischen Dienst („Safety of life service“) von sehr hoher Qualität und Integrität für Anwendungen, bei denen Menschenleben auf dem Spiel stehen, wie bei der Luft- und Seefahrt;

einen Such- und Rettungsdienst, der die vorhandenen Notfalldienste erheblich verbessern soll;

einen behördlichen Dienst („öffentlicher regulierter Dienst“, [„Public Regulated Service“, PRS]), der verschlüsselt und störsicher ist und hauptsächlich den Anforderungen öffentlicher Stellen für Zivilschutz, nationale Sicherheit und Strafverfolgung vorbehalten ist, die einen uneingeschränkten Schutz erfordern (10).

2.8

Angesichts der Merkmale der zivilen Nutzung und Verwaltung sowie der vorherrschenden kommerziellen und berufsbezogenen Anwendungen des Systems GALILEO hält es die Kommission für denkbar, dass sein potenzieller Markt sich bis 2010 bei ca. drei Mrd. Empfängern bewegen, jährliche Investitionserträge in Höhe von ca. 250 Mrd. Euro abwerfen sowie neue Unternehmen und Hunderttausende hochqualifizierter Arbeitsplätze, darunter 150 000 in Europa, hervorbringen könnte.

2.9

Das gemeinsame Unternehmen GALILEO hat im September 2004 die wettbewerbsorientierte Verhandlungsphase abgeschlossen und endgültige Vorschläge von zwei Konsortien (Eurely (11) und iNavsat (12)) — Konzessionsbewerbern — erhalten, die es nach drei Kriterien — unternehmerische und finanzielle Leistungsfähigkeit, technische Leistungsfähigkeit, rechtliche und vertragliche Aspekte — einer abschließenden Bewertung unterzogen hat.

2.10

Gemäß seinem Mandat und nach Vorlage eines entsprechenden Berichts bei der Kommission sowie nach einer Mitteilung der Kommission an das Parlament und den Rat (13) über den Beginn der Errichtungs- und der Betriebsphase kann das gemeinsame Unternehmen„die erforderlichen politischen Leitlinien für die öffentliche Finanzierung der kommenden Phasen des Programms und für seine gemeinwirtschaftlichen Aufgaben entwickeln, insbesondere die Definition der Dienste“ und folglich einen Vorschlag für die Unterzeichnung des Konzessionsvertrags durch die Aufsichtsbehörde unterbreiten, bei der es sich gemäß o.g. Verordnung EG 1321/2004 de facto um die für die Vertragserfüllung verantwortliche Konzessionsvergabebehörde handelt.

2.11

Der Ausschuss fragt sich, ob dieses Verfahren nicht zu kompliziert werden könnte, dergestalt, dass es zu — weder hilfreichen noch eindeutigen — Überschneidungen und zweifachen Kontrollen kommt.

2.12

Des Weiteren wird die in dem vorliegenden Verordnungsvorschlag erwähnte, darin als Gemeinschaftsagentur zur Verwaltung der öffentlichen Interessen der Satellitennavigationsprogramme definierte und durch Verordnung EG 1321/2004 näher bestimmte Aufsichtsbehörde erst im Jahr 2005 ins Leben gerufen.

3.   Der Vorschlag der Europäischen Kommission

3.1

Der in dieser Stellungnahme erörterte Vorschlag wird dem Erfordernis eines speziellen Rechtsinstruments gerecht, das eine eigenständige Haushaltslinie für das Programm gewährleistet und so eine wirksamere finanzielle Verwaltung und Kontrolle der Aufbau- und der Betriebsphase von GALILEO, auch im Hinblick auf den Konzessionsnehmer, ermöglicht.

3.2

In dem vorliegenden Verordnungsvorschlag sollen folglich die Modalitäten des gemeinschaftlichen Finanzbeitrags für die Aufbau- und die Betriebsphase festgelegt werden. Seine Schwerpunkte lauten wie folgt:

3.2.1

Die Gemeinschaftsintervention muss einen kohärenten Finanzrahmen für die von der Gemeinschaft zugewiesenen Mittel und für die dem Konzessionsnehmer zur Verfügung stehenden Mittel gewährleisten, indem

die verschiedenen von GALILEO angebotenen Dienste bereit gestellt werden,

die Aufsichtsbehörde gebührenfreie Urheberlizenzen und -rechte an Systembestandteilen erteilt,

die EZB langfristige Darlehen gewährt;

3.2.2

das institutionelle Verwaltungs- und Kontrollsystem der Aufsichtsbehörde muss angemessen sein.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass die technischen Merkmale für die Erbringung der verschiedenen Dienstarten genauer festgelegt werden müssen, damit offene Normen für den Zugang anderer Dienstleister sowie innovativer Dienstarten gewährleistet und dabei künstliche Hürden oder hohe Gebühren für Newcomer, gerade auch für kleinere Anbieter, vermieden werden.

4.2

Im Hinblick auf die Kohärenz des finanziellen Bezugsrahmens hofft der EWSA auf eine möglichst rasche Genehmigung der neuen finanziellen Vorausschau des Gemeinschaftshaushalts und unterstützt die Kommission in ihrer Forderung, dass das Programm GALILEO — über eine spezielle von den anderen Linien unabhängige Haushaltslinie — eine Mrd. Euro erhalten soll. Der Ausschuss plädiert ferner für eine angemessene Erhöhung dieses Betrags, damit EGNOS ausgebaut und in GALILEO eingegliedert werden kann. Des Weiteren erachtet es der EWSA als ratsam, dass das Siebte FTED-Rahmenprogramm auch Forschungstätigkeiten über das Globale Satelliten-Navigationssystem GNSS und hierfür entsprechende Mittel vorsieht.

4.3

Der EWSA fragt sich im Übrigen, wie die etwaigen öffentlichen Beiträge von Drittstaatseinrichtungen, die bereits ihre Absicht zur finanziellen Beteiligung am Programm GALILEO bekundet haben, in diesen Rahmen eingefügt werden sollen.

4.4

Der EWSA stellt fest, dass in dem Finanzrahmen die Vorteile für den Konzessionsnehmer als Diensterbringer und Nutznießer gebührenfreier Urheberlizenzen und -rechte (IRP) (14) aufgeführt werden. In diesem Zusammenhang kann der EWSA nicht umhin, seiner Besorgnis darüber Ausdruck zu verleihen, dass sich erste Anzeichen einer beherrschenden Position oder gar Monopolstellung des Konzessionsnehmers einstellen könnten, die auf Wettbewerbsverzerrungen und Marktbeschränkungen hinauslaufen könnten.

4.5

Zur Angemessenheit des institutionellen Verwaltungs- und Kontrollrahmens, der in eine europäische Agentur (europäische Aufsichtsbehörde des Globalen Satelliten-Navigationssystems) ausgelagert werden soll, legt der Ausschuss Wert auf folgende Feststellungen:

4.5.1

Im Verwaltungsrat der europäischen Behörde GNSS sind Vertreter der Europäischen Weltraumbehörde nicht vorgesehen, die jedoch im derzeitigen Verwaltungsrat des gemeinsamen Unternehmens sehr wohl repräsentiert ist.

4.5.2

Die Verwaltungs- und Kontrollaufgaben werden vom gemeinsamen Unternehmen auf die europäische Behörde GNSS übertragen, welche die Mittel für GALILEO verwaltet, als Vergabebehörde für die Konzessionsverträge fungiert, über die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen wacht, den Konzessionsnehmern für die Vertragsdauer die Nutzungsrechte der Güter überlässt, das Abkommen mit dem EGNOS-Betreiber verwaltet, die Initiativen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ein funktionierendes System notwendigen Frequenzen koordiniert, die Konformität der Zertifizierungen der Bestandteile garantiert und für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften, einschließlich der aus der Gemeinsamen Aktion 2004/522/GASP resultierenden Bestimmungen, Sorge trägt.

4.5.3

Nicht verhehlen kann der EWSA seine Besorgnis über die äußerst heikle Phase der Aufgabenübertragung von dem gemeinsamen Unternehmen, das seinen Betrieb im Mai 2006 einstellt, auf die neue europäische Aufsichtsbehörde GNSS, die ihre Tätigkeit voraussichtlich im ersten Halbjahr 2005 aufnimmt.

4.5.4

Deswegen empfiehlt der Ausschuss der Kommission und dem Rat, diese Übergangsphase, in der das gemeinsame Unternehmen und die Aufsichtsbehörde parallel zueinander tätig sind, aufmerksam zu verfolgen.

4.5.5

Fragen der internen Sicherheit von GALILEO werden durch die Bestimmungen der Gemeinsamen Aktion 2004/552/GASP und die Verordnung über die Errichtung der europäischen Aufsichtsbehörde GNSS geregelt, welche einen Ausschuss für Systemsicherheit und Gefahrenabwehr vorsieht.

Nach Ansicht des EWSA müssten die Beziehungen des Systems GALILEO zu den anderen koexistierenden europäischen Initiativen, etwa dem Global Monitoring for Environment and Security — GMES, die Systeme CASPAS-SARSAT (15) für Forschung und Rettung, Netze im Bereich Justiz und Inneres, multimediale GRID usw. nunmehr vertieft werden.

4.5.6

Der EWSA betont wie bereits in seinen früheren Stellungnahmen (16), dass parallel zu der Regelung der Sicherheitsprobleme auch die Schwierigkeiten des Schutzes der Privatsphäre und personenbezogener Daten erörtert werden müssen; mit dieser Materie ist soweit möglich die Europäische Agentur für Grundrechte  (17) zu betrauen, oder aber ein spezielles beratendes Gremium einzurichten; eine Bezugnahme auf Verordnung EG 45/2001 — wie in Artikel 19 o.g. Verordnung über die Errichtung der europäischen Aufsichtsagentur GNSS — erscheint nämlich nicht ausreichend. Soll der Erfolg des Systems GALILEO mit uneingeschränkter Unterstützung durch die Zivilgesellschaft garantiert werden, dann ist es ebenso wichtig, ausdrücklich einen angemessenen Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten wie auch der Sicherheit zu gewährleisten.

4.5.7

Was die Teilhabe der Zivilgesellschaft angeht, weist der EWSA darauf hin, dass solch eine für Europa äußerst wichtige Initiative wie das Programm GALILEO der Mehrheit der europäischen Bürger noch nahezu unbekannt ist. Der EWSA hegt jedoch die Hoffnung, dass die Gemeinschaftsorgane in Absprache mit den einzelstaatlichen Regierungen so früh wie möglich eine Informations- und Sensibilisierungskampagne starten, die dieses exzellente Produkt der europäischen Forschung und Industrie den europäischen Bürgern bekannt macht, ihnen seine Vorzüge vor Augen führt, ihnen daneben aber auch die Achtung und den Schutz ihrer Privatsphäre zusichert.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen empfiehlt der EWSA, unter die „Erwägungsgründe“ des Verordnungsvorschlags folgende Punkte einzufügen:

5.1.1

neuer Erwägungsgrund 3a:„Angesichts der möglichen Programmauswirkungen auf das Leben der europäischen Bürger wird die Kommission dafür Sorge tragen, dass die europäische Agentur für Grundrechte oder alternativ eine beratende Ad-hoc-Einrichtung im Rahmen der Erbringung der GALILEO-Dienste mit dem Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten betraut wird, um eine transparente Entwicklung und einen permanenten Dialog mit den potenziellen Nutzern und der Zivilgesellschaft zu gewährleisten“;

5.1.2

unter Erwägungsgrund 12 hinzufügen:„..., in derselben Haushaltslinie weitere Gemeinschaftsmittel für den Ausbau und die Eingliederung von EGNOS in GALILEO zu gewährleisten sowie für die Satellitennavigation und die Integration bestehender Netze im Siebten FTED-Rahmenprogramm angemessenen Raum und adäquate Mittel vorzusehen“.

5.1.3

neuer Erwägungsgrund 13a:„Die Kommission und der Rat tragen dafür Sorge, dass der Übergangsprozess zwischen dem gemeinsamen Unternehmen GALILEO und der europäischen Aufsichtsbehörde GNSS absolut transparent verläuft, um etwaige Überschneidungen, Betriebsverzögerungen oder gar Marktbeschränkungen zu vermeiden“;

5.1.4

neuer Erwägungsgrund 14a:„Die Kommission trägt dafür Sorge, dass Drittstaatseinrichtungen bei etwaigen Finanzeinlagen und –beteiligungen zum Eigenkapital der Aufsichtsbehörde GNSS — über angemessene dem Rat und dem Europäischen Parlament vorzulegende Vereinbarungen — die gegenseitigen Interessen und bestehenden Gleichgewichte respektieren.“

6.   Schlussfolgerungen

6.1

Der EWSA bekräftigt nachdrücklich seine volle Unterstützung des Programms GALILEO und der Verkürzung der Fristen zur Verwirklichung der beiden Entwicklungsphasen, damit es 2008 voll operationell werden kann.

6.2

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Ex-ante-Bewertung der Zusatzgewinne für den Konzessionsnehmer aus der Diensterbringung und den Urheberrechten fortzusetzen sowie klare und präzise Information über die Ergebnisse dieser Evaluierung zu geben.

6.3

Der EWSA ist der Ansicht, dass bei der Errichtung einer weltweiten Infrastruktur wesentliche Fortschritte erzielt wurden, insbesondere mit dem Kooperationsabkommen zwischen der EU und den USA, das eine völlige Kompatibilität und Interoperabilität der weltweit bestehenden satellitengestützten Navigations- und Ortungssysteme garantieren soll.

6.4

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit mit China und Israel und ist der Auffassung, dass alles Erdenkliche getan werden muss, um zu Abkommen von gegenseitigem Interesse mit der Schweiz, Norwegen, der russischen Föderation, der Ukraine, Indien, Australien, Mexiko, Brasilien und Südkorea zu gelangen. Nach Ansicht des Ausschusses kommt dem Mittelmeerraum eine Sonderstellung zu, da er bereits die EGNOS-Dienstleistungen nutzen kann und ein strategisches Gebiet für Frieden, Stabilität und nachhaltige Entwicklung in Europa darstellt.

6.5

In diesem Zusammenhang ist der EWSA überzeugt davon, dass die Öffnung gegenüber Drittländern einen wichtigen Beitrag zur auswärtigen Dimension der Politik der Europäischen Union darstellen wird.

6.6

Der EWSA hofft, dass die Europäische Kommission über einen Haushaltsposten für eine Informations- und Sensibilisierungskampagne verfügen kann, die dieses exzellente Produkt der europäischen Forschung und Industrie den europäischen Bürgern bekannt macht und ihnen seine Vorzüge vor Augen führt, ihnen daneben aber auch die Achtung und den Schutz ihrer Privatsphäre zusichert.

6.7

Schließlich wünscht der Ausschuss, dass seine obigen Bemerkungen und Anregungen zu bestimmten „Erwägungsgründen“ des Verordnungsvorschlags (Schutz der Privatsphäre, Aufstockung der Finanzmittel, Übergangszeitraum und Einlagen von Drittländern) Beachtung finden werden. Diese Vorschläge heben ab auf eine größere Klarheit und Transparenz dieser Initiative und eine angemessene Mittelausstattung, was sowohl im Interesse der europäischen Organe als auch der Zivilgesellschaft wäre.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 311 vom 17.11.2001, S. 19.

(2)  „Gemeinsames Unternehmen GALILEO“: nach Artikel 171 des EG-Vertrags durch Verordnung EG 876/2002 vom 21. Mai 2002 gegründet. Gewährleistet die Verwaltung der Entwicklungsphase und bereitet die Verwaltung der Errichtungs- und der Betriebsphase des Programms GALILEO vor. Sein Sitz ist Brüssel. Gründungsmitglieder sind die Europäische Gemeinschaft, vertreten durch die Kommission, und die Europäische Weltraumagentur (ESA).

(3)  ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 42.

(4)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat - Stand der Durchführung des Forschungsprogramms GALILEO zu Beginn des Jahres 2004“, ABl. C 302 vom 7.12.2004.

(5)  Verordnung des Rates über die Verwaltungsorgane der europäischen Satellitennavigationsprogramme (ABl. L 246 vom 20.7.2004).

(6)  vgl. ABl. L 246 vom 20.7.2004.

(7)  US GPS: United States Global Positioning System, Globales Ortungssystem der Vereinigten Staaten, unter militärischer Verwaltung.

(8)  GLONASS: Global Navigation Satellite System, globales satellitengestütztes Navigationssystem.

(9)  EGNOS: European Geostationary Navigation Overlay Service: auf der Korrektur des Signals GPS über ein Netzwerk terrestrischer Stationen und geostationärer Satelliten basierendes System. EGNOS ging 1996 an den Start, ist bereits als Vorläufer von GALILEO in Betrieb und dürfte nun darin eingegliedert werden - auch hinsichtlich eines gemeinsamen Konzessionssystems.

(10)  vgl. Vertrag zur Vergabe der Konzession für die Errichtungs- und Betriebsphasen des Programms GALILEO – 2003/S 200-179789, veröffentlicht am 17. Oktober 2003.

(11)  Eurely: von Alcatel, Finmeccanica und Vinci gegründetes Konsortium.

(12)  iNavsat: von EADS Space, Inmarsat Ventures und der Thales-Gruppe gegründet.

(13)  KOM(2004) 636 endg. vom 6. Oktober 2004.

(14)  IRP: Intellectual Property Rights: Urheberrechte.

(15)  COSPAS (russisches Akronym „Cosmicheskaya Sistyema Poiska Avariynich Sudov,“ d.h. Weltraumsystem für die Forschung über Raumschiffe in Not) - SARSAT („Search and Rescue Satellite-Aided Tracking“: Satellitengestützte Forschung und Rettung); es handelt sich um ein internationales System für satellitengestützte Forschung, Identifizierung und Rettung zu humanitären Zwecken. Im Zeitraum 1982-2003 hat das System die Rettung von weltweit über 15.000 Personen ermöglicht.

(16)  vgl. Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung des gemeinsamen Unternehmens GALILEO“, Ziffer 3.5, ABl. C 48 vom 21.2.2002.

(17)  vgl. KOM(2004) 693 vom 25.10.2004, Mitteilung der Kommission, in der die Errichtung der Agentur im Jahr 2005 vorgeschlagen sowie angeregt wird, ihr auch den Schutz natürlicher Personen hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten zu übertragen.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer Raumdateninfrastruktur in der Gemeinschaft (INSPIRE)“

(KOM(2004) 516 endg. — 2004/0175 (COD))

(2005/C 221/07)

Der Rat beschloss am 13. September 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 13. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 140 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Stellungnahme

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss betrachtet die vorgeschlagene Schaffung einer Raumdateninfrastruktur auf Gemeinschaftsebene (INSPIRE) als geeignetes und erstrebenswertes Vorhaben, das im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht. Durch INSPIRE sollen die auf einzelstaatlicher Ebene von den Mitgliedstaaten erhobenen Raumdaten koordiniert, interoperabel gestaltet und zugänglich gemacht werden. Dies wird eine bessere und auf wissenschaftlicher Basis beruhende Dokumentation der im Umweltbereich getroffenen Entscheidungen und deren Erfolgskontrolle sowie der aufgrund bestimmter Richtlinien vorzulegenden Berichte ermöglichen. Der Ausschuss hält die Rechtsgrundlage (Artikel 175 des Vertrags) für geeignet.

1.2

Mit dieser Initiative können Doppelarbeit vermieden, Informationslücken bzw. Unzulänglichkeiten minimiert und die Koordinierung sowie die Relevanz der Datenerfassung und der Bearbeitung der erhobenen Daten verbessert werden; hierzu ist eine Gemeinschaftsaktion erforderlich. Das Vorhaben ermöglicht eine effizientere Nutzung der Daten durch die betroffenen Behörden und Dienste und eine effizientere Verwertung durch öffentliche und private Dienstleistungserbringer, darunter Mehrwertdienste (Kartenmaterial oder spezialisierte Datenbanken etc.).

1.3

In der Richtlinie wird die Schaffung eines rechtlichen und technischen Rahmens vorgeschlagen, der für die Verwirklichung dieses Vorhabens unerlässlich ist. In der Richtlinie wird ferner die Einrichtung eines technischen Ausschusses angeregt; die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, den Zugang zu ihren Raumdaten freizugeben. Für die Überwachung ist die Kommission zuständig, eine regelmäßige Berichterstattung ist vorgesehen.

1.4

Der Ausschuss begrüßt den ihm zur Stellungnahme vorgelegten Vorschlag, da er infolge des harmonisierten Referenzrahmens auf Gemeinschaftsebene zweifelsohne einen Mehrwert erbringt und einen dringend erforderlichen Fortschritt hinsichtlich Qualität und Art der erhobenen Raumdaten herbeiführt. Hierdurch werden die Umweltpolitik und ggf. auch andere einzelstaatliche oder gemeinschaftliche Politiken unterstützt und Entscheidungshilfen geboten.

1.5

Der EWSA erachtet es als unabdingbar, offene Protokolle und Dateiformate bzw. universell verbreitete Standards zu verwenden, die mit frei erhältlichen Programmen gelesen werden können. Der Ausschuss beharrt ebenso darauf, dass die referenzierten Informationen veröffentlicht und im Rahmen von INSPIRE verfügbar gemacht werden, da es sich um wissenschaftliche Daten handelt, die sowohl für die Umweltpolitik als auch für Studenten und Forscher große Bedeutung haben. Abschließend unterstreicht der Ausschuss, dass das Vorhaben ohne Beeinträchtigung der Vertraulichkeit bestimmter Daten umgesetzt werden sollte, unabhängig davon, ob sie die Privatsphäre, das Interesse der Allgemeinheit oder Sicherheitsbelange berühren.

2.   Der Vorschlag der Kommission

2.1

Als Rechtsgrundlage wird Artikel 175 Absatz 1 EG-Vertrag gewählt. Dieser gestattet mit Verweis auf Artikel 174 aufgrund technischer und wissenschaftlicher Daten, Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und Gesundheit vorzuschlagen.

2.2

Naturphänomene wie auch auf die menschliche Tätigkeit zurückzuführende Phänomene beeinflussen die Qualität der Umwelt und die Gesundheit. Sie rechtfertigen eine Gemeinschaftsaktion im Feld der Information und der Koordination, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Subsidiaritätsprinzip sowie der Grundsatz der Vorsorge berücksichtigt werden müssen.

2.3

Zur weitgehenden Umsetzung im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip wird eine Rahmenrichtlinie vorgeschlagen — dadurch wird eine Anpassung der Bestimmungen an die Gegebenheiten der einzelnen Mitgliedstaaten und Regionen ermöglicht.

2.4

Die gesammelten Metadaten werden vorrangig einzelstaatlichen, öffentlich zugänglichen Quellen entstammen, ein Rückgriff auf sonstige Daten wird jedoch nicht ausgeschlossen. Für den Zugriff auf die nationalen Datenbanken im elektronischen Format soll ein gemeinschaftliches Portal sorgen.

2.4.1

Die Erhebung der in den Anhängen aufgeführten Daten ist für die Mitgliedstaaten nicht zwingend vorgeschrieben. Die Initiative INSPIRE ergänzt andere Initiativen, darunter die Globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung (GMES) und GALILEO, in deren Rahmen spezifische oder ergänzende Daten erhoben werden können.

2.4.2

INSPIRE zeichnet sich vor allem durch seinen Querschnittscharakter aus. Das Vorhaben umspannt verschiedene Sektoren, so dass Informationslücken ermittelt und ihre Behebung in die Wege geleitet werden können.

2.4.3

In der Umweltgesetzgebung wird die Art, die Beschaffenheit und die Übermittlung sachdienlicher Daten für jedes der sektorspezifischen Dokumente geregelt (als Beispiel sei die Wasserrahmenrichtlinie genannt).

2.4.4

Die gemeinsame Datennutzung dürfte das schrittweise Finden von Lösungen gestatten, da die Möglichkeit besteht, eventuell bei den Mitgliedstaaten auftretende Schwierigkeiten oder Datenlücken auszumachen.

2.5

Ziel ist die Sammlung und Koordinierung ausführlicher (geografischer) Raumdaten, so wie sie beispielhaft in den Anhängen I, II und III aufgelistet werden. Die Interoperabilität verschiedener nationaler Systeme der Datenerhebung und -verarbeitung soll sichergestellt werden, damit diese Daten Entscheidungsträgern, Verwaltungen, Forschungseinrichtungen sowie allgemein der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können.

2.6

Die harmonisierten Daten werden durch die Mitgliedstaaten miteinander vernetzt. Diese Daten sowie verschiedene leicht zugängliche Dienste können der europäischen, nationalen oder der ihr nachgeordneten Politik in zahlreichen Themenfeldern als technische und wissenschaftliche Entscheidungsgrundlage dienen.

2.7

Die gemeinsame Nutzung und Zusammenstellung der Informationen und der gewonnenen Erkenntnisse in den verschiedenen Staaten und Sektoren werden dazu beitragen, Doppelarbeit zu vermeiden und umweltpolitische Handlungsvorgaben in allen Gemeinschaftspolitiken zu berücksichtigen.

2.8

Die Kommission wird von den ihr durch Ratsbeschluss am 22. Juni 1998 übertragenen Durchführungsbefugnissen Gebrauch machen. Mehrere Dienststellen der Kommission, darunter EUROSTAT und die Gemeinsame Forschungsstelle, werden aktiv an der Umsetzung der Richtlinie mitwirken, daneben auch die Europäische Umweltagentur. Den Mitgliedstaaten obliegt die Benennung zuständiger nationaler Behörden, die für die Kontakte mit der Kommission zuständig sein werden. Für die technische Leitung von INSPIRE ist ein Ausschussverfahren vorgesehen, in das Sachverständige der Regierungen, die europäischen Agenturen sowie die zuständigen Generaldirektionen einbezogen werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die vorgeschlagene Richtlinie zur Schaffung einer Raumdateninfrastruktur in der Gemeinschaft wird vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt und unterstützt. Der Ausschuss hält Artikel 175 des Vertrags für die geeignete Rechtgrundlage.

3.2

Gemeinsam mit den anderen Informationsquellen bietet INSPIRE eine Entscheidungshilfe in der Umwelt- und Gesundheitspolitik sowie in einer Reihe anderer Bereiche.

3.3

Der Ausschuss geht davon aus, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis zugunsten von INSPIRE ausfällt: Das Projekt zielt darauf ab, Doppelarbeit zu vermeiden, die Gemeinschaftspolitiken zielgerechter zu gestalten und die Information der Öffentlichkeit zu verbessern.

3.4

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die gemeinschaftliche Infrastruktur mitsamt den Informationen und Diensten, zu denen sie Zugang gewährt, öffentlich zugänglich sein sollte, da es sich im Kern um wissenschaftliche Daten und Wissensdatenbanken handelt, deren Nutzung für die Allgemeinheit von Interesse ist (Prävention naturbedingter oder industrieller Risiken, Gesundheit usw.). Etwaige Hindernisse in Gestalt zu restriktiver Nutzungsrechte an Datensätzen und -diensten müssen vermieden werden.

3.5

Im Rahmen von INSPIRE sind öffentlich-private Partnerschaften denkbar. Das trifft auch für die Datennutzung durch privatrechtliche Einrichtungen oder Akteure zu, etwa zum Zwecke der Erbringung von Dienstleistungen mit Mehrwert oder zur Schaffung spezieller geografischer Datenbanken, mit denen gewerbliche Ziele verfolgt werden.

3.6

Von ausschlaggebender Bedeutung für die INSPIRE-Infrastruktur ist die Interoperabilität der Datensätze und Dienste. Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag, in Absprache mit Anbietern, Nutzern und Normungsstellen Spezifikationen für die Umsetzung festzulegen. Ein dringender Harmonisierungsbedarf besteht zweifellos, aber es geht um einen komplexen Bereich. Dessen ungeachtet befürwortet der Ausschuss die vorgesehenen Fristen für die Anwendung und für die Erstellung der Berichte.

3.7

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene verwendeten Protokolle und Dateiformate offen, frei zugänglich und frei von Rechten Dritter sein müssen. Die Daten müssen von allen gängigen Internetbrowsern gelesen werden können. Mit dieser Maßnahme soll eine soft- oder hardwarebedingte Diskriminierung bei Datenzugang und -nutzung vermieden werden.

3.8

Der EWSA billigt die von der Kommission vorgeschlagene Liste aller Ausnahmen, erinnert aber zugleich daran, dass die Sorge des Ausschusses unverändert dem Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre gilt. Zusätzlich zu diesem Schutz muss den wesentlichen einzelstaatlichen Interessen und den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit in Bezug auf die Beschaffenheit und die Ausführlichkeit der Daten entsprochen werden, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Mit Blick auf die im Richtlinienvorschlag vorgesehenen regelmäßigen Berichte bekundet der Ausschuss seinen Wunsch, ebenfalls Empfänger dieser Berichte zu sein.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Hochwasserrisikomanagement — Vermeidungs-, Schutz- und Minderungsmaßnahmen“

(KOM(2004) 472 endg.)

(2005/C 221/08)

Die Kommission beschloss am 12. Juli 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Mitteilung.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz erarbeitete ihre Stellungnahme am 13. Januar 2005 (Berichterstatterin: Frau SÁNCHEZ MIGUEL).

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 132 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Annahme der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) (1) gilt als Meilenstein in der Wasserpolitik der Europäischen Union, zum einen auf Grund des harmonisierten Ansatzes im Umgang mit den europäischen Süßwasserkörpern und Meeresgewässern und zum anderen durch die Einführung eines wirksamen Verfahrens zur Bewertung der Gewässerqualität und eines zentralisierten Organisationssystems, mit dessen Hilfe für jedes Wassereinzugsgebiet ein einheitliches Konzept sichergestellt wird, ungeachtet der verschiedenen Zuständigkeiten für die einzelnen Abschnitte des jeweiligen Einzugsgebiets. Die Kommission hat die WRRL durch weitere Rechtsvorschriften (2) und andere Bestimmungen (3) ergänzt und die EU-Wasserpolitik damit auf die stetige Verbesserung des Schutzes der europäischen Flüsse und Meere ausgerichtet.

1.2

Unverständlicherweise jedoch sind in der WRRL einige sehr wesentliche Aspekte für die Qualität unserer Wassereinzugsgebiete nicht berücksichtigt worden, wie beispielsweise Hochwasserereignisse. Hochwasserereignisse sind an sich ganz natürliche Ereignisse, deren Wirkung allerdings durch den Menschen z.T. extrem verstärkt wird. Ein Großteil ihrer katastrophalen Auswirkungen könnte auf ein Minimum beschränkt werden, eine vernünftige Politik in Bezug auf die Nutzung und den Schutz von Flussläufen und Ufern und die Berücksichtigung von Umweltauswirkungen — und zwar nicht nur auf dem Papier — beim Bau von Wasserinfrastrukturen vorausgesetzt, damit die natürliche Dynamik nicht verändert und eine umsichtige Nutzung der Wasserressourcen gewährleistet wird.

1.3

Die Hochwassergefahr hat auf dem Gebiet der EU zugenommen, was im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückzuführen ist: einerseits auf den Klimawandel, der durch die Erwärmung der Erdatmosphäre möglicherweise eine Zunahme sintflutartiger Regenfälle und einen Anstieg des Meeresspiegels bewirken wird, und andererseits auf die Auswirkungen menschlichen Handelns wie Baumaßnahmen an Flussläufen, die Umleitung und Regulierung von Flussläufen, der Bau von Häfen ohne Umweltfolgenabschätzung bzw. entsprechende Korrekturmaßnahmen. Auf das menschliche Konto geht ebenfalls die zunehmende Versteppung des europäischen Kontinents aufgrund von großflächiger Abholzung, von Waldbränden und von anderen naturfernen Tätigkeiten. Es steht fest, dass die Hochwassergefahr als Folge nicht nachhaltiger Entwicklung zunimmt. Durch nachhaltige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklungsmodelle kann diese Gefahr jedoch verringert werden.

1.3.1

Die Überschwemmung von Flächen, auf denen Industrien angesiedelt sind oder intensive Landwirtschaft bzw. Viehzucht betrieben wird, aber auch von bebauten Gebieten führt zur Verbreitung von Stoffen und Erzeugnissen, die unter normalen Voraussetzungen keine Gefahr für die Wasserqualität darstellen, infolge eines Hochwasserereignisses aber zu gefährlichen Schadstoffen werden, die sich negativ auf die menschliche Gesundheit und auf die betroffenen Ökosysteme auswirken können.

1.4

Der EWSA erinnert daran, dass zwischen 1998 und 2002 Europa unter über 100 größeren Hochwasserereignissen mit Schäden leiden musste, einschließlich der katastrophalen Fluten entlang der Flüsse Donau und Elbe im Jahre 2002. Seit 1998 haben Hochwasserereignisse etwa 700 Menschenleben gefordert, etwa eine halbe Million haben ihr Zuhause verloren, und rund 25 Milliarden EUR an versicherten Schäden wurden verursacht (4).

1.5

Im Bewusstsein dieser Sachlage hat die Kommission dem Umweltrat auf seiner Tagung im Juli 2004 vorgeschlagen, im Hinblick auf den europaweiten Hochwasserschutz tätig zu werden und eine konzertierte Aktion für Hochwassermanagement im Hinblick auf die Verbesserung des Schutzes gegen Hochwasser einzuleiten. Die Mitgliedstaaten sollen dabei Gefahrenkarten erarbeiten und für jedes Flusseinzugsgebiet und Küstengebiet Hochwassermanagementpläne aufstellen, während die Kommission für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sowie die Verbreitung der am besten bewährten Verfahrensweisen sorgt.

1.6

Zwar erfolgt diese Aktion im Rahmen der europäischen Wasserpolitik, doch betrifft die Problematik auch andere Bereiche europäischer Politik, wie die Landwirtschaft, den Umweltschutz, den Zivilschutz, die Verkehrspolitik usw. Darüber hinaus stellt sich noch ein grundlegendes und weitreichendes rechtliches Problem im Zusammenhang mit der Verwaltung der Überschwemmungsgebiete: die Abgrenzung und Definition der Fluss- und Meeresufer als zu schützendes öffentliches Gut, das keine ausschließlich politisch motivierten wesentlichen Veränderungen durch behördliche Beschlüsse erfahren darf, die den Bereich der Wasserwirtschaft und des Hochwassermanagements betreffen. Die Abgrenzung entsprechender Schutzgebiete würde die Hochwasservorsorge erleichtern.

2.   Inhalt der Kommissionsvorlage

2.1

Die Mitteilung lässt sich in drei Abschnitte unterteilen:

der Umgang mit Hochwasserereignissen;

laufende Maßnahmen und künftige Initiativen;

gemeinsames EU-Aktionsprogramm.

2.2

Durch Hochwassermanagement sollen die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkungen von Hochwasserereignissen verringert werden. Es wird vorgeschlagen, folgende Elemente in die Programme aufzunehmen:

Vermeidung

Schutz

Bereitschaft

Notfallmaßnahmen

Wiederherstellung und Lernen aus Erfahrungen

2.3

Für die derzeitigen Maßnahmen und künftigen Initiativen für die Verringerung von Hochwasserauswirkungen werden drei Aktionsebenen vorgeschlagen.

2.3.1

Die Maßnahmen auf europäischer Ebene umfassen die bereits vorhandenen Instrumente und Konzepte zur Vermeidung von Hochwassern und zur Verringerung ihrer Auswirkungen. Im Rahmen der Europäischen Forschung wird über Projekte wie FLOODsite versucht, die integrierte Hochwasserrisikoanalyse und das Hochwassermanagement zu verbessern. Durch die Strukturfonds, insbesondere den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, kann die Verbesserung von Forschung und technologischer Entwicklung im Infrastrukturbereich vorangetrieben werden (5). Im Zuge einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beim Hochwasserschutz wurde das IRMA-Projekt (INTERREG-Rhein-Maas-Aktivitäten) aufgelegt.

2.3.1.1

Ferner wird vorgeschlagen, auf europäischer Ebene über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) über die land- und forstwirtschaftliche Flächennutzung den Bodenschutz zu fördern und Hochwasserschutzgebiete einzurichten. Desgleichen soll bei der Umsetzung der WRRL Umweltschutzbelangen Rechnung getragen werden, indem im Rahmen der integrierten Bewirtschaftungspläne für die Flusseinzugsgebiete auch Hochwassermanagement betrieben wird. Ferner sollte der im Jahr 2002 nach den schweren Überschwemmungen in Mitteleuropa eingerichtete Solidaritätsfonds für Notfallsituationen beibehalten werden.

2.3.2

Insbesondere in den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten sind Hochwasserschutzmaßnahmen in offiziellen Leitlinien und Gesetzestexten definiert worden. Es gibt Hochwasserschutzpläne und -strategien sowie Gefahrenkarten für die am häufigsten von Überschwemmungen betroffenen Regionen.

2.3.3

Länder mit grenzüberschreitenden Flüssen, insbesondere in Mitteleuropa, haben im Zuge einer internationalen Zusammenarbeit gemeinsame Gremien gebildet, um ein koordiniertes Flussgebietsmanagement sicherzustellen.

2.4

Mit dem konzertierten Aktionsprogramm der EU sollen Hochwasservermeidung und Hochwasserverminderung entwickelt werden, und zwar durch eine Verbesserung der Koordinierung zwischen den zuständigen Behörden durch die Aufstellung von Hochwasserrisikoplänen für Flusseinzugsgebiete und Küstenbereiche, durch Hochwasserrisikokartierung und durch den Austausch bewährter Praktiken.

2.4.1

Damit dieses konzertierte Aktionsprogramm gelingen kann, müssen die Mitgliedstaaten, die Kommission und die anderen Interessengruppen zusammenarbeiten und ihren Aufgaben und Verpflichtungen im Hinblick auf Hochwasservermeidung nachkommen.

2.4.2

Die Kosten dieses Aktionsprogramms lassen sich nur schwierig abschätzen, werden auf jeden Fall aber von den Vorteilen überwogen, die der Hochwasserschutz für die europäischen Bürger, für ihre Eigentumswerte und für die betroffenen Menschen und Gebiete in qualitativer Hinsicht bringt.

2.5

In einem Anhang werden noch Leitlinien für die Entwicklung und Durchführung von Hochwassermanagementplänen und Hochwasserrisikokarten aufgestellt, um eine einheitliche Vorgehensweise im Hinblick auf die Verwirklichung der gesetzten Ziele sicherzustellen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission, die zum Ziel hat, die Hochwasserschutzmaßnahmen zahlreicher Mitgliedstaaten zu verbessern und zu harmonisieren, und die Hochwasserauswirkungen abzumildern. Zunächst bedarf es jedoch einer eingehenderen Analyse der Problematik, um geeignete Maßnahmen festzulegen, insbesondere im Hinblick auf eine wirksame Hochwasservorsorge, mit deren Hilfe sich ein Großteil der Hochwasserschäden vermeiden ließe. Ferner müssen verschiedene, im Vorschlag nicht berücksichtigte grundlegende Konzepte entwickelt werden, die dann wiederum auf möglichst harmonisierte Weise in Maßnahmen im Rahmen von Managementplänen und Gefahrenkarten münden.

3.2

Hochwasser sind Naturereignisse, die aus der natürlichen Dynamik der Fluss- und Küstengewässer resultieren, wobei die Zeitskala dieser Dynamik die der wirtschaftlichen, städtebaulichen usw. Planung üblicherweise zugrundegelegte Zeitskala weit überschreitet. In diesem Zusammenhang bedeutet die statistische Wiederkehrzeit,

dass ein Hochwasser mit einem Wiederkehrintervall von 100 oder 500 Jahren eine gegebene Fläche überschwemmen wird;

dass ein solches Hochwasserereignis auf jeden Fall eintreten wird;

dass ein solches Hochwasser jederzeit eintreten kann.

Die wasserwirtschaftliche Planung setzt u.a. an folgenden Konzepten an:

Das Flussbett eines dauernd fließenden oder periodisch trocken fallenden Flusses ist die Vertiefung in der Landoberfläche, die beim normalen Wasserhöchststand mit Wasser gefüllt ist.

Bei der Abgrenzung von Überschwemmungsgebieten wird der theoretische Wasserstand eines Hochwasserereignisses mit einem Wiederkehrintervall von 100 oder 500 Jahren zu Grunde gelegt. Die Eigentumsverhältnisse (öffentliches oder privates Land) bleiben davon unberührt, doch können die zuständigen Behörden Nutzungsbeschränkungen festlegen, um die Sicherheit der Personen und Güter zu gewährleisten.

Typische Merkmale der Überschwemmungsflächen sind im Allgemeinen Feuchtgebiete, Auwaldgesellschaften, sonstige Überschwemmungsauen, Schwemmfächer in Bergregionen, Salzwassersümpfe und weitere Aspekte (die häufig für wertvolle Ökosysteme relevant sind), die die Hochwassergrenzen veranschaulichen, wobei Hochwasserereignisse, wie bereits gesagt, natürlicher Bestandteil der Fluss- und Küstengewässerdynamik sind.

3.3

Die Schwere von Hochwasserschäden hängt von der Besiedlung und Flächennutzung in Überschwemmungsgebieten ab, die einen Eingriff in die normalen Funktionsabläufe der hydrologischen Systeme darstellen und eine wesentliche Veränderung der Umweltbedingungen in den Fluss- und Küstengebieten bewirken. Dadurch steigt die Gefahr einer Störung der natürlichen Funktionsabläufe und das Schadensrisiko für Menschen und Werte. Die Schwere von Hochwassern und Hochwasserschäden steigt offenbar aufgrund

einer zum Teil lang andauernden, unangemessenen Flächennutzung infolge der Missachtung wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse (was heute nicht mehr entschuldbar ist);

eines auf falschen Konzepten beruhenden Hochwassermanagements (Regulierung von Flussläufen, Ausbaggerung von Flussbetten, Anlage von Staustufen und -wehren, Abtrennung der Rückhalteräume durch Deiche nahe am Flusslauf), das sich häufig als unzureichend bzw. in der Gesamtbetrachtung vor allem im Unterlauf teilweise als kontraproduktiv erwiesen hat.

3.4

Die Zunahme der Hochwassergefahr infolge der sich ändernden natürlichen Voraussetzungen, insbesondere des Klimawandels, macht umfassende Forschungsanstrengungen in diesem Bereich erforderlich, um verstehen zu können, wie diese Veränderungen die Dynamik von Fluss- und Küstengewässern und damit u.a. auch die Überschwemmungsgebiete und die Wiederkehrintervalle beeinflussen können.

3.5

Die Zunahme der durch die Menschen verursachten Hochwassergefahr (Flächennutzung und Besiedlungsdichte) kann und muss durch aktive Planungsmaßnahmen im Hinblick auf eine NACHHALTIGE Nutzung der Überschwemmungsflächen und eine Verringerung der Schadensrisiken bekämpft werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA stimmt den Ausführungen der Kommission zu, dass es Ziel des Hochwassermanagements ist, die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkungen von Hochwasserereignissen durch Hochwasservorsorge-, -schutz- und Informationsmaßnahmen usw. zu verringern. Es ist jedoch angebracht, die in Frage kommenden Verfahrensweisen und Maßnahmen zu untergliedern und sinnvolle Auswahlkriterien festzulegen. Folgende Einteilung käme für Vermeidungsmaßnahmen in Frage:

Natürliche Hochwasserschutzmaßnahmen, z.B. Verbesserung oder Wiederherstellung der natürlichen Versickerung durch die Reduzierung der Bodenverdichtung oder die Sanierung von Bergwäldern; Wiedergewinnung von (ehemaligen) natürlichen Hochwasserrückhalteräumen, Bremsung der Fließgeschwindigkeit und der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Hochwasserwelle durch Rückbau von Gewässerbegradigungen, Verbesserung der Versickerung von Niederschlagswasser in Siedlungsgebieten;

Flächenmanagementmaßnahmen, die das Schadensrisiko in Überschwemmungsgebieten begrenzen (Hochwasservorhersage und -alarm, Flächennutzungsplanung und Flächennutzungsbeschränkungen in hochwassergefährdeten Gebieten usw.);

Technische Hochwassermaßnahmen (hydrologische und hydraulische Maßnahmen): bauliche Maßnahmen (Rückhaltebecken, Flussregulierung, Deiche usw.) und nichtbauliche Maßnahmen (Einschränkung der Besiedlung, Risikovorsorge usw.).

4.2

Der EWSA schlägt vor, die Managementpläne an folgenden Prinzipien und natürlichen Maßnahmen auszurichten:

Die Renaturierung von Fluss- und Küstengewässern durch die Wiederherstellung der Flächen und Elemente, die für die natürlichen Regulierungsmechanismen der Wassereinzugsgebiete wesentlich sind (Wiederaufforstung in betroffenen Berggebieten, Schutz von Feuchtgebieten und dort angesiedelten Ökosystemen, Überwachung von Erosion und Sedimentation in Flussläufen, Programme für alternative Flächennutzung und naturnahen Rückbau von extrem hochwassergefährdeten Flächen usw.);

die nachhaltige Entwicklung der Überschwemmungsgebiete durch

i.

die Schätzung des wirtschaftlichen Flächennutzungspotenzials im Einklang mit natürlichen Hochwasserzyklen;

ii.

die Integration dieser Modelle in die verschiedenen Planungsbereiche, insbesondere die Raumplanung.

In diesem Zusammenhang muss das Prinzip der „langfristigen strategischen Planung“ zum Tragen kommen, das heißt, die vorhergesagten Entwicklungen sollten nicht einfach nur berücksichtigt, wie es in der Mitteilung der Kommission formuliert wird, sondern grundlegend geändert werden, wenn davon auszugehen ist, dass die derzeitige Gefährdung bleibt oder steigt.

4.3

Für die Auswahl der geeigneten Maßnahmen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes sollten geeignete Leitlinien und Kriterien erstellt werden:

durch die Verbesserung des Hochwasserschutzes darf keine Verschlechterung der hydraulischen Situation an anderer Stelle erfolgen (z.B. durch eine Erhöhung des Abflusses, der Wasserstände oder durch eine Beschleunigung der Hochwasserwelle im Unterlauf);

soweit möglich sollen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung Maßnahmen zur Sanierung der Einzugsgebiete und naturnahe Maßnahmen für einen verstärkten, schadlosen Rückhalt des Hochwassers in der Fläche („Breitwasser statt Hochwasser“) vor der Errichtung von technischen Schutzanlagen bevorzugt werden;

nach Möglichkeit sollen Maßnahmen bevorzugt werden, die positive Synergie-Effekte mit anderen Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (z.B. Ziele der Wasser-Rahmen-Richtlinie zur Gewässerqualität und zum Grundwasser, Ziele der europäischen Naturschutzrichtlinien) erwarten lassen.

4.4

Die vor allem seit den 70er Jahren in verschiedenen Ländern gemachten Erfahrungen mit Hochwassermanagement veranschaulichen, dass die größten Schwierigkeiten für die Durchführung von Vorsorgemaßnahmen nicht technischer Art sind und Risikokartierungen bzw. Gefahrenkarten nicht ausreichen. In den USA beispielsweise hat das Army Corps of Engineers über 20 000 Gefahrenkarten hergestellt, doch bewirken sie, wenn sie überhaupt von Behörden berücksichtigt werden, höchstens bauliche Maßnahmen (Rückhaltebecken, Staustufen, Deiche usw.), die häufig nicht als Hochwasserschutz ausreichen, sodass umfangreiche vermeidbare Hochwasserschäden auftreten, die letztendlich darauf zurückzuführen sind, dass sich die Behörden und die Bevölkerung in falscher Sicherheit wiegen.

4.5

Es wäre hervorzuheben, dass in der EU genau diese Art technischer Hochwasserschutzmaßnahmen wie der Bau von Deichen und Dämmen, die keine absolute Sicherheit bieten, durch die Strukturfonds (EFRE und Kohäsionsfonds) finanziert werden. Für strukturelle und andere Vorsorgemaßnahmen werden im Allgemeinen weniger Mittel bereitgestellt. Daher sollte nach Ansicht des EWSA die Notwendigkeit erörtert werden, eine spezifische Haushaltslinie für dieses Aktionsprogramm einzurichten oder aber Leitlinien für die Berücksichtigung der Maßnahmen in anderen, von der Kommission finanzierten Programmen aufzustellen.

4.6

Diese Strukturmaßnahmen reichen jedenfalls nicht aus, um Hochwasser zu verhindern oder Überschwemmungsgebiete zu schützen. Sie sind nur sinnvoll als Teil eines übergeordneten Ansatzes, in dem auch die städtebauliche und verkehrstechnische (Straßen, Eisenbahnlinien usw.) Planung, die Erhaltung der Hochwasserabflusswege und der Erhalt und die Wiederherstellung von Retentionsräumen und Versickerungsflächen berücksichtigt werden. In diesem Sinne sollten die in dem Anhang der Mitteilung genannten Leitlinien konkreter ausformuliert und u.a. durch methodologische Grundsätze bzw. bewährte Verfahrensweisen hinsichtlich der Ausarbeitung dieser Pläne ergänzt werden.

4.7

Die Aufnahme von Hochwassermanagementplänen in die Managementpläne der Wasserrahmenrichtlinie ist wesentlich, um sicherzustellen, dass für das jeweilige gesamte Wassereinzugsgebiet die erforderlichen Planungsvoraussetzungen bestehen und die von den verschiedenen zuständigen Stellen (lokal, national, grenzüberschreitend usw.) durchzuführenden Maßnahmen und Aktionen aufeinander abgestimmt und koordiniert sind. Über entsprechende Kriterien und Bestimmungen ist sicherzustellen, dass diese beiden kompatiblen, aber unterschiedlichen Planungsrahmen angemessen integriert werden am besten über eine Richtlinie. Auch diese Aspekte sollten bei der vorgeschlagenen Weiterentwicklung der Leitlinien im Anhang ausführlich behandelt werden.

4.8

Die Einbeziehung des Hochwassermanagements in die WRRL stützt sich auf:

eine Definition des Begriffs „Hochwasser“ als normales Ereignis im Zuge der Fluss- und Küstengewässerdynamik, das sich in regelmäßigen Abständen auf außergewöhnliche Weise auf die Wasserqualität und die betroffenen Ökosysteme auswirkt;

eine Definition des Begriffs „Überschwemmungsgebiet“, die eng auf den territorialen Aspekt der Anwendung der WRRL abgestimmt ist (Flächennutzung, potenzielle Verschmutzung, von der Wasserqualität abhängige Ökosysteme usw.);

eine Definition des Hochwasserrisikos, die auf die von der WRRL erfassten Gewässergefährdungen und -schäden abgestimmt ist;

ein spezifisches Risikomanagement, das wasserwirtschaftliche Bereiche der WRRL betrifft (Verwendung des Wassers aus dem Einzugsgebiet, Kostenausgleich, Aktionspläne, Abgrenzung von Schutzgebieten).

4.9

Die wichtigsten Elemente des Hochwassermanagements in Verbindung mit den Planungsmaßnahmen im Rahmen der WRRL sind:

1.

Risikodefinition und -management:

hydrologische Aspekte, Wasserqualität und Ökosysteme;

verbundene geologische Aspekte, Erdrutsche, Schlamm- und Gerölllawinen;

Management und Renaturierung der öffentlichen Wasserläufe und Küstengewässer;

ökologische Kriterien für das Hochwassermanagement;

Raumplanungskriterien.

2.

Warnsysteme und Notfallpläne:

Gebietseinteilung;

Systeme für die Übermittlung hydrologischer Daten und systematische Hochwasservorsorge;

Zivilschutz;

gesetzliche Regelung all dieser Aspekte in den einzelnen Mitgliedstaaten;

Sensibilisierung der Öffentlichkeit;

Koordination zwischen den zuständigen Behörden.

3.

Weitere Aspekte:

sektorübergreifende Forschung und Koordinierung;

Risikovorsorge über Versicherungen;

Sicherheit baulicher Infrastrukturmaßnahmen.

5.   Schlussfolgerungen

5.1

Nach Ansicht des EWSA müssen sämtliche Hochwasservermeidungs-, Schutz- und Minderungsmaßnahmen eng auf die Methodik und die Instrumente der Wasserrahmenrichtlinie abgestimmt und insbesondere in die Bewirtschaftungspläne der Wassereinzugsgebiete integriert werden, über die alle Aspekte der Bewirtschaftung der zu dem jeweiligen Wassereinzugsgebiet gehörenden Süßwasserkörper und Küstengewässer geregelt werden können. Der Ausschuss hält daher eine Richtlinie für notwendig, die auf dem Inhalt der Kommissionsmitteilung und seiner Stellungnahme aufbaut und die Anpassung der Hochwassermanagementpläne an die Bewirtschaftungspläne der einzelnen Wassereinzugsgebiete und somit an die spezifischen Gegebenheiten unserer Flüsse und Küstengewässer erleichtert.

5.2

Im Hinblick auf eine wirksame Integration der Pläne ist es erforderlich,

die grundlegenden Begriffe, an denen die Maßnahmen ansetzen, genau zu definieren; siehe dazu insbesondere Ziffer 4.7 dieser Stellungnahme;

eine eingehende Untersuchung der derzeitigen Lage in den europäischen Wassereinzugs- und Küstengewässergebieten durchzuführen, insbesondere in denjenigen Gebieten, die infolge des Klimawandels und menschlichen Handelns besonders stark hochwassergefährdet sind;

konsequent Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung von Hochwasserschäden durchzuführen. Dies umfasst auch Maßnahmen zur Sensibilisierung und Information der Bevölkerung.

5.3

Die im Anhang der Mitteilung genannten Hochwasserrisikomanagementpläne und Hochwasserrisikokarten müssen insofern erweitert werden, als es einer klaren Kategorisierung der durchzuführenden Maßnahmen bedarf bzw. im Einklang mit den verfügbaren Mitteln eine Prioritätenrangfolge und Kriterien aufgestellt werden müssen, um bei möglichst niedrigen Kosten möglichst große Vorteile für die Bevölkerung und die betroffenen Werte zu erreichen. Vorrangiges Ziel ist es, die natürliche Dynamik der Fluss- und Küstengewässer mit der Entwicklung der menschlichen Tätigkeiten in Einklang zu bringen, das heißt, eine nachhaltige integrierte Entwicklung der Überschwemmungsflächen zu erreichen.

5.4

Die wichtigsten Aspekte des Hochwassermanagements, die im Zusammenhang mit den aus der WRRL abgeleiteten Planungsmaßnahmen stehen, sind die Definitionen des Risikos, der Alarmstufen und der Notsituationen, die bei einem Hochwasserereignis anzuwenden sind. Berücksichtigt werden sollten des Weiteren Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich der fachübergreifenden Forschung und Koordinierung, die spezifisch auf die Verminderung von Hochwasserschäden ausgerichtet sind, sowie die Schadensvorsorge in Form von Versicherungen, die die wirtschaftlichen Verluste der Betroffenen ausgleichen, und vor allem die Überwachung und Kontrolle der Sicherheit von Infrastrukturen, die sich auf Fluss- und Küstengewässer auswirken.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. L 327 vom 22.12.2000, S. 72.

(2)  Stellungnahme des EWSA zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung (KOM(2003) 550 endg.) - ABl. C 112 vom 30.4.2004, S. 40-43.

(3)  Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Liste prioritärer Stoffe im Bereich der Wasserpolitik (KOM(2000) 47 endg.); Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss: Die Preisgestaltung als politisches Instrument zur Förderung eines nachhaltigen Umgangs mit Wasserressourcen (KOM(2000) 477 endg.); Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt (KOM(2002) 539 endg.).

(4)  Quelle: KOM(2004) 472 endg.

(5)  Als interessantes Beispiel in diesem Zusammenhang erläuterte Sándor Tóth vom ungarischen Ministerium für Umwelt und Wasserwirtschaft der Fachgruppe NAT des EWSA das Programm für langfristiges Hochwassermanagement und regionale Entwicklung an der Theis (Tisza).


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik“

(KOM(2004) 489 endg. — 2004/0164 (CNS))

(2005/C 221/09)

Die Rat beschloss am 29. Oktober 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37(2) des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 13. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr KIENLE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 133 Ja- Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

Am 1. Januar 2005 begann die Umsetzung der tiefgreifenden Agrarreform. Kern dieser Reform ist die entkoppelte Betriebsprämie sowie eine stärkere Fokussierung auf die Entwicklung der ländlichen Räume. Die finanzielle Grundlage für die gemeinsame Agrarpolitik bildet der Beschluss der Staatschefs vom Oktober 2002, der eine Agrarausgabenobergrenze für die 1. Säule festlegt, die das tatsächliche Niveau von 2006 für die EU-25 bis 2013 nicht überschreiten darf. In der finanziellen Vorausschau der EU 2007-2013, die die gesamte Finanzierung der EU regelt, wird dieser Beschluss für den Agrarbereich akzeptiert. Die Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik einschließlich ländlicher Entwicklung (für die EU-27) sollen im Jahr 2007 so 57,18 Mrd. Euro betragen und bis zum Jahr 2013 um 1,1 Prozent ansteigen (in Preisen von 2004).

Gegenstand des vorliegenden Kommissionsentwurfs zur Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik ist aber nicht, wie der Titel vermuten lässt, die Herkunft und Verwendung der Mittel für die Gemeinsame Agrarpolitik. Vielmehr befasst sich der Entwurf mit der haushaltstechnischen Umsetzung der Förderung von Landwirtschaft und ländlichem Raum.

2.   Inhalt des Kommissionsvorschlages

Die Europäische Kommission will mit dem vorliegenden Entwurf die haushaltstechnische Grundlage für die Gemeinsame Agrarpolitik einschließlich der ländlichen Entwicklungspolitik der EU in den Jahren 2007-2013 schaffen. In einem einzigen Rechtsakt soll die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik geregelt werden. Der Vorschlag ist in Zusammenhang mit dem Verordnungsentwurf über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums zu sehen. Die Kommission strebt dabei eine Vereinfachung und eine größere Effizienz an. Dies soll durch ein strengeres Überwachungs-, Evaluierungs- und Berichterstattungssystem erreicht werden.

2.1   Gestaltung der Finanzierungs-Fonds

2.1.1   Bisher: Der Europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL)

Der bisher für die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik eingerichtete Europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) ist unterteilt in die Abteilung Garantie und die Abteilung Ausrichtung. Aus der Abteilung Garantie werden die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte (Direktzahlungen, Ausfuhrerstattungen, Interventionsankäufe), bestimmte Ausgaben im Veterinär- und Pflanzenschutzbereich sowie Maßnahmen zur Information und Bewertung der Gemeinsamen Agrarpolitik durchgeführt. Außerdem finanziert die Abteilung Garantie flächendeckend bestimmte Maßnahmen für den ländlichen Raum (Agrarumweltmaßnahmen, Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete, Aufforstung, Vorruhestand) sowie Investitionsmaßnahmen in Nicht-Ziel-1-Gebieten.

Die Abteilung Ausrichtung finanziert die sonstigen investiven Ausgaben für die ländliche Entwicklung, die nicht vom EAGFL, Abteilung Garantie, übernommen werden, also Maßnahmen in Ziel-1-Gebieten und die Leader +-Initiative.

2.1.2   Grundsätze der künftigen Fonds für die Gemeinsame Agrarpolitik

Die neuen Fonds sollen in ihrer Struktur dem EAGFL ähneln. Die Verwaltung der Fonds erfolgt durch einen Ausschuss, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission zusammensetzt (Artikel 41, Fondsausschuss). Alle aus den neuen Fonds finanzierten Maßnahmen sollen nun dem Rechnungsabschlussverfahren unterworfen werden. Bisher war dies nur bei den Maßnahmen der Abteilung Garantie der Fall. Die Überprüfung der Maßnahmen, die aus der Abteilung Ausrichtung finanziert wurden, erfolgte bisher im Rahmen der mehrjährigen Förderprogramme (nach der Strukturfondsverordnung 1260/1999).

2.1.3   Der neue Europäische Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL)

Der EGFL ähnelt der bestehenden Abteilung Garantie des gemeinsamen Agrarfonds (EAGFL) und soll wie bisher u.a. Maßnahmen der Intervention, Exporterstattung, Direktzahlungen, Informations- und Absatzförderung finanzieren. Die bisherigen Fördermaßnahmen zur ländlichen Entwicklung werden nicht mehr aus dem EGFL getätigt. Hierfür ist künftig der EFLL zuständig.

2.1.4   Der neue Europäische Fonds für Landwirtschaft und Landentwicklung (EFLL)

Aus dem neuen Fonds EFLL sollen künftig alle Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung finanziert und somit die Finanzierung der zweiten Säule vereinfacht werden. Der Fonds soll die Mittel aus dem EAGFL Ausrichtung und die Mittel für ländliche Entwicklung aus dem EAGFL Garantie zusammenfassen. Mit den Modulationsmitteln aus der 1. Säule, die sich aus den Kürzungssätzen nach der Verordnung (EG) 1782/2003, Artikel 10, ergeben, sollen nach den Vorstellungen der EU-Kommission so im Jahre 2013 die Haushaltsmittel für die ländliche Entwicklung insgesamt 14,2 Mrd. EUR betragen (für die EU-27, auf Preisbasis 2004).

2.2   Abwicklung der Zahlungen und Kontrolle

2.2.1   Zahlstellen

Für die Abwicklung sind entsprechend dem Vorschlag der Kommission weiterhin Zahlstellen zuständig, die von den Mitgliedstaaten errichtet werden. Bei den Zahlstellen handelt es sich um zugelassene Dienststellen oder Einrichtungen der Mitgliedstaaten, die die Aufgabe haben, die Zulässigkeit der Anträge zu prüfen, die geleisteten Zahlungen zu erfassen und die notwendigen Unterlagen bei der Kommission vorzulegen.

2.2.2   Zahlungsweise und Mittelbindung

Die Zahlungen aus dem EGFL sollen monatlich erfolgen, die Zahlungen aus dem EFLL vierteljährlich. Nach dem Verordnungsentwurf erfolgt die Mittelbindung beim EFLL nach Programmen getrennt und für mehrere Jahre, unterteilt in Jahrestranchen. Dabei gilt die Regel „n+2“ sowie eine automatische Aufhebung der Mittelbindung nach dieser Zeit. Die „n+2“-Regel bedeutet, dass die im Rahmen eines Programms bereitgestellten Mittel vor Ende des zweiten auf die Bereitstellung folgenden Jahres („n“ = Jahr der Bereitstellung) ausgegeben sein müssen.

2.2.3   Übermittlung von Informationen an die Kommission

Die Mitgliedstaaten sollen der Kommission die Ausgabenerklärungen und nach Ablauf des Haushaltsjahres die Jahresrechnungen übermitteln sowie eine Bescheinigung über die Vollständigkeit, Genauigkeit und sachliche Richtigkeit der übermittelten Rechnungen. Neu hinzu kommen soll eine Zuverlässigkeitserklärung des Zahlstellenleiters. Für die Ausgaben des EFLL muss die Zahlstelle zudem nach dem Vorschlag der Kommission nach Programmen getrennte Jahresrechnungen erstellen.

2.2.4   Rechnungs- und Konformitätsabschluss und Finanzbericht

Nach dem Verordnungsvorschlag schließt die Kommission vor dem 30. April die Rechnungen der Zahlstellen ab. Die Rechnungsabschlussentscheidung bezieht sich auf die Vollständigkeit, Genauigkeit und sachliche Richtigkeit der übermittelten Rechnungen. Analog zur bisherigen Vorgehensweise soll die Kommission prüfen, ob und welche Beträge von der gemeinschaftlichen Finanzierung auszuschließen sind (Konformitätsabschluss). Neu sind die von 24 auf 36 Monate verlängerten Fristen für eine finanzielle Berichtigung. Die Kommission soll dem Europäischen Parlament und dem Rat jährlich vor dem 1. September (bisher: 1. Juli) einen Finanzbericht über die Verwaltung der Fonds vorlegen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Für Gesellschaft muss Förderung akzeptabel und nachvollziehbar sein

Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass die Finanzmittel für die Gemeinsame Agrarpolitik einen erheblichen — wenn auch im Zeitablauf relativ abnehmenden — Anteil am Gesamthaushalt der EU ausmachen. Umso mehr hält es der EWSA für unabdingbar, dass die Förderung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume für die Gesellschaft nachvollziehbar und akzeptabel ist. Dazu müssen nach Ansicht des EWSA zwei Vorraussetzungen erfüllt sein:

Die Zahlungen müssen bei den Endbegünstigten möglichst ungeschmälert ankommen.

Durch eine wirksame Kontrolle muss Missbrauch vorgebeugt werden.

3.2   Innovative Ansätze für einfachere Abwicklung

Der EWSA sieht in dem vorliegenden Verordnungsentwurf durchaus verschiedene innovative Ansätze einer besseren haushaltstechnischen Abwicklung und Vereinfachung. Die Umsetzung über eine Schaffung von zwei Fonds mit klarer inhaltlicher Trennung ist nach Ansicht des EWSA richtig und sinnvoll. Durch die Verordnung werden deutliche Fortschritte in der Vereinfachung erzielt. In einer einzigen Rechtsgrundlage wird die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik geregelt. Anstatt der bislang zwei Kontrollsysteme wird ein Kontrollsystem eingeführt. Die verschiedenen Finanzmanagementsysteme für Maßnahmen der ländlichen Entwicklung werden vereinheitlicht. Ein zweites Finanzmanagementsystem für Maßnahmen des EGFL bleibt aber bestehen. Der Verordnungsentwurf über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums reduziert daneben die 5 Programmplanungssysteme auf ein einziges Programmplanungssystem und verringert die Zahl der Programme. Der EWSA anerkennt diese Vereinfachungen, die insbesondere für die Brüsseler Administration spürbar werden.

3.3   Vereinfachung muss von begünstigten spürbar wahrgenommen werden

Eine Vereinfachung sollte jedoch nach Ansicht des EWSA unbedingt auf allen Ebenen spürbar sein. Sowohl EU als auch Mitgliedstaat und Endbegünstigte müssen davon profitieren. Besonders wichtig ist für den EWSA, dass eine Vereinfachung der bürokratischen Abläufe am Ende der Verwaltungskette, bei den Landwirten, ankommt. Die derzeitige Situation der europäischen Landwirte ist durch ein hohes Maß an Bürokratie geprägt, einhergehend mit häufiger Verzögerung der Auszahlung von Beihilfen. In extremer Weise war dies zum Beispiel bei SAPARD (Vorbeitrittshilfe für die Landwirtschaft und die ländlichen Räume in den Beitrittsländern) der Fall, was jüngst auch der Europäische Gerichtshof kritisiert hat. Das Risiko ist aber sehr gering, dass zu Unrecht an Landwirte ausgezahlte Beträge nicht wieder eingezogen werden können. Deshalb hält der EWSA es für dringend geboten, bei den Endbegünstigten eine rasche und möglichst unkomplizierte Förderung zu erzielen.

3.4   Verwaltungsaufwand kann gesenkt werden

Das angestrebte Ziel einer Vereinfachung wird zwar für die Kommission, nicht aber für die Mitgliedstaaten in ausreichendem Maß erreicht. Teile der Verordnung wirken sogar dem Ziel der Vereinfachung entgegen und erhöhen den Verwaltungsaufwand. Der EWSA bedauert, dass die Zahlstellen durch die unterschiedliche Zahlungsweise und Mittelbindung weiterhin zwei Finanzmanagementsysteme führen müssen. Unbedingt sollte deshalb darauf geachtet werden, dass diese beiden Systeme „stromlinienförmig“ sind, um den Aufwand so gering wie möglich zu halten. Insofern sind weitere Anpassungen insbesondere bei der Verordnung über die Förderung des ländlichen Raums erforderlich. Die Bereitstellung zusätzlicher Unterlagen stellt einen zusätzlichen Aufwand für die Mitgliedstaaten dar.

3.5   Mitgliedstaaten sind stärker gefordert

Für die Mitgliedstaaten ergibt sich durch den vorliegenden Kommissionsvorschlag eine erhöhte finanzielle Mitverantwortung aufgrund des verlängerten Anlastungszeitraums und verschärfter Verfristungsregelungen sowie der Wiedereinziehung von Mitteln durch die Kommission. Der EWSA begrüßt grundsätzlich, dass durch die Regelung der Wiedereinziehung von Mitteln eine Haftung für ausgezahlte Fördermittel nicht alleine bei der EU, sondern auch bei den Mitgliedstaaten liegt. Im Sinne einer effizienten und transparenten Mittelverwendung müssen zu Unrecht bezahlte Mittel wiedereingezogen werden können, auch nach einer längeren Zeit. In Kenntnis der Kritik vieler Mitgliedstaaten an der erhöhten Mitverantwortung wird der EWSA sehr genau darauf achten, dass diese Mitgliedstaaten nicht das Interesse an den Programmen — zu Lasten der potenziell Endbegünstigten — verlieren. Mehr Disziplin der Mitgliedstaaten wird auch mit der strengeren Frist der Auszahlung (Verfristung) angestrebt. Der EWSA begrüßt eine Begrenzung der Auszahlung, hält aber eine derart enge zeitliche Begrenzung für überzogen und fordert deshalb die Kommission auf, die vorgesehenen Fristen nochmals zu überdenken.

3.6   „Meta-Förderung“ sollte Ausnahme bleiben

Der EWSA gibt zu bedenken, dass durch die Ausdehnung der technischen Hilfe Mittel für den eigentlichen Zweck der Fonds, die Förderung von Landwirtschaft und Landentwicklung, abgezogen werden. Eine solche „Meta-Förderung“, d.h. die Förderung der Institutionen und Strukturen, welche die eigentliche Förderung durchführen sollen, sollte nicht überhand nehmen. Vielmehr muss sie auf echte Notwendigkeiten beschränkt bleiben. Dabei kritisiert der EWSA besonders die Förderung des Aufbaus oder Ausbaus von Verwaltungs- und Kontrollstrukturen eines Mitgliedstaats durch die Gemeinschaft. Dies ist unzweifelhaft eine Pflicht der Mitgliedstaaten. Der EWSA schlägt vor, eine derartige Ausdehnung der Technischen Hilfe nur in wenigen Ausnahmefällen und zeitlich begrenzt durchzuführen. Der EWSA fordert in diesem Fall eine Berichterstattung durch die Kommission, um eine derartige Förderung streng im Auge behalten zu können.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Benennung des Fonds für Landwirtschaft und Landentwicklung (EFLL)

Der neue Europäische Fonds für Landwirtschaft und Landentwicklung EFLL trägt in der Verordnung über die Förderung des ländlichen Raums den Namen Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Der EWSA bittet, diese unterschiedliche Bezeichnung zu vermeiden und eine einheitliche Benennung des Fonds in den Verordnungstexten vorzunehmen.

4.2   Verwaltungsaufwand

4.2.1   Ausweitung des Bescheinigungsverfahrens (Artikel 7)

Zusätzlicher Verwaltungsaufwand entsteht durch die Ausweitung des Bescheinigungsverfahrens auf die Begleitsysteme (Artikel 7). Bisher überprüfte die bescheinigende Stelle Vollständigkeit, Genauigkeit und sachliche Richtigkeit der an die Kommission übermittelten Jahresrechnungen. Jetzt muss die bescheinigende Stelle die „Verwaltungs-, Begleitungs- und Kontrollsysteme der zugelassenen Zahlstellen sowie deren Jahresrechnungen“ bescheinigen. Der EWSA fordert die Klärung der Notwendigkeit einer solchen Bescheinigung. Ziel sollte es sein, die Arbeit der bescheinigenden Stellen einheitlich auf die Bezeugung der getätigten Ausgaben der Zahlstellen zu konzentrieren.

4.2.2   Gestaltung der Jahresrechnungen (Artikel 8)

Für die Zahlungen aus dem neuen Fonds für Landwirtschaft und Landentwicklung EFLL müssen Jahresrechnungen erstellt werden, aber das Finanzierungssystem (Mittelbindung, Vorschüsse, Zwischenzahlungen, Restzahlungen) ist auf die Programmlaufzeit insgesamt ausgerichtet. Der EWSA befürchtet, dass die Zahlstellen sowohl in der Jahresrechnung als auch im Gesamtabschluss eines Programms ihre Ausgaben angeben müssen, damit also ein erhöhter Aufwand erforderlich ist. Die Jahresabschlüsse müssen jeweils akzeptiert werden.

Die Zahlstellen müssen außerdem getrennte Jahresrechnungen für die Ausgaben der einzelnen Programme des EFLL übermitteln. Auch die bescheinigenden Stellen, die bisher im Rahmen der Jahresrechnung Berichte geliefert haben, müssen dann für getrennte Jahresberichte diese Berichte erstellen. Der EWSA bedauert, dass eine weitere Vereinfachung nicht von der Kommission erreicht wurde, hält den Aufwand aber für vertretbar.

4.2.3   Zusätzliche Unterlagen (Artikel 8)

Zusätzlich zur Jahresrechnung muss eine Zuverlässigkeitserklärung des Zahlstellenleiters vorgelegt werden. Der EWSA sieht hierzu keine Notwendigkeit. Es besteht bereits ein Kontrollsystem aufgrund der Ausgestaltung der Zahlstellen und der bescheinigenden Stellen. Nach Ansicht des EWSA würde es auch genügen, wenn der Zahlstellenleiter die Richtigkeit der Angaben bestätigt.

4.3   Finanzierung

4.3.1   Ausdehnung der Finanzierung der technischen Hilfe (Artikel 5)

Die Finanzierung der technischen Hilfe soll ausgedehnt werden auf die Analyse, Verwaltung, Begleitung und Durchführung der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie den Aufbau von Kontrollsystemen und technischer und administrativer Hilfe. Neu hinzu kommt auch die Finanzierung von Exekutivagenturen nach VO (EG) Nr. 58/2003 und die Finanzierung von Verbreitungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit und des Erfahrungsaustausches auf Ebene der Gemeinschaft im Rahmen der Landentwicklung (einschließlich Vernetzung der Akteure). Dies soll im Rahmen der zentralen Mittelverwaltung abgewickelt werden. Der EWSA sieht die Unterstützung der Verwaltung eines Mitgliedstaats über die Gemeinschaft äußerst kritisch.

Die Förderung der Vernetzung ist dagegen sinnvollerweise bei der Kommission angesiedelt.

4.3.2   Wiedereinziehung von Beträgen (Artikel 32, Artikel 33, Artikel 35)

Die Beteiligung der Mitgliedstaaten an den finanziellen Auswirkungen der Nichtwiedereinziehung wird verschärft. Die Kommission kann nach dem Vorschlag die wiedereinzuziehenden Beträge dem Mitgliedstaat anlasten, wenn er nicht alle möglichen verwaltungsrechtlichen oder gerichtlichen Verfahren zur Wiedereinziehung eingeleitet hat (für Zahlungen aus dem EFGL: im Jahr nach der ersten amtlichen oder gerichtlichen Feststellung). Dies ist bisher nicht möglich. Bei einer nicht erfolgreichen Wiedereinziehung innerhalb von 4 Jahren (wenn die Wiedereinziehung Gegenstand eines einzelstaatlichen Gerichtsverfahrens ist: 6 Jahre), trägt der Mitgliedstaat 50 % der finanziellen Konsequenzen. Bisher trägt allein die Gemeinschaft die finanziellen Folgen. Der EWSA begrüßt generell die Tatsache, dass nicht die Kommission alleine, sondern auch die Mitgliedstaaten für Zahlungen Verantwortung übernehmen. Dadurch könnte bewirkt werden, dass Mitgliedstaaten ihre Förderstrukturen und deren Kontrolle sorgfältiger ausgestalten. Eine erhöhte finanzielle Mitverantwortung darf aber nicht dazu führen, dass die Mitgliedstaaten das Interesse an den Programmen verlieren. Vor dem Hintergrund, dass die Verfahrensdauer 4 bzw. 6 Jahre überschreiten kann, schlägt der EWSA vor, die Zeiträume und Prozentsätze der Beteiligung der Mitgliedstaaten zu überdenken.

4.3.3   Begrenzung der Vorschuss-Zahlung auf 7 % (Artikel 25)

Nach Artikel 25 wird der Vorschuss, den die Kommission nach Genehmigung eines Landentwicklungsprogramms an die vom Mitgliedstaat benannte Zahlstelle zahlt, auf 7 % der Beteiligung des EFLL begrenzt. Der EWSA hält diese Beschränkung für hinnehmbar, da bereits solche Beschränkungen existieren und ein Nachteil für die Liquidität der Zahlstellen nicht zu befürchten ist.

4.4   Verfristung (Artikel 16)

Nach Artikel 16 ist eine definitive zeitliche Begrenzung der verzögerten Auszahlung durch Mitgliedstaaten auf den 15. Oktober des betreffenden Haushaltsjahres vorgesehen. In gewissem Maße sind Nachzahlungen nicht zu vermeiden (z.B. Gerichtsurteile). Insbesondere durch die Umstellung auf das neue System der (entkoppelten) Betriebsprämie benötigen die Verwaltungen einen größeren zeitlichen Spielraum. Der EWSA hält deshalb den 15. Oktober für ungünstig.

4.5   Frist zur Ablehnung der Finanzierung (Artikel 31)

Nach Artikel 31 (Konformitätsabschluss) kann die Kommission die Finanzierung unter bestimmten Voraussetzungen (keine Übereinstimmung mit den Gemeinschaftsvorschriften, Bemühen um Einvernehmen mit dem Mitgliedstaat) ablehnen. Dies gilt nicht für Ausgaben, die über 36 Monate vor dem Zeitpunkt getätigt wurden, zu dem die Kommission dem betroffenen Mitgliedstaat die Ergebnisse der Überprüfung schriftlich mitgeteilt hat. Diese „Verjährungsfrist“ beträgt bisher 24 Monate. Die Änderung erweitert die Möglichkeiten der Kommission, Zahlungen ohne Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht zu vermeiden. Einen gewissen Zeitdruck zur Überprüfung einer solchen Rechtmäßigkeit, wie er bei der bisherigen Regelung besteht, hält der EWSA aber für sinnvoll. Auch dient ein frühzeitiges Einschreiten der EU der Prävention und diszipliniert die Mitgliedstaaten

4.6   Kürzung der Zahlungen durch die Kommission (Artikel 17)

Die Kommission schafft sich in Artikel 17 die Option, die monatlichen Zahlungen an die Mitgliedstaaten zu kürzen oder auszusetzen. Neben der Möglichkeit der Kommission, im Rahmen des Rechnungsabschlusses Zahlungen zurückzufordern bzw. nicht zu tätigen, wird nun die Möglichkeit einer zeitnahen Kürzung von Zuschüssen bei offenbar missbräuchlicher Verwendung von Gemeinschaftsmitteln geschaffen. Ein derartiges Vorgehen wird bisher schon praktiziert. Eine entsprechende rechtliche Grundlage ist nach Ansicht des EWSA zu unterstützen.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2759/75, der Verordnung (EWG) Nr. 2771/75, der Verordnung (EWG) Nr. 2777/75, der Verordnung (EG) Nr. 1254/1999, der Verordnung (EG) Nr. 1255/1999 und der Verordnung (EG) Nr. 2529/2001 hinsichtlich der besonderen Marktstützungsmassnahmen“

(KOM(2004) 712 endg. — 2004/0254 (CNS))

(2005/C 221/10)

Der Rat beschloss am 3. Dezember 2004 gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 13. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr Leif E. NIELSEN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 135 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Hintergrund

1.1

Der Ausbruch schwerer infektiöser Tierseuchen, darunter Rinderwahnsinn (BSE), Maul- und Klauenseuche (MKS), Schweinepest (KSP) und Newcastle-Krankheit (ND) hat in der EU auf dem Markt für tierische Erzeugnisse wiederholt zu Krisen geführt. Brechen derartige Epizootien aus, erfolgen die Schlachtung der Tiere sowie Handelsbeschränkungen u.ä., wodurch die weitere Ausbreitung gestoppt werden soll. In der Regel trägt der Veterinärfonds die Kosten für die Bekämpfung mit 50 % der von den Mitgliedstaaten getragenen Aufwendungen.

1.2

Hinzu kommt, dass die Marktsituation für die betroffenen Erzeugnisse erschwert wird, unter anderem infolge des Verkaufsverbotes und aufgrund der Sperrgebiete. Die Marktorganisationen für Schweinefleisch, Eier, Geflügelfleisch, Rindfleisch, Milch und Milcherzeugnisse sowie für Schafs- und Ziegenfleisch sehen deshalb in diesen Situationen die Möglichkeiten zur Markstützung vor. Eine entscheidende Voraussetzung für die Anwendung dieser Sondermaßnahmen ist, dass die betroffenen Mitgliedstaaten die notwendigen Veterinärmaßnahmen zur Eindämmung der Epizootien veranlasst haben. Die Marktstützungsmaßnahmen werden außerdem nur in dem Umfang und für den Zeitraum ergriffen, die zur Stützung des betreffenden Marktes unbedingt notwendig sind.

1.3

Die jeweiligen Sondermaßnahmen, die von der Kommission im Wege des Ausschussverfahrens angenommen werden, wurden ursprünglich mit voller Gemeinschaftsfinanzierung durchgeführt, beispielsweise für KSP gegen Ende der 80er und zu Anfang der 90er Jahre. Im Jahre 1992 wurde im Zusammenhang mit KSP erstmalig eine mitgliedstaatliche Mitfinanzierung angewendet. Da Unklarheit über ihren Umfang herrschte, unternahm die Kommission 1994 eine Präzisierung in Verbindung mit der Gemeinschaftsfinanzierung von 70 Prozent für eine maximale Anzahl Tiere. Später wurde derselbe Satz im Rindfleischsektor bei der Bekämpfung von BSE und MKS verwendet. Seit 2001 liegt die mitgliedstaatliche Mitfinanzierung bei 50 Prozent, was auf die Forderung des Rechnungshofes nach einem Parallelismus zwischen der Mitfinanzierung bei den Veterinärmaßnahmen und der Mitfinanzierung bei Marktmaßnahmen zurückgeht.

1.4

Der Europäische Gerichtshof entschied 2003, dass die Kommission keine Rechtsgrundlage zur Festsetzung der nationalen Mitfinanzierung auf 30 Prozent habe; das Urteil erging aufgrund einer Klage Deutschlands vor dem Gerichtshof in einer Rechtssache über die Ankaufsregelung für Rinder in Verbindung mit BSE (1). Demzufolge hat die Kommission keine Rechtsgrundlage zur Fortsetzung der bisherigen Praxis. Deshalb wird vorgeschlagen, dass künftig eine nationale Mitfinanzierung von 50 Prozent durch eine Präzisierung der Marktorganisationen tierischer Erzeugnisse für Schweinefleisch, Eier, Geflügelfleisch, Rindfleisch, Milch sowie Schafs- und Ziegenfleisch erfolgt, sowie für Maßnahmen mit Bezug auf den Binnenmarkt und den Absatz auf Drittlandsmärkten.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Es ist bedauerlich, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten seit 1992 von dem bislang geltenden allgemeinen Prinzip der vollen Gemeinschaftsfinanzierung für Maßnahmen, die unter den sog. „ersten Pfeiler“ fallen, in der gemeinsamen Agrarpolitik abweichen — auch bei Maßnahmen, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisationen durchgeführt werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Rat bei Annahme des aktuellen Vorschlags von diesem Prinzip, das er selbst eingeführt hat, abweichen kann. Die Kommission jedoch kann aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in dieser Sache nicht ohne ausdrückliche Bevollmächtigung von den Beschlüssen des Rats abweichen, sogar wenn sie unter Mitwirkung der Mitgliedstaaten in den zuständigen Verwaltungsausschüssen handelt.

2.2

Je nach Umfang und Dauer der Epizootien können die jeweiligen Maßnahmen beachtliche Aufwendungen nach sich ziehen, die überwiegend durch öffentliche Mittel gedeckt werden müssen. Die Frage der Kostenverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ist eng mit der Frage der finanziellen Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten verknüpft. Bei einer nationalen Mitfinanzierung dürften einige Mitgliedstaaten eine größere Bereitschaft erkennen lassen bzw. über bessere Möglichkeiten zur Deckung dieser Ausgaben verfügen als andere. Einige Mitgliedstaaten dürften die Kosten direkt oder indirekt an die Unternehmen weitergeben, was, wie bei der BSE-Krise ersichtlich wurde, beträchtliche Wettbewerbsverzerrungen zur Folge haben kann.

2.3

Der Kommission zufolge werden die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung und der Vorbeugung der Tierseuchen ein stärkeres Engagement erkennen lassen, wenn sie Mitfinanzierer sind. Obwohl der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss diesem Argument folgen kann, ist nicht auszuschließen, dass die Forderung zuweilen die Beschlussfassung verzögern oder erschweren wird — effektive Bekämpfungsmaßnahmen würden dadurch unterlaufen.

2.4

Auch für die Sichtweise der Kommission, wonach der Vorschlag einer Weiterführung der seit 1992 bestehenden Praxis gleichkomme und der Parallelismus zwischen Maßnahmen des Veterinärfonds und Maßnahmen der Marktorganisationen sichergestellt werde, zeigt der EWSA Verständnis.

2.5

Gleichwohl vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass die Kosten für die Sondermaßnahmen im Rahmen der Marktorganisationen, die ursprünglich vom Rat festgelegt wurden, unter dem Aspekt der gemeinsamen Verantwortung und der finanziellen Solidarität zu sehen sind. Ein Verstoß gegen dieses Prinzip würde nach Einschätzung des EWSA das Risiko bergen, dass für die Bekämpfung von Epizootien in den Mitgliedstaaten divergierende Vorgehensweisen gewählt würden; trotz wirksamer Kontrolle und Seuchenprophylaxe können Epizootien zufällig und unvorhersehbar ausbrechen. Von ihren Auswirkungen auf den Markt wären dann allerdings auch die anderen Mitgliedstaaten betroffen. Außerdem birgt die nationale Mitfinanzierung in diesem Bereich das Risiko einer Erosion für andere Gebiete mit der Gefahr der weiteren Renationalisierung der gemeinsamen Agrarpolitik.

2.6

Sollte der Kommissionsvorschlag dessen ungeachtet Rückhalt finden, wäre es verwaltungstechnisch belastend und sachlich ungerechtfertigt, wenn der finanzielle Beitrag im Rahmen dieser Regelung unter die Vertragsbestimmungen über staatliche Beihilfen fiele. Der Vorschlag der Kommission über eine Entbindung vom Notifizierungsverfahren hätte somit bereits von Anfang an gelten sollen.

3.   Schlussfolgerung

3.1

Der EWSA spricht sich für die Anwendung des Prinzips der uneingeschränkten Gemeinschaftssolidarität bei Sondermaßnahmen im Rahmen der Marktorganisationen aus. Deshalb lehnt der Ausschuss den Vorschlag der Kommission einer 50 %igen Mitfinanzierung durch die Mitgliedstaaten ab.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Urteil vom 30. September 2003 in der Rechtssache C-239/01, Sammlung der Rechtsprechung 2003 S. I-10333.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Peking +10: Bewertung der erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der Gleichstellung von Mann und Frau in Europa und in den Entwicklungsländern“

(2005/C 221/11)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Dezember 2004, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Peking +10: Bewertung der erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der Gleichstellung von Mann und Frau in Europa und in den Entwicklungsländern“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 12. Januar 2005 an. Berichterstatterin war Frau FLORIO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 135 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen (FRK) wird auf ihrer 49. Tagung vom 28. Februar bis 11. März 2005 eine Bewertung der Umsetzung der auf der Vierten Weltfrauenkonferenz (1995 in Peking) verabschiedeten Aktionsplattform und Erklärung von Peking sowie der Abschlussdokumente der 23. Sondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen „Frauen 2000 — Gleichstellung der Geschlechter, Entwicklung und Frieden für das 21. Jahrhundert“ (New York 2000), auf der eine erste Überprüfung der Fortschritte und Schwierigkeiten auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern erfolgte, vornehmen.

1.2

Auf der genannten Sondertagung verabschiedete die Generalversammlung eine Resolution über weitere Maßnahmen und Initiativen zur Umsetzung der Erklärung von Peking und der Aktionsplattform sowie eine Politische Erklärung, in der sich die Mitgliedstaaten zu einem Folgetreffen mit allen Beteiligten zehn Jahre nach Annahme der Plattform verpflichteten, um dann die Fortschritte zu bewerten und neue Aktionen zu prüfen.

1.3

Wie im Mehrjahresprogramm der FRK vorgesehen, wird man sich auf der 49. Tagung auf die Fortschritte, die in den zwölf in der Aktionsplattform genannten Krisenbereichen erzielt worden sind, sowie auf die Ermittlung aktueller Herausforderungen und neuer Strategien im Bereich der Frauenförderung und des „Empowerment“ von Frauen und Mädchen konzentrieren. Aus diesem Anlass und zur Förderung des Dialogs wird die Sitzung einer möglichst umfassenden Beteiligung von Delegationen der Mitgliedstaaten, der Zivilgesellschaft und internationaler Organisationen offen stehen.

1.4

Der Einsatz der Vereinten Nationen ist von grundlegender Bedeutung dafür gewesen, dass der Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau auf internationaler Ebene Bedeutung zugemessen wurde: 1975 fand in Mexiko-Stadt die erste Weltfrauenkonferenz statt, auf der das Jahrzehnt der Frauen ausgerufen wurde. Auf der zweiten Weltfrauenkonferenz 1980 in Kopenhagen (zur Halbzeit) begannen die Staaten (insgesamt 57) mit der Unterzeichnung des „Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW) von 1979, das als ein Meilenstein auf dem steinigen Weg zur Gleichstellung der Geschlechter gilt. Auf der dritten Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi wurde der Aktionsplan zu den „Zukunftsstrategien zur Förderung der Frau“ angenommen, mit dem Regierungen und internationale Organisationen das Ziel der Gleichstellung proklamierten.

1.5

Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der besonderen Bedürfnisse von Frauen und der Rolle der Frauen stellt die Resolution 1325 (2000) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mit dem Titel „Frauen und Frieden und Sicherheit“ dar. Darin wird anerkannt, dass Frauen in ganz spezifischer, anderer Art und Weise als Männer von bewaffneten Konflikten betroffen sind, und erneut betont, dass ihre Mitwirkung an den Entscheidungen im Hinblick auf Konfliktverhütung und -beilegung verstärkt werden muss. Im Allgemeinen ist die Frage der Frauenförderung seit nunmehr über einem Jahrzehnt fester Bestandteil der Schlussfolgerungen aller großen, von den VN geförderten internationalen Konferenzen und Gipfeltreffen (1).

1.6

Die nächste wichtige Etappe stellte der im September 2000 veranstaltete Millenniums-Gipfel der Vereinten Nationen dar, auf dem die Mitgliedstaaten acht eindeutige und quantifizierbare Ziele zur maßgeblichen Bekämpfung von Armut, Hunger, Krankheit und Umweltverschmutzung bis zum Jahr 2015 („Millenniums-Entwicklungsziele“) aufgestellt haben. Die Millenniums-Erklärung ist auch auf die Notwendigkeit zurückzuführen, die auf den internationalen Konferenzen und Gipfeltreffen im Laufe des vorausgegangenen Jahrzehnts hervorgehobenen Ziele in Rahmen einer einheitlichen Prioritätenliste zu ordnen. Das dritte Ziel bezieht sich auf die Gleichstellung der Geschlechter sowie das „Empowerment“ von Frauen und ist eng verbunden mit dem Thema Bildung und Ausbildung, wohingegen sich das fünfte Ziel auf die Verbesserung der Gesundheit der Mütter bezieht. Die Geschlechterperspektive ist jedenfalls ein in allen acht Zielen berücksichtigtes Querschnittsthema.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Wenngleich vom internationalen System der VN ein Rechtsrahmen geschaffen worden ist, der für die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter von großer Bedeutung ist, so ist doch mitunter eine Diskrepanz zwischen den schriftlichen Absichtserklärungen auf der einen Seite und der praktischen Umsetzung der Grundsätze in den Staaten selbst sowie im Rahmen ihrer Handels- und Entwicklungspolitik auf der anderen Seite festzustellen. Die vollinhaltliche Durchsetzung der bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechte der Frau wird in der Tat häufig durch makroökonomische Maßnahmen sowie von Handelsabkommen im Geiste des Neoliberalismus, welche die Geschlechterfrage völlig unberücksichtigt lassen, bedroht.

2.2

Ferner steht außer Zweifel, dass die komplizierte internationale Lage keinen günstigen Nährboden für den Prozess der Frauenförderung bietet. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die in den vergangenen Jahren erzielten Erfolge nach und nach ausgehöhlt werden.

2.3

Die Rolle der Frau wird durch die gegenwärtigen Konflikte zusehends geschwächt, und ihre Lebensumstände gestalten sich immer schwieriger.

2.4

Häusliche Gewalt ist ein nach wie vor weltweit anzutreffendes Phänomen, von dem Frauen aller Altersgruppen, Bevölkerungsschichten und Glaubensrichtungen betroffen sind.

2.5

Die Gleichstellung der Geschlechter und der Schutz der Rechte von Frauen muss deshalb als vorrangiges Ziel und als Mittel zur Realisierung einer ausgewogenen Entwicklung, einer gerechteren Verteilung des Wohlstands, im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung und zur Stärkung der Schutzsysteme für die sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen bekräftigt werden.

3.   Die Rolle des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

3.1

Es ist von großer Bedeutung, dass der EWSA mit einem eigenen Dokument zur Bewertung der von der Europäischen Union auf dem Gebiet der Gleichstellung von Mann und Frau erzielten Erfolge beiträgt.

3.2

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Ausschuss die Förderung des Status der Frauen in der Gesellschaft immer schon mit großer Aufmerksamkeit verfolgt hat, sei dies mittels zahlreicher Stellungnahmen, sei es durch die Unterstützung verschiedener Initiativen. Der Ausschuss hat mit direktem Bezug auf die vierte Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking und im Rahmen des Follow-up (Peking +5) zwei Stellungnahmen erarbeitet (AUSS/131 und REX/033), in denen er u.a. auf die Bedeutung der Teilnahme einer Ausschussdelegation an den Arbeiten der VN hinweist.

3.3

Ferner spielt der Ausschuss unter dem Aspekt der Zusammenarbeit mit den europäischen Institutionen, vor allem mit dem Rat, dem Parlament und der Kommission, nunmehr eine wichtige Rolle bei der Überwachung der zahlreichen Initiativen der Europäischen Union zur Gewährleistung der Gleichstellung von Mann und Frau, mit denen in den letzten Jahren eine Antwort auf die in Peking hervorgehobenen Herausforderungen und Hindernisse gefunden werden sollte.

3.4

Der Ausschuss ist deshalb der Auffassung, ausgehend von einer Überprüfung der Fortschritte und Rückschläge, die seit der vierten Weltfrauenkonferenz zu verzeichnen sind, einen bemerkenswerten Beitrag dazu leisten zu können, dass Gender Mainstreaming zu einem festen Bestandteil eines immer größeren Bereichs der Gemeinschaftspolitik und der europäischen Gesellschaft wird.

3.5

Ausgehend von der Einsicht, dass die Europäische Union auf der internationalen Bühne eine Hauptrolle spielen und die damit verbundene große Verantwortung übernehmen muss, sollen in diesem Dokument mögliche Beiträge der EU zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Frauen und zur weltweiten Frauenförderung mittels Maßnahmen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und des Handels aufgezeigt werden.

4.   Die Europäische Union

4.1

In der Europäischen Union wurde das Thema der Geschlechtergleichstellung, das bereits Bestandteil des EG-Vertrags war, mit dem Vertrag von Amsterdam, in dem ein „doppeltes Vorgehen“ festgelegt wurde, weiter kodifiziert: Auf der einen Seite hat die Anwendung des Gender Mainstreaming in allen Gemeinschaftspolitiken zu erfolgen, auf der anderen Seite sollen gleichzeitig spezifische Maßnahmen zur Frauenförderung durchgeführt werden. Bereits seit 1994 war die Frage der Chancengleichheit von Männern und Frauen Bestandteil der Gemeinschaftspolitik im Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und ein vordringliches Ziel der Strukturfonds.

4.2

Die EU hat einen integrierten Ansatz eingeführt, bei dem zwischen den Legislativ- und Finanzinstrumenten und der Methode der offenen Koordinierung im Bereich der Sozialpolitik unterschieden wird. Zu den jüngsten, von der EU im Sinne der Gleichstellung der Geschlechter angenommenen Instrumenten gehören die Rahmenstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2001-2006) samt jährlichen Arbeitsprogrammen sowie das „Gender Mainstreaming“ im Rahmen der Strukturfonds.

4.3

Mit der Rahmenstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2001-2005) sollen die Aktivitäten und Programme koordiniert werden, die früher auf sektoraler Basis entwickelt wurden. Dabei soll das im Amsterdamer Vertrag festgelegte doppelte Vorgehen angewandt werden, um u.a. durch die Konzipierung sicherer Indikatoren sowie eines Systems zur Überwachung, Bewertung und Verbreitung der erzielten Ergebnisse größere Kohärenz zu gewährleisten.

4.4

In der Gleichstellungsstrategie werden prinzipiell fünf miteinander verbundene Handlungsfelder/Ziele genannt: Wirtschaft (im Zusammenhang mit der Beschäftigungsstrategie und den Strukturfonds sowie der Anwendung des Gender Mainstreaming in allen Gemeinschaftspolitiken, die sich auf die Stellung der Frau im Wirtschaftsleben auswirken); Teilhabe und Vertretung (in Bezug auf Entscheidungsprozesse); soziale Rechte (in Bezug auf den Alltag und die bestehenden Ungleichheiten der Sozialschutzsysteme); Bürgerrechte (im Zusammenhang mit den Menschenrechten und Grundfreiheiten mit Schwergewicht auf der Bekämpfung von Gewalt und von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung); Veränderung der Geschlechterrollen und Stereotypen (im Zusammenhang mit Kultursystemen und Massenmedien).

4.5

Die Gemeinschaftsmaßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter werden nun auch durch die Strukturfonds verstärkt. In der Strukturfondsverordnung für den Zeitraum 2000 bis 2006, der eine eingehende Untersuchung und eine kritische Würdigung der Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit mit all ihren Schwächen vorausging, wurde das im Amsterdamer Vertrag vorgesehene zweigleisige Vorgehen angewandt. Im Übrigen wurden die Strukturfonds — und insbesondere der Europäische Sozialfonds (ESF) — immer schon als wichtigstes Instrument der Europäischen Beschäftigungsstrategie angesehen; in den im Juli 2003 angenommenen neuen Beschäftigungspolitischen Leitlinien ist die Gleichstellung der Geschlechter als Querschnittsaspekt aller Ziele vorgesehen und die Gleichstellung von Männern und Frauen ist Gegenstand einer spezifischen Leitlinie.

4.6

Große Fortschritte wurden beim ESF vor allem im Zusammenhang mit Maßnahmen zu Beschäftigung und Ausbildung erzielt. Die Bemühungen konzentrierten sich hier insbesondere auf die Verbesserung des Arbeitsmarktszugangs für Frauen, ihrer Beteiligung am Erwerbsleben und der Stellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt (Handlungslinie E) sowie auf die Möglichkeit, Beruf und Familienleben miteinander zur vereinbaren. Diesbezüglich besteht bereits eine ermutigende Sammlung positiver Fallbeispiele. In diesem Zusammenhang hat der ESF das auf der Tagung des Europäischen Rates 2000 in Lissabon angenommene quantitative Ziel, dem zufolge die weibliche Beschäftigungsrate von 51 % im Jahr 2000 auf 60 % ansteigen muss, sowie das vom Europäischen Rat 2002 in Barcelona angenommene Ziel, dem zufolge vorschulische Betreuungsmöglichkeiten für 90 % aller Kinder im Alter von 3 Jahren bis zur Schulreife sowie für mindestens 33 % aller Kinder unter drei Jahren bis zum Jahr 2010 gewährleistet sein müssen, übernommen.

4.7

Dennoch scheinen Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Arbeitsplätze und der Karrieremöglichkeiten, zur Förderung unternehmerischer Aktivitäten von Frauen, zur Verringerung geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede sowie zur Erhöhung des Anteils von Frauen im Sektor der neuen Technologien immer noch sporadischen Charakter zu haben. Bezüglich der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben gibt es etliche Initiativen im Bereich der Kinderbetreuungseinrichtungen, indes ausgesprochen wenige Maßnahmen zur Betreuung älterer Menschen oder nicht selbstständiger Familienmitglieder.

4.8

Die Geschlechterperspektive wird hingegen bei anderen Fonds — insbesondere im Rahmen der Landwirtschaft und der Fischerei, d.h. in Sektoren, in denen Frauen traditionell unterrepräsentiert sind, obwohl sie stark zu deren Entwicklung beitragen — immer noch kaum berücksichtigt. In den genannten Sektoren bestehen also nach wie vor große Ungleichheiten und der Beitrag, den Frauen für die Gemeinschaft — auch mit Blick auf verstärkten Umweltschutz — erbringen, wird unzureichend hervorgehoben.

4.9

Die Gemeinschaftsmaßnahmen werden durch verschiedene Initiativen und spezifische Finanzierungsprogramme unterstützt. Genannt seien hier beispielsweise: die Gemeinschaftsmaßnahme Beschäftigung-NOW für den Arbeitsmarktbereich; das Programm STOP zur Intensivierung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Frauen- und Mädchenhandels; das DAPHNE-Programm zur Verbesserung des Informationsaustauschs und des Schutzes von Gewaltopfern, „Women and Science“ (Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung) im Bereich der neuen Technologien. Die Rahmenstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern verfolgt ferner das Ziel der Verstärkung des Gender Mainstreaming in verschiedenen Gemeinschaftsinitiativen wie EQUAL, INTERREG, URBAN, LEADER sowie bei Initiativen im kulturellen Bereich wie LEONARDO, SOKRATES, YOUTH, CULTURE usw.

4.10

Der Bericht der Kommission zur Gleichstellung von Frau und Mann (KOM(2004) 115 endg.) verdeutlicht die bereits ziemlich weit entwickelte Rechtsetzung der Europäischen Union (2), die durch eine umfangreiche Rechtssprechung noch verstärkt wird. Es ist auch eine einheitliche Richtlinie zur Umsetzung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Mann und Frau im Bereich der Beschäftigung geplant, in der die in diesem Bereich bestehenden Rechtsvorschriften zusammengefasst und systematisiert werden sollen.

4.11

In diesem Sinne hat sich auch jüngst der Rat (Arbeit und Soziales) während des niederländischen Ratsvorsitzes ausgesprochen. Er hat bezüglich der einheitlichen Richtlinie über die Gleichbehandlung folgende prioritäre Handlungsbereiche ausgemacht: gleiche Entlohnung, Chancengleichheit beim Zugang zum Arbeitsmarkt; Gleichbehandlung bezüglich der Sozialschutzsysteme, bei der Ausbildung und in Bezug auf Karrieremöglichkeiten sowie die Beweislast bei geschlechtsspezifischen Diskriminierungen.

4.12

Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (2003/0265 (CNS)) wurde auch vom EWSA erörtert (siehe einschlägige Stellungnahme (3)), wobei einige grundlegende Mängel aufgezeigt worden sind, die es in den nächsten Jahren zu beseitigen gilt.

4.13

Des Weiteren haben in den letzten Jahren infolge der Annahme der Aktionsplattform von Peking sowie des Europäischen Rates von Lissabon die diesbezüglichen Statistiken — auch mittels Definition neuer Indikatoren (z.B. bezüglich der Entscheidungsprozesse, des Arbeitsmarkts und der häuslichen Gewalt) — zugenommen, was eine realitätsnahe Analyse der Probleme sowie die Überwachung der Auswirkungen der durchgeführten Maßnahmen ermöglicht. Auf dem Gebiet der Statistik sind folglich bereits deutliche Fortschritte erkennbar, wenngleich noch viel getan werden muss, um eine wirksame Überprüfung der verschiedenen Sektoren zu ermöglichen. Der genaue Umfang der erzielten Fortschritte kann nämlich nur durch die quantitative und qualitative Untersuchung der gegenwärtigen Phänomene und Prozesse ermessen werden.

4.14

Nahezu unbekannt — sowohl auf europäischer wie auf nationaler Ebene — ist hingegen nach wie vor die Haushaltswirksamkeit dieser Maßnahmen, die als Anwendung des Gender Mainstreaming auf die Haushaltsverfahren verstanden wird. Bei der Einführung einer Geschlechterperspektive auf allen Ebenen des Verfahrens zur Gestaltung der Haushalte wird davon ausgegangen, dass diesbezügliche Entscheidungen der Verwaltungen nicht neutral sind, sondern unterschiedliche Auswirkungen für Männer und Frauen haben. In diesem Zusammenhang stellt das „Gender-Budgeting“ auch ein Instrument zur Bewertung der Auswirkungen verschiedenerer Politiken sowie finanz- und fiskalpolitischer Maßnahmen auf Männer und Frauen dar.

4.15

Leider sind trotz der Verstärkung der Gemeinschaftsmaßnahmen zur Frauenförderung weiterhin Fördermaßnahmen sowie umfassende Anstrengungen der Mitgliedstaaten — die in erster Linie für die Anwendung dieser Maßnahmen verantwortlich sind — notwendig, damit die angestrebten Ziele auch tatsächlich erreicht werden.

4.16

Wenngleich sich die Arbeitslosenquote von Frauen in Europa auf 55,6 % verringert hat, liegt das vom Europäischen Rat in Lissabon gesteckte Ziel in mehreren Ländern noch in weiter Ferne. Frauen haben vielmehr die Reihen der sozial schwächsten Arbeitnehmerkategorien, die sich durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse auszeichnen und die häufig nicht in den Genuss sozialer Schutzsysteme kommen, verstärkt. In zahlreichen Staaten bestehen Lohndiskriminierungen zwischen Männern und Frauen, die sich mitunter verschärfen, und die vertikale wie horizontale geschlechtsspezifische Segregation ist leider immer noch traurige Realität. Wie bereits angesprochen, scheinen die Maßnahmen bezüglich Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben lediglich auf Kinderbetreuung abzuzielen, wohingegen fast keine Maßnahmen für andere pflegebedürftige Familienangehörige vorgesehen sind. Ferner haben nur wenige Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Förderung des Erziehungsurlaubs auch für berufstätige Väter getroffen.

4.17

Im Bereich der Entscheidungsprozesse sind ebenfalls große Unterschiede festzustellen: Es sei nur daran erinnert, dass das Kollegium der Mitglieder der Europäischen Kommission mit 22 Männern und 7 Frauen (das entspricht einem Anteil von nur 24 %) besetzt ist, während das Europäische Parlament aus 510 Männern und 222 Frauen (nur 30 %) besteht. Auf einzelstaatlicher Ebene ergibt sich kein günstigeres Bild: im Durchschnitt liegt der Anteil der Frauen in den nationalen Parlamenten unter 25 %, in den Regierungen liegt er knapp über 20 % (4). Auch im EWSA sind Frauen unterrepräsentiert: von 317 Mitgliedern sind nur 79 Frauen (d.h. lediglich 25 %).

5.   Die Europäische Union und Drittstaaten: Gleichstellung der Geschlechter als Querschnittsaufgabe für Zusammenarbeit und Handel auf internationaler Ebene

5.1

Die Problematik der Gleichstellung der Geschlechter ist nunmehr vollinhaltlicher Bestandteil der Maßnahmen der Europäischen Union im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit: Die Mitteilung der Kommission (KOM(1995) 423 endg. vom 18. September 1995), gefolgt von der Entschließung des Rates vom 20. Dezember 1995 über die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei der Entwicklungszusammenarbeit bildeten die Grundlage für die Annahme einer ersten Verordnung (EG Nr. 2836/98 des Rates vom 22. Dezember 1998), die nun für den Zeitraum 2004-2006 erneuert worden ist. Im neuen Dokument (EG) Nr. 806/2004) wird besonderer Nachdruck auf die Ziele gelegt — Förderung des Gender Mainstreaming und Annahme spezifischer Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit als wesentlicher Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung. Als prioritär gelten die Möglichkeiten von Frauen, auf Ressourcen und Leistungen insbesondere im Bildungs- und Arbeitsmarktbereich zurückzugreifen und darauf Einfluss zu nehmen, sowie sich an politischen Beschlussfassungsprozessen zu beteiligen. Betont wird auch die Unterstützung öffentlicher und privater Aktivitäten, die die Gleichstellung der Geschlechter zum Ziel haben.

5.2

Das Aktionsprogramm für die Gleichstellung der Geschlechter als Querschnittsaufgabe für die Entwicklungszusammenarbeit der Gemeinschaft (2001-2006) (5) verfolgt das Ziel, einen Beitrag zur Überwindung der Diskrepanz zwischen den verkündeten Grundsätzen und der alltäglichen Praxis zu leisten. Dies soll mittels einer konkreten Strategie und der Definition folgender Schwerpunktbereiche erfolgen: Unterstützung der Strategien in den Bereichen Makroökonomie zur Armutsbekämpfung sowie der Programme zur sozialen Entwicklung in den Bereichen Gesundheit und Bildung; Lebensmittelversorgung und nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raums; Verkehrswesen; Verwaltungsaufbau und verantwortliches Handeln in Verwaltung und Politik; Handel und Entwicklung; regionale Zusammenarbeit und Integration; systematische Einbeziehung der Gleichstellungsthematik in Projekte und Programme auf regionaler und auf nationaler Ebene sowie Bereitstellung der nötigen Instrumente und der entsprechenden Ausbildung im Bereich der Gleichstellung von Mann und Frau für das Personal der Europäischen Kommission.

5.3

Im Planungsdokument zur Förderung der Geschlechtergleichstellung in der Entwicklungszusammenarbeit (2005-2006) werden folgende prioritäre Handlungsbereiche ausgemacht: Förderung positiver Verhaltensweisen von Jugendlichen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie Ausbildung und methodische Unterstützung der maßgeblichen beteiligten Akteure in den Partnerländern.

5.4

Die Europäische Kommission unterstützt Aktionen und Projekte zur Förderung der Geschlechtergleichstellung im Rahmen bilateraler und regionaler Zusammenarbeit mit den westlichen Balkanstaaten, Osteuropa, Zentralasien, den Ländern des Mittelmeerraumes, den AKP-Staaten (Afrika, Karibik und Pazifik) sowie Lateinamerika. Weitere Finanzierungen werden nicht nach geografischen, sondern nach thematischen Aspekten zur Verfügung gestellt.

5.5

Ein wichtiger Wendepunkt in den Beziehungen der EU zu den Drittstaaten war sicherlich auch das am 23. Juni 2000 mit den AKP-Ländern unterzeichnete Abkommen von Cotonou. In dem Abkommen, das die Querverbindungen zwischen Politik, Handel und Entwicklung betont, wird mittels umfassender Beteiligung der nichtstaatlichen Akteure einschließlich der Zivilgesellschaft an den Entwicklungsstrategien eine soziale Dimension eingeführt. Ferner wird festgelegt, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen eine der Querschnittsfragen des Abkommens ist, die systematisch berücksichtigt werden muss (Artikel 8 und 31). Der Ausschuss begrüßt mit großem Nachdruck, dass die Beteiligung der nichtstaatlichen Akteure an den verschiedenen Planungsphasen der nationalen Strategiepapiere festgeschrieben wird, und legt nahe, der Einbeziehung von Frauenverbänden besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Außerdem wird dem Ausschuss durch das Abkommen ein ausdrücklicher Auftrag zur Konsultation der wirtschaftlichen und sozialen Interessengruppen erteilt, seine Rolle als bevorzugter Gesprächspartner wird festgeschrieben.

5.6

Die umfassende Teilhabe und die aktive Mitwirkung von Frauen an den entwicklungspolitischen Maßnahmen ist sicherlich kein einfacher Prozess, der viel Zeit erfordern wird. Dennoch ist der Ausschuss der Auffassung, dass die Wachsamkeit aller europäischen Institutionen in dieser Frage nicht nachlassen darf, damit die auf dem Papier festgehaltenen Erklärungen auch tatsächlich in konkrete Maßnahmen umgemünzt werden.

5.7

Unter diesem Aspekt ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts zu einem Exportmodell für die ganze Welt werden und dass sich die EU mithilfe ihrer Beziehungen zu Drittstaaten um Förderung und Anwendung dieser Grundsätze auf internationaler Ebene bemüht.

5.8

Die Aufnahme besonderer Klauseln in die Handels- und Kooperationsvereinbarungen sowie die Annahme spezifischer positiver Maßnahmen für Länder, in denen die Rechte der Frauen geachtet werden, könnte sich diesbezüglich gewiss als ein nützliches Mittel erweisen.

5.9

Wenngleich die Liberalisierung des Handels die Erwerbstätigkeit der Frauen in den Entwicklungsländern gefördert hat, so ist die Kehrseite der Medaille, dass sie häufig zu den Arbeitskräften mit prekären Beschäftigungsverhältnissen sowie geringerer Qualifizierung und Entlohnung gehören und nicht in den Genuss von Sozialschutzsystemen kommen. Ferner ist die Handelsliberalisierung häufig mit strukturellen Anpassungsmaßnahmen verbunden, die von internationalen Organisationen empfohlen oder auferlegt werden. Werden diese Maßnahmen nicht durch entsprechende Sozialschutzsysteme abgefedert, können sie sich für die schwächsten Bevölkerungskreise, in denen Frauen häufig die Mehrheit bilden, als kaum tragbar erweisen.

5.10

Trotz alledem wird im Rahmen dieser Maßnahmen — insbesondere im Bereich des Handels — der Geschlechterfrage immer noch ziemlich wenig Aufmerksamkeit zuteil. Angesichts der Tatsache, dass diese Maßnahmen ganz und gar nicht wirkungsneutral sind und häufig sogar negative Auswirkungen gerade für die Frauen haben und dass die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes ohne soziale Gerechtigkeit auf schwachen Füßen steht, wäre es einerseits sinnvoll, diese Maßnahmen unter Berücksichtigung des Gender Mainstreaming auszuhandeln, und andererseits Systeme zur Überwachung der Auswirkungen sowohl auf makro- wie auch auf mikroökonomischer Ebene vorzusehen.

6.   Schlussfolgerungen und Arbeitsvorschläge

Die bislang realisierte, gute Zusammenarbeit zwischen den europäischen Institutionen hat in folgenden Bereichen zu wichtigen Ergebnissen geführt: Bei der Ermittlung von Frauenfördermaßnahmen, bei spezifischen, arbeitsmarktpolitischen Programmen und Projekten für Frauen, bei der Durchsetzung ihrer Rechte und der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Der EWSA ist der Auffassung, dass in vielen Bereichen, u.a. den folgenden, noch Handlungsbedarf besteht:

die Teilhabe von Frauen an Entscheidungsprozessen und die Vertretung von Frauen — sowohl in den europäischen Institutionen, wie auch in den Mitgliedstaaten auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene — ist immer noch zu schwach. Sie müsste auf allen Ebenen gefördert werden, wobei auch über ein Quotensystem nachgedacht werden müsste;

Weiterbildungsmaßnahmen zur allgemeinen Bewusstseinsschärfung müssten sowohl in den EU-Institutionen als auch in den Mitgliedstaaten realisiert werden, wobei Entscheidungsträger genauso wie die ausführenden Instanzen der Programme und Projekte einzubeziehen sind;

gezielte Gender-Analysen und -Untersuchungen sowie Statistiken und spezifische Indikatoren sind für die Definition der Problembereiche, die Verbesserung der Interventionsmaßnahmen und -strategien und die Bewertung ihrer Wirkungen unerlässlich. Es müssen fortlaufend aufgeschlüsselte Daten erhoben und neue Indikatoren festgelegt werden;

die von allen Fonds und Finanzierungsinstrumenten der EU und der Mitgliedstaaten für die Frauenförderung aufgewandten Ressourcen müssten auch und vor allem mittels Förderung und Verbreitung des „Gender-Budgeting“ quantifiziert werden;

die wichtigste Grundvoraussetzung ist jedenfalls die Durchsetzung des gleichberechtigten Zugangs von Frauen zu Bildung und Ausbildung, wie dies auch unter Punkt 3 der Millenniums-Entwicklungsziele bekräftigt wird;

bei den Strukturfonds müssten frauenspezifische Maßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft (EAGFL) und Fischerei (FIAF) ausgebaut und mit dem Umweltschutz — einem weiteren Bereich, in dem gleichstellungsspezifische Gemeinschaftsmaßnahmen ausgesprochen schwach entwickelt sind — verbunden werden;

Maßnahmen zur Förderung weiblichen Unternehmertums und zur Steigerung der weiblichen Präsenz im Bereich der neuen Technologien müssten neue Impulse erhalten;

Ausbildungsmaßnahmen im Bereich der Wissensgesellschaft müssten verstärkt werden, damit diese nicht zu einem weiteren Bereich der Diskriminierung und des Ausschlusses der Frauen wird, die vielmehr einen großen Beitrag zum Erreichen der in der Lissabon-Strategie gesteckten Ziele leisten können;

im Allgemeinen müssen die vertikale und horizontale Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt weiterhin mit gezielten Maßnahmen bekämpft und alle Hindernisse abgebaut werden, die der effektiven Gleichstellung der Geschlechter im Wege stehen. Dies sollte erreicht werden, indem die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit den Sozialpartnern spezifische und quantifizierbare Ziele ermitteln. Vor allem mit Blick auf die Diskriminierung im Lohnbereich müssen die Mitgliedstaaten mit der Anwendung eines mehrdimensionalen Ansatzes beginnen, der in dem Beschluss des Rates über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (6) vorgesehen ist und Aspekte wie Bildung und Ausbildung, Klassifizierung der Art der Arbeit, Entlohnungssysteme und kulturelle Stereotypen als grundsätzliche Bestandteile der Problematik umfasst;

bei Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollte — auch angesichts der Bevölkerungsalterung — der Betreuung von älteren Familienangehörigen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, ohne den Bereich der Kinderbetreuung zu vernachlässigen;

Investitionen in öffentliche Dienstleistungen, insbesondere in den Bereichen Schul- und Hochschulbildung, Gesundheit und Pflege, müssen im Sinne der Chancengleichheit von Männern und Frauen durch Anreize gefördert und ausgebaut werden;

die Maßnahmen im Bereich Einwanderung von Frauen und Integration weiblicher Migranten in den Mitgliedstaaten sowie im Bereich des Asyls für Frauen, die in ihren Herkunftsländern Opfer bewaffneter Konflikte, von Diskriminierung und von Gewalt geworden sind, müssen ausgebaut werden;

Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels;

in der Entwicklungs- und Handelspolitik muss der partizipative Ansatz in Bezug auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die Rolle der Frauen im Besonderen weiter verstärkt werden, wobei in den entsprechenden Ländern Interessengruppen von Frauen an der Konzeption entwicklungspolitischer Maßnahmen und der Ausarbeitung nationaler Strategiepapiere umfassend beteiligt werden müssen. Vor allem aber sind mehr Mittel für die Frauenförderung einzusetzen, damit die Rolle der Frau auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene nachhaltig gestärkt wird;

die Auswirkungen der Handelsabkommen und der entwicklungspolitischen Maßnahmen sind auch auf mikroökonomischer Ebene zu überwachen. Dabei sind spezifische Analysen der Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen unter besonderer Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede vorzusehen;

die Kommission und die Delegationen sollten ihr Gewicht dafür einsetzen, der Wahrung der Menschenrechte — und folglich auch der Rechte der Frau, wenn diese verletzt werden — Geltung zu verschaffen;

den Delegationen sollte bei der Förderung des Gender Mainstreaming besondere Verantwortung übertragen werden;

die Europäische Union müsste ihren ganzen Einfluss geltend machen, um mehr Staaten zur Ratifizierung und Umsetzung aller internationalen Verträge mit positiven Auswirkungen auf die Rolle und Lebensbedingungen der Frauen zu bewegen. Dies sind insbesondere das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sowie des Zusatzprotokolls. Sie müsste auch darauf hinwirken, dass die von einigen Unterzeichnerstaaten geäußerten Vorbehalte zurückgezogen werden.

Der Ausschuss verpflichtet sich, die Lage der Frauen in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingehend zu untersuchen.

Ferner wäre es sinnvoll, den Ausschuss — angesichts seiner Beschaffenheit, seiner Aufgaben für die Zivilgesellschaft, seiner Zielsetzungen und seiner durch die ständige Überwachung von Gleichstellungsfragen erlangten Erfahrungen mit einer Vertretung an der Delegation der Kommission der Europäischen Union, die der 49. Tagung der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen beiwohnen wird, zu beteiligen.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Konferenz zu Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro; VN-Weltkonferenz über Menschenrechte 1993 in Wien; Sondertagung der Generalversammlung der VN zum Thema HIV/AIDS 2001 in New York; Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung 1994 in Kairo; Weltgipfel zur sozialen Entwicklung 1995 in Kopenhagen; Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz 2001 in Durban; Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung 2002 in Monterrey; Zweite Weltversammlung zur Frage des Alterns 2002 in Madrid; Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg und Weltgipfel zur Informationsgesellschaft 2003 in Genf sowie demnächst 2005 in Tunis.

(2)  Richtlinien bezüglich der Gleichbehandlung in folgenden Bereichen: Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG); gleiches Entgelt (75/117/EWG); soziale Sicherheit (79/7/EWG) und betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit ((86/378/EWG); selbstständige Beschäftigung (86/613/EWG); und ferner die Richtlinien zu Sicherheit und Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (92/85/EWG), Arbeitszeitgestaltung (93/104/EG); Elternurlaub (96/34/EG); Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (97/80/EG) sowie Teilzeitarbeit (97/81/EG).

(3)  ABl. C 241 vom 28.9.2004.

(4)  Angaben der Europäischen Kommission,, GD Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Stand vom 29.9.2004.

(5)  KOM(2001) 295 endg.

(6)  Beschluss des Rates vom 22. Juli 2003 über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (ABl. L 197 vom 5.8.2003 S. 13).


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch — Beschaffung von Verteidigungsgütern“

(KOM(2004) 608 endg.)

(2005/C 221/12)

Am 23. September 2004 beschloss die Kommission, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: Grünbuch — Beschaffung von Verteidigungsgütern

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beauftragte seine Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit der Vorbereitung der Arbeiten zu diesem Thema.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der EWSA auf seiner 414. Plenartagung (Sitzung vom 9. Februar 2005) Herrn Wilkinson zum Hauptberichterstatter. In derselben Sitzung verabschiedete der EWSA mit 96 Ja-Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einführung

1.1

Das Grünbuch zur Beschaffung von Verteidigungsgütern (KOM(2004) 608 endg.) gehört zu den Maßnahmen, die in der im März 2003 veröffentlichten Mitteilung „Auf dem Weg zu einer Verteidigungsgüterpolitik der Europäischen Union“ angekündigt wurden; hierzu hat sich der Ausschuss im September 2003 geäußert (1).

1.2

Der Europäische Markt für Verteidigungsgüter (EDEM) ist faktisch nur ein Teil des Binnenmarktes, der einen spezifischen Sektor abdeckt. Das Grünbuch soll zum schrittweisen Aufbau eines Binnenmarktes für EU-Verteidigungsgüter beitragen, der offener und transparenter ist und dennoch die Besonderheiten dieses Wirtschaftssektors berücksichtigt. Dies sollte zu einer Stärkung der Rüstungsindustrie und einer Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit führen, die Kostenwirksamkeit erhöhen und den Ausbau der militärischen Kapazitäten der EU im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) vor dem Hintergrund einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) unterstützen.

1.3

Am 12. Juli 2004 stimmte der Rat dem Aufbau der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) zu, deren Aufgabe es ist, „die Mitgliedstaaten bei ihrem Bestreben zu unterstützen, die europäischen Verteidigungsfähigkeiten im Bereich der Krisenbewältigung zu verbessern und die derzeitige und künftig sich entwickelnde ESVP zu stärken.“ Diese Agentur hat nun ihre Arbeit aufgenommen. Alle Funktionen (2) der EDA sind auf eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit Europas auf dem Gebiet der Verteidigung durch Beseitigung der gegenwärtigen Zersplitterung und Förderung der Kohärenz gerichtet.

1.4

Zur „Leistungsfähigkeit des Verteidigungssektors“ gehört, dass die Verfügbarkeit der für die vorgesehenen Aufgaben erforderlichen Kapazitäten sichergestellt und der Grundsatz einer kostenwirksamen Umsetzung dieser Aufgaben befolgt wird. Dafür muss eine möglichst weitgehende Interoperabilität gewährleistet werden. Gegenwärtig belaufen sich die Verteidigungsausgaben der 25 Mitgliedstaaten zusammen auf jährlich etwa 160 Milliarden Euro, wovon 20 % für die Beschaffung von Verteidigungsgütern (einschließlich Forschung und Entwicklung, Erwerb der Güter und Unterstützung des Beschaffungsprozesses) aufgewandt werden (3).

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Die in diesem Grünbuch vorgesehenen Maßnahmen stellen auf die Frage ab, auf welche Art und Weise das System der Beschaffung von Verteidigungsgütern in den 25 Mitgliedstaaten verbessert werden kann. Deutliche Forschritte können nur erzielt werden, wenn über die anderen Elemente der „Leistungsfähigkeit des Verteidigungssektors“ (s.o. Ziffer 1.4) Klarheit besteht (4). Die Industrie bedarf insbesondere sehr klarer Leitlinien, harmonisierter Anforderungen und einer Kontinuität. Dennoch begrüßt der Ausschuss die Initiative, da sie als eigenständiger Teil des beginnenden Prozesses der Entwicklung einer lebensfähigeren ESVP in einem transparenten und wettbewerbsfähigen Markt behandelt werden kann.

2.2

Der EWSA begrüßt es, dass der EDA eine führende Rolle zugedacht ist. Es wird klarer Vereinbarungen über die jeweilige Rolle der EDA und der anderen Einrichtungen, die sich gegenwärtig mit der Beschaffung von Verteidigungsgütern (5) befassen, bedürfen, und der EWSA erwartet, dass diese sich innerhalb ihres jeweiligen Aufgabenbereichs zurücknehmen, soweit es der Fortschritt erlaubt. Allerdings sollten aus der Erfahrung der OCCAR (6) (die effektiv auch das Projektmanagement, mit Vertragsrecht als Kernfrage, übernimmt) Lehren gezogen werden, bevor Veränderungen eingeleitet werden.

2.3

Der EWSA begrüßt die Anerkennung der Tatsache, dass die Ausgangspunkte (und die angewandten Verfahren) bei der Beschaffung von Verteidigungsgütern für die einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind und das Tempo der bevorstehenden Veränderungen wahrscheinlich von Land zu Land variieren wird. Er stimmt zu, dass für die Beschaffung von Verteidigungsgütern eine stärker gemeinschaftlich ausgerichtete Grundlage aufgebaut werden muss und dies angesichts der Übereinkunft und der Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten auch relativ zügig vonstatten gehen kann.

2.4

Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Zersplitterung des Marktes für Verteidigungsgüter verringert und seine Wettbewerbsfähigkeit und Transparenz erhöht werden müssen, da dies Voraussetzung für die Erhaltung und Stärkung einer wirtschaftlich tragfähigen EU-Rüstungsindustrie und für eine kostenwirksamere Beschaffung und Verwaltung entsprechender Verteidigungskapazitäten ist.

2.5

Die Analyse der in Absatz 2 des Grünbuchs dargelegten Besonderheiten der Verteidigungsmärkte bildet eine gute Grundlage für eine eingehende Beschäftigung mit dem Markt und gibt Aufschluss über einige Schwierigkeiten, die sich in den Weg stellen werden.

2.6

Der EWSA betont, dass eine Umstrukturierung der Verteidigungsindustrie in erster Linie Sache der betroffenen Branchen sein und die Marktrealitäten berücksichtigen muss (7). Ein einleuchtender Grund hierfür ist der Umstand, dass die bedeutendsten Unternehmen transnational sind, wenngleich ihre Aufträge aus den einzelnen Ländern kommen. Darüber hinaus verfolgen die Mitgliedstaaten eine unterschiedliche Industriepolitik, wobei die Verteidigungsindustrie nur einen Teilbereich darstellt.

2.7

Die Industrie (im Verteidigungssektor wie anderswo) darf nicht übermäßig vielen Verfahrensvorschriften unterworfen werden, wenn sie effizient funktionieren und kostenwirksame und wirtschaftliche Ergebnisse erzielen soll.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Es ist notwendig, eindeutig zu klären, welche Teile des Prozesses der Beschaffung von Verteidigungsgütern von den vereinbarten Regeln abgedeckt werden sollen. Neben dem eigentlichen Erwerb solcher Güter werden weitere Aspekte zu berücksichtigen sein, wie Forschung und Entwicklung, Instandhaltung, Reparatur, Nachrüstung und Schulung, die die „Eigentumskosten“ einschließen und die im Laufe der Zeit i.d.R. weit kostenträchtiger sind als der eigentliche Erwerb.

3.2   Artikel 296

3.2.1

Der EWSA teilt die Ansicht, dass die in Artikel 296 des EU-Vertrages festgeschriebenen Ausnahmen von den EU-Rechtsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen auch weiterhin notwendig sein werden, um den Mitgliedstaaten zum Schutz ihrer grundlegenden Sicherheitsinteressen Abweichungen zu gestatten.

3.2.2

Die Kommission sollte den Wert der Verteidigungsgüter, bei denen über einen Zeitraum von fünf Jahren von einer solchen Abweichung Gebrauch gemacht wurde, beziffern (und als Prozentsatz der in der EU getätigten Gesamtausgaben für Verteidigungsgüter ausweisen). Dann hätte man einen Eckwert „Benchmark“ zur Messung des Fortschritts.

3.2.3

Das Problem besteht darin, dass die Inanspruchnahme einer solchen Ausnahmeregelung in einigen Mitgliedstaaten bereits eher zur Regel geworden als eine Ausnahme geblieben ist, und das ist eindeutig nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar. Der EWSA stimmt mit der Kommission darin überein, dass sich dies ändern muss. Die Herausforderung wird darin bestehen, für eine Anwendung von Artikel 296 im Einklang mit Urteilen in zurückliegenden Fällen (8) zu sorgen und dabei gleichzeitig die durch ihn gegebene Möglichkeit der Abweichung von den Standardvorschriften für das öffentliche Auftragswesen zu erhalten. Die Mitgliedstaaten müssen sich darauf einstellen, ihre Abweichungen von diesen Vorschriften (ggf. auch gesetzlich) zu rechtfertigen. Der Nutzen eines größeren Wettbewerbs und einer höheren Transparenz sollte in der Diskussion hervorgehoben werden.

3.2.4

Die 1958 festgelegte Liste der Waren, auf die in Artikel 296 Absatz 2 Bezug genommen wird und die den Anwendungsbereich von Artikel 296 Absatz 1 bestimmt, dürfte als gangbarer Weg zur Gewährleistung der korrekten Anwendung der Abweichung aus Sicherheitsgründen kaum praxistauglich sein. Jeder Fall muss weiterhin individuell behandelt werden, da selbst die Grundausstattung (9) in einigen Fällen unter die Abweichungsbestimmungen fallen wird. Des Weiteren sind Warenlisten kaum geeignet, mit der neuen Entwicklung Schritt zu halten.

3.2.5

Folglich gibt es keine einfache Lösung für die Definition der Ausstattung und dazugehörigen Dienstleistungen, die unter Artikel 296 gefasst werden könnten. Als erster Schritt sollte der bestehende EU-Rechtsrahmen durch eine „Mitteilung zu Auslegungsfragen“ klar festgelegt werden und damit die Verständlichkeit verbessert sowie eine bessere und konsequentere Anwendung erleichtert werden.

3.2.6

Jegliche Mitteilung dieser Art wird nicht nur Auswirkungen auf die Beschaffung, sondern auch auf verschiedene andere Aspekte haben; dazu gehören staatliche Beihilfen und (möglicherweise) auch Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die Berücksichtigung finden müssen.

3.2.7

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich das „Verhandlungsverfahren“ mit vorheriger Bekanntmachung für die spezifischen Erfordernisse von Verteidigungsgütern, für die das „offene“ und das „nicht offene“ Verfassung unpassend sind, eignen dürfte. Diese Ansicht muss aber, wenn entsprechende Erfahrungswerte aus der Umsetzung der „Mitteilung zu Auslegungsfragen“ vorliegen, vielleicht noch einmal überdacht werden.

3.2.8

Mancherorts herrscht die Auffassung, dass eine Mitteilung nur eine Übergangsmaßnahme sein kann, bis eine spezifische Richtlinie (oder ein anderes spezifisches Rechtsinstrument) erarbeitet ist. Nach Ansicht des EWSA kann über den Bedarf an einem Rechtsinstrument erst nach der Erarbeitung und Veröffentlichung einer solchen „Mitteilung zu Auslegungsfragen“, wenn deren Wirkung bekannt ist, nachgedacht werden. Der EWSA würde die baldige Ausarbeitung einer solchen Mitteilung begrüßen.

3.2.9

Zur Errichtung eines Europäischen Markts für Verteidigungsgüter (EDEM) gibt es eine weitere Möglichkeit, die nicht im Grünbuch erwähnt ist, und zwar die Schaffung eines „Verhaltenskodex“ für die teilnehmenden Mitgliedstaaten. Da dieses Gebiet in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fällt, könnte dies in Betracht gezogen werden, wobei die EDA hier möglicherweise als Vermittler fungieren würde. Die Überwachung und Durchsetzung eines solchen Kodex könnte sich als schwierig erweisen, und die Aspekte bezüglich des Binnenmarkts müssten auch noch eingearbeitet werden.

3.3   Veröffentlichung von Ausschreibungen

3.3.1

Es erscheint nicht notwendig, das Ausschreibungssystem und -konzept weiter zu überdenken. Wenn Verteidigungsgüter im Prinzip einfach als Teil des Binnenmarkts betrachtet werden sollen (obwohl sie mehr Möglichkeiten für Ausnahmeregelungen bieten), wird man sie voraussichtlich genauso wie Güter bei anderen Ausschreibungen behandeln. Dies wird zu unterschiedlichen Systemen und Problemen führen, die auch anderswo auftauchen, wie z.B. im Bereich der Sprache. Die Gründe für ein zentral gesteuertes Veröffentlichungssystem sind nicht überzeugend.

3.3.2

Potenzielle Problembereiche sind Vertraulichkeit und Kompensationsgeschäfte (Offsets), die bei Verteidigungsgütern eine größere Relevanz haben als bei anderen Ausstattungsgütern oder Dienstleistungen, sowie die Versorgungssicherheit, da hier ein Wechsel des Lieferanten oder Vertragspartners schwer ist, wenn ein Vertrag erst einmal unterschrieben ist. Das alles sind Bereiche, in denen die betroffenen Mitgliedstaaten zuständig bleiben sollten; ein paar allgemeine Leitlinien von der Kommission könnten allerdings hilfreich sein.

3.4   Doppelter Verwendungszweck

3.4.1

In der heutigen Industrie ist es häufig schwierig, Unternehmen als „Verteidigungsgüterproduzenten“ zu klassifizieren. Vielfach haben diese Güter einen doppelten Verwendungszweck, und die Tendenz ist steigend. Dies ist in verschiedenerlei Hinsicht begrüßenswert; so können Größeneffekte beispielsweise zu einer wettbewerbsfähigeren Preisbildung führen, und die Versorgungssicherheit kann leichter gewährleistet werden.

3.4.2

Auch der für diese Güter in Forschung und technologische Entwicklung (FTE) investierte Aufwand kann für andere (zivile) Zwecke nutzbar gemacht werden. Daher ist es wichtig, dass die in die verteidigungsbezogene FTE eingebrachten Ressourcen keinem allzu starren Regelwerk unterworfen werden.

3.4.3

Wie der EWSA schon in seiner früheren Stellungnahme zum Thema Verteidigungsgüter (10) mit Besorgnis deutlich gemacht hat, bleibt noch viel zu tun, bis der für den Verteidigungsgüterbereich unabdingbare Wert der Koordination und der Schwerpunktsetzung seiner Bedeutung entsprechend anerkannt ist.

3.5   Europäische Verteidigungsagentur (EDA)

3.5.1

Der EWSA begrüßt die Einrichtung der EDA und erkennt an, dass sie eine führende Rolle auf dem Gebiet der Verteidigungsgüter spielen kann. Er merkt an, dass sie zur Zeit noch dabei ist, die für die Wahrnehmung der vereinbarten Funktionen erforderlichen Ressourcen aufzubauen.

3.5.2

Die EDA wird dafür sorgen müssen, dass die Verteidigungsdoktrin und die Verteidigungskapazitäten der EU die Rolle, Doktrin und Fähigkeiten der NATO vollständig berücksichtigen, sodass die Interoperabilität maximiert und etwaige Unterschiede minimiert werden. Bislang ist noch nicht ganz klar, inwieweit die EDA durch eine direkte Einbeziehung in die Beschaffung einen Mehrwert beisteuern könnte, ihr Sachverstand im Verteidigungsgüterbereich sollte sie jedoch in die Lage versetzen, Vorschläge zur besseren Harmonisierung nationaler Bestimmungen zu unterbreiten.

3.5.3

Auch für das Erzielen einer Übereinkunft hinsichtlich finanzieller Aspekte einer möglichen Zusammenarbeit im Verteidigungsgüterbereich wird sich die EDA als wertvoll erweisen. Ein bedeutendes Schwierigkeitspotenzial liegt darin, Kosten und Nutzen der FTE in den verteidigungsbezogenen Bereichen aufzuteilen und dabei verteidigungsbezogene und allgemeine Aspekte voneinander zu trennen.

3.5.4

Die EDA sollte auch bei den Bemühungen um eine Angleichung der nationalen Genehmigungssysteme, die beim Transfer von Verteidigungsgütern zwischen den Mitgliedstaaten eine Rolle spielen, hilfreich sein. Momentan sind die nationalen Verfahren verschieden und schwerfällig noch dazu. Außerdem könnte sie dazu beitragen, dass eine Vereinbarung über die Behandlung von Kompensationsgeschäften getroffen wird, da diese ja auch künftig ein Wesensmerkmal der Beschaffung bleiben werden.

3.5.5

Die EDA könnte sich dafür einsetzen, dass die Mitgliedstaaten sich hinsichtlich der Industriepolitik in Bezug auf Verteidigungsgüter verständigen und dass die Komponenten einer „strategischen Ausrüstung“ definiert werden, welche die EU gern in der Lage wäre bereitzustellen, um ihre Abhängigkeit von Drittländern zu verringern. Dies wäre von einem überaus großen Wert.

3.5.6

Darüber hinaus ist die EDA wahrscheinlich imstande, die Mitgliedstaaten zu ermutigen, innovative Beschaffungsmethoden wie Pooling, Leasing und Spezialisierung in Betracht zu ziehen, um Kapazitätsbedarf zu befriedigen.

3.5.7

Da die ESVP nur wirksam wird, wenn die Mitgliedstaaten den notwendigen starken politischen Willen zur Bereitstellung und Unterhaltung der erforderlichen Kapazitäten aufbringen, um die vereinbarten EU-Aufgaben zu erfüllen, sollte die EDA dazu beitragen, dass die Mitgliedstaaten sich in diese Richtung bewegen.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Verteidigungsgüter sind nur eine Voraussetzung für eine nachhaltige „Leistungsfähigkeit des Verteidigungssektors“. Damit die Industrie ihre Aufgaben in vollem Umfang wahrnehmen kann, bedarf sie klarer Leitlinien, harmonisierter Anforderungen und einer Kontinuität. Sie muss auch die Hauptverantwortung für notwendige Umstrukturierungsmaßnahmen tragen. Außerdem darf die Industrie nicht übermäßig schwerfälligen Verfahrensvorschriften unterworfen werden.

4.2

Es muss eindeutig klargestellt werden, welche Teile des Prozesses der Beschaffung von Verteidigungsgütern von den vereinbarten Regeln abgedeckt werden sollen.

4.3

Artikel 296 des EU-Vertrages wird nach wie vor erforderlich sein. Um seiner zu häufigen Anwendung künftig noch besser vorbeugen zu können, muss die Kommission nach Prüfung des aktuellen Zahlenmaterials einen Eckwert („Benchmark“) setzen. Die Pflege von Listen über Ausstattung und Verfahren, auf die Artikel 296 angewandt werden kann, ist nicht praxistauglich.

4.4

Als ersten Schritt sollte die Kommission so bald wie möglich eine „Mitteilung zu Auslegungsfragen“ zu Artikel 296 verfassen. Erst wenn entsprechende Erfahrungswerte in Bezug auf die Umsetzung dieser Mitteilung vorliegen, kann entschieden werden, ob auch ein Rechtsinstrument erforderlich ist.

4.5

Güter mit „doppeltem Verwendungszweck“ sind immer stärker verbreitet; dieser Trend ist begrüßenswert, nicht zuletzt aufgrund des Potenzials der für militärische Ausrüstungsgüter eingesetzten FTE für die zivile Nutzung.

4.6

Die der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) zugedachte wichtige Rolle ist begrüßenswert; es wird klargestellt werden müssen, welche Funktionen allen anderen Agenturen, die bisher in die Beschaffung involviert sind, zukommen.

4.7

Zu den Hauptfunktionen der EDA auf diesem Gebiet gehören:

Gewährleistung der Übereinstimmung mit den Anforderungen der NATO

Hilfe bei der Verhandlung über alle notwendigen finanziellen Aspekte

Hilfe bei der Harmonisierung der bestehenden nationalen Verfahren

Unterbreitung von Vorschlägen für innovative Wege zur Bereitstellung der erforderlichen Kapazitäten

Impulsgebung zur Aufrechterhaltung des notwendigen politischen Willens.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 1.

(2)  Die EDA hat vier vereinbarte Funktionen: Entwicklung der Verteidigungsfähigkeit, Rüstungszusammenarbeit, Stärkung der industriellen und technologischen Grundlagen der europäischen Verteidigung und Schaffung eines europäischen Rüstungsgütermarktes.

(3)  Wie wir in unserer Stellungnahme zur Mitteilung KOM(2003) 113 endg. ausgeführt haben, machen die Verteidigungsausgaben der EU-Mitgliedstaaten zusammengenommen etwa 40 % der Verteidigungsausgaben der USA aus, während bei den operativen Fähigkeiten die EU nur 10 % des diesbezüglichen Leistungspotenzials der USA erreicht.

(4)  Der Ausschuss verweist beispielsweise auf die kürzliche Äußerung des Leiters der EDA (September 2004), die EU-Streitkräfte entsprächen nicht den Anforderungen der modernen Welt, ihren Konflikten und Bedrohungen und es müsse verstärkt High-Tech-Ausrüstung angeschafft werden.

(5)  Wie z.B. OCCAR, Westeuropäische Rüstungsgruppe (WEAG) und Länder, die die Absichtserklärung unterzeichnet haben.

(6)  OCCAR ist eine Organisation für Rüstungszusammenarbeit, der gegenwärtig 5 Mitgliedstaaten angehören.

(7)  Dennoch werden die Mitgliedstaaten aufgrund der Besonderheiten des Rüstungsgütermarktes und der Tatsache, dass die Ausgaben von der einzelstaatlichen Finanzplanung abhängig sind, unweigerlich eine Rolle bei der Förderung der Entwicklung von Verteidigungsgütern spielen.

(8)  Die Entscheidung im Fall „Bremen“ (1999/763/63) (ABl. L 301 vom 24. November 1999, S. 8) und die Entscheidung im Fall „Koninklijke Schelde Groep“ (ABl. L 14 vom 21. Januar 2003, S. 56) sind Beispiele für die derzeit zu beklagende mangelnde Klarheit.

(9)  Es sei darauf verwiesen, dass selbst augenscheinlich einfache Ausstattungsgegenstände, wie z.B. Bekleidung fortgeschrittene Technologien erfordern können.

(10)  Siehe Ziffer 5 der Stellungnahme, auf die in Fußnote 1 verwiesen wurde.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/56


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EWG) Nr. 91/440 des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft“

(KOM(2004) 139 endg. — 2004/0047 (COD))

(2005/C 221/13)

Der Rat beschloss am 28. April 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorslag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr CHAGAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10.Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 122 gegen 53 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der vorliegende Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen in der Gemeinschaft ist Bestandteil des so genannten Dritten Eisenbahnpakets, das von der Europäischen Kommission am 3. März 2004 verabschiedet wurde. Die weiteren Elemente sind:

Vorschlag einer Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal (KOM(2004) 142 endg.);

Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Verkehr (KOM(2004) 143 endg.);

Vorschlag einer Verordnung zu Entschädigungen und Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr (KOM(2004) 144 endg.).

sowie

Mitteilung der Kommission zur Fortsetzung der Integration des europäischen Eisenbahnsystems (KOM(2004) 140 endg.);

Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission zur schrittweisen Öffnung des Marktes für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr (SEK(2004) 236).

1.2

Das so genannte Erste Eisenbahnpaket (auch Infrastrukturpaket genannt) trat am 15. März 2001 in Kraft und musste bis zum 15. März 2003 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: u.a. freier Markzugang für den internationalen Schienengüterverkehr auf dem Transeuropäischen Eisenbahngüternetz bis 15. März 2003 und Liberalisierung des gesamten internationalen Schienengüterverkehrs bis 15. März 2008 (1);

Ausweitung des Geltungsbereichs für eine Europäische Lizenz für Eisenbahnunternehmen (Änderung der Richtlinie 95/18/EG) (2);

Harmonisierung der Bestimmungen zur Zuteilung von Infrastrukturkapazitäten und zur Berechnung der Infrastrukturgebühren, Regelungen für ein Sicherheitszertifikat (ersetzt Richtlinie 95/19/EG) (3).

1.3

Im Oktober 2003 hat die Europäische Kommission Klage gegen 9 Mitgliedstaaten beim Europäischen Gerichtshof eingereicht wegen fehlender Notifizierung der Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets in nationales Recht. Im Mai 2004 fehlte die Notifizierung von fünf Ländern, und zwei Mitgliedstaaten hatten nur teilweise die Bestimmungen in nationales Recht implementiert.

1.4

Das so genannte Zweite Eisenbahnpaket wurde am 30. April 2004 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht und muss bis zum 30. April 2006 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EG: Vorverlagerung des freien Marktzugangs für den internationalen Eisenbahngüterverkehr auf den 1. Januar 2006 und Liberalisierung des nationalen Eisenbahngüterverkehrs einschließlich Kabotage ab dem 1. Januar 2007 (4);

Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (5);

Verordnung zur Schaffung einer Europäischen Eisenbahnagentur (6);

Änderung der Richtlinien zur Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitssystems (Richtlinie 96/48/EG) und des konventionellen Eisenbahnsystems (Richtlinie 2001/16/EG) (7).

1.5

Mit dem 1. und 2. Eisenbahnpaket wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, einen Binnenmarkt für den Eisenbahngüterverkehr herzustellen. Die Maßnahmen umfassen den Marktzugang, die Lizenzierung und Sicherheitszertifizierung von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), den Zugang zur Infrastruktur und die Berechnung der Nutzungsgebühren, die Schaffung eines Rechtsrahmens für die Eisenbahnsicherheit sowie Maßnahmen zur Herstellung einer technischen Interoperabilität des Eisenbahnsystems.

1.6

Dieser neu geschaffene Rechtsrahmen erfordert, wie der EWSA bereits in seiner Stellungnahme zum 2. Eisenbahnpaket (8) angemerkt hat, eine völlige organisatorische Umstrukturierung des Sektors mit der Schaffung neuer Behörden und Zuständigkeiten.

1.7

Der EWSA hat in der gleichen Stellungnahme ebenfalls auf die Notwendigkeit von europäischen Sozialbestimmungen hingewiesen. Inzwischen haben die Europäischen Sozialpartner im Eisenbahnsektor, die Gemeinschaft der europäischen Bahnen (CER) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) am 17. Januar 2004 zwei europäische Abkommen unterzeichnet:

1)

Einführung einer europäischen Lokführerlizenz für Lokführer im grenzüberschreitenden Verkehr;

2)

Abkommen über bestimmte Aspekte der Einsatzbedingungen des mobilen Eisenbahnpersonals im grenzüberschreitenden Verkehr.

1.8

Die Kommission legt im Rahmen dieses 3. Eisenbahnpakets einen Richtlinienvorschlag zur Zertifizierung von Zugpersonal vor, der in 2010 bzw. 2015 wirksam wird.

1.9

Mit der Vorlage einer erneuten Änderung der Richtlinie 91/440/EWG verfolgt die Kommission weiterhin das Ziel einer schrittweisen Liberalisierung des Eisenbahnsektors.

2.   Der Vorschlag der Europäischen Kommission

2.1

Die Kommission schlägt vor, den Marktzugang für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr ab dem 1. Januar 2010 zu liberalisieren. Der Vorschlag umfasst die Kabotage, d.h. das Aufnehmen und Absetzen von Fahrgästen an Bahnhöfen der gesamten Strecke. Gleichzeitig soll die Bestimmung über den freien Marktzugang für internationale Gruppierungen gestrichen werden.

2.2

In der EU-25 werden jährlich etwa 6 Milliarden Fahrgäste mit dem Zug transportiert. Der Hauptanteil entfällt auf den Schienenpersonennahverkehr und den Regionalverkehr. Etwa 10 % gemessen an den verkauften Fahrkarten entfallen davon auf den internationalen Personenverkehr. Dieser umfasst grenzüberschreitende Regionalverkehre, grenzüberschreitende Fernverkehre und Hochgeschwindigkeitsverkehre.

2.3

Die Kommission erkennt an, dass die Wettbewerbsöffnung im internationalen Personenverkehr einschließlich Kabotage möglicherweise negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Gleichgewicht im gemeinwirtschaftlichen Personenverkehr haben kann. Es wird vorgeschlagen, Ausnahmen vom freien Marktzugang zuzulassen, wenn auf der gleichen Strecke Verträge über gemeinwirtschaftliche Verkehre gemäß Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 abgeschlossen wurden und der liberalisierte internationale Verkehr das Gleichgewicht dieser Verkehre gefährden kann. Diese Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn sie unbedingt für die Aufrechterhaltung des gemeinwirtschaftlichen Verkehrs notwendig ist und von der Regulierungsbehörde gemäß Artikel 30 der Richtlinie 2001/14/EG genehmigt wird. Eine gerichtliche Überprüfung muss möglich sein.

2.4

Die Kommission hat zum 31. Dezember 2012 einen Bericht über die Umsetzung der Bestimmung vorzulegen.

3.   Bewertung des Vorschlags

3.1   Vorraussetzungen zur Revitalisierung des Eisenbahnsektors

3.1.1

Dem Vorschlag zur Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs liegt die Annahme zugrunde, dass Wettbewerb im grenzüberschreitenden Verkehr zu einer oder zu mehreren der folgenden Auswirkungen führt: höhere Fahrgastzahlen, Verlagerung von anderen Verkehrsmodi (insbesondere Luftverkehr) auf die Schiene, bessere Qualität für den Kunden und niedrigere Preise.

3.1.2

Der EWSA hat bereits in seiner Stellungnahme zum 2. Eisenbahnpaket (9) auf grundlegende Voraussetzungen für die Revitalisierung des Eisenbahnsystems hingewiesen:

Finanzierung des Ausbaus und der Verbesserung der Infrastruktur;

Herstellung der technischen Interoperabilität und ihre Finanzierung;

Herstellung eines fairen Wettbewerbs zwischen den Verkehrsträgern, insbesondere:

Durchsetzung einer Respektierung der Sozialvorschriften im Straßenverkehrssektor;

faire Infrastrukturgebühren für alle Verkehrsträger.

3.1.3

Bis heute fehlt der im Weißbuch zur Europäischen Verkehrspolitik 2010 angekündigte Vorschlag eines Rahmens für faire Infrastrukturpreise für alle Verkehrsträger.

3.1.4

Die Kontrolle und die angemessene Anwendung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr bleibt ein schwerwiegendes Problem.

3.1.5

Hinzu kommt der Bedarf an Lösungen zur Entschuldung vieler Bahnen. Insbesondere in den neuen EU-Mitgliedstaaten werden Bahnunternehmen nicht konkurrenzfähig sein, sollten sie keine Lösung für den Abbau ihres Schuldenbergs finden.

3.1.6

Der EWSA hatte ferner darauf verwiesen, dass die durch das Erste und Zweite Eisenbahnpaket einzurichtenden Behörden (Regulierungsstelle, entgelterhebende Stelle, Zuweisungsstelle, benannte Stelle, Sicherheitsbehörde, Unfallursachenuntersuchungsstelle) eine kurzfristige Neuausrichtung der Organisation des Eisenbahnsektors erfordert, deren reibungsloses Funktionieren einer Reihe von Jahren und praktischer Erfahrungen bedarf. Der EWSA hat sich dafür ausgesprochen, der Bahnsicherheit eine Priorität einzuräumen. Dies schließt europäische Sozialvorschriften für den Eisenbahnsektor ein.

3.2   Ex-post-Analyse der Liberalisierung des Eisenbahngüterverkehrs

3.2.1

Die Beschlüsse zur Liberalisierung des Eisenbahngüterverkehrs sind inzwischen gefasst. Allerdings müssen Erfahrungen mit den Wirkungen dieser Beschlüsse erst noch gemacht werden.

3.2.2

Die Europäische Kommission muss bis zum 1. Januar 2006 einen Bericht vorlegen, der die folgenden Elemente umfasst (10):

Durchführung der Richtlinie 91/440/EG in den Mitgliedstaaten und die tatsächliche Funktionsweise der verschiedenen beteiligten Gremien;

Marktentwicklungen, insbesondere internationale Verkehrstrends, Tätigkeiten und Marktanteile aller (einschließlich neuer) Marktteilnehmer;

Auswirkungen auf den gesamten Verkehrssektor, insbesondere hinsichtlich der Verlagerung auf alternative Verkehrsträger;

Auswirkungen auf das Sicherheitsniveau in den einzelnen Mitgliedstaaten;

die in den einzelnen Mitgliedstaaten in dem Sektor herrschenden Arbeitsbedingungen.

3.2.3

Der EWSA hält es für angemessen, diesen Bericht abzuwarten und Kenntnisse über die Entwicklungen der bisher beschlossenen Maßnahmen zu erhalten, bevor weitere Schritte zur Marktöffnung vorgeschlagen werden, und fordert die Kommission auf, ihren Bericht rechtzeitig vorzulegen.

3.3   Ex-ante-Analyse der Liberalisierung des internationalen Schienenpersonenverkehrs

3.3.1

Die Kommission hat vor Vorlage des 3. Eisenbahnpakets eine Studie zur Untersuchung der Liberalisierung des Personenverkehrs in Auftrag gegeben. Dabei lautete der Untersuchungsauftrag, verschiedene Modelle der Liberalisierung zu untersuchen und die Empfehlung für ein Modell auszusprechen. Die Modelle waren:

Internationale Verkehre ohne Kabotage;

Internationale Verkehre mit Kabotage;

Nationaler und internationaler Schienenpersonenverkehr.

3.3.2

Das Ergebnis empfiehlt unter den drei vorgegebenen Modellen die Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs mit Kabotage (11).

3.3.3

Der EWSA bedauert, dass eine solche Ex-ante-Analyse nicht dazu genutzt wurde, wichtige Fragestellungen umfassend zu untersuchen. Solche Fragestellungen wären die Auswirkungen einer Liberalisierung des Personenverkehrs auf

den Regionalverkehr und den Schienenverkehr als Daseinsvorsorge, insbesondere in den kleinen und mittleren Mitgliedstaaten;

die Servicequalität für den Kunden;

die Beschäftigung und Arbeitsbedingungen im Schienenpersonenverkehr;

die Eisenbahnunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas.

3.3.4

Die Studie enthält einige Aussagen zu einzelnen angesprochenen Bereichen (einschließlich zur Bedeutung von Fahr- und Trassenpreisen), die auf Basis von vier Fallstudien (Schweden, Deutschland, Spanien, Ungarn) und einem Simulationsmodell für zwei Strecken getroffen wurden. Außerdem wird von einer Liberalisierung des nationalen Schienenpersonenverkehrs abgeraten. Der Auftrag lautete jedoch explizit, eine Empfehlung für eines von drei Modellen zu geben.

3.4   Auswirkungen der Marktöffnung auf den Regionalverkehr und den gemeinwirtschaftlichen Verkehr

3.4.1

Durch die Kabotage enthält der Vorschlag zur Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs ein Element der Marktöffnung für einen Teil des nationalen Personenverkehrs.

3.4.2

Der nationale Personenverkehr ist oftmals ein Netzverkehr, bei dem Gewinne auf stark frequentierten Strecken Verluste bei weniger frequentierten Strecken ausgleichen und somit ein größeres Angebot ermöglichen. Dies betrifft nicht nur den mit Ausschließlichkeitsrechten und/oder Beihilfen geförderten gemeinwirtschaftlichen Verkehr, für den gemäß Kommissionsvorschlag unter strengen Bedingungen Ausnahmen möglich sind.

3.4.3

Insbesondere in kleineren und mittleren Mitgliedsländern kann dies zu empfindlichen Störungen des Schienenpersonenverkehrs führen, der nicht vertraglich mit Ausschließlichkeitsrechten belegt ist.

3.4.4

In einigen Mitgliedsländern werden Verträge über Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes nicht als einzelne Streckenverträge abgeschlossen, sondern gelten für ein Netzwerk. Der Nachweis über die Gefährdung des Gleichgewichts für die gemeinwirtschaftlichen Verkehre ist hierdurch kaum zu erbringen.

3.4.5

Die von der Kommission vorgeschlagene Ausnahmemöglichkeit führt zu komplizierten Nachweisverfahren und droht Rechtsstreitigkeiten zur Folge zu haben.

3.4.6

Im Juli 2000 hat die Europäische Kommission das Dokument KOM(2000) 7 endg. vorgelegt, um die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 über Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes im Personenverkehr, in der die Bestimmungen für ausschließliche Rechte und Ausgleichsformen für den öffentlichen Personenverkehr festgelegt sind, durch eine neue Verordnung zu ersetzen.

3.4.7

Dieser Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 ist seit mehreren Jahren im Verkehrsministerrat blockiert. Es gibt grundsätzliche Abweichungen zwischen dem Vorschlag der Kommission und der Position des Europäischen Parlaments, die die Wirkung des Vorschlags im Rahmen der Liberalisierung des Eisenbahnpersonenverkehrs erheblich beeinflussen können. Ferner plant die Kommission, noch in diesem Jahr einen neuen Vorschlag vorzulegen.

3.4.8

Auch dies spricht dafür, dass die Verabschiedung des relevanten Rechtstextes zunächst abgewartet werden sollte, bevor Vorschläge zum Schutz des Gleichgewichts der gemeinwirtschaftlichen Schienenpersonenverkehre im Rahmen der Liberalisierung verabschiedet werden.

3.5   Auswirkungen auf Servicequalität für die Kunden

3.5.1

Aufgrund der hohen Kosten und der traditionell niedrig angesetzten Fahrpreise, so die bereits zitierte Studie, ist kaum davon auszugehen, dass die Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs zu einer weiteren Preisreduzierung für den Kunden führen wird.

3.5.2

Ein größeres Angebot durch konkurrierende Bahnunternehmen auf der gleichen Strecke kann gleichzeitig zur Folge haben, dass die bisher gebotenen Standards — ein Fahrplan, eine Fahrkarte, Informationen aus einer Hand — nicht mehr gewährleistet sind. Es werden größere Informationshürden aufgebaut.

3.5.3

Die Kommission reagiert auf diese Problematik mit dem Vorschlag von Rechtsvorschriften, die die konkurrierenden Unternehmen zur Zusammenarbeit verpflichten, um den bisher garantierten Standard hinsichtlich der Information aufrechtzuerhalten.

3.5.4

Der EWSA wird diesen Vorschlag in einer gesonderten Stellungnahme untersuchen. Er möchte jedoch grundsätzlich darauf hinweisen, dass eine Verpflichtung konkurrierender Unternehmen zu einer Zusammenarbeit zum Zweck der Kundeninformation erst durch die Marktöffnung für den Personenverkehr notwendig wird.

3.6   Auswirkung auf die Beschäftigung

3.6.1

Die Kommission geht davon aus, dass die Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs kurzfristig zu einem Personalabbau führen wird, die Beschäftigung aufgrund vermehrter Verkehre mittelfristig jedoch steigen wird. Diese Annahme lässt beispielsweise die möglichen negativen Beschäftigungseffekte aus dem Einfluss auf den Regionalverkehr und den gemeinwirtschaftlichen Verkehr unberücksichtigt. Gemäß Artikel 1 Absatz 7 dieses Richtlinienvorschlags würden diese Effekte von der Entscheidung jedes einzelnen Mitgliedstaats über die Finanzierung regionaler Personenverkehrsdienste abhängen.

3.6.2

Die Zahl der Beschäftigten im Eisenbahnsektor ist in der vergangenen Dekade um die Hälfte gesunken. Die Eisenbahnunternehmen in den neuen Mitgliedsländern, aber auch westeuropäische Eisenbahnunternehmen, kündigen weiter hohe Zahlen für den Beschäftigungsabbau an. Sollte eine Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs dazu führen, dass die Bahnunternehmen in den kleinen und mittleren EU-Ländern auch im nationalen Fernverkehr verdrängt werden, ist kaum mit positiven Beschäftigungseffekten zu rechnen.

3.6.3

Der Eisenbahnpersonenverkehr ist traditionell ein Verkehrsmittel für alle Bevölkerungsschichten. Der Luftverkehr hat sich von einem Luxusverkehrsmittel zu einem Massenverkehrsmittel entwickelt. Die damit verbundenen Beschäftigungseffekte lassen sich in diesem Umfang für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr nicht wiederholen.

3.6.4

Gleichzeitig ist im Luftverkehrssektor zu beobachten, dass gute Arbeitsplätze in den ehemals staatlichen Luftverkehrsgesellschaften durch qualitativ schlechtere Arbeitsplätze in anderen Bereichen der zivilen Luftfahrt ersetzt wurden.

3.6.5

Der EWSA betrachtet den hohen Beschäftigungsabbau im Eisenbahnsektor mit großer Besorgnis. Insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten mit hoher Arbeitslosigkeit und schwachen Sozialsystemen führt der hohe Beschäftigungsabbau zu erheblichen sozialen Problemen. Flankierende soziale Maßnahmen sind dringend erforderlich. Der EWSA spricht sich gegen Maßnahmen aus, die zu weiterem Beschäftigungsabbau in diesem belasteten Sektor führen und zu einer Verschlechterung der Qualität der Beschäftigung im Eisenbahnsektor.

3.7   Auswirkungen auf die Bahnunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten

3.7.1

Die zitierte Studie von Steer Davies Gleave verweist darauf, dass der schlechte Zustand der Infrastruktur in den neuen Mitgliedsländern, die schlechte finanzielle Situation der Bahnunternehmen und Fahrpreise, die typischerweise weit unter dem langfristigen Kostenniveau liegen, zusätzliche signifikante Hindernisse für einen größeren Wettbewerb darstellen.

3.7.2

Ferner verfügen die Bahnunternehmen nicht über die Qualität an Rollmaterial, um einem Wettbewerb standhalten zu können.

3.7.3

Der Regionalverkehr spielt in den neuen Mitgliedsländern eine noch größere Rolle als in der bisherigen EU-15. Sollte die Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs negative Effekte auf das Regionalangebot haben, werden die Auswirkungen in den neuen Mitgliedsländern stärker sein und ein Rückgang des heute vergleichsweise hohen Bahnanteils im Personenverkehr beschleunigen.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Der EWSA hat sich in seinen Stellungnahmen immer für eine Revitalisierung der Eisenbahnen in Europa ausgesprochen und dabei auf wichtige notwendige Voraussetzungen verwiesen:

Infrastrukturausbau und Beseitigung von Engpässen;

Herstellung der Interoperabilität des Bahnsystems;

Realisierung eines fairen Wettbewerbs zwischen den Verkehrsträgern;

Sicherung der Eisenbahnsicherheit und von Sozialbestimmungen.

4.2

Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihren Beitrag zur Realisierung dieser Voraussetzungen so schnell wie möglich zu leisten.

4.3

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des Schienenpersonenverkehrs für die Verwirklichung der Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und seine Rolle als Leistung der Daseinsvorsorge.

4.4

Der EWSA erkennt den hohen Nutzen eines Netzwerkdienstleisters und seine Integration mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln für die Mobilitätsversorgung der Bevölkerung an. Diese Versorgung darf nicht gefährdet werden.

4.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass jedwede Entscheidung zur Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs auf einer umfassenden und klaren Kenntnis der Gesamtauswirkungen auf den Eisenbahnpersonenverkehr und der Wirkungsgrad der im Rahmen des ersten und zweiten Eisenbahnpakets festgelegten Maßnahmen beruhen müsste.

4.6

Der EWSA fordert die Kommission daher auf, eine ausreichende Ex-ante-Analyse der Vor- und Nachteile einer Liberalisierung des Personenverkehrs durchzuführen. Diese Analyse muss die Auswirkungen einer Liberalisierung untersuchen auf

den Regionalverkehr und den Schienenverkehr als Daseinsvorsorge, insbesondere in den kleinen und mittleren Mitgliedstaaten;

die Servicequalität für den Kunden;

die Beschäftigung und Arbeitsbedingungen im Schienenpersonenverkehr;

die Eisenbahnunternehmen in den neuen Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas.

4.7

Der EWSA fordert die Kommission auf, zunächst den in der Richtlinie 91/440/EWG (geändert durch die Richtlinie 2004/51/EG) geforderten Bericht über die Durchführung der Marktöffnung im Eisenbahngüterverkehr vorzulegen.

4.8

Der EWSA verweist darauf, dass der Entwurf einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen (KOM(2000) 7 endg.), geänderter Vorschlag der Kommission KOM(2002) 107 endg.), weiterhin im Rat anhängig ist. Die Ausgestaltung dieser Verordnung kann Auswirkungen auf die Bestimmungen zum Schutz des gemeinwirtschaftlichen Verkehrs im Rahmen einer Liberalisierung des internationalen Eisenbahnpersonenverkehrs haben.

4.9

Eine Verbesserung der Dienstleistungsqualität im Schienenpersonenverkehr trägt zur Attraktivität des Verkehrsträgers bei und kann die Ziele der europäischen Verkehrspolitik für ein nachhaltiges Verkehrssystem unterstützen. Die Eisenbahnunternehmen tragen hier die Hauptverantwortung. Der EWSA steht jedoch kritisch zu Maßnahmen, die das jetzige Niveau der Dienstleistungsqualität gefährden können, und würde Maßnahmen zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität sehr begrüßen.

4.10

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Förderung einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Eisenbahnunternehmen der geeignete Ansatz für die Verbesserung der Dienstleistungsqualität für Fahrgäste im internationalen Eisenbahnpersonenverkehr, insbesondere im regionalen internationalen Eisenbahnpersonenverkehr ist.

4.11

Der EWSA würde es sehr begrüßen, wenn die Kommission einen Dialog mit den Europäischen Sozialpartnern über die Auswirkungen der Marktöffnung im Schienenverkehr und insbesondere über die quantitativen und qualitativen Beschäftigungswirkungen führen würde.

4.12

In den neuen Mitgliedsländern ist der Anteil des Schienenpersonenverkehrs am gesamten Personenverkehr erheblich höher als in den Ländern der EU-15. Der EWSA hält es für erforderlich, ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung des Schienenpersonenverkehrs in den neuen Mitgliedsländern und die Auswirkung einer Marktöffnung für diese Länder zu legen. Es ist im Interesse der gesamten Gemeinschaft und entspricht den Zielen des Weißbuches zur Verkehrspolitik, dass dieser hohe Anteil am Schienenpersonenverkehr aufrechterhalten bleibt.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Richtlinie 2001/12/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(2)  Richtlinie 2001/13/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 26 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(3)  Richtlinie 2001/14/EG - ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 29 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(4)  Richtlinie 2004/51/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 164 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(5)  Richtlinie 2004/49/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 44 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 881/2004 – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(7)  Richtlinie 2004/50/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 114 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(8)  ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(9)  Siehe Fußnote 8.

(10)  Artikel 2 Buchstabe d) der Richtlinie 2004/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft.

(11)  EU Rail Passenger Liberalisation: Extended impact assessment, February 2004 by Steer Davies Gleave, London.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (gemäß Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung)

Die nachstehenden Änderungsanträge, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfielen, wurden abgelehnt.

Ziffer 3.1.4

Ziffer streichen.

Begründung

Dieser Absatz hat nichts mit der Liberalisierung des Schienenverkehrs zu tun. Hier werden zwei Sektoren in einer Stellungnahme miteinander verquickt, deren Gegenstand die Änderung und Entwicklung der Eisenbahnunternehmen in Europa ist. Man kann nicht behaupten, dass die Kontrolle der Sozialvorschriften im Straßenverkehr ein schwerwiegendes Problem ist, wenn zahlreiche Rechtsvorschriften bestehen, die die Lenk- und Ruhezeiten sowie den Arbeitstag des Fahrpersonals regeln. Die Einhaltung all dieser Rechtsvorschriften wird mit dem Fahrtenschreiber überwacht. Im August dieses Jahres wird ein neues Kontrollinstrument, der digitale Fahrtenschreiber, eingeführt, mit dessen Hilfe der Arbeitstag der Fahrer noch genauer kontrolliert werden kann.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 58

Nein-Stimmen: 80

Stimmenthaltungen: 7

Ziffer 3.1.6

Den letzten Satz streichen:

Dies schließt europäische Sozialvorschriften für den Eisenbahnsektor ein.

Begründung

Die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs in der Gemeinschaft wurde in der Richtlinie 2004/49/EG geregelt.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 52

Nein-Stimmen: 93

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 3.2.3

Absatz wie folgt ersetzen:

„Der EWSA hält es für angezeigt, diesen Bericht nach seiner Veröffentlichung zunächst inhaltlich zu untersuchen, um zu ermitteln, ob der Richtlinienvorschlag abgeändert oder modifiziert werden muss.“

Begründung

Der derzeitige Wortlaut verlangt im Prinzip eine Blockierung des Gesetzgebungsverfahrens, was einer Art rechtlicher Unsicherheit Vorschub leistet, die für alle — Unternehmen, Arbeitnehmer und Kunden — nachteilig ist.

Es erscheint positiver und konstruktiver, wenn der EWSA deutlich zum Ausdruck bringt, dass er gewillt ist, die Schlussfolgerungen zu berücksichtigen, um den Richtlinienvorschlag eventuell abzuändern oder zu modifizieren.

So kann ein dynamischer und offener Prozess beibehalten werden.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 54

Nein-Stimmen: 92

Stimmenthaltungen: 9

Ziffer 3.4.7 und 3.4.8

Die beiden Ziffern durch folgenden Text ersetzen und als Ziffer 3.4.7 nummerieren:

Wenn der neue Vorschlag für eine Verordnung (EWG) Nr. 119/69 dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament vorgelegt wird, sollten die Auswirkungen untersucht werden, die dieser Vorschlag auf die Liberalisierung des Eisenbahnpersonenverkehrs und das Gleichgewicht der gemeinwirtschaftlichen Schienenpersonenverkehre haben könnte.

Begründung

Die derzeitige Fassung spiegelt nicht den aktuellen Stand wider. Die Kommission hat einen neuen Vorschlag erstellt, der dem Verkehrsministerrat im Juni vorgelegt werden könnte. Die Reaktion des Ministerrats oder des Europäischen Parlaments kann nicht vorhergesagt werden.

Mit der vorgeschlagenen Änderung wird ein konstruktiverer Ansatz angestrebt.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 68

Nein-Stimmen: 90

Stimmenthaltungen: 8

Ziffer 3.6

Ziffer streichen.

Begründung

Man kann nicht behaupten, dass die Liberalisierung des Schienenverkehrs zu Arbeitsplatzverlusten führen wird und die neu geschaffenen Arbeitsplätze minderwertig sein werden, wenn eine der Folgen der Liberalisierung der übrigen Verkehrsträger die Schaffung neuer Arbeitsplätze war. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Schiene der einzige Verkehrsträger ist, der noch nicht liberalisiert wurde.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 66

Nein-Stimmen: 102

Stimmenthaltungen: 6


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zertifizierung von mit dem Führen von Triebfahrzeugen und Lokomotiven im Eisenbahnnetz der Gemeinschaft betrautem Zugpersonal“

(KOM(2004) 142 endg. — 2004/0048 (COD))

(2005/C 221/14)

Der Rat beschloss am 28. April 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 71 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorslag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr CHAGAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 127 gegen 25 Stimmen bei 26 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der vorliegende Vorschlag für eine Richtlinie zur Zertifizierung des Zugpersonals ist Bestandteil des so genannten Dritten Eisenbahnpakets, das von der Europäischen Kommission am 3. März 2004 verabschiedet wurde. Die weiteren Elemente sind:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: Liberalisierung des internationalen Eisenbahnpersonenverkehrs (KOM(2004)139 endg.);

Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Verkehr (KOM(2004) 143 endg.);

Vorschlag einer Verordnung zu Entschädigungen und Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr (KOM(2004)144 endg.);

sowie

Mitteilung der Kommission zur Fortsetzung der Integration des europäischen Eisenbahnsystems (KOM(2004) 140);

Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission zur schrittweisen Öffnung des Marktes für den internationalen Eisenbahnpersonenverkehr (SEK(2004) 236).

1.2

Das so genannte Erste Eisenbahnpaket (auch Infrastrukturpaket genannt) trat am 15. März 2001 in Kraft und musste bis zum 15. März 2003 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: u.a. freier Markzugang für den internationalen Schienengüterverkehr auf dem Transeuropäischen Eisenbahngüternetz bis 15. März 2003 und Liberalisierung des gesamten internationalen Schienengüterverkehrs bis 15. März 2008 (1);

Ausweitung des Geltungsbereichs für eine Europäische Lizenz für Eisenbahnunternehmen (Änderung der Richtlinie 95/18/EG) (2);

Harmonisierung der Bestimmungen zur Zuteilung von Infrastrukturkapazitäten und zur Berechnung der Infrastrukturgebühren, Regelungen für ein Sicherheitszertifikat (ersetzt Richtlinie 95/19/EG) (3).

1.3

Im Oktober 2003 hat die Europäische Kommission wegen fehlender Notifizierung der Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets in nationales Recht Klage gegen 9 Mitgliedstaaten beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Im Mai 2004 fehlte die Notifizierung von fünf Ländern, und zwei Mitgliedstaaten hatten die Bestimmungen nur teilweise in nationales Recht umgesetzt.

1.4

Das so genannte Zweite Eisenbahnpaket wurde am 30. April 2004 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht und muss bis zum 30. April 2006 in nationales Recht umgesetzt werden. Es enthält die folgenden Elemente:

Änderung der Richtlinie 91/440/EWG: Vorverlagerung des freien Marktzugangs für den internationalen Eisenbahngüterverkehr auf den 1. Januar 2006 und Liberalisierung des nationalen Eisenbahngüterverkehrs einschließlich Kabotage ab dem 1. Januar 2007 (4);

Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (5);

Verordnung zur Schaffung einer Europäischen Eisenbahnagentur (6);

Änderung der Richtlinien zur Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitssystems (Richtlinie 96/48/EG) und des konventionellen Eisenbahnsystems (Richtlinie 2001/16/EG) (7).

1.5

Mit dem 1. und 2. Eisenbahnpaket wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, einen Binnenmarkt für den Eisenbahngüterverkehr herzustellen. Die Maßnahmen umfassen den Marktzugang, die Lizenzierung und Sicherheitszertifizierung von Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), den Zugang zur Infrastruktur und die Berechnung der Nutzungsgebühren, die Schaffung eines Rechtsrahmens für die Eisenbahnsicherheit sowie Maßnahmen zur Herstellung einer technischen Interoperabilität des Eisenbahnsystems.

1.6

Dieser neu geschaffene Rechtsrahmen erfordert, wie der EWSA bereits in seiner Stellungnahme zum 2. Eisenbahnpaket (8) angemerkt hat, eine völlige organisatorische Umstrukturierung des Sektors mit der Schaffung neuer Behörden und Zuständigkeiten.

1.7

In diesem geschaffenen Rechtsrahmen sind die Sozialbestimmungen hinsichtlich der Qualifikationssicherung des sicherheitsrelevanten Personals und der Einsatzbedingungen dieses Personals unzureichend bzw. nicht geregelt.

1.8

Die Europäischen Sozialpartner im Eisenbahnsektor, die Gemeinschaft der Europäischen Bahnen (CER) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) haben am 17. Januar 2004 zwei europäische Abkommen unterzeichnet:

1)

Einführung einer europäischen Lokführerlizenz für Lokführer im grenzüberschreitenden Verkehr;

2)

Abkommen über bestimmte Aspekte der Einsatzbedingungen des mobilen Eisenbahnpersonals im grenzüberschreitenden Verkehr.

1.9

Der vorliegende Vorschlag einer Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal greift das Abkommen der Sozialpartner zur Einführung einer europäischen Lokführerlizenz zum Teil auf.

1.10

Der EWSA wurde von der Europäischen Kommission darüber unterrichtet, dass die Europäischen Sozialpartner für das Abkommen über Einsatzbedingungen (Ruhe- und Fahrzeiten) einen formalen Antrag zur Implementierung des Abkommens in Form einer Ratsentscheidung gestellt haben. Dieser Antrag wird gegenwärtig von der Kommission geprüft.

2.   Vorschlag der Europäischen Kommission

2.1

Die Kommission begründet die Vorlage des Richtlinienentwurfs mit der Notwendigkeit, die Interoperabilität und Verwaltung des Personals zu verbessern. Die Zulassung von Eisenbahnunternehmen soll unter Wahrung eines hohen Sicherheitsniveaus und unter Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtert werden.

2.2

Sie zitiert ebenfalls die Zielsetzungen der Europäischen Sozialpartner wie u.a.:

die Gewährleistung eines hohen Qualifikationsniveaus des Zugpersonals zur Wahrung und Steigerung des Sicherheitsniveaus;

die Verringerung der Gefahr von Sozialdumping.

2.3

Die Kommission schlägt die Zertifizierung von Triebfahrzeugführern auf Basis einheitlicher europäischer Mindeststandards vor. Dabei sollen zunächst Triebfahrzeugführer im grenzüberschreitenden Verkehr bis 2010 zertifiziert werden und alle übrigen Triebfahrzeugführer im nationalen Verkehr bis 2015.

2.4

Nach Angaben der Kommission werden im ersten Schritt etwa 10 000 Lokführer und im zweiten Schritt etwa 200 000 Lokführer in der Gemeinschaft betroffen sein.

2.5

Darüber hinaus schlägt die Kommission eine Zertifizierung von Zugpersonal vor, das indirekt an der Führung des Triebfahrzeuges beteiligt ist. Der Richtlinienvorschlag enthält jedoch keine spezifischen Bestimmungen, insbesondere keine Bestimmungen über das Qualifikationsniveau des Zugbegleitpersonals. Es sollen die Prinzipien der Richtlinie berücksichtigt werden. Die Definition der Qualifikationsstandards soll über die Europäische Eisenbahnagentur oder innerhalb der Technischen Spezifikationen Interoperabilität zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

2.6

Der Richtlinienentwurf sieht eine Zertifizierung in zwei Teilen vor:

1)

Europäische Fahrerlaubnis, die von den zuständigen Behörden erteilt wird, gemeinschaftsweit anerkannt ist, Eigentum des Triebfahrzeugführers ist und die Grundqualifikationen und Grundvoraussetzungen bescheinigt;

2)

Harmonisierte Zusatzbescheinigung, die von dem Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) ausgestellt wird, im Eigentum des Unternehmens verbleibt und spezifische unternehmensbezogene Qualifikationen bzw. infrastrukturbezogene Qualifikationen bescheinigt.

2.7

Es müssen bei den zuständigen Behörden sowie bei den EVU zwei Register geführt werden, in denen die jeweiligen Qualifikationen und ihre Erneuerung sowie der Entzug und die Änderungen der Fahrerlaubnis und der harmonisierten Zusatzbescheinigungen eingetragen werden.

2.8

Drei Kategorien von Triebfahrzeugführern werden vorgeschlagen: (A) Rangierlokomotiven und Bauzüge, (B) Triebfahrzeugführer für den Personenverkehr und (C) Triebfahrzeugführer für den Güterverkehr.

2.9

Das Mindestalter wird auf 20 Jahre festgesetzt mit der Möglichkeit, auf nationalem Territorium ein Mindestalter von 18 Jahren vorzuschreiben.

2.10

Der Entwurf beinhaltet Bestimmungen zur Änderung und Erneuerung der Fahrerlaubnis und der harmonisierten Zusatzbescheinigungen sowie der regelmäßigen Überprüfung der Voraussetzungen für ihre Aufrechterhaltung oder ihren Entzug einschließlich Einspruchsmöglichkeiten. Er enthält außerdem Bestimmungen über Kontrollen und Sanktionen.

2.11

Ferner umfasst der Vorschlag Bestimmungen zum Zugang zur Ausbildung, den Prüfungen und die Beurteilung der Qualität der Ausbildungssysteme und des Verfahrens.

2.12

Anhang I beschreibt das Gemeinschaftsmodell der Fahrerlaubnis sowie der Zusatzbescheinigung. In den Anhängen II bis VII werden die Aufgaben, medizinisch-psychologischen Voraussetzungen und beruflichen Qualifikationen der Triebfahrzeugführer definiert.

2.13

Die Europäische Eisenbahnagentur wird damit beauftragt, Ende 2010 eine Bilanz vorzulegen und in diesem Bericht ebenfalls die Möglichkeit zur Einführung einer Chipkarte zu prüfen.

3.   Bewertung des Vorschlags der Kommission

3.1   Grundsätzliche Bemerkungen

3.1.1

Der EWSA begrüßt grundsätzlich den Vorschlag für eine Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal.

3.1.2

Triebfahrzeugführer und Zugbegleitpersonal mit sicherheitsrelevanten Funktionen tragen erhebliche Verantwortung für die Sicherheit des Verkehrs, des Personals, der Fahrgäste sowie der Güter. In einem liberalisierten Eisenbahnmarkt muss ein hohes Qualifikationsniveau durch gemeinsame Vorschriften gesichert sein.

3.1.3

Harmonisierte Mindestvorschriften erleichtern darüber hinaus den grenzüberschreitenden Einsatz des Personals (9). Es sollte jedoch betont werden, dass unterschiedliche Betriebssysteme und Sicherheitsvorschriften in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft das größere Hindernis für den grenzüberschreitenden Einsatz der Lokführer darstellen, die auch noch viele Jahre bestehen bleiben werden. Diese unterschiedlichen Systeme sowie die unterschiedlichen Sprachen stellen erhebliche Mehranforderungen an die Qualifizierung des Personals.

3.1.4

Der EWSA weist ferner darauf hin, dass ein hohes Qualifikationsniveau und eine entsprechende Zertifizierung dazu dienen, die Anerkennung und Attraktivität des Berufes aufrechtzuerhalten. Dies ist relevant in einem Beruf mit unattraktiven Arbeitszeiten einerseits und einem zunehmenden Verlust an Arbeitsplatzsicherheit bei gleichzeitigem Entstehen von Zeitagenturen andererseits. In den Sektoren Straßenverkehr und Binnenschifffahrt beklagen sich die Unternehmen bereits über erhebliche Schwierigkeiten, Personal zu finden. Es kann nicht Ziel dieser Richtlinie sein, Ausbildungszeiten zu reduzieren.

3.1.5

Die traditionellen selbst-regulierten Eisenbahnunternehmen haben für die Ausbildung und das Qualifikationsniveau des Zugpersonals sowie die sichere Durchführung des Verkehrs die volle Verantwortung getragen. Dies hat zu einem hohen Qualifikationsniveau geführt und die Eisenbahnen zu einem der sichersten Verkehrsträger gemacht.

3.1.6

Es muss dafür Sorge getragen werden, dass die mit der Richtlinie verbundene Zielsetzung einer höheren Mobilität von Lokführern und einem diskriminierungsfreien Zugang zu Ausbildungseinrichtungen nicht zu Entwicklungen führt, bei denen sich die Qualität der Ausbildung insgesamt verschlechtert und die Kosten der Ausbildung auf die Arbeitnehmer übertragen werden.

3.2   Einzelbestimmungen

3.2.1   Geltungsbereich und Einführung der Zertifizierung

3.2.1.1

Der EWSA unterstützt die stufenweise Einführung der Zertifizierung für den internationalen und den nationalen Verkehr. Dies ermöglicht den Unternehmen eine zeitliche Entzerrung.

3.2.1.2

Verwunderlich ist dennoch der Zeithorizont 2008-2010 für den grenzüberschreitenden Verkehr und 2010-2015 für Lokführer im nationalen Verkehr (Artikel 34). Vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Liberalisierung des internationalen Güterverkehrs seit 2003 bzw. 2006 und des nationalen Güterverkehrs ab 2007 sollte die Zertifizierung von Lokführern zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen.

3.2.1.3

Der EWSA begrüßt ebenfalls eine Zertifizierung des Zugbegleitpersonals. Das Personal mit Sicherheitsfunktionen spielt eine wichtige Rolle im Sicherheitssystem der Eisenbahn. Allerdings ist die vorgeschlagene Definition unverständlich: „Jeder in der Lokomotive oder im Zug anwesende andere Bedienstete als der Triebfahrzeugführer, der indirekt an der Führung des Triebfahrzeuges beteiligt ist ...“ (Artikel 25). Besser sollte von dem Zugbegleitpersonal gesprochen werden, das Sicherheitsaufgaben wahrnimmt. Der EWSA würde es bevorzugen, wenn die Aufgaben und erforderlichen Qualifikationen dieser Personalkategorie ebenfalls im Anhang der Richtlinie geregelt würden.

3.2.2   Klassen von Lokführern

3.2.2.1

Es werden drei „Führerscheinklassen“ vorgeschlagen, für die Rangierdienste, den Personenverkehr und den Güterverkehr (Artikel 4 Absatz 2). Eine Unterscheidung zwischen Personen- und Güterverkehr ist nicht praktisch, und es gibt keine inhaltliche Begründung für eine solche Unterscheidung. Die Ausbildung und die konkrete Berufsausübung unterscheiden sich nicht. Die Kenntnisse der entsprechenden Triebfahrzeuge werden gesondert zertifiziert und häufig werden die gleichen Triebfahrzeuge genutzt. Zwei Kategorien, orientiert an den Sicherheitsanforderungen, sind ausreichend: Triebfahrzeugbewegungen auf geschlossenen Strecken (Rangierbahnhöfe, Baustellen) und auf der offenen Strecke (Streckentriebfahrzeugführer).

3.2.2.2

Darüber hinaus hält es der EWSA für angemessener, die Lokführerklasse auf der Fahrerlaubnis einzutragen und nicht auf der harmonisierten Zusatzbescheinigung.

3.2.3   Mindestalter und Berufserfahrungen

3.2.3.1

Im Richtlinienvorschlag wird das Mindestalter auf 20 Jahre festgelegt. Die Mitgliedstaaten können allerdings gemäß Artikel 8 bereits ab dem Alter von 18 Jahren eine Fahrerlaubnis erteilen. In einer Reihe von Mitgliedstaaten (10) beträgt das Mindestalter 21 Jahre. Die Richtlinie würde eine Reduzierung des Mindestalters — zumindest für den grenzüberschreitenden Verkehr — zur Folge haben.

3.2.3.2

Der EWSA ist der Meinung, dass das Mindestalter auf 21 Jahre festgelegt werden sollte. Gerade für den grenzüberschreitenden Verkehr werden höhere Anforderungen gestellt und sind umfassendere Qualifikationen erforderlich. Dies ist vereinbar mit der Möglichkeit, für das nationale Gebiet ein niedrigeres Alter festzulegen.

3.2.3.3

Der EWSA würde es auch begrüßen, wenn für den Einsatz im grenzüberschreitenden Verkehr eine Berufserfahrung von drei Jahren als Streckenlokführer im nationalen Verkehr vorausgesetzt würde. Eine ähnliche Bestimmung für den nationalen Verkehr ist in Artikel 10 bereits vorgesehen. Im Falle von Eisenbahngesellschaften, die nur im grenzüberschreitenden Verkehr tätig sind, könnte die erforderliche Berufserfahrung der Lokführer in Zusammenarbeit mit anderen, im nationalen Verkehr tätigen Eisenbahngesellschaften erworben werden.

3.2.4   Struktur der Zertifizierung

3.2.4.1

Die Kommission schlägt eine Zertifizierung in zwei Teilen vor: eine von der zuständigen Behörde ausgestellte und europaweit anerkannte Europäische Fahrerlaubnis sowie eine von den Unternehmen ausgestellte harmonisierte Bescheinigung. Sie begründet diese Zweiteilung damit, dass die ursprünglich angedachte einheitliche Lizenz mit Chipkartensystem zu kompliziert und teuer in der Einführung sei.

3.2.4.2

Der EWSA stimmt grundsätzlich der von der Kommission vorgeschlagenen Struktur zu. Allerdings enthält die Aufteilung der zertifizierten Qualifikationen auf die beiden Dokumente Unschärfen. Dies betrifft insbesondere die Frage der Infrastrukturkenntnisse. Hier sollte klar unterschieden werden zwischen den Kenntnissen der Betriebs- und Sicherheitsvorschriften für eine bestimmte Infrastruktur einerseits und die Strecken- und Ortskenntnisse andererseits. Während die Kenntnisse der Betriebsvorschriften einer oder mehrerer Infrastrukturnetze auf der Fahrerlaubnis bescheinigt werden sollten, müssten die regelmäßig zu erneuernden Strecken- und Ortskenntnisse auf der harmonisierten Zusatzbescheinigung zertifiziert werden.

3.2.4.3

Die zweigeteilte Struktur der Zertifizierung ist für einen Übergangszeitraum möglich. Allerdings sollte das Ziel eines einheitlichen Dokuments mit Chip, das sowohl die Grundkenntnisse als auch die unternehmensspezifischen Kenntnisse bescheinigt, nicht aus dem Auge verloren werden.

3.2.5   Akkreditierung von Prüfern und Bildungseinrichtungen

3.2.5.1

Die Europäische Eisenbahnagentur hat die Aufgabe, Kriterien zur Akkreditierung von Ausbildern, Prüfern und Ausbildungseinrichtungen zu erarbeiten. Der EWSA hält dies für einen gangbaren Weg, sieht jedoch Unklarheiten in der Richtlinie. Es ist nicht eindeutig geregelt, welche Prüfungen von einem akkreditierten Prüfer abzulegen sind und welche Qualifikationen von dem EVU selbst, ohne akkreditierten Prüfer bescheinigt werden. Es ist nicht eindeutig geregelt, dass die Prüfung der Kenntnisse des Betriebs- und Sicherheitssystems einer bestimmten Infrastruktur von einem Prüfer durchzuführen ist, der von dem jeweiligen Mitgliedsland akkreditiert wurde.

3.2.6   Fachliche Qualifikationen und medizinisch-psychologische Voraussetzungen

3.2.6.1

Der Richtlinienvorschlag enthält in den Anhängen eine Aufstellung der Aufgaben von Lokführern, die Anforderungen an die allgemeinen und besonderen fachlichen Qualifikationen sowie die medizinisch-psychologischen Voraussetzungen. Die Kommission hat sich in ihrem Vorschlag weitgehend an das Abkommen der Europäischen Sozialpartner zur Einführung einer Europäischen Triebfahrzeugführerlizenz orientiert.

3.2.6.2

Der EWSA begrüßt diese Orientierung an den von den Sozialpartnern selbst definierten fachlichen und medizinisch-psychologischen Voraussetzungen. Er sieht hierin eine Garantie für ein hohes Qualifikationsniveau zugunsten der Sicherheit des Verkehrs. Der EWSA ist grundsätzlich der Meinung, dass die notwendigen Qualifikationen und Voraussetzungen für die Zertifizierung von Triebfahrzeugführern innerhalb der Richtlinie zu regeln sind.

3.2.6.3

Eine Änderung der Anhänge erfolgt durch den Ausschuss von Vertretern der Mitgliedstaaten, der auch für die Verabschiedung der Technischen Spezifikationen Interoperabilität (TSI) zuständig ist. Im Rahmen der Interoperabilitäts-Richtlinien ist eine Konsultation der Sozialpartner zu Fragen der Qualifikationen und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vorgeschrieben. Da die Anhänge der Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal auf Definitionen der Europäischen Sozialpartner beruhen, sollte konsequenterweise eine Beteiligung dieser Sozialpartner bei Änderung der Anhänge erfolgen. Der EWSA fordert nachdrücklich die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in die Richtlinie.

3.2.7   Regelmäßige Überprüfungen

3.2.7.1

Bestimmte Kenntnisse müssen für die Aufrechterhaltung der Fahrerlaubnis oder der harmonisierten Zusatzbescheinigung regelmäßig überprüft werden.

3.2.7.2

Hinsichtlich der regelmäßigen medizinischen Untersuchungen hat sich die Kommission an dem Abkommen der Europäischen Sozialpartner orientiert.

3.2.7.3

Der EWSA verweist an dieser Stelle auf die Notwendigkeit einer psychologischen Betreuung nach Eisenbahnunfällen mit Personen (oft Selbstmorde auf der Schiene), was in der Richtlinie (Artikel 14 in Verbindung mit Anhang III) nicht beachtet wurde.

3.2.7.4

Hinsichtlich der regelmäßigen Erneuerung der Streckenkenntnisse bleibt der Vorschlag jedoch zu ungenau. Es sollte deutlich geregelt werden, dass bescheinigte Streckenkenntnisse verlöschen, wenn die entsprechende Strecke ein Jahr lang nicht befahren wurde.

3.2.7.5

Die Richtlinie enthält keine Bestimmungen zur regelmäßigen Weiterbildung der allgemeinen Kenntnisse der Lokführer, wie dies ebenfalls im Abkommen der Europäischen Sozialpartner geregelt ist. Der EWSA empfiehlt, entsprechend dem Abkommen der Europäischen Sozialpartner in der Richtlinie eine Weiterentwicklung und jährliche Auffrischung der Grundfertigkeiten von Lokführern vorzusehen.

3.2.8   Entzug der Lizenz

3.2.8.1

Die Richtlinie fordert, dass Lokführer den zuständigen Behörden mitteilen, wenn sie nicht mehr über die notwendigen Voraussetzungen zur Ausübung des Berufs verfügen. Dies kommt einer Selbstanzeige gleich, die den Lokführer überfordert. Nur ein akkreditierter Arbeitsmediziner ist in der Lage, diese Entscheidung zu treffen und das Unternehmen darüber zu informieren. Das Unternehmen muss die Behörden informieren.

3.2.8.2

Die Richtlinie regelt nicht das Verfahren zur Wiedererlangung einer entzogenen Lizenz.

4.   Vorschlag einer Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal und das Abkommen der Europäischen Sozialpartner zur Einführung einer Europäischen Lokführerlizenz

4.1

Der EWSA begrüßt, dass die Europäischen Sozialpartner CER und ETF selbst initiativ geworden sind und für ihren Bereich bereits eine Lizenzierung von grenzüberschreitend tätigen Triebfahrzeugführern geregelt haben.

4.2

Das Abkommen hat den Vorteil, dass für die Beschäftigten der Unternehmen, die in der CER Mitglied sind, bereits frühzeitig ein hohes Qualifikationsniveau garantiert wird und nicht erst im Jahr 2010. Diese Unternehmen dürfen gegenüber den Unternehmen, die das Abkommen nicht anwenden, nicht benachteiligt werden.

4.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Abkommen der Europäischen Sozialpartner in den Bereichen, in denen es sich mit dem Geltungsbereich der Richtlinie überschneidet, voll berücksichtigt werden muss.

4.4

Das Abkommen der Europäischen Sozialpartner geht davon aus, dass die betroffenen Triebfahrzeugführer über eine nationale Zertifizierung welcher Art auch immer verfügen, und regelt diesen Bereich nicht. Dies basiert auf der jahrelangen Erfahrung der traditionellen Eisenbahnunternehmen mit Kooperationsverkehren.

4.5

Die Europäische Triebfahrzeugführerlizenz gemäß dem Abkommen der Sozialpartner ist eine zusätzliche Lizenz, die die zusätzlichen Kenntnisse bescheinigt, die notwendig sind, um auf der Infrastruktur eines anderen Landes zu fahren. Sie wird von den Unternehmen ausgestellt und ist Eigentum der Unternehmen.

4.6

Der Vorschlag einer harmonisierten Zusatzbescheinigung gemäß Richtlinie stimmt in groben Zügen mit dem System der europäischen Lokführerlizenz überein.

4.7

Der EWSA fordert die Kommission auf zu prüfen, inwieweit für eine Übergangszeit die Europäische Lokführerlizenz gemäß Abkommen der Sozialpartner als gleichberechtigt zur harmonisierten Zusatzbescheinigung anerkannt werden kann, um hier den bereits tätig gewordenen Unternehmen entgegenzukommen. Die Richtlinie sollte eine entsprechende Bestimmung enthalten.

4.8

Nach Ansicht des EWSA werden die Unternehmen, die sich dem Abkommen der Sozialpartner anschließen, in einer Hinsicht gegenüber den Unternehmen, die gemäß Richtlinie zertifizieren, benachteiligt: Das Abkommen sieht eine jährliche Weiterbildung in den allgemeinen fachlichen Kenntnissen vor. Diese Bestimmung wurde nicht in den Richtlinienentwurf übernommen, obwohl sie zur Aufrechterhaltung des Qualifikationsniveaus unverzichtbar ist.

5.   Schlussfolgerungen

5.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag einer Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal. Er bedauert, dass diese soziale Maßnahme als letztes Glied in einer Kette von europäischen Rechtsvorschriften zur Liberalisierung des Eisenbahngüterverkehrs vorgelegt wird.

5.2

Triebfahrzeugführer und Zugbegleitpersonal üben wichtige Sicherheitsfunktionen aus. Die Zertifizierung von Triebfahrzeugführern und von Zugbegleitpersonal mit Sicherheitsaufgaben muss ein hohes Qualifikationsniveau garantieren.

5.3

Der EWSA betrachtet die große zeitliche Verschiebung zwischen dem Wirksamwerden der vollständigen Marktöffnung für den Eisenbahngüterverkehr und den Fristen zur Einführung der Zertifizierung mit Sorge und fordert die Kommission auf, alle möglichen Anstrengungen zur Verringerung dieses zeitlichen Abstands zu unternehmen.

5.4

Der EWSA fordert daher den Rat und das Europäische Parlament auf, den Entwurf einer Richtlinie zur Zertifizierung von Zugpersonal aus dem Dritten Paket herauszulösen und gesondert zu behandeln, um weitere Zeitverzögerungen zu vermeiden. Das Europäische Parlament und der Rat sollten diese Richtlinie bevorzugt und zügig verabschieden.

5.5

Die von dem EWSA vorgebrachte Stellungnahme einschließlich der vorgeschlagenen Änderungen sollte dabei umfassend berücksichtigt werden.

5.6

Der EWSA begrüßt das Abkommen der Europäischen Sozialpartner über „Bestimmte Aspekte der Einsatzbedingungen des mobilen Eisenbahnpersonals im grenzüberschreitenden Verkehr“ und fordert die Kommission auf, das Abkommen dem Rat zur Entscheidung vorzulegen, und empfiehlt dem Rat, den Vorschlag anzunehmen.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Richtlinie 2001/12/EG – ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(2)  Richtlinie 2001/13/EG – ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 26 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(3)  Richtlinie 2001/14/EG – ABl. L 75 vom 15.3.2001, S. 29 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 209 vom 22.7.1999, S. 22.

(4)  Richtlinie 2004/51/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 164 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(5)  Richtlinie 2004/49/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 44 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 881/2004 – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 1 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(7)  Richtlinie 2004/50/EG – ABl. L 164 vom 30.4.2004, S. 114 – Stellungnahme des EWSA – ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(8)  ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 131.

(9)  Allerdings sollte hier betont werden, dass der Austausch von Lokführern und Zugpersonal an der Grenze nur wenige Minuten in Anspruch nimmt (z.B. 8 Minuten am Brenner). Aufenthalte an der Grenze im Güterverkehr sind stärker durch andere Faktoren wie Überprüfung von Dokumenten, Wagenkontrolle u.a. begründet.

(10)  Zum Beispiel in Österreich, Dänemark, den Niederlanden, Deutschland und Norwegen.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (gemäß Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung)

Der nachstehende Änderungsantrag, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfielen, wurde abgelehnt.

Ziffer 3.2.3.3

Ziffer ersatzlos streichen.

Begründung

Der Richtlinienentwurf sieht eine Zertifizierung in zwei Teilen vor:

die Einführung einer gemeinschaftsweit anerkannten europäischen Fahrerlaubnis für Lokführer;

das Ausstellen einer harmonisierten Zusatzbescheinigung, in der spezifische unternehmensbezogene Qualifikationen bzw. infrastrukturbezogene Qualifikationen bescheinigt werden.

Der Entwurf beinhaltet Bestimmungen zur Änderung und Erneuerung der Fahrerlaubnis und der harmonisierten Zusatzbescheinigungen sowie der regelmäßigen Überprüfung der Voraussetzungen für ihre Aufrechterhaltung.

Ziel der harmonisierten Zusatzbescheinigung ist es, die Eignung eines Triebfahrzeugführers und seine betreffenden Strecken- und Ortskenntnisse zu überprüfen.

Deshalb sind die Gründe für eine zusätzliche dreijährige Probezeit für den internationalen Streckenverkehr nicht nachvollziehbar. Der gegenwärtigen Fassung der Ziffer zufolge würde sich die mitunter verlangte zweijährige Berufserfahrung, die für den Wechsel von der Kategorie der Triebfahrzeugführer für Rangierlokomotiven in die Kategorie der Triebfahrzeugführer für den Personen- und Güterverkehr erforderlich ist, um diese Probezeit verlängern.

Eine solche Bestimmung, mit der eine fünfjährige Probezeit geschaffen würde, würde die harmonisierte Zusatzbescheinigung entwerten und widerspräche der angestrebten Interoperabilität im grenzüberschreitenden Verkehr. Sie hätte die Wirkung oder das Ziel, den Ausbau und die Verbesserung des grenzüberscheitenden Eisenbahnbetriebs zu behindern.

Schließlich ist nicht verständlich, wieso für das Führen eines Zuges auf dem nationalen Streckennetz unterschiedliche Anforderungen als für das Führen auf dem internationalen Streckennetz gestellt werden, wenn doch bereits mit der harmonisierten Zusatzbescheinigung die erforderlichen Qualifikationen und Streckenkenntnisse gewährleistet werden.

Ziffer 3.2.3.3. ist deshalb nicht nachvollziehbar und sollte gestrichen werden.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 59

Nein-Stimmen: 100

Stimmenthaltungen: 11


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen“

(KOM(2004) 699 endg. — 2004/0242 (CNS))

(2005/C 221/15)

Der Rat beschloss am 10. November 2004 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschalg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 12. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr Pezzini.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 132 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Verordnung (EG) Nr. 2501/2001 des Rates vom 10. Dezember 2001 (1) über ein Mehrjahresschema allgemeiner Zollpräferenzen läuft am 31. Dezember 2005 aus. Im Juli 2004 nahm die Kommission Leitlinien (2) zur Rolle des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) in der nächsten Zehnjahresperiode vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2015 an. Sie hat nun ihre Vorschläge (3) für die Durchführungsverordnung vorgelegt.

1.1.1

Im Jahr 1994 wurden mit den vorherigen Leitlinien (4) für den Zehnjahreszeitraum 1994 bis 2005 und deren Durchführungsverordnungen eine Reihe wichtiger Änderungen wie die Modulation der Präferenzzölle je nach Empfindlichkeit der Ware, die Graduierung und als Anreiz konzipierte Sonderregelungen eingeführt. Im Jahr 2001 wurde eine Sonderregelung für die am wenigsten entwickelten Länder („Alles außer Waffen“-Regelung) auf unbegrenzte Zeit eingeführt. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass einige dieser Maßnahmen in der Praxis gut funktionieren und daher fortgeführt werden sollten, andere jedoch der Anpassung bedürfen.

1.1.2

Im Rahmen ihres Schemas allgemeiner Zollpräferenzen gewährt die Gemeinschaft den Entwicklungsländern seit 1971 Handelspräferenzen. Die Handelspolitik spielt in den Beziehungen der EU zum Rest der Welt eine Schlüsselrolle. Das APS ist Teil dieser Politik; es muss mit der Entwicklungspolitik im Einklang stehen und zur Erreichung ihrer Ziele beitragen. Hierfür muss es den Anforderungen der WTO entsprechen und darf vor allem nicht gegen die GATT-Ermächtigungsklausel von 1979 verstoßen. Darüber hinaus muss es auch mit der Entwicklungsagenda von Doha vereinbar sein. Eine der obersten Prioritäten besteht darin, den Entwicklungsländern dabei zu helfen, Nutzen aus der Globalisierung zu ziehen, weshalb der Handel insbesondere mit nachhaltiger Entwicklung verknüpft wird. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass nachhaltige Entwicklung eine Reihe verschiedener Aspekte wie die Achtung grundlegender Menschen- und Arbeitnehmerrechte, verantwortungsvolles Regieren und den Schutz der Umwelt umfasst. Ferner stellt die Drogenbekämpfung eine gemeinsame Verantwortung aller Länder dar.

1.2

Seit der Veröffentlichung ihrer Leitlinien für den kommenden Zehnjahreszeitraum hat die Kommission zahlreiche Meinungen eingeholt. Wegen der erforderlichen Spezialstatistiken wurden die Folgenabschätzungen jedoch intern durchgeführt. Die Kommission wird eine Folgenabschätzung in Bezug auf die Regionen in äußerster Randlage der EU vornehmen, sobald die Verordnung in Kraft tritt.

1.3

Es wird nicht damit gerechnet, dass sich durch die im Verordnungsentwurf vorgeschlagenen Änderungen Grundlegendes in Bezug auf den jährlichen Verlust an Zolleinnahmen verglichen mit der derzeitigen Situation ändern wird.

2.   Die Vorschläge der Kommission

2.1

Die Vorschläge stellen auf eine Vereinfachung des derzeitigen Systems durch die Reduzierung der Regelungen von fünf auf drei ab. Diese Vereinfachung konnte durch die Einführung einer einzigen als Anreiz konzipierten Sonderregelung an Stelle der drei Sonderregelungen für den Schutz der Arbeitnehmerrechte, für den Umweltschutz und zur Bekämpfung der Drogenproduktion und des Drogenhandels erzielt werden. Das vorgeschlagene System setzt sich wie folgt zusammen:

eine allgemeine Regelung,

eine als Anreiz konzipierte Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung und

eine Sonderregelung für die am wenigsten entwickelten Länder („Alles außer Waffen“-Regelung).

2.2

Eine weitere Vereinfachung kann dadurch erzielt werden, dass diejenigen Länder von der Begünstigtenliste gestrichen werden, die derzeit im Rahmen eines bilateralen, Regional- oder Freihandelabkommens präferenziellen Zugang zum Gemeinschaftsmarkt genießen. Die Gemeinschaft wird dafür sorgen, dass kein Land aufgrund dieser Maßnahme benachteiligt wird, indem sie zuvor gewährte Vergünstigungen für die jeweiligen Waren in die betreffenden Freihandelsabkommen aufnimmt.

2.3

Die Präferenzen werden auch weiter je nach Empfindlichkeit der Waren differenziert. Die Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für als nicht empfindlich eingestufte Waren werden weiterhin vollständig ausgesetzt, mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Bestandteile. Die derzeitige Herabsetzung um 3,5 Prozentpunkte für empfindliche Waren wird beibehalten.

2.4

Die allgemeine Regelung steht allen Ländern offen; eine Ausnahme bilden die Länder, die von der Weltbank während drei aufeinanderfolgender Jahre als Länder mit hohem Einkommen eingestuft wurden und bei denen die fünf größten Abschnitte der unter das APS fallenden Ausfuhren in die Gemeinschaft weniger als 75 % der gesamten vom APS erfassten Ausfuhren ausmachen. Jedes derartige Land, das derzeit durch das APS begünstigt wird, soll nach Inkrafttreten des Verordnungsvorschlags aus diesem Schema gestrichen werden. Begünstigte Länder, die außerdem ein Handelsabkommen mit der Gemeinschaft in Anspruch nehmen, das mindestens alle von dem aktuellen Schema vorgesehenen Präferenzen für dieses Land abdeckt, werden ebenfalls von der Begünstigtenliste ausgeschlossen.

2.5

Die als Anreiz konzipierte Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung ist auf die bedürftigsten Entwicklungsländer ausgerichtet. Die zusätzlichen Präferenzen werden denjenigen Entwicklungsländern sofort gewährt (sofern diese einen Antrag gestellt haben), die die 16 in Anhang 1 aufgelisteten Hauptübereinkommen zu den Menschen- und Arbeitnehmerrechten sowie mindestens sieben der in Anhang 2 enthaltenen Übereinkommen bezüglich des verantwortungsvollen Regierens und des Schutzes der Umwelt ratifiziert und tatsächlich umgesetzt haben. Zugleich müssen sich die begünstigten Länder dazu verpflichten, die noch nicht von ihnen ratifizierten internationalen Übereinkommen zu ratifizieren und tatsächlich umzusetzen. Als Frist für den Abschluss dieses Prozesses wird der 31. Dezember 2008 festgelegt.

2.5.1

Die ausgewählten Übereinkommen beinhalten Mechanismen, anhand deren die jeweiligen internationalen Organisationen in regelmäßigen Abständen bewerten können, wie effizient die Übereinkommen umgesetzt wurden. Die Kommission wird diese Bewertungen berücksichtigen, bevor sie entscheidet, welche antragstellenden Länder als Begünstigte der als Anreiz konzipierten Sonderregelung ausgewählt werden. Aufgrund der Anträge der Entwicklungsländer wird die Kommission später eine Liste mit den Begünstigten erstellen.

2.5.2

Die Anträge der Länder, die in den Genuss dieser als Anreiz konzipierten Sonderregelung kommen möchten, müssen innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung der Verordnung eingereicht werden.

2.5.3

Eine weitere Bedingung ist, dass ein antragstellendes Land als „verletzbares Land“ gilt. Für diesen Zweck gilt als „verletzbares Land“ ein Land, wenn es von der Weltbank nicht als Land mit hohem Einkommen eingestuft wurde oder wenn seine unter das APS fallenden Ausfuhren in die Gemeinschaft weniger als 1 % der gesamten vom APS abgedeckten Einfuhren in die Gemeinschaft ausmachen.

2.6

Die Vorschläge beinhalten ferner Maßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen, die die Streichung eines Landes von der UNO-Liste der am wenigsten entwickelten Länder hat. Diese Abschwächung soll dadurch erreicht werden, dass das betreffende Land während eines Übergangszeitraums nach und nach von der „Alles außer Waffen“-Regelung ausgeschlossen wird. Gegenwärtig verliert das betroffene Land noch automatisch umgehend alle Vorteile, die es als am wenigsten entwickeltes Land im Rahmen des APS genossen hat. Mit dem neuen Mechanismus soll dies während eines Übergangszeitraums stufenweise erfolgen.

2.7

Der Graduierungsmechanismus wurde beibehalten, jedoch im Hinblick auf eine einfachere Handhabung geändert. Wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt soll die Graduierung auf Warengruppen aus Ländern angewandt werden, die auf dem Gemeinschaftsmarkt wettbewerbsfähig sind und das APS nicht mehr zur Förderung ihrer Ausfuhren benötigen, doch sollen die derzeitig gültigen Kriterien (Anteil an den präferenzbegünstigten Einfuhren, Entwicklungsindex und Spezialisierungsindex für Ausfuhren) durch ein einziges einfaches Kriterium ersetzt werden: den Anteil am Gemeinsamen Markt, ausgedrückt als Anteil an den präferenzbegünstigten Einfuhren. Die Warengruppen werden durch einen Verweis auf die „Abschnitte“ in der Kombinierten Nomenklatur definiert. Da nur diejenigen Länder, die in Bezug auf alle Waren eines Abschnitts wettbewerbsfähig sind, vom Graduierungsmechanismus erfasst werden, sind kleine Länder, die nur einige wettbewerbsfähige Waren aus einem Abschnitt in die Gemeinschaft exportieren, von der Graduierung nicht betroffen.

2.7.1

Die Graduierung findet auf ein begünstigtes Land in Bezug auf die Waren eines Abschnitts Anwendung, wenn die durchschnittlichen Ausfuhren von Waren des betreffenden Abschnitts aus diesem Land in die Gemeinschaft während drei aufeinanderfolgender Jahre 15 % der Gemeinschaftseinfuhren derselben Waren aus allen Ländern übersteigen. Für einige Textilerzeugnisse liegt der Schwellenwert bei 12,5 %.

2.8

Beläuft sich ein gemäß den Bestimmungen dieser Verordnung herabgesetzter Wertzoll auf 1 % oder weniger, so wird er vollständig ausgesetzt. Der Wertzoll wird ebenfalls vollständig ausgesetzt, wenn sich ein spezifischer Zoll für eine Maßeinheit auf 2 Euro oder weniger beläuft.

2.9

Die Vorschläge beinhalten auch Bestimmungen über eine Aussetzung der Zollpräferenzen für alle bzw. bestimmte Waren aus Ländern, die sich bestimmter, genau definierter Verstöße bzw. Praktiken schuldig machen. Diese Bestimmungen stellen jedoch keine wesentliche Abweichung vom Status quo dar. Die Kommission hat betont, dass auch weiterhin nur in Ausnahmefällen auf diese Bestimmungen zurückgegriffen werden darf.

2.9.1

Wird eine Ware mit Ursprung in einem begünstigten Land unter Bedingungen eingeführt, die die Gemeinschaftshersteller von gleichartigen oder direkt konkurrierenden Waren in ernste Schwierigkeiten bringen oder zu bringen drohen, so kann auf Antrag eines Mitgliedstaates oder auf Veranlassung der Kommission der Zollsatz des Gemeinsamen Zolltarifs für diese Ware jederzeit wieder eingeführt werden.

2.10

Bei der Umsetzung dieser Verordnung soll die Kommission von einem Ausschuss für allgemeine Präferenzen unterstützt werden, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt. Der Ausschuss erhält von der Kommission Berichte über das Funktionieren des APS und prüft sämtliche damit zusammenhängende Fragen. Insbesondere soll der Ausschuss jedoch in die Behandlung folgender Fragen eingebunden werden: Anwendung der als Anreiz konzipierten Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung auf ein antragstellendes Land, vorübergehende Rücknahme der Zollpräferenzen, Wiedereinführung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs, sofern ein Gemeinschaftshersteller in ernste Schwierigkeiten gebracht wird, Festlegung der Übergangszeiträume für den Verlust der Vorteile aus der „Alles außer Waffen“-Regelung durch die Streichung eines Landes von der UNO-Liste der am wenigsten entwickelten Länder.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Das APS ist ein wichtiges Instrument der EU-Außenhandelspolitik, das weitreichende Auswirkungen hat: Es beeinflusst erheblich das Geschehen in den Entwicklungsländern, schlägt sich im EU-Haushalt nieder, wirkt sich auf die Beziehungen zu den EU-Handelspartnern in Organisationen wie der WTO aus und hat tiefgreifende Folgen für die europäische Industrie, insbesondere die verarbeitende Industrie. Das APS ist eine der wenigen Materien, die auf europäischer Ebene in einer eher föderalen denn nicht-föderalen Weise gehandhabt wird. Die Kommission verfügt über die ausschließliche Zuständigkeit in diesem Bereich. Durch die Globalisierung hat das APS noch an Bedeutung gewonnen, und die EU nutzt dieses System, um die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, von den Vorteilen der Globalisierung zu profitieren. Gleichzeitig bietet dieses System der EU die Möglichkeit, das Konzept der nachhaltigen Entwicklung zu fördern, indem denjenigen Ländern ein präferentieller Zugang zum europäischen Markt gewährt wird, die die grundlegenden Menschenrechte einhalten.

3.2

Nach Veröffentlichung der Leitlinien (5) seitens der Kommission, die die Grundlage für die nun vorgelegten Vorschläge bilden, erarbeitete der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Stellungnahme (6), in der er im Detail auf die behandelten Fragen einging. In dieser Stellungnahme hielt der Ausschuss fest, dass die Vereinfachung des Systems eines der wichtigsten Ziele darstellen sollte. Er begrüßt daher diejenigen in den Vorschlägen der Kommission enthaltenen Maßnahmen, die auf die Vereinfachung des Systems abstellen. Insbesondere ist er der Meinung, dass die Reduzierung der Regelungen von fünf auf drei wesentlich zur Erreichung dieses Zieles beitragen wird.

3.3

Des Weiteren forderte der Ausschuss (7) die Verringerung der Zahl der begünstigten Länder und schlug unter anderem vor, diejenigen Länder, die derzeit im Rahmen eines Freihandelsabkommens präferenziellen Zugang zum Gemeinschaftsmarkt haben, von der Begünstigtenliste zu streichen, wobei jedoch sichergestellt werden muss, dass sie im Rahmen dieses bilateralen Abkommens dieselben Vorteile wie im geltenden APS erhalten. Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass diese Empfehlung von der Kommission angenommen wurde.

3.4

Der Ausschuss brachte außerdem seine Besorgnis darüber zum Ausdruck (7), dass der Großteil der Gemeinschaftshilfe den am weitesten entwickelten begünstigten Ländern und nicht den hilfsbedürftigsten Ländern zugute kommt. Er nimmt daher mit Befriedigung zur Kenntnis, dass die Kommission diese Thematik aufgegriffen hat, fragt sich allerdings, ob die Vorschläge ausreichend sind.

3.5

Der Ausschuss sprach die Empfehlung aus (7), den Graduierungsmechanismus beizubehalten, ihn allerdings einfacher und transparenter zu gestalten. Er unterstützt die Vorschläge der Kommission in diesem Bereich und vertritt die Auffassung, dass sie grundlegende Verbesserungen in beiderlei Hinsicht mit sich bringen werden. Die Einführung eines einzigen einfachen Kriteriums anstelle der derzeitigen zahlreichen Kriterien dürfte sowohl zur Vereinfachung als auch zur Transparenz des Prozesses beitragen.

3.6

Der Ausschuss drängte darauf (7), die Gelegenheit zu nutzen und auf eine Harmonisierung, Vereinfachung und einheitliche Ausrichtung aller Regeln und Verfahren des APS zu achten. Er ist der Ansicht, dass dieses Ziel mit den Vorschlägen der Kommission ein ganzes Stück näher gerückt ist.

3.7

Der Ausschuss forderte (7), dass die Kommission eine detaillierte Folgenabschätzung für ihre Vorschläge erstellt. Er bringt nun seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass dies nicht geschehen ist, und möchte darauf hinweisen, dass eine Folgenabschätzung für die Regionen in äußerster Randlage der EU nach der Veröffentlichung der Verordnung sinnlos ist, sofern sie nicht dazu dienen soll, das System aufgrund der Ergebnisse dieser Folgenabschätzung zu überarbeiten, was jedoch wiederum der Anforderung widerspricht, dass die Verordnung langfristig Bestand haben soll. Ein Klima der Unsicherheit ist einem zufriedenstellenden Funktionieren des APS abträglich.

3.8

Der Ausschuss begrüßt, dass die Achtung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte, der Umweltschutz, das verantwortungsvolle Regieren und die Bekämpfung von Drogenproduktion und des Drogenhandels in die Definition der „nachhaltigen Entwicklung“ aufgenommen wurden.

3.9

Der Ausschuss betonte (7), dass sich die bisherigen als Anreize konzipierten Sonderregelungen als vollkommen wirkungslos erwiesen haben. Bislang wurden nur zwei Länder als förderfähig für die als Anreiz konzipierte Sonderregelung für den Schutz der Arbeitnehmerrechte bewertet. Für die Sonderregelung zum Umweltschutz kommt überhaupt kein Land in Frage, wohingegen zwölf Länder in den Genuss der Sonderregelung zur Bekämpfung der Drogenproduktion und des Drogenhandels kommen, ohne jedoch spürbare Auswirkungen dieser Maßnahmen nachweisen zu können.

3.9.1

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die neuen Vorschläge zwar eine willkommene Vereinfachung dieses Prozesses darstellen, aber kaum eine größere Wirkung erzielen werden. Die Anreize wurden nicht ausgebaut, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die neuen Regelungen den begünstigten Ländern einen größeren Anreiz dafür bieten, sich die nachhaltige Entwicklung in Theorie und Praxis zu eigen zu machen. Da sie die Anforderung erfüllen müssen, 27 internationale Übereinkommen umzusetzen, werden sie es möglicherweise vorziehen, ihren eigenen Geboten zu folgen und auf die angebotenen Vorteile zu verzichten.

3.9.2

Da ein sinnvoller Anreiz innerhalb der Grenzen eines kontinuierlichen Abbaus der Zollschranken nur schwer geboten werden kann, könnte in Erwägung gezogen werden, an die Einhaltung dieser Übereinkommen auch die Gewährung der Entwicklungshilfe zu koppeln.

3.10

Der Ausschuss hält fest, dass alle von den antragstellenden Ländern einzuhaltenden Übereinkommen Mechanismen beinhalten, anhand deren „die jeweiligen internationalen Organisationen“ in regelmäßigen Abständen bewerten können, wie effizient die Übereinkommen umgesetzt wurden. Der Ausschuss spricht sich dafür aus, dass die Sozialpartner in diese Bewertung einbezogen werden.

3.11

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Bedingungen für die vorrübergehende Rücknahme der Präferenzregelungen im Vergleich zu den Bedingungen im bestehenden APS kaum geändert wurden. Da sie nur im Falle eines Landes (Myanmar) Anwendung gefunden haben und dieses Land ein Extrembeispiel für die Nichtbeachtung internationaler Übereinkommen darstellt, ist ihr Nutzen für die Förderung der nachhaltigen Entwicklung zweifelhaft. Eine Sanktion, die nur unter derart seltenen Bedingungen verhängt wird, kann nur eine begrenzte abschreckende Wirkung haben. Der Ausschuss hätte es vorgezogen, wenn dieser Mechanismus zur Stärkung der als Anreiz konzipierten Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung eine umfassendere Anwendung gefunden hätte, da er befürchtet, dass letztere außer Gebrauch kommen könnte.

3.12

In Bezug auf betrügerische Machenschaften fragt sich der Ausschuss, ob das neue System eine größere abschreckende Wirkung haben wird als das alte System. Er hätte einen proaktiveren Ansatz und insbesondere die Einrichtung eines Mechanismus zur engeren Zusammenarbeit zwischen den Agenturen in der EU und ihren Partnern in den begünstigten Ländern begrüßt. Man kann sich nur schwer des Eindruckes erwehren, dass die Kommission in diesem Bereich eine Politik nach dem Motto „Eile mit Weile“ betreibt.

3.13

Der Ausschuss bringt seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die Kommission vor Vorlage ihres Vorschlags weitreichende Konsultationen sowohl innerhalb der EU als auch in den begünstigten Ländern durchgeführt hat.

3.14

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission bei der Verwaltung des APS weiterhin von einem Ausschuss für allgemeine Präferenzen unterstützt werden soll, für dessen Tätigkeit das Verfahren des Regelungsausschusses gilt.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss stellt fest, dass nur diejenigen Länder von der allgemeinen Regelung ausgeschlossen werden sollen, die von der Weltbank als Länder mit hohem Einkommen eingestuft wurden und keine ausreichend diversifizierte Exportwirtschaft besitzen. Die Zahl der Länder, auf die diese Kriterien zutreffen, wird seiner Meinung nach gering sein. Der Ausschuss hat vorgeschlagen (7), in den neuen Leitlinien unter anderem Länder, die Atomwaffenprogramme verfolgen, und Länder, die als Steueroasen fungieren, von den Vergünstigungen auszuschließen. Er bedauert, dass dem Kommissionsvorschlag zufolge viele dieser Länder nach wie vor die Kriterien für die Aufnahme in die Liste der begünstigten Länder erfüllen würden.

4.2

Eines der Kriterien für die Anwendung der als Anreiz konzipierten Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung auf ein Land ist dessen Einstufung als „verletzbares Land“. Gemäß Artikel 9 Absatz 2 des Verordnungsentwurfs gilt ein Land als verletzbar, wenn es nicht von der allgemeinen Regelung gemäß der obigen Ziffer 4.1 ausgeschlossen ist oder seine vom APS erfassten Ausfuhren in die Gemeinschaft weniger als 1 % der gesamten vom APS abgedeckten Einfuhren in die Gemeinschaft ausmachen. Nach Meinung des Ausschusses sollte der Wortlaut dieses Artikels dahingehend geändert werden, dass das Wort „oder“ durch „und“ ersetzt wird, da dieser Artikel sonst Auswirkungen nach sich ziehen wird, die keinesfalls in dieser Form beabsichtigt waren.

4.3

Der Ausschuss hat betont (7), dass in dem geltenden System ein zu großer zeitlicher Abstand zwischen dem Bezugszeitraum für die Aktualisierung des Graduierungsmechanismus und dem Zeitpunkt der effektiven Durchführung der Aktualisierung besteht. Er begrüßt daher den Vorschlag, dass die Graduierung künftig in dem Jahr nach den drei aufeinanderfolgenden Jahren stattfinden soll, die als Bezugszeitraum für die einzelnen Länder und Abschnitte dienen.

4.4

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag der Europäischen Kommission, dass die regionale Kumulierung im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 auch weiterhin für Waren gelten soll, „die in einem Land, das zu einem Regionalzusammenschluss gehört, weiter verarbeitet werden, und ihren Ursprung in einem anderen Land des Zusammenschlusses, das die für das Fertigerzeugnis geltenden Regelungen nicht in Anspruch nehmen kann, haben, sofern beide Länder unter die Bestimmungen über die regionale Kumulierung fallen“. Er weist darauf hin, dass diese Bestimmung in der Vergangenheit betrügerischen Machenschaften von erheblichem Ausmaß Tür und Tor geöffnet haben.

4.5

Der Ausschuss bekräftigt seinen Standpunkt (7), dass die Präferenzursprungsregeln vereinfacht werden müssen und die Erfüllung dieser Anforderungen für die EU-Importeure dementsprechend weniger aufwendig werden muss; dies sollte s.E. durch Anpassung an die geltenden Ursprungsregeln für nichtpräferenzielle Einfuhren erreicht werden.

4.6

Der Ausschuss bekräftigt seine Forderung (8) nach einem Dialog zwischen der EU und den am wenigsten entwickelten Ländern, um die Modalitäten für die Anwendung der Sonderregelung zugunsten dieser Länder in bestimmten Fällen, insbesondere durch Anpassung des Übergangszeitraums, zu verbessern.

4.7

Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag, die Zölle vollständig auszusetzen, wenn sich aufgrund der Präferenzregelung ein Wertzollsatz von 1 % oder weniger oder ein spezifischer Zollsatz von 2 Euro oder weniger ergibt. Seiner Meinung nach stellt dies eine begrüßenswerte Vereinfachung dar.

4.8

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass der Zeitraum für die Aussetzung der Vergünstigungen auf drei Monate befristet ist und einmal erneuert werden kann. Nach Maßgabe der Artikel 3 und 7 der Entscheidung 1999/468/EG kann die Kommission diesen Zeitraum verlängern, was sie bereits im Fall von Myanmar getan hat. Für zielführender hätte der Ausschuss eine Bestimmung gehalten, mit der die Aussetzung der Vergünstigungen nach ihrer Verhängung so lange bestehen bliebe, bis das betreffende Land Abhilfemaßnahmen getroffen hat, d.h. den internationalen Übereinkommen nachkommt, deren Verletzung diese Aussetzung ursprünglich bedingt hat.

4.9

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Anforderung an Länder oder Gebiete, die in den Genuss der als Anreiz konzipierten Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung kommen wollen, einen diesbezüglichen Antrag innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung zu stellen, wahrscheinlich zu hoch ist und der eigentlichen Absicht zuwider läuft, da es so nur eine begrenzte Zahl von Anträgen geben wird. Denn einige Länder werden zu dem gegebenen Zeitpunkt wohl kaum die Kriterien erfüllen und somit keinen Sinn darin sehen, einen Antrag zu stellen. Nach Ende der Dreimonatsfrist gäbe es keinen Anreiz mehr für diese Länder, die in den Anhängen 1 und 2 aufgelisteten internationalen Übereinkommen zu unterzeichnen und auch tatsächlich umzusetzen. Es wäre daher zweckdienlicher gewesen, Anträge dieser Länder auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zuzulassen, sofern die einschlägigen Kriterien dann erfüllt sind.

4.10

Der Ausschuss hat unterstrichen (7), dass das APS ein Instrument der EU-Handelspolitik darstellt und als solches mit den anderen Instrumenten dieser Politik im Einklang stehen muss. Zur Umsetzung einer kohärenten Handelspolitik müssen weitere Generaldirektionen der Kommission in diesen Prozess eingebunden sein. Insbesondere sollte es eine enge, kontinuierliche und wirksame Zusammenarbeit zwischen den für Handel und für Unternehmen zuständigen Generaldirektionen geben.

4.11

Der Ausschuss erachtet es für zweckdienlich, dass im Falle einer schwerwiegenden Marktstörung bei den in Anhang I des EG-Vertrags aufgelisteten Erzeugnissen die Anwendung der Schutzklausel auch auf Antrag eines Mitgliedstaats bei der Kommission erfolgen kann, die sodann den betreffenden Verwaltungsausschuss konsultiert.

4.12

Entsprechend dem Kommissionsvorschlag soll die Sonderregelung für die am wenigsten entwickelten Länder in das APS integriert und die Regelungen — auch jene für Zucker — gemäß Verordnung (EG) Nr. 416/2001 übernommen werden. Die Befürchtungen der am wenigsten entwickelten Länder sind begründet, dass sie nach einer Reform der EU-Zuckerregelung mit einer massiven Preissenkung von der ab 1. Juli 2009 vorgesehenen völligen Öffnung des EU-Marktes für diese Länder wesentlich größere Nachteile als Vorteile haben. Der Ausschuss verweist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahme zur vorgeschlagenen Reform GMO/Zucker vom 15. Dezember 2004 (9). In dieser wird die Kommission aufgefordert, entsprechend dem ausdrücklichen Wunsch der am wenigsten entwickelten Länder präferenzielle Einfuhrquoten für Zucker für die Zeit nach 2009 auszuhandeln, wobei mit regelmäßigen Überprüfungen dem Zusammenhang zwischen der Reform der EU-Zuckerregelung und den Entwicklungszielen der am wenigsten entwickelten Länder Rechnung zu tragen ist. Der Ausschuss spricht sich für ein Verbot von sogenannten SWAP-Geschäften (Dreieckshandel) aus.

4.13

Ganz allgemein ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Bestimmungen für die Anwendung von Artikel 12 Absatz 1 auf die betreffenden Erzeugnisse im Rahmen der entsprechenden gemeinsamen Marktorganisationen genauer festgelegt werden müssen.

5.   Schlussfolgerungen

5.1

Der Ausschuss hat sich dafür ausgesprochen, dass das bestehende System vereinfacht und transparenter gestaltet und die Gelegenheit zur Harmonisierung, Vereinfachung und einheitlichen Ausrichtung aller APS-Regeln und -Verfahren wahrgenommen werden sollte. In diesem Zusammenhang stellt das vorgeschlagene Schema eine wesentliche Verbesserung dar, weshalb der Ausschuss diesbezüglich die Vorschläge der Kommission befürwortet.

5.2

Der Ausschuss befürwortet, dass die Zahl der begünstigten Länder verringert werden soll, befürchtet jedoch, dass diese Verringerung nicht weit genug geht.

5.2.1

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das Schema allgemeiner Zollpräferenzen den am wenigsten entwickelten und den bedürftigsten Ländern vorbehalten sein sollte, damit diese besonders von dem neuen APS profitieren können. Daher sollte die Graduierungsschwelle für Textilwaren und Bekleidung auf 10 % gesenkt werden (10).

5.3

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die neue als Anreiz konzipierte Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung das Verhalten der begünstigten Länder im Vergleich zu den geltenden Regelungen, die sie ersetzen soll, nur geringfügig ändern wird.

5.4

Der Ausschuss bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass das Problem des Betrugs im bestehenden System allem Anschein nach nicht erfolgreich angepackt wurde, und ist der Ansicht, dass in dieser Frage mehr hätte getan werden können.

5.5

Der Ausschuss stellt enttäuscht fest, dass keine detaillierte Folgenabschätzung für diese Vorschläge veröffentlicht und in einigen Fällen anscheinend nicht einmal durchgeführt wurde.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. L 346 vom 31.12.2001.

(2)  KOM(2004) 461 endg.

(3)  KOM(2004) 699 endg.

(4)  KOM(1994) 212 endg.

(5)  Siehe Fußnote 2.

(6)  Stellungnahme des EWSA vom 25. Februar 2004 - ABl. C 110 vom 30.4.2004.

(7)  ebenda.

(8)  CESE 1646/2004 – Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: „Vervollständigung des Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa durch die Reform der GAP – Reformvorschläge für den Zuckersektor“ (KOM(2004) 499 endg.).

(9)  CESE 1646/2004 – Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: „Vervollständigung des Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa durch die Reform der GAP – Reformvorschläge für den Zuckersektor“ (KOM(2004) 499 endg.).

(10)  Artikel 13 des Vorschlags für eine Verordnung des Rates (KOM(2004) 699 endg.).


ANHANG I

Übereinkommen der Vereinten Nationen und der IAO zu den wichtigsten Menschenrechten und Arbeitnehmerrechten

1.

ICCPR (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte)

2.

ICESCR (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte)

3.

CERD (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung)

4.

CEDAW (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau)

5.

Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)

6.

CRC (Übereinkommen über die Rechte des Kindes)

7.

Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

8.

Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung

9.

Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr. 182)

10.

Übereinkommen (Nr. 105) über die Abschaffung der Zwangsarbeit

11.

Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit (Nr. 29)

12.

Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (Nr. 100)

13.

Übereinkommen über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (Nr. 111)

14.

Übereinkommen (Nr. 87) über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes

15.

Übereinkommen (Nr. 98) über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen

16.

Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid.


ANHANG II

Übereinkommen im Zusammenhang mit der Umwelt und den Grundsätzen des verantwortungsvollen Regierens

17.

Montrealer Protokoll über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen

18.

Baseler Konvention über die Kontrolle des Transfers gefährlicher Abfälle über Grenzen und deren Behandlung

19.

Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe

20.

Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten (CITES)

21.

Übereinkommen über die biologische Vielfalt

22.

Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit

23.

Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen

24.

Einheitsabkommen der Vereinten Nationen über Suchtstoffe (1961)

25.

Übereinkommen der Vereinten Nationen über psychotrope Stoffen (1971)

26.

Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (1988)

27.

Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/77


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens“

(KOM(2004) 173 endg./3 — 2004/0055 (COD))

(2005/C 221/16)

Der Rat beschloss am 6. April 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Das Präsidium des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beschloss, die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit den Vorarbeiten zu beauftragen.

Aufgrund der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss Herrn PEGADO LIZ zum Hauptberichterstatter und verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 73 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Gegenstand des Vorschlags

1.1

Mit diesem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens“ (1) führt die Kommission eine Reihe von Initiativen weiter, die darauf abzielen, schrittweise einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen und zu entwickeln, Schranken abzubauen und die Erleichterung der Abwicklung von Zivilverfahren in Europa voranzutreiben, wie sie es u.a. in ihrem Aktionsplan festgelegt hatte, der vom Rat (Justiz und Inneres) am 3. Dezember 1998 verabschiedet wurde (2).

1.2

Dieser Vorschlag erfüllt eines der zentralen Ziele des Grünbuchs vom 20. Dezember 2002 (3); das andere Ziel, die Schaffung eines europäischen Verfahrens für Rechtssachen mit geringem Streitwert, wird von der Kommission getrennt behandelt.

1.3

Bei den Vorarbeiten zu einem europäischen Mahnverfahren hat die Kommission die Bemerkungen und Empfehlungen des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum o.g. Grünbuch berücksichtigt und legt nun einen Verordnungsvorschlag mit dem Ziel vor, in der gesamten EU ein einheitliches Mahnverfahren einzuführen.

1.4

Sie begründet diese Initiative damit, dass zivilverfahrensrechtliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen, die bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten übertrieben hohe Kosten und Verzögerungen verursachen, v.a. bei Verfahren zur Beitreibung unstrittiger Forderungen.

1.5

Die Kommission hat sich dafür entschieden, die Anwendung des einheitlichen Mahnverfahrens auch auf inländische Streitigkeiten auszudehnen, um Gleichbehandlung zwischen den Rechtssubjekten zu gewährleisten und keine Wettbewerbsverzerrung zwischen Unternehmen herbeizuführen; mit diesem Ansatz folgte sie der EWSA-Stellungnahme zum Grünbuch, war dabei jedoch auch bestrebt, die Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeits- und dem Subsidiaritätsgrundsatz zu gewährleisten.

1.6

Der fakultative Charakter des europäischen Mahnverfahrens wird im Text deutlich gemacht; auch darin folgt die Kommission der Stellungnahme des EWSA, wobei der Gläubiger stets ein anderes, förmlicheres Verfahren nach seinem innerstaatlichen Recht wählen kann.

1.7

Bei der Formulierung der geplanten Verfahrensmechanismen hält sich die Kommission an folgende Grundprinzipien:

a)

möglichst einfaches Verfahren durch Verwendung von Standardformularen;

b)

keine inhaltliche Prüfung;

c)

keine Beweisstücke erforderlich;

d)

ausreichende Gewährleistung der Verteidigung des Beschuldigten;

e)

keine Berufung möglich;

f)

Vollstreckbarkeit;

g)

keine Anwaltspflicht.

1.8

Die Kommission garantiert die gegenseitige Unterrichtung über die für den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls in den verschiedenen Mitgliedstaaten zuständigen Gerichte; diese Information wird regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht.

1.9

Der Ausschuss begrüßt, dass das Vereinigte Königreich und die Republik Irland die Möglichkeit erwägen, sich dieser Initiative anzuschließen, wie sie es schon bei ähnlichen Initiativen getan haben; hingegen hätte sich der Ausschuss um eines besseren Funktionierens des nun vorgeschlagenen Systems willen gewünscht, dass sich Dänemark nicht völlig von der Anwendung dieser Verordnung ausschlösse, und hofft, dass künftig die Sachzwänge überwunden werden, die eine uneingeschränkte Teilnahme des Landes am einheitlichen europäischen Rechtsraum erschweren.

1.10

Bei der Anwendung kann die Bestimmung des geografischen Geltungsbereichs des Vorschlags Schwierigkeiten bereiten. Um solchen Schwierigkeiten vorzubeugen, sollten die Besonderheiten bestimmter Gebiete, die in Artikel 299 EGV aufgeführt sind, sowie die von einigen Mitgliedstaaten diesbezüglich übernommene Verantwortung berücksichtigt werden. In diesem Sinne muss präzisiert werden, dass unabhängig von der konkreten Durchführung des Mahnverfahrens die Benennung der jeweils zuständigen Organe von der einzelstaatlichen Behörde vorgenommen werden muss, welche für die auswärtigen Beziehungen des Staates zuständig ist und somit die Legitimität dieser Organe bestätigt.

2.   Frühere und parallele Initiativen

2.1

Schon seit langem wurde in verschiedenen Dokumenten der EU-Institutionen, vom Europäischen Parlament (4) bis zum EWSA (5), das Anliegen deutlich, das Zivilverfahren zu vereinheitlichen und zu vereinfachen, um eine rasche und wirksame Anwendung des Rechts zu gewährleisten.

2.2

Auch die Kommission hat sich dieses hauptsächlich von den Unternehmen, Berufs- und Verbraucherverbänden vorgetragene Anliegen zu eigen gemacht und überlegt seit langem, welche Wege am besten eingeschlagen werden sollten, wobei die im Pionierbereich des Verbraucherrechts (6) erzielten Fortschritte von besonderem Interesse sind.

2.3

Es besteht aber kein Zweifel daran, dass die bei einer möglichen Rechtsetzungsinitiative zu lösenden Fragen erst mit dem „Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren und über Maßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert“ (KOM(2002) 746) ausformuliert wurden.

2.4

Diese Initiative ist indes Teil einer Reihe außerordentlich wichtiger Maßnahmen, die in den letzten Jahren in der zivilrechtlichen Justizzusammenarbeit nach und nach getroffen worden sind (7).

2.5

Hervorhebung verdient insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21. April 2004„zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen“ (8); dieser Text konnte im Übrigen bei der Erarbeitung der vorliegenden Bewertung des Kommissionsvorschlags nicht unbeachtet bleiben, da beide Texte zwei Aspekte derselben Realität widerspiegeln: der Notwendigkeit, die Vollstreckung zivilgerichtlicher Entscheidungen in einem einheitlichen Rechtsraum einfach und wirksam zu machen.

3.   Rechtsinstrument und Rechtsgrundlage

3.1

Wie bei allen anderen in diesem Bereich ergriffenen Initiativen entschied sich die Kommission für eine Verordnung und gründete ihren Vorschlag auf Artikel 61 Absatz c und Artikel 65 des Vertrags.

3.2

Der EWSA hatte sich in seiner Stellungnahme offen und deutlich für den Erlass einer Verordnung ausgesprochen und kann daher die Entscheidung der Kommission nur befürworten.

3.3

Auch die Rechtsgrundlage ist nach dem Dafürhalten des Ausschusses völlig richtig gewählt, da sie einer nicht rein formalistischen Auslegung der genannten Rechtsvorschriften entspricht und allein eine solche Auslegung dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Rechtsraums in der EU genügt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA begrüßt die Vorlage dieses Verordnungsvorschlags, in dem wie gesagt all seine Bemerkungen aus seiner Stellungnahme zum „Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren und über Maßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert“ (KOM(2002) 746 endg.) berücksichtigt werden und zu Recht versucht wird, dem in Artikel 47 der EU-Charta der Grundrechte verankerten Recht zur Durchsetzung zu verhelfen.

4.2

Der EWSA fordert die Kommission auf zu erwägen, ob dieser Verordnungsvorschlag auf den Europäischen Wirtschaftsraum ausgeweitet werden kann.

4.3

Dass ein europäisches Verfahren zur raschen Beitreibung unstrittiger Forderungen notwendig ist, ergibt sich deutlich aus den Antworten der Mitgliedstaaten auf das genannte Grünbuch, aus denen auch das Anliegen hervorgeht, mutmaßlichen Schuldnern angemessene Verteidigungsrechte zu garantieren.

4.3.1

Nach Ansicht des EWSA könnte der Kommissionsvorschlag indes verbessert und untermauert werden, indem statistische Angaben über die voraussichtliche Zahl grenzüberschreitender wie auch innerstaatlicher Streitigkeiten angefügt würden, auf die das nun vorgeschlagene neue Instrument Anwendung finden wird; auch sollte eine Kosten/Nutzen-Analyse seiner Umsetzung angefügt werden, die in der Begründung des Kommissionsdokuments fehlt.

4.4

Der EWSA erklärt in seiner Stellungnahme zum Grünbuch u.a., „Bei der Konzeption eines europäischen Bagatellverfahrens wird es vor allem darauf ankommen, geeignete Maßnahmen zur Beschleunigung von Bagatellstreitigkeiten zu finden, ohne zugleich die rechtsstaatlichen Garantien der Parteien in Frage zu stellen.“

4.5

Nach Ansicht des EWSA muss dieser Verordnungsvorschlag zwar noch gründlich und aufmerksam überarbeitet werden, um ihn besser auf die mit ihm verfolgten Ziele abzustimmen, doch wird er auf ausgewogene Weise diesen beiden Notwendigkeiten gerecht: rasche Eintreibung der Schulden und Gewährleistung der Verteidigungsrechte.

4.6

Dennoch macht der EWSA darauf aufmerksam, dass darauf geachtet werden muss, dass das Mahnverfahren von bestimmten Unternehmen nicht dazu missbraucht wird, unlautere Vorgehensweisen zu vertuschen, insbesondere nicht als Druckmittel oder zur Eintreibung von Forderungen, die sich aus der Missachtung der Verbraucherschutzvorschriften ergeben; ebenso muss sichergestellt werden, dass durch das gewählte Modell keine geheimen Absprachen zwischen Unternehmen in verschiedenen Mitgliedstaaten gefördert werden, die durch Vortäuschung unbestrittener Forderungen Transfers von Geldern aus zweifelhafter und/oder gar krimineller Quelle vornehmen, also ein legales Instrument zur Geldwäsche missbrauchen.

4.7

Außerdem macht der EWSA darauf aufmerksam, dass zahlreiche Beitreibungsverfahren, welche die Gerichte belasten und bei denen die Forderung womöglich gar unstrittig ist, mit aggressiver und/oder irreführender Werbung zusammenhängen, durch die Erzeugnisse auf eine Weise angepriesen werden, die dem Verbraucher die Überzeugung vermittelt, ihr Kauf, ihre Verwendung oder ihr Verbrauch verursachten dem Privathaushalt keine zusätzlichen oder zumindest nur geringe Kosten.

4.8

Nach Ansicht des EWSA spiegelt dieser Verordnungsvorschlag daher nur eine Seite eines umfassenderen und komplexeren Problems wider. Infolgedessen fordert er die Kommission erneut auf, einen Rechtsetzungsvorschlag vorzulegen, in dem die Verantwortung von Warenlieferanten/Dienstleistungserbringern für die von ihnen durch bestimmte, nicht ganz lautere Methoden mitverursachte Überschuldung der Privathaushalte festgelegt wird. (9)

4.9

Nach Ansicht der Kommission kann das nun vorgeschlagene europäische Mahnverfahren mit anderen, im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten vorgesehenen Verfahren ähnlicher Art und Zielsetzung koexistieren.

4.9.1

Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass es künftig nur noch ein Mahnverfahren geben darf — nämlich jenes, das in dem Verordnungsvorschlag vorgesehen und geregelt ist, um den es hier geht, und das per definitionem als das für die Situationen, auf die es Anwendung findet, geeignetste Verfahren betrachtet werden muss, da es sonst seine Daseinsberechtigung verliert -, so dass bei der Verabschiedung der vorgeschlagenen Verordnung die in einigen innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgesehenen Mahnverfahren abzuschaffen wären.

4.9.2

Der fakultative Charakter des europäischen Mahnverfahrens sollte nur gegenüber anderen gewöhnlichen Verfahren zum Tragen kommen, nicht gegenüber anderen Mahnverfahren gleicher Art und Zielsetzung.

4.9.3

Daher muss sowohl die Begründung als auch Erwägungsgrund 8 so umformuliert werden, dass deutlich wird, dass das europäische Mahnverfahren nur zu anderen gewöhnlichen (abgekürzten oder ordentlichen) Verfahren komplementär ist, nicht zu einzelstaatlichen Mahnverfahren gleicher Art.

4.10

Im Verordnungsvorschlag wird oft der Ausdruck „Schuldner“ verwendet, wenn es um den Adressaten des europäischen Mahnverfahrens geht. Nach Ansicht des EWSA ist diese Bezeichnung nicht korrekt, da sie die Vorstellung vermittelt, der Adressat dieses Verfahrens stehe als Schuldner fest, wohingegen es strenggenommen solange keinen Schuldner gibt und auch nicht geben kann, bis das Mahnverfahren vollstreckbar wird.

4.10.1

Nach Ansicht des EWSA sollte daher der Ausdruck „Schuldner“ in allen Artikeln des Verordnungsvorschlags systematisch durch den Ausdruck „Antragsgegner“ ersetzt werden.

4.11

Alle in diesem Verordnungsvorschlag genannten Fristen sind in Tagen, nicht in Wochen auszudrücken, wobei genau anzugeben ist, nach welchen Regeln diese Frist berechnet, ausgesetzt oder unterbrochen wird (z.B. Gerichtsferien, Feiertage, Samstage und Sonntage usw.); dies ist aus offensichtlichen Gründen der Rechtssicherheit erforderlich, und es wird angeregt, zu diesem Zwecke die Vorschriften in Artikel 80 ff. der Verfahrensordnung des EuGH anzuwenden.

4.12

Im Verfahrensrecht sind das „gewöhnliche“ und das „ordentliche Verfahren“ unterschiedliche Begriffe. In verschiedenen Mitgliedstaaten besteht die grundlegende Unterscheidung zwischen dem „gewöhnlichen“ und dem „besonderen Verfahren“. Um ein „besonderes Verfahren“ handelt es sich, wenn gesetzlich ein spezifisches Verfahren für bestimmte Arten von Streitigkeiten vorgesehen ist; um ein „gewöhnliches Verfahren“ in allen anderen Fällen. Das „gewöhnliche Verfahren“ kann je nach Streitwert ein „ordentliches“, ein „abgekürztes“ oder ein „Eilverfahren“ sein.

4.12.1

Im Verordnungsvorschlag wird der Ausdruck „ordentliches Verfahren“ nicht mit dieser Genauigkeit verwendet: In Artikel 2 Absatz 2 wird der Begriff „ordentliches Verfahren“ im Gegensatz zu „abgekürztes Verfahren“ gebraucht. In Artikel 6 Absatz 5, Artikel 8 und Artikel 12 wird unter „ordentliches Verfahren“ hingegen ein „gewöhnliches Verfahren“ verstanden.

4.12.2

In Artikel 6 Absatz 5, Artikel 8 und Artikel 12 des Verordnungsvorschlags sollte der Begriff „ordentliches Verfahren“ daher durch „gewöhnliches Verfahren“ ersetzt werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Zu Artikel 2 „Europäisches Mahnverfahren“

5.1.1

Der Ausdruck „unbestrittener bezifferter Geldforderungen, die (...) fällig sind“ muss ersetzt werden durch den Ausdruck „unbestrittener liquider Geldforderungen in bestimmter Höhe, die (...) fällig sind“.

5.1.2

Damit eine bestimmte Forderung vollstreckbar werden kann, muss sie nämlich in bestimmter Höhe bestehen, liquide und fällig sein. Diese Definition wird in den verschiedenen Rechtsordnungen sehr genau vorgenommen und muss daher im Sinne größerer Rechtssicherheit bei der Anwendung des Rechts beibehalten werden.

5.2   Zu Artikel 4 „Voraussetzungen für den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls“

5.2.1

In Artikel 4 Absatz 1 muss der Ausdruck „ob die in den Artikeln 1, 2 und 3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind“ geändert werden, da sich die Artikel 1 und 2 nicht wirklich auf die Voraussetzungen beziehen. In Artikel 1 wird der Anwendungsbereich der Verordnung festgelegt, in Artikel 2 das durch die Verordnung geschaffene Verfahren festgelegt.

5.2.1.1

Daher schlägt der EWSA folgende Formulierung vor: „ob die jeweils in Artikel 1, 2 bzw. 3 genannten Bedingungen und Voraussetzungen erfüllt sind“.

5.2.2

Laut Artikel 4 Absatz 2 „kann das Gericht dem Antragsteller die Möglichkeit geben, seinen Antrag zu vervollständigen oder zu berichtigen“.

5.2.2.1

Der EWSA fordert die Kommission auf zu untersuchen, welche Vorteile es hätte, daraus eine Verpflichtung zu machen („muss“ statt „kann“), zumindest in offensichtlichen Fällen grober Fehler bei unvollständigem oder fehlerhaftem Ausfüllen der Formulare; dies würde die Rechtssicherheit und die Verfahrensökonomie erhöhen.

5.2.2.2

Darüber hinaus sollte der Verordnungsvorschlag eine bestimmte, notwendigerweise kurze, Frist vorsehen, innerhalb deren der Antragsteller der Aufforderung des Gerichts nachkommen muss. Lässt der Antragsteller diese Frist verstreichen, ohne den Antrag korrekt auszufüllen, wird dieser vorläufig abgelehnt.

5.3   Zu Artikel 5 „Zurückweisung des Antrags“

5.3.1

Verfahrensmäßig könnte gegen den Beschluss zur Zurückweisung des Antrags auf Erlass eines Zahlungsbefehls im Allgemeinen Beschwerde oder ein anderes Rechtsmittel eingelegt werden. Laut Artikel 5 Absatz 2 soll jedoch „kein Rechtsmittel eingelegt werden“ können, unabhängig von der gewählten Verfahrensart.

5.3.2

Angesichts der Art und Weise, wie dieses Verfahren konzipiert wurde, und seines fakultativen Charakters stehen auch andere Rechtswege offen, daher sind Rechtsmittel unnötig.

5.3.3

Infolgedessen sollte Artikel 5 Absatz 2 am Ende lauten „kann keine Beschwerde und kein anderes Rechtsmittel eingelegt werden“, um die Bestimmungen in Artikel 5 mit den Ausführungen in der Begründung in Einklang zu bringen.

5.4   Zu Artikel 6 „Europäische Zahlungsaufforderung“

5.4.1

Aus Artikel 6 Absatz 2 geht hervor, dass „Zustellungsarten ohne persönliche Empfangsbestätigung durch den Antragsgegner“ zulässig sind, wenn die Anschrift des Antragsgegners „zweifelsfrei bekannt ist“ (wie hier sollte es im gesamten Text „Antragsgegner“ statt „Schuldner“ heißen).

5.4.1.1

Der EWSA macht die Kommission darauf aufmerksam, dass der Ausdruck „wenn die Anschrift des Antragsgegners (nicht) zweifelsfrei bekannt ist“ zu ungenau ist und große Rechtsunsicherheit mit unangenehmen Folgen für die Antragsgegner erzeugen kann.

5.4.1.2

In verschiedenen Mitgliedstaaten gilt die Regel des vertraglichen Wohnsitzes, der zufolge eine Zustellung, die von einer Vertragspartei an den vertraglichen Wohnsitz gesandt wird, als empfangen gilt, ohne dass eine Empfangsbestätigung erforderlich wäre. Kann eine vertragliche Festlegung des Wohnsitzes jedoch als ausreichend gelten, um die Voraussetzung „zweifelsfrei bekannt“ zu erfüllen? Wohl nicht.

5.4.1.3

Wenn die Vorschrift, dass bei einer Zustellung kein Beweis des Empfangs durch den Antragsgegner erforderlich ist, mit der Bestimmung zusammentrifft, dass Gegenstände im Rahmen der Zwangsvollstreckung vor der Zustellung an den Pfändungsschuldner gepfändet werden können, kann es leicht vorkommen, dass der Antragsgegner erst dann vom Mahnbescheid erfährt, wenn seine Güter im Zuge der Zwangsvollstreckung gepfändet werden.

5.4.1.4

Diese schwerwiegende und unangenehme Situation der Pfändung ohne vorherige Möglichkeit, sie zu verhindern, muss nach Ansicht des EWSA vermieden werden. (10) Daher schlägt der EWSA im Anschluss an seine deutlichen Aussagen in der Stellungnahme zum o.g. Grünbuch vor, keine Zustellungsarten zuzulassen, bei denen kein Nachweis des Empfangs durch den Schuldner erbracht werden kann, und daher den Halbsatz „wenn die Anschrift des Antragsgegners nicht zweifelsfrei bekannt ist“ am Ende von Artikel 6 Absatz 2 zu streichen.

5.4.2

Die in Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe b) genannte dreiwöchige Frist sollte in Tagen ausgedrückt werden, um die Berechnung der Frist zu erleichtern.

5.4.3

Es muss spezifiziert werden, um welche Art von Frist es in Artikel 6 Absatz 5 geht. Der EWSA schlägt vor, in allen Sprachfassungen wie im Deutschen „Verjährungsfrist“ und nicht nur „Frist“ zu schreiben.

5.4.4

In seiner Stellungnahme zum o.g. Grünbuch empfahl der EWSA der Kommission, „in dem Rechtsinstrument eine Regelung der Folgen einer unterlassenen Belehrung vorzunehmen“.

5.4.4.1

Da im Verordnungsvorschlag nichts dergleichen vorgesehen ist, fordert der EWSA die Kommission erneut auf, eine solche Regelung vorzunehmen.

5.5   Zu Artikel 8 „Wirkung der Verteidigungsanzeige“

5.5.1

Nach Ansicht des EWSA wird in dem Verordnungsvorschlag nicht klar, dass das Verfahren ohne weiteres Tätigwerden der Beteiligten gemäß den Zivilprozessregeln des jeweiligen Mitgliedstaats weitergeführt wird, sobald eine Verteidigungsanzeige vorliegt.

5.5.2

Daher sollte in Artikel 8 Absatz 1 der Ausdruck „gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses weitergeführt“ wie folgt ergänzt werden: „automatisch und ohne weiteres Tätigwerden der Beteiligten gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses weitergeführt“.

5.6   Zu Artikel 9 „Europäischer Zahlungsbefehl“

5.6.1

Analog zu Artikel 6 ergibt sich aus Artikel 9 Absatz 2 Satz 2, dass eine Zustellungsart ohne persönliche Empfangsbestätigung durch den Antragsgegner zulässig ist, wenn die Anschrift des Antragsgegners zweifelsfrei bekannt ist (wobei es wie gesagt in allen Sprachen „Antragsgegner“ statt „Schuldner“ heißen sollte).

5.6.2

Der EWSA macht die Kommission darauf aufmerksam, dass der Ausdruck „wenn die Anschrift des Antragsgegners (nicht) zweifelsfrei bekannt ist“ so vage ist, dass große Rechtsunsicherheit mit unangenehmen Folgen für die Antragsteller entstehen kann.

5.6.3

Daher ist der EWSA der Auffassung, dass an dieser Stelle genau dasselbe gilt wie zu Artikel 6 vorgeschlagen, d.h. es sollten keine Zustellungsarten zulässig sein, bei denen kein Nachweis des Empfangs durch den Antragsgegner vorgesehen ist; der Ausdruck „wenn die Anschrift des Antragsgegners nicht zweifelsfrei bekannt ist“ in Artikel 9 Absatz 2 sollte daher gestrichen werden.

5.7   Zu Artikel 11 „Widerspruch gegen den Zahlungsbefehl“

5.7.1

Wenn die Kommission den Vorschlag des EWSA aufgreift, keine Zustellungsarten ohne Empfangsbestätigung durch den Antragsgegner zuzulassen, muss Artikel 11 Absatz 4 Buchstabe a) (i) gestrichen werden.

5.7.2

Der Ausdruck „bei sofortigem Tätigwerden“ in Artikel 11 Absatz 4 letzter Satz (11) ist sehr vage und kann ganz unterschiedlich ausgelegt werden.

5.7.2.1

Daher und zur Stärkung der Rechtssicherheit schlägt der EWSA vor, die Kommission möge eine äußerste Frist für die Ausübung der in Artikel 11 Absatz 4 vorgesehenen Rechte festlegen.

5.8   Zu Artikel 12 „Wirkung des Widerspruchs“

5.8.1

Wie schon zu Artikel 8 erklärt, wird in diesem Verordnungsvorschlag nicht klar, dass das Verfahren ohne weiteres Tätigwerden der Beteiligten gemäß den Zivilprozessregeln des jeweiligen Mitgliedstaats weitergeführt wird, sobald eine Verteidigungsanzeige vorliegt.

5.8.2

Daher sollte in Artikel 12 Absatz 1 der Ausdruck „gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses weitergeführt“ wie folgt ergänzt werden: „automatisch und ohne weiteres Tätigwerden der Beteiligten gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses weitergeführt“.

5.9   Zu Artikel 13 „Rechtliche Vertretung“

5.9.1

Nach Ansicht des EWSA sollte die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Rechtsbeistand nicht zwingend sein, wenn der Streitwert so niedrig ist, dass die Hinzuziehung solcher Fachleute wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen ist.

5.9.2

Im Verordnungsvorschlag werden jedoch (im Gegensatz zu den Vorschriften einiger Mitgliedstaaten) keine Höchstwerte für Mahnverfahren festgelegt; daher kann dieses Verfahren zur Eintreibung hoher Beträge verwendet werden, die z.B. nach den Vorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten bei Vorliegen eines Widerspruchs ein ordentliches Verfahren erfordern.

5.9.3

In diesen Fällen hat es keinen Sinn, dass die Vertretung durch einen Rechtsbeistand nur beim Übergang zu einem ordentlichen Zivilprozess zwingend ist. Vom Antragsgegner wird nämlich beim Ausfüllen des Antwortformulars nicht nur verlangt, dass er erklärt, ob er die Schuld anerkennt, sondern auch, ob er Widerspruch gegen die Gesamtforderung, nur gegen die Hauptforderung, nur gegen die Zinsforderung oder nur gegen die Verfahrenskosten einlegt. Beim Ausfüllen dieses Formulars kann der Antragsteller jedoch unabsichtlich der Verteidigung schaden, die der Anwalt entwickeln würde, wenn er von Beginn des Mahnverfahrens an hinzugezogen würde.

5.9.4

Dass die Vertretung durch einen Rechtsbeistand nicht zwingend ist, kann jedoch auch von Nachteil sein, wenn sehr unterschiedliche Parteien beteiligt sind (Verbraucher gegen Geschäftsleute, Großunternehmen gegen Kleinunternehmen/Familienbetriebe).

5.9.5

Daher rät der EWSA der Kommission zu erwägen, von einem bestimmten Betrag an (z.B. 2.500 €) die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Rechtsbeistand zwingend vorzuschreiben.

5.10   Zu Artikel 14 „Kosten“

5.10.1

Nach Ansicht des EWSA sollte ein Artikel 14 Absatz 2 mit folgendem Wortlaut angefügt werden: „Das europäische Mahnverfahren ist kostenfrei, sofern keine Verteidigungsanzeige bzw. kein Widerspruch vorliegt.“

5.10.2

Da das Mahnverfahren, wenn es unstrittig ist, ohne Gerichtsverfahren erfolgt, wird vorgeschlagen, eine einheitliche vorherige Gebühr in geringer Höhe festzulegen, unabhängig von der Höhe der Geldforderung.

5.10.3

Wenn die Kommission diesen Vorschlag nicht übernimmt, muss in der Verordnung klargestellt werden, dass auf dieses Verfahren die innerstaatlichen Bestimmungen jedes Mitgliedstaats Anwendung finden, die von der Umsetzung der Richtlinie 2003/8/EG vom 27.1.2003 über die Prozesskostenhilfe (12) herrühren.

5.11   Zu den Anhängen

5.11.1

Das gesamte nun vorgeschlagene System beruht auf der Verwendung der Formulare in den Anhängen 1 bis 3 des Verordnungsvorschlags (13). Das wirksame Funktionieren der vorgeschlagenen Verfahren hängt also davon ab, inwiefern die Formulare den Anforderungen genügen.

5.11.2

Der EWSA hegt begründete Zweifel daran, dass die Anwendung der Formulare auf grenzüberschreitende Streitigkeiten praktikabel ist bzw. wirksam sein kann.

5.11.3

Man stelle sich folgendes Beispiel vor: Ein italienisches Unternehmen beantragt bei einem italienischen Gericht ein Mahnverfahren gegen einen polnischen Verbraucher. In welcher Sprache wird der polnische Verbraucher die europäische Zahlungsaufforderung erhalten? Auf italienisch? Auf polnisch? Inwiefern ist im ersten Fall gewährleistet, dass der Verbraucher den Inhalt der Aufforderung versteht und somit entscheiden kann, ob er eine Verteidigungsanzeige stellt? Und wer ist im zweiten Fall für die Übersetzung der Aufforderung zuständig?

5.11.4

Hinzu kommt, dass auf diesen Formularen nicht nur Felder angekreuzt, sondern auch Texte eingetragen werden müssen. Wer ist für die Übersetzung dieser Texte zuständig? Und wer bestätigt die Richtigkeit der Übersetzung?

5.11.5

Die „Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten“ bietet keine Lösung dieser Fragen, weil das vorgeschlagene europäische Mahnverfahren nicht stark formalisiert und zugleich rasch ist.

5.11.6

Denn selbst wenn der genannte hypothetische polnische Verbraucher die europäische Zahlungsaufforderung in seiner Sprache erhält: in welcher Sprache wird er dann antworten? Wer soll aus dem Polnischen ins Italienische übersetzen? Wenn er die Zahlungsaufforderung jedoch nicht auf polnisch erhält, kann er sie im Einklang mit dem geltenden Recht ablehnen. Jedenfalls werden durch diese Situationen Hindernisse geschaffen, die ein rasches europäisches Mahnverfahren erschweren.

5.11.7

Daher fordert der EWSA die Kommission auf, sich darüber Gedanken zu machen, wie am wirksamsten gewährleistet werden kann, dass die Erreichung der Ziele — rasche Eintreibung von Schulden und Recht des Antragsgegners auf Verteidigung — bei der Verwendung der Formulare bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten nicht beeinträchtigt wird.

5.11.8

Des Weiteren ist der EWSA der Auffassung, dass abgesehen von den Antwortformularen sämtliche Formulare zu kompliziert sind, um von Personen ohne juristische Ausbildung ausgefüllt zu werden.

5.11.9

Denn Begriffe wie „gesetzlicher Zinssatz“, „% über dem Basissatz der EZB“, „Anspruchsgrundlage“, „Zahlungsbefehl“, „Vollstreckbarkeit“ sind für Laien nicht leicht zu verstehen, und da die Kommission vorschlägt, dass die Vertretung durch einen Anwalt in diesem Verfahren nicht zwingend sein soll (was nach dem Dafürhalten des EWSA nur bis zu einem bestimmten Streitwert der Fall sein sollte), muss dafür Sorge getragen werden, dass die eigentlichen Nutzer die fraglichen Formulare verstehen und selbst ausfüllen können.

5.11.10

Andererseits gibt es zumindest im Portugiesischen zwei verschiedene Begriffe für „Mietvertrag“ bei beweglichen und unbeweglichen Sachen; Immobilien werden gemietet/gepachtet, Mobilien gemietet/geliehen. Daher müsste zumindest in der portugiesischen Fassung unter Ziffer 8.2 des „Antrags auf Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls“ und unter Ziffer 9.3 der „Europäischen Zahlungsaufforderung“ und des „Europäischen Zahlungsbefehls“ der richtige Begriff für „Mietvertrag — bewegliche Sachen“ gewählt werden. Entsprechende Sorgfalt bei der Verwendung juristischer Terminologie müsste die Kommission in allen Sprachfassungen des Vorschlags walten lassen, im Einklang mit den zivilrechtlichen Begriffen des jeweiligen Mitgliedstaats.

5.11.11

Und schließlich sind Ziffer 11 des „Antrags auf Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls“ und Ziffer 12 der „Europäischen Zahlungsaufforderung“ und des „Europäischen Zahlungsbefehls“ für Nichtjuristen sehr schwer auszufüllen. Der EWSA regt an, diese Frage vor Gericht anhand des Wohnsitzes des Antragstellers und des Antragsgegners zu untersuchen.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2004) 173 endg. vom 19.3.2004.

(2)  In ABl. C 19 vom 23.1.1999.

(3)  KOM(2002) 746 endg. vom 20.12.2002; hierzu gab der EWSA die Stellungnahme ab, Berichterstatter: Herr FRANK von FÜRSTENWERTH (ABl. C 220 vom 16.9.2003).

(4)  Siehe die Entschließungen des EP A2-152/86 vom 13.3.1987, A3-0212/94 vom 22.4.1994 und A-0355/96 vom 14.11.1996.

(5)  Dabei sei v.a. an die Stellungnahme zum „Grünbuch: Zugang der Verbraucher zum Recht und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“ (Berichterstatter war das ehemalige Mitglied Ataíde Ferreira; in ABl. C 295 vom 22.10.1994) und die Stellungnahme CES 1309/95 zum Thema „Binnenmarkt und Verbraucherschutz: Chancen und Hemmnisse des einheitlichen Marktes“ (Berichterstatter war Herr Ceballo Herrero; ABl. C 39 vom 12.2.1996) erinnert.

(6)  Siehe dazu folgende Dokumente:

Memorandum der Kommission zum Zugang der Verbraucher zum Recht (KOM(84) 692 endg. vom 12.12.1984) und die „Ergänzende Mitteilung der Kommission über den Zugang der Verbraucher zum Recht“ (KOM(87) 210 endg. vom 7.5.1987) in der „Beilage zum Bulletin der Europäischen Gemeinschaften“ 2/85;

Mitteilung der Kommission über neue Impulse für die Verbraucherpolitik (KOM(85) 314 endg. vom 23.7.1985, in ABl. C 160 vom 1.7.1985);

Aktionsplan der Kommission vom 14. Februar 1996 (KOM(96) 13 endg.);

Mitteilung der Kommission „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“ (KOM(97) 609 endg. vom 22.12.1997, in ABl. C 33 vom 31.1.1998);

Grünbuch „Zugang der Verbraucher zum Recht und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“ (KOM(93) 576);

„Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht“ (KOM(2002) 196 endg. vom 19.4.2002).

(7)  Darunter v.a. folgende Dokumente:

Empfehlung der Kommission vom 12. Mai 1995„über die Zahlungsfristen im Handelsverkehr“ (in ABl. L 127 vom 10.6.1995) und die diesbezügliche Mitteilung der Kommission (in ABl. C 144 vom 10.6.1995);

„Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen“ (in ABl. L 166 vom 11.6.1998, S. 51);

„Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr“ (ABl. L 200 vom 8.8.2000);

„Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ („Brüssel I“, in ABl. L 12 vom 16.1.2001); die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (Berichterstatter: Herr Malosse) wurde im ABl. C 117 vom 26.4.2000 veröffentlicht;

„Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen“, in ABl. L 174 vom 27.6.2001; die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (Berichterstatter: Herr Bataller) wurde im ABl. C 139 vom 11.5.2001 veröffentlicht;

„Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“, in ABl. C 12 vom 15.1.2001;

„Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren“, in ABl. L 160 vom 30.6.2000; die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (Berichterstatter: Herr Ravoet) wurde im ABl. C 75 vom 15.3.2001 veröffentlicht;

„Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten“, ebenda; die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (Berichterstatter: Herr Braghin) wurde im ABl. C 368 vom 20.12.1999 veröffentlicht;

„Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten“, ebenda; die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (Berichterstatter: Herr Bataller) wurde im ABl. C 368 vom 20.12.1999 veröffentlicht;

„Entscheidung des Rates vom 28. Mai 2001 über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen“, in ABl. L 174 vom 27.6.2001; die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (Berichterstatter: Herr Retureau) wurde im ABl. C 139 vom 11.5.2001 veröffentlicht;

Mitteilung der Kommission „Ein neuer Rechtsrahmen für den Zahlungsverkehr im Binnenmarkt“ (KOM(2003) 718 endg. vom 2.12.2003); die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (Berichterstatter: Herr Ravoet) wurde im ABl. C 302 vom 7.12.2004 veröffentlicht.

(8)  KOM(2002) 159 endg., in ABl. C 203 vom 27.8.2002; die Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (Berichterstatter: Herr Ravoet) wurde im ABl. C 85 vom 8.4.2003 veröffentlicht.

(9)  Vgl. Informationsbericht und Stellungnahme des EWSA zum Thema „Überschuldung privater Haushalte“ (Berichterstatter: Herr Ataíde Ferreira, in ABl. C 149 vom 21.6.2002).

(10)  Die „Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen“ sieht in Artikel 14 die Möglichkeit der „Zustellung ohne Nachweis des Empfangs durch den Schuldner“ vor, betrachtet diese jedoch als „nicht zulässig, wenn die Anschrift des Schuldners nicht mit Sicherheit ermittelt werden kann“. Sowohl in der vorliegenden Stellungnahme als auch in der Stellungnahme zum diesbezüglichen Grünbuch beziehen sich die Einwände des EWSA lediglich auf die unter den Buchstaben c), d) und e) genannten Umstände.

(11)  Anm. d. Übers.: Im Portugiesischen „bei raschem Tätigwerden“.

(12)  In ABl. L 26 vom 31.1.2003, S. 41.

(13)  Anhang 1 gilt für Anträge auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls nach Artikel 3 des Verordnungsvorschlags. Anhang 2 gilt für die Europäische Zahlungsaufforderung nach Artikel 6 des Verordnungsvorschlags und das diesbezügliche Antwortformular nach Artikel 7. Anhang 3 gilt für den Europäischen Zahlungsbefehl nach Artikel 9 des Verordnungsvorschlags und das diesbezügliche Antwortformular nach Artikel 11.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/87


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Jugendlichen, der Menschenwürde und des Rechts auf Gegendarstellung hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen audiovisuellen Medien und der europäischen Informationsdiensteindustrie“

(KOM(2004) 341 endg. — 2004/0117 (COD))

(2005/C 221/17)

Der Rat beschloss am 14. Mai 2004 gemäß Artikel 157 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 17. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 73 gegen 2 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Inhalt des Vorschlags für eine Empfehlung

1.1

Die von der Kommission vorgeschlagene Empfehlung (1), die den Inhalt von audiovisuellen Diensten und Informationsdiensten betrifft und alle Formen der Übermittlung vom Rundfunk bis zum Internet abdecken soll, ist als Folgemaßnahme zu dem zweiten Evaluierungsbericht vom 12. Dezember 2003 gedacht, in dem die Ergebnisse der Anwendung der Empfehlung des Rates vom 24. September 1998 zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriezweigs der audiovisuellen Dienste und Informationsdienste durch die Förderung nationaler Rahmenbedingungen für die Verwirklichung eines vergleichbaren Niveaus in Bezug auf den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde (2) bewertet wurden.

1.2

Als maßgebliche Gründe für die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Empfehlung werden zum einen die Herausforderungen angeführt, die die neuen technologischen Entwicklungen mit sich bringen — insbesondere die ständig zunehmende Verarbeitungsleistung und Speicherkapazität von Computern und die Tatsache, dass Breitbandtechnologien die Verbreitung von Inhalten wie zum Beispiel Videos auf 3G-Mobiltelefonen ermöglichen (3) -, und zum anderen die Besorgnis der Bürger generell und insbesondere der Eltern und Erziehungsberechtigten, der Industrie und der Gesetzgeber, was die Verbreitung illegaler, schädlicher und unerwünschter Inhalte über alle Formen der Übermittlung vom Rundfunk bis zum Internet angeht.

1.3

Obgleich die Kommission in diesem Bereich, der von der legislativen Harmonisierung ausgeklammert ist, selbst Empfehlungen abgeben kann, wenn sie dies im Interesse des Funktionierens und der Förderung des Binnenmarktes für erforderlich hält, hat sie es im vorliegenden Fall vorgezogen, den Rat und das Europäische Parlament unmittelbar an der Abfassung und Inkraftsetzung des betreffenden Rechtsetzungsakts zu beteiligen.

Ziel der Empfehlung ist die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriezweigs der audiovisuellen Dienste und Informationsdienste durch die Förderung nationaler Rahmenbedingungen für die Verwirklichung eines vergleichbaren Niveaus in Bezug auf den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde. Nach Auffassung der Kommission kann dieses Ziel leichter erreicht werden, wenn durch die Einbeziehung des Europäischen Parlaments die öffentliche Debatte ausgeweitet und die Unterstützung der im Rat versammelten Mitgliedstaaten gewonnen wird. Die Kommission schlägt daher Artikel 157 des Vertrags als Rechtsgrundlage für diese Empfehlung vor.

1.4

Dem Vorschlag der Kommission zufolge sollen das Europäische Parlament und der Rat den Mitgliedstaaten empfehlen, ein der Entwicklung der audiovisuellen Dienste und Informationsdienste förderliches Klima des Vertrauens zu begünstigen.

Hierfür werden vier Arten von Maßnahmen vorgeschlagen:

a)

Das Recht auf Gegendarstellung soll in allen Medien, einschließlich des Internet, gewährleistet werden, unbeschadet der Möglichkeit, die Art seiner Ausübung an die jeweiligen Besonderheiten der unterschiedlichen Medien anzupassen.

b)

Die Jugendlichen sollen in die Lage versetzt werden, die online angebotenen audiovisuellen Dienste und Informationsdienste verantwortungsvoll zu nutzen, und zwar insbesondere durch eine bessere Aufklärung von Eltern, Erziehern und Lehrern über die Möglichkeiten der neuen Dienste und die Instrumente zur Sicherstellung des Schutzes von Jugendlichen, speziell durch Medienkompetenz- und Medienbildungsprogramme.

c)

Durch entsprechende Maßnahmen soll die Identifizierung von qualitativ hochwertigen Inhalten und Diensten für Jugendliche und der Zugang hierzu erleichtert werden, unter anderem über die Bereitstellung von Zugangsmöglichkeiten in Bildungseinrichtungen und in öffentlich zugänglichen Räumen.

d)

Die Industrie soll ermutigt werden, Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in allen Medien zu verhindern und solche Diskriminierung zu bekämpfen.

1.5

Dem Vorschlag der Kommission zufolge sollen das Europäische Parlament und der Rat den Unternehmen und anderen Beteiligten außerdem empfehlen:

a)

Initiativen zu entwickeln, um Jugendlichen einen breiteren Zugang zu audiovisuellen Diensten und Informationsdiensten zu erleichtern, bei gleichzeitiger Vermeidung potenziell schädlicher Inhalte unter Einbeziehung einer „bottom-up“-Harmonisierung durch die Zusammenarbeit der Selbst- und Koregulierungsgremien in den Mitgliedstaaten und durch den Austausch beispielhafter Praktiken bei verschiedenen Fragen, u.a. der Entwicklung eines Systems einheitlicher beschreibender Symbole, das den Zuschauern die Bewertung des Inhalts von Programmen erleichtern würde;

b)

jede Form der Diskriminierung zu vermeiden und zu bekämpfen sowie ein differenziertes und realistisches Bild der Möglichkeiten und Fähigkeiten der Frauen und Männer in der Gesellschaft zu fördern.

1.6

Als Anhang sind dem Vorschlag indikative Leitlinien für die nationale Umsetzung von Maßnahmen zur Sicherstellung des Gegendarstellungsrechts in allen Medien beigefügt, insbesondere zu folgenden Aspekten:

Recht auf Gegendarstellung unabhängig von der Nationalität;

Fristen für die Wahrnehmung des Rechts auf Gegendarstellung;

Möglichkeit der Erwirkung einer gerichtlichen Nachprüfung.

2.   Hintergrund des Vorschlags

2.1

In der Richtlinie des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (89/552/EWG) (4), geändert durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 (5) (die sogenannte Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“), werden die Themen Schutz von Jugendlichen gegen schädliche Inhalte und Recht auf Gegendarstellung im Rundfunksektor erstmals auf Gemeinschaftsebene angesprochen.

2.2

Der erste Gemeinschaftstext zur Einführung von Regelungen betreffend den Inhalt von audiovisuellen Diensten und Informationsdiensten war jedoch — wie die Kommission darlegt — die Empfehlung vom 24. September 1998. In dieser Empfehlung werden — im Einklang mit den Erwägungen des Grünbuchs über den „Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde in den audiovisuellen und den Informationsdiensten“ vom 16. Oktober 1996 (6) und der Entschließung vom 17. Februar 1997 zu illegalen und schädlichen Inhalten im Internet (7) — eine Reihe von Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, die Industrie und andere interessierte Kreise abgegeben, um hauptsächlich mit Hilfe der Selbstregulierung ein der Entwicklung der audiovisuellen Dienste und Informationsdienste förderliches Klima des Vertrauens zu begünstigen und in Bezug auf den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten.

2.3

Zu diesem wichtigen Text gab der EWSA am 29. April 1998 eine Stellungnahme (8) ab, in der er zunächst auf verschiedene grundlegende Aspekte in Bezug auf Prinzipien, Wesensmerkmale, Umfang, Geltungsbereich und Inhalt von Rechtsvorschriften einging, die auf einen wirksamen Schutz der Jugendlichen und der Menschenwürde in den audiovisuellen Medien abzielen. Zusammenfassend sprach er sich dann für einen harmonisierten und integrierten internationalen Ansatz bei den Rechtsvorschriften für die audiovisuellen Dienste aus, stellte die Aspekte im Zusammenhang mit der Nutzung von Klassifizierungssystemen und Filterprogrammen für Inhalte heraus und drang darauf, die Frage der Haftung für illegale und schädliche Inhalte zu klären. Er empfahl die Durchführung von Informations- und Sensibilisierungskampagnen für Eltern, Erziehungsberechtigte und Lehrende, forderte eine verstärkte Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen einzelstaatlichen, gemeinschaftlichen und internationalen Organisationen und schlug vor, einen europäischen (bzw. sogar einen weltweit anerkannten) Rahmen von Verhaltenskodizes, Leitlinien und Basismaßnahmen zum Schutz der Jugendlichen und der Menschenwürde zu schaffen.

2.4

Seit diesem ersten Text wurden auf Gemeinschaftsebene von Rat und Kommission verschiedene Initiativen mit identischer Zielsetzung ergriffen (9).

2.5

Aber auch der EWSA setzte sich verschiedentlich mit dieser Problematik auseinander. In diesem Zusammenhang wird auf die in folgenden Texten enthaltenen Bemerkungen und Empfehlungen verwiesen:

a)

die Stellungnahme zum Thema „Ein Programm für den Schutz von Kindern im Internet“ (10);

b)

die Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission „Grundsätze und Leitlinien für die audiovisuelle Politik der Gemeinschaft im digitalen Zeitalter“ (11);

c)

die Stellungnahmen zu den Vorschlägen betreffend die Entscheidungen Nr. 276/1999/EG und Nr. 1151/2003/EG (KOM(1998) 518 endg. bzw. KOM(2002) 152 endg.) (12);

d)

die Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zur Förderung der sichereren Nutzung des Internet und neuer Online-Technologien (KOM(2004) 91 endg. vom 12.3.2004) (13).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt den Vorstoß der Kommission, die Empfehlung des EP und des Rates vom 24. September 1998 im Licht der Ergebnisse des zweiten Evaluierungsberichts über die Ergebnisse ihrer Anwendung in wesentlichen Aspekten zu ergänzen, als da sind Jugendschutz und Schutz der Menschenwürde, Bekämpfung sämtlicher Formen der gesellschaftlichen Diskriminierung und Gewährleistung des Rechts auf Gegendarstellung in sämtlichen Medien, einschließlich des Internet.

3.2

Der EWSA erkennt zwar an, dass der Vertrag in seiner derzeitigen Fassung der Union keine Befugnisse zur legislativen Harmonisierung im audiovisuellen Bereich einräumt, hält dies allerdings für sehr bedauerlich und empfiehlt, diesen Sachverhalt bei der nächsten Revision des Vertrags zu überdenken.

3.3

Nach Auffassung des EWSA ist es nicht nachvollziehbar, dass in der Europäischen Union, wo die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ eine vollständige Öffnung ermöglicht hat, für den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde, für die Wahrung von Ehre und Ansehen und den Schutz der Privatsphäre in den Medien nicht die Persönlichkeitsrechte an sich als maßgebliche Begründung herangezogen werden können, sondern die„Wettbewerbsfähigkeit der europäischen audiovisuellen Medien und der europäischen Informationsdiensteindustrie“ bemüht wird. Der Schutz dieses Kerns von bürgerlichen Grundrechten darf nicht allein Mittel zum Zweck sein, um die angestrebte Entwicklung des audiovisuellen Marktes zu verwirklichen.

3.4

Der EWSA räumt jedoch ein, dass angesichts der angeführten rechtlichen Einschränkungen die von der Kommission vorgeschlagene Empfehlung alles in allem die beste Möglichkeit zur weiteren Vertiefung der betreffenden Themen ist. Er stimmt auch der von der Kommission vorgeschlagenen Rechtsgrundlage zu (Artikel 157 des EG-Vertrags). Dieser Artikel bildete bereits die Rechtsgrundlage für die Empfehlung des Rates vom 24. September 1998 zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriezweigs der audiovisuellen Dienste und Informationsdienste durch die Förderung nationaler Rahmenbedingungen für die Verwirklichung eines vergleichbaren Niveaus in Bezug auf den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde (14), die mit dieser Empfehlung und dem Beschluss des Rates vom 20. Dezember 2000 zur Durchführung eines Programms zur Förderung von Entwicklung, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich europäischer audiovisueller Werke (MEDIA Plus — Entwicklung, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit 2001-2005) (15) ergänzt wird.

3.5

Der EWSA bekräftigt die in seiner Stellungnahme (16) zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Gewährleistung des Jugendschutzes und des Schutzes der Menschenwürde in den audiovisuellen und den Informationsdiensten“ (98/C 214/07) vertretene Auffassung, dass die neuen Dienste ihr volles Potenzial nicht ohne ein Klima des Vertrauens entfalten können und dass sich ein derartiges Klima nur durch die Gewährleistung des Jugendschutzes und des Schutzes der Menschenwürde erreichen lässt.

3.6

Des Weiteren betont der EWSA nochmals, dass es nur mit einem harmonisierten und integrierten internationalen Ansatz bei den Rechtsvorschriften für die audiovisuellen Dienste möglich sein wird, Schutzmaßnahmen wirksam umzusetzen, insbesondere was die verschiedenen Aspekte im Zusammenhang mit der Verwendung von Klassifizierungssystemen und Filterprogrammen für Inhalte sowie die Klärung der Frage der Haftung für illegale und schädliche Inhalte angeht. Er empfiehlt daher erneut eine verstärkte Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den europäischen und internationalen Organisationen und schlägt nochmals vor, einen internationalen Rahmen von Verhaltenskodizes, Leitlinien und Basismaßnahmen zum Schutz der Jugendlichen und der Menschenwürde zu schaffen.

3.7

Der EWSA weist insbesondere auf die Definition des Konzepts der Menschenwürde gemäß der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hin, die nun im Entwurf für eine Europäische Verfassung enthalten ist (Artikel I-2), und betont, dass im Rahmen des hier erörterten Vorschlags für eine Empfehlung dieses Konzept begrifflich und inhaltlich in strikter Übereinstimmung mit seiner Definition in der vorgenannten Charta verstanden werden muss.

3.8

Der EWSA ist der Auffassung, dass ein wirksamer Jugendschutz und Schutz der Menschenwürde im Kontext der technologischen Entwicklung der audiovisuellen Medien und der Informationsdiensteindustrie nur dann erreicht werden kann, wenn insbesondere die Medienkompetenz gefördert wird, „um die Konsumenten in die Lage zu versetzen, eine an gesellschaftlichen Wertvorstellungen orientierte Nutzung von Medien vorzunehmen und eine entsprechende Urteilsfähigkeit zu entwickeln“  (17).

3.9

Bezüglich des spezifischen Bereichs des Internet müssen nach Ansicht des EWSA unbedingt politische Initiativen und Maßnahmen ergriffen werden, um die Medienkompetenz zu verbessern und die Internetbenutzung für Jugendliche sicherer zu machen, und stimmt insofern mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Forums über illegale Inhalte überein, das am 28. November 2001 (18) vom Europarat organisiert wurde.

3.10

Der EWSA bekräftigt seine Unterstützung für Maßnahmen zur Selbstregulierung, sofern diese greifen, und unterstreicht die Notwendigkeit, auf Modelle der Koregulierung zurückzugreifen, da diese im Hinblick auf die Anwendung der Jugendschutzbestimmungen besonders wirksam zu sein scheinen, wie die Kommission in ihrer Mitteilung über die Zukunft der europäischen Regulierungspolitik im audiovisuellen Bereich vom 15. Dezember 2003 (19) ausdrücklich betont hat.

3.11

Unbeschadet der entscheidenden strukturellen Bedeutung von Initiativen zur Förderung der Medienkompetenz würde der EWSA die Festlegung von gemeinschaftlichen Kriterien für die Beschreibung und Kennzeichnung audiovisueller Inhalte begrüßen, wobei jedoch zwecks Berücksichtigung der kulturellen Besonderheiten die Bewertung der Inhalte der nationalen bzw. regionalen Ebene vorbehalten sein muss.

3.12

Der EWSA befürwortet generell die sehr positiven Neuerungen und Verbesserungen des neuen Kommissionsvorschlags, die erhebliche Fortschritte gegenüber der früheren Empfehlung bedeuten und von denen insbesondere folgende hervorzuheben wären:

a)

in Ziffer I (2), erster Spiegelstrich, der Hinweis auf Medienkompetenz- und Medienbildungsprogramme;

b)

der nachdrückliche Aufruf in Ziffer I (3), die Industrie zu ermutigen, jede Form der Diskriminierung nicht nur passiv zu „verhindern“, sondern aktiv zu „bekämpfen“;

c)

die vorgeschlagene „bottom-up“-Harmonisierung durch die Zusammenarbeit von selbst- und ko-regulierenden Gremien in den Mitgliedstaaten und durch den Austausch von besten Praktiken, u.a. ein System „beschreibender Symbole“ zur Bewertung des Inhalts von Programmen (Ziffer II (1));

d)

und insbesondere die Empfehlung, ein Recht auf Gegendarstellung in allen Medien — einschließlich des Internet — sicherzustellen, wobei davon ausgegangen wird, dass dieses Recht auch auf die Veröffentlichungen/Übertragungen der Organe und Einrichtungen der Union Anwendung findet.

3.13

Nach Auffassung des EWSA wäre es jedoch durchaus möglich gewesen, in der empfohlenen Richtung noch weiter zu gehen, was er im Folgenden näher ausführen wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Jugendschutz

4.1.1

Nicht nur die Jugendlichen bedürfen eines besonderen Schutzes gegen bestimmte schädliche Inhalte, die insbesondere durch Gewalt, Pornografie und Pädophilie geprägt sind. Dasselbe gibt auch für andere empfindlichere bzw. schutzbedürftigere Bevölkerungsgruppen wie z.B. ältere Menschen oder Menschen mit geistigen Behinderungen, die daher in der Empfehlung gleichermaßen berücksichtigt werden müssten.

4.1.2

Verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit dem Schutz von Jugendlichen, die der Ausschuss in seiner unlängst verabschiedeten Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Entscheidung über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zur Förderung der sichereren Nutzung des Internet (20) angesprochen hatte, sollten als ratsame Empfehlungen an die Mitgliedstaaten in den vorliegenden Vorschlag für eine Empfehlung aufgenommen werden, insbesondere:

a)

verstärkte Aus- und Fortbildung im Medienbereich, um eine sicherere Nutzung des Internet zu gewährleisten;

b)

Haftung der Internet-Access- und Webspace-Provider sowie deren Verpflichtung, einem eventuellen Beschluss einer zuständigen Stelle, die die Einstellung der Übertragung von illegalen oder schädlichen Programmen oder Inhalten verfügt, unverzüglich Folge zu leisten;

c)

Förderung der Entwicklung von Hotlines, Filtertechnologie, Systemen zur Klassifizierung von Inhalten sowie von Maßnahmen zur Bekämpfung von Spam;

d)

Haftung der Hersteller von Internetanschlussprogrammen und Betriebssystemen für den Schutz der verkauften Systeme gegen das Eindringen von Viren, mit der Verpflichtung, einfache Möglichkeiten zur Virusbekämpfung bereitzustellen;

e)

Einführung von Systemen zur Identifizierung und Information im Zusammenhang mit illegalen und schädlichen Inhalten und zur Entfernung von rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalten sowie Inhalten, die Verbrechen, Gewalt oder Hass verherrlichen.

4.1.3

Die besondere Besorgnis hinsichtlich der Internetnutzung darf allerdings nicht so verstanden werden, dass den traditionellen Medien wie insbesondere Radio und Fernsehen, wo gezielte Selbst- oder Fremdregulierungsmaßnahmen gegen schwere Verletzungen der Empfindlichkeiten von bestimmten Bevölkerungsgruppen wie insbesondere Jugendlichen ergriffen werden müssen, weniger Beachtung geschenkt wird.

4.2   Schutz der Menschenwürde

4.2.1

Der Schutz der Menschenwürde in den Medien darf sich nicht allein auf das Verbot jeder Form der Diskriminierung beschränken. Sofern dies aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz gerechtfertigt ist, müssen sich die zuständigen nationalen Behörden auch mit Übertragungen von Inhalten auseinandersetzen, die in irgendeiner Weise die Privatsphäre und die Grundrechte von Bürgern beeinträchtigen könnten.

4.2.2

Den Mitgliedstaaten muss daher in diesem Zusammenhang auch empfohlen werden:

a)

die Medien zu ermutigen, präzise und konkrete ethische Regeln festzulegen, um die gebührende Wahrung der Privatsphäre sicherzustellen;

b)

die Medien aufzufordern, Selbstregulierungsgremien zu schaffen, an die sich die Geschädigten bei Verletzung der Privatsphäre oder der Menschenwürde mit ihren Klagen wenden können;

c)

unabhängige Organe — u.a. auch Justizorgane — zu schaffen, die derartige Klagen zu prüfen haben, falls die Selbstregulierungsmechanismen nicht greifen;

d)

ein Recht auf Entschädigung für materielle und immaterielle Schäden auf den Weg zu bringen, das die Wiedergutmachung für die Geschädigten sicherstellt und zugleich eine abschreckende Wirkung auf diejenigen hat, die in gravierender und systematischer Weise die Privatsphäre und die Menschenwürde von Bürgern verletzen;

e)

aufmerksam die Übertragung von Inhalten zu verfolgen, die möglicherweise eine Verletzung der Privatsphäre, der Menschenwürde und der Grundrechte darstellen könnten.

4.3   Recht auf Gegendarstellung

4.3.1

Neben dem Recht auf Gegendarstellung muss — mit dem gleichen allgemeinen Geltungsbereich und unter den gleichen Bedingungen — auch ein „Recht auf Richtigstellung“ vorgesehen werden, das es erlaubt, gegen unwahre, unrichtige oder ungenaue Inhalte, die die Rechte des Einzelnen beeinträchtigen, vorzugehen.

4.3.2

Es muss klar ausgesagt werden, dass das Recht auf Gegendarstellung nicht nur auf legislativem Wege, sondern auch über Maßnahmen der Koregulierung und Selbstregulierung sichergestellt werden kann.

4.3.3

In den Anhang müssen daher Bestimmungen für folgende Aspekte aufgenommen werden:

a)

die genaue und verbindliche Festlegung derjenigen Fälle, in denen die Veröffentlichung einer Gegendarstellung oder Richtigstellung abgelehnt werden kann (nach dem Vorbild der Entschließung Nr. 74/26 des Europarates), sowie einer kurzen Frist, innerhalb derer diese Ablehnung erfolgen muss;

b)

den Grundsatz, dass eine Gegendarstellung so behandelt werden muss, dass sie bei der Veröffentlichung und Übertragung ebenso viel Aufmerksamkeit findet wie die ursprüngliche Darstellung, auf die sich sie sich bezieht;

c)

den Grundsatz, dass die Wahrnehmung des Rechts auf Gegendarstellung oder Richtigstellung unentgeltlich sein muss.

4.3.4

Im ersten Spiegelstrich des Anhangs muss nach „unabhängig von ihrer Nationalität“ der Passus „und ihrem Wohnsitz“ ergänzt werden.

5.   Schlussbemerkungen

5.1

Der Ausschuss betont nochmals, dass er den hier erörterten Vorschlag für eine Empfehlung mit den im Abschnitt „Besondere Bemerkungen“ geltend gemachten Vorbehalten unterstützt. In Anbetracht der Tatsache, dass Innovation und technologischer Fortschritt in quantitativer und qualitativer Hinsicht neue Herausforderungen mit sich bringen werden, schlägt der EWSA vor, zusätzlich eine Evaluierung der Auswirkungen dieser Empfehlung auf die Mitgliedstaaten, die Industrie und andere Beteiligte vier Jahre nach ihrer Annahme vorzusehen.

5.2

Mit Blick auf die in der vorhergehenden Ziffer erwähnte Evaluierung schlägt der Ausschuss die Errichtung einer Beobachtungsstelle vor, die eine systematische Bestandsaufnahme der Maßnahmen vornehmen soll, die von den Mitgliedstaaten, der Industrie und anderen Beteiligten im Zuge der Umsetzung der hier erörterten Empfehlung gefördert werden.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2004) 341 endg. vom 30.4.2004.

(2)  Empfehlung 98/560/EG, veröffentlicht in ABl. L 270 vom 7.10.1998; zu dem betreffenden Vorschlag äußerte sich der Ausschuss in seiner Stellungnahme 626/98 vom 29. April 1998, Berichterstatterin war Frau Barrow. Der zweite Evaluierungsbericht wurde unter der Dokumentnummer KOM(2003) 776 endg. vorgelegt.

(3)  Vgl. die Mitteilung der Kommission „Hochgeschwindigkeitsverbindungen für Europa: Neue Entwicklungen in der elektronischen Kommunikation“ (KOM(2004) 61 endg.) und die diesbezügliche EWSA-Stellungnahme ABl. C 157 vom 20.5.2005, Berichterstatter: Herr McDonogh; vgl. ferner die Mitteilung „Mobile Breitbanddienste“ (KOM(2004) 447 endg. vom 30.6.2004).

(4)  Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. L 298 vom 17.10.1989, S. 23.

(5)  Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. L 202 vom 30.7.1997, S. 60.

(6)  KOM(96) 483 endg., und diesbezügliche EWSA-Stellungnahme, Berichterstatterin: Frau Barrow, ABl. C 287 vom 22.9.1997, S. 11.

(7)  ABl. C 70 vom 6.3.1997.

(8)  Stellungnahme ABl. C 214 vom 10.7.1998, Berichterstatterin: Frau Barrow.

(9)  Die wichtigsten Initiativen:

a)

Entscheidung Nr. 276/1999/EG vom 25. Januar 1999 über die Annahme eines mehrjährigen Aktionsplans der Gemeinschaft zur Förderung der sicheren Nutzung des Internet durch die Bekämpfung illegaler und schädlicher Inhalte in globalen Netzen, insbesondere zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (ABl. L 33 vom 6.2.1999, geändert durch die Entscheidung Nr. 1151/2003/EG vom 16. Juni 2003, ABl. L 162 vom 1.7.2003, mit der der Aktionsplan um zwei Jahre verlängert wurde);

b)

Mitteilung der Kommission vom 14. Dezember 1999„Grundsätze und Leitlinien für die audiovisuelle Politik der Gemeinschaft im digitalen Zeitalter“, der zufolge durch die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens ein wirksamer Schutz der grundsätzlichen Interessen der Gesellschaft gewährleistet werden muss, insbesondere Freiheit der Meinungsäußerung und Recht auf Gegendarstellung, Schutz von Urhebern und deren Werken, Pluralismus, Verbraucherschutz, Jugendschutz und Schutz der Menschenwürde sowie Förderung der sprachlichen und kulturellen Vielfalt (KOM(1999) 657 endg.;

c)

Schlussfolgerungen des Rates vom 17. Dezember 1999 über den Jugendschutz im Licht der Entwicklung digitaler audiovisueller Medienangebote, in denen die Notwendigkeit anerkannt wird, die Systeme zum Schutz Jugendlicher vor schädlichen audiovisuellen Inhalten im Lichte der kontinuierlichen technischen, sozialen und marktbezogenen Entwicklungen anzupassen und zu ergänzen (ABl. C 8 vom 12.1.2000);

d)

Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 über den elektronischen Geschäftsverkehr, die Bestimmungen zum Jugendschutz und zum Schutz der Menschenwürde enthält, insbesondere Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c), laut dem die Mitgliedstaaten und die Kommission zur Aufstellung von Verhaltenskodizes zum Zwecke des Jugendschutzes und des Schutzes der Menschenwürde ermutigen sollen (ABl. L 178 vom 17.7.2000);

e)

Mitteilung der Kommission KOM(2000) 890 endg. vom 26.1.2001 – Stellungnahme vom 12. September 2001, ABl. C 311 vom 17.11.2001, „Schaffung einer sichereren Informationsgesellschaft durch Verbesserung der Sicherheit von Informationsinfrastrukturen und Bekämpfung der Computerkriminalität“, in der eine ganze Reihe von legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen zum Schutz gegen rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, illegale Inhalte, unberechtigten Zugang und Sabotage sowie gegen Verstöße gegen das Urheberrecht aufgeführt wird (KOM(2000) 890 endg. und Stellungnahme, Berichterstatter: Herr Dantin), sowie der daran anschließende Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über Angriffe auf Informationssysteme (KOM(2002) 173 endg. vom 19.4.2002) und die Stellungnahme vom 28. November 2001 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Sicherheit der Netze und Informationen: Vorschlag für einen europäischen Politikansatz“, Berichterstatter: Herr Retureau, veröffentlicht in ABl. C 48 vom 21.2.2002.

f)

Evaluierungsbericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zur Anwendung der Empfehlung des Rates vom 24. September 1998 in Bezug auf den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde, in dem einerseits die ermutigenden Ergebnisse der Anwendung der Empfehlung angeführt werden, andererseits aber auf die Notwendigkeit einer stärkeren Einbeziehung der Benutzer und eines längeren Zeitraums für die vollständige Umsetzung der Empfehlung hingewiesen wird (KOM(2001) 106 endg. vom 27.2.2001); diese Fakten werden in den Schlussfolgerungen des Rates vom 23. Juli 2001 zum Evaluierungsbericht der Kommission zur Anwendung der Empfehlung über den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde herausgestellt (ABl. C 213 vom 31.7.2001);

g)

Vierter Bericht über die Anwendung der Richtlinie 89/552/EWG „Fernsehen ohne Grenzen“ vom 6.1.2003, in dessen Anhang zum einen das Arbeitsprogramm für die Überprüfung der Richtlinie enthalten war und zum andern die Durchführung einer öffentlichen Anhörung u.a. zu den Themen Jugendschutz und Recht auf Gegendarstellung vorgesehen wurde (KOM(2002) 778 endg. vom 6.1.2003). Grundlage der öffentlichen Anhörung waren die auf der Website der Kommission veröffentlichten Diskussionspapiere ( http://europa.eu.int/comm/avpolicy/regul/review-twf2003/consult_de.htm);

h)

der bereits erwähnte zweite Evaluierungsbericht zur Empfehlung vom September 1998, vorgelegt am 12. Dezember 2003, in dem die auf EU-Ebene und von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen kritisch bewertet werden;

i)

Mitteilung der Kommission über die Zukunft der europäischen Regulierungspolitik im audiovisuellen Bereich, in der die mittelfristigen Prioritäten für die Rechtspolitik der Gemeinschaft in diesem Sektor in einem erweiterten Europa dargelegt werden und in der die Kommission - unter Hinweis auf das Ergebnis der öffentlichen Konsultation im Zuge der Revision der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ und die zum Ausdruck gebrachten Besorgnisse - auf die Notwendigkeit aufmerksam machte, eine Aktualisierung der Empfehlung des Rates über den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde mit Schwerpunkt auf der Entwicklung von Selbst- und Koregulierungsmodellen vorzuschlagen. Besonderes Augenmerk sollte hierbei der Online-Umgebung gelten, um zur effektiven Einhaltung der Prinzipien des Jugendschutzes und des Schutzes der öffentlichen Ordnung beizutragen. Die Kommission kündigte außerdem an, dass sie die Idee aufgreifen werde, das Recht auf Gegendarstellung auf alle Medien auszudehnen, wobei zunächst das Recht auf Gegendarstellung in die Empfehlung über den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde aufgenommen werden könnte (KOM(2003) 784 endg. vom 15.12.2003);

j)

der jüngste Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zur Förderung der sichereren Nutzung des Internet und neuer Online-Technologien, in dem diesmal der Schwerpunkt auf den Endnutzern lag - insbesondere den Eltern, Erziehern und Jugendlichen (KOM(2004) 91 endg. vom 12.3.2004).

(10)  ABl. C 48 vom 28.2.2002, Berichterstatterin: Frau Davison.

(11)  ABl. C 14 vom 16.1.2001, Berichterstatter: Herr Morgan und Frau Carroll.

(12)  ABl. C 214 vom 10.7.1998, Berichterstatterin: Frau Drijfhout-Zweijtzer, und Stellungnahme ABl. C 73/2003 vom 26.3.2003,Berichterstatterin: Frau Davison.

(13)  ABl. C 157 vom 28.6.2005 am 16.12.2004 vom Plenum verabschiedet, Berichterstatter: Herr Retureau und Frau Davison.

(14)  ABl. L 270 vom 7.10.1998, S. 48.

(15)  ABl. L 13 vom 17.1.2001, S. 35. Vgl. hierzu den jüngsten Vorschlag für einen Beschluss zum Programm MEDIA 2007, KOM(2004) 470 endg. vom 14.7.2004 sowie die diesbezügliche EWSA-Stellungnahme, die vom Berichterstatter für die vorliegende Stellungnahme derzeit ausgearbeitet wird.

(16)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Gewährleistung des Jugendschutzes und des Schutzes der Menschenwürde in den audiovisuellen und den Informationsdiensten“ABl. C 214 vom 10.7.1998, S. 25.

(17)  Absatz 14 der Entschließung des Europäischen Parlaments zum Evaluierungsbericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der Empfehlung des Rates vom 24. September 1998 in Bezug auf den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde (KOM(2001) 106 endg.).

(18)  European Forum on Harmful and Illegal Cyber Content: Self-Regulation, User Protection and Media Competence. Straßburg, 28. November 2001, Menschenrechtsgebäude.

(19)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Zukunft der europäischen Regulierungspolitik im audiovisuellen Bereich, KOM(2003) 784 endg. vom 15. Dezember 2003; vgl. auch den revidierten Vorentwurf eines Informationsberichts zum Thema „Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt“ (INT/204 vom 16.11.2004), Berichterstatter: Herr Vever.

(20)  Vgl. Fußnote 13.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/94


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Beschäftigungspolitik: Rolle des EWSA nach der Erweiterung und in der Perspektive des Lissabonner Prozesses“

(2005/C 221/18)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Juli 2004 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine stellungnahme zum Thema „Beschäftigungspolitik: Rolle des EWSA nach der Erweiterung und in der Perspektive des Lissabonner Prozesses“ auszuarbeiten.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr Greif.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 9. Februar) mit 138 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Im März 2000 lancierte der Europäische Rat in Lissabon ein ambitioniertes Reformprogramm mit ehrgeizigen Zielen für Wachstum und Beschäftigung. Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in einer wissensbasierten Wirtschaft und ein dauerhaftes, beschäftigungswirksames Wirtschaftswachstum sollten mit der Verbesserung der Arbeitsqualität und der Stärkung des sozialen Zusammenhalts verbunden werden. Getragen von einer breiten Zustimmung verlieh es der Hoffnung Nahrung, eine Einlösung könne das Projekt einer erweiterten Union den Bürgerinnen und Bürgern Europas spürbar näher bringen.

1.2

Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage drohen die für 2010 gesetzten Vorgaben, insbesondere die Beschäftigungsziele, verfehlt zu werden, was zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit des gesamten Prozesses führen kann. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Auffassung, dass dieses Glaubwürdigkeitsproblem nur entschärft werden kann, wenn die Menschen darauf vertrauen können, dass alle politischen Verantwortlichen energisch daran gehen, die Lissabon-Strategie mit ihrem Gleichklang und ihrer Gleichrangigkeit von Zielen (Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen, Stärkung des sozialen Zusammenhaltes sowie nachhaltige ökologische Entwicklung) konsequent umzusetzen.

1.3

Getragen von der Überzeugung, wonach „Lissabon“ keine neue Agenda, sondern vielmehr eine Politik benötigt, welche die selbst gesetzten Ziele durch die Implementierung geeigneter Maßnahmen v.a. in den Mitgliedstaaten auch erreichen will, möchte der EWSA mit dieser Initiativstellungnahme in Ergänzung zu seiner Stellungnahme „Die Durchführung der Lissabon-Strategie verbessern“ (1), zentrale beschäftigungspolitische Herausforderungen aufzeigen und Empfehlungen zur weiteren Umsetzung des Prozesses bis 2010 vorlegen.

2.   Lissabonner Halbzeitbilanz: Europa ist vom Weg zu mehr und besserer Beschäftigung weit entfernt

2.1

In der Lissabonner Strategie werden die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum als wesentliche Instrumente gesehen, damit in Europa mehr und bessere Arbeitsplätze geschaffen werden können, die Systeme der sozialen Sicherung auf eine stabilere Grundlage gestellt und damit der Schutz vor Armut und Ausgrenzung gewährleistet werden kann. Der EWSA hält diesen ganzheitlichen Politikansatz für einen bemerkenswerten Vorzug der Lissabon-Strategie.

2.2

Im Bereich der Beschäftigungspolitik sollten von Lissabon neue Impulse für die Europäische Beschäftigungsstrategie ausgehen, der Beitrag aktiver Beschäftigungspolitik zur Armutsbekämpfung gestärkt, das Unternehmertum als wesentlicher Motor für Wachstum und Beschäftigung gefördert und über quantitative Zielvorgaben EU-weit die Erwerbsbeteiligung erhöht werden.

So sollte bis 2010 die Gesamtbeschäftigungsquote im EU-Schnitt von 61 % auf 70 % und die der Frauen von 51 % auf 60 % angehoben werden. Dazu wurden ein Jahr später in Stockholm Zwischenziele (eine Gesamtbeschäftigtenquote von 67 % und eine solche für Frauen von 57 % bis 2005) abgesteckt. Darüber hinaus wurde eine neue Zielvorgabe für die Erhöhung der Beschäftigungsquote für die 55- bis 64-Jährigen festgelegt, die im Jahr 2010 bei 50 % liegen soll.

Die einzelnen Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, ausgehend von ihren je unterschiedlichen Ausgangspositionen, entsprechend ambitionierte nationale Ziele zu setzen. Also sollten auch jene Länder, die 2000 bereits eine Beschäftigungsquote über 70 % hatten (wie etwa Schweden, die Niederlande, Dänemark und das Vereinigte Königreich) oder knapp darunter lagen (Österreich, Portugal und Finnland), einen entsprechenden Beitrag zu den Lissabonzielen liefern.

2.3

Doch Lissabon setzte nicht nur die Perspektive nach „mehr Beschäftigung“ in die Welt, sondern auch, dass Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit v.a. über die Förderung von Innovation und eine bessere Qualität der Arbeit erreicht werden soll: Investitionen in Humankapital, Forschung, Technologie und Innovation wurde somit dieselbe Priorität eingeräumt wie arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Orientierungen. Dementsprechend wurden weitere quantitative Ziele festgelegt, so u.a. die Steigerung der Humankapitalinvestition pro Kopf/Förderung lebenslangen Lernens (Beteiligung von 12,5 % aller Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter an Weiterbildungsmaßnahmen, Halbierung der Zahl der 18- bis 24-Jährigen ohne weiterführende Schul- oder Berufsausbildung), die Erhöhung der F&E-Quote auf 3 % des BIP (davon zwei Drittel der Investitionen durch den privaten Sektor) oder etwa der Ausbau der Kinderbetreuung (Bereitstellung von Betreuungsplätzen für 33 % der 0- bis 3-Jährigen und 90 % der Kinder bis zum Pflichtschulalter).

2.4

Trotz einiger anfänglicher Erfolge ist Europa Anfang 2005 noch weit vom Weg hin zu seinen ambitionierten Zielen entfernt. Die europäische Wirtschaft erlebt das dritte aufeinander folgende Jahr ein sehr niedriges, deutlich unter den potenziellen Möglichkeiten liegendes Wachstum. Die wirtschaftliche Belebung ist insgesamt zögerlich und angesichts hoher Ölpreise und massiver globaler Ungleichgewichte sehr anfällig. Als Halbzeitbilanz muss man ernüchtert feststellen, dass die Lissabonner Beschäftigungsziele mit ziemlicher Sicherheit bis 2010 nicht erreicht sein werden.

2.5

Alle drei Schaubilder 1 — 3 (siehe unten: Der angegebene Höchstwert entspricht jeweils dem Lissabonner Ziel) zeigen, wie unwahrscheinlich es ist, dass die Ziele von Lissabon bis 2010 erreicht werden können.

Sowohl die Gesamtbeschäftigungsquote als auch die Beschäftigungsquote der Frauen stiegen in den späten neunziger Jahren, als die europäische Wirtschaft vergleichsweise schnell wuchs, rasch an. Die Konjunkturabschwächung, die durch von der makroökonomischen Politik nur unzureichend abgefangene externe Schocks entstand, brachte die Entwicklung der Gesamtbeschäftigungsquote 2001 praktisch zum Stillstand. Die Beschäftigungsquote der Frauen stieg weiter um ein halbes Prozent pro Jahr. Bei einer raschen Zunahme des Wirtschaftswachstums wäre dieses Ziel — zumindest für die EU-15 — bis 2010 erreichbar.

Mit mehr als 8 % für die EU-15 und beinahe 10 % für die EU-25 ist die Kluft zum Beschäftigungsziel für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am größten und am schwersten zu überwinden (2). Allerdings scheint der Anstieg der Zuwachsraten trotz der Konjunkturabschwächung darauf hinzuweisen, dass Maßnahmen zur Vermeidung der Frühverrentung und zur Förderung des aktiven Alterns im Rahmen der Lissabon-Strategie eine gewisse Wirkung zeitigten. So ist etwa das durchschnittliche Erwerbsaustrittsalter von 60,4 im Jahr 2001 auf 60,8 im Jahr 2002 gestiegen (3). Bei den anderen beiden Hauptindikatoren für die Beschäftigung hingegen war ironischerweise vor der Ankündigung der Lissabon-Strategie ein im Zielkorridor liegendes Wachstum zu verzeichnen, seither jedoch nicht mehr. Das zeigt deutlich, wie wichtig zyklische und makroökonomische Faktoren sind, die jedoch zu Gunsten der Konzentration auf so genannte „strukturelle“ Maßnahmen vernachlässigt wurden. Beides ist jedoch von Bedeutung.

Schaubilder 1 — 3: Die Entwicklung der Beschäftigungsziele von Lissabon (4):

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2.6

Um die in Lissabon festgelegte Zielmarke von 70 % zu erreichen, müssten bis 2010 etwa 15 Mio. neue Arbeitsplätze in der EU-15 und 22 Mio. in der EU-25 geschaffen werden, mehr als 3 Mio. im Jahr, soviel wie in der EU-15 im Jahre 2000, dem besten Jahr für Beschäftigung seit über einem Jahrzehnt.

2.7

Die EU-Erweiterung bringt neue wirtschaftliche Dynamik für ganz Europa, prägt aber auch die Beschäftigungsentwicklung. Wie die Graphiken zeigen, liegen die Beschäftigungsraten in den neuen Mitgliedstaaten deutlich hinter jenen der EU-15. Noch in den späten 90er Jahren war dies v.a. bei Frauen nicht der Fall. Andererseits ist derzeit die Wirtschaftsentwicklung in den neuen Mitgliedstaaten deutlich dynamischer, mit jährlichen Wachstumsraten von teilweise deutlich über 4 %. Die EU muss den Bedürfnissen der neuen Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Beschäftigungsstrategie besondere Aufmerksamkeit schenken, damit diese Länder die gemeinschaftsweiten Beschäftigungsziele auch erfüllen können. Dabei müssen etwa die Konvergenzkriterien in Hinblick auf einen anvisierten Beitritt zum Euroraum so sein, dass sie Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum nicht verhindern, sondern fördern. Der EWSA hat dies im Rahmen der Gemeinsamen Beratenden Ausschüsse mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft aus den Beitrittsländern bereits ausführlich behandelt.

3.   Beschäftigungspolitik muss mehr als Strukturreformen auf den Arbeitsmärkten sein

3.1.

Zweifellos liegt die skizzierte schwache Beschäftigungssituation in hohem Maß in der wirtschaftlichen Entwicklung begründet. Lissabon stand unter der Annahme eines jährlichen realen BIP-Wachstums von 3 % im Durchschnitt. Statt des erwarteten Aufschwungs hat sich die wirtschaftliche Lage seit 2000 jedoch rapide verschlechtert. So fielen die Wachstumsraten in den Folgejahren äußerst gering aus: 1,7 % im Jahre 2001, 1 % 2002 und 2003 gar nur 0,8 %.

3.2.

Vor diesem Hintergrund ist klar: Die beschäftigungspolitischen Ziele können nur dann erreicht werden, wenn es gelingt, einen nachhaltigen konjunkturellen Aufschwung einzuleiten. Entsprechende Rahmenbedingungen, die nicht nur die externe, sondern auch die interne Nachfrage begünstigen, müssen geschaffen werden, um das Potenzial für Wachstum zu erhöhen und Vollbeschäftigung zu erreichen. Der EWSA hat in diesem Zusammenhang in letzter Zeit mehrfach darauf hingewiesen, dass es dazu eines „gesunden makroökonomischen Kontextes“ auf europäischer Ebene bedarf. Dazu zählt vor allem eine Makropolitik, die den Mitgliedstaaten bei wirtschaftlicher Stagnation Spielraum für konjunkturpolitisches Handeln in der Wirtschafts- und Finanzpolitik lässt und in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums den entsprechenden Spielraum schafft.

Der Ausschuss begrüßt in diesem Zusammenhang die Reformvorschläge der Kommission zum Stabilitäts- und Wachstumspakt als Schritt in die richtige Richtung, vor allem dass die Beurteilung von Fiskaldefiziten von landesspezifischen Rahmenbedingungen (z.B. Konjunktur, Schuldenstand, Inflation) abhängig gemacht werden soll. Auch dass die Mitgliedstaaten und die nationalen Parlamente stärker in die Umsetzung der Haushaltskonsolidierung einbezogen werden, entspricht der stärkeren Wachstumsorientierung eines reformierten Paktes. Darüber hinaus muss der Qualität der Staatsausgaben stärker Rechnung getragen werden, etwa über die explizite Herausnahme strategischer Investitionen für Wachstum und Beschäftigung aus der Defizitberechnung (5). Es wird dem Rat obliegen, auf Vorschlag der Kommission festzulegen, welche Investitionen als strategische Investitionen von europäischem Interesse anzusehen sind.

Dies sollte durch eine pragmatisch orientierte Geldpolitik unterstützt werden, die die Gesamtwirtschaft und somit auch die Beschäftigungswirkung in ihrer Politik berücksichtigt. Der EWSA hat in diesem Sinn bereits mehrmals gefordert, ernsthaft darüber nachzudenken, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, damit die EZB ein Stabilitätsziel 'im weiteren Sinn' einhält, welches bei Stabilität des Geldwertes, auch die Stabilität von Wachstum, Vollbeschäftigung und der Systeme des sozialen Zusammenhaltes im Auge hat. Dies setzt einen kontinuierlichen Dialog mit den Organen der EU und den Sozialpartnern voraus und würde auch das Vertrauen der Investoren und Konsumenten stärken.

3.3.

Für die Wachstumsabschwächung der letzten drei Jahre (nachdem in Jahr 2000 in der EU-15 noch eine Wachstumsrate von 3 % erzielt wurde) waren vor allem makroökonomische, weniger strukturpolitische Gründe verantwortlich. Deshalb hat der Ausschuss bereits mehrmals mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Grundzüge der europäischen Wirtschaftspolitik bei ihren Empfehlungen dieser Tatsache Rechnung tragen sollen (6). Es muss zu einer spürbaren Belebung der großen Nachfragekomponenten Konsum und Investitionen (privat wie öffentlich) kommen, um die Kaufkraftschwäche in Europa auszugleichen. Europa — mit einer positiven Handelsbilanz und steigenden Exporten — ist durchaus wettbewerbsfähig. Was dagegen stagniert, das ist die Inlandsnachfrage. Strukturreformen sind nur in einem günstigeren makroökonomischen Umfeld erfolgreich. Löhne dürfen nicht nur als Kostenfaktor auf der Angebotsseite gesehen werden, sondern sie bestimmen auch wesentlich die Nachfrageseite und damit die Marktaussichten von Unternehmen, insbesondere von Klein- und Mittelbetrieben, die standortgebunden sind. Das Beispiel Deutschland zeigt, dass eine ausgeprägte Lohnzurückhaltung zwar die Angebotsseite stärken kann, jedoch gleichzeitig durch die Schwächung der Nachfrage eine Konjunkturbelebung verhindert. Obgleich es bei Lohnverhandlungen mehrere ausschlaggebende Faktoren gibt, bleibt festzuhalten, dass eine Orientierung des realen Lohnzuwachses am jeweils nationalen gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs einerseits eine ausreichende Nachfrageentwicklung gewährleistet und auf der anderen Seite die Stabilitätsorientierung der Europäischen Zentralbank sichert. Diese wirtschaftspolitische Ausrichtung kann dazu führen, in Europa zu einem nachhaltigen und stabilitätsorientierten Wirtschaftswachstum zu gelangen.

3.4.

In den letzten Jahren hat in europäischen Politikempfehlungen der Standpunkt dominiert, dass strukturelle Faktoren (wie z.B. Lohnpolitik der Sozialpartner, rigide Arbeitsmarktregulierung, zu kurze Arbeitszeiten, Immobilität und Inflexibilität der Arbeitnehmer) das Problem des europäischen Arbeitsmarktes ausmacht. Und in der Tat wurde in den meisten Mitgliedstaaten in den letzten Jahren der Schwerpunkt in der Beschäftigungspolitik gerade darauf gelegt. Die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit oder die Beseitigung von Qualifikationsdefiziten sowie die Integration benachteiligter Gruppen in den Arbeitsmarkt gerieten demgegenüber deutlich in den Hintergrund.

3.5.

Der EWSA hat in diesem Zusammenhang bereits öfters darauf hingewiesen, dass eine Kürzung der Sozialleistungen und der Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie unzureichende Investitionen in das Humankapital zu einer Schwächung der Binnennachfrage führt, was die wirtschaftlichen Probleme eher verschärft und die Entwicklung der Arbeitsproduktivität verschlechtert. Im Übrigen steht diese einseitige Angebotsorientierung im Widerspruch zu den ganzheitlichen Zielen von Lissabon selbst, insbesondere zur Produktivitäts- und Qualitätssteigerung der Beschäftigung. Jedenfalls gilt: Arbeitsmarktpolitik, welche zu wenig auf Weiterqualifizierung setzt und qualifizierte Arbeitslose zwingt, niedrig qualifizierte Jobs anzunehmen, wird eine negative Auswirkung auf die Arbeitsproduktivität haben. Der EWSA ist der Ansicht, dass nur eine parallele Steigerung der Beschäftigung und der Arbeitsproduktivität — wie auch neuerdings von der Kommission gefordert — eine angemessene Strategie darstellt. Natürlich werden auch niedrigqualifizierte Jobs entstehen. Hier ist auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher und sozialer Gesetzgebung zu achten.

3.6.

In der europäischen Beschäftigungsdebatte steht heute die Notwendigkeit zur Steigerung der Beschäftigungsquoten im Mittelpunkt. Das strategische Ziel von Lissabon besteht in der Förderung von Beschäftigung als beste Prävention vor Armut und Ausgrenzung. Das impliziert eine Strategie zur „Verbesserung der Qualität der Arbeit“ und nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen um jeden Preis. In diesem Sinn muss der europäische Weg zur Vollbeschäftigung mit angemessenen Löhnen, sozialer Sicherheit und hohen arbeitsrechtlichen Standards verbunden sein. Der EWSA ruft dazu auf, bei der Weiterverfolgung der Lissabon-Strategie der Qualität der Arbeit erhöhte Bedeutung beizumessen, insbesondere wenn es um die Verfolgung struktureller Reformmaßnahmen geht.

3.7.

Der EWSA will damit keinesfalls sagen, dass Arbeitsmarktreformen oder Reformen in anderen Bereichen keine Relevanz bei der Schaffung von Beschäftigung zukommt. Um das Ziel aufrechtzuerhalten, mehr und bessere Arbeit zu schaffen, ist er jedoch der Überzeugung, dass es in der derzeitigen Situation vor allem darum geht, die Wirtschaft anzukurbeln und ein intelligentes Design an Strukturreformen zu fördern. Nur so kann die Wirkung und Akzeptanz von Reformen erhöht werden. Makropolitik und Strukturreformen haben einander zu ergänzen, ohne sich gegenseitig zu ersetzen.

4.   Neue Wege in der Beschäftigungspolitik: Innovationsfähigkeit der Unternehmen — Investition in Arbeit — Wissen als Schlüsselressource

4.1

Die Innovationsfähigkeit europäischer Unternehmen ist entscheidend für die wirtschaftliche Dynamik. Ohne neue und verbesserte Produkte und Dienstleistungen, ohne Zugewinn an Produktivität wird Europa wirtschaftlich und beschäftigungspolitisch ins Hintertreffen geraten. Produktivitätsfortschritt bedeutet auch Wandel in der Arbeitswelt, nicht immer und sofort mit positivem Saldo. Aber der Verzicht auf soziale und wirtschaftliche Innovation führt mit Sicherheit in die Abwärtsspirale. Die Konsequenzen dieses Wandels für den Arbeitsmarkt müssen sozial begleitet und abgefedert werden.

4.2

Wirtschaftswachstum und ein Klima für Investitionen sind wesentliche Voraussetzungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Erhaltung bestehender Beschäftigung, was im Europäischen Binnenmarkt in beträchtlichem Maß durch neue Unternehmen und KMU geleistet wird (7). Kleine und kleinste Firmen sind in hohem Maß auch in der lokalen Wirtschaft verwurzelt, sie profitieren daher im besonderen Maß von einer stabilen und wachsenden Inlandsnachfrage. Der EWSA hat daher bereits mehrfach darauf hingewiesen, in Fragen der Beschäftigung ein besonderes Augenmerk auch auf die Entwicklung des Unternehmergeistes, eine Politik der Unternehmensweiterführung und die Förderung der Gründung solcher Unternehmen zu legen, die durch Innovation zusätzliche Beschäftigung schaffen (8). Oft sind es gerade KMU, die aus der Notwendigkeit heraus, am Markt zu bestehen, besonders innovativ sind. Das Augenmerk sollte hier auch auf die Förderung von Kleinstunternehmen gelegt werden. In diesem Sinn gilt es, es den Unternehmen zu ermöglichen, ihr Innovationspotenzial vollkommen zu entfalten, vor allem durch verbesserte Finanzierungszugangsbedingungen, verwaltungstechnische Vereinfachungen bei der Unternehmensführung sowie verstärkte Qualifizierungsmaßnahmen.

4.3

Der EWSA hat weiters mehrfach darauf hingewiesen, dass die Menschen mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten die bedeutendste Ressource für Innovation und Fortschritt in der Wissensgesellschaft darstellen (9). Europa muss Wege finden, sein Potenzial an qualifizierten Menschen, Wissenschaft, Forschung und Technologie auszubauen, in marktgängige neue Produkte und Dienstleistungen und damit in Beschäftigung umzusetzen. Das erfordert eine hohe Bildungsbeteiligung aller Bevölkerungsgruppen, eine gute Berufsausbildung und einen verbesserten Übergang von höherer Bildung in die Arbeitswelt. Das gesellschaftliche Klima muss so entwickelt werden, dass Bildung zur Selbstverständlichkeit und höhere Bildung nicht als Privileg verstanden wird. Aktuelle OECD-Studien haben abermals die Schwächen im Bildungs- und Ausbildungssystem zahlreicher Mitgliedstaaten vor Augen geführt (10). Akademiker- und Fachkräftemangel zeichnen sich als wirtschaftlicher Engpass ab und sind zugleich Spiegelbild verstellter Bildungszugänge. Der Handlungsbedarf in der Aus- und Weiterbildungspolitik ist überfällig. Wo bleiben etwa entsprechende Investitionen,

um die Drop-out-Rate drastisch zu reduzieren, jene der Hochschulabsolventen zu erhöhen und die Möglichkeit für lebenslanges Lernen für alle tatsächlich zu gewährleisten;

um den Übergang von der höheren und universitären Bildung in die Wirtschaft, insbesondere auch im KMU-Bereich zu verbessern;

um als wesentliche präventive Maßnahme in der Beschäftigungspolitik eine qualitativ hohe Erst- und Berufsausbildung sicherzustellen, die Jugendlichen einen möglichst reibungslosen Eintritt in und nachhaltigen Verbleib auf dem Arbeitsmarkt erlaubt;

um etwa über die Ermöglichung einer Woche Bildungsfreistellung pro Jahr möglichst vielen Beschäftigten eine erweiterte Bildungspartizipation zuteil werden zu lassen?

4.4

Der EWSA hat in diesem Zusammenhang mehrfach auf die Bedeutung der Übernahme allgemeiner Verantwortung im Bereich der Aus- und Weiterbildung hingewiesen und dabei auch festgestellt, dass Investitionen in Qualifikation nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch die Unternehmen und den Einzelnen selbst etwas angehen, kommen doch die Vorteile des lebenslangen Lernens den Beschäftigten, den Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt zugute (11). Die berufliche Bildung und die lebensbegleitende Aus- und Fortbildung dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sie müssen vielmehr grundlegende Elemente bei der Karriereplanung von Erwerbstätigen darstellen. Unabhängig von Altersgruppe oder Ausbildung sollte ausreichend Motivation und Möglichkeiten zur Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen vorhanden sein. Die Entwicklung von Kompetenz und Innovationsbereitschaft setzt somit auch auf betrieblicher Ebene entsprechende Investitionen in Aus- und Weiterbildung sowie die Entwicklung einer innovationsförderlichen Unternehmenskultur voraus.

4.5

Es genügt heute jedoch nicht, dass der einzelne Mensch kreativ und lernfähig ist. Das Unternehmen selbst muss lernfähig sein, d.h. neues Wissen muss aufgenommen und in marktfähige Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden. Innovationsfähigkeit ist ein wesentliches Wettbewerbsmoment. Um die Grundlage für zukünftige Innovationen zu sichern, müssen Wissenschaft und Forschung einen hohen Stellenwert erhalten. Es kommt darauf an, die im öffentlichen wie auch im privatwirtschaftlichen Forschungssystem liegenden Potenziale umfassend auszuschöpfen und effektiv zu vernetzen. In diesem Sinn kommt der Förderung von Innovation und Forschung und dabei der Erhöhung der F&E-Ausgaben entsprechend des Lissabonzieles auf 3 % des BIP — wobei zwei Drittel davon von privater Seite aufgebracht werden sollen — hohe Bedeutung zu (12). Die öffentliche Unterstützung für FuE sollte auf europäischer und nationaler Ebene verstärkt werden, vor allem für wachstumsfördernde Schlüsseltechnologien, um die Wissenschaftsbasis auszubauen und die Hebelwirkung auf FuE-Investitionen des privaten Sektors zu erhöhen. Gleichzeitig sollten die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission versuchen, die öffentliche Auftragsvergabe für neue forschungs- und innovationsintensive Produkte und Dienstleistungen zu nutzen.

4.6

Innovative Arbeitsgestaltung und Innovationsmanagement sind aber auch ein Thema für kleine und mittlere Unternehmen. Viele von ihnen haben spezifische Lösungsansätze entwickelt und sind „global players“, andere benötigen spezielle Innovationsberatungsangebote, die neben Innovationsmanagement auch auf die Schaffung lernförderlicher Arbeitsumgebungen zielen sowie auf die speziellen Qualifikationsbedarfe der Mitarbeiter. Vernetzung und Wissensmanagement können KMU dabei unterstützen, gemeinsam neue Wissenspotenziale zu erschließen (13). Diese kulturelle Lücke muss geschlossen werden, damit KMU verstärkt von Grundlagenforschung profitieren. KMU brauchen, um innovativ sein zu können darüber hinaus eine solide Grundfinanzierung und Zugang zu Risikokapital. Konkret bedeutet dies auch, dass Richtlinien im Bereich des EU-Binnenmarktes auf ihre Auswirkungen auf KMU überprüft und gegebenenfalls verbessert werden (z.B. solche zur Liberalisierung der Finanzmärkte oder zu Basel II).

4.7

Ein hochproduktiver industrieller Kern ist und bleibt auch in der EU die Grundlage für eine prosperierende Wirtschaft. Industrie und Dienstleistungen sind gegenseitig aufeinander angewiesen. Innovationsraum heißt auch, Forschung und Entwicklung gezielt auf den Bedarf der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft auszurichten, wobei die Ausschöpfung neuer Beschäftigungsfelder nicht nur in traditionellen Bereichen der produzierenden Industrie ein besonderes Augenmerk verdient. Lissabon verlangt neben der Förderung von Spitzentechnologie auch eine Fokussierung auf die Dienstleistungswirtschaft. Als Voraussetzung dafür müssen gesellschaftsbezogene Dienste neu bewertet, der Druck auf die öffentlichen Haushalte entschärft und die Bedeutung leistungsfähiger öffentlicher Verwaltungen für die Wirtschaftsentwicklung gewürdigt werden. Stichworte wie Bildung, Mobilität, Individualisierung, Anforderungen an demografische Entwicklung, an Pflege und Gesundheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie veränderte Kommunikations- und Freizeitgewohnheiten weisen auf zusätzlichen und neuen Bedarf an sozialen, personenbezogenen aber auch kommerziellen Diensten hin. Sie stehen oft erst am Anfang einer professionellen Entwicklung (14). In diesem Zusammenhang hat der EWSA bereits mehrfach auch auf die bedeutende Rolle der Sozialwirtschaft und den dritten Sektor für Innovation und Beschäftigung hingewiesen (15).

4.8

Bei Innovation kommt es zuerst auf die Menschen, auf Spielräume für Kreativität, Qualifikation, Wissen, Lernfähigkeit und Arbeitsorganisation an. Kritisch sind dabei Selbständigkeit, Selbstbestimmung und Beteiligungsrechte. Insofern ist die Neugestaltung von Arbeitsbeziehungen und Mitbestimmungsstrukturen von vorrangiger Bedeutung. Stabile industrielle Beziehungen fördern Innovation. Wer jetzt daher darauf setzt, Interessenvertretung und Gestaltung der Arbeitsbeziehungen und damit Grundrechte der Beschäftigten zu schmälern statt zu stärken, der schafft neue Innovationsbremsen. In diesem Zusammenhang weist der EWSA darauf hin, dass der vorliegende Vorschlag einer Rahmenrichtlinie zum Binnenmarkt Dienstleistungen nicht zu einer Absenkung bestehender Sozial-, Lohn- und Sicherheitsstandards führen darf.

5.   Veränderung verlangt nach einem nachhaltig leistungsfähigen Sozialstaat, nach aktiver und präventiver Arbeitsmarktpolitik sowie nach Modernisierung und Verbesserung der Sozialschutzsysteme

5.1

Wer Mut für Innovation und Wandel fassen soll, der braucht neben der eigenen Initiative auch Unterstützung durch die Gesellschaft. Risikobereitschaft und soziale Sicherheit gehen Hand in Hand. Viele sind dabei auf gesellschaftliche Dienste angewiesen, die es ermöglichen, Neues anzupacken und umzusetzen. Organisation des sozialen Zusammenhalts als wesentliches Merkmal des europäischen Sozialmodells und Innovation gehören zusammen. Freilich muss der Sozialstaat neuen Anforderungen stets Rechnung tragen. Der EWSA ist in diesem Zusammenhang der Überzeugung, dass die Lissabonner Beschäftigungsziele nur dann erreichbar sein werden, wenn die Sozialpolitik als Handlungsfeld gestärkt und die Politik sozialer Mindestvorschriften als Minimum zur Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Europa fortgeführt wird. Dies ist in der erweiterten Union besonders dringlich, da das Wohlstandsgefälle in der EU zunimmt.

5.2

Um dem Risiko einer Konkurrenz um soziale Standards entgegenzuwirken, sind daher die bestehenden Regelungen der EU-Sozialgesetzgebung in den Bereichen Arbeitsbedingungen, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Arbeitnehmerrechte, Gleichstellung der Geschlechter und Wahrung der Persönlichkeitsrechte besser umzusetzen und weiterzuentwickeln. Das gilt auch für Fragen der Arbeitszeit.

5.3

Der EWSA hat bereits mehrfach, so etwa auch in seiner Stellungnahme „Beschäftigungspolitische Maßnahmen“ zur „Taskforce Employment“, notwendige und machbare Innovationen in folgenden Bereichen angesprochen (16):

Soziale Sicherung auf breiterer Grundlage — Barrieren gegen Armut errichten;

Anpassungsfähigkeit verlangt nach echter Balance zwischen Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt; neue Formen der Arbeitsorganisation bedürfen neuer Formen der Sicherheit;

Förderung aktiver und präventiver Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik, v.a. für benachteiligte Gruppen am Arbeitsmarkt sowie Integration von Migrantinnen verbessern;

Integration Jugendlicher in den Arbeitsmarkt und Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit;

Bildungsoffensive — Verbesserung der vorschulischen Bildung — Ganztagsbetreuung von hoher Qualität — tarifvertraglich gesicherte Weiterbildungsangebote für lebensbegleitendes Lernen;

Investitionen in altersgerechte Arbeitsgestaltung — Wissen und Erfahrung Älterer fruchtbar machen;

Erwerbstätigkeit von Frauen erhöhen — Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherstellen.

5.4

Dabei hat der Ausschuss u.a. auf folgende Aussagen besonderen Wert gelegt:

Die Förderung von aktiven und präventiven Maßnahmen für Arbeitslose und Nichterwerbspersonen muss als wichtiges Ziel erkannt und arbeitsmarktpolitische Instrumente müssen konsequent auf die Wiedereingliederung Arbeitsloser in den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet werden.

Vor allem arbeitslose Jugendliche müssen ausreichend gefördert werden, um möglichst reibungslos auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Neben einem steigenden Wachstum wird es wesentlich von der Qualität der Berufsausbildung und zugleich auch von der Gewährleistung einer möglichst hochwertigen Ausbildung bis hin zum Hochschulabschluss abhängen, ob damit auch ein kontinuierlicher Verbleib und das Vorankommen junger Frauen und Männer am Arbeitsmarkt gewährleistet sein wird. Hierzu sind alle Akteure am Arbeitsmarkt aufgefordert, ihre gegenwärtigen Beiträge und Politiken insbesondere im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu überprüfen (17).

Für spezifische Gruppen, etwa Personen mit Behinderungen oder gering Qualifizierte, die auf dem Arbeitsmarkt mit zusätzlichen Schwierigkeiten konfrontiert sind, müssen die notwendigen Voraussetzungen — insbesondere im Bereich der Weiterbildung — geschaffen werden, die den Zugang, den Verbleib und das Vorankommen am Arbeitsmarkt erleichtern.

Im Hinblick auf die Prognosen einer rückläufigen Erwerbsbevölkerung in Europa können Zuwanderer für die Sicherstellung eines ausreichenden Potenzials an qualifizierten Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle spielen, was entsprechende Maßnahmen voraussetzt (18).

Um angesichts der rückläufigen und alternden Erwerbsbevölkerung die Förderung von aktivem Altern tatsächlich zu erreichen, müssen die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Anreize für längere Erwerbsbiographien stärken und gleichzeitig Unternehmen erleichtern, insbesondere auch ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen.

5.5

Der EWSA hat dabei v.a. auch die Notwendigkeit unterstrichen, mehr für die Erhöhung der Beschäftigungsquote von Frauen zu tun und jene Hemmnisse zu beseitigen, die Frauen weiterhin von der Beteiligung am Arbeitsmarkt abhalten sowie zugleich bestehende Ungleichheiten (v.a. bei der Entlohnung) konsequent anzugehen. Angesichts der Tatsache, dass eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen entscheidend von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf abhängt — und zwar in gleichem Ausmaß für Männer wie für Frauen — ist gerade dieses Lissabonziel konsequent voranzutreiben. Der EWSA begrüßt daher die Aufforderungen an die Mitgliedstaaten, auf allen Ebenen und somit auch über öffentliche Stellen sicherzustellen, dass Betreuungsplätze für Kinder und pflegebedürftige Personen (z.B. ältere Angehörige, Kranke) in einer genügenden Anzahl und Qualität der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und auch erschwinglich sind. Die Mitgliedstaaten sollen den entsprechenden Empfehlungen der aktuellen Beschäftigungspolitischen Leitlinien nachkommen, indem sie konkrete Ziele aufstellen und entsprechende Aktionspläne zu deren Erreichung entwickeln.

5.6.

Darüber hinaus muss bei der Umsetzung der Lissabon Strategie im Bereich der Beschäftigung und der sozialen Eingliederung für alle sozial ausgegrenzten und benachteiligten Gruppen auf die Bekämpfung der Diskriminierung und die Förderung der Chancengleichheit entsprechend geachtet werden. Die Mitgliedstaaten sollten in diesem Zusammenhang nachdrücklich angehalten werden, in ihren Nationalen Aktionsplänen entsprechende Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen weiter zu verfolgen.

5.7

Im Sachverständigenbericht zur Zukunft der Sozialpolitik wurde erst kürzlich festgehalten, dass die landläufige Meinung, wonach sozialer Schutz die Wettbewerbsfähigkeit, das Wirtschaftswachstum und ein hohes Beschäftigungsniveau untergraben, empirisch kaum haltbar ist und in Ländern wie Schweden, Dänemark, Österreich, Luxemburg und den Niederlanden eine hohe Wirtschaftsleistung mit einem hohen Sozialschutzniveau Hand in Hand geht (19). Jene Länder, die in der Wettbewerbsfähigkeit vorderste Plätze einnehmen, tätigen durchwegs relativ hohe Investitionen in die Sozialpolitik und die sozialen Sicherungssysteme und weisen zugleich hohe Beschäftigungs- sowie geringe Armutsquoten nach Sozialtransfers auf. Worum es heute geht, das ist die ausgewogene Verknüpfung von Modernisierung und Verbesserung der sozialen Sicherungssysteme, um sie bei Erhalt ihrer sozialen Schutzfunktionen an aktuelle Gegebenheiten (wie z.B. die demografische Entwicklung) anzupassen. Die Sicherung der langfristigen Finanzierbarkeit muss in diesem Sinn auch den Kriterien der sozialen Angemessenheit, der allgemeinen Zugänglichkeit und hohen Qualität der Dienste Rechnung tragen.

5.8.

In den meisten europäischen Ländern erfolgt die Finanzierung der sozialen Sicherung überwiegend durch Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeberseite. Diese Beiträge sind zum Teil auf ein Niveau gestiegen, das sich negativ auf die Schaffung von Arbeitsplätzen auswirken kann.

Der EWSA stimmt in diesem Zusammenhang mit den Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Union überein, die Finanzierungsbasis für die sozialen Sicherungssysteme zu verbreitern, um den Faktor Arbeit zu entlasten (20).

Gleichzeitig sind Maßnahmen zu ergreifen, um einer drohenden Aushöhlung des Steuer- und Abgabewesens zuvorzukommen. Der EWSA hat auch hier bereits darauf hingewiesen, dass eine EU-weite einheitliche Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein könnte. Bei Steuern auf mobile Faktoren und auch im Umweltbereich soll über Mindeststeuersätze diskutiert werden.

Der EWSA hat darüber hinaus die Mitgliedstaaten bereits mehrfach aufgefordert, ihre Bemühungen zu intensivieren, ihre Sozialschutzsysteme zu modernisieren und zu verbessern, um sie beschäftigungsfreundlicher zu machen (21).

5.9

Zu einer Lissabonvorgabe gehört auch die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Laut Kommission müssten 7 Mio. Arbeitsplätze geschaffen werden, um das Ziel von 50 % zu erreichen. Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen, dass er unter den adäquaten wirtschaftlichen und politischen Bedingungen im Rahmen einer Strategie des aktiven Alterns eine Erhöhung des effektiven Erwerbsaustrittsalters grundsätzlich für ein sinnvolles Ziel hält. Zahlreiche Mitgliedstaaten haben in ihren Rentenreformen jedoch als zentralen Schwerpunkt die bloße Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters angestrengt, wobei zunehmend der Zugang in eine vorzeitige Alterspension generell eingeschränkt oder gar abgeschafft wurde. Dahinter steht die einseitige Annahme, dass es vorrangig am individuellen Willen der Betroffenen und an fehlenden Anreizen im Pensionsversicherungsrecht liegt, warum ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht länger in Beschäftigung bleiben. Andere wichtige Aspekte werden ausgeblendet. Hier sind die Mitgliedstaaten gefordert, Anreize zu bieten, die es den Beschäftigten einerseits ermöglicht, den Zeitpunkt ihres Austritts aus dem Erwerbsleben innerhalb des gesetzlichen Rentenalters freiwillig aufzuschieben und zugleich die Unternehmen unterstützt, die Schaffung entsprechender Arbeitsplätze und Arbeitsplatzbedingungen zu realisieren.

5.10

Der EWSA plädiert in Übereinstimmung mit den Hochrangigen Gruppen „Beschäftigung“, „Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Union“ und „Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“ für Ansätze — wie in einzelnen Mitgliedstaaten (Finnland und Schweden) praktiziert, die an der Qualität der Arbeit und der Weiterbildung ansetzen. Denn damit die Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen im Jahr 2010 in produktiver Beschäftigung stehen kann, ist in erster Linie ein Arbeitsmarkt gefragt, der auch Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zulässt, was von allen Akteuren eine aktive Gestaltung erfordert, wozu auch die Verbesserung der Qualifikation gehört. Dazu sind Investitionen in produktive Weiterbildung sowie Prävention im Bereich des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsförderung notwendig, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Eine Politik, die die Situation älterer Erwerbstätiger ändern will, greift allerdings zu spät, wenn sie erst bei der Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen ansetzt. Aus diesem Grunde ist ein Personalmanagement, welches das Alter vom Beginn der Erwerbstätigkeit an berücksichtigt, ebenso erforderlich wie Modelle zur Arbeitsplatzgestaltung für alternde Belegschaften (v.a. adäquate Arbeitszeitmodelle, die physische wie psychische Belastungen reduzieren) (22).

6.   Politische Empfehlungen des EWSA

6.1   Inhaltliche Verzahnung von wirtschafts- und beschäftigungspolitischer Koordinierung

Seit Lissabon gab es positive Anstrengungen, die beschäftigungspolitische Koordinierung mit jener der Wirtschaftspolitik zeitlich zu synchronisieren. Problematisch bleibt weiterhin das Defizit bei der inhaltlichen Verzahnung, wobei gewährleistet sein muss, dass die beschäftigungspolitischen und die wirtschaftspolitischen Leitlinien kohärent und gleichgewichtig miteinander vereinbar sind.

Eine effektive Koordinierung zwischen den Akteuren (Regierungen, EZB, Sozialpartner) wird es nur geben, wenn auch die Geld- und Haushaltspolitik Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung übernimmt und das auch Eingang in die Grundzüge der Wirtschaftspolitik findet.

In diesem Kontext ist auch den Reformvorschlägen der Kommission zur stärkeren Wachstumsorientierung des Stabilitäts- und Wachstumspakt stärker Rechnung zu tragen, wie dies auch die Hochrangigen Sachverständigengruppe zur Lissabon-Strategie gefordert hat, so unter anderem über die Herausnahme strategischer Investitionen für Wachstum und Beschäftigung aus der Defizitberechnung. Es wird dem Rat obliegen, auf Vorschlag der Kommission festzulegen, welche Investitionen als strategische Investitionen von europäischem Interesse anzusehen sind.

6.2   Bessere Einbindung der Sozialpartner und Aufwertung des makroökonomischen Dialogs

Dies muss auf nationaler und europäischer Ebene geschehen. So kann etwa ein realpolitisch aufgewerteter makroökonomischer Dialog erheblich zur besseren „Governance“ und unter Einbindung der Sozialpartner und der Berücksichtigung ihres Standpunktes zum ganzheitlichen Gelingen des Prozesses beitragen. Er ist der einzige Ort, an dem alle wirtschafts- und beschäftigungspolitisch verantwortlichen Akteure im offenen Dialog darüber zusammenkommen, wie ein wachstums- und beschäftigungsfördernder „Policy Mix“ in der EU am besten erreicht werden kann.

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten ist unter Berücksichtigung ihrer vollen Autonomie die angemessene Partizipation der Sozialpartner sicherzustellen, gerade wenn es um Strukturreformen sowie um Qualifikation und Innovation geht, aber auch an den Debatten und in allen Phasen der Umsetzung der Europäischen Beschäftigungsstrategie (Ausarbeitung, Umsetzung, Evaluierung der nationalen Aktionspläne) (23).

6.3   Effektive Kooperation der zuständigen Ratsformationen

Um in der EU eine beschäftigungspolitische Gesamtstrategie erfolgreich verfolgen zu können, muss die Zusammenarbeit mehrerer „Lissabon-relevanter“ Ratsformationen intensiviert werden. Insbesondere ist eine enge Verzahnung des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister mit jenen für Wettbewerb sowie Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz erforderlich.

Eine solche bessere Koordinierung ist insbesondere auch bei der Vorbereitung der Frühjahrsgipfel erforderlich: Lissabon ist ein horizontaler Prozess und darf nicht alleine in die Hände des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister gelegt werden.

6.4   Makropolitik und Strukturreformen müssen einander ergänzen

Nachdem im Jahr 2000 in der EU-15 noch eine Wachstumsrate von 3 % erzielt wurde bleibt festzuhalten, dass für die Wachstumsabschwächung der letzten Jahre vor allem makroökonomische und weniger strukturpolitische Gründe verantwortlich zeichnen. Dieser Tatsache sollten die Grundzüge der europäischen Wirtschaftspolitik bei ihren Empfehlungen Rechnung tragen.

Es muss zu einer spürbaren Belebung der Nachfragekomponenten Konsum sowie privaten und öffentlichen Investitionen kommen, um die Kaufkraftschwäche in Europa auszugleichen. Darauf aufbauend können einem intelligenten Design an Strukturreformen, das die Binnennachfrage nicht noch weiter schwächt, wichtige Impulse bei der Schaffung von Beschäftigung zukommen.

In diesem Sinn ist der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, der Beseitigung von Qualifikationsdefiziten sowie der Integration benachteiligter Gruppen am Arbeitsmarkt besondere Bedeutung einzuräumen.

Die EU als Ganzes behauptet sich zur Zeit in der globalen Konkurrenz, mit einer ausgeglichenen Handelsbilanz, allerdings bei einer unzureichenden Wachstumsrate. In der globalen Konkurrenz muss sich Europa auf seine Stärken besinnen. Sie kann nicht mit den Ländern in Asien und Afrika um die niedrigsten Löhne konkurrieren. Stattdessen muss sie weiterhin auf eine breit angelegte Innovationspolitik und auf die Produktion gehobener Güter und Dienstleistungen mit hohem Mehrwert setzen.

Vorraussetzungen für positive Auswirkungen des Freihandels sind ein Wechselkursregime, das keine Verzerrung der Preise handelbarer Güter schafft, zusammen mit einer Arbeitsteilung aller am Handel beteiligter Länder, die eine Steigerung der Löhne im Verhältnis zur Produktivitätssteigerung ermöglicht. Beide Voraussetzungen sind derzeit nicht gegeben und sollten ein Ziel der politisch Verantwortlichen in der EU sein.

Der EWSA ruft dazu auf, bei der Weiterverfolgung der Lissabon-Strategie der Qualität der Arbeit erhöhte Bedeutung beizumessen, insbesondere wenn es um die Verfolgung struktureller Reformmaßnahmen geht.

6.5   Unterstützung der beschäftigungswirksamen Rolle der KMU

Es sind gerade auch kleine und mittlere Unternehmen, die für Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze im Europäischen Binnenmarkt sorgen. Daher ist der Unternehmergeist zu fördern und das unternehmerische Potenzial voll zu entfalten, vor allem durch verbesserte Finanzierungszugangsbedingungen, verwaltungstechnische Vereinfachungen bei der Unternehmensführung sowie verstärkte Qualifizierungsmaßnahmen (24).

Unterstützung sollte vor allem jenen Unternehmen zugute kommen, die über Innovation für Wachstum und Beschäftigung sorgen. Das ist weit wichtiger als die bloße Steigerung der Zahl an Unternehmen.

6.6   Die Implementierung in den Mitgliedstaaten selbst optimieren

In Übereinstimmung mit dem Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok zur Lissabon-Strategie vom November 2004 ist der EWSA der Überzeugung, dass zur Erreichung der Lissabonner Ziele die Mitgliedstaaten stärker als bisher in die Pflicht zu nehmen sind. Die Nichterreichung einzelner Ziele hat derzeit kaum Auswirkung auf die nationalstaatliche Politikgestaltung. Das öffentliche „an den Pranger stellen“ erfüllt seine Funktion nur bedingt.

Die allgemeinen Beschäftigungsziele müssen auf entsprechend ambitionierte nationale Ziele herunter gebrochen, mehr Transparenz hergestellt und eine breitere nationale Debatte rund um einen nationalen Lissabonner Umsetzungsbericht (resp. Aktionsplan) sichergestellt werden.

Das „Benchmarking“ sollte derart gestaltet sein, dass die relative Position der einzelnen Mitgliedstaaten dargestellt und sinnvolle politische Schlüsse gezogen werden können.

Ausgehend von ihren spezifischen Ausgangswerten von 2000 müssen einzelne Mitgliedstaaten stärkere Anstrengungen als andere unternehmen, um das allgemeine Beschäftigungsziel von Lissabon zu erreichen. Jene mit Beteiligungsquoten von über oder an die 70 % sind ebenso gefordert wie jene, die darunter liegen. In diesem Sinn sollte vermehrt die Entwicklung der Beschäftigung in den Blick geraten als das bloße Vergleichen der Quoten selbst.

Zum Gelingen des Prozesses müssen echte nationale Reformpartnerschaften unter angemessener Einbindung der Sozialpartner — wie vom Europäischen Rat im März 2004 angeregt — gefördert und auch die nationalen Parlamente stärker in die Verantwortung genommen werden.

6.7   Stärkere Berücksichtigung der Erweiterungsdimension

Die EU sollte den Bedürfnissen der neuen Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Beschäftigungsstrategie besondere Aufmerksamkeit schenken, damit diese Länder die gemeinschaftsweiten Beschäftigungsziele auch erfüllen können.

Besonderes Augenmerk ist gerade auch hier auf die adäquate und effektive Einbindung der Sozialpartner in allen Phasen der Beschäftigungsstrategie zu legen.

Mit Blick auf einen möglichen Beitritt zum Euro-Raum müssen die Konvergenzkriterien so gestaltet sein, dass sie Wachstum und Beschäftigung fördern, nicht verhindern.

6.8   „Lissabonnisierung des EU-Budgets“

Die Erreichung der EU-Beschäftigungsziele braucht auch europäische Wachstumsinitiativen, die sich nicht nur auf eine Vorwegnahme bereits beschlossener EIB-Projekte beschränken. Der Sapir-Bericht aus dem Jahre 2003 hat bereits einige wichtige Anregungen in Richtung Konjunkturbudget geliefert.

Auch die Kommissionsvorlage zur Finanziellen Vorschau 2006-2013 enthält interessante Vorschläge, wie etwa die Einrichtung eines Wachstumsanpassungsfonds. Diese Überlegungen müssen weitergeführt werden und alles daran gesetzt werden, damit vom künftigen EU-Budget wirkungsvolle europäische Wachstums- und Beschäftigungsinitiativen ausgehen können.

Dabei ist sicherzustellen, dass die zur Verfügung gestellten Mittel vor allem auch in den Erweiterungsländern in effektiver Weise zur konsequenten Umsetzung der Lissabonner Ziele für Wachstum und Beschäftigung eingesetzt werden.

6.9   Verstärkter Dialog mit der Zivilgesellschaft und Rolle des EWSA

Lissabon lebt auch davon, wie die Menschen in Europa darüber denken. Der EWSA ist bereit, im Rahmen der Europäischen Beschäftigungspolitik sein Fachwissen anzubieten und seinen Beitrag zur Expertise und zur notwendigen Vermittlung der Lissabon-Strategie an die Bürgerinnen und Bürger Europas zu leisten.

In diesem Zusammenhang sieht der EWSA den Lissabonner Prozess als eine vornehmliche Priorität seiner Arbeit an und erachtet passende interne Strukturen als notwendig, um in enger Kooperation mit der Kommission und anderen Organen der EU, in intensivem operationalem Kontakt mit der Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten zu stehen.

Aufgrund seines Fachwissens und seiner Repräsentativität könnte der EWSA seines Erachtens bei der Erarbeitung der Folgenabschätzungen, die die Kommission systematisch erstellen will, eine Rolle spielen. Wie laufende Debatten zeigen, ist es wesentlich, dass die Legislativvorschläge vielfältige Standpunkte widerspiegeln und möglichst genau und objektiv untermauert sind. Die vorrangige Übermittlung der Folgenabschätzungen an den EWSA und die ihm dadurch eröffnete Möglichkeit, diese zu kommentieren, bevor sie an die europäischen Institutionen weitergeleitet werden, könnten im Sinne der Partnerschaft für die Erneuerung Europas zu einer größeren Akzeptanz europäischer Gesetzgebungsinitiativen stoßen.

Brüssel, den 9. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Durchführung der Lissabon-Strategie verbessern“ (Berichterstatter: Herr VEVER, Mitberichterstatter: die Herren EHNMARK und SIMPSON) (ABl. C 120 vom 20.5.2005).

(2)  Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme vom 16.12.2004„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen“: Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters (Berichterstatter: Herr DANTIN) (ABl. C 157 vom 28.6.2005).

(3)  Siehe die Mitteilung der Kommission: „Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters“, KOM(2004) 146 endg.

(4)  Die Eurostat-Daten liegen derzeit nur für 2003 vor. Angesichts eines sehr langsamen Beschäftigungswachstums werden die Zahlen für 2004 im besten Fall geringfügig höher ausfallen als 2003.

(5)  Siehe dazu u.a. auch die EWSA-Initiativstellungnahme vom 26.2.2004„Haushaltspolitik und Investitionen“ (Berichterstatterin: Frau FLORIO) (ABl. 322 vom 25.2.2004 – ECO/105).

(6)  Siehe u.a. die EWSA-Stellungnahme vom 11.12.2003„Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003-2005“ (Berichterstatter: Herr ELAPINA) (ABl. C 80 vom 30.3.2004).

(7)  Siehe die EWSA-Stellungnahme vom 30.6.2004„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 200/819/EG über ein Mehrjahresprogramm für Unternehmen und unternehmerische Initiative, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)(2001-2005)“ (Berichterstatter: DIMITRIADIS) (ABl. C 302 vom 7.12.2004) sowie die EWSA-Stellungnahme vom 31.3.2004„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire“ (Berichterstatter: RETUREAU) (ABl. C 112 vom 30.4.2004) und die EWSA-Initiativstellungnahme vom 18.6.2003„Die Rolle der Klein- und Kleinstunternehmen im wirtschaftlichen Leben und im europäischen Produktionsgefüge“ (Berichterstatter: PEZZINI) (ABl. C 220 vom 16.9.2003).

(8)  Siehe v.a. auch die EWSA-Stellungnahme vom 24.9.2003„Grünbuch Unternehmergeist in Europa“ (Berichterstatter: BUTTERS) (ABl. C 10 vom 14.1.2004).

(9)  Siehe dazu etwa die Sondierungsstellungnahme des EWSA vom 28.10.2004„Ausbildung und Produktivität“ (Berichterstatter: Herr KORYFIDIS) (CESE 1435/2004).

(10)  Siehe dazu aktuell PISA 2003: OECD Programme for International Assessment (PISA).

(11)  Initiativstellungnahme des EWSA vom 26.2. 2004 zum Thema „Beschäftigungspolitische Maßnahmen“ (Berichterstatterin: Frau HORNUNG-DRAUS, Mitberichterstatter: Herr GREIF) (ABl. C 110 vom 30.4.2004).

(12)  Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme vom 15.12.2004„Mitteilung der Kommission: Wissenschaft und Technologie: Schlüssel zur Zukunft Europas - Leitlinien für die Forschungsförderung in der Europäischen Union“ (Berichterstatter: Herr WOLF) (ABl. C 157 vom 28.6.2005).

(13)  So fand eine gemeinsame Studie von Cambridge University und Massachusetts Institute of Technology (USA) heraus, dass etwa 2/3 der britischen Klein- und Mittelbetriebe auf Expertise von Hochschulen zurückgreifen, während dies in den USA nur 1/3 tun. Andererseits empfinden nur 13 % der britischen KMU eine starke Vernetzung universitärer Bildung als wichtig, während dies in den USA doch 30 % der KMU sind (siehe dazu: Financial Times, London, Dienstag 30. November 2004).

(14)  Siehe hierzu den Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union von Mai 2004.

(15)  Siehe auch die Stellungnahme des EWSA vom 10.12.2003 über die „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Halbzeitüberprüfung der sozialpolitischen Agenda“ (SOC 148 – Berichterstatter: Herr JAHIER – ABl. C 80 vom 30.3.2004), Initiativstellungnahme des EWSA vom 12.9.2001 zum Thema „Private Sozialdienste ohne Erwerbszweck im Kontext der Daseinsvorsorge in Europa“ (SOC 67 – Berichterstatter: Herr BLOCH-LAINÉ - ABl. C 311 vom 7.11.2001) sowie Stellungnahme des EWSA vom 2..2000 zum Thema „Sozialwirtschaft und Binnenmarkt“ (INT 29 – Berichterstatter: Herr OLSSON – ABl. C 155 vom 29.5.2001).

(16)  Initiativstellungnahme des EWSA vom 26.2.2004 zum Thema „Beschäftigungspolitische Maßnahmen“ (Berichterstatterin: Frau HORNUNG-DRAUS, Mitberichterstatter: Herr GREIF) (ABl. C 110 vom 30.4.2004).

(17)  See also: „The European Pact for Youth“ introduced at the European Council on 5 November 2004 by France, Germany, Spain and Sweden beside others addressing youth unemployment and social exclusion.

(18)  Stellungnahme des EWSA vom 10.12.2003 über die „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Einwanderung, Integration und Beschäftigung“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS) (ABl. C 80 vom 30.3.2003).

(19)  Siehe dazu: European Policy Centre (2004): Lisbon revisited – Finding a new path to European Growth (zitiert im Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union von Mai 2004, S. 42).

(20)  Siehe hierzu den Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union von Mai 2004.

(21)  EWSA-Stellungnahme vom 1.7.2004„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Modernisierung des Sozialschutzes für mehr und bessere Arbeitsplätze: Ein umfassender Ansatz, um dazu beizutragen, dass Arbeit sich lohnt“ (Berichterstatterin: Frau St. HILL) (ABl. 302 vom 7.12.2004).

(22)  Siehe dazu v.a. EWSA-Stellungnahme vom 16.12.2004„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters“ (Berichterstatter: DANTIN) (ABl. C 157 vom 28.6.2005).

(23)  Siehe dazu den 2004 Bericht über Initiativen der Sozialpartner in den Mitgliedstaaten zur Implementierung der Beschäftigungsleitlinien, ETUC, UNICE, UEAPME, 2004.

(24)  Siehe dazu auch die Stellungnahmen des EWSA in Anmerkung 7 und 8.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/108


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Finanzierung von Natura 2000“

(KOM(2004) 431 endg.)

(2005/C 221/19)

Die Kommission beschloss am 15. Juli 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 13. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr RIBBE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 10. Februar 2005) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Vorbemerkung

1.1

In der mit dieser Stellungnahme zu bewertenden Kommissionsmitteilung an den Rat und das Europäische Parlament zum Thema „Finanzierung von Natura 2000“

wird die nach wie vor unbefriedigende Situation des Naturschutzes in Europa beschrieben;

wird auf die vielen politischen Beschlüsse, u.a. die der EU-Staats- und Regierungschefs, zur Erhaltung der Biodiversität in Europa verwiesen;

werden die einschlägigen europäischen Naturschutzgesetzgebungen und die daraus resultierenden Verpflichtungen der EU, aber auch die der Mitgliedstaaten besonders in Bezug auf die Etablierung des Naturschutznetzwerkes NATURA 2000 dargestellt;

werden abermals die Gründe für das notwendige Engagement im Naturschutz benannt, die nicht nur im rein naturschützerischen/kulturellen Bereich, sondern durchaus auch im ökonomischen und gesellschaftlichen Sektor zu suchen sind; und

werden Vorschläge zur möglichen Kofinanzierung von NATURA-2000-Maßnahmen seitens der EU gemacht.

1.2

Die Kommission beschreibt in der Mitteilung die gegenwärtige, sich vornehmlich aus Artikel 8 der FFH-Richtlinie (1) ableitende Praxis bei der Kofinanzierung durch die EU, die sich bislang nicht als adäquat zur Lösung der Probleme erwiesen hat.

1.3

Der Finanzbedarf, der sich aus der Etablierung, Umsetzung und Erhaltung des Netzes NATURA 2000 ergibt, wird ermittelt. Die Kommission weist allerdings darauf hin, dass eine endgültige, genaue Kalkulation derzeit noch nicht vorliegt. In der von der Kommission derzeit als „zuverlässigst“ geltenden Schätzung werden die jährlichen Kosten mit 6,1 Milliarden € (für die EU-25) (2) angegeben. Es wird betont, dass diese „noch verfeinert werden kann und sollte“. Hierzu werden besonders die Mitgliedstaaten aufgefordert, in deren Zuständigkeit letztlich auch die Beantragung von Kofinanzierungsmitteln fällt.

1.4

Aus dem Kommissionsdokument wird deutlich, dass innerhalb der EU keine Diskussion mehr darüber geführt wird, ob Gemeinschaftsmittel in den Aufbau und die Erhaltung des Netzes NATURA 2000 gesteckt werden, sondern lediglich, wie dies am besten geschehen kann.

1.5

Dazu werden drei Möglichkeiten erörtert:

Rückgriff auf bestehende EU-Fonds (insbesondere auf den Fonds für die ländliche Entwicklung aus der EAGFL-Garantie, die Strukturfonds (wie EFRE, ESF, FIAF, EAGFL-Ausrichtung), den Kohäsionsfonds sowie LIFE-Natur),

Aufstockung und Verbesserung von LIFE-Natur, um als primäres Realisierungsinstrument zu dienen bzw.

Schaffung eines neuen Finanzierungsinstruments eigens für Natura 2000.

1.6

In ihrer Abwägung kommt die Kommission u.a. nach Konsultation der betroffenen Mitgliedstaaten zum Ergebnis, die erste Option zu wählen, d.h. auf bestehende EU-Fonds zurückzugreifen.

1.7

Die Kommission stellt allerdings auch jene Limitierungen dar, die bei dieser Option bestehen und zu lösen sind. U.a. wird deutlich gemacht, dass ein Teil der derzeit bestehenden Fonds ja nicht flächendeckend zur Anwendung kommen, bestimmte Regionen, in denen sich NATURA-2000-Gebiete befinden können, also praktisch von einer Förderung ausgeschlossen wären. Bekanntlich greift beispielsweise der EFRE nicht flächendeckend, und auch die Gelder aus den Kohäsionsfonds kommen nur bestimmten Mitgliedstaaten zugute. Die Kommission verspricht, hier mit der Neugestaltung der Strukturfonds Abhilfe zu schaffen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der EWSA begrüßt die Vorlage der Kommissionsmitteilung, die insgesamt eine ausgezeichnete Beratungsgrundlage darstellt. Die darin geführte Diskussion ist überfällig, denn trotz der vielfältigen politischen Bekundungen hat sich an der z.T. dramatischen Situation für den Naturschutz in den vergangenen Jahren nichts Entscheidendes geändert. Die Kommission und die Mitgliedstaaten weisen immer wieder auf die sich weiter verschlechternde Situation im Naturschutz hin. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ging es der europäischen Gesellschaft materiell nie so gut und dem Naturschutz so schlecht wie derzeit.

2.2

Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf seine Initiativstellungnahme „Die Situation der Natur und des Naturschutzes in Europa“ aus dem Jahr 2001 (3) sowie auf die „Überprüfung der Umweltpolitik 2003“  (4) der Kommission. Er begrüßt die große Übereinstimmung zwischen Kommission und EWSA bei der Beurteilung der Situation.

2.3

Das NATURA-2000-Netz basiert vornehmlich auf der 1992 verabschiedeten FFH-Richtlinie. Mit der Verabschiedung dieser Richtlinie haben sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU-Kommission zwei Versprechen abgegeben:

einerseits den Aufbau eines europäischen Naturschutznetzes mit dem Namen NATURA 2000 innerhalb von 3 Jahren (5) abzuschließen und

andererseits hierfür auch Geld zur Verfügung zu stellen, um die Lasten nicht auf den Landeigentümern bzw. -nutzern abzuladen.

2.4

Beide Versprechen wurden noch nicht eingelöst. Sowohl die Kommission als auch die Mitgliedstaaten sind somit gefordert, nicht nur wohlklingende Beschlüsse zu fassen, sondern diese auch mit aller Konsequenz umzusetzen.

2.5

Das NATURA-2000-Netz ist von entscheidender Bedeutung für die Sicherung der europäischen Biodiversität. Deren dramatischen Rückgang zu stoppen, haben sich die Staats- und Regierungschefs mehrfach öffentlich verpflichtet. Der EWSA erinnert zusätzlich an die Verpflichtungen, die die EU und die Mitgliedstaaten im Rahmen der Biodiversitätskonvention eingegangen sind. Natur- und Artenschutz ist zudem notwendig, um wichtige genetische und biotische Ressourcen zu sichern.

2.6

Es ist eindeutig, dass sich an der Frage der Finanzierung von NATURA 2000 nicht nur der Naturschutz an sich, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz des Naturschutzes wie auch die umweltpolitische Glaubwürdigkeit der Kommission und der Mitgliedstaaten entscheiden wird.

2.7

Der EWSA stellt fest, dass es bei der Ausweisung der NATURA-2000-Gebiete zu extremen zeitlichen Verzögerungen gekommen ist; das Netz ist auch 12 Jahre nach Verabschiedung der FFH-Richtlinie noch nicht etabliert. Landeigentümer und –nutzer empfinden es bislang häufig als Nachteil, in NATURA-2000-Gebieten zu liegen bzw. zu wirtschaften. Dies hat u.a. damit zu tun, dass die finanziellen Konsequenzen nicht endgültig geklärt sind.

2.8

Der EWSA hat mehrfach darauf hingewiesen, dass für die Erhaltung des einmaligen europäischen Naturerbes eine echte Partnerschaft zwischen Naturschutz und Landwirtschaft entwickelt werden muss; und dass dabei Landwirte, die entsprechende Naturschutzvorgaben berücksichtigen und umsetzen, von den Behörden und den Naturschützern vor Ort eben auch als echte Partner behandelt werden. Die Klärung finanzieller Fragen ist dabei von entscheidender Bedeutung.

2.9

Die Vorlage der Kommissionsmitteilung ist somit überfällig. Dem EWSA ist nicht entgangen, dass es innerhalb der Kommission bei der Erarbeitung der Mitteilung erhebliche Abstimmungsprobleme gab, die wieder und wieder zu Verzögerungen der Vorlage geführt haben.

2.10

In seiner Initiativstellungnahme hatte der EWSA auf zwei zentrale Punkte hingewiesen, die von der Kommission nun ebenfalls als besonders bedeutsam dargestellt werden. Dass nämlich

Europa nicht nur über überragende kulturelle Werte verfügt, sondern dass die unterschiedlichen Kultur- und Naturlandschaften ein herausragendes und ein an sich erhaltenswertes Naturerbe darstellen. Die hohe Vielfalt an unterschiedlichen Landschaftstypen und daraus resultierend an Tier- und Pflanzenarten machen den Reiz und die Faszination des Kontinents aus, und deren Erhalt ist eine gemeinsame und wichtige Aufgabe für Politik, Verwaltung und Bürger auf allen politischen und verwaltungstechnischen Ebenen geworden, damit auch zukünftige Generationen daran teilhaben können;

Naturschutz aber nicht nur Selbstzweck ist, sondern dass die Natur eine unverzichtbare Lebens- und Wirtschaftsgrundlage darstellt. Sie dient als wichtige Ressource für wirtschaftliche Tätigkeiten und ist außerdem Voraussetzung für eine Vielzahl von Sport-, Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten, für die Gesundheitsfürsorge und im Einzelfall auch die medizinische Therapie.

2.11

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission in ihrer Mitteilung gerade auch die wirtschaftliche Komponente aufgegriffen hat. Ihre Erklärung, dass der Schutz der biologischen Vielfalt nicht einfach „Option, sondern vielmehr eine entscheidende Komponente der Nachhaltigen Entwicklung ist“, wird vom EWSA nachdrücklich unterstützt.

2.12

Es muss allerdings gesehen werden, dass die u.a. in Ziffer 2.2.3 der Mitteilung beschriebene regionalwirtschaftliche Bedeutung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile, wie auch die gesellschaftlichen Vorteile, die sich daraus ergeben werden, nur viel zu selten in der Diskussion um den Naturschutz und um NATURA 2000 gewürdigt werden bzw. Beachtung finden.

2.13

Häufig wird der Naturschutz (und entsprechend die Ausweisung von NATURA-2000-Gebieten) vielmehr zu Unrecht als Kostenfaktor, als Belastung, als Benachteiligung bzw. Bedrohung empfunden, was ein entscheidender Grund dafür ist, dass sich so häufig Widerstände formulieren und die Umsetzung der oft mustergültigen Naturschutzgesetzgebung nach wie vor auf extreme Probleme stößt.

2.14

Diesem wichtigen Sachverhalt hat der EWSA in seiner bereits erwähnten Stellungnahme große Aufmerksamkeit gewidmet. Er stellt fest, dass sich an diesem Umstand in den letzten Jahren nur sehr wenig geändert hat. Er fordert die Kommission auf, gemeinsam mit den EU-Institutionen, aber auch allen anderen „stakeholdern“ auf EU- und Mitgliedstaatenebene, hier eine breite Bewusstseinskampagne zu starten.

2.15

Es muss gelingen, tatsächlich bewusst zu machen, dass — wie die Kommission schreibt — ein „Natura-2000-Gebiet zu einem Motor für die nachhaltige lokale Wirtschaftsentwicklung werden kann und damit einen Beitrag zum Erhalt lokaler ländlicher Gemeinschaften leistet. Die aktive Einbeziehung dieser Fragen in den Dialog mit allen relevanten Betroffenen ist für den erfolgreichen Aufbau des Natura-2000-Netzes und seine Einbeziehung in das größere sozioökonomische Umfeld der erweiterten Europäischen Union von ausschlaggebender Bedeutung“. Der EWSA glaubt, dass eine solche Bewusstseinsbildung für den Erfolg des Naturschutzes in Europa von ebenso hoher Bedeutung ist wie die anstehende notwendige Klärung der Finanzierungsfrage.

2.16

Es ist bisher erst in wenigen Einzelfällen gelungen, den wirtschaftlichen Wert von Gebieten mit hoher Biodiversität für die regionale Entwicklung (Tourismus, Regionalprodukte etc.), aber auch den allgemeinen Wert von Naturschutzarealen, z.B. für den Klimaschutz (6) oder für den Hochwasserschutz, ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Daran ändern bisher auch Studien wie die in Anlage 1 zum Kommissionsdokument erwähnte wenig, die deutlich machen, dass „der rein finanzielle Nutzen der Erhaltung der biologischen Vielfalt … bei weitem die Kosten übersteigt“.

2.17

In diesem Zusammenhang kann der EWSA nur mit Erstaunen feststellen, dass es einfacher zu sein scheint, EU-Mittel für die Beseitigung von Naturkatastrophen, die teilweise aus der Übernutzung der Ressource Natur und Landschaft — und somit aus unterlassenem Naturschutz — resultieren, bereitzustellen, als für die letztlich billigere Variante der Vorbeugung und Verhütung entsprechender Katastrophen.

2.18

Der EWSA erinnert daran, dass in Artikel III-184 des Verfassungsentwurfs der Grundsatz aufgenommen ist, wonach „die Union … die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten (fördert), um zu erreichen, dass die Systeme zur Prävention von Naturkatastrophen oder von vom Menschen verursachten Katastrophen und zum Schutz vor solchen Katastrophen wirksamer werden“. NATURA-2000-Gebiete sind vielfach in der Lage, eine solche Funktion zu übernehmen.

2.19

Doch während beispielsweise nach den verheerenden Flutkatastrophen an der Elbe im Jahr 2002 ein entsprechender EU-Katastrophenfonds schnell geschaffen war, ist die Durchsetzung und Finanzierung beispielsweise von Maßnahmen eines integrierten ökologischen Hochwasserschutzes an Flüssen und Auen, die nachweislich stromabwärts die Hochwassergefahr reduzieren können (7) und so potenzielle Schäden vermeidbar machen, extrem schwierig. Ähnlich sieht es bei der Prävention von Waldbränden speziell in Südeuropa aus. Dies muss sich ändern. Vorsorge statt Nachsorge sollte das Motto der EU-Politik lauten, und der Naturschutz kann hier entscheidende Beiträge liefern.

2.20

Ein Grund für diese Situation liegt sicherlich darin, dass von den Kosten, die der Naturschutz direkt bzw. indirekt verursacht, vielfach private Grundeigentümer und –nutzer betroffen sind, während hingegen die gesellschaftlich positiven Wirkungen quasi nur als „externe Erträge“ (im Gegensatz zu „externen Kosten“) „verbuchbar“ sind und nicht positiv in die Berechnung beispielsweise des Bruttosozialproduktes eingehen. Die neue Finanzierungsregelung muss diesen Umstand besonders berücksichtigen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt, dass innerhalb der Kommission keine Diskussion mehr um die Frage geführt wird, ob sie die EU-Maßnahmen in NATURA-2000-Gebieten kofinanzieren soll, sondern dass „nur“ die Frage angesprochen wird, mit welchen Instrumenten dies zu geschehen hat.

3.2

Die Begründung für die gewählte Finanzierungsoption, nämlich vorhandene Förderinstrumente fortzuentwickeln und entsprechend zu nutzen, kann der EWSA nachvollziehen. Der planerische, verwaltungstechnische und auch finanzielle Vollzug von NATURA 2000 muss dort stattfinden, wo sowohl die Probleme wie auch die positiven Entwicklungspotenziale existieren, nämlich vor Ort in den Mitgliedstaaten. Mit einer naturschutzgerechteren Ausgestaltung und Nutzung der bestehenden Finanzierungsfonds wie dem EFRE, dem ESF, den Kohäsionsfonds, dem EAGFL und der neu strukturierten ländlichen Entwicklung (ELER) etc. bekommen die zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten flexible Handlungsmöglichkeiten an die Hand gegeben.

3.3

Es ist auch richtig, dass von Seiten der Kommission dargestellt wird, dass auf diese Art und Weise vermutlich am besten sichergestellt werden kann, „dass die Verwaltung der NATURA-2000-Gebiete Teil einer umfassenderen Raumordnungspolitik der EU ist“.

3.4

Wichtig ist dem EWSA allerdings darauf hinzuweisen, dass noch mehr Anstrengungen von Seiten der Kommission und den sonstigen verantwortlichen Behörden unternommen werden müssen, um sicherzustellen, dass zukünftig keine naturschutzabträglichen Vorhaben mehr mit EU-Mitteln kofinanziert werden, um anschließend die daraus entstandenen Schäden an Natur und Umwelt später wieder mit EU-Geldern auszugleichen.

Die Finanzsituation in der EU und der absehbare Streit ums Geld

3.5

Die Diskussion um die Finanzierung der NATURA-2000-Gebiete muss vor dem Hintergrund des absehbaren Ringens um die Höhe des Gesamthaushalts der EU und die Verteilung der Mittel geführt werden (8). Es ist klar, dass es heftigen Streit ums Geld geben wird:

Die von der Kommission vorgelegte finanzielle Vorschau der EU für die Jahre 2007-2013 sieht Ausgaben in Höhe von durchschnittlich 1,14 % des Bruttonationaleinkommens vor, die Eigenmittelobergrenze liegt bei 1,24 %. Die so genannten „Nettozahler“ beharren derzeit auf einer Obergrenze von 1 %, was im Jahr 2013 Minderausgaben in Höhe von rund 30 Milliarden € bedeuten würde, sollten sie sich letztlich mit ihrer Forderung durchsetzen.

Mit der Erweiterung der EU wird es zwangsläufig zu Mittelverschiebungen zwischen Mitgliedstaaten und Regionen kommen, besonders im Bereich der Strukturförderung (9). Regionen, die bislang in der Förderung waren, werden — ggf. nach einer Übergangszeit — nicht mehr unter die bisherigen Förderkriterien fallen.

3.6

Die Diskussion um die Obergrenze ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die von der Kommission für den Naturschutz veranschlagten mindestens 6,1 Mrd. € jährlich zu den Aufgaben der zweiten Säule hinzukommen, ohne dass dafür bislang in der finanziellen Vorausschau ausreichende Mittel vorgesehen wurden. Es ist ein heftiger Disput um die Mittel zu erwarten, sowohl zwischen Regionen als auch zwischen den verschiedenen politischen Aufgabenbereichen. Solche Auseinandersetzungen sind keineswegs neu, in der Vergangenheit war allerdings der Naturschutz zu oft unterlegen.

3.7

Es muss deshalb sichergestellt werden, dass der Naturschutz, der richtigerweise als Teil der Gesamtpolitik verstanden wird, bei den Finanzierungen durch die Mitgliedstaaten nicht anderen Aufgaben untergeordnet wird und so unter die Räder kommt. Der EWSA betont abermals: Naturschutz in Europa ist kein Luxus, den man sich in wirtschaftlich guten Zeiten „leisten“ kann und auf den man verzichtet, wenn man meint, kein Geld zu haben. Naturschutz ist — wie die Staatschefs häufig betont haben — eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ein politisches Muss, dessen Finanzierung unabdingbar ist.

3.8

Um den Grundsatz sparsamer Haushaltsführung zu berücksichtigen, ist zu klären, welche der von der Kommission dargestellten Aufgabenbereiche von NATURA 2000 absolut unabdingbar sind bzw. welche quasi als „Kür“ angesehen werden können. Für jene Aufgaben, die unabdingbar sind (z.B. Ausgleichszahlungen bzw. Anreize an Grundbesitzer bzw. -nutzer) sind dann eindeutig Zweckbindungen vorzusehen; ansonsten kann der EWSA dem Grundsatz der Integration der Finanzierung von NATURA 2000 in die bestehenden Fonds nicht folgen und müsste sich — wie viele der im Vorfeld beteiligten Stakeholder — für einen eigenen Fördertitel aussprechen.

Besondere Notwendigkeiten im europäischen Naturschutz

3.9

Tabelle 2 des Anhangs zur Kommissionsmitteilung schlüsselt die NATURA-2000-Gebiete nach Art der Landnutzung auf. Alte Weideflächen, Heide-, Busch- und Grasland machen 26,3 % der NATURA-2000-Flächen aus, Wälder (primär nicht bzw. nur extensiv genutzte) gar 28,9 %, Sumpfland und Moore bzw. Binnengewässer knapp 13 %, alte Obstplantagen bzw. die so immens artenreichen spanischen bzw. portugiesischen Dehesas (insgesamt knapp 800.000 ha) rund 2 %. Lediglich 5,6 % sind als „Landwirtschaftsfläche“ eingestuft (10).

3.10

Die Kommission beschreibt detailliert die für die Umsetzung des Netzes NATURA 2000 erforderlichen Maßnahmen (Teil 3 der Anlage) und errechnet die Kosten (derzeit 6,1 Mrd. €). Grob kann dabei zwischen Verwaltungs- und Planungskosten, Investitionskosten (z.B. für Landkauf, aber auch Investitionen) und laufenden Kosten, u.a. für Ausgleichszahlungen an die Grundbesitzer bzw. für Pflegemaßnahmen, unterschieden werden.

3.10.1

Der EWSA hält es für zwingend nötig, möglichst rasch genauere Kostenkalkulationen vorzulegen. Er hat beispielsweise Zweifel, dass die für die neuen Mitgliedstaaten angegebene Summe von 0,3 Mrd. € (für die EU (15): 5,8 Mrd. €) ausreichend sein wird. Es ist eindeutig, dass einige Länder (z.B. Polen) sicherlich noch viele Gebiete nachzumelden haben, was letztlich weiteren finanziellen Bedarf verursachen wird.

3.11

Die Kommission stellt nach Auffassung des EWSA zu Recht fest, dass es im Naturschutz häufig darum geht, grundsätzlich die Fortführung jener traditionellen Bewirtschaftungsmethoden sicherzustellen, die für das Entstehen und die Bewahrung von Lebensräumen notwendig sind. Häufig sind dies Wirtschaftsweisen, die sich heute für den Betreiber als unrentabel erweisen, deren Erhalt aber gesellschafts- und naturschutzpolitisch wünschenswert sind. Ein Beispiel: Kaum eine Nutzung entspricht dem Prinzip der Nachthaltigkeit mehr als das frühere extensive Beweidungssystem in den Dehesas auf der iberischen Halbinsel, inkl. des Viehtriebs (Transhumanz) im Frühjahr auf die Sommerweiden in den Gebirgslagen über die sog. Canadas, die sich über viele Jahrzehnte hinweg zu wertvollen Naturarealen entwickeln konnten

3.12

Unklar bleibt für den EWSA nach der Lektüre des Kommissionsdokuments allerdings, ob tatsächlich in allen genannten Bereichen tatsächlich eine Ko-Finanzierung seitens der EU zwingend gefordert oder vorgesehen ist bzw. wo ausschließlich von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung von EU-Recht finanzielle Beiträge erwartet werden. Hier muss vermutlich noch mehr Klarheit geschaffen werden.

3.13

Da in vielen Fällen Konflikte daraus resultieren, dass den bisherigen Landnutzern bislang keine ausreichenden Ausgleichszahlungen bzw. Anreize gegeben wurden, ist diesem Bereich eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Man kann nicht vom gesellschaftlichen oder gar gesamtökonomischen Wert des Naturschutzes reden, die „Kosten“ dafür aber auf Landnutzer bzw. -besitzer abwälzen. Eine zukünftige Finanzregelung muss sicherstellen, dass zumindest den privaten Landbesitzern bzw. -nutzern eine Garantie zum Ausgleich, besser noch ein Anreiz für naturschutzkonforme Initiativen gegeben wird. In NATURA-2000-Gebieten zu leben bzw. zu wirtschaften, sollte zukünftig als „Gewinn“ betrachtet werden und nicht als Beeinträchtigung.

3.14

Um dies zu gewährleisten, ist es erforderlich, genau zu ermitteln, wie hoch in jedem Einzelfall der Ausgleichsanspruch ist. Eine generelle Höchstgrenze sowie zeitliche Limitierung des Ausgleichsanspruchs, wie sie derzeit besteht, ist der Gesamtidee abträglich.

3.14.1

Für die Zahlung entsprechender Ausgleichszahlungen dürfte — wenn keine eigene Haushaltslinie eingerichtet wird — primär die 2. Säule der Agrarpolitik in Betracht kommen, während für Investitionen wohl eher die klassischen Strukturfonds zu nutzen wären. Der EWSA weist mit großer Sorge darauf hin, dass neue Aufgaben bzw. Zahlungen, die zusätzlich zu den jetzigen Leistungen aus der 2. Säule (der zukünftigen „Ländlichen Entwicklung“) getätigt werden sollen, aus diesem Programm nicht finanziert werden können, wenn nicht andere Aufgaben reduziert oder aber zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt werden.

3.14.2

Das heißt konkret: Will man die Qualität der ländlichen Entwicklung erhalten und zudem zur Finanzierung von NATURA 2000 über die 2. Säule beitragen, sind eindeutig zusätzliche, zweckgebundene Mittel nötig. Der EWSA stellt allerdings fest, dass die von der Kommission vorgelegte finanzielle Vorschau, deren Höhe von den Nettozahlern nicht akzeptiert wird, eine solche Steigerung nicht vorsieht und die Gefahr extrem hoch ist, dass Einsparungen gerade im Bereich der 2. Säule vorgenommen werden sollen. Der EWSA sieht hierin nicht nur einen entscheidenden Schwachpunkt und ein hohes Konfliktpotenzial, sondern insgesamt die europäischen Naturschutzbemühungen gefährdet.

3.14.3

Der EWSA kann folglich der geplanten Regelung nur dann zustimmen, wenn dies nicht zu Lasten anderer Maßnahmen in der ländlichen Entwicklung geht. Ohne zusätzliche Mittel wird die Kommission und werden die Mitgliedstaaten ihrem Anspruch und ihrem politisch gegebenen Versprechen nicht gerecht werden können, sowohl die ländliche Entwicklung zu fördern als auch NATURA 2000 umzusetzen. Politiker, die Europa so gestalten wollen, sollten dann zumindest den Mut haben, der Gesellschaft klipp und klar zu erklären, dass man bestimmte Aufgaben (wie z.B. den Naturschutz) politisch nicht mehr will.

3.15

Für den EWSA heißt dies nicht, dass man nicht auch beim Naturschutz sparsam umgehen muss. Die primäre Zielsetzung der Naturschutzregelungen der EU und somit des NATURA-2000-Netzes ist die Erhaltung der Biodiversität. Das ist quasi das „Pflichtprogramm“, und hier hat sich die EU zumindest in solchen Gebieten, die von europäischer Bedeutung sind, zu beteiligen.

3.16

Im Umkehrschluss heißt dies aber auch: Nicht jede kommunale Naturschutzmaßnahme ist eine Maßnahme von europäischer Bedeutung und verdient es deshalb, von der EU kofinanziert zu werden. Die Mitgliedstaaten, Regionen, Kommunen etc. dürfen nicht aus ihrer klaren politischen wie finanziellen Verantwortung entlassen werden nach dem Motto: Wenn es kein EU-Geld gibt, gibt es auch keinen Naturschutz. Ebenso wenig darf sich die EU auf den Standpunkt stellen: „Wir schaffen potenziell die Möglichkeit, aus den vorhandenen Fonds Maßnahmen zu finanzieren. Wenn die Mitgliedstaaten dies nicht tun, weil sie andere Prioritäten setzen, sind sie selber schuld.“

3.17

Auf der anderen Seite ist die Erschließung der dargestellten regionalwirtschaftlichen Entwicklungspotenziale der NATURA-2000-Gebiete zwar wünschenswert (weil deutlich wird, dass der Naturschutz tatsächlich auch ökonomisch etwas bewirken kann), für die Artenerhaltung allerdings sind sie nicht unbedingt relevant.

3.18

Das bedeutet für den EWSA somit, dass bestimmte Finanzierungsmaßnahmen im Rahmen der Umsetzung des NATURA-2000-Netzes unabdingbar sind, und hierzu sollten Gelder finanztechnisch klar gebunden (earmarked) werden. Der EWSA bittet die Mitgliedstaaten und die Kommission, entsprechende Überlegungen fortzuentwickeln.

Brüssel, den 10. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Richtlinie 92/43/EWG (ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7).

(2)  Gesamtkosten, deren Finanzierung den Mitgliedstaaten und der EU obliegt.

(3)  ABl. C 221 vom 7.8.2001, S. 96-102.

(4)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Überprüfung der Umweltpolitik 2003“, KOM(2003) 745 endg. vom 3.12.2003.

(5)  Der Zeitraum von 3 Jahren (also bis 1995) betraf die Meldung der entsprechenden Gebiete durch die Mitgliedstaaten. Teilweise ist diese Meldung bis heute nicht endgültig abgeschlossen.

(6)  Moore und Feuchtflächen sind beispielsweise wertvolle CO2-Senken.

(7)  Und zwar länderübergreifend: die Niederlande profitieren eindeutig von entsprechenden Maßnahmen, die häufig gleichzeitig einen hohen Naturschutzwert aufweisen.

(8)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen: Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union - 2007-2013“ KOM(2004) 101 endg., CESE 1204/2004, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

(9)  aus der wichtige Teile der NATURA-2000-Finanzierung stammen müssten.

(10)  Hinzu kommen u.a. 13 % an Meeres- und 4 % an Küstengebieten, wo vornehmlich Monitoringkosten anfallen.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/113


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt“

(KOM(2004) 2 endg. — 2004/0001 (COD))

(2005/C 221/20)

Der Rat beschloss am 20. Februar 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr METZLER, Mitberichterstatter Herr EHNMARK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 10. Februar) mit 145 gegen 69 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorbemerkung

1.1

Dem Ausschuss lagen auch das Erläuterungspapier der Europäischen Kommission an den Rat vom 25. Juni 2004 (Dokument 10865/04 und Dokument 11153/04 vom 5. Juli 2004 zu Artikel 24) sowie die Arbeitsdokumente des Europäischen Parlaments vom 25. März 2004 (Ausschuss für Recht und Binnenmarkt — Berichterstatterin: Evelyne Gebhard) und 26. März 2004 (Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten — Berichterstatterin: Anne E.M. Van Lancker) vor.

1.2

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmark, Produktion und Verbrauch führte anhand eines vorab übersandten Fragenkatalogs am 24. Mai 2004 eine öffentliche Anhörung unter Teilnahme von Vertretern der Dienstleistungsgesellschaft durch und verwertete über 100 zusätzliche mündliche und schriftliche Eingaben.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Dienstleistungssektor nimmt nach der Lissabon-Vereinbarung bei der Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts eine Schlüsselrolle ein und ist von grundlegender Bedeutung für das Wirtschaftswachstum in der EU. Die Kommission legt den Richtlinienvorschlag über Dienstleistungen im Binnenmarkt mit Erläuterungen als Teil des europäischen Wirtschaftsreformprozesses vor, dank dessen die EU bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt gemacht werden soll — einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen. Der Richtlinienvorschlag soll hierzu einen wesentlichen Baustein liefern und einen verlässlichen Rechtsrahmen für den grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Niederlassungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten für die Bereiche Industrie, Handel, Gewerbe und Freie Berufe, für Voll-, Zeit- und Leiharbeit bieten. Der neue horizontale Ansatz sieht vornehmlich Verfahrenserleichterungen, eine einheitliche Qualitätssicherung sowie eine erhöhte Transparenz der zu beachtenden Vorschriften gegenüber dem Verbraucher vor. Die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen ist wesentliches Element des Binnenmarktes, und der Abbau von Hindernissen ist für die Wirtschaftsentwicklung dieses Sektors und insbesondere für die Verbraucher von grundlegender Bedeutung. Die Richtlinie kann hier zu mehr Anbietern und stärkerer Konkurrenz führen, was für die Verbraucher sowohl günstigere Preise als auch eine größere Auswahl zur Folge hätte. Die allgemeinen Ziele des Richtlinienvorschlags werden daher seitens des Ausschusses ausdrücklich begrüßt.

2.1.1

Ein funktionierender Binnenmarkt benötigt neben dem Abbau von Hindernissen aber auch eine angemessene Regulierung. Um gleichzeitig die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, sind nationale und EU-weite Regelungen und somit harmonisierte Standards notwendig.

2.2

Dem Ausschuss ist bewusst, dass die Vollendung des Binnenmarkts für Dienstleistungen angesichts der Verschiedenheiten, die in der Rechtsordnung und der Kultur der einzelnen Mitgliedstaaten begründet sind, eine komplexe Angelegenheit ist. Dies hat der Ausschuss auch bereits in seiner Stellungnahme INT/105 vom 28. November 2001 (1) zur Mitteilung der Kommission über eine „Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor“ gewürdigt und die Bestrebungen der Europäischen Kommission, eine Beschleunigung der Verwirklichung des Binnenmarktes zu erreichen, ausdrücklich begrüßt. Das Ziel des Richtlinienvorschlags, für den Binnenmarkt unmittelbar einen branchenübergreifenden Rahmen zu schaffen, sollte daher unbürokratische und flexible Lösungen unter Einbeziehung bewährter Selbstregulierungssysteme in der Europäischen Union anbieten. Der Integrationsprozess wird — nicht zuletzt durch den weiteren Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen — weiter optimiert werden müssen und darf nicht bewährte (Sicherheits-)Standards sozialer, ökologischer und verbraucherschutzrechtlicher Art außer Acht lassen.

2.3

Der Richtlinienvorschlag steht in enger Verbindung zum Entwurf für eine Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und zur Mitteilung über den Wettbewerb bei freiberuflichen Dienstleistungen, der aktuellen Debatte über die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und der laufenden Konsultation zu den Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie zu dem Übereinkommen von Rom I und dem Vorschlag für die Rom-II-Verordnung. Alle diese Vorschläge zielen auf ein besseres Funktionieren des Binnenmarktes ab. Eine besondere und verbesserte Koordinierung innerhalb der Kommission für die notwendige Verzahnung der Arbeiten und Vorschriften wäre daher wünschenswert.

2.4

Im Mittelpunkt des Richtlinienvorschlags stehen zwei Arten der grenzüberschreitenden Verkehrsfreiheit bei Dienstleistungen und Niederlassungen: Ein Dienstleistungserbringer aus einem Mitgliedstaat möchte sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen, um dort Dienstleistungen zu erbringen; und ein Dienstleistungserbringer möchte von seinem Herkunftsmitgliedstaat aus Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbringen, insbesondere indem er sich vorübergehend in den anderen Mitgliedstaat begibt. Zur Beseitigung der von der Europäischen Kommission bislang hier vermuteten Hindernisse werden vier grundlegende Maßnahmen angeregt:

Anwendung des Herkunftslandprinzips,

eine Aufgabenteilung zwischen Herkunftsmitgliedstaat und Entsendemitgliedstaat bei der Entsendung von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen,

die Entwicklung eines wechselseitigen Vertrauens und

die Intensivierung der gegenseitigen Unterstützung zwischen den Mitgliedstaaten — bei gleichzeitiger Einschränkung der Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, eigene Überwachungs-, Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen einzusetzen.

3.   Die einzelnen Punkte des Richtlinienvorschlags

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat den Richtlinienvorschlag im Lichte der Anforderungen, die an eine derart breit angelegte Richtlinie gestellt werden müssen, eingehend analysiert und ist zu der Überzeugung gelangt, dass zahlreiche Klarstellungen und Änderungen erforderlich sind, um offene Fragen ausreichend zu beantworten und diesen neuen Vorschlag zur Förderung der Dienstleistungen im Binnenmarkt zu einem echten Schritt nach vorne zu machen. Dieser Eindruck lässt sich auch anhand der unzureichenden Analysen, die vor Veröffentlichung des Richtlinienvorschlags durchgeführt wurden, nachvollziehen. Die zahlreichen Bedenken breiter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Kreise, die in der Anhörung vom 24. Mai 2004 vorgebracht worden sind, konnten bislang auch nicht durch das am 25. Juni dem Rat der Europäischen Union vorgelegte Papier der Europäischen Kommission (Ratsdokument 10865/04) vollständig ausgeräumt werden. Eine erweiterte Folgenabschätzung durch die Kommission wäre für alle Beteiligten hilfreich.

3.2   Empirie

3.2.1

Dem Ausschuss fällt auf, dass in der Begründung zum Richtlinienvorschlag keine verlässlichen statistischen Grundlagen zur Quantifizierung des grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Niederlassungsverkehrs genannt werden. Daher sollte der Bewertungsbericht der Kommission um diese Daten ergänzt werden. Sollen in Zukunft die Bedeutung des Dienstleistungssektors sowie die — positive oder gar negative — Wirkung der im Richtlinienvorschlag angedachten Regelungsvereinfachungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts verlässlich abgebildet werden, scheinen genauere empirische Grundlagen von erheblicher Bedeutung zu sein. Der Ausschuss erachtet die möglichst genaue Erfassung der wahren Verhältnisse im grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Niederlassungsverkehrs als tragendes Element für die Verwirklichung des Binnenmarktes.

3.2.2

Vorhandene statistische Materialien in der öffentlichen Verwaltung, bei Forschungsinstituten, Versicherungen und Selbstverwaltungsstrukturen der verschiedenen Mitgliedstaaten sollten verstärkt Berücksichtigung finden.

3.2.3

Zudem erscheint es dem Ausschuss bei bestehenden Lücken unerlässlich, neue Wege bei der Erschließung empirischer Daten zu beschreiten, die insbesondere weitere Bürokratie vermeiden. Hier wäre gegebenenfalls an die Verschränkung von Einzelerhebungen in Ergänzung zu amtlichen Statistiken zu denken.

3.3   Anwendungsbereich: Definitionen — Kollisionsnormen — Abgrenzungen

3.3.1

Der Ausschuss regt an, Anwendungsbereich und Ausnahmeregelungen im Richtlinienentwurf deutlicher herauszuarbeiten und schärfer gegeneinander abzugrenzen. In Ermangelung klarer definitorischer Abgrenzungen bleiben in der praktischen Anwendung Unklarheiten über die betroffenen Dienstleistungsbereiche, die Art und Weise, wie sie betroffen sind, und den Geltungsbereich.

3.3.2

Der Ausschuss befürwortet eine definitorische Abgrenzung zwischen gewerblichen und freiberuflichen Dienstleistungen. Eine definitorische Abgrenzung wird auch vor dem Hintergrund der seitens des Ausschusses während einer Übergangszeit vorgeschlagenen Verstärkung der Harmonisierungen in bestimmten Bereichen (freie Berufe, andere besonders sensible Bereiche) erforderlich. Dies insbesondere, um die in Kapitel IV des Richtlinienvorschlags herausgearbeiteten Qualitätssicherungsmechanismen verbraucherschutzfreundlich ausrichten zu können. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 11.10.2001 (Rs. C-267/99) beispielsweise wesentliche Elemente des freien Berufs herausgearbeitet, die als Basis für eine Definition auf europäischer Ebene dienen können.

3.3.3

Die Kommission hat zum Thema Daseinsvorsorge 2003 ein Grünbuch und am 12. Mai 2004 ein Weißbuch vorgelegt, so dass es wünschenswert erscheint, die Auswirkungen des Richtlinienvorschlags auf diesen sensiblen Bereich in den Mitgliedstaaten genauer herauszuarbeiten und gegeneinander abzugrenzen. Da sich die Kommission verpflichtet hat, bis Ende 2005 einen Bericht über die Machbarkeit und Notwendigkeit eines Rahmengesetzes — wie im Übrigen in Artikel III-122 des Verfassungsvertrags ausdrücklich vorgesehen — vorzulegen, hält es der Ausschuss für sinnvoll, den gesamten Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Natur) vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie auszunehmen, bis die Grundsätze und Bedingungen — insbesondere in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht –, die es den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ermöglichen, ihrem Auftrag nachzukommen, in einem gemeinschaftlichen Rahmen festgelegt sind.

3.3.4

Die Ausnahmeregelung zum Herkunftslandprinzip in Artikel 17 Ziffer 8 für die — ihrerseits noch im Entstehen befindliche — Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen ist nicht auf einzelne Artikel oder Titel begrenzbar. Die Anwendung des Herkunftslandprinzips muss mit der Umsetzung des Richtlinienvorschlags über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen koordiniert werden. Die Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen wird ein in sich geschlossenes System der Qualitätssicherung darstellen. Würde man die Ausnahmeregelung des § 17 Ziffer 8 lediglich auf Titel II des Entwurfs über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen beschränken, fragt sich, wie beispielsweise die Aufgabenverteilung zwischen den sogenannten „innerstaatlichen Kontaktstellen“ (Artikel 53 Entwurf Berufsanerkennungsrichtlinie) zu den hier vorgesehenen „One-Stop-Shops“ (Artikel 6 RL-E) aussehen soll. Wenn es sich um Stellen handeln soll, die ein und dieselbe Funktion wahrnehmen, sollte bereits in der Entstehungsphase der beiden Richtlinienvorschläge auf eine einheitliche Bezeichnung geachtet werden.

3.3.5

Zu klären ist, ob und wie der Anwendungsbereich der Richtlinie — insbesondere mit Blick auf das Herkunftslandprinzip — genauer gegenüber innerstaatlich „kollidierenden“ Bereichen der nationalen Gesetzgebung im Steuer- und Strafrechtssystem abzugrenzen ist, um Kollisionen zu vermeiden. So gelten in einigen Mitgliedstaaten beispielsweise für Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte strafbewehrte Verschwiegenheitspflichten und –rechte gegenüber Ermittlungsbehörden, wohingegen in anderen Mitgliedstaaten eine — wenngleich beschränkte — Verpflichtung zur Auskunftserteilung oder gar Meldepflichten für diese Berufsangehörigen bestehen. Darf sich der betroffene Dienstleister, der in einem Staat Auskunft geben muss, nach dem Herkunftslandprinzip aber berechtigt und verpflichtet wäre, dies zu unterlassen, über das nationale Strafrechtssystem hinwegsetzen? Straf- und Steuerrecht gehören zum Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten — nicht zu dem der EU, so dass eine rechtlich eindeutige Abgrenzung zur Vermeidung unerwünschter Folgen für die Anwender notwendig ist.

3.3.6

Desgleichen sollte genau geprüft werden, ob eine Verzahnung sozialer Systeme mit Budgetverpflichtungen bei Geltung des Herkunftslandprinzips möglich ist. Wo die Geltung des Herkunftslandprinzips die Gefahr birgt, nationale Systeme der sozialen und gesundheitlichen Sicherung insgesamt aufzubrechen, muss gegebenenfalls insgesamt eine Ausnahmeregelung gefunden werden.

3.3.7

Der Ausschuss gibt zu bedenken, dass man im Gesundheitsbereich die Frage der Einbeziehung des Krankenhaussektors überprüfen sollte. Möglicherweise lässt sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, auch bei grenzüberschreitenden Behandlungen Kostenersatz zu erlangen, durch eine Ad-hoc-Regelung für die gesetzlichen Versicherungssysteme verträglicher gestalten, jedoch außerhalb des Richtlinienvorschlags.

3.3.7.1

Der Ausschuss empfiehlt, für den Bereich der Sozial- und Gesundheitsdienste zunächst die für 2005 angekündigte Kommissionsmitteilung abzuwarten und eine entsprechende Koordination sicherzustellen. Er weist darauf hin, das sich viele Stimmen tendenziell für eine Herausnahme dieses Bereichs ausgesprochen haben.

3.3.8

Desgleichen sollte eine kohärente Abgrenzung zum Anwendungsbereich der derzeit im Reformprozess befindlichen 8. Richtlinie des Rates über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungsunterlagen beauftragten Personen (Artikel 17 Ziffer 15) klargestellt werden. Nicht in allen Übersetzungen des Kommissionsvorschlags hat sich dies bislang mit der erforderlichen Deutlichkeit niedergeschlagen.

3.3.9

Die in der Begründung des Richtlinienvorschlags bereits erfolgte Klarstellung der Nichtanwendung der Bestimmungen über den Dienstleistungs- und Niederlassungsverkehr auf Tätigkeiten in Ausübung öffentlicher Gewalt (Artikel 45 und 55 EG-Vertrag) sollte in den verbindlichen Richtlinientext selbst aufgenommen werden.

3.3.10

Bei der Leiharbeit handelt es sich um einen besonders sensiblen Bereich, der ausdrücklich vom gesamten Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden sollte. Für die in diesem Sektor notwendigen nationalen Bestimmungen ist eine europaweite Harmonisierung anzustrengen. Der Ausschuss weist in diesem Zusammenhang auf den angekündigten Richtlinienvorschlag über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern hin. Ebenso muss das Übereinkommen der IAO Nr. 181 über private Arbeitsvermittler Berücksichtigung finden, das in Artikel 3 Absatz 2 ausdrücklich ein Bewilligungs- und Zulassungssystem vorsieht, um die Arbeitnehmer zu schützen und eine qualitative hochwertige Arbeit dieser Vermittler zu fördern.

3.3.11

In einigen Mitgliedstaaten bestehen außergewöhnlich strikte gesetzliche Regelungen zur Achtung der Pressefreiheit. Auch hier erscheint es dem Ausschuss notwendig, den jeweiligen Anwendungsbereich in Abgrenzung zum Richtlinienvorschlag fest zu umreißen.

3.3.12

Die Kommission muss außerdem unmissverständlich klarstellen, ob dieser Vorschlag auch für Fernsehübertragungsdienste gilt, und falls ja, wie sie den Vorschlag mit den Bestimmungen der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ in Einklang zu bringen gedenkt. Desgleichen besteht Klärungsbedarf hinsichtlich seiner Geltung für audiovisuelle Dienste im Allgemeinen und im Besonderen für die auf individuelle Nachfrage („service on demand“) erbrachten audiovisuellen Dienstleistungen, die bereits Gegenstand spezifischer Gemeinschaftsvorschriften über bestimmte rechtliche Aspekte sind (Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr).

3.3.13

Nach Auffassung des EWSA müssten diese Dienstleistungen jedoch im gegenwärtigen Stadium ausdrücklich vom Geltungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie ausgeklammert werden, insbesondere was die Bestimmungen über das Herkunftslandprinzip und den Begriff der „Niederlassung“ als wesentlicher Anknüpfungspunkt und Hauptkriterium für die Festlegung des zuständigen Mitgliedstaats angeht.

3.4   Einheitliche Ansprechpartner („One-Stop-Shops“)

3.4.1

Der Gedanke der Verfahrensvereinfachung durch Schaffung einer einzigen (ersten) Anlaufstelle für den Dienstleister ist zu begrüßen. Der Ausschuss sieht jedoch mit Sorge, dass der Richtlinienvorschlag für die Niederlassungsfreiheit in Artikel 6 formuliert, dass bestimmte Verfahren — so insbesondere bei Aufnahme einer Tätigkeit — bei einer einzigen Stelle abgewickelt werden sollen. Hier sieht der Ausschuss das Problem, dass dies in Bezug auf gesetzliche Eintragungspflichten in öffentliche Register (bspw. Handelsregister) bereits dazu führen müsste, dass der einheitliche Ansprechpartner an die zuständigen Registerstellen weiter verweist. Diesen Bereich werden die sogenannten „One-Stop-Shops“ nicht selbst „abwickeln“ können. Es ist klarzustellen, wie der einheitliche Ansprechpartner mit den bereits bestehenden registerführenden Behörden in der Praxis zusammenarbeiten soll.

3.4.2

In Artikel 53 des Richtlinienentwurfs über die Anerkennung von Berufsqualifikationen wird von „Kontaktstellen“ gesprochen, die als zentrale Informationsstelle fungieren sollen. Nach Artikel 6 des hier gegenständlichen Richtlinienentwurfs sind sogenannte „one-stop-shops“ als zentrale Anlaufstelle zu schaffen. Hier ist auf eine Koordinierung zu achten, um nicht neue, verschiedene Stellen zu schaffen, die das übergeordnete Ziel, das Recht der Bürger auf einfach zugängliche Informationen innerhalb der Europäischen Union und über ihre Arbeit zu gewährleisten, konterkarieren. Während der Mandatsperiode der neuen Kommission sollte die Vereinfachung bürokratischer Hindernisse besonders im Vordergrund stehen. Der Aufbau neuer bürokratischer Hürden in den einzelnen Mitgliedstaaten muss vermieden werden.

3.4.3

Darüber hinaus sind Fragen der Haftung für die „einheitlichen Ansprechpartner“ bei unvollständigen oder gar falschen Auskünften zu klären. Diese können u.U. negative Konsequenzen für den Dienstleister haben, wenn eine bestimmte Genehmigung vergessen worden ist und deshalb Gesetzesverstöße vorliegen. Es kann aber auch zu negativen Folgen für den Verbraucher kommen, wenn etwa das Vorliegen eines ausreichenden Haftpflichtschutzes nicht geprüft wird.

3.5   Herkunftslandprinzip

3.5.1

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass für eine flächendeckende Geltung des Herkunftslandprinzips erst die Voraussetzungen geschaffen werden müssen, indem ein differenzierter Ansatz mit dem Vorrang auf Harmonisierung mit hohen Arbeitnehmer-, Verbraucher- und Umweltstandards in den einzelnen Sektoren verfolgt werden sollte, um den Binnenmarkt auf einem angemessenen Qualitätsniveau zu verwirklichen.

3.5.2

Die in Artikel 16 RL-E vorgesehene grundsätzliche Geltung des Herkunftslandprinzips stellt in Verbindung mit den in Artikel 17 RL-E aufgeführten Ausnahmen das Herzstück des Entwurfs dar. Sie passt jedoch nur dort, wo Dienstleistungen wie Waren standardisiert werden können oder die Harmonisierung der Regeln soweit vorangeschritten ist, dass keine Wettbewerbsverzerrungen, kein Sozialdumping und kein Misstrauen der Verbraucher entstehen. Da, wo Standards nicht bestehen oder gar nicht erarbeitet werden könnten (sogenannte nicht-beschreibbare Leistungen), müsste diesen Besonderheiten Rechnung getragen werden.

3.5.3

Der Ausschuss hält daher die grundsätzliche Anwendung des Herkunftslandprinzips im Bereich der grenzüberschreitenden Dienstleistung für verfrüht. Das Herkunftslandprinzip setzt voraus, dass von einem vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Niveau ausgegangen werden kann. Nach der Überzeugung des Ausschusses verspricht die Anwendung des Herkunftslandprinzips nur dann Erfolge, wenn Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich seines Anwendungsbereichs bestehen. Die Geltung des Herkunftslandprinzips ohne angemessene Übergangsfrist wird daher als problematisch angesehen, zumal die zur Verfügung stehenden Instrumentarien der sektoralen Harmonisierung dem Ausschuss noch nicht ausreichend ausgeschöpft erscheinen. Bislang birgt es die Gefahr eines Systemwettbewerbs und eine damit einhergehende Nivellierung von Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltstandards, da nach wie vor unterschiedliche Rechts-, Sozial- und Gesundheitssysteme in der EU bestehen. Durch den sektoralen Ansatz im Wege der Harmonisierung kann, speziell in besonders sensiblen Bereichen eine optimalere Anpassung an die Herausforderungen des Binnenmarktes erreicht werden, als durch einen verfrüht gesetzten rein horizontalen Ansatz. Hierbei ist jeder Sektor unter Einbeziehung aller betroffener Gruppen — insbesondere den Konsumentenschützern, Sozialpartnern u.a. — im Rahmen einer umfassenden Folgeabschätzung, auch was die sozialen und umweltrelevanten Aspekte betrifft, auf seine Eignung für die Einführung des Herkunftslandprinzips zu prüfen. Da Maßnahmen der Harmonisierung zumindest gleichwertige Instrumente zur Verwirklichung des Binnenmarkts darstellen, sollte im Rahmen angemessener Zeitschienen eine Angleichung der verschiedenen Vorschriften in den Bereichen erreicht werden, in denen besondere gesundheitsrechtliche, sozialrechtliche und berufsrechtliche Vorgaben der Mitgliedstaaten bestehen. In einem Zwischenstadium sollte durch Europäische Kommission, Europäisches Parlament und Rat positiv darüber befunden werden, ob Harmonisierungen in den vorgenannten Bereichen in ausreichender Weise ergriffen und realisiert wurden. Je nach Stand der Rechtsangleichung sollte letztmalig Gelegenheit zur Annäherung im Harmonisierungswege gegeben werden. Diese Methode bringt — zusammen mit einer genauen definitorischen Abgrenzung dieser besonderen Dienstleistungen (beispielsweise der freien Berufe) — nach der Überzeugung des Ausschusses den Vorteil, dass stufenweise eine optimale Vorbereitung auf das im Anschluss an die Übergangszeit geltende Herkunftslandprinzip für die beteiligten Kreise erfolgen kann und muss, um den Binnenmarkt zu verwirklichen. Dies gilt auch für Mechanismen der Ko- und Selbstregulierung.

3.5.4

Der Ausschuss hält es für sinnvoll zu prüfen, ob ein zentrales, selbstverwaltetes Register für Verstöße und Fehlverhalten in regulierten Berufen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, dessen Inhalt zeitnah abgefragt werden kann, hilfreich wäre. In das Register sollen die zuständigen Stellen Berufsverstöße eintragen. Das Register soll eine möglichst unbürokratische und schnelle Kommunikation zwischen den zuständigen nationalen Stellen ermöglichen. Es soll aber auch eine erfolgreiche Überwachung und Disziplinierung der Marktteilnehmer sichern.

3.5.5

In dem Richtlinienvorschlag ist festgelegt, dass der Herkunftsmitgliedstaat zur Kontrolle der Dienstleister und der von diesen erbrachten Dienstleistungen verpflichtet ist, auch wenn diese Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbringen. Diese Bestimmung bedeutet eine schwerwiegende Verantwortung — und Arbeitsbelastung — für das Herkunftsland und seine zuständigen Stellen. In Artikel 6 b) des Richtlinienvorschlags über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen wird jedoch bei einer grenzüberschreitenden Dienstleistung bereits die Notwendigkeit der Meldung der Tätigkeit mit einer bestimmten Berufsqualifikation im Aufnahmemitgliedstaat unterstrichen. Darüber hinaus kann es zu unerwarteten Wettbewerbsverzerrungen kommen, wenn ein Dienstleister sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, in dem strengere Vorschriften gelten. Solche Wettbewerbsverzerrungen könnten nach der Überzeugung des Ausschusses durch eine schrittweise Annäherung der nationalen Gesetzgebungen hin zu Mindestqualitätsstandards auf einem angemessenen Schutzniveau für Verbraucher, Arbeitnehmer und Umwelt vermieden werden. Die Voraussetzungen und Regeln für die Kontrolle von Dienstleistern, die in einem anderen Mitgliedstaat ihre Leistungen erbringen, müssen genau bestimmt werden, damit der Verbraucher Gewissheit hat, dass die angebotenen Leistungen im Einklang mit geltendem Recht erbracht werden.

3.5.6

Das Herkunftslandprinzip kann nur greifen, wenn die einzelstaatlichen Behörden sehr gut organisiert sind, auch auf regionaler und lokaler Ebene. Die derzeitigen Kontroll- und Kooperationsnetze auf elektronischer Basis sind ungenügend vernetzt. Die vorgesehene Berufsaufsicht des Herkunftsstaates würde — so wie sie jetzt in Artikel 36 und 37 des Richtlinienvorschlags durch eine „Kooperation“ von Herkunfts- und Aufnahmestaat vorgesehen ist — keine Effizienz versprechen.

3.5.7

Im Übrigen ist der Ausschuss der Überzeugung, dass Zeitverzögerungen durch Sprachbarrieren und längere Kommunikationswege keinen zeitnahen Effekt zugunsten des von einer schlechten Dienstleistung betroffenen oder geschädigten Verbrauchers zeigen können. Es muss gewährleistet werden, dass der Verbraucher eine schlecht erbrachte Dienstleistung wirksam und problemlos beanstanden und seine diesbezüglichen Rechte geltend machen kann. Nach dem Richtlinienvorschlag könnten die zuständigen Stellen im Aufnahmestaat zudem nicht einmal selbst tätig werden, da sie regelmäßig nicht einmal darüber unterrichtet sind, unter welcher Bezeichnung, mit welcher Haftpflichtversicherung etc. der fremde Dienstleister mit den Verbrauchern im Aufnahmestaat in Kontakt tritt. Mitteilungspflichten an und Disziplinarbefugnisse für die zuständigen Stellen des Aufnahmestaates werden daher zumindest ergänzend vorgesehen werden müssen und könnten über das vorgeschlagene Zentralregister erfüllt werden. Diesbezügliche Änderungsvorschläge sind auch bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Richtlinienvorschlag über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen vom Europäischen Parlament in 1. Lesung aufgegriffen worden.

3.5.8

Schließlich befürchtet der Ausschuss, dass trotz der punktuellen Ausnahmeregelungen in Artikel 17 Nr. 20 bis 23 RL-E die erfolgreiche Schaffung eines einheitlichen Rechtsinstruments für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse, wie sie durch die Verordnung Rom I und den Verordnungsentwurf Rom II erfolgt, gefährdet würde. Beide Verordnungen verfolgen einen universellen Ansatz: Sie regeln das Internationale Privatrecht sowohl für EU-interne als auch für Drittstaatensachverhalte einheitlich und sorgen damit für Rechtsklarheit für alle Vertragsparteien.

3.6   Entsendung von Arbeitnehmern

3.6.1

Zweck der „Entsenderichtlinie“ 96/71 EG vom 16.12.1996 ist es, eine Ausweitung der Möglichkeiten für Unternehmen, Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten zu erbringen, mit der Durchsetzung sozialer Mindeststandards für die Arbeitnehmer in Einklang zu bringen. Die Entsenderichtlinie regelt die praktische Koordinierung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für entsandte Arbeitnehmer. Die Kommission hat daher in Artikel 17 Absatz 5 des Richtlinienentwurfs eine Ausnahme für die Geltung des Herkunftslandprinzips für die Entsenderichtlinie vorgesehen und damit gezeigt, dass eine saubere Abgrenzung der jeweiligen Anwendungsbereiche gewollt ist. Dem Ausschuss erscheint jedoch bei näherer Betrachtung von Artikel 24 und 25 des hier gegenständlichen Richtlinienentwurfs zweifelhaft, ob die beabsichtigte Ausnahmeregelung ausreichend deutlich und umfassend formuliert ist.

3.6.1.1

Das Verhältnis zwischen der Entsenderichtlinie und der Dienstleistungsrichtlinie hat zu vielen Fragen geführt. Diese Fragen sind entsprechend dem jeweiligen Arbeitsmarktsystem von Land zu Land unterschiedlich. Wenn eine Dienstleistungsrichtlinie annehmbar sein soll, müssen die Ansichten der Sozialpartner sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene sorgfältig beachtet werden.

3.6.1.2

Die Dienstleistungsrichtlinie darf die gewerkschaftlichen Rechte, das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, einschließlich des Rechts der Sozialpartner, Kollektivvereinbarungen einzugehen, oder das Streikrecht nicht unterlaufen. Wir schlagen vor, dass dies in Artikel 3 deutlich gemacht wird. Arbeitnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat müssen genau so behandelt werden wie Arbeitnehmer des Landes, in dem die Arbeit ausgeführt wird. Aus dem Blickwinkel des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, auf den sich die EU-Verträge stützen, ist dies ganz eindeutig. Alle wesentlichen Aspekte der Entlohnung und der Arbeitsbedingungen müssen daher den in dem Land, in dem die Arbeit ausgeführt wird, geltenden Regeln entsprechen. Wenn die Kontrolle der Einhaltung dieser Regeln in allen wesentlichen Aspekten wirkungsvoll sein soll, muss sie am Arbeitsplatz stattfinden. Aus der Dienstleistungsrichtlinie muss daher eindeutig hervorgehen, dass das Ziel der Entsenderichtlinie der Schutz der Arbeitnehmer ist und dass die Richtlinie bessere Regelungen als die vorgeschriebenen Mindestanforderungen für Arbeitnehmer in einem bestimmten Land durchaus zulässt.

3.6.2

Nach der Überzeugung des Ausschusses führt das in Artikel 24 und 25 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Verbot von Kontrollverfahren diese Ausnahmeregelung des Artikels 17 Absatz 5 ad absurdum. Denn es bleibt offen, auf welchem Wege der Herkunftsmitgliedstaat von etwaigen Verstößen im Entsendestaat, der seinerseits keine Kontrollen mehr durchführen und ahnden darf, Kenntnis erlangen soll. Selbst unterstellt, dies würde möglich sein, bleibt weiterhin offen, wie der Herkunftsstaat in einem fremden Staat, in dem er keine eigenen Hoheitsbefugnisse hat, tätig werden soll. Die Entsenderichtlinie ermöglicht es den Mitgliedstaaten hingegen festzulegen, welche Erklärungen von Firmen (z.B. im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe) im Aufnahmestaat verlangt werden können, wer innerstaatlich Zustellungsbevollmächtigter für Bußgelder und Klagen ist und wie qualifiziert Tätigkeitsanzeigen ausfallen sollten. Dabei sollte es bleiben.

3.6.3

Eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Behörden des Herkunfts- und Entsendestaates ist in Zukunft sicher wünschens- und fördernswert — allein: die Erfahrungen aus der Praxis zeichnen hier noch ein anderes Bild, dem der Richtlinienvorschlag nach Ansicht des Ausschusses noch nicht ausreichend Rechnung trägt. Der Ausschuss kommt daher zu dem Schluss, dass die Richtlinie über Dienstleistungen hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Entsendestaat spezifischer und eindeutiger formuliert werden muss.

3.6.4

Bei der grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmern aus Drittstaaten muss es, laut Richtlinienvorschlag, Aufgabe des Herkunftsmitgliedstaates sein sicherzustellen, dass der Dienstleistungserbringer nur Arbeitnehmer, gleich ob Unionsbürger oder nicht, entsendet, die im Herkunftsmitgliedstaat vorgeschriebenen Anforderungen hinsichtlich des Aufenthalts und einer ordnungsgemäßen Beschäftigung erfüllen. Der Aufnahmemitgliedstaat darf weder den Arbeitnehmer noch den Dienstleister Präventivkontrollen unterwerfen. Die Auswirkungen dieses Vorschlags dürften vergleichbare Problematiken, wie oben dargestellt, nach sich ziehen. Auch insoweit sollte die Richtlinie daher klarstellen, dass es bei der bisherigen Rechtslage verbleibt.

3.7   Verbraucherschutz durch Pflichtversicherung

3.7.1

Der Ausschuss erkennt an, dass für Dienstleister, deren Dienstleistungen ein Gesundheits-, Sicherheits- oder finanzielles Risiko für den Empfänger darstellen, eine Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung ein Instrument darstellen kann, das Verbrauchervertrauen zu fördern. Auch zur Wahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen unter den Dienstleistern kann eine EU-weit einheitliche Regelung zur Berufshaftpflichtversicherung angezeigt sein. Vor dem Hintergrund der für- und widerstrebenden Argumente ist eine Pflichtversicherung aber nur dann gerechtfertigt, wenn ein überragendes Dritt- oder Verbraucherschutzinteresse existiert. Die Definition der insoweit relevanten Berufsgruppen und Branchen muss bereits in der Richtlinie erfolgen. Erforderlich ist ferner eine Regelung, die ausreichend flexibel genug ist, um die individuelle Risikosituation und Absicherungsbedürftigkeit der Vielzahl potenziell erfasster Versicherungsnehmer berücksichtigen zu können.

3.8   Qualitätssicherung durch Zertifizierungen

3.8.1

Der Ausschuss ist sich sicher, dass eine wissensbasierte Dienstleistung die Wettbewerber bereits zu beständiger Fortbildung zwingt. Nur auf dem neuesten wissenschaftlichen und technischen Standard können sie bestehen. Gütesiegel und Zertifikate werden nur dort die erhoffte Qualitätssicherung erreichen, wo der Verbraucher nachvollziehen kann, welche Standards sich hinter diesen Zertifikaten verbergen. Zur allgemeinen Anerkennung muss ein bestimmter Bekanntheitsgrad erreicht werden. Anderenfalls fehlt die für den Verbraucher notwendige Transparenz. Den Verbrauchern sollten ferner verständliche und transparente Informationen über die Qualitätssiegel für die angebotenen Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden. Durch eine inflationäre Verwendung von Qualitätssiegeln, die der Verbraucher nicht wiedererkennt, können diese ihren eigentlichen Sinn verlieren, wodurch die für den Verbraucher erforderliche Information nicht gewährleistet wäre.

3.9   Preistransparenz

3.9.1

Transparenz sollte — wie bereits in Artikel 26 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags angedacht — auch im Bereich der Preisdarstellung und -berechnung herrschen. Hier hält der Ausschuss es für erwägenswert, die Preistransparenz nicht nur auf Anfrage gegenüber dem Verbraucher (business to consumer) herzustellen, sondern über eine unaufgeforderte Mitteilung bei Auftragserteilung nachzudenken. Diese Transparenz könnte für den Verbraucher beispielsweise durch EU-verträgliche Gebühren- und Kostenordnungen erreicht werden. Entbehrlich kann solches allenfalls für den Kontakt „business to business“ sein.

3.10   Nutzung elektronischer Medien

3.10.1

Der Ausschuss begrüßt, dass sämtliche Verfahrensabläufe grundsätzlich elektronisch abgewickelt werden sollen. Dies ist ein zukunftsgerichtetes Petitum, das grundsätzlich begrüßenswert ist. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden — und dies lässt sich auch bereits der Einschränkung in Artikel 5 des Richtlinienvorschlags entnehmen –, dass Originalbelege oder beglaubigte Übersetzungen von derartigen Originalbelegen bei bedeutenden Dokumenten wie Zeugnissen, Registerauszügen etc. höchstens dann elektronisch vorgelegt werden können, wenn ihre Authentizität anhand einer anerkannten Signatur o.ä. nachprüfbar wird. Dies ist im einfachen elektronischen Kommunikationswege noch nicht der Fall und bedarf der Schaffung entsprechender technischer Voraussetzungen in allen Mitgliedstaaten (siehe Arbeiten des Ausschusses zu modernen Medien und Kommunikation).

3.11   Interdisziplinäre Zusammenarbeit

3.11.1

Der Ausschuss legt Wert darauf, dass für den Verbraucher umfassende Lösungspakete bei interprofessionellen Dienstleistungskooperationen möglich sind. Wegen der Sonderstellung einiger Dienstleister in den Rechtsordnungen ihrer Länder ist jedoch zu beachten, dass gesetzliche Vorgaben für die Zusammenarbeit wichtig sind: Im Falle von Verschwiegenheitsrechten und -pflichten bestimmter Dienstleister wird eine Kooperation nur dort möglich sein, wo diese für die jeweils verschiedenen Berufsangehörigen in einem Büro einheitlich sind. Anderenfalls droht die Verletzung von durch die Europäische Charta der Menschenrechte garantierten Rechten des einzelnen Verbrauchers.

3.12   Verhaltenskodizes

3.12.1

Der Vorschlag zur Einführung von Verhaltenskodizes auf europäischer Ebene wird befürwortet. Vor dem Hintergrund der verschiedenen nationalen Regelungen zur Berufsordnung und beruflichem Verhalten, stellen Verhaltenskodizes eine von mehreren Möglichkeit zur Gewährleistung der Qualität der erbrachten Dienstleistung dar. Von Dienstleistern aufgestellte Qualitätssicherungssysteme sind freiwillige Vereinbarungen ohne Rechtsverbindlichkeit. Dies bedeutet keineswegs, dass sie wirkungslos sind, stellt aber eine gewisse Einschränkung in Bezug auf die Durchsetzbarkeit dar. Die in manchen Mitgliedstaaten bestehenden Gesetzesvorbehalte erschweren die Umsetzung solcher Vereinbarungen.

3.13   Soziale Sicherung

3.13.1

Die erweiterte Europäische Union ist ein Mosaik aus vielen unterschiedlichen Sozialversicherungssystemen, die in langen Jahren in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern aufgebaut wurden. Der Austausch bewährter Verfahren war das wichtigste Instrument zur Förderung der Weiterentwicklung der Sozialversicherungssysteme. Dies wirkt sich auch auf den Richtlinienvorschlag über Dienstleistungen im Binnenmarkt aus. Es muss sichergestellt werden, dass gemeinsame sozialpolitische Errungenschaften nicht unterlaufen werden.

3.13.2

Den Sozialpartnern kommt bei der Entwicklung des Dienstleistungssektors naturgemäß eine starke Rolle zu — eine Tatsache, die keiner ausdrücklichen Erwähnung bedarf. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Gewerkschaften bei der in dem Richtlinienvorschlag enthaltenen Konsultierung der „betroffenen Interessengruppen“ nicht explizit genannt werden. Der Ausschuss verweist mit Nachdruck darauf, dass die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft bei der Entwicklung des Dienstleistungssektors konsultiert werden müssen, wo immer dies angebracht scheint. Auch eigene Initiativen der Beteiligten sind immer willkommen.

3.13.3

Ein besonders wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in dem Richtlinienvorschlag nicht berücksichtigt wird, dass Kollektivvereinbarungen in einigen Mitgliedstaaten an die Stelle von Rechtsvorschriften getreten sind. Das heißt in der Praxis, dass sie in gleichem Maße wie herkömmliche Rechtvorschriften rechtsverbindlich sind. Insbesondere in den nordischen Ländern kommt Kollektivvereinbarungen häufig diese spezifische Rolle zu, wo vorherrschend ist, dass unabhängige Sozialpartner Löhne und Arbeitsbedingungen mit kollektiver Wirkung vereinbaren. Daher muss der Richtlinienvorschlag dahingehend abgeändert werden, dass Kollektivvereinbarungen ausdrücklich als Instrument zur Erfüllung der aus dieser Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen anerkannt werden.

3.14   Genehmigungssystem

3.14.1

Die für den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten vorgesehenen Einschränkungen in Bezug auf die Einführung oder Beibehaltung ihres eigenen Genehmigungssystems sind sehr strikt und werden sich auf zahlreiche Mitgliedstaaten verändernd auswirken. Es stellt sich unweigerlich die Frage, ob dies nicht die Mitgliedstaaten in ihrer Möglichkeit, die Anwendung ihrer einzelstaatlichen Regelungen, beispielsweise im Sozial-, Gesundheits- und Umweltbereich, zu fordern, beeinträchtigt. Die Gestaltungsfreiheit des Staates und die Entscheidungsspielräume vor Ort, sei es national, regional oder lokal, sind wesentliche Elemente der Einflussnahme auf Qualitäts- und Sicherheitsstandards im Sozial- und Gesundheitssektor. Gerade die sozialpolitische Gestaltungsmacht hängt auch mit der Möglichkeit zusammen, einzelne Auflagen und Anforderungen an die Dienstleister vor Ort zu richten.

3.15   Steuerwesen

3.15.1

Der Richtlinienvorschlag sieht in Artikel 2 Ausnahmen im Bereich des Steuerwesens für den Anwendungsbereich der Richtlinie vor. Der Ausschuss weist darauf hin, dass eines der Haupthindernisse bei der Verwirklichung des Binnenmarkts nach wie vor darin besteht, dass in den Mitgliedstaaten die Handhabung der Steuervorschriften nicht einheitlich erfolgt. Harmonisierte Vorschriften auf Gemeinschaftsebene können hier punktuell für Anpassungen sorgen. Aber auch in diesem Bereich wird das Herkunftslandprinzip nicht durchgängig für anwendbar gehalten: So schlägt die Europäische Kommission bei der Reform der 6. (Mehrwertsteuer-)Richtlinie vor, dass von unter Steuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen im Empfangsstaat — und nicht im Herkunftsland — besteuert werden. Eine Kohärenz bei der Vereinfachung grenzüberschreitender Dienstleistungen ist hier nicht erkennbar, wäre aber hilfreich bis notwendig.

4.   Zusammenfassung der Vorschläge des Ausschusses

4.1

Der Ausschuss begrüßt die mit dem Entwurf einer Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt verfolgte Zielsetzung der Europäischen Kommission, den Binnenmarkt zu verwirklichen und einen weiteren Schritt zur Entstehung des wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraums der Welt — eines Wirtschaftsraums, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen — in der EU zu vollziehen (Lissabon-Strategie). Der Dienstleistungsmarkt ist ein bedeutsamer Multiplikator für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum in der gesamten EU. Außerdem kann die Verwirklichung des Binnenmarkts für Dienstleistungen durch günstigere Preise und eine größere Auswahl ein großer Gewinn für die Verbraucher sein. Der Ausschuss ist im Übrigen der Auffassung, dass der Richtlinienentwurf die hier vorgeschlagenen Änderungen und Spezifizierungen aufgreifen sollte, um dieses Ziel auch wirklich erreichen zu können.

4.2

Zu den zentralen Eckpunkten der Stellungnahme gehören:

4.2.1

Harmonisierung in zweistufiger Übergangsphase für bestimmte Dienstleistungen: Der Ausschuss hält daher die grundsätzliche Anwendung des Herkunftslandprinzips im Bereich der grenzüberschreitenden Dienstleistung für verfrüht. Der Ausschuss empfiehlt ganz generell, die Einführung des Herkunftslandprinzip in den verschiedenen Sektoren (bspw. Gesundheits- und Sozialdienstleistungsbereich) auf seine Umsetzbarkeit zu überprüfen. Wo eine Einführung grundsätzlich möglich scheint, sollte Folgendes Beachtung finden: Harmonisierung und Herkunftslandprinzip stehen als Instrumente zur Schaffung des Binnenmarktes mindestens gleichberechtigt nebeneinander. Für gesondert zu definierende Tätigkeiten in den nationalen Gesundheitssystemen, in den freien Berufen und anderen sensiblen Bereichen sollte zumindest für eine Übergangszeit der Harmonisierung der Vorzug gegeben werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hegt der Ausschuss die Besorgnis, dass die sofortige Einführung des Herkunftslandprinzips eine Nivellierung „nach unten“ bewirken würde. Die neuen Bestimmungen müssen so anwendungsfreundlich und klar strukturiert wie möglich sein, um ihre Durchführung einfach und reibungslos zu gestalten. Dies gilt auch für Mechanismen der Ko- und Selbstregulierung.

4.2.2

Problematik der sozialen Dimension: Der Richtlinienvorschlag darf nicht zu einer Absenkung bestehender Sozial-, Lohn und Sicherheitsstandards am Arbeitsplatz führen, insbesondere nicht bei der Entsenderichtlinie. Nationale Systeme für Tarifverhandlungen und Tarifverträge einschließlich der damit zusammenhängenden nationalen Umsetzungen der Entsende-Richtlinie (Richtlinie 96/71/EG) sollen nicht beeinträchtigt werden. Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, die Begriffe Arbeitnehmer, Selbständiger und Scheinselbständiger verbindlich zu definieren, um so für den Anwendungsbereich der Entsenderichtlinie unter Einschränkung des Herkunftslandprinzips eindeutige Anwendungsgrundlagen zu schaffen. Darüber hinaus ist den Mitgliedstaaten aufzugeben, allgemein geltende Arbeitsbedingungen, die in ihrem Land für einschlägige Arbeitnehmer gelten, auch gegenüber Zureisenden/Entsandten durchzusetzen. Ggf. sollte vor Ort ein Mitarbeiter als Zustellungsbevollmächtigter eingesetzt werden, der die dort notwendigen Arbeitsdokumente bereitzuhalten hat.

4.2.3

Geltungsbereich und Kollisionsnormen: Geltungsbereich, Ausnahmereglungen und Kollisionen bei der Anwendung des Herkunftslandprinzips sind beim grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr noch genauer herauszuarbeiten und schärfer gegeneinander abzugrenzen. Das betrifft die Abgrenzung zum Anwendungsbereich der geplanten Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen ebenso wie die Klärung, ob und wie beispielsweise Kollisionen zwischen der — nach dem Richtlinienentwurf jeweils vorrangig geltenden — Herkunftslandnorm und sozial-, steuer- und strafrechtlichen Normen des Aufnahmestaates vermieden werden können. Insgesamt ist eine rechtliche Inkohärenz für andere Rechtsakte auf alle Fälle zu vermeiden. Insbesondere die Übereinkommen von Rom I und II sollen unberührt bleiben. Das Internationale Privatrecht böte aber in vielen Konstellationen eine klarere Regelung für die Lösung von Streitfragen. Der gesamte Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse soll vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen werden, bis ein gemeinschaftlicher Rahmen festgelegt ist.

4.2.4

Zentrales Register zur Erfassung grenzüberschreitender Aktivitäten: Für die Ausführung der in der Richtlinie angelegten Überwachung der Tätigkeit bestimmter Leistungserbringer, namentlich solcher der Freien Berufe, sollte nach Ansicht des Ausschusses geprüft werden, ob die Errichtung eines zentralen, unionsweiten Registers für Auflagen und Verstöße im Rahmen des Vollzugs der Aufsicht effizienzsteigernd und hilfreich sein könnte.

4.2.5

Verbesserung der empirischen Erfassung: Die Instrumente zur Erfassung von Binnenmarktströmen bei Dienstleistungen müssen überprüft und verbessert werden, um Maßnahmen in Ursache und Auswirkung besser platzieren und einschätzen zu können.

4.2.6

Qualitätssicherung und Preistransparenz: Der Verbraucherschutz ist durch Qualitätssicherungssysteme und — gegebenenfalls — auch durch die Einführung von Versicherungspflichten hochzuhalten. Im Bereich des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs ist dafür Sorge zu tragen, dass der Verbraucher im Bereich „business to consumer“ auch ohne konkrete Nachfrage eine Vorstellung davon erhält, zu welchen Konditionen und Kosten diese Leistung erbracht wird. Gebühren und Kostenordnungen — soweit EU-rechtsverträglich — könnten ein Weg sein.

4.2.7

Angleichung der Steuervorschriften: Neben vielen kleinen tatsächlichen und empfundenen Hindernissen halten die Mitgliedstaaten und die Kommunen das Haupthindernis der Verwirklichung des Binnenmarktes selbst in Händen: die Vielfalt und uneinheitliche Anwendung des Rechts der Abgaben und Steuern. Sie werden vom Ausschuss aufgerufen, diesem Umstand auch künftig höchste Aufmerksamkeit zuzuwenden.

5.

Insgesamt sind die positiven Aspekte des Binnenmarktes, insbesondere gegenüber KMU und Selbstständigen, unter Einschluss des Projekts „PRISM“ des Ausschusses intensiver zu bewerben. Ohne eine breit angelegte Überzeugung von Dienstleister und Verbraucher über die Vorteile des Binnenmarkts werden Wachstumspotenziale im Dienstleistungssektor nach Überzeugung des Ausschusses nicht zu aktivieren sein.

Brüssel, den 10. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. Nr. C 48 vom 21. Februar 2002.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge wurden im Verlauf der Debatte abgelehnt, hatten jedoch jeweils mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigt:

Ziffer 2.2.1

Ziffer wie folgt ändern:

„Ein funktionierender Binnenmarkt benötigt neben dem Abbau von Hindernissen aber auch eine angemessene Regulierung. Um gleichzeitig die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, sind nationale und EU-weite Regelungen und somit harmonisierte Standards ist eine Vereinfachung der Verwaltungsverfahren und -formalitäten für den Zugang zu und die Versorgung mit Dienstleistungen notwendig.“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 48

Nein-Stimmen: 113

Stimmenthaltungen: 6

Ziffer 3.3.3

Ziffer ersatzlos streichen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 52

Nein-Stimmen: 130

Stimmenthaltungen: 6

Ziffer 3.5

Die ganze Ziffer streichen und durch folgenden Text ersetzen:

3.5.1

Trotz der schon gegenwärtig im Vertrag verankerten und vom Gerichtshof bestätigten Rechte zur freien Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen herrscht bei den Unternehmen in der Praxis häufig eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf ihre Rechte. In der Dienstleistungsrichtlinie werden diese Rechte festgelegt und konkretisiert. Insbesondere das Herkunftslandprinzip ist hier ein ganz zentrales Element, das vor allem kleine und mittlere Unternehmen über ihre Rechte und Pflichten bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen aufklären kann, ohne dass sie in dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird niedergelassen sind. Zwar werden in der Richtlinie auch eine ganze Reihe von Ausnahmen zum Herkunftslandprinzip aufgeführt, doch ist der Ausschuss der Ansicht, dass das Herkunftslandprinzip (unter der Voraussetzung, dass keine weiteren Ausnahmen hinzukommen) zu einem wichtigen Werkzeug für die Weiterentwicklung des Binnenmarkts für Dienstleistungen zum Nutzen sowohl der Verbraucher, der Arbeitnehmer als auch der europäischen Wettbewerbsfähigkeit werden kann.

3.5.2

Das Herkunftslandprinzip kann nach Auffassung des Ausschusses zum Katalysator für eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten sowie für eine eventuelle spätere Harmonisierung im Bereich des Verbraucher- und Umweltschutzes werden.

3.5.3

Nach Ansicht des Ausschusses ist eine wirksame Anwendung des Herkunftslandprinzips nur dann möglich, wenn Rechtssicherheit und Klarheit über seinen Anwendungsbereich bestehen. Das Prinzip muss so konkretisiert werden, dass es weder die bestehenden Rechte der Verbraucher und Arbeitnehmer einschränkt noch das derzeitige Umweltschutzniveau senkt. Gleichzeitig muss versucht werden, Zweifelsfragen hinsichtlich der Vereinbarkeit des Herkunftslandprinzip mit dem internationalem Recht, Rom I und II sowie möglichen weiteren rechtlichen Problemen zu klären, ohne hierdurch die mit dem Herkunftslandprinzip verfolgte Absicht, die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen für Dienstleistungsunternehmen zu erleichtern, zu beeinträchtigen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 68

Nein-Stimmen: 127

Stimmenthaltungen: 5

Ziffern 3.5.1, 3.5.2, 3.5.3 streichen und ersetzen durch neue Ziffer (3.5.1):

Die in Artikel 16 RL-E vorgesehene grundsätzliche Geltung des Herkunftslandprinzips stellt in Verbindung mit den in Artikel 17 RL-E genannten Ausnahmen das Herzstück des Entwurfs dar. Nur auf diesem Weg kann der Einstieg in die Öffnung der Dienstleistungsmärkte ohne weitere Verzögerungen gelingen. Der grenzüberschreitende Wettbewerb von Dienstleistern wird den Verbrauchern zugute kommen und kann neue Arbeitsplätze schaffen. Nach Überzeugung des Ausschusses verspricht die Anwendung des Herkunftslandprinzips aber nur dann Erfolg, wenn Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich seines Anwendungsbereichs bestehen. Die Geltung des Herkunftslandprinzips sollte daher mit einer Prüfung einhergehen, für welche Dienstleistungen eine weitere Angleichung der Rechtsgrundlagen sinnvoll sein könnte. Zugleich ist darauf zu achten, dass mit der Dienstleistungsfreiheit die Rechte der Arbeitnehmer und Verbraucher sowie der Schutz der Umwelt nicht eingeschränkt werden. In diesen Bereichen setzt die EU im weltweiten Vergleich bereits jetzt hohe Standards, die gesichert werden müssen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 83

Nein-Stimmen: 122

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 3.5.1

Streichen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 73

Nein-Stimmen: 141

Stimmenthaltungen: 7

Ziffer 3.5.2

Wortlaut wie folgt ändern:

„Die in Artikel 16 RL-E vorgesehene grundsätzliche Geltung des Herkunftslandprinzips stellt in Verbindung mit den in Artikel 17 RL-E aufgeführten Ausnahmen das Herzstück des Entwurfs dar. Das Herkunftslandprinzip, das bislang für Waren angewandt wird, wird eins zu eins auf die Dienstleistungen übertragen. Das passt jedoch nur dort ist dort besonders gut anwendbar, wo diese Dienstleistungen wie Waren standardisiert werden können oder die Harmonisierung der Regeln soweit vorangeschritten ist, dass keine Friktionen entstehen. Da, wo Standards nicht bestehen oder gar nicht erarbeitet werden könnten (sogenannte nicht-beschreibbare Leistungen), müsste diesen Besonderheiten Rechnung getragen werden.“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 76

Nein-Stimmen: 134

Stimmenthaltungen: 6

Ziffer 3.5.3

Wortlaut wie folgt ändern:

Der Ausschuss hält daher die grundsätzliche Anwendung des Herkunftslandprinzips im Bereich der grenzüberschreitenden Dienstleistung für verfrüht. Das Herkunftslandprinzip setzt voraus, dass von einem vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Niveau ausgegangen werden kann. Nach der Überzeugung des Ausschusses verspricht die Anwendung des Herkunftslandprinzips nur dann Erfolge, wenn Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich seines Anwendungsbereichs bestehen. Die Geltung des Herkunftslandprinzips ohne angemessene Übergangsfrist wird daher als problematisch angesehen, zumal die zur Verfügung stehenden Instrumentarien der sektoralen Harmonisierung dem Ausschuss noch nicht ausreichend ausgeschöpft erscheinen. Bislang birgt es die Gefahr eines Systemwettbewerbs und eine damit einhergehende Nivellierung von Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltstandards, da nach wie vor unterschiedliche Rechts-, Sozial- und Gesundheitssysteme in der EU bestehen. Durch den sektoralen Ansatz im Wege der Harmonisierung kann, speziell in besonders sensiblen Bereichen eine optimalere Anpassung an die Herausforderungen des Binnenmarktes erreicht werden, als durch einen verfrüht gesetzten rein horizontalen Ansatz. Hierbei ist jeder Sektor im Rahmen einer umfassenden Folgeabschätzung, auch was die sozialen und umweltrelevanten Aspekte betrifft, auf seine Eignung für die Einführung des Herkunftslandprinzips zu prüfen. Da Maßnahmen der Harmonisierung gemeinsam mit dem Herkunftslandprinzip einander ergänzende zumindest gleichwertige Instrumente zur Verwirklichung des Binnenmarkts darstellen, sollte im Rahmen angemessener Zeitschienen eine Angleichung der verschiedenen Vorschriften in den Bereichen erreicht werden, in denen besondere gesundheitsrechtliche, sozialrechtliche und berufsrechtliche Vorgaben der Mitgliedstaaten bestehen, sofern dies von der. In einem Zwischenstadium sollte durch Europäischen Kommission, dem Europäischens Parlament und dem Rat als notwendig erachtet wird. positiv darüber befunden werden, ob Harmonisierungen in den vorgenannten Bereichen in ausreichender Weise ergriffen und realisiert wurden. Je nach Stand der Rechtsangleichung sollte letztmalig Gelegenheit zur Annäherung im Harmonisierungswege gegeben werden. Diese Methode bringt — zusammen mit einer genauen definitorischen Abgrenzung dieser besonderen Dienstleistungen (beispielsweise der freien Berufe) — nach der Überzeugung des Ausschusses den Vorteil, dass stufenweise eine optimale Vorbereitung auf das im Anschluss an die Übergangszeit geltende Herkunftslandprinzip für die beteiligten Kreise erfolgen kann und muss, um den Binnenmarkt zu verwirklichen. Dies gilt auch für Mechanismen der Ko- und Selbstregulierung.“

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 79

Nein-Stimmen: 139

Stimmenthaltungen: 7

Ziffer 3.5.4

Streichen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 65

Nein-Stimmen: 150

Stimmenthaltungen: 4

Ziffer 3.6.2

Streichen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 74

Nein-Stimmen: 140

Stimmenthaltungen: 3

Ziffer 3.9

Streichen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 73

Nein-Stimmen: 134

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 3.15

Streichen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 90

Nein-Stimmen: 135

Stimmenthaltungen: 2

Ziffer 4.2.1 ersetzen durch:

Der Ansatz der Kommission, dass abgesehen von den im RL-E genannten Ausnahmen grundsätzlich das Herkunftslandprinzip gelten soll, ist richtig. Nur so kann der Einstieg in die Öffnung der Dienstleistungsmärkte ohne weitere Verzögerungen gelingen. Zugleich sollte sichergestellt sein, dass bei der Anwendung des Herkunftslandprinzips Rechtsklarheit und Rechtssicherheit herrscht. Die Geltung des Herkunftslandprinzips sollte mit einer Prüfung einhergehen, für welche Dienstleistungen eine weitere Angleichung der Rechtsgrundlage sinnvoll sein könnte. Es ist darauf zu achten, dass mit der Dienstleistungsfreiheit die Rechte der Arbeitnehmer, der Verbraucher sowie der Schutz der Umwelt nicht eingeschränkt werden. Die neuen Bestimmungen müssen so anwendungsfreundlich und klar strukturiert wie möglich sein, um ihre Durchführung einfach und reibungslos zu gestalten. Dies gilt auch für Mechanismen der Ko- und Selbstregulierung.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 66

Nein-Stimmen: 146

Stimmenthaltungen: 4

Ziffer 4.2.1

Text streichen und durch folgenden Wortlaut ersetzen:

Sowohl das Herkunftslandprinzip als auch die Harmonisierung sind wichtige Instrumente zur Sicherung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs. Zugleich kann das Herkunftslandprinzip als ein Katalysator für die Annäherung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und eine eventuelle spätere Harmonisierung regelungsbedürftiger Gebiete betrachtet werden. Für sich genommen dürfte das Herkunftslandprinzip einen Beitrag dazu leisten, den Unternehmen zu einem weitaus besseren Überblick bei der Aufnahme der Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen zu verhelfen, wobei sich das Unternehmen im Land der Dienstleistungserbringung nicht niederlassen muss. Dies wäre ein zentraler Hebel zur Weiterentwicklung des Binnenmarktes für Dienstleistungen, was sowohl den Verbrauchern als auch den Arbeitnehmern und der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zugute käme. Gleichwohl ist die Klärung aller eventuell offenen rechtlichen Fragen unumgänglich, bevor auf eine effiziente Nutzung des Herkunftslandprinzips gehofft werden darf.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 75

Nein-Stimmen: 135

Stimmenthaltungen: 3

Ziffer 4.2.2

Text wie folgt ändern:

„Problematik der sozialen Dimension: Der Richtlinienvorschlag darf nicht zu einer Absenkung bestehender Sozial-, Lohn und Sicherheitsstandards am Arbeitsplatz führen, insbesondere nicht bei der Entsenderichtlinie. Nationale Systeme für Tarifverhandlungen und Tarifverträge einschließlich der damit zusammenhängenden nationalen Umsetzungen der Entsende-Richtlinie (Richtlinie 96/71/EG) sollen nicht beeinträchtigt werden. Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, die Begriffe Arbeitnehmer, Selbständiger und Scheinselbständiger verbindlich zu definieren, um so für den Anwendungsbereich der Entsenderichtlinie unter Einschränkung des Herkunftslandprinzips eindeutige Anwendungsgrundlagen zu schaffen. Darüber hinaus ist den Mitgliedstaaten aufzugeben, allgemein geltende Arbeitsbedingungen, die in ihrem Land für einschlägige Arbeitnehmer gelten, auch gegenüber Zureisenden/Entsandten durchzusetzen. Dabei könnte als ein Mittel der Durchsetzung die Erklärung des Unternehmers, generell so zu verfahren, als genügend erachtet werden. Ggf. sollte vor Ort ein Mitarbeiter als Zustellungsbevollmächtigter eingesetzt werden, der die dort notwendigen Arbeitsdokumente bereitzuhalten hat.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 84

Nein-Stimmen: 132

Stimmenthaltungen: 1

Ziffer 4.2.4

Ziffer streichen und durch folgenden Text ersetzen:

Der Gedanke, die Verfahren zu vereinfachen und eine einheitliche Anlaufstelle für Dienstleister zu schaffen, ist zu begrüßen. Doch es fehlen konkretere Vorschläge zu den Verfahren. Der Bekämpfung von Bürokratie und Verwaltungshemmnissen sollte hier besondere Aufmerksamkeit zuteil werden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 74

Nein-Stimmen: 141

Stimmenthaltungen: 3

Ziffer 4.2.6

Streichen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 76

Nein-Stimmen: 140

Stimmenthaltungen: 1


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/126


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: „Clearing und Abrechnung in der Europäischen Union — Künftige Maßnahmen“

(KOM(2004) 312 endg.)

(2005/C 221/21)

Die Europäische Kommission beschloss am 29. April 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Mitteilung.

Das Präsidium des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beauftragte am 1. Juni 2004 die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit der Vorbereitung der Arbeiten.

Aufgrund der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 10. Februar) Herrn BURANI zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 99 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Kommission beschäftigt sich im Rahmen des 1999 eingeführten Aktionsplans für Finanzdienstleistungen mit dem vielschichtigen Problem der Wertpapiergeschäfte, insbesondere mit Clearing und Abrechnung, die für den gesamten Bereich von grundlegender Bedeutung sind. Die Sicherheit und Effizienz dieser für den Kleinanleger größtenteils nicht transparenten Systeme sind für funktionstüchtige Wertpapiermärkte unabdingbar. Einerseits sind die zugrunde liegenden Konzepte einfach — Clearing sichert die Gegenparteien gegen das Eindeckungsrisiko (Zahlungsunfähigkeit einer Gegenpartei) ab, durch Abrechnung wird die Zahlung der verkauften Wertpapiere gewährleistet. Andererseits sind die Ablaufmechanismen der Prozesse und der entsprechenden Bestimmungen ausgesprochen komplex und in hohem Maße spezialisiert. In diesem Kapitel werden die grundlegenden Aspekte des Kommissionsdokuments zusammengefasst.

1.2

Auf einzelstaatlicher Ebene können die Systeme in puncto Wirtschaftlichkeit und Sicherheit als zufriedenstellend bezeichnet werden. Probleme treten hingegen bei grenzübergreifenden Geschäften auf, die von Ineffizienz sowie erhöhten Risiken und Kosten gekennzeichnet sind. Diese Probleme gehen auf eine übermäßige Zersplitterung der Märkte zurück, die sich wiederum mit von Land zu Land unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen, Regeln und Geschäftspraktiken erklären lassen. Die Marktteilnehmer sind davon überzeugt, dass eine Reform notwendig ist.

1.3

In der Mitteilung, der bald eine Richtlinie folgen soll, wird vorgeschlagen, den interessierten Marktakteuren die verschiedenen Aspekte der Problematik zur Erörterung vorzulegen. Dabei wird das Hauptziel der Schaffung eines effizienten, integrierten und sicheren europäischen Markts für Clearing und Abrechnung von Wertpapiergeschäften verfolgt. Die Integration der Systeme soll mittels einer gemeinsamen Intervention von Marktkräften und Behörden erreicht werden. Die Kommission möchte sich für eine bessere Abstimmung zwischen den Einrichtungen des Privatsektors, den Regulierungsbehörden und den nationalen Gesetzgebern einsetzen.

1.4

Der Erlass einer Rahmenrichtlinie ist erforderlich, damit die Infrastrukturbetreiber und die Dienstenutzer (autorisierte Marktakteure) Zugang zu dem von ihnen gewählten, entsprechend zugelassenen und überwachten sowie den Wettbewerbsregeln entsprechenden Clearing- und Abrechnungssystem haben. Die Kommission sichert zu, bei der Redaktion der Richtlinie den Grundsätzen der Subsidarität und der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen sowie die von den nationalen Behörden zur Regulierung der jeweiligen Marktstrukturen angewandten Kriterien weitmöglichst zu respektieren. Dieser Ansatz sollte zu einem klaren, verlässlichen und kohärenten Rechtsrahmen führen.

1.5

Die Kommission möchte sich nicht mit der Frage einer eventuellen (grenzübergreifenden) Konsolidierung der Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen befassen, die ihrer Auffassung nach in erster Linie marktgesteuert sein sollte. Sie möchte allerdings darauf achten, dass Belange von allgemeinem Interesse (Wettbewerb, Solidarität/Effizienz der Systeme) berücksichtigt werden.

2.   Die derzeitige Lage

2.1

Die Clearing- und Abrechnungsverfahren sind komplex. Mit diesen Begriffen bezeichnet die Kommission „sämtliche Systeme, die für die Abwicklung eines Geschäfts mit Wertpapieren oder Derivaten erforderlich sind“. Genauer gesagt umfasst die Clearing-Funktion die Novation (Vermittlung der Clearing-Schnittstelle und Risikomanagement der Gegenpartei) und das Netting (Berechung der Forderungen und Verbindlichkeiten und Erfüllung der gegenseitigen Verpflichtungen). Eine besondere Funktion stellt das Netting mit Novation dar, das gegen das Eindeckungsrisiko von Gegenparteien absichert (Risiko des Verlusts bei Zahlungsunfähigkeit der Gegenpartei).

2.1.1

Die Abrechnungsvorgänge sind — stark vereinfacht — notarieller Natur (Kodifizierung der Wertpapiere, zentrale Wertpapierbuchung, Austausch personenbezogener Angaben zwischen Hinterlegern und Emittenten usw.) und sie beinhalten die zentrale Verwahrung der Wertpapiere (Führung der Wertpapierkonten, Feststellung der Posten usw.) sowie die eigentliche Abrechnung (Berechnung der gegenseitigen Verpflichtungen, Wertstellung zwischen den Wertpapierkonten, Verknüpfung mit den Zentralbanken, automatische Überweisung liquider Mittel, Innertages-Maßnahmen zur Liquiditätssicherung der Zahlungssysteme in Bargeld oder mit Wertpapieren, Durchführung geldpolitischer Maßnahmen usw.).

2.1.2

Die Bestimmung der Funktionen, der Fachbegriffe und deren inhaltlicher Bedeutung ist nicht immer ganz einfach, da die Terminologie in den verschiedenen Sprachen nicht vollkommen deckungsgleich ist und da bei deren Verwendung auf den nationalen Märkten kleine inhaltliche Unterschiede auftreten können. Es ist deshalb außerordentlich wichtig, in der künftigen Richtlinie eine sorgfältig überprüfte Terminologie zu verwenden, die von allen auf die selbe Art und Weise verstanden wird und die mithilfe nationaler Fachleute in die verschiedenen Sprachen übersetzt wurde.

2.2

Die Clearing-Dienstleistungen werden von gemeinhin als zentrale Gegenparteien (Central Counterparties — CCP) bezeichneten Einrichtungen erbracht. Die Abrechnung erfolgt über die Zentralverwahrer (Central Securities Depositories — CSD). CCP und CSD bilden ein geschlossenes System, an dem neben den Gegenparteien die Zentralbanken sowie autorisierte Banken und Finanzinstitute beteiligt sind. Investoren haben keine direkten Geschäftsbeziehungen zu den CCP und CSD: zu letzteren haben nur die Marktakteure (wie die am Clearing beteiligten Banken und Finanzinstitute) Zugang.

2.3

Grenzübergreifende Transaktionen können über die folgenden Kanäle abgerechnet werden:

direkter Fernzugang zum ausländischen Wertpapierabrechnungssystem;

Inanspruchnahme einer Verwahrstelle mit direktem oder indirektem Zugang zum ausländischen Wertpapierabrechnungssystem;

Inanspruchnahme eines Internationalen Zentralverwahrers, der einen direkten oder indirekten Zugang zum ausländischen Wertpapierabrechnungssystem hat.

2.3.1

Abgesehen von der Tatsache, dass den verschiedenen Marktakteuren nicht alle diese Möglichkeiten zur Verfügung stehen, weist jede sowohl Vor- als auch Nachteile auf. Doch alle haben eines gemein: hohe Kosten und Effizienzverluste. Letztere gehen nicht auf das System zurück, sondern werden durch komplizierte Verfahren und die notwendige Absicherung aller Teilnehmer gegen das Insolvenzrisiko und unterlassene Lieferung verursacht.

2.4

Der vorstehende Absatz könnte zum voreiligen Schluss verleiten, dass für die Schaffung eines integrierten, wettbewerbsorientierten und sicheren Marktes die Festlegung gemeinsamer Standards, die Harmonisierung der Gesetzgebungen und Steuerbestimmungen sowie die Rationalisierung und internationale Angleichung der Strukturen ausreiche. Der Ausschuss möchte allerdings vor leichtfertigem Optimismus warnen: Die Lösungen, die theoretisch scheinbar einfach zu realisieren sind, müssen unter Berücksichtigung der derzeitigen Lage einer aus 25 — nach Größe und Wirtschaftskraft stark unterschiedlichen — Mitgliedstaaten bestehenden EU sorgfältig bewertet werden. In der gesamten EU gibt es 24 CSD, von denen zwei 32,2 % aller Tranksaktionen und 60,4 % ihres Gesamtvolumens abwickeln; in 14 der 25 Mitgliedstaaten bestehen keine zentralen Gegenparteien (CCP). Ferner überwiegt in der EU-15 die Abrechnung mit Zentralbankgeld bei weitem vor der Abrechnung mit Giralgeld und beträgt 67 % aller Transaktionen sowie ihres Geschäftsvolumens.

2.4.1

Diese offensichtlich sehr unausgewogene Lage wird verständlich, wenn man bedenkt, dass einige Länder mit niedriger Börsenkapitalisierung nicht über CSD- und CCP-Strukturen verfügen oder verfügen können: dies sind kostspielige Einrichtungen, die nur bei umfangreichen Geschäftsvolumen funktionieren können. Einige Strukturen haben auf nationaler Ebene annähernd Monopolstellung erreicht (was allerdings nicht bedeutet, dass sie damit automatisch gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen) und sind effizient und kostengünstig.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss nimmt die Initiative der Kommission zur Kenntnis und begrüßt das Dokument als einen Fortschritt im Prozess der europäischen Kapitalmarktintegration. Es handelt sich um eine hochspezifische Materie technischen Charakters und mit wirtschaftlichen und finanztechnischen Inhalten, die nicht immer einfach zu verstehen sind, die allerdings auch politische und wettbewerbstechnische Aspekte betreffen, die bedeutende Auswirkungen auf die Zukunft der Märkte haben können. Die Neuerungen — gleichwohl, ob es sich um Empfehlungen oder bindende Regelungen handelt — müssen schrittweise umgesetzt werden und sowohl im Hinblick auf ihre unmittelbaren als auch auf die langfristigen Auswirkungen auf die Märkte überprüft werden.

3.2

Verfolgt einerseits die Kommission stillschweigend das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Marktes dem der USA anzugleichen (der übrigens auf Wunsch des Europäischen Parlaments als Vergleichsmaßstab herangezogen wird), so darf doch nicht vergessen werden, dass die jüngste EU-Erweiterung relativ „schwache“ Märkte bzw. Märkte mit noch nicht konsolidierten Erfahrungen und Strukturen umfasst. Die Durchführung von Neuerungen ohne Abschätzung der kurzfristigen, aber vor allem auch der langfristigen Folgen könnte traumatische Auswirkungen haben und das Risiko einer ungerechtfertigten Vorherrschaft der „stärksten“ Systeme bergen. Die Konsolidierungen, die von der Kommission als positive Auswirkung der Integration dargestellt werden (und mit denen sie sich nicht weiter befassen möchte), dürfen nicht durch die Notwendigkeit wirtschaftlichen Überlebens bestimmt werden, sondern müssen in freiem Abwägen der Möglichkeiten durch die Marktkräfte beschlossen werden.

3.3

Neben der in Ziffer 2.4 genannten Sachlage sind in erster Linie die unterschiedlichen nationalen Rechtslagen und Steuersysteme — sowohl in Bezug auf das Eigentumsrecht, als auch in Bezug auf die Transaktionen — für die Fragmentierung des Marktes verantwortlich. In diesen Bereichen muss die Gemeinschaft tätig werden, um durch eine Rechtsangleichung die jetzigen Hindernisse rechtlicher, vor allem aber steuerlicher Natur zu beseitigen.

3.4

Die rechtliche Konvergenz ist zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung: Soll letztendlich eine stabile gesamteuropäische Struktur aufgebaut werden, müssen gleiche Wettbewerbsbedingungen für Banken und Finanzinstitute geschaffen werden, und der Wettbewerb muss in erster Linie auf der freien Wahl der Intermediäre (vgl. Ziffer 3.7) mittels sorgfältiger Überwachung der Zugangsbestimmungen erfolgen. Die Schaffung optimaler Wettbewerbsbedingungen ist die Voraussetzung dafür, Preissenkungen für die Investoren erreichen zu können.

3.5

Die Kommission äußert sich nicht zur Frage der Unterscheidung und Trennung der Aufgaben der Marktakteure (Banken und Finanzinstitute) einerseits und der Infrastruktur- bzw. Systembetreiber andererseits. Letztere erfüllen Aufgaben des Clearing (zentrale Gegenparteien, CCP) und der Abrechnung und Verwahrung (Zentralverwahrer, CSD). Jeder Bereich weist unterschiedliche Zielsetzungen und operative Merkmale auf, weshalb für die beiden Bereiche verschiedenartige Bestimmungen und entsprechende Kontrollen erforderlich sind. Der Ausschuss weist allerdings auf die wachsende Tendenz seitens der Geschäftsbanken zur „Internalisierung“ der Clearing- und Abrechnungsfunktionen hin.

3.5.1

Auf dem Markt sind bereits seit einiger Zeit zwei der größten Finanzinstitute tätig, auf die genau die im vorstehenden Absatz beschriebene Situation der Vermischung von Bank- und Intermediärdienstleistungen — allerdings mit getrennter Buchführung — zutrifft. Die von diesen Strukturen gesammelten Erfahrungen können unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit, der Skaleneffekte und des Geschäftsergebnisses als positiv bezeichnet werden, und es wäre ohnehin nicht realistisch, marktbestimmenden Unternehmen die Auftrennung oder Neuordnung ihrer Geschäftsaktivitäten vorschreiben zu wollen.

3.5.2

Es gibt zwei Wahlmöglichkeiten: Entweder man akzeptiert die Vorstellung „hybrider“ Einrichtungen, oder aber man wählt eine formaljuristische Lösung, die die vollständige Trennung von Bankaktivitäten einerseits und Clearing- und Abrechnungsgeschäften andererseits verlangt. Die erste Lösung kann in puncto Effizienz und Kosten als marktfreundlich bezeichnet werden, weist aber — zumindest theoretisch — die Möglichkeit erhöhter Risiken und vermindert wirksamer Kontrollen auf. Die zweite Lösung befindet sich in Einklang mit den traditionellen Regeln der Trennung verschiedener Geschäftsaktivitäten, scheint aber nicht durchführbar und im Grunde auch nicht wünschenswert zu sein. Es liegt auf der Hand, dass der Ausschuss nur die Empfehlung aussprechen kann, eine entsprechend transparente separate Kontoführung zu halten, die wirkungsvolle Kontrollen sowohl der Aufsichts- wie der Wettbewerbsbehörden ermöglicht. Eine Richtlinie mit den entsprechenden Details zur Erfüllung dieser Bedingungen wäre wünschenswert bzw. notwendig.

3.6

Wie bereits oben ausgeführt haben die Investoren nur Kontakt zu den Marktakteuren. Zu den CCP und den CSD haben allerdings nur die Marktakteure über die jeweiligen Clearing-Mitglieder und Verwahrer der Wertpapiere Zugang. Die CSD stehen in Kontakt mit den jeweiligen nationalen Zentralbanken sowie anderen nationalen oder europäischen CSD.

3.7

Die Marktakteure werden bereits von den Aufsichtsbehörden überwacht, doch die Intermediäre stellen besonders strikte technische und vermögensrechtliche Anforderungen für den Zugang zu ihren Dienstleistungen. Dies hat zur Folge, dass nur ein kleiner Kreis von Marktakteuren direkten Zugang zu den Intermediären hat, wobei die anderen Interessenten für den Abschluss von risikobehafteten Geschäften auf die Dienste zugelassener Akteure zurückgreifen müssen. Die von den Intermediären auferlegten Bestimmungen sind davon beeinflusst, dass ihre Funktionen im öffentlichen Interesse liegen: Sie haben die Aufgabe, die Stabilität des Marktes und letztendlich den Schutz der Investoren zu gewährleisten. Die Aufsichts- und Wettbewerbsbehörden müssen allerdings darauf achten, dass die von den Intermediären aufgestellten Zugangsbestimmungen nicht für Beschränkungen des freien Zugangs eingesetzt werden können.

3.8

Angesichts der unterschiedlichen operativen Merkmale aller Beteiligten haben die Investoren ein unmittelbares Interesse an der Zuverlässigkeit und Bonität der Marktakteure , der Markt hingegen basiert auf der Zuverlässigkeit und Bonität der Intermediäre . Wenngleich Marktakteure und Intermediäre dem selben Systemrisiko ausgesetzt sind, so müssen sie doch unterschiedlichen Anforderungen entsprechenden Kontrollen unterzogen werden. Daraus geht die in Ziffer 3.5 dargelegte Notwendigkeit hervor, die jeweiligen Aufgabengebiete und Bestimmungen zu trennen. Bezüglich der CSD ist zu beachten, dass ein Kreditrisiko der Teilnehmer (zum Großteil Kreditinstitute) praktisch nicht vorhanden ist, da die Investoren durch die Gesetze der Mitgliedstaaten gegen die Insolvenz eines CSD abgesichert sind. Laut diesen Bestimmungen dürfen die verwahrten Titel nicht in der Bilanz der Teilnehmer aufgeführt werden.

3.9

Bezüglich der Aufgabenunterscheidung stellt der Ausschuss mit gewisser — auch von einem Teil der Marktakteure geteilter — Befremdung fest, dass einige Banken den Erwerb von CSD in verschiedenen Ländern anstreben. Dadurch werden ihre traditionellen Aufgaben durch diejenigen internationaler CSD (I-CSD) ergänzt, d.h. vielmehr vermischt. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, zunächst festzustellen, ob Anhaltspunkte für mögliche Wettbewerbsverzerrungen bestehen, die auf die Vermischung der Aufgaben des Marktakteurs und des Intermediärs bei einem Akteur (oder bei unterschiedlichen, aber miteinander verbundenen Wirtschaftsakteuren) zurückzuführen sind. Insbesondere ist sicherzustellen, dass die Tätigkeit im Bereich der CSD nicht zur Finanzierung oder Begünstigung anderer Geschäftsbereiche eingesetzt wird.

3.10

Sind Wettbewerbsverzerrungen zwar erst noch zu belegen, so wird doch die Aufsicht durch die Behörden aufgrund der Aufgabenvermischung — wie oben ausgeführt — erschwert: I-CSD unterliegen als Banken der Bankenverordnung und der Bankenaufsicht des Niederlassungslandes, während sie als CSD den unterschiedlichen Bestimmungen und der Aufsicht der für die Kapitalmärkte zuständigen Behörden des Landes, in dem sie Geschäfte abwickeln, entsprechen müssen. Auch bei getrennter Buchführung können die — offensichtlichen und vielleicht auch die weniger transparenten — Verbindungen zu Kompetenzüberschneidungen und, schlimmer noch, zu gefährlichen toten Winkeln für die Aufsichtsbehörden führen. Aus Gründen der Objektivität ist jedoch zu sagen, dass die in Ziffer 3.8 erwähnten Gesetze betreffend die Verwahrung von Wertpapieren einen wirksamen Schutz der Investoren darstellen.

3.11

Zum Abschluss der allgemeinen Bemerkungen und als Vorwort für die folgenden besonderen Bemerkungen stellt der Ausschuss fest, dass das Kommissionsdokument vom Wunsch durchdrungen ist, einen integrierten und freien Markt zu schaffen, der den Wettbewerbsbestimmungen gerecht wird und kostengünstig funktioniert. Dieser Zielsetzung ist durchweg zuzustimmen. Der Ausschuss möchte insbesondere folgende Überlegungen hervorheben:

jede Innovation hat positive oder negative Auswirkungen auf die Stabilität des Marktes. Der Schutz der Investoren muss Vorrang vor sämtlichen Aspekten der Liberalisierung und des Wettbewerbs haben;

die Wettbewerbsregeln müssen respektiert werden, aber es ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass nicht alle Teilnehmer das gleiche Risikoprofil aufweisen,

der Begriff des „offenen Marktes“ ist dahingehend einzuschränken, dass Qualitätseinbußen vermieden werden sollen;

solange keine tatsächliche Konvergenz der Steuerverfahren besteht, wird der Markt nach wie vor Verzerrungen und erhöhte Kosten aufweisen, die nach der Beseitigung technischer und rechtlicher Hindernisse noch deutlicher hervortreten werden. Einheitliche Verfahren würden ferner die Ermittlung von Steuerhinterziehung vereinfachen;

wenngleich die Hindernisse beseitigt werden müssen, die heute den Zugang zu lokalen Märkten erschweren, so darf doch nicht die Tatsache vergessen werden, dass jeder Markt seine Besonderheiten und Gewohnheiten hat, die durch keine Harmonisierung beseitigt werden können. In dieser Hinsicht weist der Ausschuss darauf hin, dass das Erfordernis der Rechtssicherheit ganz und gar nicht zweitrangig ist, wenngleich die in Ziffer 1.4 aufgeführte Äußerung der Kommission beruhigend zu sein scheint.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Die in den Giovannini-Berichten genannten Hemmnisse

4.1.1

Die beiden Berichte der Giovannini-Gruppe (1) bilden den Ausgangspunkt für die Überlegungen der Kommission. Die Darstellung der Sachlage in diesen Berichten geht auf renommierte Fachleute zurück, denen vollstes Vertrauen geschenkt werden muss. Wenngleich die Darstellung der Tatsachen unbestreitbar ist, so bieten die zum Ausdruck gebrachten Meinungen nach Auffassung des Ausschusses Raum für weitere Überlegungen. Die folgenden Anmerkungen werden daher im Geiste eines konstruktiven Beitrags vorgebracht.

4.1.2

Die in den beiden Giovannini-Berichten ausgemachten Hemmnisse (insgesamt 15) können in drei Gruppen unterteilt werden: technische oder durch Marktpraktiken bedingte Barrieren, durch Steuerverfahren bedingte Hindernisse und Rechtsbarrieren. In den Berichten wird — die von der Kommission geteilte — Auffassung vertreten, dass die Beschränkungen in Bezug auf den Ort des Clearing bzw. der Abrechnung als eines der Haupthindernisse für die Integration anzusehen sind, da diese Beschränkungen den Marktakteuren die Zugangs- und Wahlfreiheit hinsichtlich des Ortes für das Clearing bzw. die Abrechnung nehmen. Die Kommission stellt zu Recht fest, dass solche Beschränkungen den Wettbewerb behindern. Der Ausschuss, der im Großen und Ganzen diese Einschätzung teilt, empfiehlt jedoch, die Gründe für einige dieser Beschränkungen eingehender zu untersuchen, um festzustellen, ob sie nicht doch durch triftige, über reine Protektionsmaßnahmen hinausgehende Gründe gerechtfertigt werden.

4.1.3

Des Weiteren werden Hindernisse erkannt, welche die Marktakteure im Hinblick auf den Zugang zu ausländischen Abrechnungssystemen dazu bringen oder zwingen, die Dienste lokaler Marktakteure in Anspruch zu nehmen. Auch hier rät der Ausschuss zu Vorsicht: Wie bereits in Ziffer 3.11 angesprochen, sind nicht alle Beschränkungen und Hemmnisse auf protektionistische Maßnahmen zurückzuführen.

4.1.4

Vorbehaltlos unterstützt wird hingegen die Kritik der Kommission an der Tatsache, dass die Abrechnungssysteme einiger Länder die Erhebung der Quellensteuer vorsehen, wobei der Rückgriff auf ein anderes System zu höheren Abgaben führen könnte. Die Beseitigung dieses Hemmnisses, das ohne Zweifel die Wahlfreiheit der Marktakteure aus Kostengründen einschränkt, ist allerdings besonders schwierig, weil diese Frage unter den Bereich nationaler Steuerpolitik fällt.

4.2   Fehlen eines gemeinsamen Regulierungs-/Aufsichtsrahmens

4.2.1

Die Clearing- und Abrechnungssysteme unterliegen den Bestimmungen und der Aufsicht nationaler Behörden: es gibt keinen europäischen Regulierungsrahmen. Aufgrund des Fehlens gemeinschaftlicher Bestimmungen — und folglich eines „europäischen Begleitpapiers“ — können nationale Behörden den nicht von ihnen beaufsichtigten Systemen den Marktzugang verweigern. Dies wird mit der Verantwortung für den Schutz ihrer Märkte begründet. Zur Beseitigung dieses Problems haben das Europäische Zentralbanksystem (EZBS) und der Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR (2)) eine gemeinsame Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung gemeinsamer Standards für Einrichtungen, die Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen in der EU erbringen, eingesetzt, wobei diese die Empfehlungen des Ausschusses für Zahlungs- und Abrechnungssysteme der G-10 an die europäischen Verhältnisse anpasst. Die Arbeiten dieser Gruppe werden hoffentlich nicht zu Bestimmungen, sondern zu Empfehlungen führen. Der Vorteil liegt darin, dass letztere von allen berücksichtigt und rasch an technologisch bedingte Marktveränderungen angepasst werden können.

4.2.2

Die Festlegung gemeinsamer Bestimmungen ist die Grundlage für die Integration der Märkte. Allerdings sind die EZBS/CESR-Standards nicht bindend, da die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nur durch eine Gemeinschaftsrichtlinie geändert oder ersetzt werden können. Der Ausschuss wünscht, dass die neuen EZBS/CESR-Regeln nach der Annahme der Rahmenrichtlinie veröffentlicht werden und sich — in voller Übereinstimmung mit den Leitlinien — darauf beschränken, die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen zu übernehmen oder eventuelle Rechtslücken zu schließen. Ein anderer Ansatz läuft Gefahr, die Märkte zu verunsichern.

4.3   Fehlen gleicher Wettbewerbsbedingungen

4.3.1

Einige Unternehmen, die Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen erbringen, sind auch als Banken/Wertpapierfirmen zugelassen. Die Kommission betont, dass Banken und Wertpapierfirmen aufgrund ihres ISD-Passes (gemäß Wertpapierdienstleistungsrichtlinie) Verwahrungsdienstleistungen auf grenzübergreifender Basis anbieten können, wohingegen Anbieter von ausschließlich Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen keine entsprechende Berechtigung haben. Ferner bestehen unterschiedliche Eigenkapitalvorschriften für die beiden Kategorien von Anbietern, und sie sind unterschiedlichen Regelungen bezüglich Aufsicht und Dienstleistungsangebot unterworfen. Die Kommission kommt zum Schluss, dass diese Situation grundlegende Probleme in puncto Gleichbehandlung aufwirft.

4.3.2

Die Kommission scheint das Problem vorwiegend unter dem Aspekt der Marktöffnung und gleicher Wettbewerbsbedingungen zu sehen, der Ausschuss möchte der Sicherheit der Märkte und der Wirksamkeit der Kontrollen Priorität einräumen. Die Situation, die sich inzwischen herausgebildet hat, ist einigermaßen befremdlich: Aufgrund des Fehlens eindeutiger und einheitlicher Bestimmungen haben sich Hybrid- oder Verbund-Strukturen herausgebildet, deren vorherrschende Aktivitäten — Banken, Wertpapier-Intermediäre oder Abrechnungsdienste — nur schwer zu bestimmen sind. Miteinander verbundene oder komplementäre Aktivitäten führen zwar zu Synergien und Skaleneffekten, allerdings sind Mehrfachkontrollen und eine Vielzahl unterschiedlicher Bestimmungen, denen die verschiedenen Geschäftsbereiche unterliegen, ebenso zu verhindern.

4.3.3

Der Ausschuss empfiehlt also äußerste Vorsicht bei der Behandlung der Problematik unter Wettbewerbsgesichtspunkten: die Sicherheit der Märkte muss die vordringliche Sorge sein, die alle Entscheidungen bestimmt. Sofern diese Bedingung erfüllt ist, muss ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen der Einhaltung der Bestimmungen eines offenen Marktes einerseits und dem Schutz der Interessen von Marktteilnehmern und Investoren andererseits gefunden werden.

5.   Die Ziele der Kommission

5.1

Die Kommission verfolgt das Ziel der Schaffung von Wertpapierclearing- und –abrechnungssystemen in der EU, die effizient und sicher sind und Gleichbehandlung für die verschiedenen Anbieter von Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen gewährleisten. Zur Erreichung dieses Ziels müssen nach Auffassung der Kommission folgende Maßnahmen und Strategien verfolgt werden:

die Liberalisierung und Integrierung der vorhandenen Wertpapierclearing- und –abrechnungssysteme durch die Gewährung umfassender Zugangsrechte und die Beseitigung der vorhandenen Hindernisse;

die umfassende Anwendung der Wettbewerbsregeln;

die Einführung eines gemeinsamen Regulierungs- und Aufsichtsrahmens;

die Anwendung geeigneter Corporate-Governance-Regeln.

5.2

Der Ausschuss ist unter Vorbehalten sowohl mit den Zielen als auch mit den vorgeschlagenen Verfahren und Maßnahmen einverstanden. Er begrüßt auch im Großen und Ganzen die von der Kommission aufgezeigte Vorgehensweise und möchte sich daher in den folgenden Absätzen auf einige Bemerkungen beschränken, die als Ergänzung zur hervorragenden Arbeit der Kommission zu verstehen ist.

5.3

Die Lamfalussy- und Giovannini-Berichte kommen wie die Kommission zum Schluss, dass die Annahme aller notwendigen Maßnahmen einen nützlichen Konsolidierungsprozess der Clearing- und Abrechnungssysteme in Gang setzt. Dieser Prozess sollte marktgesteuert sein. Die Kommission meint, sich mit Blick auf strukturelle Aspekte neutral verhalten zu müssen. Sie möchte deshalb von Stellungnahmen zu horizontalen oder vertikalen Konsolidierungen sowie zum Angebot von Intermediär- und/oder Bankdienstleistungen seitens der Abrechnungssysteme oder der zentralen Gegenparteien absehen.

5.4

Der Ausschuss möchte zu den in Ziffer 4.3.2 angesprochenen Punkten einige Ergänzungen und Erläuterungen vorbringen. Er ist der Auffassung, dass die grenzübergreifende Konsolidierung gleichartiger Einrichtungen zu Skaleneffekten und Vereinfachung der Verfahren führen kann. Die Konzentration unterschiedlicher Tätigkeiten in einer Einrichtung fördert allerdings die Bildung von hybriden Unternehmen gigantischen Ausmaßes. Die Aufsichtsbehörden müssen in enger Zusammenarbeit mit den Wettbewerbsbehörden sicherstellen, dass daraus keine Gefahr für das wirtschaftliche Überleben kleinerer Unternehmen entsteht. Ferner — und sei es nur aus der Sorge um Transparenz — sollte der Markt so beschaffen sein, dass erkennbar ist, wer welche Aufgaben erledigt.

5.4.1

Die „Neutralitätserklärung“ der Kommission muss allerdings mit der weiter unten im Dokument aufgeführten „Absichtserklärung“ (siehe Ziffer 6.2, letzter Spiegelstrich) in Beziehung gesetzt werden, in der der Wille zur Überwachung der Wettbewerbsregeln bekräftigt wird.

6.   Die Initiativen der Kommission

6.1

Das Programm der Kommission zur Erreichung der Ziele scheint richtig, überlegt und vor allem von Realismus geprägt zu sein: Die Neuerungen können schrittweise eingeführt werden — was vernünftige Zeitvorgaben für die vollständige Umsetzung mit sich bringt. Unter Berücksichtigung der Regeln des Marktes werden die gesetzlichen und rechtlichen Maßnahmen nur dann umgesetzt, wenn dies notwendig ist.

6.2

Die Kommission hat eine Beratungs- und Überwachungsgruppe eingesetzt, die mit der Untersuchung der Hindernisse beauftragt ist, die laut Giovannini-Bericht durch Initiative des Privatsektors beseitigt werden müssten. Ferner gedenkt sie

eine Rahmenrichtlinie zur Schaffung eines sicheren Rechtsrahmens vorzuschlagen, der die gegenseitige Anerkennung der verschiedenen nationalen Systeme ermöglicht;

Expertengruppen einzusetzen, die sich mit den verschiedenen rechtlichen und steuerlichen Hemmnissen befassen, und die Methoden zur Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften oder der Verfahren vorschlagen können;

die tatsächliche Einhaltung der Wettbewerbsregeln zu überwachen und „vorhandene Monopolstellungen zu überprüfen und ggf. bei einer weiteren Marktkonsolidierung unterstützend einzugreifen“.

6.2.1

Der Großteil der im Aktionsplan der Kommission vorgesehenen Maßnahmen bedarf keiner besonderen Bemerkungen. Der Ausschuss beschränkt sich auf einige Anmerkungen und Überlegungen.

6.3

Zugangs- und Wahlrechte (Ziffer 2.1 der Mitteilung). Das Hauptproblem bei der Schaffung eines offenen gesamteuropäischen Marktes besteht in den von einigen (und in gewisser Hinsicht sogar von fast allen) Behörden in den Weg gelegten Hindernissen beim Zugang von Anbietern von Clearing- und Abrechnungsdienstleistungen zum Ort des Clearing und der Abrechnung ihrer Wahl. Angesichts des Widerstands verschiedener nationaler Behörden sieht die Kommission keine Alternativen zu einer Richtlinie zum Zwecke der Beseitigung dieser Hindernisse und zur Gewährleistung des Rechts auf Zugang zu den geeigneten Gegenparteien in allen Ländern der Union für alle Beteiligten — Wertpapierfirmen und Banken, zentrale Gegenparteien und Zentralverwahrer (CSD). In diesem Zusammenhang bestünde ferner auch die Möglichkeit für die regulierten Märkte und die multilateralen Verhandlungssysteme, Vereinbarungen mit den CCP und CSD anderer Mitgliedstaaten abzuschließen.

6.3.1

Der Ausschluss erklärt sich mit den Zielen der Kommission prinzipiell einverstanden, möchte aber dennoch einen Vorbehalt äußern. Nicht alle derzeitigen Hindernisse sind auf protektionistische Maßnahmen seitens nationaler Behörden zurückzuführen; in einigen Fällen sind sie vorwiegend auf die Absicht zurückzuführen, den Markt gegen die von diesen Behörden nicht zu kontrollierenden Risiken abzusichern. Diese Vorsichtsmaßnahmen sind legitim. Der Informationsaustausch ist nicht immer zufriedenstellend, insbesondere erfolgt er mitunter nicht rasch genug, was eine notwendige Voraussetzung für ein rechtzeitiges Eingreifen wäre.

6.3.2

Im Kommissionsdokument wird eine Reihe verstärkter Vorsichtsmaßnahmen aufgeführt, die sich insbesondere auf den Bereich der angemessenen Eigenkapitalausstattung und des Risikomanagements beziehen und die auf dem Grundsatz der Herkunftslandkontrolle basieren. Es soll ein Modell für die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden eingeführt werden, „um zu verhindern, dass grenzübergreifend tätige Wertpapierclearing- und –abrechnungssysteme der Überwachung durch mehrere Aufsichtsbehörden unterliegen“. Dieser Ansatz ist sicherlich richtig, allerdings sollten Probleme bei der praktischen Durchführung nicht unterschätzt werden.

6.3.3

Die wachsende Ausdifferenzierung der Märkte, der beschleunigte Rhythmus der Konsolidierungen, Fusionen und Veränderungen der Gesellschaftsformen bedeuten ein enormes Arbeitspensum für die Aufsichtsbehörden. Rein theoretisch kann man sehr wohl davon ausgehen, dass die Maßnahmen im Rahmen der Zusammenarbeit korrekt und richtig sind. Der Ausschuss befürchtet aber, dass sich nicht zu unterschätzende Probleme auf der praktischen Ebene ergeben werden: es wird nicht einfach werden, 25 unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Wirkungsgraden, Ressourcen und Erfahrungen zu integrieren. Er ist der Auffassung, dass der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Liberalisierungsmaßnahmen erst dann festgelegt werden darf, wenn alle nationalen Aufsichtsbehörden ihre uneingeschränkte Zustimmung gegeben haben. Sie müssen verantwortlich zusichern, dass sie dazu in der Lage sind, am System für den Informationsaustausch teilzunehmen und sie müssen den Schutz des Marktes vor Systemrisiken gewährleisten.

6.4

Corporate Governance (Ziffer 2.3 der Mitteilung). Die Kommission bekräftigt, sich nicht mit der Gesellschaftsform der Einrichtungen, welche die Regulierungssysteme verwalten, sowie der zentralen Gegenparteien beschäftigen zu wollen. Der Ausschuss ist allerdings der Ansicht, dass sich viele Probleme im Bereich Wettbewerb und Marktbeherrschung durch eine genossenschaftliche Gesellschaftsform der Systemteilnehmer überwinden ließen, da diese eher zu einer ausgeglichenen Bilanz als zur Gewinnerzielung neigt.

6.4.1

Die Kommission erachtet es für notwendig, aufgrund der sensiblen Tätigkeiten der Intermediäre und der großen, von ihnen ausgeübten Marktmacht Leitlinien für eine wirkungsvolle und transparente Corporate Governance aufzustellen, welche die Unternehmenspolitik und die Bewältigung der laufenden Geschäfte kontrollieren kann. Dies wird vom Ausschuss begrüßt: die aufgezeigte Richtung erübrigt jede besondere Bemerkung, sie steht völlig in Einklang mit modernen Grundsätzen der Corporate Governance.

6.4.2

Die Kommission fügt allerdings hinzu, dass diese Einrichtungen, eben weil sie mit großer Macht ausgestattet sind, wettbewerbsbeschränkendes Verhalten an den Tag legen könnten. Um sich gegen dieses Risiko abzusichern, sollten CCP und CSD bei der getrennten Buchführung bleiben, in der ihre Geschäfte im Rahmen ihrer institutionellen Aufgaben separat ausgewiesen und von der Erbringung sonstiger Dienstleistungen getrennt werden. Die gleichen Bestimmungen sollten laut Kommission auch für „andere, nicht zum Kerngeschäft gehörige Aktivitäten, wie für Bankgeschäfte“, gelten. So bedeutend CCP oder CSD auch sein mögen, es scheint doch an der Realität vorbeizugehen, Bankgeschäfte als „nicht zum Kerngeschäft gehörige Aktivitäten“ zu bezeichnen: die Teilnehmer am Abrechnungssystem benötigen Kredite in Giralgeld (oder Zentralbankgeld), um kurzfristige Liquiditätsengpässe auszugleichen. Das Bankgeschäft kann einen ausgedehnten Umfang annehmen, und insbesondere in Zeiten angespannter Märkte kann ein nicht zu unterschätzendes Systemrisiko auftreten.

6.4.2.1

Eine Ausnahme von der getrennten Kontenführung scheint indes dann für CSD zulässig, wenn deren bankspezifischen Aktivitäten die teilnehmenden Banken betreffen und somit eine Ergänzung der Abrechnungsfunktion darstellen. Der Kredit ist folglich gewissermaßen integraler Bestandteil der Abrechung und könnte — bzw. sollte, wie zum Teil auch gefordert wird — eine mit der institutionellen Aufgabe der CSD verbundene Aktivität darstellen. Die gleichen Bedingungen können auch für CCP gelten, wenn der Kredit für die ordnungsgemäße Durchführung des Clearing erforderlich ist und als integraler Bestandteil dieser Funktion gelten kann.

6.4.3

Es wird nicht ersichtlich, wie in der Praxis die Aufsichtsbehörden der Banken und die Aufsichtsbehörden der CCP und CSD in Notfällen mit der gebotenen Eile zusammenarbeiten können. Wie bereits oben ausgeführt fordert der Ausschuss, dass die Erwägung der möglichen Marktrisiken dazu führt, dass alle für die Überwachung von Bankgeschäften und nicht bankspezifischen Geschäften zuständigen Behörden unter der Führung der EZB Abkommen über die ständige Zusammenarbeit und gegenseitige Unterrichtung abschließen, die rasche und wirksame Notfallmaßnahmen ermöglichen.

6.5

Gesetzliche und steuerrechtliche Unterschiede (Ziffer 3 der Mitteilung). Probleme im gesetzlichen Bereich sind so zahlreich und vielgestaltig, dass sie nicht alle systematisch aufgeführt werden können. Die Unterschiede im Bereich der Gesetzgebungen betreffen die Bereiche Vertragsgestaltung, Eigenkapital sowie Internationales Recht, Gesellschafts- und Konkursrecht und sie zeitigen rechtliche Auswirkungen auf alle Prozessphasen beim Erwerb, Clearing und bei der Lieferung von Wertpapieren. Die Kommission bemerkt, dass sich „Unterschiede in den nationalen Rechtsvorschriften nachteilig auf den gesamten Prozess auswirken können“.

6.5.1

Es wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass die Lösung der zahllosen und komplizierten rechtlichen Probleme lange Zeit erfordern wird: Man sollte sich vor Augen halten, dass nationale Eigenheiten und bürokratische Beharrungskräfte häufig zur Verzögerung und Behinderung der Rechtsangleichungsprozesse geführt haben. Der Ausschuss hofft, dass die Mitgliedstaaten einmal ihr Verantwortungsgefühl über nationale Interessen stellen. Die Kommission schlägt die Einrichtung einer Expertengruppe vor, die aus Vertretern von Hochschulen, Behörden und praktizierenden Anwälten besteht und die Aufgabe verfolgt, die bereits von der Giovannini-Gruppe begonnenen Analysen zu vertiefen und angemessene Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Die Gruppe soll auch mit anderen Institutionen (wie UNIDROIT) zusammenarbeiten, die bereits mit ähnlichen Arbeiten auf globaler Ebene begonnen haben. Der Ausschuss empfiehlt, die Gruppe mit Fachleuten und Rechtsexperten aus dem Bereich der Marktakteure zu vervollständigen.

6.5.2

Der von der Kommission angestrebte Rechtsangleichungsprozess kann nicht vor der abschließenden Behandlung der weiteren Aspekte der Rahmenrichtlinie vollendet werden. Zwischenzeitlich wird man mit den bestehenden Rechtslagen auskommen müssen und rechtliche Schritte nur dann ergreifen, wenn sie unbedingt notwendig sind. Überstürzte Maßnahmen, die dann wieder überarbeitet werden müssen, sollten vermieden werden. Andererseits stellt der Ausschuss fest, dass die Märkte bislang mithilfe konsolidierter Geschäftspraktiken ohne größere Probleme funktionierten, nur selten Anlass zu Beanstandungen gaben und noch seltener Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren. Rechtliche Unterschiede sind deshalb weniger als wirkliche Hindernisse denn als Erschwernisse der Verfahren zu verstehen, die zu erheblichen Kostensteigerungen führen.

6.5.3

Diese Betrachtungen gelten auch für steuerrechtliche Maßnahmen. Die unterschiedlichen Gesetzgebungen und der legitime Wille der Mitgliedstaaten, Kapitalerträge zu besteuern, hat zu einem Sammelsurium von Bestimmungen geführt, die häufig diskriminierend und schwer verständlich sind, immer aber hohe Marktkosten mit sich bringen. Der Ausschuss möchte sich nicht im Einzelnen mit den von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen beschäftigen: die sind zwar formal korrekt, dürften aber wohl nicht immer von den Mitgliedstaaten akzeptiert werden, insbesondere dann nicht, wenn Gegensätze ideologischer Natur nicht bereits im Vorfeld beseitigt worden sind. Hauptziel ist die Harmonisierung der Steuereinzugsverfahren: Jedes der zur Wahl stehenden Verfahren hat Vor- und Nachteile, doch sollten die Mitgliedstaaten wenigstens in dieser Frage eine Übereinkunft erzielen.

6.6

Wettbewerbspolitik (Ziffer 4 der Mitteilung). Das Kommissionsdokument widmet dieser Frage besondere Aufmerksamkeit und stellt einen wichtigen Grundsatz auf: Die Maßnahmen zur Liberalisierung und zur Integration der Systeme sowie die Wettbewerbspolitik ergänzen sich gegenseitig. Dieser offensichtlich erscheinende Grundsatz kann bei der praktischen Umsetzung allerdings unterschiedlich, vor allem auch restriktiv ausgelegt werden. Die Kommission erklärt, in der Frage der horizontalen und vertikalen Konsolidierung nicht Stellung beziehen zu wollen, gibt aber zu bedenken, dass Wettbewerbsprobleme entstehen könnten , sofern einige Konsolidierungen zur Entstehung oder Stärkung marktbeherrschender Positionen führen sollten — was bereits jetzt der Fall ist. Das Problem liegt nicht in der marktbeherrschenden Stellung, die alleine genommen nicht rechtswidrig ist, sondern in der rechtswidrigen Ausnützung einer marktbeherrschenden Stellung. Dies könnte angesichts der Charakteristik des Marktes bei der Anwendung der Regeln Probleme bereiten.

6.6.1

Es sind bereits — von der Kommission angeführte — Fälle grenzübergreifender Konsolidierungen nationaler und internationaler CCP aufgetreten, die zur Entstehung von Organisationen beträchtlichen Ausmaßes geführt haben. Andere Formen der Konsolidierung oder der strukturierten Zusammenarbeit sind im Gespräch. Bei der Überprüfung der bestehenden oder künftigen Strukturen auf ihre Übereinstimmung mit den Wettbewerbsregeln muss daran erinnert werden, dass CCP und CSD notwendigerweise zahlenmäßig begrenzt sind und einen erheblichen Umfang aufweisen. Denkt man an ihre besondere Beschaffenheit, dann ist es unrealistisch zu erwarten, dass in jedem Land eine Vielzahl völlig gleichgewichtiger Strukturen entsteht, was in noch stärkerem Maße für die europäische Ebene gilt. Der Unterschied zwischen einer gegenüber anderen Wettbewerbern bedeutenderen Organisation und einem Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung ist gering, und die Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden müssen auf profunder Kenntnis der Eigenheiten und der operativen Notwendigkeiten des Marktes basieren.

6.6.2

Noch schwieriger wäre es, bei anhaltender Tendenz zur horizontalen Konsolidierung zwischen zentralen Akteuren und Bankaktivitäten — wobei sich die Kommission in dieser Frage neutral verhalten möchte — eine marktbeherrschende Stellung oder wettbewerbsverzerrende Aktivitäten festzustellen. Besonders kompliziert und schwierig wird die Kontrolle der Preisgestaltung sein, die sicherlich nicht Gegenstand von Regulierungsmaßnahmen sein kann, die die Kommission allerdings überprüfen möchte, um die Anwendung diskriminierender Kriterien auszuschließen. Die Kriterien der Preisgestaltung folgen den Gesetzen des Marktes (oder sollten diesen folgen) und sind abhängig vom Geschäftsvolumen, dem Risiko, den angebotenen Sicherheiten sowie von einer ganzen Reihe qualitativer Faktoren. Deshalb wird es nicht ganz einfach sein, mit Sicherheit festzustellen, ob Diskriminierung vorliegt und ob es sich um subjektive oder objektive Bewertungen handelt. Noch schwieriger könnte sich die Feststellung erhöhter Preise aufgrund marktbeherrschender Stellung erweisen: Für diesen Tatbestand gibt es keine vorab festgelegten Kriterien, weshalb jeder Fall einzeln bewertet werden muss.

6.6.3

Der Ausschuss möchte zum Abschluss dieser zusammenfassenden Betrachtung der Wettbewerbsaspekte seine grundlegende Zustimmung zu dem von der Kommission gewählten Ansatz ausdrücken, allerdings einen Aufruf zur Zusammenarbeit der Aufsichts- und Wettbewerbsbehörden auf nationaler und europäischer Ebene, die zu zwingenden Vorschriften führt, anfügen. Die Aufsichtsbehörden können (in Zusammenarbeit mit den Wettbewerbsbehörden) eine ex-ante-Kontrolle durchführen, um zu verhindern, dass marktbeherrschende Stellungen zu Missbrauch und Marktausschluss führen. Konfliktträchtige und für den Markt schädliche ex-post-Eingriffe könnten folglich durch die Einführung eindeutiger und sinnvoller Bestimmungen für das Funktionieren und die Überwachung des Marktes weitgehend vermieden werden.

6.6.4

Schließlich beschäftigt sich die Kommission mit dem Problem der Vereinbarungen und der Exklusivvereinbarungen, ohne Stellung zu beziehen. Offensichtlich behält sie sich eine Überprüfung im Einzelfall vor: dies ist ein ausgewogener Ansatz, den der Ausschuss voll und ganz unterstützt.

7.   Schlussfolgerungen

7.1

Der Ausschuss hat das Kommissionsdokument mit großem Interesse zur Kenntnis genommen und es vor allem aus der Perspektive der von ihm vertretenen Sozialpartner untersucht: Er begrüßt den Ansatz und die allgemeinen Ausrichtungen des Dokuments. Er ist der Auffassung, dass die Materie ausgesprochen komplex und heikel ist und deshalb bis zur Verwirklichung der künftigen Richtlinie noch ein weiter Weg zurückgelegt werden muss. Den Sachverständigen zufolge könnte die Umsetzung der Bestimmungen mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

7.2

Der Ausschuss ist sich der Tatsache bewusst, dass die Konsultation aller Beteiligten — Markt, Aufsichtsbehörden und Regierungen — eine notwendigerweise langwierige und schwierige Aufgabe ist, und dass das Rechtsetzungsverfahren für die künftige Richtlinie ziemlich komplex sein könnte. Der Ausschuss fragt sich deshalb, welche Situation in der Zwischenzeit eintreten könnte. Dies ist eine ganz sachlich gestellte legitime Frage, die keine unnötige Aufregung verursachen soll. Schließlich haben die Märkte bewiesen, dass sie auch mit den bestehenden Normen Notlagen überbrücken konnten, und die Behörden haben auch die schwierigsten Situationen im Griff behalten.

7.3

Das Problem stellt sich vielmehr in kurzfristiger Perspektive: Die Entstehung stärkerer und effizienterer Strukturen in Europa wird durch die Weiterentwicklung der Drittmärkte — nicht nur in Amerika, sondern auch in Asien — unterstützt. Eine sinnvolle und mit den Regeln des Markts übereinstimmende Entwicklung darf auch in rechtlicher Hinsicht nicht vom globalen Kontext abgetrennt werden. Deshalb ist bei der Genehmigung oder dem Verbot von Unternehmenszusammenschlüssen oder der Übernahme neuer Geschäftsfelder durch Unternehmen oder Finanzgruppen neben der Beachtung der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen eben auch gesunder Menschenverstand und große Umsicht erforderlich.

7.4

Andererseits ist der Ausschuss der Auffassung, dass Entscheidungen nicht unabhängig von den verschiedenen Wettbewerbsbehörden getroffen werden dürfen: die bindende Stellungnahme der Wettbewerbsbehörden müsste mit sofortiger Wirkung in die Bestimmungen aufgenommen werden — auch wenn diese nicht immer und nicht überall schon in Kraft getreten sind. Der Wille zur Marktöffnungunter Beachtung der Wettbewerbsbestimmungendarf nicht zur Vernachlässigung der Sicherheit der Märkte führen. Dieser Aspekt kann letztlich nur von den Verantwortungsträgern ermessen werden.

Brüssel, den 10. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Die Giovannini-Berichte und damit zusammenhängende Dokumente sind auf der Website der Kommission zugänglich: http://europa.eu.int/comm/internal_market/financial-markets/index_en.htm#otherdocs.

(2)  Steht für „Committee of European Securities Regulators“. Die deutsche Abkürzung AEWRB ist nicht gebräuchlich.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/134


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein integriertes Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens“

(KOM(2004) 474 ENDG. — 2004/0153 (COD))

(2005/C 221/22)

Der Rat beschloss am 9. September 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 149 Absatz 4 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr KORYFIDIS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 10. Februar) mit 107 gegen 2 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   EINLEITUNG

1.1

Nach langjährigen Untersuchungen, vorbereitenden Arbeiten und Konsultationen (1) hat die Kommission ihren Vorschlag für ein„Integriertes Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens“ vorgelegt.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bekundet seine Genugtuung über diesen Sachverhalt und macht darauf aufmerksam, dass die in dieser Stellungnahme zum Ausdruck gebrachten Ideen darauf abzielen, den Vorschlag der Europäischen Kommission an sich möglichst funktionell und effizient zu gestalten.

1.3

Im Lichte der vorstehenden Bemerkungen spielen in die Sichtweise des Ausschusses bezüglich des Vorschlags der Kommission hauptsächlich ihre Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf Folgendes hinein:

den Rückstand bei der Annäherung an die Lissabon-Ziele,

den Rückstand bei der Entsprechung von Bildung/Ausbildung und Produktivität (2),

die demografische Situation in Europa und

die Probleme, die bei der Suche nach Lösungswegen für die genannten Probleme neuerdings auf europäischer und nationaler Ebene auftreten (3).

2.   DER KOMMISSIONSVORSCHLAG

2.1

Der Kommissionsvorschlag (KOM(2004) 474 endg.) sieht eine Neustrukturierung der bestehenden Programme im Bildungsbereich vor. Dem Kommissionsvorschlag zufolge waren im Wesentlichen folgende vier Faktoren Auslöser für diese Umstrukturierung:

Veränderungen in der gesamten EU, die bewirken, dass die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung immer stärker in den Kontext des lebenslangen Lernens eingebunden werden;

wachsende Bedeutung der allgemeinen und beruflichen Bildung beim Aufbau einer wettbewerbsfähigen, dynamischen Wissensgesellschaft in Europa;

bessere Ausschöpfung vorhandener Stärken und Beseitigung der festgestellten Inkohärenzen und Synergiemängel;

Notwendigkeit der Vereinfachung und Rationalisierung der Rechtsakte der Gemeinschaft durch die Schaffung eines integrierten Bezugsrahmens, der die Finanzierung einer großen Bandbreite von Aktivitäten ermöglicht.

2.2

Der Kommissionsvorschlag basiert auf den laufenden Programmen Sokrates und Leonardo da Vinci, dem Programm eLearning, der Initiative Europass sowie den verschiedenen Aktivitäten, die derzeit im Rahmen des „Aktionsprogramms der Gemeinschaft zur Unterstützung von auf europäischer Ebene tätigen Einrichtungen und zur Förderung von punktuellen Tätigkeiten im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung“ finanziert werden.

2.3

Des Weiteren geht der Vorschlag von folgender Feststellung aus: „Aus der Zusammenlegung sämtlicher gemeinschaftlicher Fördermaßnahmen für die transnationale Zusammenarbeit und Mobilität im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung in einem einzigen Programm ergeben sich klare Vorteile. Unter anderem können die Synergien zwischen den verschiedenen Aktionsbereichen besser ausgeschöpft werden, es stehen größere Kapazitäten zur Unterstützung von Entwicklungen beim lebenslangen Lernen zur Verfügung, und die Verwaltungsmodalitäten lassen sich kohärenter, straffer und effizienter gestalten.“ (4)

2.4

Deshalb sollte dem Kommissionsvorschlag zufolge „ein integriertes Programm geschaffen werden, das durch lebenslanges Lernen dazu beiträgt, dass sich die Europäische Union zu einer fortschrittlichen Wissensgesellschaft entwickelt — einer Gesellschaft mit dauerhaftem Wirtschaftswachstum, mehr und besseren Arbeitsplätzen und stärkerem sozialen Zusammenhalt“ (5).

2.5

„Angesichts der Besonderheiten der einzelnen Bereiche des Bildungswesens — Schulbildung, Hochschulbildung, Berufsbildung und Erwachsenenbildung — und der daraus entstehenden Notwendigkeit, die Ziele, Aktionsformen und Organisationsstrukturen der Gemeinschaftsaktivitäten individuell auf diese Bereiche abzustimmen, ist es sinnvoll, das integrierte Programm in Einzelprogramme zu untergliedern, die jeweils auf einen dieser vier Bereiche ausgerichtet sind, und zugleich eine größtmögliche Kohärenz und Übereinstimmung dieser Programme anzustreben“ (6).

2.6

Das „integrierte Programm“ umfasst folgende Kategorien von Programmen:

Sektorale Programme:

das Programm Comenius, das ausgerichtet ist auf die Lehr- und Lernbedürfnisse aller an der Vorschul- und Schulbildung Beteiligten;

das Programm Erasmus, das ausgerichtet ist auf die Lehr- und Lernbedürfnisse aller an der formalen Hochschulbildung und an der auf tertiärer Ebene angesiedelten beruflichen Bildung Beteiligten;

das Programm Leonardo da Vinci, das ausgerichtet ist auf die Lehr- und Lernbedürfnisse aller an der beruflichen Bildung Beteiligten;

das Programm Grundtvig, das ausgerichtet ist auf die Lehr- und Lernbedürfnisse aller an der Erwachsenenbildung jeglicher Art Beteiligten.

Das Querschnittsprogramm umfasst die folgenden vier Schwerpunktaktivitäten:

politische Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft in Bezug auf lebenslanges Lernen;

Förderung des Sprachenlernens;

Entwicklung innovativer IKT-basierter Inhalte, Dienste, pädagogischer Ansätze und Verfahren für lebenslanges Lernen;

Verbreitung und Nutzung der Ergebnisse von im Rahmen des Programms und der entsprechenden Vorgängerprogramme geförderten Maßnahmen sowie Austausch vorbildlicher Verfahren.

Mit dem Programm Jean Monnet werden Einrichtungen und Aktivitäten im Bereich der europäischen Integration gefördert. Das Programm umfasst die folgenden drei Schwerpunktaktivitäten:

die Aktion Jean Monnet;

Betriebskostenzuschüsse zur Unterstützung bestimmter Einrichtungen, die sich mit Fragen der europäischen Integration befassen;

Betriebskostenzuschüsse zur Unterstützung anderer europäischer Einrichtungen und Vereinigungen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung.

2.7

Ein wesentliches Element des Kommissionsvorschlags ist die Überarbeitung der quantitativen Zielvorgaben im Lichte der in der ausführlichen Finanziellen Vorausschau 2007-2013 vorgeschlagenen Beträge. Die neuen Vorgaben lauten:

Teilnahme jedes zwanzigsten Schülers an Comenius-Aktivitäten 2007-2013

3 Millionen Erasmus-Studierende bis 2011

150 000 Leonardo-Praktika bis 2013

25 000 Grundtvig-Mobilitätsaktivitäten bis 2013.

2.7.1

Mit diesen ehrgeizigen Vorgaben ist das neue Programm nach Auffassung der Kommission ein geeignetes Instrument für die Realisierung des Ziels, die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen.

2.7.2

Die Kommission schlägt hierfür einen Richtbetrag von 13,620 Mrd. Euro für die siebenjährige Laufzeit des Programms vor.

3.   ALLGEMEINE BEMERKUNGEN

3.1

Ein konstruktiver Ansatz bezüglich des hier in Rede stehenden Kommissionsvorschlags ist gewiss ein komplexes Unterfangen. Er setzt allgemeine und spezifische Kenntnis der Ziele, der Instrumente und der Schwierigkeiten bei der Gestaltung der europäischen Bildungspolitik voraus. Er impliziert ferner die Möglichkeit einer umfassenden Verknüpfung der bildungspolitischen Weichenstellungen mit den großen Zielen der Union für das 21. Jahrhundert (7) und insbesondere den großen Zielen für das derzeitige Jahrzehnt (8). Und schließlich bedingt er einen entsprechenden Weitblick für die Richtigkeit der Weichenstellungen, die heute für die Zukunft vorgenommen werden.

3.2

Der EWSA hat eine dezidierte Meinung hinsichtlich der Rangordnung der zentralen Ziele der Union aus heutiger Sicht und eine konkrete Vorstellung bezüglich der Kombination des lebenslangen Lernens mit diesen Zielen. Die diesbezüglichen Sichtweisen des EWSA sind in der Sondierungsstellungnahme zum Thema „Ausbildung und Produktivität“ (9) festgehalten, die der EWSA kürzlich auf Ersuchen des niederländischen Ratsvorsitzes ausgearbeitet hat. In diesem Zusammenhang wird die Beschäftigung des EWSA mit dem besagten Kommissionsvorschlag denn auch weitgehend von diesen Sichtweisen und Auffassungen geprägt.

3.3

Des Weiteren spielen in die Betrachtungsweise des EWSA aber auch seine Erfahrungen bezüglich der Ergebnisse der bisherigen Umsetzung der Politiken und dazugehörigen Programme der Union im Bereich der Kultur, der allgemeinen Bildung, der beruflichen Bildung, der Jugend und des Sports mit hinein.

3.3.1

Diese Erfahrungen ergeben — von einzelnen Vorbehalten abgesehen — im Allgemeinen ein insgesamt positives Bild, dem zufolge diese Programme:

einen qualitätsmäßig hochstehenden und effizienten Kommunikationsweg der EU-Organe und dabei vor allem der Kommission mit den europäischen Bürgern darstellen;

ein grundlegendes Betätigungsfeld für die innergemeinschaftliche Entwicklung der Mobilität von Personen, aber auch der Verbreitung von Ideen und bewährten Vorgehensweisen in der Praxis sind;

ein Handlungsfeld bilden, das unmittelbar, aber auch für die Zukunft ein hohes Maß an Mehrwert für Europa abwirft.

3.3.1.1

Es ist darauf hinzuweisen, dass die bisherigen europäischen Bildungsprogramme zu den wenigen Tätigkeitsbereichen der Union gehörten, die sich unmittelbar an die europäischen Bürger richteten. Mit dem neuen Programm müssen einerseits die demokratische Entwicklung auf der Grundlage einer partizipativen Demokratie mit aktiven Bürgern sowie andererseits die Beschäftigung und ein vielseitiger Arbeitsmarkt gefördert werden. Das neue Programm sollte ferner auch zur persönlichen und beruflichen Vervollkommnung der europäischen Bürger beitragen, weswegen die entsprechenden Möglichkeiten geschaffen werden müssen, damit sie ihr Potenzial ausbauen und zum Tragen bringen können. Für die Perspektive der Union und ihr Verhältnis zu ihren Bürgern ist es wichtig, dass ein integriertes Programm entwickelt wird, das sich an die verschiedenen Altersgruppen, die einzelnen Bürger, die Arbeitswelt, die kleinen und mittleren Unternehmen und die Sozialpartner wendet.

3.4

Die von der Kommission vorgeschlagene Auflegung eines „integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens“ wird vom EWSA positiv bewertet. Die diesbezüglichen Vorschläge des EWSA zielen denn auch ausschließlich darauf ab, dieses Programm zu verbessern.

3.4.1

In diesem Zusammenhang macht der EWSA im Kommissionsdokument eine grundsätzliche Schwachstelle bezüglich dessen aus, was unter lebenslangem Lernen zu verstehen ist.

3.4.1.1

Genauer gesagt ist der EWSA der Ansicht, dass eine ganzheitliche Betrachtungsweise (10) der Politik im Bereich der Bildung, der Berufsbildung und der Jugend erforderlich ist, da nach seiner Einschätzung das lebenslange Lernen ein in sich geschlossener Prozess ist, der vom Vorschulalter bis zum Ruhestand reicht (11). Außerdem ist es an der Zeit, dass die bildungsmäßigen Altersgrenzen aufgehoben werden, die die europäischen Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung dem europäischen Bürger bisher aufbürdeten. Daher hatte sich der EWSA von dem betreffenden Programm mehr erwartet, insbesondere was die Gestaltung des lebenslangen Lernens betrifft. Nach Ansicht des EWSA besteht die Hauptschwierigkeit darin, diesem gemeinsamen, horizontalen Konzept des „lebenslangen Lernens“ über die Rechte auf Zugang zu den bereichspezifischen Programmen hinaus eine materielle und rechtliche Grundlage zu geben. Das integrierte Programm sollte spezifisch auf die Mitgliedstaaten ausgerichtet sein, um die Voraussetzungen zu schaffen, die den unbegrenzten Zugang zu einem Programm der allgemeinen und beruflichen Bildung für alle Personen und Altersgruppen unabhängig von den Lebensumständen ermöglichen. Parallel dazu sollte dieser Grundsatz als Grundrecht vor dem Europäischen Gerichtshof einklagbar sein können.

3.4.1.2

Der EWSA ist sich bewusst, dass die Verwirklichung der Perspektive des lebenslangen Lernens im Grunde auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene stattfinden wird. Ferner ist er sich darüber im Klaren, dass es auf europäischer Ebene Hindernisse gibt, wegen derer das vorgeschlagene Programm dem Wesen nach de facto nicht wirklich integriert sein kann. Er plädiert jedoch für entsprechende Bestimmungen in den sektoralen Programmen, mit dem Ziel, die starken Schranken (in Bezug auf Altersgruppen und Lerninhalte), die die bestehenden Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung einander sowie auch den Lernenden in den Weg legen, zu beseitigen. Außerdem spricht er sich für ein aktives Zusammenspiel bei der Ausgestaltung des integrierten Programms und der Programme betreffend die Kultur und die jungen Menschen aus, sowie (mit Blick auf die anzunehmende Ratifizierung der Verfassung für Europa) vielleicht auch der Programme über Sport. Diese Feststellung ist insofern sehr wichtig, als das vorgenannte nicht formelle Bildungsangebot insbesondere für Jugendliche vor allem auf die Verinnerlichung von Grundsätzen abhebt, die für die Beschäftigungsfähigkeit der Bürger und ihr aktives soziales Verhalten erforderlich sind.

3.4.2

Schwächen sind aber auch bei der horizontalen Kommunikation und der Verknüpfung der sektoralen Programme untereinander auszumachen.

3.4.2.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Probleme bei der Erreichung der großen Ziele der Union vielschichtig sind. Deswegen ist für die Lösung dieser Probleme eine Beseitigung der Hindernisse jedweder Art bezüglich Mobilitätsformen erforderlich, die innerhalb der Teilsysteme des Bildungswesens eines Landes und grenzüberschreitend entwickelt werden könnten. Diese Aufhebung der Schranken und Auflagen ist aber auch Voraussetzung, damit das lebenslange Lernen zu einer bewussten und lohnenden Übung wird.

3.4.2.2

Die Begründung des Kommissionsvorschlags enthält eine wichtige Bemerkung, die ursprünglich in der Mitteilung mit dem Titel „Die neue Generation von Programmen im Bereich allgemeine und berufliche Bildung nach 2006“ (12) vorgetragen wurde. Hier heißt es, dass „… die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung immer stärker in den Kontext des lebenslangen Lernens eingebunden werden, um die Herausforderungen der Wissensgesellschaft und des demografischen Wandels besser zu bewältigen (13)“. Leider wird diese Sichtweise in dem vorliegenden Vorschlag nicht in eine konkrete Form gegossen. Im Grunde richtet sich der Vorschlag der Kommission nämlich an die existierenden Strukturen der Bildungssysteme, während auf die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bildungsebenen nur sehr wenig abgehoben wird. Nach Auffassung des EWSA wäre das neue Programm flexibler und innovativer, wenn der Zugang zu den spezifischen Programmen auch vorrangigen Zielgruppen gölte, ohne jedoch etwaige sonstige Interessengruppen wegen ihrer Bildungsqualifikationen oder ihres Alters auszuschließen.

3.4.2.3

Aus diesen Gründen wird denn auch eine Aufstockung der Mittelausstattung und eine Erweiterung des Handlungsspektrums des Querschnittsprogramms vorgeschlagen. Das Ziel dieser Ausdehnung muss darin bestehen, Zusammenarbeitsformen und Aktionen zur Schaffung geeigneter Voraussetzungen für die Schaffung eines echten europäischen Raums des lebenslangen Lernens zu entwickeln, die einen wesentlichen europäischen Mehrwert und einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der Ziele von Lissabon sowie zur nachhaltigen Entwicklung mit sich bringen. Es liegt auf der Hand, dass bei diesen Zusammenarbeitsformen und Aktionen alle Komponenten der Teilsysteme des Bildungswesens (14), die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft ganz allgemein, sowie auch die Gebietskörperschaften — vor allem der regionalen und lokalen Ebene — zusammenwirken sollten.

3.4.2.4

Vor diesem Hintergrund sollte vor allem auch das Programm Grundtvig ausgebaut werden, das auf die Bedürfnisse aller Arten von Erwachsenenbildung ausgerichtet ist.

3.4.3

Ein dritter, aber wesentlicher Schwachpunkt ist bei der Verknüpfung des integrierten Programms mit den Zielen und der Strategie von Lissabon festzustellen.

3.4.3.1

Nach Meinung des EWSA ist bereits eine enorme Verzögerung bei der Verwirklichung der Lissabon-Ziele zu verzeichnen. Außerdem ist das Jahr 2010 nicht mehr fern, und folglich wird es von den Bürgern abhängen, die jetzt im Arbeitsprozess stehen, ob die Ziele von Lissabon erreicht werden oder nicht. Und schließlich müssen im Zusammenwirken mit den Sozialpartnern für das Verständnis der Ziele von Lissabon dauerhafte und umfassende Maßnahmen bezüglich des oben genannten Spektrums europäischer Bürger getroffen werden. Dies bedeutet, dass — neben der umfassenden Förderung des lebenslangen Lernens als Konzept auf sämtlichen Ebenen — es vor allem darum gehen muss, dass diese Bürger die Strategie und die Ziele von Lissabon begreifen und gemeinsam auf deren erfolgreiche Abstimmung auf die Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung und der wissensbasierten Wirtschaft hinarbeiten.

3.4.3.2

Zu diesem Zweck schlägt der EWSA einen Ausbau der Programme im Bereich des lebenslangen Lernens vor, die auf die Bürger ausgerichtet sind, die jetzt im Arbeitsleben stehen, und außerdem zugleich auf eine nachhaltige Entwicklung und die Verwirklichung der wissensbasierten Wirtschaft abzielen. Das heißt, es sollten auf der Grundlage der konkreten Erfordernisse breiterer Programme für eine nachhaltige Entwicklung und die Verwirklichung der Ziele von Lissabon (15) nach Konsultation der Sozialpartner und im Einvernehmen mit diesen spezifische kleine und große Programme im Bereich des lebenslangen Lernens konzipiert werden.

3.4.3.3

Besondere Bedeutung misst der EWSA der Möglichkeit des Zugangs von KMU zu den Programmverfahren bei. Er weist darauf hin, dass nach seinen einschlägigen Erkenntnissen die KMU „... den Rat und die Unterstützung des sozialen und wirtschaftlichen Umfelds benötigen, in dem sie tätig sind, denn für sie ist es sehr schwierig, von sich aus umfassende Weiterbildungsaktivitäten zu entwickeln (16)“. Vor diesem Hintergrund schlägt der EWSA für das Problem der KMU einen spezifischen Lösungsansatz im Sinne einer Vereinfachung der entsprechenden Verfahren vor, so dass den KMU eine Teilnahme an diesem Programm möglich ist und ihnen auch etwas bringt.

3.4.3.4

Die Finanzierung der vorstehenden Vorschläge des EWSA ist im Rahmen der vorgesehenen Mittelausstattung des Programms machbar, wenn das Verhältnis zwischen Mobilität und Entwicklungsmaßnahmen für den Zeitraum bis 2010 zugunsten der Entwicklungsmaßnahmen verlagert wird. Außerdem kann die finanzielle Förderung des Vorschlags des EWSA durch die Sicherstellung einer umfassenderen und stärkeren Kohärenz und Komplementarität zu den anderen einschlägigen Politiken der Union ins Werk gesetzt werden (Artikel 14 des Kommissionsvorschlags). Deswegen müsste die europäische Bildungs- und Forschungspolitik, die Politiken im Bereich des Sozialfonds aber auch der Strukturfonds auch eine Komponente lebenslanges Lernen umfassen. Außerdem müssten die besagten Politiken bis 2010 eine größtmögliche Kompatibilität mit den Zielen des hier in Rede stehenden Programms im Bereich des lebenslangen Lernens annehmen.

3.5

Ein weiterer Mangel betrifft die Verwirrung, die die Kompetenzverteilung zwischen der europäischen, einzelstaatlichen, regionalen und lokalen Ebene stiftet, die aber auch durch die Aufteilung der Kompetenzen zwischen den Gebietskörperschaften und den Sozialpartnern bzw. der organisierten Zivilgesellschaft ganz allgemein entsteht.

3.5.1

Nach Meinung des EWSA ist eine klare und funktionelle Verteilung der Rollen und Zuständigkeiten aller an der Konzipierung des „integrierten Aktionsprogramms“ beteiligten Akteure und Faktoren von vitaler Bedeutung. Bei einem gemeinsamen Unterfangen dieser Größenordnung und einer Ausrichtung auf die Vision des wissensbasierten Europas ist es widersprüchlich, eine Trennung in aktive Politikgestalter und passive Adressaten vorzunehmen.

3.5.2

Das EWSA fordert, dass die Sozialpartner, aber auch die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in das gesamte Spektrum der Prozesse und Aktivitäten im Zusammenhang mit dem „integrierten Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens“ eingebunden werden. Den sozialen und zivilen Organisationen könnte auf Wunsch ein europäisches Gütezeichen „Teilnehmer am integrierten Programm“ verliehen werden, unter der Voraussetzung, dass sie sich selbst zu Aktionen verpflichten, die das integrierte Programm ergänzen. Das Gütezeichen würde ihnen die Mitwirkung in einer „europäischen Koalition für Volksbildung“ ermöglichen, die einen oder mehrere Vertreter in den „Ausschuss für das integrierte Programm“ entsenden könnte. Eine solche aktive Mitwirkung würde das System sozialverträglich machen und ihm die entsprechende Dynamik für ein effizientes Funktionieren verleihen.

3.5.3

Auf diese Weise werden die Voraussetzungen geschaffen für eine Verknüpfung des Programms mit den praktischen alltäglichen sozialen Bedürfnissen, aber auch mit den Erfordernissen des Marktes. Dies bedeutet u.a. die Verbesserung der Möglichkeit der Herbeiführung einer größeren Ausgewogenheit zwischen den Bedürfnissen des Marktes — und zwar insbesondere des Arbeitsmarktes — und den sozialen Bedürfnissen.

3.5.3.1

Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin, dass dem Kommissionsvorschlag der Bezug zu den Prioritäten fehlt, die die Sozialpartner im März 2002 bezüglich des Rahmens der Anstrengungen für eine lebenslange Weiterentwicklung der beruflichen Kompetenzen und Qualifikationen abgesteckt haben.

3.6

Ein weiterer wichtiger Problemkomplex ist die Mobilität, die hierfür bereitgestellten Mittel und deren Verteilung auf die verschiedenen sektoralen Programme.

3.6.1

Nach Ansicht des EWSA ist die Mobilität eine positive Komponente, wenn sie mit qualitativen Elementen der Programme kombiniert wird. Deswegen muss das Ziel einer Verdreifachung der Mobilitätsprogramme auch mit den entsprechenden qualitativen Merkmalen einhergehen. Daher muss in der verbleibenden Zeit bis 2010 die Mobilität der Bürger, die heute im Arbeitsleben stehen, die besagten Qualitätsmerkmale aufweisen und die Verwirklichung der Ziele von Lissabon erheblich voranbringen.

3.6.2

Aus diesem Grund fordert der EWSA eine ausgewogenere Verteilung der für Mobilität bereitgestellten Mittel auf diese Kategorie von Bürgern.

3.7

Der EWSA ist der Auffassung, dass die kommunikative Komponente ein schwerwiegendes Problem für die positive Aufnahme des „integrierten Aktionsprogramms“ seitens der europäischen Bürger ist.

3.7.1

Daher ist er u.a. der Meinung, dass die Bezeichnung „integriertes Programm“ auch für die Vermittlung eines positiven Erscheinungsbildes nicht hilfreich ist.

3.7.2

Deswegen schlägt er vor, die Bezeichnung „integriertes Aktionsprogramm“ durch eine andere Namensgebung zu ersetzen, die eingängig und aussagekräftig ist. Eine solche Bezeichnung wäre nach Meinung des EWSA etwa der Name „Athene“. Sprich der Name der Göttin des Wissens und der Weisheit.

4.   BESONDERE BEMERKUNGEN

4.1

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Bemerkungen sollen in den nachstehenden besonderen Bemerkungen die Vorbehalte und Einwände des EWSA zu den einzelnen Artikeln des Kommissionsvorschlags dargelegt werden. So weit nicht anders angegeben, ist der EWSA mit den einzelnen Artikeln der Kommissionsvorlage grundsätzlich einverstanden.

4.2   Artikel 1-8

4.2.1

Nach Meinung des EWSA müssten die Artikel 1 bis 8 im Sinne seines Vorschlags einer aktiveren Beteiligung der Sozialpartner, der Zivilgesellschaft ganz allgemein und der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften an den einschlägigen Verfahren und Maßnahmen (Ziffer 3.5.2) sowie seines Vorschlags bezüglich der Namensgebung des Programms (Ziffer 3.7.2 des Stellungnahmetexts) umgestaltet werden.

4.2.2

Was speziell die sektoralen Programme angeht, schlägt der EWSA im Lichte seiner allgemeinen Bemerkungen vor, die entsprechenden institutionellen Rahmenbedingungen zu schaffen für den Ausbau gemeinsamer — evtl. langfristiger — Maßnahmen vor allem in denjenigen Sektoren, in denen das Konzept des lebenslangen Lernens und die Anpassung der Bürger an die Herausforderungen unserer Zeit gepflegt wird.

4.3   Artikel 9-14

4.3.1

Artikel 11, der die Vertretung und Mitwirkung der Sozialpartner im Ausschuss betrifft, ist nach Ansicht des EWSA lückenhaft formuliert.

4.3.1.1

Zunächst einmal gibt es ein substantielles Problem bezüglich der Form der Mitwirkung der Sozialpartner in diesem Ausschuss. Der Beobachterstatus der Vertreter der Sozialpartner, selbst wenn ihr Standpunkt in den Sitzungsprotokollen festgehalten wird, verträgt sich nicht mit dem Konzept der partizipativen Demokratie, das die Union in ihrem zur Ratifizierung anstehenden Verfassungsvertrag hochhält. Außerdem kommt es bei der derzeitigen Konstellation vor allem darauf an, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen für eine Kultur der sozialen Mitverantwortung bei der Konzipierung und Ausgestaltung der europäischen Bildungspolitiken. Eine substantielle Mitwirkung der Sozialpartner in diesem Ausschuss (Stimmrecht) würde die Voraussetzungen für eine soziale Mitverantwortung (Mitbestimmung) geschaffen, und dadurch bekäme ihre Rolle eine ausschlagende Bedeutung bei der Konzipierung und Ausgestaltung effizienter konkreter bildungspolitischer Weichenstellungen. Darüber hinaus gibt es neben der Verantwortung der staatlichen Stellen bei Bildungsentscheidungen allgemeiner Art auch die entsprechende Verantwortung der Sozialpartner. Es ist dies die Verantwortung, die sich auf die berufliche Bildung während des gesamten Arbeitslebens bezieht und institutionell durch den Prozess der Kollektivverhandlungen zum Ausdruck kommt bzw. kommen muss.

4.3.1.2

Des Weiteren schafft diese Form der beschränkten Mitwirkung der Sozialpartner in dem besagten Ausschuss einen Vorwand für vergleichbare Entscheidungen auf einzelstaatlicher, regionaler und lokaler Ebene, was aber nicht angehen kann, denn zumindest in einigen Mitgliedstaaten spielen die Sozialpartner bereits eine maßgebliche Rolle bei der Konzipierung der besagten Politiken.

4.3.1.3

Der EWSA ist der Ansicht, dass über die Zusammensetzung des Ausschusses ein gesonderter Dialog stattfinden sollte, und zwar auf einer geeigneten Basis, so dass dieser Ausschuss funktionell und effizient angelegt ist. Ganz allgemein müssten in diesem Ausschuss — im Sinne einer konstruktiven Ausgewogenheit — alle Akteure, die mit dem lebenslangen Lernen zu tun haben bzw. vom lebenslangen Lernen betroffen sind und über das diesbezügliche allgemeine und spezifische Wissen verfügen, in diesem Ausschuss vertreten sein. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass der besagte Ausschuss von seiner Zusammensetzung her so strukturiert sein muss, dass nicht nur die einzelstaatliche Ebene, sondern auch die produktiven und sozialen Kräfte (Sozialpartner, die Zivilgesellschaft ganz allgemein) und die Wissenschaft (akademische Kreise) vertreten sind.

4.3.1.4

Der EWSA hält es schließlich für einen Fehler, die Mitwirkung der Sozialpartner auf Fragen zu beschränken, die ausschließlich mit der beruflichen Bildung zusammenhängen. Die Funktionsweise des Ausschusses sollte in den Prozess der Verwirklichung des wissensbasierten Europas integriert sein. Dies bedeutet, dass dieser Ausschuss ein Beispiel guter Praxis für die politische Konzeption und Ausgestaltung auf der Basis authentischen Wissens sein kann. Und zwar Allgemeinwissen, aber auch Fachwissen als Teil des gesamten Wissensfundus. Deswegen ist es auch sehr wichtig, dass alle Akteure, die in diesem Ausschuss vertreten sind, sowohl funktionell als auch engagiert bei sämtlichen Verfahren dieses Ausschusses mitwirken, bei denen es darum geht, was, wie und warum getan werden soll.

4.3.1.5

Der EWSA fordert eine aktivere Vorgehensweise in Bezug auf die besonderen Lernbedürfnisse von Menschen mit Behinderungen. Daher ersucht er darum, Artikel 12 Absatz b) folgendermaßen umzuformulieren:

Artikel 12 Absatz b) „die Berücksichtigung von Lernenden mit besonderen Bedürfnissen und das aktive Eingehen auf die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen, insbesondere durch Vorkehrungen zur Förderung ihrer Integration in reguläre Bildungs- und Berufsbildungsgänge;“

4.4   Artikel 15-46

4.4.1

In seinen allgemeinen Bemerkungen schlägt der EWSA (in Ziffer 3.4.2) eine Erweiterung des Handlungsspektrums und eine Aufstockung der Mittelausstattung des Querschnittsprogramms und eine entsprechende Reduzierung der Mittel vor, die für die sektoralen Programme bereitgestellt werden.

4.4.1.1

Der Beweggrund für diesen Vorschlag ist nicht schwer zu erraten. Der Ausbau des Querschnittsprogramms und seines Inhalts setzt Prozesse zur Modernisierung der europäischen Bildungssysteme insgesamt in Gang. Dies bedeutet im wesentlichen, dass die Investitionen in das Querschnittsprogramm überwiegend in Form eines jeweiligen konkreten Mehrwerts den europäischen Bildungssystemen zugute kommen. Deswegen sind die Investitionen, die in das Querschnittsprogramm gesteckt werden sollen, in der Praxis die produktivsten und effizientesten Investitionen.

4.4.2

Der EWSA schlägt vor, das nachgebesserte Querschnittsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens mit den Zielen von Lissabon, der nachhaltigen Entwicklung und den europäischen Bürgern, die in der Zeit bis 2010 im Arbeitsleben stehen werden, unmittelbar zu verbinden (Ziffer 3.4.3.2).

4.4.2.1

Diese Verknüpfung bedeutet in der Praxis ein in sich geschlossenes Konzept für unsere Gesamtstrategie für das lebenslange Lernen auf der Basis der Probleme, die uns zu diesem Konzept veranlasst haben, der Ziele, die wir uns zur Überwindung dieser Schwierigkeiten gesteckt haben, sowie der Mittel und Wege, die uns für die Verwirklichung der Ziele zur Verfügung stehen. So impliziert diese Kombination:

Förderung von Untersuchungen und Pilotanwendungen auf der Ebene der Wissenschaftskreise, der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft ganz allgemein, aber auch auf der Ebene der regionalen Gebietskörperschaften über die Frage, wie die Ziele von Lissabon erreicht werden können;

besondere Förderung von Zusammenarbeitsformen der betreffenden Akteure, die dem vorstehend genannten Ziel sowie auch den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung gelten;

Alternativvorschläge der Union auf der Basis bewährter einschlägiger Vorgehensweisen über die Art und Weise der Kombination des lebenslangen Lernens mit den Zielen von Lissabon auf lokaler Ebene.

4.5

Der EWSA ist der Ansicht, dass das vorgeschlagene Programm eine Maßnahme von höchster Bedeutung für die Zukunft der Europäischen Union ist. Deshalb ist es sehr wichtig, dass bei der Abwicklung des Programms Nachjustierungen vorgenommen werden können und eine Verfolgung des Programmablaufs auf höchster Ebene erfolgt. In diesem Zusammenhang stellt der EWSA fest, dass ein einziger interinstitutioneller hochrangig besetzter Ausschuss für die Verfolgung der Abwicklung des Programms im Rahmen der Methode der offenen Koordinierung eingesetzt werden sollte. Die Hauptaufgabe dieses Gremiums würde darin bestehen, mit Unterstützung der Kommission die Abwicklung des Programms im einzelnen zu erfassen und den Europäischen Rat regelmäßig zu unterrichten, damit erforderlichenfalls Korrekturen vorgenommen werden können.

Brüssel, den 10. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Die wesentlichen Stationen dieses jahrelangen Prozesses sind im Anhang zu der vorliegenden Stellungnahme aufgeführt.

(2)  Siehe ABl. C 120 vom 20.5.2005.

(3)  Bei der Suche nach Lösungen für die heutigen zentralen Problematiken der Gemeinschaft, wie die Probleme im Zusammenhang mit den Lissabon-Zielen (Beschäftigung, wissensbasierte Wirtschaft, nachhaltige Entwicklung usw.) hat sich in der letzten Zeit eine starke Mobilität entfaltet. Der gemeinsame Nenner aller vorgeschlagenen Lösungswege für die genannten Probleme ist das lebenslange Lernen und die Notwendigkeit, es als Institution auszubauen. Zu dieser Mobilität zählen u.a. die einschlägigen Initiativen des niederländischen Ratsvorsitzes in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission zu dem „Verhältnis zwischen Ausbildung und Produktivität“ und „der Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit in der Berufsbildung“ sowie der Kok-Bericht mit der Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie im März 2005: http://europa.eu.int/comm/lisbon_strategy/pdf/2004-1866-DE-complet.pdf.

(4)  KOM(2004) 474 - Erwägungsgrund 16.

(5)  KOM(2004) 474 - Erwägungsgrund 17.

(6)  KOM(2004) 474 - Erwägungsgrund 18.

(7)  Gemeint sind hier u.a. die Ziele der Verwirklichung der wissensbasierten Gesellschaft, der nachhaltigen Entwicklung mit ihren drei Dimensionen und des multilateralen Systems der weltweiten Governance.

(8)  Gemeint sind hier die Ziele von Lissabon bezüglich einer wissensbasierten Wirtschaft und einer nachhaltigen Entwicklung (Göteborg) bzw. von Barcelona bezüglich der qualitativen Dimension der europäischen Bildungssysteme.

(9)  Vgl. hierzu Dok. CESE 1435/2004.

(10)  Vgl. hierzu ABl. C 157 vom 25.5.1998, Ziffer 3.7.1, die wie folgt lautet: „Das Schlüsselelement für die Entwicklung des europäischen Bildungsraumes, aber auch für die europäische Bildungspolitik im Allgemeinen ist nach Auffassung des Ausschusses eine integrierte Politik (für die Bereiche Bildung, Ausbildung und Jugend) und die Zusammenlegung der einschlägigen Aktionsprogramme. Das politische Handeln in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Jugend muss von der Konzeptions- und Entscheidungsphase bis zur Phase der praktischen Umsetzung in einen einheitlichen Aktionsrahmen eingebettet werden und in sich geschlossen sein. Damit soll keineswegs der Stab über die Konzipierung bestimmter Bildungsinitiativen und schon gar nicht eine Lanze für politischen Zentralismus gebrochen werden. Dem Ausschuss geht es vielmehr um die Notwendigkeit einer letztlich einheitlichen Strategie im bildungs-, ausbildungs- und jugendpolitischen Bereich und dem auch ein in sich geschlossenes Handlungskonzept“.

(11)  Vgl. hierzu die Begriffsbestimmung für „lebenslanges Lernen“ in Artikel 3 Punkt 27 des Kommissionsvorschlags.

(12)  KOM(2004) 156 endg.

(13)  KOM(2004) 474 endg., Ziffer 1.3 (erster Spiegelstrich).

(14)  Unter den Teilsystemen des Bildungswesens sind die verschiedenen Ebenen (Primär-, Sekundär- und Tertiärbereich), Bereiche (allgemeine Bildung, berufliche Bildung), Akteure (Bildungs- und Ausbildungsstätten, Lehrkräfte) und Formen (formale und informelle Formen) der Bildung zu verstehen.

(15)  Näheres siehe Dok. CES 1435/2004, Ziffer 9 (Beispiel einer bewährten Vorgehensweise).

(16)  Siehe ABl. C 120 vom 20.5.2005.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/141


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bessere Integration von Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen“

(2005/C 221/23)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. Januar 2004 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Bessere Integration von Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 19. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr BARROS VALE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 10. Februar) mit 80 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung und allgemeine Bemerkungen

1.1   Definition des Begriffs „Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen“

1.1.1

Ein strategisches Ziel der EU ist die Erreichung einer harmonischen und homogenen Entwicklung im gesamten EU-Gebiet und dabei insbesondere die Überwindung sozioökonomischer, historischer, geophysikalischer und naturbedingter Hindernisse, welche der Konkurrenzfähigkeit bestimmter Gebiete im Wege stehen und ihre Entwicklung beeinträchtigen.

1.1.2

Eines der wichtigsten Probleme, welche die Lebensbedingungen in bestimmten Gebieten, z.B. Inseln oder Bergregionen, beträchtlich erschweren, ist die Erreichbarkeit. Die geringe Bevölkerungsdichte stellt für mehrere Regionen einen weiteren Entwicklungsnachteil dar. Es gibt Regionen, die gleich mehrere Strukturschwächen aufweisen, so z.B. bergige Inseln, und die daher noch größere Schwierigkeiten haben.

1.1.3

Im Rahmen der Arbeiten zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt hat die Europäische Kommission anerkannt, dass in bestimmten EU-Regionen — Berggebieten, Inseln und dünn besiedelten Gebieten — anhaltende Strukturschwächen (bestimmte geografische oder naturbedingte und demografische Nachteile) bestehen, welche die Wirtschaftsentwicklung lähmen und für die betreffenden Regionen einen wirklichen Entwicklungsnachteil darstellen.

1.1.4

Nach Ansicht des EWSA hat die europäische Regionalpolitik insgesamt gesehen jedoch keine wirklich angemessene Antwort auf diese Probleme gegeben, das heißt, sie hat die schweren Strukturschwächen, unter denen diese Gebiete leiden, nicht gebührend berücksichtigt.

1.1.5

Es wurden zwar durchaus eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt oder sind vorgesehen, die auf einige dieser Gebiete abzielen bzw. diese einbeziehen, es gibt jedoch keine systematische Gemeinschaftspolitik für sämtliche Gebiete mit derartigen Nachteilen, die spezifische Maßnahmen allein für sie und unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten vorsieht.

1.1.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass diese Situation zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass es formal-rechtlich kein wirkliches Gemeinschaftskonzept für „Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen“ gibt.

1.1.7

Im derzeitigen europäischen Kontext der auf 25 Mitgliedstaaten erweiterten Union misst der EWSA einer formal-rechtlichen Anerkennung dieses Konzepts größte Bedeutung bei, vor allem im Hinblick auf die Festlegung eines spezifischen Handlungsrahmens.

1.1.8

Nach Ansicht des EWSA bedürfen diese Regionen besonderer Aufmerksamkeit, insbesondere durch die Schaffung eines spezifischen, nachhaltige Maßnahmen umfassenden Rahmens, da nur durch solche Maßnahmen die besonders häufigen Strukturprobleme auf ein Mindestmaß reduziert werden können. Nur so kann die Gefahr einer zunehmenden Isolierung/Marginalisierung dieser Regionen vermieden und zu ihrer Integration in die Gemeinschaft beigetragen werden, zu der sie ja gleichberechtigt gehören.

1.1.9

Der EWSA hatte bereits in seiner Stellungnahme zur „Zukunft der Berggebiete in der Europäischen Union“ (1) festgestellt, dass in erster Linie eine gemeinsame Sicht gewährleistet werden müsse, indem die Besonderheit dieser Gebiete in den Verträgen anerkannt wird, wie das bereits in Artikel 158 und 299 des Vertrags von Amsterdam der Fall ist. Diese Anerkennung ist durch die Nachteile und die Herausforderungen, die diese Gebiete zu bewältigen haben, gerechtfertigt. Konkret könnte ihnen ein Recht auf Solidarität sowie ein Recht auf unterschiedliche Behandlung und auf Festlegung der Durchführungsbestimmungen (Experimentierklausel) zugestanden werden.

1.1.10

Der EWSA hat stets die Ansicht vertreten, dass diese Gebiete so anerkannt werden müssen, dass sie ausgehend von gefestigten Grundlagen ihre Authentizität wahren und zugleich ihre Wirtschaft diversifizieren können.

1.1.11

Der EWSA begrüßt daher die Tatsache, dass der Verfassungsvertrag der Europäischen Union, der am 16. Juni 2004 von den zur Regierungskonferenz zusammengetretenen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verabschiedet wurde und noch zu ratifizieren ist, einen Artikel enthält, der als Neuformulierung von Artikel 158 des Vertrags von Amsterdam angesehen werden kann und der einen ausdrücklichen Verweis auf Regionen mit anhaltenden Strukturnachteilen wie zum Beispiel Inselgebiete, Berggebiete und dünn besiedelte Gebiete enthält.

1.1.12

Im Abschnitt über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt ist Artikel III-220 enthalten, der die beiden Absätze von Artikel 158 des Vertrags von Amsterdam um folgenden Absatz erweitert: „Unter den betroffenen Gebieten wird den ländlichen Gebieten, den vom industriellen Wandel betroffenen Gebieten und den Gebieten mit schweren und dauerhaften natürlichen oder demografischen Nachteilen, wie den nördlichsten Regionen mit sehr geringer Bevölkerungsdichte sowie den Insel-, Grenz- und Bergregionen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt.“

1.1.13

Die Tatsache, dass Regionen mit solchen Nachteilen im Verfassungsvertrag stehen, stellt nach Ansicht des EWSA zweifellos einen wichtigen politischen Hebel dar, um künftig auf einzelstaatlicher und Gemeinschaftsebene Aktionen durchzuführen, die den Gegebenheiten dieser Regionen besser angemessen sind und auf eine substanzielle Verminderung der anhaltenden Strukturprobleme oder zumindest ihrer Auswirkungen abzielen.

1.1.14

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Europäische Union weiter engagiert den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt fördert, und ist der Ansicht, dass die Anerkennung der Besonderheit dieser Gebiete im Vertrag eine wichtige Zukunftschance für diese Regionen darstellt. Dessen ungeachtet hält der Ausschuss im Hinblick auf die Festlegung einer wirklichen Rechtsgrundlage für die Anerkennung der genannten Gebiete eine weitere begriffliche Klärung für erforderlich, insbesondere in Bezug auf die Frage, was unter dauerhaften naturbedingten Nachteilen, demografischen Nachteilen, dünn besiedelten Gebieten und Berggebieten zu verstehen ist.

1.1.15

Es gilt nun, in der gemeinschaftlichen Rechtsetzung objektiv festzulegen, für welche Gebiete diese Begriffe gelten, damit die künftige Anwendung spezifischer, nachhaltiger Maßnahmen zugunsten dieser Regionen gewährleistet werden kann.

1.1.16

Eine vertragliche Verankerung dieser Definition würde gemeinschaftlichen Maßnahmen, die auf die Besonderheiten dieser Gebiete abgestimmt sind und auf den Ausgleich ihrer strukturellen Nachteile abzielen, mehr Nachdruck verleihen.

1.2   Die Problematik der Inseln der Europäischen Union

1.2.1

Die Insellage ist geografisch und kulturell ein ständiger Nachteil und eine zusätzliche Schwierigkeit für die Wettbewerbsfähigkeit von Inselgebieten.

1.2.2

Auf institutioneller Ebene gibt es eindeutige Verweise auf Inselgebiete (Artikel 154 im Vertrag von Maastricht, Artikel 158 im Vertrag von Amsterdam und Erklärung Nr. 30 im Anhang zum Vertrag von Amsterdam). Darin wird anerkannt, dass die Strukturschwächen im Zusammenhang mit der Insellage die lokale Wirtschafts- und Sozialentwicklung schwer behindern, weshalb empfohlen wird, im Rahmen der EU-Rechtsetzung — wo immer dies gerechtfertigt scheint — Maßnahmen zugunsten dieser Regionen zu treffen, um sie besser und gleichberechtigt in den Binnenmarkt zu integrieren.

1.2.3

Im Bericht über die Inselgebiete vom März 2003 (2) heißt es, dass trotz der wichtigen Verweise in den Vertragstexten bislang kaum spezifische Maßnahmen durchgeführt wurden.

1.2.4

Aus einer Untersuchung der 286 Inselgebiete (3) geht hervor:

diese Inselgebiete haben zusammen etwa 10 Mio. Einwohner und eine Fläche von 100 000 km2 (was 3 % der EU-Bevölkerung und 3,2 % der EU-Fläche entspricht);

das Gesamt-BIP dieser Inselgebiete beträgt etwa 18 Mrd. € (2,2 % des BIP der EU), das Pro-Kopf-BIP (in KKP) 16 300 € (72 % des EU-Durchschnitts), wobei erhebliche Differenzen zwischen den Inselgebieten bestehen;

von einigen Ausnahmen abgesehen ist die wirtschaftliche und soziale Lage dieser Gebiete im Vergleich zu dem Land, zu dem sie gehören, ungünstiger. Das Pro-Kopf-BIP der Inselgebiete liegt im Allgemeinen niedriger als der Landesdurchschnitt, aber nicht unbedingt am niedrigsten in dem betreffenden Land (und auf jeden Fall weit höher als in den zehn ärmsten EU-Regionen);

die Wirtschaft der Inselgebiete ist sehr krisenanfällig, da sie sich stark auf einige wenige Bereiche wie Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus konzentriert. Der Rohstoffmangel behindert die industrielle Entwicklung (Inselgebiete haben im sekundären Sektor eine unter dem EU-Durchschnitt liegende Beschäftigungsquote). Einige Strategien zur Auffächerung der Wirtschaftstätigkeit und Reduzierung der Saisonabhängigkeit sind bereits umgesetzt worden;

Inseln haben verhältnismäßig viele Kleinunternehmen. Besonders nachteilig für die Unternehmen dieser Gebiete ist die geringe Größe ihres Marktes, die niedrige Qualifikation der Beschäftigten und die fehlende Tradition im Bereich der Unternehmensgründungen;

die Inselbevölkerung ist zwischen drei Gebieten sehr ungleich verteilt: 95 % der Einwohner entfallen auf Mittelmeerinseln, nur 5 % auf Atlantik-, Nord- und Ostseeinseln. Noch stärker ist dieses Ungleichgewicht bei der Bevölkerungszahl pro Insel (85 % der gesamten Inselbevölkerung entfallen auf nur 5 Inseln);

die geringe Wohnbevölkerung ist die größte Strukturschwäche. Nach diesem Kriterium liegt eine Schwelle bei 4 000 bis 5 000 Einwohnern; darüber ist das Bevölkerungswachstum im Allgemeinen positiv, die Versorgung und Infrastruktur gut und die Bevölkerung jünger. Unter dieser Schwelle leiden Inseln jedoch besonders stark unter Abwanderung, Bevölkerungsüberalterung und erheblichen Infrastrukturmängeln;

einen dreifachen Nachteil haben — nicht nur wegen der geringen Wohnbevölkerung, sondern auch wegen der Gelände- und Naturbeschaffenheit — Inseln, die bergig sind und zu einem Archipel gehören. Denn solche Inseln haben — abgesehen von dem fast überall vorhandenen Gebirgsrelief — mit Zwängen zu kämpfen, die von der Struktur der Inselgruppe abhängig sind;

Inselgebiete haben aber auch verschiedene Vorteile, die stärker und besser erforscht werden müssen, vor allem im Freizeitbereich (Tourismus, Sport, Zweitwohnsitz usw.), und spielen eine wichtige Rolle bei Seeverbindungen.

1.2.5

Gemäß der Eurostat-Definition von „Inselgebieten“ darf auf der Insel keine EU-Hauptstadt liegen. Vor der Erweiterung fielen daher Großbritannien und Irland aus dieser Definition heraus, doch jetzt sind mit Zypern und Malta auch zwei relativ kleine Inseln davon betroffen. Der EWSA schlägt vor, die Definition erneut zu prüfen, um eventuell zu ermöglichen, dass diese beiden neuen Mitgliedstaaten unter diese Definition fallen. Dies wurde bereits von der Europäischen Kommission in ihrem Vorschlag für die neuen Struktur- und Kohäsionsfonds (4) und im Zusammenhang mit der neuen Europäischen Verfassung (5), die eine Erklärung zu dieser Frage enthält, berücksichtigt.

1.3   Die Problematik der Berggebiete

1.3.1

Die Berggebiete machen etwa 40 % des EU-Gebiets aus und haben 66,8 Mio. Einwohner (17,8 % der EU-Gesamtbevölkerung).

1.3.2

Aufgrund der geophysikalischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten (oft verlaufen in Berggebieten Staatsgrenzen) besteht in Berggebieten für die Entfaltung vieler Wirtschaftstätigkeiten kein geeignetes Umfeld, was sich auf die Lebensweise der Bewohner auswirkt.

1.3.3

In einer vor kurzem veröffentlichen Studie über Berggebiete (6) werden die verschiedenen naturbedingten, wirtschaftlichen und sozialen Hindernisse und das starke Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Gebieten aufgezeigt.

1.3.4

Die Untersuchung gelangt zu der Schlussfolgerung, dass die Mitgliedstaaten eine unterschiedliche Politik zugunsten der Berggebiete verfolgen: einige Länder gehen im Wesentlichen branchenbezogen vor, um die Landwirtschaft/die ländliche Entwicklung zu fördern; andere Länder verfolgen einen multisektoralen Ansatz, besonders in Sektoren wie öffentliche Infrastrukturen, Umwelt und Tourismus.

1.3.5

Weiter heißt es in der Untersuchung über Berggebiete, die Umwelt, die Landschaft und die kulturellen Werte, also das Natur- und Kulturerbe, seien heute durch einzelstaatliche und gemeinschaftliche Rechtsakte besser geschützt, jedoch sei eine bessere Koordinierung mit den Entwicklungsstrategien nötig.

1.3.6

Hinsichtlich der Globalisierung verweist die Untersuchung auf drei Gefahren: die Tendenz, die Berggebiete zu einem „Freiluftmuseum“ zu machen (Natur-/Kulturreservate, Freizeitgebiete); die Tendenz, das Wirtschaftswachstum zu fördern, ohne das Nachhaltigkeitsprinzip zu beachten; und die Tendenz, die Berggebiete veröden zu lassen.

1.4   Probleme von Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte

1.4.1

In Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte ist das Hauptproblem meist die Verkehrsanbindung, sowohl die Fahrtdauer als auch die Fahrtkosten. Häufig besteht das Problem in einem wirklichen Mangel an Verkehrsverbindungen. Skalenerträge sind in solchen Gebieten kaum zu erzielen, was nicht nur ein Problem für privatwirtschaftliche Produktionsstätten, sondern auch für soziale und andere öffentliche Dienste darstellt. Die landesweite gesellschaftliche Solidarität wird auf die Probe gestellt, wenn die öffentlichen Dienste für solche Landesteile höhere Ausgaben verursachen, als es der Bevölkerungszahl entspricht.

1.4.2

Ein weiteres problematisches Merkmal dieser Gebiete ist das Klima. Gegenden mit kaltem Klima sind oft dünn besiedelt. Zu den Mehrkosten für lange Verkehrswege kommen u.a. noch Mehrkosten für Heizung.

1.5   Fragen im Zusammenhang mit dem Verkehr und seinen Kosten, pro Kopf und insgesamt

1.5.1

Das Europäische Parlament erinnert in seiner Entschließung vom 12. Februar 2003 zum Weißbuch Verkehrspolitik daran, dass die Verkehrspolitik zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt beitragen und den besonderen Gegebenheiten der Gebiete in Randlage, der Inseln und Berggebiete sowie der dünn besiedelten Gebiete gerecht werden muss, und verweist darauf, wie wichtig es ist, die besonderen Erfordernisse dieser Gebiete zu berücksichtigen. Aufgrund der geografischen Lage dieser Gebiete ist der Verkehr für sie von strategischer Bedeutung,

1.5.2

Einige dieser Gebiete sind von Verkehrsdiensten in besonderem Maße abhängig: So sind Inselgruppen zur Aufrechterhaltung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zum Festland auf Luft- und Seeverkehrsdienste angewiesen.

1.5.3

Die zusätzlichen Verkehrskosten, die sich aus der Abgelegenheit dieser Gebiete und der erforderlichen Gewährleistung regelmäßiger Verkehrsverbindungen ergeben, stellen für ihre Wirtschaftsentwicklung eine weitere Schwierigkeit dar. Die wirtschaftlichen Nachteile zeigen sich in den erhöhten Kosten des Personen- und Gütertransports nach und aus diesen Gebieten (Inseln, die Zugang zu einem externen Markt finden wollen, haben erhöhte Gütertransportkosten, da sie vom See- und Luftverkehr abhängig sind, der bei gleicher Entfernung teurer ist als der Straßen- und Schienenverkehr); in den erhöhten Vertriebskosten (da hohe Lagerbestände gehalten werden müssen, um Mangel vorzubeugen, der durch klimatische und sonstige Bedingungen entstehen kann, und um die saisonale Nachfrage zu befriedigen); sowie in den erhöhten Produktionskosten (verstärkt durch den kleinen lokalen Markt sowie in einigen Fällen durch die teuren Grundstücke und die geringe lokale Investitionskapazität).

1.5.4

Obwohl diese Gebiete im Vergleich zur gesamten EU wirtschaftlich und demografisch relativ schwach sind, können einige von ihnen, vor allem die stärker peripher gelegenen Gebiete und solche in äußerster Randlage, für Europa eine Plattform zur Entwicklung des Außenhandels mit den jeweiligen Nachbarländern bilden.

1.5.5

So wird argumentiert, dass die gemeinsame Verkehrspolitik — insbesondere durch eine bessere Anbindung der Häfen und Flughäfen dieser Gebiete an die transeuropäischen Netze — eine Notwendigkeit darstellt, um den spezifischen Erfordernissen dieser Gebiete zu genügen und ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu gewährleisten.

1.5.6

Im Bericht des Ausschusses für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr über die strukturschwachen Regionen wird die Rolle hervorgehoben, welche die großen transeuropäischen Netze bei der Behebung der Zugänglichkeitsnachteile und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit im Verkehrs- und Energiesektor spielen können, wenn es darum geht, eine bessere Anbindung dieser Regionen an die übrige EU und eine Verringerung der inneren Zerstückelung der regionalen Märkte zu erreichen.

1.6   Telekommunikationsfragen

1.6.1

Die großen Entfernungen sowohl zu den wichtigsten europäischen Märkten als auch innerhalb der Regionen beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten dieser Regionen in erheblichem Maße.

1.6.2

Die Entwicklung der Informationsgesellschaft, der Telekommunikationsnetze, der Multimediadienste und der technologischen Innovation stellt für diese Regionen eine wirkliche Chance dar.

1.6.3

Dadurch, dass die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien die zeitlichen und räumlichen Hindernisse schrumpfen lassen, schwächen sie die Folgen der Insellage ab, verschaffen den Inseln verschiedene Dienstleistungen (insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich; in letzterem Bereich durch die Entwicklung der Fernmedizin) und sind eine wichtige Voraussetzung für die Wirtschaftsentwicklung dieser Gebiete.

1.6.4

In dem Bewusstsein, dass diese Aspekte für die Wirtschaftsentwicklung vor Ort unverzichtbar sind, unterstützt die EU die Bemühungen der Regionen und der öffentlichen wie privaten Wirtschaftssubjekte, die Telekommunikationsinfrastrukturen zu modernisieren, die für die Schaffung der Informationsgesellschaft erforderlichen Dienstleistungen zu entwickeln und sie so gut wie möglich an das regionale Umfeld anzupassen.

1.6.5

Aus den Untersuchungen geht indes hervor, dass trotz der erheblichen quantitativen (Zahl der Anschlüsse für regionale, nationale und internationale Verbindungen) und qualitativen Verbesserung der Telekommunikationsinfrastrukturen in diesen Regionen und trotz der Entwicklung der Telematikdienste (wodurch die Nutzer der öffentlichen und privaten Dienste besser informiert werden) weiterhin ein erhebliches Entwicklungsgefälle gegenüber den kontinentaleuropäischen Regionen besteht.

1.6.6

Somit sind trotz der erheblichen Fortschritte noch nicht alle Probleme völlig gelöst, und es bleibt zu hoffen, dass die technologischen Fortschritte in den nächsten Jahren positive Veränderungen ermöglichen, um das Gefühl der Isolation bei den Bewohnern dieser Regionen abzuschwächen.

1.7   Infrastrukturen, Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz (insbesondere Häfen, Flughäfen, Eisenbahnen, Straßen) und Zugänglichkeit öffentlicher Einrichtungen (Gesundheitsdienste, allgemeine und berufliche Bildung, Politik der Wissensförderung)

1.7.1

Den Regionen mit anhaltenden naturbedingten Strukturschwächen gelingt es im Allgemeinen nur schwer, die Abwanderung einzudämmen.

1.7.2

Das Fehlen einer kritischen Masse in diesen Gebieten führt im Allgemeinen zu qualitativen und quantitativen Mängeln in den öffentlichen Dienstleistungen. Die höheren Kosten grundlegender Dienstleistungen wie Verkehr bremsen die Wirtschaftsentwicklung dieser Gebiete. Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass öffentliche Dienstleistungen aufgrund ihrer sozialen Auswirkungen auch für die territoriale Dynamik dieser Gebiete entscheidend sind.

1.7.2.1

Da für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen die Mitgliedstaaten zuständig sind, sind politische Maßnahmen in diesem Bereich hauptsächlich eine einzelstaatliche Aufgabe. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten daher auf, solche Systeme für soziale Dienstleistungen zu schaffen, die sich durch landesweite gesellschaftliche Solidarität auszeichnen.

1.7.3

Zwar bieten Informations- und Kommunikationstechnologien einige Lösungen, aber in den meisten dieser Regionen wurden in diesem Bereich nur sehr langsame Fortschritte erzielt.

1.7.4

Der EWSA teilt die Auffassung des Europäischen Parlaments, „dass es die Revision der Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft ermöglichen muss, die Wirkung der Beihilfen für regionale Zwecke in den Gebieten mit dauerhaften geografischen Nachteilen zu verstärken und dort die Aufrechterhaltung qualitativ hochwertiger öffentlicher Versorgungsleistungen sicherzustellen“.

1.8   Zwänge und Potenziale im Zusammenhang mit der Umwelt; die Vielfalt der Ökosysteme

1.8.1

Der Zustand der Umwelt ist in einigen dieser Regionen stark angegriffen, und die Entwicklung des Tourismus, vor allem auf einigen Mittelmeerinseln, verschärft die Umweltsituation noch weiter. Diese Regionen verfügen jedoch über ein immenses Potenzial (z.B. vielfältige Ökosysteme), das aufrechterhalten und nachhaltig genutzt werden kann und muss.

1.8.2

Im Energiebereich sind Inselgebiete, insbesondere in äußerster Randlage, sehr von Erdöllieferungen abhängig (da sie von den großen Energienetzen weit entfernt liegen und die Stromerzeugung teurer ist, weil ihre Stromnetze klein, oft sehr klein, sind). Deshalb müssen die Möglichkeiten der erneuerbaren Energieträger, an denen diese Regionen besonders reich sind, untersucht werden.

1.9   Die Problematik der Wirtschaftstätigkeit; Konzentration auf einzelne Branchen und fehlende Alternativen; die Beschäftigungslage

1.9.1

Eines der großen Probleme dieser Regionen, das aufgezeigt wird, ist die Tatsache, dass sie nur geringe Möglichkeiten zur Gründung und Konsolidierung von Unternehmen bieten. Dies ist auf Kapitalmangel und zum Großteil auf ein wirtschaftliches und soziales Umfeld zurückzuführen, das sich für die Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit schlecht eignet.

1.9.2

In einigen Untersuchungen wird empfohlen, die Wirtschaft dieser Regionen — vor allem jener, die ausschließlich vom Tourismus abhängen — zu diversifizieren und neue integrierte Quellen der endogenen Entwicklung zu erschließen.

1.9.3

In einigen Untersuchungen wird die Auffassung vertreten, ein Ausbildungsprogramm zur Förderung von Innovationen und Unternehmensgründungen sei unerlässlich, um die Entwicklung neuer Sektoren zu fördern oder einen Aufschwung des Fremdenverkehrs zu ermöglichen und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen.

1.9.4

In der Beschäftigungsstruktur hat die Landwirtschaft im Allgemeinen erhebliches Gewicht. Die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich ist ebenfalls hoch, jedoch vor allem durch den öffentlichen Sektor.

1.10   Chancen für den Tourismus und die Freizeitbranche

1.10.1

Der Tourismus hat unbestreitbar große Bedeutung als Triebkraft der Wirtschaftstätigkeit und damit auch bei der Bekämpfung des Entwicklungsrückstands der Regionen mit dauerhaften Strukturschwächen. In einigen Fällen ist der Tourismus sogar der wichtigste Erwerbssektor dieser Gebiete.

1.10.2

Diese wollen sich den entwickelteren Regionen der EU annähern, wofür nach Ansicht des EWSA die Rolle des Tourismus (auf der Grundlage einer wirklichen Professionalisierung) aufgewertet und sein wirtschaftliches Entwicklungspotenzial genutzt werden muss.

1.10.3

Der EWSA vertritt nach wie vor die Ansicht, dass die Wirtschaft dieser Gebiete nicht allein auf dem Tourismus basieren, sondern vielmehr breit gefächert und vielfältig sein sollte.

1.10.4

Bereits in seiner Stellungnahme zur „Zukunft der Berggebiete in der Europäischen Union“ (7) hatte der EWSA die Auffassung vertreten, dass das touristische Angebot der Berggebiete — in den durch die Nachhaltigkeit der Entwicklung gesetzten Grenzen — diversifiziert werden sollte, um eine bessere zeitliche Ausgewogenheit (gleichmäßigere Touristenströme über alle Jahreszeiten) und räumliche Streuung (territoriale Verteilung der Touristenströme) zu erreichen.

1.10.5

Der EWSA bekräftigt seine Auffassung, dass die Eignung von Gebieten zur Aufnahme von Gästen zur Freizeitgestaltung, sei es von Touristen oder nur Erholung Suchenden, von den natürlichen Merkmalen dieser Gebiete abhängt, dass aber diese Funktion auch gefördert und unterstützt werden muss, damit das Angebot der Nachfrage folgen kann.

1.10.6

In den Untersuchungen wird aufgezeigt, dass Tourismus und Freizeitaktivitäten für diese Regionen von großer Bedeutung sind, jedoch auch vor einer allzu großen Spezialisierung auf diese Wirtschaftszweige gewarnt.

1.11   Fähigkeit dieser Regionen, Investitionen anzuziehen, die Abwanderung einzudämmen und ihr eigenes Potenzial zu entfalten

1.11.1

Es handelt sich um Gebiete mit objektiven und dauerhaften Nachteilen, die kontinuierlich Mehrkosten verursachen, weshalb der EWSA größten Wert auf die Umsetzung aktiver Maßnahmen zum Beispiel steuerlicher Art legt, welche die Entwicklung der lokalen Wirtschaft im Hinblick auf das Verbleiben der Bevölkerung in diesen Gebieten fördern.

1.11.2

Unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale und Bedingungen dieser Gebiete und der Tatsache, dass in jedem Einzelfall nach der Strategie vorgegangen werden sollte, die im Hinblick auf die Entwicklungsziele dieser Gebiete angemessen ist, vertritt der EWSA die Ansicht, dass die Unterstützung von gewerblichen Aktivitäten auf dem Gebiet des nachhaltigen und qualitätsbestimmten Tourismus wie auch der lokalen Fertigungsindustrie beispielsweise durch bevorzugte Entwicklung von kundennahen Dienstleistungen für die Unternehmen und die Förderung der Gründung und Entwicklung von Klein- und Kleinstunternehmen besonders wichtige Aspekte im Hinblick auf die Entwicklung der lokalen Wirtschaft mit dem Ziel der Schaffung und/oder Erhaltung von Arbeitsplätzen darstellen.

1.11.3

Der EWSA vertritt ferner die Auffassung, dass durch eine stärkere Zusammenarbeit und Einbeziehung der lokalen Gebietskörperschaften und Sozialpartner dieser Regionen — zum Beispiel im Rahmen gemeinsamer Aktionen — die Bedingungen und die kritische Masse geschaffen werden können, die notwendig sind, um das Entwicklungspotenzial dieser Gebiete besser zu erschließen und das Ziel der Annäherung an die entwickelteren Regionen der Union zu erreichen. Als Fremdenverkehrsgebiete tragen diese Regionen zur Vermittlung der Werte der Europäischen Union bei.

1.11.4

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Zugang zu hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung für die Entwicklung dieser Regionen von entscheidender Bedeutung ist.

1.12   Entfernung zu den wichtigen Märkten und Entscheidungszentren und fehlende kritische Masse für die wirtschaftliche Nachhaltigkeit verschiedener Sektoren

1.12.1

Die große Entfernung dieser Gebiete und auch ihre innere Zersplitterung sind ein offenkundiges Hindernis für ihre Entwicklung, um so mehr, als ihre geringe Größe die Rentabilität großer Investitionen und die Erzielung von Skalenerträgen sowie die wirtschaftliche Nachhaltigkeit verschiedener Sektoren erschwert.

1.13   Situation der repräsentativen wirtschaftlichen und sozialen Verbände dieser Regionen

1.13.1

Die Mitarbeit repräsentativer wirtschaftlicher und sozialer Einrichtungen ist nach Auffassung des EWSA eine Voraussetzung dafür, dass die politischen Maßnahmen an die besonderen Erfordernisse jeder einzelnen Region angepasst werden. Die Tatsache, dass in vielen dieser Gebiete die kritische Masse (Menschen, Infrastruktur, Dienstleistungen usw.) nicht erreicht wird und die Wirtschafts- und Sozialpartner nicht effizient organisiert sind, schränkt die Entwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit ein.

1.14   Europäische und nationale Maßnahmen zur Minderung der dauerhaften Strukturprobleme

1.14.1

Unter die Strukturfondsverordnungen fällt ein erheblicher Teil der Bevölkerung dieser Gebiete (im Falle der Inselgebiete über 95 %), da sie nach Ziel 1 und Ziel 2 förderwürdig sind.

1.14.2

Mit Unterstützung gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Maßnahmen sind verschiedene Programme entwickelt worden, um eine nachhaltige Entwicklung dieser Gebiete auf der Grundlage ihrer spezifischen Vorzüge zu erreichen. Dabei ist die Unterstützung der Entwicklung des lokalen Handwerks, touristischer Projekte, neuer Verkehrs-, Bildungs- und Umweltinfrastrukturen zu nennen.

1.14.3

Ein erheblicher Teil der EU-Fördermittel wurde für die Modernisierung und Stärkung der Produktionssektoren eingesetzt, um zur Schaffung bzw. Erhaltung von Arbeitsplätzen beizutragen. Unter den verschiedenen Maßnahmen sind abgesehen von den herkömmlichen Investitions-Direktbeihilfen einige Finanzierungstechniken zu nennen (Bürgschaftssysteme, Stärkung des Eigenkapitals, Zinsvergünstigungen usw.), die eine Hebelwirkung zur Mobilisierung von Mitteln auf den Kapitalmärkten hatten. Auch die Nebenaspekte der unternehmerischen Tätigkeit wurden durch öffentliche Beihilfen gefördert, nämlich die Erschließung von Gewerbegebieten, die Bereitstellung gemeinsamer Dienste, die Entwicklung von Projekten für die angewandte Forschung, der Technologietransfer und die Nutzung neuer Kommunikationstechnologien.

1.14.4

In der Landwirtschaft wurden spezifische Maßnahmen durchgeführt, um den traditionellen Anbau vor Ort zu stärken und Anreize zur Diversifizierung sowie zur angewandten und experimentellen Forschung zu schaffen.

1.14.5

In der Fischerei und Aquakultur wurden einigen Regionen Finanzmittel für Projekte zum Bau und zur Modernisierung von Schiffen, für Aquakultur, das Management von Fischereihäfen, die Verarbeitung und Vermarktung zur Verfügung gestellt.

1.14.6

Um die Aufnahmekapazitäten zu erhöhen und den spezifischen Erfordernissen bestimmter Sektoren zu genügen, wurde auch eine Reihe von Investitionen im Berufsbildungsbereich getätigt (Aufbau von Einrichtungen, Ausbildungsgänge).

1.14.7

Auch wurden Umweltschutzmaßnahmen ergriffen, um die Umweltverschmutzung zu reduzieren, insbesondere in der Abfallwirtschaft und bei Industrie- und Haushaltsabwässern.

1.14.8

Die spezifischen Gemeinschaftsbeihilfen für die ländliche Entwicklung, die zur Unterstützung der Berggebiete bestimmt sind, sollten die weitere Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen in weniger produktiven Zonen gewährleisten und Investitionen in diese Zonen stärker fördern. Im agrar-ökologischen Bereich wurden landwirtschaftliche Produktionsmethoden gefördert, die den Erfordernissen des Umweltschutzes und der Erhaltung der Natur dienen.

1.15   Bestandsaufnahme der Entwicklung dieser Regionen im Lauf der Jahre, auch vor dem Hintergrund der durchgeführten staatlichen Politik

1.15.1

Die Gemeinschaftsmaßnahmen haben, insbesondere wenn sie mithilfe der Strukturfonds durchgeführt wurden, eine herausragende Rolle bei der Gesamtentwicklung dieser Regionen gespielt, vor allem hinsichtlich der Annäherung an die übrige EU. Diese Maßnahmen hatten sehr wichtige, in einigen Bereichen gar entscheidende Wirkungen, so bei den Verkehrsinfrastrukturen und in der Landwirtschaft und Fischerei, zwei wesentlichen Produktionssektoren.

1.15.2

Die Schaffung bzw. der Ausbau von Infrastrukturen zur Überwindung der Isolation ist einer der sichtbarsten Aspekte der von der EU kofinanzierten Maßnahmen in jedem dieser Gebiete. Die Zugänglichkeit jedes dieser Gebiete wurde deutlich verbessert, was nicht nur der Bevölkerung vor Ort zugute kommt, sondern auch dem Fremdenverkehrsgewerbe. In diesen Gebieten sind wichtige Straßenbauarbeiten durchgeführt worden, und in einigen Fällen wurde der öffentliche Personenverkehr verbessert. In verschiedenen Bereichen wurden die für die Wirtschaftsentwicklung erforderlichen Infrastrukturen verstärkt, um mit der Entwicklung der Erfordernisse Schritt zu halten.

1.15.3

Parallel zur Verbesserung der Luft- und Seeverkehrsverbindungen haben auch die Maßnahmen im Bereich der fortgeschrittenen Kommunikationstechnologien (Telekonferenz, Telediagnose, Telematik, Vernetzung) dazu beigetragen, die Nachteile der Insellage und/oder der weiten Entfernung abzuschwächen.

1.15.4

Auf Branchenebene haben die unternommenen Anstrengungen dazu beigetragen, die Produktivität der Unternehmen zu verbessern und das Angebot auf die Nachfrage vor Ort und den Export auszurichten.

1.16   Streben nach Solidarität in der Strukturpolitik

1.16.1

Im Rahmen der Reform der Strukturfonds 2006-2013 sollten zusätzlich zu den sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten die besondere Lage und die dauerhaften Strukturschwächen der Regionen mit ständigen Nachteilen berücksichtigt werden.

1.16.2

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass bei der Mittelzuweisung für die Priorität II „regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ und auch für die Priorität III „europäische territoriale Zusammenarbeit“, die in der neuen EU-Kohäsionspolitik für den Programmzeitraum 2007-2013 vorgesehen ist, dauerhafte Strukturnachteile wie eine Randlage, Abgelegenheit oder schwere Zugänglichkeit oder eine äußerst geringe Bevölkerungsdichte gebührend berücksichtigt werden, weil sie bekanntlich die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der betroffenen Regionen erheblich behindern.

1.16.3

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission in ihrem Dritten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt vom 18. Februar 2004 die besonderen Probleme dieser Gebiete und die Notwendigkeit spezifischer Maßnahmen, die ihrer besonderen Situation angepasst sind, anerkennt.

1.16.4

Der EWSA befürwortet ferner die Absicht der Kommission, in dem für die Strukturfonds im Rahmen des nächsten Finanzplanungszeitraums vorgeschlagenen Konzept die territoriale Perspektive als Ergänzung zur wirtschaftlichen und sozialen Sicht angemessen zu berücksichtigen. Konkret schlägt die Kommission vor, dass bei der Gemeinschaftshilfe für die Priorität II territoriale Kriterien berücksichtigt werden, welche die Nachteile der Regionen, die aufgrund ihrer geografischen Lage unter Strukturschwächen leiden (Inseln, Berggebiete und dünn besiedelte Gebiete), widerspiegeln.

1.16.5

Der EWSA schließt sich dem Vorschlag der Kommission an, wonach die Mitgliedstaaten berücksichtigen sollen, dass bei der Mittelzuwendung im Rahmen der Regionalprogramme der Besonderheit dieser Regionen Rechnung getragen wird und dass für die Gebiete mit dauerhaften geografischen Nachteilen die Höchstdauer der EU-Beteiligung verlängert wird.

1.16.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Fälle, in denen mehrere dieser Nachteile gleichzeitig auftreten (zum Beispiel Inseln mit Berggebieten und geringer Bevölkerungsdichte), besondere Aufmerksamkeit verdienen.

1.16.7

Er hält es jedoch für wünschenswert, dass die spezifischen Erfordernisse dieser Gebiete nicht nur im Rahmen der Kohäsionspolitik, sondern auf allen Gebieten der Gemeinschaftspolitik berücksichtigt werden.

1.16.8

Um die Probleme der Wettbewerbsfähigkeit von Gebieten mit dauerhaften und entwicklungshemmenden Strukturnachteilen nachhaltig anzugehen, müssen nach Ansicht des Ausschusses parallel zur notwendigen Kohäsionspolitik auch die unmittelbaren oder mittelbaren, positiven oder negativen Auswirkungen anderer Bereiche der Gemeinschaftspolitik (wie z.B. der Wettbewerbspolitik) auf diese Regionen berücksichtigt werden, wenn eine dauerhafte Integration dieser Gebiete in die Gemeinschaft gelingen soll.

1.17   Ziel-1-Gebiete: nachhaltige und angepasste Maßnahmen

1.17.1

Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der strukturschwächsten Gebiete der Europäischen Union ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch für die politische Stabilität und harmonische Entwicklung der Gemeinschaft von großer Bedeutung. Zu Recht sollten die Gebiete mit dem geringsten Entwicklungsniveau der Gemeinschaft und den brennendsten sozialen Problemen dabei Vorrang haben.

1.17.2

Innerhalb der nach 2006 für das Ziel 1 vorgesehenen Strukturmittel sollten Strukturschwächen aufgrund dauerhafter Nachteile je nach deren Schweregrad als entscheidende Kriterien bei der Verteilung gelten. Bei den Mittelzuweisungen sollten auch erschwerende Faktoren wie Inseleffekte, Wüstenbildung oder Zugangsprobleme aufgrund des Bodenreliefs berücksichtigt werden.

1.17.3

Es kommt dabei nicht darauf an, ob ein solches Instrument nun rechtlich als spezifisches Programm oder als Reihe von Einzelvorschriften einer neuen Rahmenverordnung für „Ziel 2“ ausgestaltet wird, sofern eine Reihe von Kriterien oder Zielstellungen gegeben sind:

1.17.3.1

Behebbare oder anhaltende geografische bzw. demografische Zwänge sollten ein explizites Kriterium für die Förderfähigkeit sein.

1.17.3.2

Die Anwendung sollte auf Bereiche abzielen, die zweifelsfrei auf dauerhafte geografische oder demografische Zwänge zurückzuführen sind — vor allem durch:

die Finanzierung der Anschaffung oder Erneuerung von festen oder beweglichen Verkehrsinfrastrukturen;

die Finanzierung von Risikokapital für den Aufbau neuer See- und Luftverkehrsverbindungen innerhalb der Gemeinschaft und zu Drittstaaten;

die Finanzierung öffentlicher Infrastrukturen, deren Ausbau aufgrund einer Insellage, reliefbedingter Abgeschiedenheit oder einer geringen Bevölkerungsdichte gerechtfertigt ist;

die Übernahme bestimmter Mehrkosten aus der Anwendung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften in diesen Gebieten (zum Beispiel von Vorschriften in den Bereichen Umwelt, Abfallwirtschaft, Wasser usw.);

Beihilfen für Unternehmen in Inselgebieten (insbesondere für kleine Unternehmen) für verkaufsfördernde Maßnahmen und Marktstudien, soweit diese dazu beitragen, Probleme im Zusammenhang mit der geringen Größe ihres lokalen Marktes zu bewältigen usw.

1.17.3.3

Bei der Verteilung der entsprechenden Mittel sollte auf der Grundlage des Prinzips der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden, wie gravierend der jeweilige Nachteil ist; dies ließe sich anhand der Zugänglichkeit, der demografischen Situation und eventuell auch anhand der Produktivität feststellen. Die Vielzahl von Problemen, von der zahlreiche Inselgebiete betroffen sind (Zersplitterung des Territoriums der Archipele, demografische Probleme oder die gebirgige Beschaffenheit eines Teils ihres Territoriums), muss bei diesen Verteilungskriterien Berücksichtigung finden.

1.17.4

Damit die Schaffung eines solchen Instruments kein rein symbolischer Akt bleibt, müssen die Mittel bedarfsgerecht sein, d.h. mindestens der derzeit für Ziel-2-Gebiete bereitgestellten Unterstützung und höchstens dem derzeit für Ziel-1-Gebiete vorgesehene Betrag entsprechen.

1.18   Die Überprüfung der Vorschriften für staatliche Beihilfen (8)

1.18.1

Die von den Mitgliedstaaten gewährten staatlichen Beihilfen sind vergleichsweise viel umfangreicher als die Strukturfonds an sich. Es ist daher für diese Gebiete von größter Bedeutung, dass die von der Gemeinschaft verwalteten Beihilferegelungen den Mehrkosten und Zwängen, die sich aus ihrer spezifischen Situation ergeben, Rechnung tragen.

1.18.2

Vertreter dieser Gebiete fordern einen flexibleren Rahmen und argumentieren, dass Beihilfen zum Ausgleich der durch ihre Situation bedingten Mehrkosten den Wettbewerb auf dem Markt nicht verzerren, sondern eher wieder ins Gleichgewicht bringen.

1.18.3

Die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Beihilfen und insbesondere staatliche Beihilfen für regionale Zwecke und Beihilfen für die Landwirtschaft müssen daher überprüft werden. In diese Rechtsvorschriften müssen nach dem Grundsatz der positiven Diskriminierung die durch die spezifische Situation dieser Gebiete bedingten Zwänge und ihr möglicher Zusammenfall mit anderen anhaltenden, geografisch oder demografisch bedingten Strukturschwächen aufgenommen werden. Beispiele dafür sind:

1.18.3.1

Die Vorschriften über staatliche Beihilfen mit regionaler Zwecksetzung berücksichtigen die Nachteile von Regionen mit sehr geringer Bevölkerungsdichte und erlauben diesen derzeit höhere Beihilfequoten sowie Direktbeihilfen für den Verkehrssektor. Abgesehen von einer Erwähnung am Rande findet sich in den Vorschriften keinerlei Verweis auf Inselgebiete. Daher sollten zumindest folgende, zugunsten von dünn besiedelten Gebieten bestehende Vorschriften auf sämtliche Inselgebiete ausgedehnt werden:

vergleichbare Obergrenzen für die Netto-Subventionsäquivalente,

Genehmigung von Betriebsbeihilfen zur Deckung nachweislicher Mehrkosten im Bereich des Verkehrs.

1.18.3.2

Diesen Rechtsvorschriften zufolge sind Betriebsbeihilfen bestenfalls „vorübergehend und in degressiver Form“ zulässig. Bei dieser Einschränkung wird die Dauerhaftigkeit der inselbedingten Nachteile nicht beachtet; sie sollte daher abgeschafft werden, insbesondere im Hinblick auf Beihilfen im Verkehrssektor.

1.18.3.3

Das formelle Verbot von Direktbeihilfen für handelsbezogene Verkehrsverbindungen zwischen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft muss im Fall der Inseln überprüft werden. Diese Beihilfen könnten nämlich zu einer besseren wirtschaftlichen Integration der Inseln in die Gemeinschaft beitragen und es ihnen ermöglichen, von ihrer geografischen Lage in den Seegebieten rings um Europa zu profitieren. Dies gilt insbesondere für die Inselgebiete, die näher zur Küste eines anderen Mitgliedstaates als zu ihrem Mutterland liegen, und noch viel mehr und auf anderer Ebene für jene Inselgebiete, bei denen die Handelsverbindung zur Gemeinschaft transozeanisch ist.

1.18.3.4

Die Frage der Verkehrsbeihilfen sollte auch im Rahmen der Welthandelsorganisation behandelt werden, um den Aufbau von Direktverbindungen zu den nächstgelegenen Drittländern zu fördern.

1.18.3.5

Die für den See- und Luftverkehr geltende Wettbewerbsregelung umfasst mehrere Bestimmungen über Inseln, die es zu verbessern oder zu ergänzen gilt:

Die Regel des „geringsten Gebots“ sollte durch die Berücksichtigung von Faktoren wie den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen, die eine Auftragsvergabe für eine Insel haben kann, flexibilisiert werden.

Die stückweise Ausschreibung von Verkehrsdienstleistungen für eine Region sollte vermieden werden, wenn dieses Verfahren die Qualität und Zuverlässigkeit der Dienstleistungen gefährden könnte.

Die Dauer der öffentlichen Dienstleistungsverträge sollte im Seeverkehr verlängert werden können, um der Abschreibungsdauer von Schiffen Rechnung zu tragen.

1.18.3.6

Auch im Falle der Beihilfen für die Landwirtschaft und Fischerei müssen besondere Maßnahmen zur Unterstützung lokaler Erzeuger ins Auge gefasst werden, um die Auswirkungen der Mehrkosten aufgrund des Transports oder der geringen Marktgröße zu reduzieren. Das wäre zum Beispiel der Fall von Betriebsbeihilfen für kleine Verarbeitungsbetriebe (Schlachthöfe, Molkereien usw.), wenn das geringe Volumen der Produktion der Region oder die Schwäche des lokalen Marktes keine rentable Bewirtschaftung zulässt.

1.18.3.7

Die Anwendung von einheitlichen Steuersätzen bei der indirekten Besteuerung (Mehrwertsteuer, Verbrauchsteuern usw.) trägt tendenziell zur Verschärfung der Situation in den Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen bei, da dort die Verbraucherpreise höher sind. Die Mitgliedstaaten müssen eine gewisse Flexibilität bei der Anwendung bestimmter Steuersätze in diesen Gebieten zulassen, wenn dies zur Verringerung von deren strukturbedingten Mehrkosten und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Inselbevölkerung beiträgt. Gleiches gilt aus offensichtlichen Gründen auch für die Besteuerung im Verkehrssektor und die Benutzungsgebühren (z.B. Flughafengebühren).

2.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

2.1

Die Schutzlosigkeit der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen erschwert ihre Entwicklung und verschärft ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme. In einem vergleichbaren unmittelbaren Umfeld hätte die Bevölkerung einer Region ohne diese Strukturschwächen mehr Wohlstand oder zumindest weniger Probleme.

2.2

Es wäre unrichtig und grob vereinfacht zu sagen, dass die Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen vom Schicksal zu einer Existenz als zweitklassige Regionen und ihre Bewohner dauerhaft zur Unterentwicklung verurteilt sind. Die europäischen Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen besitzen in vielen Fällen eine Reihe von Vorzügen und Potenzialen, die es zu erschließen gilt. Dazu gehören unter anderem ihre Nähe zu wichtigen Naturressourcen, ihre Kapazitäten zur Erzeugung erneuerbarer Energien, ihre Attraktivität für den Tourismus, ihre geostrategische Lage, ihre Nähe zu den Seeverkehrsverbindungen, die Vielfalt der Ökosysteme usw.

2.3

Das Problem dieser Gebiete besteht nun darin, dass sie zur Nutzung dieser Chancen wahrscheinlich viel mehr Anstrengungen machen und viel größere Risiken eingehen müssen, als es bei einem vergleichbaren Unterfangen in einem privilegierteren Gebiet der EU notwendig wäre. Bei einer Rezession sind sie hingegen aufgrund der geringeren Rentabilität ihrer Wirtschaft als erste betroffen.

2.4

Eine Gemeinschaftspolitik zugunsten von Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen muss folglich eine Reihe von Maßnahmen beinhalten, die die Schutzlosigkeit dieser Gebiete soweit wie möglich ausgleichen und eine wirkliche Chancengleichheit gegenüber den anderen Gebieten der EU herbeiführen. Da diese Politik eine Antwort auf objektive naturbedingte Zwänge darstellt, muss sie auch in Abhängigkeit von der Stärke dieser Zwänge abgestuft sein. Daher darf sie nicht als Ersatz für die traditionellen kohäsionspolitischen Maßnahmen gesehen werden, sondern muss zu ihrer Ergänzung dienen.

2.5   Wie sollte diese Politik aussehen?

2.5.1

Eine Gemeinschaftspolitik zugunsten der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen muss auf drei Grundsätzen und mehreren Zielen fußen:

Erstens dem Grundsatz der „Stetigkeit“ der Maßnahmen, da die geografischen Zwänge dieser Gebiete dauerhafter Natur sind. Dieses Stetigkeitsprinzip steht im Kontrast zum Begriff des „Aufholens“, der bislang den Gemeinschaftsmaßnahmen zur Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme zugrunde lag.

Zweitens dem Grundsatz der „positiven Diskriminierung“. Danach gelten Maßnahmen zum Ausgleich dauerhafter Strukturschwächen in bestimmten Gebieten nicht als ungerechtfertigte Bevorteilung, sondern als Beitrag zur Herstellung gleicher Bedingungen. Die positive Differenzierung unterscheidet sich übrigens von der Diskriminierung, die vom Europäischen Gerichtshof wie folgt definiert wird: „Die Diskriminierung besteht darin, unterschiedliche Sachverhalte gleich oder gleiche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln.“ (Entscheidung des Gerichts Erster Instanz '– vierte Kammer — vom 26. Oktober 1993 in den verbundenen Rechtssachen T-6/92 und T-52/92).

Drittens dem Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“, da die Situationen der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen vielfältig sind. Die Umsetzung einer positiven Differenzierung im Hinblick auf Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen ist nur vertretbar, wenn sie auf der Grundlage ihrer geografischen, demografischen und ökologischen Gegebenheiten und der sich daraus ergebenden Zwänge erfolgt. Diese Gegebenheiten unterscheiden sich natürlich von Region zu Region.

2.5.2

Es geht nicht so sehr darum, auf das gesamte Gebiet systematisch einheitliche Maßnahmen anzuwenden, sondern vielmehr um die Schaffung eines geeigneten Rahmens für die Berücksichtigung dieser Unterschiede. Dieser Rahmen, der sich auf Rechtsvorschriften, auf Finanzmittel und auf Formen der Governance stützen sollte, müsste die Ausarbeitung abgestimmter Einzellösungen für die Gebiete ermöglichen, die im Verhältnis zur Art und Schwere der jeweiligen Probleme stehen. In bestimmten Fällen bedeutet dies gemeinsame Maßnahmen für alle Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen. In anderen Fällen dagegen wird dies spezifische Bestimmungen für eine bestimmte Situation erfordern, die nicht verallgemeinert werden können.

2.6   Zielsetzungen einer Politik zugunsten der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen

2.6.1

Es gibt dreierlei Zielsetzungen für eine Politik zugunsten der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen, nämlich soziale, wirtschaftliche und ökologische Ziele. Diese Ziele greifen ineinander über.

2.6.2

Im Hinblick auf einen angemessenen Einsatz der Beihilfen in den benachteiligten Gebieten sollte möglicherweise der Begriff „Nachhaltigkeit“ in doppeltem Sinne verwandt werden: erstens in einem sozioökonomischen Sinne (um den Fortbestand von Familienbetrieben und leistungsfähigen Produktionssystemen zu gewährleisten und so der Abwanderung entgegenzuwirken) und zweitens im Sinne umweltfreundlicher Praktiken.

2.6.2.1

Soziale Zielsetzungen: die sozialen Zielsetzungen einer Gemeinschaftspolitik zugunsten der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen bestehen darin, dass es den Bewohnern dieser Gebiete ermöglicht wird, „in ihrer Heimat zur Welt zu kommen, zu leben und zu arbeiten“.

2.6.2.2

Die Bewohner dieser Gebiete müssen Infrastrukturen und Dienstleistungen in einem Umfang und einer Qualität vorfinden, die denen anderer EU-Regionen so weit wie möglich entsprechen.

2.6.2.3

Dies betrifft zahlreiche Bereiche, vor allem jedoch die allgemeine Bildung, die berufliche Erstausbildung und die lebensbegleitende Weiterbildung, das Gesundheitswesen, den Verkehr und die Telekommunikation. Die Gleichstellung mit anderen EU-Regionen kann nicht rein statistisch definiert werden, sondern bemisst sich anhand der Qualität. Bei sehr komplexen Infrastrukturen und Dienstleistungen ist die Bevölkerung einer solchen Region besonders benachteiligt, denn die Größe und die Kosten dieser Infrastrukturen und Dienstleistungen stehen in keinem Verhältnis zur Zahl der Bewohner. Für dieses Problem gibt es keine einheitliche Lösung, jedoch einen Grundsatz: es sollten Leistungen von optimaler Qualität ins Auge gefasst werden, um zumindest die Abwanderung der Bevölkerung zu verhindern.

2.6.2.4

Erforderlich ist der Einsatz von Mitteln aus den Strukturfonds, insbesondere im Bereich des Verkehrs (feste oder bewegliche Infrastrukturen), der Abfall- und Wasserwirtschaft, Bildung und Gesundheitsversorgung. Auf dem Gebiet des Verkehrs, der Energie und Telekommunikation müssen diese Maßnahmen durch eine wirksame Anwendung von Artikel 154 des EG-Vertrages über transeuropäische Netze mit ausreichenden Finanzmitteln verstärkt werden.

2.6.2.5

Die Bewohner von Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen müssen zu sozial vertretbaren Preisen Zugang zu Konsumgütern und Dienstleistungen haben.

2.6.2.6

In bestimmten Fällen kann das Fehlen gleicher Chancen durch die Herabsetzung von Verbraucherpreisen und die Förderung der Ansiedlung von Dienstleistungsunternehmen in den abgelegensten und am dünnsten besiedelten Gebieten ausgeglichen werden.

2.6.2.7

Die erforderlichen Mittel sind sozial ausgerichtete Interventionen wie zum Beispiel:

Direktbeihilfen für bestimmte Handels- und Dienstleistungsunternehmen;

Vorzugstarife im See- und Luftverkehr für in diesen Gebieten Ansässige;

Angebot an hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen.

Der Umfang einiger dieser Maßnahmen sollte proportional zur Abgelegenheit oder Isoliertheit der betroffenen Gemeinden und umgekehrt proportional zur Größe ihres Marktes sein.

2.6.2.8

Eine umfassende Inanspruchnahme der Bestimmungen von Artikel 73 des EG-Vertrages (öffentliche Verkehrsdienstleistungen), Artikel 86 Absatz 2 (Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind) und Artikel 87 Absatz 2 (Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher) könnte in bestimmten Fällen als Grundlage für solche Bestimmungen dienen.

2.6.3

Wirtschaftliche Zielsetzungen: Die wirtschaftlichen Ziele einer Gemeinschaftspolitik zugunsten von Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen müssen zu deren Integration in den Binnenmarkt unter Berücksichtigung ihrer sozialen und ökologischen Schutzbedürftigkeit beitragen. Die Prinzipien der freien Marktwirtschaft müssen daher durch die Grundsätze des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts abgefedert werden.

2.6.3.1

Die wirtschaftliche Integration dieser Gebiete in den Binnenmarkt erfordert faire Bedingungen.

2.6.3.2

Im Allgemeinen könnten die im Verkehrsbereich anfallenden Mehrkosten durch Direktbeihilfen an Unternehmen ausgeglichen werden.

2.6.3.3

Fallweise und in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation sollten Bestimmungen erlassen werden, die auf den Ausgleich der geringen Größe des lokalen Marktes und der Begrenztheit der natürlichen und personellen Ressourcen abzielen. Es geht hier um Anreiz- und Fördermaßnahmen für die Privatwirtschaft, die in Abhängigkeit von der Branche bzw. Aktivität, ihrer Rentabilität und ihrer sozialen und ökologischen Auswirkungen differenziert werden müssen.

2.6.4

Ökologische Zielsetzungen: Die ökologischen Zielsetzungen einer Gemeinschaftspolitik zugunsten der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen bestehen in der Sicherung des Umweltschutzes in diesen Gebieten im Einklang mit den Erfordernissen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Die Umwelt umfasst die natürlichen Ressourcen, Landschaften und Ökosysteme dieser Regionen sowie ihr Kulturerbe in unterschiedlichster Form: Architektur, Baudenkmäler, sprachliches Erbe, Liedgut, Tänze, Literatur, Kunsthandwerk usw.

2.6.4.1

Der Schutz der Umwelt sollte keine statische oder vergangenheitsbezogene Sache sein, bei der man die Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen zu einer Art Indianerreservat macht. Es handelt sich vielmehr um eine aktive und dynamische Methode, mit der insbesondere die nachhaltige Entwicklung gefördert werden soll, mit der die Bewohner im Lande gehalten und ihnen gute Lebensbedingungen geboten werden können.

2.6.4.2

Die ökologischen Zielsetzungen erfordern Maßnahmen auf sehr unterschiedlichen Ebenen, natürlich auf der lokalen Ebene, aber auch auf nationaler, europäischer und mitunter sogar auf globaler Ebene. Beispiele:

Voraussetzung für die Bewahrung des sprachlichen Erbes sind schulpolitische Maßnahmen auf lokaler und nationaler Ebene.

Der Schutz der Küsten vor Meeresverschmutzung erfordert die Überwachung der Schifffahrt in den Hoheitsgewässern und internationalen Gewässern und entsprechende Zwangsmaßnahmen (zum Beispiel bei der Durchfahrt durch Meerengen), über die zwischen den Anrainerstaaten, aber auch auf globaler Ebene (im Rahmen der Weltschifffahrtsorganisation) verhandelt wird.

Die Bewirtschaftung der Fischbestände hängt je nach Fall von der Mitwirkung der Gebiete, der Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft, aber auch von Drittländern (wie in der Karibik) oder von internationalen Gremien (wie beim Fischfang im Nordatlantik) ab.

Sämtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Beobachtung des Treibhauseffekts und der Eindämmung seiner Folgen müssen notwendigerweise auf allen vorgeschalteten Ebenen behandelt werden, erfordern jedoch auch ein Vorgehen auf globaler Ebene im Rahmen der Vereinten Nationen und der verschiedenen Umweltkonferenzen.

2.6.4.3

Die ökologischen Zielsetzungen sind weitgehend eine Frage des Regierens. Die Gemeinden auf den Inseln, im Norden Europas, in den Berggebieten oder in äußerster Randlage müssen zu den umweltpolitischen Entscheidungen, die sie betreffen, gehört und möglichst in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.

2.6.4.4

Die Europäische Union muss bei der Behandlung von Umweltfragen auf internationaler Ebene (namentlich bei den Fischereiabkommen mit Drittstaaten oder bei der Bekämpfung des Treibhauseffekts) insbesondere die spezifische Schutzbedürftigkeit der Regionen mit anhaltenden Strukturschwächen berücksichtigen.

3.   Schlussbemerkung

3.1

Angesichts der Bedeutung der in dieser Initiativstellungnahme behandelten strukturschwachen Regionen und ihrer geografischen Streuung in der EU sowie angesichts der Erwägungen und Anregungen, die der EWSA im Hinblick auf eine bessere Integration dieser Regionen vorzutragen hat, wird der EWSA die Entwicklung dieser Problematik weiter verfolgen, um zur Bewertung der verschiedenen, zur Lösung der Probleme dieser Regionen durchzuführenden Politiken beizutragen.

Brüssel, den 10. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 187.

(2)  Bericht über die Inselgebiete und Gebiete in äußerster Randlage in der EU vom März 2003 (2000.CE.16.0.AT.118).

(3)  EUROSTAT definiert Inselgebiete nach folgenden fünf Kriterien: die Insel muss mindestens 1 km2 groß sein, vom Festland mindestens 1 km entfernt liegen und mindestens 50 ständige Einwohner haben; es darf keine Straßen- oder Schienenverbindung zum Festland bestehen; auf der Insel darf keine EU-Hauptstadt liegen.

(4)  KOM(2004) 492 endg., Artikel 52 Absatz 1 Buchstabe b) i).

(5)  Anhang XIX.

(6)  „Mountain Areas in Europe: Analysis of mountain areas in EU member states, acceding and other European countries“, Europäische Kommission, Januar 2004.

(7)  ABl. C 61 vom 14.3.2003, S. 187.

(8)  Als staatliche Beihilfen gelten direkte Transferzahlungen an Unternehmen in Form von Zuschüssen, Steuerbefreiungen, Kapitalbeteiligungen, zinsverbilligten Darlehen, Steuerstundungen und Bürgschaften. Für die Berechnung werden die entsprechenden Einzeldaten harmonisiert und in einen gemeinsamen, für alle Länder vergleichbaren Indikator integriert.


8.9.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 221/153


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Verbraucherpolitik nach der EU-Erweiterung“

(2005/C 221/24)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Juli 2003 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Die Verbraucherpolitik nach der EU-Erweiterung“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2004 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 10. Februar) mit 95 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung und Begründung

1.1

Die EU-Erweiterung um gleichzeitig zehn neue Mitgliedstaaten wirft nicht nur quantitative Probleme auf.

Eine der grundlegenden Aufgaben des Europäischen Konvents war die umfassende Analyse der Auswirkungen der Erweiterung auf die Strukturen und Arbeitsweise der EU. Sie hat zu einer ganzen Reihe von Initiativen geführt, die in den Verfassungsentwurf eingeflossen sind.

Auch im Rahmen der sektorspezifischen Politiken sind Überlegungen über die Auswirkungen der Erweiterung auf die einzelnen betroffenen Sektoren notwendig (1).

1.2

Speziell zu den qualitativen Folgen der Erweiterung auf die Verbraucherpolitik und das Verbraucherrecht in der EU sind bislang jedoch keine systematischen und gründlichen Überlegungen angestellt worden; das Gleiche gilt für die etwaigen Änderungen von Verbraucherpolitik und -recht zur Anpassung an einen neuen Markt mit etwa 500 Millionen Verbrauchern.

1.2.1

Auf dem Europäischen Verbrauchertag am 14./15. März in Thessaloniki, dessen Mitveranstalter der EWSA war, wurde insbesondere hervorgehoben, dass die Erweiterung beträchtliche Veränderungen nicht nur bei den Grundzügen der Verbraucherpolitik, die sich im Vertrag niederschlagen werden, mit sich bringen kann, sondern auch bei der konkreten Gestaltung neuer Verbraucherschutzmaßnahmen und bei der Art und Weise, wie diese — mit einem ausreichenden Harmonisierungsgrad — im gesamten Gemeinschaftsraum angewandt und durchgesetzt werden, denn in diesem Raum wird die Spannweite der einzelstaatlichen Vorschriften erheblich und unvermeidlich zunehmen.

1.3

Dabei geht es um einen wirklichen „qualitativen Sprung“, d.h. eine andere Art und Weise des Verbraucherschutzes und eine andere Form des Verbraucherrechts, welche die Befragung und Einbeziehung des Verbrauchers sowie seine Vertretung auf allen politischen Entscheidungsebenen umfasst; dies erfolgt bislang auf unterschiedlichen Ebenen, mit unterschiedlichen Verbraucherpraktiken und -gewohnheiten, unterschiedlichen kulturellen Traditionen, Rechtsvorschriften und Verhaltenskodizes.

1.4

Ziel der vorliegenden Initiativstellungnahme war es daher, möglichst eingehende Überlegungen über die Auswirkungen der Erweiterung auf Verbraucherpolitik und –recht anzustellen; daraus sollten nach Möglichkeit Vorschläge zu den Ausrichtungen der Verbraucherpolitik in den ersten Jahren nach der völligen Integration der neuen Mitgliedstaaten, zu etwaigen Änderungen des Acquis im Bereich des Verbraucherschutzes, der Förderung der Verbraucherinteressen und der Partizipation der Verbraucher sowie auch zu neuen, als notwendig erachteten Rechtsetzungsinitiativen hervorgehen.

2.   Gewählte Vorgehensweise und Vorarbeiten

2.1

Zur Vorbereitung dieser Stellungnahme mussten möglichst genaue Informationen über die Schwierigkeiten bei der Anwendung des EU-Rechts in den neuen Mitgliedstaaten eingeholt werden.

2.2

Zu diesem Zweck wurden zwei Fragebogen an verschiedene Verantwortliche dieses Bereichs, insbesondere aus den Beitrittsländern, gesandt: aus der öffentlichen Verwaltung, den Verbraucherschutzverbänden und einigen Fachverbänden, die die unmittelbarsten Beziehungen zur Verbraucherseite haben. Ferner wurde am 2. Dezember 2003 eine Anhörung veranstaltet, an der zahlreiche Gäste aktiv teilnahmen.

2.3

Aufgrund der Ergebnisse der Anhörung, der Auswertung der Antworten auf die Fragebogen sowie der bilateralen Kontakte, die sich im Lauf der Vorarbeiten ergeben haben, kann diese Stellungnahme die Grundlage bilden für Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu etwaigen Änderungen in den Ausrichtungen der Verbraucherpolitik nach der Erweiterung.

3.   Eine Definition der repräsentativen Verbraucherorganisation als Grundlage für die Förderung und Beteiligung der Verbraucher

3.1

Es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass das Hauptziel einer den heutigen Gegebenheiten in einem erweiterten Binnenmarkt angemessenen Verbraucherpolitik sein muss, die Verbraucher als „Marktpartner“ immer stärker zu fördern und folglich Instrumente und Mechanismen anzuregen und zu schaffen, die ihre Beteiligung an der Festlegung der sie betreffenden politischen Ausrichtungen verbessern (2).

3.2

Bei der Erreichung dieses Ziels spielen natürlich nicht nur die Regierungsstellen und die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der einzelnen Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle, sondern auch die entsprechenden Abteilungen der verschiedenen Gemeinschaftsinstitutionen und -organe; andererseits wird allgemein die Auffassung vertreten, dass die Verbraucher selbst aus eigener Initiative und im Rahmen ihrer Vereinigungsfreiheit entscheiden sollen, wie sie sich am besten organisieren können, um ihre Interessen zu vertreten und durchzusetzen, und an der Erörterung und Festlegung der sie betreffenden politischen Ausrichtungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen und rechtsetzenden Entscheidungsprozesses beteiligt werden können.

3.3

Das Leitprinzip in diesem Bereich muss daher auch weiterhin die uneingeschränkte Anerkennung der Organisations- und Verwaltungsfähigkeit und -autonomie der Verbraucher sein, so dass diese sich auf lokaler, regionaler, nationaler, gemeinschaftlicher und internationaler Ebene zusammenschließen und Bündnisse eingehen können, um eine angemessene Vertretung ihrer Interessen und ihre Beteiligung an allen sie betreffenden Entscheidungsgremien zu gewährleisten.

Dies ist sicherlich eine Verpflichtung der nationalen Gesetzgeber wie auch der gemeinschaftlichen Rechtsetzungsinstanzen.

3.4

Deutlich geworden ist indes der allgemeine Wunsch, dass auf Gemeinschaftsebene identische Parameter festgelegt werden, die eine Garantie dafür bieten, dass die aus eigener Initiative hervorgegangenen Verbraucherorganisationen gemeinsame, demokratische Gründungs- und Funktionsprinzipien einhalten, die eine wirksame, eigenständige und unabhängige Verbrauchervertretung gewährleisten.

3.4.1

In dieser Hinsicht wurden bei einigen Gemeinschaftsinstrumenten die erwähnten Kriterien für die Repräsentativität der Verbraucherverbände und -organisationen, die ihre Vergleichbarkeit im ganzen Gemeinschaftsraum gewährleisten sollen, als ziemlich unzureichend betrachtet (3).

3.4.2

Die EU hat ihrerseits zu bestimmten Zwecken einige Kriterien für die Anerkennung der repräsentativen Verbraucherorganisationen festgelegt, so z.B. in der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (4).

3.4.2.1

Diese Kriterien, die auf einen „Verwaltungs“beschluss der Mitgliedstaaten verweisen, können aber nicht als Grundlage für eine einheitliche Definition des Begriffs repräsentative(r) Verbraucherverband/-organisation dienen, die im gesamten Gebiet des Binnenmarkts identisch und zwischen den Mitgliedstaaten vergleichbar wäre.

3.5

Verschiedene Merkmale einer möglichen einheitlichen Definition des repräsentativen Verbraucherverbandes wurden genannt, darunter v.a.:

a)

Rechtspersönlichkeit und Klagebefugnis;

b)

kein Erwerbsstreben;

c)

Hauptziel laut Satzung ist die Verteidigung und Vertretung der Verbraucherinteressen im allgemeinen (allgemeine Verbraucherverbände) oder der Schutz und die Vertretung der Mitglieder, Verbraucher oder Nutzer bestimmter Güter oder Dienstleistungen (spezifische Verbraucherverbände);

d)

die Organe werden von den Mitgliedern in freier, allgemeiner und geheimer Wahl gewählt;

e)

der Verband ist finanziell unabhängig;

f)

der Verband ist unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Kräften sowie von Unternehmen und ihren Verbänden (die auf der Angebotsseite des Marktes tätig sind).

3.5.1

Es wurde auch angeregt, Genossenschaften (v.a. Verbrauchergenossenschaften) Verbraucherverbänden gleichzustellen (5).

3.5.2

Auch wurde die Möglichkeit angesprochen, die behördliche Anerkennung der Repräsentativität der Verbände — durch von den Mitgliedstaaten zugelassene öffentliche Stellen — vorzuschreiben; dagegen wurde jedoch eingewandt, die Unterstützung für Verbraucherverbände müsse auf ihren technischen Eigenschaften und ihren Arbeitsergebnissen beruhen, nicht allein auf ihrer Zulassung durch einzelstaatliche Behörden.

3.6

Da dieses Thema, dessen Wichtigkeit anerkannt wird, heikel ist, sollte die Kommission nach Ansicht des Ausschusses die Überlegungen dazu vertiefen und in einer Mitteilung zum Thema veröffentlichen.

3.7

Parallel dazu wurden verschiedene Mängel bzw. Lücken in den bestehenden Systemen aufgedeckt, die eine angemessene Ausübung des Rechts auf Verbrauchervertretung v.a. auf Gemeinschaftsebene durch die Organisationen, welche für die allgemeinen oder spezifischen Interessen der Verbraucher eintreten, zur Zeit noch erschweren.

3.7.1

Hervorzuheben wäre hier zunächst der Ausbildungsbedarf für das leitende Fachpersonal und die Ausbilder der erwähnten Verbraucherverbände und -organisationen (6).

3.7.2

Abgesehen von allgemeinen Informationsprogrammen für alle Verbraucher müssen die Verbraucherverbände und -organisationen frühzeitig eigens auf sie abgestimmte Informationen erhalten, damit sie diese ihren Mitgliedern und den Verbrauchern allgemein in den jeweiligen Ländern oder Regionen weitervermitteln können.

3.7.3

Auch die Repräsentanz der Verbraucherverbände in den verschiedenen Institutionen auf Gemeinschaftsebene muss gestärkt werden, sowohl direkt als auch über ihre Zusammenschlüsse, wobei die jüngsten Initiativen der Kommission zur Umgestaltung des Verbraucherrates (7) und zur Ernennung eines mit den Beziehungen zu den Verbrauchern Beauftragten in der GD Wettbewerb (8) zu begrüßen sind und in den anderen die Verbraucher betreffenden Politikbereichen Nachahmung finden sollten (9).

3.7.4

Auch scheint es wichtig, die regelmäßige Veranstaltung der europäischen Verbraucherforen wieder aufzunehmen, um den Dialog, die Information und Zusammenarbeit zwischen den Verbraucherorganisationen zu erweitern und zu verbessern.

4.   Finanzierung der Verbraucherverbände und -organisationen

4.1

Eine der vorrangigen Grundvoraussetzungen für eine angemessene Verbrauchervertretung besteht darin, eine ausreichende Finanzierung für die Gründung und den Betrieb der repräsentativen Gremien sicherzustellen (10).

4.2

Unabhängig von den in den einzelnen Ländern geltenden nationalen Systemen haben einige Verbrauchervertreter den Eindruck geäußert, dass die repräsentativen Verbraucherverbände nur im Wege einer starken Unterstützung und Förderung seitens der Gemeinschaft mit den Mitteln ausgestattet werden können, die sie zur Wahrnehmung ihrer Rolle als Verteidiger, Förderer und Vertreter der Verbraucherinteressen auf regionaler, nationaler, gemeinschaftlicher und internationaler Ebene benötigen (11).

4.3

In diesem Zusammenhang wurde hervorgehoben, dass die Verbraucherverbände im allgemeinen kaum in der Lage sind, sich allein durch ihre Mitgliederbeiträge und eigene Initiativen zu finanzieren und so ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von den politischen und wirtschaftlichen Kräften zu bewahren (12).

Damit diese Prinzipien eingehalten werden können, müssen sich grundsätzlich alle Finanzhilfen auf die Maßnahmen, Programme, Projekte und Initiativen auswirken, v.a. zur Weiterbildung von Fachkräften, Verbrauchererziehung und Durchführung kollektiver Maßnahmen zum Schutz der Verbraucherinteressen, nicht jedoch zur Finanzierung des laufenden Betriebs dieser Einrichtungen.

4.4

Das derzeitige Gemeinschaftliche Förderkonzept für Verbraucherverbände und -organisationen beruht im Wesentlichen auf dem „Beschluss Nr. 20/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Dezember 2003 über einen allgemeinen Rahmen für die Finanzierung von Gemeinschaftsmaßnahmen zur Unterstützung der Verbraucherpolitik im Zeitraum 2004-2007“ (13) und der „Überprüfung des laufenden aktualisierten Arbeitsprogramms zur Verbraucherstrategie 2002-2006“ vom 15. September 2003 (14).

5.   Maximalharmonisierung auf höchstem Verbraucherschutzniveau

5.1

Artikel 153 ist so formuliert, dass als Grundprinzip der EU-Verbraucherschutzpolitik das Konzept der Mindestharmonisierung auf hohem Verbraucherschutzniveau deutlich wird (15).

5.2

In diesem Sinne enthalten Verbraucherschutzrichtlinien (16) — was übrigens nicht neu ist und auch im Verfassungsentwurf nicht geändert wurde — im Allgemeinen eine sog. „Mindestklausel“, die in etwa wie folgt formuliert ist:

„Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, in den darin geregelten Bereichen günstigere oder strengere Verbraucherschutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen; diese müssen mit den Verpflichtungen aus dem Vertrag vereinbar sein.“  (17)

5.3

Allerdings scheint — zumindest seit dem „Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union“ (18) und der Mitteilung der Kommission „Verbraucherpolitische Strategie 2002-2006“ (19) — in letzter Zeit zur Annäherung der Rechtsvorschriften im Bereich Verbraucherschutz vorzugsweise eine Vollharmonisierung angestrebt zu werden.

5.3.1

Diese Ausrichtung zeigt sich insbesondere auch in den neueren Richtlinienvorschlägen zum Verbraucherkredit (20) und zu unlauteren Geschäftspraktiken (21) und scheint zusammen mit der Überbewertung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung (22) eine allgemeine, nicht nur punktuelle Ausrichtung zu sein, die mit der Art der Themen oder der erforderlichen Verwirklichung grundlegender Aspekte des Binnenmarktes begründet wird.

5.3.2

Sofern es um Maßnahmen geht, die ausschließlich oder vorrangig das Funktionieren des Binnenmarktes sicherstellen sollen, anerkennt der EWSA — unter besonderer Berücksichtigung der EU-Erweiterung auf 25 Mitgliedstaaten -, dass Rechtsinstrumente, die eine möglichst starke Vereinheitlichung der Vorschriften über die rechtlichen Beziehungen von Unternehmen untereinander oder zwischen diesen und den Verbrauchern gewährleisten, von Vorteil sind.

5.3.2.1

Daher sollten, wenn es im Einzelfall angebracht ist, seines Erachtens nach Möglichkeit Verordnungen, also nach der neuen Bezeichnung im Verfassungsentwurf „Europäische Gesetze“  (23), erlassen werden; andernfalls sollte die Maximalharmonisierung durch Richtlinien, also nach der neuen Bezeichnung im Verfassungsentwurf „Europäische Rahmengesetze“, angestrebt werden, um die Rechtssicherheit des abgeleiteten Rechts zu gewährleisten.

5.3.3

Unerlässliche Voraussetzung der Vollharmonisierung ist jedoch nach dem Dafürhalten des Ausschusses, dass der Verbraucherschutz im Einklang mit den technologischen Entwicklungen, den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den herrschenden kulturellen Mustern auf höchstem Niveau gewährleistet ist.

5.4

In allen anderen Fällen, in denen die zu schützenden Interessen nicht wesensmäßig und nicht grundlegend mit der Verwirklichung und Funktionsweise des Binnenmarktes zu tun haben, sondern es mehr um den eigentlichen Verbraucherschutz geht, sollte nach Ansicht des EWSA der Schutz und die Gewährleistung der Verbraucherinteressen besser durch den Grundsatz der Mindestharmonisierung angestrebt werden, zwar ebenfalls auf hohem Schutzniveau, aber indem es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, im Einklang mit dem Vertrag und unter strikter Einhaltung von Artikel 153 Absatz 5 strengere Verbraucherschutzvorschriften beizubehalten oder einzuführen.

5.5

Angesichts des Beitritts zehn weiterer Mitgliedstaaten rät der EWSA der Kommission, ihre Haltung zu überdenken, was die jüngste Ausrichtung auf eine unterschiedslose Bevorzugung der Maximalharmonisierung betrifft, und diese auf Fälle zu beschränken, in denen es um die Verwirklichung oder ordentliche Funktionsweise des Binnenmarktes geht; dabei sollte sie stets sicherstellen, dass in diesen Fällen der Verbraucherschutz auf höchstem Niveau entsprechend dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, technologischen Entwicklungen und soziokulturellen Muster im jeweiligen Bereich gewährleistet wird.

5.6

Der Begriff „wissenschaftliche Erkenntnisse“ bezieht sich auf die Wissensbasis, über die verbraucherpolitische Entscheidungsträger verfügen müssen. Er umfasst die anerkannten Ergebnisse der

a)

Konsumtheorie;

b)

empirischen Erforschung des Verbraucherverhaltens und der Entwicklung von Organisationen;

c)

Bewertung von Maßnahmen und Projekten, die von der Kommission planmäßig durchgeführt werden, usw.

Etwaige Defizite bei der Verfügbarkeit der entsprechenden Wissensbasis sollten durch den Aufbau neuer, funktionsfähiger Forschungskapazitäten behoben werden.

5.7

Darüber hinaus empfiehlt der EWSA, nach Möglichkeit und wenn es der Stand der technisch-rechtlichen Entwicklung erlaubt, die Verordnung (also nach der neuen Bezeichnung im Verfassungsentwurf das „Europäische Gesetz“) einzusetzen, da diese(s) das geeignetste Instrument ist, um eine effektive Annäherung der Rechtsvorschriften zu gewährleisten und die Rechtssicherheit bei der Anwendung auf die rechtlichen Beziehungen wirksam sicherzustellen (24).

6.   Subsidiaritätsgrundsatz, Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und Vorsorgeprinzip: eine an den Schutz der Verbraucher angepasste Auslegung und Anwendung

6.1

Das Sekundärrecht ist an einigen grundlegenden Prinzipien des Vertrags ausgerichtet, auf die bei der Definition der Art, der Bedeutung, der Zweckmäßigkeit und des materiell-rechtlichen Bereichs der Regulierungsmaßnahmen in den verschiedenen Sektoren sowie bei der Gestaltung der unterschiedlichen EU-Politiken stets Bezug genommen werden muss.

Das Verbraucherrecht bildet dabei keine Ausnahme.

6.2

Zu den wichtigsten Prinzipien zählen die Subsidiarität (25), die gegenseitige Anerkennung und die Vorsorge.

6.3

Ohne hier die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf die Verbraucherschutzvorschriften eingehender zu untersuchen, kann festgestellt werden, dass seine Formulierung in Verbindung mit Artikel 153 zu einer, wie es einige Autoren nennen, „doppelten Subsidiarität“ führt (26).

6.3.1

Über den grobmaschigen Filter der allgemeinen, primären Subsidiarität gemäß Artikel 3b hinaus sieht der Gesetzgeber für die in Artikel 153 Absatz 3 Buchstabe b) aufgeführten Maßnahmen den engmaschigeren Filter einer wirklichen „sekundären“ Subsidiarität vor. Das bedeutet, dass diese Gemeinschaftsmaßnahmen nur zulässig sind, wenn sie die Filter der Subsidiarität passiert haben, wenn sie also die Initiativen der Mitgliedstaaten in den genannten Bereichen ergänzen oder unterstützen.

6.3.2

Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten erst aus eigener Initiative nationale Maßnahmen ergriffen oder geplant haben müssen, bevor die Kommission punktuell eine Maßnahme einleiten kann, um diese nationalen Maßnahmen zu ergänzen oder zu unterstützen.

6.3.3

Folglich verfügt die Gemeinschaft über kein eigenes Initiativrecht, um Maßnahmen in die Wege zu leiten — auch nicht in den wenigen zuvor genannten Bereichen und selbst dann nicht, wenn ihr Tätigwerden gemäß dem Subsidiaritätsprinzip in Artikel 3b zur Fortsetzung bzw. als Folge der spezifischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten gerechtfertigt wäre.

6.4

Deshalb ist es unerlässlich, dass die Verbrauchervertreter den Gemeinschaftsinstitutionen im Hinblick auf die konkrete Anwendung des Subsidiaritätsprinzips unter allen Umständen zu verstehen geben, dass ihre Auslegung dieses Prinzips nicht zu einer Blockade der erforderlichen und angemessenen Verbraucherschutzmaßnahmen führen darf.

6.5

Zu dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (27) hat sich der Ausschuss in seiner Initiativstellungnahme vom November 2000 (28), die die wichtige Kommissionsmitteilung „Die gegenseitige Anerkennung im Rahmen der Folgemaßnahmen zum Aktionsplan für den Binnenmarkt“  (29) zum Gegenstand hat, bereits ausführlich geäußert.

6.6

Die Kommission hat ihrerseits für verschiedene Sektoren Programme mit Maßnahmen zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung aufgelegt, die sich zum einen auf Strafsachen und zum anderen auf Zivil- oder Handelssachen beziehen (30).

6.7

Gerade bei den Maßnahmen, die die Verbraucher betreffen, besteht zunehmend die Tendenz, diesen Grundsatz auf verschiedene Regelungsbereiche auszuweiten, insbesondere dann, wenn gleichzeitig eine Vollharmonisierung erreicht werden soll.

6.8

Obwohl die Anwendung des Prinzips grundsätzlich gerechtfertigt erscheint, gibt es besondere Bereiche, in denen seine Anwendung dazu führt, dass die Verbraucher unterschiedlichen Gesetzen der Mitgliedstaaten unterworfen werden, was wiederum Unklarheiten mit sich bringt und grenzübergreifenden Vertragsabschlüssen eindeutig entgegenwirkt (31).

6.9

Der EWSA weist die Kommission deshalb darauf hin, dass es einer umsichtigen und der Realität des jeweiligen Sektors entsprechenden Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung als Mittel zur Angleichung der Rechtsvorschriften bedarf.

6.10

Im Gegensatz dazu ist der EWSA der Auffassung, dass das durch den Maastrichter Vertrag im Gemeinschaftsrecht verankerte und auf die Umweltpolitik beschränkte Vorsorgeprinzip als Rechtsgrundsatz begriffen werden sollte, der allen EU-Politiken gemeinsam ist, insbesondere aber für die Verbraucherschutzpolitik gilt, wo er erhebliche praktische Auswirkungen hat (systematische und objektive Risikobewertung und Umkehrung der Beweislast zugunsten der Verbraucher als allgemeine Regel des Haftpflichtrechts) (32).

7.   Ein wirksamer Querschnittsansatz bei der Verbraucherpolitik

7.1

Das Konzept des Querschnittsansatzes oder des „Mainstreaming“ der Verbraucherpolitik, das mit dem Amsterdamer Vertrag in den EG-Vertrag aufgenommen wurde und bereits in mehreren programmatischen Dokumenten der Kommission erwähnt worden war (33), gewinnt gegenwärtig in den politischen Leitlinien der Kommission sowie als im Verfassungsentwurf verankertes Grundrecht erheblich an Bedeutung (34).

7.2

So wird in der Kommissionsmitteilung „Verbraucherpolitische Strategien 2002-2006“  (35) festgestellt: „Für die Verbraucher ist nicht nur das spezielle Verbraucherrecht von Bedeutung, sondern sie sind auch von anderen wichtigen Politikbereichen der EU wie z.B. Binnenmarkt, Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Verkehr, Finanzdienstleistungen, Wettbewerb, Landwirtschaft, Außenhandel usw. betroffen. Verbraucherpolitik darf somit nicht isoliert betrieben werden, ohne andere Bereiche zu berücksichtigen, die sich auf die Verbraucher auswirken. Die systematische Einbeziehung der Verbraucherinteressen in alle einschlägigen Politikbereiche der EU ist unerlässlich“.  (36)

7.3

Tatsächlich wurde dieses Prinzip jedoch bei der Fortsetzung und Ausgestaltung der Gemeinschaftspolitiken nicht systematisch und konkret in Maßnahmen umgesetzt. Auch in dem vorgenannten Strategiepapier wird dieses Ziel, anders als in der einschlägigen Stellungnahme des EWSA vorgeschlagen, nicht als vorrangig eingestuft (37).

7.4

Der Ausschuss drängt darauf, dass transparente Mechanismen geschaffen und zuverlässige Verfahren eingerichtet werden, um sicherzustellen, dass die Verbraucherinteressen stets berücksichtigt und ein hohes Verbraucherschutzniveau garantiert sind, wenn Maßnahmen innerhalb eines Zuständigkeitsbereichs der Gemeinschaft verabschiedet werden (38).

7.5

Deshalb empfiehlt der EWSA der Kommission, die Notwendigkeit einer Verstärkung der personellen und materiellen Ressourcen der GD SANCO zu prüfen und ihre Arbeitsmethoden und -verfahren mit den übrigen Generaldirektionen neu zu koordinieren.

7.5.1

Ebenso sollten die anderen Gemeinschaftsinstitutionen — Rat, Europäisches Parlament, Ausschuss der Regionen und der EWSA selbst — ihre Organisationskonzepte überarbeiten und so dazu beizutragen, dass der Verbraucherschutz in allen Gemeinschaftspolitiken angemessen berücksichtigt wird.

8.   Vereinfachung und Kodifizierung des Verbraucherrechts

8.1

Aufgrund der wachsenden Zahl und zunehmenden Komplexität der Gesetzesinitiativen und sonstigen Vorschriften im Verbraucherrecht ist es ratsam, ja eigentlich sogar unbedingt erforderlich, eine Verbesserung der Art und Weise der Rechtsetzung und eine Vereinfachung der Vorschriften in die Wege zu leiten.

8.2

Die Kommission hat sich in letzter Zeit immer stärker mit diesen Aspekten der Erstellung gemeinschaftlicher Rechtsakte befasst (39).

8.3

Der Ausschuss wiederum hat die Kommission nicht nur bei diesem Anliegen unterstützt (40), sondern das Thema „Vereinfachung“ sogar schon im Jahr 2000 zum ständigen Thema seiner Binnenmarkt-Beobachtungsstelle gemacht.

8.4

Der EWSA begrüßt daher die zwischen dem EP, dem Rat und der Kommission in diesem Bereich geschlossene interinstitutionelle Vereinbarung (41) und verweist auf die in den schon aufgeführten Stellungnahmen enthaltenen Erwägungen, insbesondere in der Stellungnahme zur jüngsten Kommissionsmitteilung zu diesem Thema (42).

8.5

Vor allem im Verbraucherrecht, das ja hauptsächlich Privatpersonen schützen soll, ist eine weitere Vereinfachung erforderlich, um es verständlicher und leichter anwendbar zu machen (43).

8.6

Ein weiterer Aspekt dieses Anliegens ist die Bemühung um Kodifizierung, die von der Kommission bereits in Angriff genommen wurde, wenn auch beschränkt auf bestimmte Richtlinien.

8.7

Angesichts der verschiedenen möglichen Bedeutungen des Begriffs „Kodifizierung“ scheint es nicht sinnvoll, Anstrengungen zur Erstellung eines wirklichen europäischen Verbrauchergesetz(buch)es (44) zu unternehmen; vielmehr sollten die Gemeinschaftsvorschriften nach großen Themen geordnet und konzertiert umformuliert werden, damit die in den verschiedenen Rechtsakten enthaltenen Vorschriften miteinander in Einklang gebracht werden und die ganze Materie eine Systematik erhält.

8.8

Eine oft genannte Möglichkeit, die Rechtsetzungslast zu verringern, wäre die stärkere Nutzung von Selbst- und Koregulierungsmechanismen.

8.8.1

Ohne der in der Erarbeitung befindlichen EWSA-Stellungnahme zu diesem Thema vorgreifen zu wollen, kann man besonders hinsichtlich des Verbraucherrechts schon jetzt sagen, dass auf einem noch nicht konsolidierten Markt mit bekannten Informationsdefiziten alternative Selbst- und Koregulierungssysteme nur in einem Rechtsrahmen mit genau festgelegtem Anwendungsbereich, Parametern und Durchführungskriterien entwickelt werden können, wie der EWSA schon in seiner Stellungnahme zum Thema „unlautere Geschäftspraktiken“ hervorhob (45).

9.   Verbraucherinformation und Verbraucherbildung/-erziehung

9.1

Der EWSA betont seit langem, wie wichtig Verbraucherinformation und -erziehung für den Verbraucherschutz und die Förderung der Verbraucherinteressen sind.

9.2

Zur Verbraucherinformation hat der EWSA argumentiert, einschlägige Informationen über einzelne Dienstleistungen/Produkte seien nicht ausreichend, wenn sie auch noch so umfassend sind; erforderlich seien allgemeine Informationen über die Verbraucherrechte als Grundlage für angemessene und gezielte Informationen über die betreffenden (Arten von) Dienstleistungen/Produkte(n) (46).

9.3

Was die Verbrauchererziehung und -bildung angeht, so hat der EWSA in einer unlängst verabschiedeten Initiativstellungnahme das Konzept des „gebildeten Verbrauchers“ begründet, die Inhalte und Techniken der Verbrauchererziehung und -bildung aufgeführt und die Rolle der verschiedenen an den Bildungsprozessen Beteiligten beschrieben (EU, Mitgliedstaaten, Verbraucherverbände, Fachleute usw.) (47).

9.4

Bei der Neugestaltung der Verbraucherpolitik — eine Notwendigkeit aufgrund der Erweiterung — kommt der Verbraucherinformation und -erziehung bzw. -bildung zum Zwecke des Verbraucherschutzes noch größere Bedeutung zu, wobei es immer den Mitgliedstaaten und Verbraucherverbänden überlassen werden muss, die Leitlinien und Kriterien festzulegen, mit deren Hilfe diese Informations- und Bildungsmaßnahmen möglichst gut an die Gegebenheiten jedes einzelnen nationalen, regionalen oder lokalen Marktes angepasst werden können.

9.4.1

Bei dieser wichtigen Aufgabe spielen nicht nur die Schulen, Verbraucherverbände, Unternehmen, Fachleute und Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle.

Die EU hat die Initiativen zu koordinieren, darüber hinaus aber auch Anreize zu schaffen und Maßnahmen zu treffen, die zu einer qualitativen Verbesserung der Verbraucherinformation und einer besseren Verbrauchererziehung führen (48).

9.4.2

Diese Maßnahmen dürfen sich nicht auf angemessene Finanzbeihilfen beschränken, sondern müssen auch die Entwicklung gemeinsamer Verbraucherinformations- und Verbrauchererziehungskampagnen und -programme umfassen.

9.4.3

Angesprochen werden sollen dadurch sowohl die Verbraucher als auch die Fachleute, die Anbieter von Waren und Dienstleistungen und die an der Rechtsetzung und Rechtsanwendung Beteiligten, besonders die Juristen (Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte usw.).

10.   Administrative Zusammenarbeit bei der Anwendung der Verbraucherschutzgesetze

10.1

Von größter Bedeutung sind auch die Auswirkungen des vor kurzem vorgelegten Vorschlags für eine Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den für die Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (KOM(2003) 443 endg. vom 18.7.2003), zu der der EWSA bereits eine Stellungnahme abgegeben hat (49).

10.2

Um das System zur Überwachung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht effektiver zu gestalten und seine wirkungsvolle Anwendung auf nationaler Ebene zu gewährleisten, müssen die zahlreichen Lücken, die diese Verordnung aufweist, geschlossen werden.

Ein Punkt, der sofort geändert werden sollte, ist der nach Ansicht des EWSA allzu begrenzte Geltungsbereich der Verordnung.

11.   Überlegungen zur Erreichung eines effektiven und angemessenen Verbraucherschutzes im erweiterten Binnenmarkt

11.1

Der EWSA ist sich völlig darüber im klaren, dass Änderungen von Rechtsakten keine unmittelbaren Wirkungen entfalten und keine sofortigen Ergebnisse zeitigen. Daher möchte er betonen, dass das geltende Recht konsolidiert und effektiv angewandt werden muss, und in diesen Bemerkungen zu den verschiedenen Aspekten des Verbraucherrechts, die noch näher behandelt und verbessert werden können, hervorheben, dass die etwaigen künftigen Entwicklungen schrittweise und im Einvernehmen der Beteiligten erfolgen müssen, damit das unabdingbare Gleichgewicht zwischen den verschiedenen im Spiel befindlichen Interessen nicht gefährdet wird, wobei man jedoch nicht aus den Augen verlieren darf, dass der Verbraucher gegenüber den Anbietern meistens benachteiligt ist.

11.2

Aus dieser Sicht heraus möchte der EWSA einige Bereiche aufzeigen, zu denen seines Erachtens Überlegungen angestellt werden müssen, um den derzeitigen Rechtsrahmen der die Verbraucher unmittelbar betreffenden rechtlichen Beziehungen zu verbessern.

11.2.1

Einer dieser Problembereiche bezieht sich auf die Sicherheit von Dienstleistungen für Verbraucher und damit die Rechtsvorschriften über die Haftung des Erbringers im Falle mangelhafter Dienstleistungen.

11.2.2

1992 wurde der einschlägige Richtlinienvorschlag zurückgestellt (50). Infolge der Aufforderung des Rates und des Parlaments, „die Erfordernisse, Möglichkeiten und Prioritäten für eine Gemeinschaftsaktion zur Sicherheit der Dienstleistungen“ zu ermitteln  (51) , hat die Kommission beschlossen, die Diskussion über dieses Thema durch ihren Bericht vom 6. Juni 2003 (52) und ihren jüngsten Richtlinienvorschlag über Dienstleistungen im Binnenmarkt (53) erneut anzustoßen. Dieser Beschluss gibt Anlass zu Hoffnung.

11.2.3

Es steht jedoch zu befürchten, dass der Ansatz der Kommission bei der Behandlung dieses Themas so lange nicht zur Anwendung präziser und wirkungsvoller Maßnahmen führt, wie er auf einer unangemessenen Auslegung des Subsidiaritäts- und Komplementaritätsprinzips in Bezug auf die nationalen Politiken beruht (54).

11.2.4

Weiterer erheblicher Regelungsbedarf auf Gemeinschaftsebene besteht bei der Festlegung des Umfangs der wesentlichen Leistungen der Daseinsvorsorge und der Prinzipien, die für diese Leistungen gelten sollten, und zwar bezüglich ihrer Kontinuität und ihrer Universalität, ihrer Erschwinglichkeit, des Zugangsrechts und der Wahlfreiheit usw. (55)

11.2.4.1

Auf der Grundlage seiner vorherigen Stellungnahmen zu diesem Thema (56) vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Erweiterung der EU die Festlegung genauer Leitlinien erfordert im Hinblick auf die Privatisierung bestimmter wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen und die (dringliche) Ermittlung der wichtigsten Dienstleistungen, die den Luft- und Schienenverkehr, die Strom- und Gasversorgung sowie die Post- und Telekommunikationsdienste einschließen sollten (57).

11.2.4.2

Da es keine Qualitätsindikatoren gibt, die präzise genug sind, um eine vergleichende Beurteilung dieser Dienstleistungen zu ermöglichen, wird die von der Kommission in Aussicht gestellte Mitteilung zu einer Methode für die Querschnittsbewertung der Leistungen der Daseinsvorsorge mit Spannung erwartet (58).

11.2.5

Ein weiterer Mangel besteht bis heute hinsichtlich der gemeinschaftsweiten Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften über außervertragliche Schuldverhältnisse.

11.2.5.1

Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der einschlägige Verordnungsvorschlag der Kommission, der einen Fortschritt darstellt (59). Zusammen mit den Bemerkungen und Anregungen in der diesbezüglichen Stellungnahme des EWSA (60) stellt dieser Vorschlag ein Kernelement bei der Harmonisierung der Rechtsvorschriften in der erweiterten EU auf einem Gebiet dar, das für einen angemessenen Verbraucherschutz wesentlich ist.

11.3

Was das Recht auf Information betrifft, insbesondere bei Lebensmitteln (61), muss die Etikettierung für die Verbraucher verständlicher gestaltet und müssen andere, moderne Methoden für eine bessere Information der Verbraucher angewandt werden (Internet, kostenlose Rufnummern, Verbraucherschutzdienste usw.), ohne dabei — sofern es gefordert werden kann und möglich ist — die Herkunftsangabe (62) zu vernachlässigen.

11.4

Hinsichtlich des Schutzes von Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher hängt ein noch reibungsloseres Funktionieren des RAPEX-Systems von der Reaktionsschnelligkeit der Mitgliedstaaten ab (63). Der EWSA weist erneut auf die Notwendigkeit hin, in die Qualität des Systems zur Überwachung des Gemeinschaftsmarkts zu investieren und daher Projekte zu fördern, die zur Erarbeitung und Entwicklung von Marktkontrollmechanismen in den Mitgliedstaaten (vor allem in den neuen) beitragen, wobei sowohl Verbraucherverbände als auch die zuständigen öffentlichen Einrichtungen zu unterstützen sind (64).

11.4.1

Die Verbraucherverbände ihrerseits haben die Aufgabe, zuverlässige Informationen über sicherere Produkte und Dienstleistungen zu liefern und die Ergebnisse der auf nationaler Ebene durchgeführten Kontrollen zu verbreiten.

11.5

Hinsichtlich der Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher gibt es mehrere erwähnenswerte Aspekte, die überprüft werden sollten.

11.5.1

Bezüglich der Herstellerhaftung  (65) ist das derzeitige System in eine Schieflage zuungunsten der Verbraucher geraten. Dies zeigt sich z.B. in der Beweislast, die dem Konsumenten auferlegt wird, und den Gründen für den Ausschluss der Herstellerhaftung.

11.5.1.1

Es gibt mithin ausreichende Gründe für die Fortsetzung der laufenden Überarbeitung der Richtlinie 85/374/EWG vom 25. Juli 1985 entsprechend den Empfehlungen des Grünbuchs über die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte (66), auf das sich in der Folge eine Reihe von im Auftrag der Kommission erstellten Untersuchungen bezogen haben (67).

11.5.2

Gegen die Beschränkung des Verbraucherschutzes bei Haustürgeschäften  (68) auf Fälle der ausdrücklichen Bestellung des Verbrauchers werden einige Vorbehalte angemeldet, denn der Nachweis ist schwierig und es gibt Grenzfälle, bei denen es an Rechtssicherheit fehlt. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieses Problem in dem Sinne erneut untersucht werden sollte, dass Vermutungstatbestände zum Schutz der Verbraucher gegen betrügerisches Verhalten geschaffen werden. Darüber hinaus sollte die gesamte Richtlinie im Lichte der derzeit bekannten unlauteren und aggressiven Praktiken und der diesbezüglichen Gemeinschaftstexte überarbeitet werden.

11.5.3

Hinsichtlich der Vertragsabschlüsse im Fernabsatz  (69) wäre es wichtig, zwingend vorzuschreiben, dass der Lieferant die Beweislast in den Fällen trägt, in denen es um die Erfüllung der Verpflichtungen zur vorherigen Information und ihrer schriftlichen Bestätigung sowie um Einverständniserklärungen des Verbrauchers geht (70). Des Weiteren wäre es sinnvoll zu untersuchen, wie angemessen die Informationsverpflichtungen bei online getätigten Vertragsabschlüssen im Fernabsatz sind.

11.5.4

Der EWSA hat Bedenken hinsichtlich der Ausübung des Rücktrittsrechts. Er hält es für wichtig, die Fristen in den verschiedenen Rechtstexten zu vereinheitlichen und klare Regeln für die Ausübung dieses Rechts aufzustellen, insbesondere was den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (71) und Verbraucherkredite betrifft (72). Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit einer Vereinfachung dieses Systems, das sich durch Komplexität und mangelnde Transparenz auszeichnet (73).

11.5.5

Im Bereich des Verbraucherschutzes gegen missbräuchliche Klauseln  (74) wäre es nützlich, wenn die Kommission eine systematische, aktuelle Untersuchung zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen durchführen würde, die entweder in der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten oder in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ausdrücklich als missbräuchlich bezeichnet wurden, um diese Informationen dann an die Verbraucher- und Berufsverbände weiterzuleiten (75).

11.5.5.1

Da der Rechtsrahmen aber anerkanntermaßen veraltet ist, fordert der EWSA die Kommission dazu auf, ihre Revisionstätigkeit im Gefolge ihres Berichts über die Anwendung der Richtlinie (76) und der zahlreichen von ihr zu diesem Thema veranstalteten Arbeitssitzungen rasch abzuschließen.

11.5.6

Was die Verbraucherkredite  (77) angeht, so hatte der Ausschuss bereits Gelegenheit, sich zu einem kürzlich von der Kommission vorlegten einschlägigen Vorschlag zu äußern (78). An dieser Stelle bekräftigt er die Notwendigkeit, Wucherpraktiken zu bekämpfen und ein Gleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Verbraucher und der Kreditgeber herzustellen. Die Disparitäten zwischen den einschlägigen nationalen Rechtvorschriften und das uneinheitliche Niveau des Verbraucherschutzes — eine Situation, die sich mit dem Beitritt der neuen Staaten verschlimmern wird — können sich negativ auf das Vertrauen in den Finanzdienstleistungsmarkt auswirken und Wettbewerbsstörungen verursachen.

11.5.7

Ein — wie der EWSA bereits mehrfach betont hat — auf Gemeinschaftsebene dringend zu behandelndes Thema ist die Überschuldung der privaten Haushalte, die in letzter Zeit zugenommen hat und, so die Befürchtungen, mit dem wahrscheinlichen Zinsanstieg geradezu eskalieren dürfte (79).

11.5.8

Der EWSA hält es auch für wesentlich, weitere Rechtsvorschriften im Bereich der Sicherheit des elektronischen Zahlungsverkehrs  (80) zu entwickeln. Er begrüßt die jüngste Initiative der Kommission zur Anregung einer Debatte über die Einrichtung eines einheitlichen Raums für den elektronischen Zahlungsverkehr im Binnenmarkt (81).

11.5.8.1

Gleichwohl fehlt weiterhin ein umfassender Ansatz für den elektronischen Handel. Ein solcher Ansatz wäre erforderlich, um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen, wie auf der Konferenz von Dublin zum Europäischen Verbrauchertag 2004 hervorgehoben wurde.

11.5.8.1.1

Darüber hinaus haben die bisherigen Arbeiten zur Schaffung von Akkreditierungssystemen für Anbieter noch nicht einmal zu konkreten Selbstregulierungsmaßnahmen geführt, die es den Verbrauchern ermöglichen würden, vertrauenswürdige Websites zu erkennen.

11.5.8.1.2

Die jüngsten Entwicklungen auf Initiative der Kommission zur Förderung einer sichereren Internetnutzung (82), zum Jugendschutz, zum Schutz der Menschenwürde und zum Recht auf Gegendarstellung in den audiovisuellen Medien und sonstigen Informationsdiensten (83) sind trotz ihrer Beschränkungen zu begrüßen.

11.5.8.2

Auch gibt es weltweit keinen Rechtsrahmen, der mit der „Brüssel 1“-Verordnung vergleichbar wäre. Dieser in der EU eingeführte Rechtsrahmen ist für die sichere Abwicklung internationaler elektronischer Geschäfte von zentraler Bedeutung. Deshalb wird ein Übereinkommen über Fragen der Zuständigkeit und der Vollstreckung zivil- und handelsrechtlicher Gerichtsurteile ein wesentliches Ziel auf der Konferenz von Den Haag sein.

11.5.9

Ein weiterer eminent wichtiger Bereich ist die von der Kommission angeregte und vom EWSA (84) unterstützte Vereinheitlichung des Vertragsrechts. Dieser Prozess sollte fortgesetzt und intensiviert werden, wobei der Schwerpunkt auf der Vereinheitlichung von Vertragstypen, die für die Verbraucher von Interesse sind, liegen sollte (85).

11.5.10

Nach der jüngsten Veröffentlichung der Richtlinie zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (86), in der die Aspekte im Zusammenhang mit den Garantien für Verbrauchsgüter im Vordergrund stehen, hat die in der diesbezüglichen Stellungnahme des EWSA (87) geäußerte Kritik immer noch Gültigkeit, insbesondere was die Beziehungen zwischen Handels- und Rechtsgarantien sowie die Verfahren für deren Geltendmachung betrifft.

11.5.10.1

Es ist jetzt nicht nur notwendig, die Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie auf Kundendienstleistungen (88) zu überdenken. Es ist auch und vor allem erforderlich, dass die Kommission aufmerksam verfolgt, wie diese Richtlinie in das Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt wird, da es sich um komplizierte Bestimmungen handelt, die sich nur schwer mit den nationalen Gesetzen verknüpfen lassen.

11.5.11

Ein Bereich, in dem eine Stellungnahme der Kommission im Gefolge des Grünbuchs zum Verbraucherschutz (89) seit längerem mit großem Interesse erwartet wird, sind die unlauteren Geschäftspraktiken.

11.5.11.1

Allerdings hat sich der EWSA bereits in seiner einschlägigen Stellungnahme (90) enttäuscht und sehr besorgt über die Leitlinien geäußert, die sich bei der Vorbereitung des betreffenden Rechtsinstruments abzeichneten.

11.5.11.2

Die künftige Entwicklung in diesem Bereich sollte von den Verbrauchervertretern, vor allem in den neuen Mitgliedstaaten, besonders aufmerksam verfolgt werden.

11.5.12

Desgleichen hat der EWSA auch bereits seine Unzufriedenheit bezüglich des Vorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderung  (91) zum Ausdruck gebracht. An dieser Stelle wiederholt er seine Bedenken im Hinblick auf die Endfassung dieser Verordnung und ihre Kompatibilität mit dem Vorschlag bezüglich der unlauteren Geschäftspraktiken. Er befürchtet, dass diese Instrumente zusammen nicht zur Förderung der Verbraucherinteressen beitragen, sondern letztlich einen Rückschritt im Verhältnis zum derzeitigen Schutzniveau bedeuten.

11.6

Schließlich hält es der EWSA in Bezug auf den Zugang zu den Gerichten erstens für notwendig, den Schutz übereinstimmender kollektiver, allgemeiner oder individueller Verbraucherinteressen (92) zu stärken, und zwar durch die dringend erforderliche Überarbeitung der Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (93); deren Geltungsbereich sollte so abgeändert werden, dass veritable Sammelklagen möglich sind, die nicht nur auf die bloße Ausmerzung unlauterer oder ungesetzlicher Praktiken, sondern auch auf die Förderung von Schadenersatzzahlungen abzielen. Zweitens wäre es erforderlich, den Schutz der legitimen Interessen einzelner Verbraucher in einer Konfliktsituation zu stärken, vor allem durch einen raschen und möglichst kostenlosen Zugang zu den Gerichten (94). In diesem Zusammenhang befürwortet der EWSA erneut nicht nur den Einsatz alternativer Streitbeilegungsverfahren (95), sondern auch von Schlichtungsverfahren. Seiner Auffassung nach ist es von vorrangiger Bedeutung, dass die nationalen Behörden operationelle und fachliche Unterstützung zur Schaffung und Umsetzung dieser Verfahren in den Mitgliedstaaten erhalten (96).

11.6.1

Der EWSA befürwortet auch die Verabschiedung verbindlicher Rechtsvorschriften, die unbeschadet des Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Ereichung der Ziele sicherstellen, die die Kommission in ihren diesbezüglichen Empfehlungen (97) festgelegt hat. Diese betreffen insbesondere die Grundsätze der Freiheit der Verbraucher sowie der Objektivität und Transparenz des Verfahrens. Mit einem Wort, die derzeitigen Empfehlungen, die bisher in der Praxis nicht allgemein und effektiv angewandt werden, sollten in verbindliche Vorschriften umgewandelt werden.

11.7

Der EWSA begrüßt die jüngsten Initiativen der Kommission im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit, insbesondere die Verordnungen über die Insolvenz (98), und die Zuständigkeit der Gerichte (Brüsseler Übereinkommen) (99), den Vorschlag für eine Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (100), das Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument (101) sowie den Vorschlag für eine Verordnung über eine allgemeine Rahmenregelung für Maßnahmen der Gemeinschaft zur Erleichterung der Verwirklichung des europäischen Rechtsraums in Zivilsachen (102). Er drängt die Kommission, die Maßnahmen zur Schaffung eines einheitlichen Rechtsraums als wesentliches Element zur Strukturierung der mit der Vollendung des Binnenmarktes verbundenen Aspekte fortzusetzen, was in einer erweiterten EU umso wichtiger ist.

12.   Schlussfolgerungen

12.1

Die Förderung der Verbraucherinteressen, die Beteiligung und der Schutz der Verbraucher müssen ständiges Ziel aller EU-Politiken sein und als wirkliches Recht der EU-Bürger gelten.

12.2

Wegen der Erweiterung um zehn Mitgliedstaaten, in denen Verbraucherschutz meist eine relativ neue Frage ist, muss die gesamte Verbraucherpolitik neu durchdacht werden, um festzustellen, ob sie den neuen Gegebenheiten eines Marktes mit fast 500 Mio. Verbrauchern genügt.

12.3

Die EU und ihre Institutionen spielen eine entscheidende Rolle bei der Festlegung der Prioritäten für die Neugestaltung des rechtlichen und institutionellen Rahmens und der Aktionsprogramme, die notwendig sind, um eine wirksame Verbraucherpolitik zu gewährleisten, die diese Ziele verfolgt und durchsetzt.

12.4

Der EWSA möchte mit dieser Initiativstellungnahme zur Festlegung einer solchen Politik beitragen, indem er die Anliegen der Zivilgesellschaft vertritt und besonders für die Beteiligung von Vertretern aus den neuen Mitgliedstaaten sorgt.

12.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass die unmittelbaren verbraucherpolitischen Prioritäten folgende sind:

Vereinfachung und Kodifizierung des acquis communautaire;

wirksame Anwendung und strenge Kontrolle des verabschiedeten und angemessen umgesetzten Rechts;

Umsetzung der Rahmenrichtlinie über unlautere Handelspraktiken;

dringende Bemühung um bessere Verbraucherinformation und Verbraucherbildung/-erziehung;

wirksame Eingliederung der Verbraucherpolitik in die übrigen Politiken auf gemeinschaftlicher und nationaler Ebene;

Unterstützung für Verbraucherverbände bei der Analyse von Erzeugnissen und Informationsaustausch über deren Qualität.

12.6

Der EWSA setzt sich dafür ein, dass starke und unabhängige Verbraucherverbände die Grundlage für eine wirksame Politik zum Schutz und zur Beteiligung der Verbraucher bilden.

12.7

Um dies zu erreichen, müssen nach Auffassung des EWSA die Verbraucherverbände angemessen finanziert werden, damit sie Maßnahmen, Programme, Projekte und Initiativen durchführen können.

12.8

Nach Ansicht des EWSA kann die Festlegung von Kriterien für die Repräsentativität und Beteiligung der Verbraucherverbände maßgeblich zu einer effizienteren Verbraucherpolitik beitragen.

12.9

Nach Ansicht des EWSA müssen bestehende Initiativen fortgeführt bzw. neue ergriffen werden, und zwar schrittweise und ohne das Gleichgewicht zwischen den im Spiel befindlichen Interessen aus den Augen zu verlieren, wobei es v.a. um folgende Bereiche geht:

Dienstleistungssicherheit und Haftung für mangelhafte Dienstleistungen;

wesentliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse;

Gesundheitsschutz und Sicherheit;

größere Sicherheit bei elektronischen Zahlungen und der Internetnutzung;

Überschuldung privater Haushalte;

Zahlungsmittel;

Vertragsrecht;

Rechtsweg und einheitlicher Rechtsraum.

12.10

Auch sollten nach dem Dafürhalten des EWSA die bereits bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsakte durchgesehen, aufeinander abgestimmt, geordnet und an den neuen erweiterten Binnenmarkt angepasst werden, v.a. in folgenden Bereichen:

Herstellerhaftung;

Haustürgeschäfte, Ferngeschäfte, elektronischer Handel und Werbung;

missbräuchliche Klauseln;

Verbraucherkredite;

Garantie beim Verkauf von Waren und bei der Erbringung von Dienstleistungen.

12.11

Der EWSA erinnert an seinen Vorschlag, ein europäisches Forschungsinstitut für Verbraucherschutz zu gründen, das die Wissensbasis für die Verbraucherpolitik liefern soll (103).

12.12

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, den Verbraucherschutz, die Förderung der Verbraucherinteressen und die Beteiligung der Verbraucher in all ihren Politiken als Priorität zu betrachten.

12.13

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Vorschläge und Anregungen aus dieser Stellungnahme bei der Festlegung der verbraucherpolitischen Neuausrichtungen zu berücksichtigen und regelmäßige Berichte über Verbraucherfragen und die Stellung der Verbraucher in Europa zu verbreiten.

Brüssel, den 10. Februar 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Der EWSA hatte schon die Gelegenheit, sich in verschiedenen Stellungnahmen zu diesen Fragen zu äußern; folgende seien hier genannt:

„Die Zukunft der Kohäsionspolitik mit Blick auf die EU-Erweiterung und den Übergang zur wissensbasierten Wirtschaft“, Berichterstatter: Herr Malosse, ABl. C 241 vom 7.10.2002;

„Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Erweiterung in den Bewerberländern“, Berichterstatter: Herr Dimitriadis und Frau Belabed, ABl. C 85 vom 8.4.2003;

„Die Auswirkungen der Erweiterung auf die WWU“ (CESE 1018/2002, Berichterstatter: Herr Vever, ABl. C 61 vom 14.3.2003;

„Die Auswirkungen der Erweiterung der Union auf den Binnenmarkt“, Berichterstatterin: Frau Belabed, ABl. C 85 vom 8.4.2003;

„Verkehr/Erweiterung“, Berichterstatter: Herr Kielman, ABl. C 61 vom 14.3.2003;

„Die Heranführungsfinanzhilfen Phare, ISPA und SAPARD“, Berichterstatter: Herr Walker, ABl. C 61 vom 14.3.2003;

„Die Erweiterung der EU: Die Erfüllung der wirtschaftlichen Beitrittskriterien als Herausforderung für die Bewerberstaaten“, Berichterstatter: Herr Vever, ABl. C 193 vom 10.7.2001;

„Die Osterweiterung der Europäischen Union und der Forstsektor“, Berichterstatter: Herr Kallio, ABl. C 149 vom 21.6.2002.

(2)  Dies ergibt sich insbesondere aus Ziffer 14 der Entschließung des Rates vom 2. Dezember 2002 über die verbraucherpolitische Strategie der Gemeinschaft 2002-2006 (ABl. C 11 vom 17.1.2003, S. 1), wo es heißt:

„ERSUCHT DIE KOMMISSION UND DIE MITGLIEDSTAATEN,

(14)

(...) repräsentative Verbraucherverbände zu unterstützen, damit sie die Interessen der Verbraucher auf Ebene der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten unabhängig vertreten können, und sie in die Lage zu versetzen, Einfluss auszuüben, beispielsweise einen ausgewogenen Dialog mit den Unternehmen aufzunehmen und an der Festlegung der Gemeinschaftspolitik mitzuwirken. Von entscheidender Bedeutung hierfür wäre die Entwicklung von Projekten zum Aufbau von Kapazitäten, mit dem Ziel, die Verbraucherverbände gegebenenfalls zu stärken sowie Bildungsmaßnahmen zu spezifischen Aspekten grenzüberschreitender Transaktionen;“

(3)  Dies bezieht sich v.a. auf die Bestimmungen in Artikel 7 Absätze 2 und 3 des Beschlusses Nr. 20/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Dezember 2003 über einen allgemeinen Rahmen für die Finanzierung von Gemeinschaftsmaßnahmen zur Unterstützung der Verbraucherpolitik im Zeitraum 2004-2007 (ABl. L 5 vom 9.1.2004, S. 1), die wie folgt lauten:

„(2)   Finanzbeiträge für Maßnahme 16 können europäischen Verbraucherorganisationen gewährt werden, die

a)

keinen Erwerbszweck verfolgende, von Industrie, Handels- und Geschäfts- oder sonstigen konkurrierenden Interessen unabhängige Nichtregierungsorganisationen sind, deren wichtigste Ziele und Tätigkeiten die Förderung und der Schutz der Gesundheit und Sicherheit sowie der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher in der Gemeinschaft sind,

b)

von nationalen Verbraucherorganisationen aus mindestens der Hälfte der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, die gemäß den einzelstaatlichen Regelungen oder Gepflogenheiten die Verbraucher repräsentieren und auf regionaler oder nationaler Ebene tätig sind, beauftragt worden sind, die Interessen der Verbraucher auf Gemeinschaftsebene zu vertreten, und die

c)

der Kommission ausreichend Rechenschaft über ihre Mitglieder, ihre internen Bestimmungen und ihre Finanzierungsquellen abgelegt haben.

(3)   Finanzbeiträge für Maßnahme 17 können europäischen Verbraucherorganisationen gewährt werden, die

a)

keinen Erwerbszweck verfolgende, von Industrie, Handels- und Geschäfts- oder sonstigen konkurrierenden Interessen unabhängige Nichtregierungsorganisationen sind, deren wichtigste Ziele und Tätigkeiten darin bestehen, die Interessen der Verbraucher bei der Normung auf Gemeinschaftsebene zu vertreten, und die

b)

in mindestens zwei Dritteln der Mitgliedstaaten beauftragt worden sind, die Interessen der Verbraucher auf Gemeinschaftsebene zu vertreten, und zwar

von repräsentativen Gremien, die gemäß den einzelstaatlichen Regelungen oder Gepflogenheiten die nationalen Verbraucherorganisationen in den Mitgliedstaaten repräsentieren, oder

sofern solche Gremien nicht bestehen, von nationalen Verbraucherorganisationen in den Mitgliedstaaten, die gemäß den einzelstaatlichen Regelungen oder Gepflogenheiten die Verbraucher repräsentieren und auf nationaler Ebene tätig sind.“

(siehe hierzu die EWSA-Stellungnahme, Berichterstatter: Herr Hernández Bataller, Dossier INT/180, vom 17.7.2003, ABl. C 234 vom 30.9.2003).

(4)  ABl. L 166 S. 51; Artikel 3 lautet:

Artikel 3

Klagebefugte Einrichtungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „qualifizierte Einrichtung“ jede Stelle oder Organisation, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats ordnungsgemäß errichtet wurde und ein berechtigtes Interesse daran hat, die Einhaltung der in Artikel 1 genannten Bestimmungen sicherzustellen; er bezeichnet insbesondere

a)

in Mitgliedstaaten, in denen solche Stellen bestehen, eine oder mehrere unabhängige öffentliche Stellen, die speziell für den Schutz der in Artikel 1 genannten Interessen zuständig sind, und/oder

b)

Organisationen, deren Zweck im Schutz der in Artikel 1 genannten Interessen besteht, entsprechend den im Rahmen der nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Kriterien.

Ebenso in der derzeitigen kodifizierten Fassung.

(5)  Zur Bedeutung des Genossenschaftssektors siehe die Mitteilung der Kommission „über die Förderung der Genossenschaften in Europa“ (KOM(2004) 18 endg. vom 23. Februar 2004), in der die Idee eines Statuts der europäischen Genossenschaft wieder aufgegriffen wird (Berichterstatter: Herr Hoffelt).

(6)  Zu begrüßen ist daher die jüngste Initiative der Kommission (GD SANCO), dem Europäischen Büro der Verbraucherverbände (BEUC) noch in diesem Jahr die Veranstaltung von Lehrgängen im Bereich Finanz- und Humanressourcenverwaltung, Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying sowie Verbraucherrecht anzuvertrauen.

(7)  Beschluss der Kommission vom 9. Oktober 2003 zur Einsetzung einer Europäischen beratenden Verbrauchergruppe (ABl. L 258 vom 10.10.2003).

(8)  Die Schaffung dieser Stelle wurde im Dezember 2002 angekündigt mit dem Ziel, einen ständigen Dialog mit den europäischen Verbrauchern führen zu können, und diese Stelle wurde am 9. Dezember 2003 durch Kommissionsmitglied Mario Monti mit Herrn Juán Riviere y Marti besetzt (IP/03/1679 vom 9.12.2003).

(9)  Wegen seiner Bedeutung sei auf den jüngsten Beschluss der Kommission zur Einsetzung Wissenschaftlicher Ausschüsse im Bereich Verbrauchersicherheit, öffentliche Gesundheit und Umwelt verwiesen (ABl. L 66 vom 4.3.2004).

(10)  72 % der befragten Einrichtungen erklären, es gebe staatliche Beihilfen, jedoch nicht in ausreichender Höhe.

(11)  Besonders zweckmäßig war der Appell des BEUC (Europäisches Büro der Verbraucherverbände) an die Regierungen der neuen Mitgliedstaaten im August 2003, ihre Verbraucherverbände angemessen finanziell zu unterstützen, wobei auf die mögliche Nutzung des PHARE-Programms zu diesem Zweck aufmerksam gemacht wurde.

(12)  75 % der Befragten erklären, die Verbraucherverbände kämen nicht in den Genuss einer steuerlichen Vorzugsbehandlung.

(13)  ABl. L 5, S. 1 vom 9.1.2004, vgl. EWSA-Stellungnahme in ABl. C 234 vom 30.9.2003, Berichterstatter: Herr Hernández Bataller.

(14)  SEK (2003) 1387 vom 27.11.2003.

(15)  Dies ergibt sich aus Artikel 153 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 5; dieser Artikel bezieht sich ja auf „Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten“; diese Maßnahmen werden vom Rat erlassen, der nach Artikel 251 beschließt und zuvor den EWSA konsultiert, und „hindern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen“, die natürlich „mit diesem Vertrag vereinbar sein“ müssen, v.a. mit dem Subsidiaritäts- und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

(16)  Diese Feststellung galt schon für Artikel 129 a in der Fassung des Vertrags von Maastricht.

(17)  Vgl. z.B. die Richtlinien 90/314 (Pauschalreisen), Artikel 8; 94/47 (Teilnutzungsrechte), Artikel 11; 93/13 (missbräuchliche Klauseln), Artikel 8; 97/7 (Fernabsatz), Artikel 14; 85/577 (außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge); 84/450 (irreführende Werbung), Artikel 7; 87/102 (Verbraucherkredit), Artikel 15. Zu diesem Thema ist die bedeutende Studie erwähnenswert, die im Auftrag der Kommission vom Centre de Droit de la Consommation erstellt und von Monique Goyens koordiniert wurde; außer dem Verfasser dieser Stellungnahme haben daran bedeutende Juristen wie Prof. Klaus Tonner, López-Sánchez, Susanne Storm, Jérôme Frank, Alexandros Voutsas, William Fagan, Paolo Martinello, Andrée Colomer, A. Tavassy und Geraint Howells mitgearbeitet (SPC/02/93/CM vom Juli 1994); im Abschlussbericht dieser Arbeit wird die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Harmonisierungsformen korrekt dargestellt: Mindest-, Gesamt-, Teil- und Vollharmonisierung sowie fakultative Harmonisierung.

(18)  KOM(2001) 531 endg. vom 2.10.2001.

(19)  KOM(2002) 208 endg. vom 7.5.2002.

(20)  KOM(2002) 443 endg. vom 11.9.2002.

(21)  KOM(2003) 356 endg. vom 18.6.2003.

(22)  Durch die Einheitliche Europäische Akte ausdrücklich in den Vertrag aufgenommen.

(23)  Siehe Artikel 32 des Verfassungsentwurfs.

(24)  Gute Beispiele für den Einsatz der Verordnung sind die jüngsten Initiativen in folgenden Bereichen: gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000); Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen (Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 29.5.2000); Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 29.5.2000); Insolvenzverfahren (Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29.5.2000); Verkaufsförderung im Binnenmarkt (KOM(2002) 585 endg. vom 25.10.2002); Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (KOM(2003) 443 endg. vom 18.7.2003); Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen (KOM(2003) 689 endg. vom 17.11.2003); usw.

(25)  Vgl. den Wortlaut von Artikel 5 II des EG-Vertrag:

„In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene ereicht werden können.“

Es gibt allerdings eine Reihe von Unterschieden in der Formulierung von Artikel 9 Absatz 3 des Verfassungsentwurfs, die eingehender untersucht werden sollten.

Die entsprechende Formulierung im Verfassungsentwurf lautet wie folgt:

„Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden können.“

Für die Erörterung des Prinzips sollten folgende Beiträge herangezogen werden:

„Subsidiarité: défi du changement“, Akten des Kolloquiums Jacques Delors, veröffentlicht vom Europäischen Institut für öffentliche Verwaltung, Maastricht, 1991 (IEAP 11/04); „Le principe de subsidiarité“, Jean-Louis Clergerie, Ellipres, 1997; „Considérations sur le principe de subsidiarité“, Prof. G. Vandersanden, wahrscheinlich unveröffentlichte Studie (Januar 1992); „Il principio di sussidiarietà nella prospectiva dell'attuazione del Trattato sull' Unione europea“, Gian Pietro Orsello, Roma, 1993; Kommentar von Mégret zum Vertrag, Bd. I, 2. Ausg., Addendum, Kap. III, S. 421 ff.

(26)  Unerlässlich ist der Hinweis darauf, dass die Kommission gegenüber dem Rat auf seiner Tagung am 11./12. Dezember 1992 in Edinburgh diesen Grundsatz so auslegte, dass etliche bereits ausgearbeitete Richtlinienvorschläge zurückgezogen und zahlreiche andere eingefroren und überarbeitet wurden.

(27)  Dieses Prinzip wurde in Artikel 100b der Einheitlichen Akte erstmalig ausformuliert, wodurch das Urteil „Cassis de Dijon“ endgültig sanktioniert wurde.

(28)  „Gegenseitige Anerkennung im Binnenmarkt“, Berichterstatter: Herr Lagerholm, veröffentlicht im ABl. C 116 vom 20.4.2001.

(29)  KOM(1999) 299 endgültig vom 16.6.1999.

(30)  ABl. C 12 vom 15.3.2001.

(31)  Dies gilt vor allem für im Fernhandel angebotene Finanzprodukte.

(32)  Vgl. die Stellungnahme des EWSA „Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips“, Berichterstatter: Herr Bedossa (ABl. C 268 vom 19.9.2000, S. 6).

(33)  Vgl. das Erste Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 14. April 1975, in dem bereits Folgendes zu lesen war: „All diese Rechte [der Verbraucher] müssen mittels Maßnahmen im Rahmen bestimmter Teilbereiche der Gemeinschaftspolitik, wie der Wirtschaftspolitik, der gemeinsamen Agrarpolitik, der Sozialpolitik, der Politik zum Schutz der Umwelt, der Verkehrspolitik, der Energiepolitik sowie der Politik der Rechtsangleichung, die sämtlich die Stellung des Verbrauchers berühren, in verstärktem Umfang ausgeübt werden“. (ABl. C 92 vom 25.4.1975). Diese Idee wurde später in der Mitteilung an den Rat vom 4. Juli 1985 weiterentwickelt und als „neuer Impuls“ bezeichnet. Hier wird erstmalig die Verwirklichung des Binnenmarktes zu Recht als Mittel und nicht als Ziel der Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angesehen (KOM(85) 314 endg.). Auf dieser Idee beruht die Entschließung des Rates vom 23.6.1986.

Auch das Europäische Parlament forderte in seiner Entschließung vom März 1992 zu den Standards für den Verbraucherschutz und das Gesundheitswesen im Hinblick auf die Verwirklichung des Binnenmarktes die Kommission dazu auf, in allen Politikbereichen die Sachzwänge des Verbraucherschutzes stärker zu berücksichtigen (PE 152150).

Aber es war erst der Ausschuss, der im Vorfeld des Gipfels von Amsterdam in seiner Stellungnahme zum Thema „Binnenmarkt und Verbraucherschutz: Chancen und Hemmnisse des einheitlichen Marktes“ (CES 1309/95 vom 22. November, Berichterstatter: Herr Ceballo Herrero, ABl. C 39 vom 12.2.1996) eine Reihe eindeutiger Empfehlungen für die Anwendung des Querschnittsansatzes auf die Verbraucherpolitik unterbreitete und seine Verankerung in allgemeiner Form im revidierten Vertrag forderte.

(34)  Artikel III-38 und Artikel III-5.

(35)  KOM(2002)208 endg. vom 7.5.2002.

(36)  Ebenda, S. 7.

(37)  Stellungnahme CES 276/2003 vom 26.2.2003 (Berichterstatterin: Frau Davison), veröffentlicht im ABl. C 95 vom 23.4.2003.

(38)  In seiner bereits zitierten Stellungnahme CES 1309/95 (Ziffer 3.2.4) vertritt der EWSA die Auffassung, dass:

„—

bei allen handelspolitischen Entscheidungen der Europäischen Union den Verbraucherinteressen nach objektiven und öffentlichen Kriterien Rechnung getragen werden sollte;

die Wettbewerbspolitik im Sinne einer verstärkten Anwendung der Artikel 85 und 86 des EG-Vertrags zu überarbeiten ist, wobei die Verbraucherorganisationen bei Ausnahmeregelungen und bei der Genehmigung von Vereinbarungen zwischen Unternehmen und hier vor allem bei Unternehmenszusammenschlüssen gehört werden müssen, da beide Praktiken den freien Wettbewerb behindern;

Richtlinien über unlauteren Wettbewerb und unlautere Werbung beschlossen werden sollten;

die Rechtsvorschriften für Versicherungen harmonisiert werden müssen, um die Verbraucher vor diskriminierenden bzw. aggressiven Verkaufspraktiken in diesem Sektor zu schützen;

die Politik der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Überwachung von Sicherheitsnormen und der Bestrafung von Geschäften mit Produkten oder Dienstleistungen, die eine Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit darstellen, zu verstärken ist.“

(39)  Beispiele dafür sind die seit 1992 erstellten Dokumente „Bessere Rechtsetzung“, darunter v. a. jenes aus dem Jahr 2002 (KOM(2002) 715 endg. vom 11.12.2002), sowie folgende Mitteilungen der Kommission: „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“ (KOM(2001) 726 endg. vom 5.12.2001), „Europäisches Regieren: Bessere Rechtsetzung“ (KOM(2002) 275 – 278 endg. vom 5.6.2002), „Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire“ (KOM(2003) 71 endg. vom 11.2.2003) und insbesondere das neueste „Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2004“ (KOM(2003) 645 endg. vom 29.10.2003), in dem die Vereinfachung und Kodifizierung der Gemeinschaftsvorschriften als Priorität für 2004 genannt wird (Anhang 5).

(40)  Siehe die Stellungnahmen des EWSA mit folgenden Berichterstattern: Herr VEVER (ABl. C 14 vom 16.1.2001), Herr WALKER (ABl. C 48 vom 21.2.2002 und ABl. C 125 vom 27.5.2002), Herr SIMPSON (ABl. C 133 vom 6.6.2003) und Herr RETUREAU, (ABl. C 112 vom 30.4.2004).

(41)  ABl. C 321 vom 31.12.2003; vgl. den wichtigen Bericht des EP vom 25.9.2003 (A5-0313/2003) von Berichterstatterin Monica FRASSONI, MdEP.

(42)  Stellungnahme zu KOM(2003) 71 endg., Berichterstatter: Herr RETUREAU, (ABl. C 112 vom 30.4.2004).

(43)  Zum Stand der Umsetzung des Acquis communautaire erklären 65 % der befragten Stellen, die Rechtsetzungsreform sei abgeschlossen, 35 %, sie sei nicht abgeschlossen.

(44)  Die Idee einer „Kodifizierung“ des EU-Verbraucherrechts und die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs „Kodifizierung“ wurden in dem Kolloquium am 12./13. Dezember 1997 in Lyon ausführlich erörtert; die Sitzungsunterlagen wurden unter dem Titel „Vers un Code Européen de la Consommation“ von Bruylant (1998) veröffentlicht. Dieselben Themen wurden in dem Kolloquium am 14./15. Januar 2000 in Boulogne-sur-Mer wieder aufgegriffen, dessen Sitzungsakten von der Documentation Française (Paris 2002) veröffentlicht wurden. In dem Buch „Faut-il recodifier le droit de la consommation?“ von Dominique Fenouillet und Françoise Labarthe (ECONOMICA, 2002) haben verschiedene Autoren Überlegungen zu diesem Thema angestellt.

(45)  EWSA-Stellungnahme CESE 105/2004, Berichterstatter: Herr BATALLER (ABl. C 108 vom 30.4.2004).

(46)  Siehe in diesem Zusammenhang die beiden folgenden EWSA-Stellungnahmen: „Binnenmarkt und Verbraucherschutz“ (Berichterstatter: Herr CEBALLO HERRERO, in ABl. C 39 vom 12.2.1996) und „Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union“ (Berichterstatterin: Frau DAVISON (in ABl. C 125 vom 27.5.2002) sowie insbesondere die Stellungnahmen zu den Richtlinienvorschlägen über „irreführende bzw. vergleichende Werbung“, „Haustürgeschäfte“, „Verbraucherkredit“, „Pauschalreisen“, „missbräuchliche Klauseln“, „Teilzeiteigentum“, „Fernabsatz“ von Waren im Allgemeinen und von Finanzdienstleistungen im Besonderen, „Produzentenhaftung“, „Garantien“, „elektronischen Handel“, „Produktsicherheit“ und „unlautere Geschäftspraktiken“.

(47)  Stellungnahme vom 26. März 2003, Berichterstatter: Herr BATALLER (ABl. C 133 vom 6.6.2003). Erwähnenswert ist auch der Bericht des niederländischen Ausschusses für Verbraucherfragen vom November 2000 zu diesem Thema.

(48)  Wie vom Rat schon in seiner Entschließung vom 9.6.1986 festgelegt (ABl. C 184 vom 23.7.1986).

(49)  Stellungnahme vom 29.1.2004 (Berichterstatter: Herr Hernández Bataller, ABl. C 108 vom 30.4.2004). Die Kommission hatte auf die erforderliche bessere Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts schon in ihrer Mitteilung vom 11.12.2002 aufmerksam gemacht (KOM(2002) 725 endg.).

(50)  Auf dem Gipfel von Edinburgh am 11./12. Dezember 1992 wurde beschlossen, in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips eine ganze Reihe von in Vorbereitung befindlichen Richtlinienvorschlägen zurückzustellen, darunter auch der oben genannte Vorschlag (SN/456/92, Anhang C zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes).

(51)  Richtlinie 2001/95/EG, Artikel 20.

(52)  KOM(2003) 313 endg. vom 6.6.2003.

(53)  KOM(2004) 2 endg. vom 13.1.2004. Vgl. EWSA-Stellungnahme (Berichterstatter: die Herren METZLER und EHNMARK); vgl. auch die Entschließung des Rates vom 1.12.2003 in ABl. C 299 vom 10.12.2003.

(54)  Diese Feststellung soll jedoch der Stellungnahme des EWSA zu diesem Thema (CESE 137/2005) nicht vorgreifen.

(55)  Siehe das Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (KOM(2003) 270 endg. vom 21.5.2003) und die Mitteilung der Kommission „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“ (KOM(1996) 443 endg. vom 11.9.1996).

(56)  Stellungnahmen CESE 1607/2003 vom 10.12.2003, ABl. C 80 vom 30.3.2004 (Berichterstatter: Herr Hernández Bataller) und CES 605/1997 vom 29.5.1997, ABl. C 287 vom 22.9.1997 (Berichterstatter: Herr van Dijk); siehe auch die sektorspezifischen Stellungnahmen des EWSA zu wesentlichen Dienstleistungen, vor allem CES 1269/1996 vom 31.10.1996 zum Thema „Energieversorgung“, ABl. C 66 vom 3.3.1997 und CES 229/2001vom 1.3.2001 zum Thema „elektronische Kommunikationsdienste“, ABl. C 139 vom 11.5.2001 (Berichterstatter in beiden Fällen: Herr Hernández Bataller).

(57)  In Portugal werden seit Neuestem Telefondienste nicht mehr zu den wesentlichen öffentlichen Dienstleistungen gezählt! (Gesetz Nr. 5/2004 vom 10.2.2004).

(58)  Diese Mitteilung wird im Dokument KOM(2004) 374 endg. vom 12.5.2004 erwähnt.

(59)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (KOM(2003) 427 endg. vom 22.7.2003).

(60)  Stellungnahme CESE 841/2004 (Berichterstatter: Herr von Fürstenwerth, ABl. C 241 vom 28.9.2004).

(61)  Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.3.2000, ABl. C L109 vom 6.5.2000.

(62)  Die Richtlinie sieht vor, dass die Angabe der Herkunft eines Erzeugnisses nur dann verpflichtend ist, wenn ihr Fehlen die Verbraucher irreführen könnte. Der Wortlaut ist an dieser Stelle nicht eindeutig und gewährleistet deshalb keine ausreichende Rechtssicherheit.

(63)  System für den schnellen Informationsaustausch.

(64)  So auch der Tenor der Stellungnahme des EWSA zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die allgemeine Produktsicherheit (ABl. C 367 vom 20.12.2000). Die Marktkontrollmechanismen halten 65 % für ausreichend, 37 % für kaum wirksam.

(65)  Richtlinie 85/374/EWG vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, geändert durch die Richtlinie 1999/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 1999, die den Geltungsbereich auf den Strommarkt ausweitet.

(66)  KOM(1999) 396 endg. vom 28.7.1999.

(67)  Siehe insbesondere den Lovells-Bericht (MARKT/2001/II/D), Vertragsnr. ETD/2001/B5-3001/D/76; der Berichterstatter war auch an der Ausarbeitung dieses Berichts beteiligt.

(68)  Richtlinie 85/577/EWG vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. L 372 vom 31.12.1985.

(69)  Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. L 144 vom 4.6.1997.

(70)  Ebenda, Artikel 11 Absatz 3a).

(71)  Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, ABl. L 271 vom 9.10.2002.

(72)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kredit an Verbraucher (KOM(2002) 443 endg. vom 11.9.2002).

(73)  89 % der Befragten erklären, dieses Recht sei gesetzlich verankert, 30 %, diese Mechanismen würden nicht wirksam angewandt.

(74)  Richtlinie 93/13/EWG vom 5. April: ABl. L 95/29 vom 21.4.1993.

(75)  So weit bekannt, wird die CLAB-Datenbank nicht länger aktualisiert, auch ist der Zugang schwierig. 52 % der Befragten halten den Verbraucherschutz vor missbräuchlichen Klauseln für ausreichend, nur 19 % für unzureichend.

(76)  KOM(2000) 248 endg. vom 6.7.2000; vgl. die Stellungnahme des EWSA (Berichterstatter: Herr Ataíde Ferreira), veröffentlicht im ABl. C 116 vom 20.4.2001.

(77)  Richtlinie 87/102, ABl. L 42 vom 12.2.1987 und Richtlinie 98/7, ABl. L 101 vom 1.4.1998.

(78)  Vgl. Stellungnahme des EWSA zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kredit an Verbraucher“ vom 17. Juli 2003 (ABl. C 234 vom 30.9.2003). Darin erachtete der EWSA als nicht hinnehmbar, dass bei diesem Vorschlag wiederum – wie schon bei der Richtlinie 87/102/EWG – das Hauptanliegen in der Förderung des Binnenmarktes besteht und der Verbraucherschutz nur insoweit von Belang ist, als er zur Förderung des freien Verkehrs bei Kreditangeboten beitragen kann, er somit nicht das eigentliche Ziel, sondern lediglich ein Mittel zur Förderung des Binnenmarktes ist.

(79)  Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang der noch stets aktuelle Informationsbericht und die Stellungnahme vom 24.4.2002 (Berichterstatter: Herr Ataíde Ferreira; veröffentlicht in ABl. C 149 vom 21.6.2002) sowie die von der Kommission und nationalen Verbraucherorganisationen veranstalteten Sitzungen zu diesem Thema.

(80)  Die Kommissionsempfehlung 87/598/EWG für einen europäischen Verhaltenskodex im Bereich des elektronischen Zahlungsverkehrs (ABl. L 365 vom 24.12.1987) bietet keinen ausreichenden Schutz für die Verbraucherinteressen in diesem Bereich.

(81)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: ein neuer Rechtsrahmen für den Zahlungsverkehr im Binnenmarkt (KOM(2003) 718 endg.); der EWSA wird eine Stellungnahme zu diesem Thema erarbeiten (Berichterstatter: Herr Ravoet, vom 30.6.2004).

(82)  Siehe KOM(2004) 91 endg. vom 12.3.2004 und die in Arbeit befindliche EWSA-Stellungnahme der Berichterstatter RETUREAU und DAVISON.

(83)  Siehe KOM(2004) 341 endg.) und die EWSA-Stellungnahme des Berichterstatters des vorliegenden Stellungnahmeentwurfs.

(84)  Mitteilung der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht (KOM(2001) 398 endg. vom 11.7.2001) und Stellungnahme des EWSA INT/117 (Berichterstatter: Herr Retureau; veröffentlicht in ABl. C 241 vom 7.1.2002).

(85)  Vgl. die Initiativstellungnahme zum Thema „Versicherungsverträge“ (INT/202) (Berichterstatter: Herr Pegado Liz).

(86)  Richtlinie 1999/44/EG vom 25.5.1999, ABl. L 171 vom 7.7.1999

(87)  Stellungnahme vom 1.6.1994 (Berichterstatter: Herr Proumens, ABl. C 295 vom 22.10.1994).

(88)  Dergleichen sah die Kommission schon in ihrem hervorragenden Grünbuch (KOM(1993) 509 endg. vom 15.11.1993) vor; die Richtlinie entspricht nicht dem Tenor dieses Grünbuchs.

(89)  KOM(2001) 531 endg. Vgl. Stellungnahme CES 344/2002 (Berichterstatterin: Frau Davison), veröffentlicht im ABl. C 125 vom 27.5.2002.

(90)  Stellungnahme vom 28.1.2004 (Berichterstatter: Herr Hernández Bataller, ABl. C 108 vom 30.4.2004).

(91)  Stellungnahme (Berichterstatter: Herr Dimitriadis, veröffentlicht im ABl. C 221 vom 17.9.2002) zum Vorschlag für eine Verordnung der Kommission (KOM(2001) 546 endg. vom 2.10.2001).

(92)  71 % der Befragten erklären, es gebe einen Rechtsweg; nur 29 % erklären, es gebe dafür keine spezifischen Verfahren; 58 % halten diese Verfahren für angemessen, 35 % für kaum wirksam.

(93)  Richtlinie 98/27/EG vom 19.5.1998 (ABl. L 166 vom 11.6.1998), jetzt in einer kodifizierten Fassung (KOM(2003) 241 endg. vom 12.5.2003).

(94)  73 % der Befragten erklären, es gebe keine Prozesskostenbefreiung für Verbraucherschutzverbände.

(95)  Stellungnahme des EWSA zum Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht (KOM(2002) 196 endg. vom 19.4.2002), (Berichterstatter: Herr Malosse), veröffentlicht im ABl. C 85 vom 8.4.2003. Der EWSA erwartet als Folgemaßnahme die Veröffentlichung des Berichts über die Funktionsweise des Europäischen Netzes für die außergerichtliche Streitbeilegung (EEJ-NET). Er vertritt aber bereits an dieser Stelle die Ansicht, dass die Funktionsfähigkeit des Netzes verbessert werden sollte.

(96)  78 % der Befragten erklären, es gebe alternative Streitbeilegungsverfahren, nur 33 % antworten, es gebe keine.

(97)  Empfehlung 98/257/EG vom 30. März 1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind, ABl. L 115 vom 17.4.1998; Empfehlung 2001/310/EG vom 4.4.2001, ABl. L 109 vom 19.4.2001.

(98)  Ratsdokumente 9179/99 und Korr. 1-99/00806; diesbezügliche Stellungnahme des EWSA (Berichterstatter: Herr Ravoet), veröffentlicht im ABl. C 75 vom 15.3.2000; diese Dokumente bilden nun die Ratsverordnung (ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 1).

(99)  Verordnung EG 44/2001 (ABl. L 12 vom 16.1.2001).

(100)  KOM(2003) 427 endg. vom 22.7.2003.

(101)  KOM(2002) 654 endg.; der Berichterstatter für die Stellungnahme des EWSA war Herr Pegado Liz (EWSA-Stellulngnahme CESE 88/2004, in ABl. C 108 vom 30.4.2004).

(102)  KOM(2001) 705 endg. vom 22.11.2001; diesbezügliche Stellungnahme des EWSA (Berichterstatter: Herr Ataíde Ferreira, ABl. C 36 vom 8.2.2002).

(103)  Stellungnahme „Verbraucherpolitische Strategie 2002 – 2006“ vom 26.2.2003, ABl. C 95 vom 23.4.2003, Berichterstatterin: Frau DAVISON); Stellungnahme „(...) Finanzierung (...) der Verbraucherpolitik 2004 – 2007“ vom 17.7.2003, ABl. C 234 vom 30.9.2003, Berichterstatter: Herr HERNÁNDEZ BATALLER)


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Änderungsantrag, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfielen, wurde abgelehnt:

Die unter Ziffer 12.5 aufgeführten Prioritäten um folgenden Punkt ergänzen:

„—

die Möglichkeit, die Probleme des Verbraucherschutzes außerhalb des eigenen Landes in der eigenen Muttersprache durch Vermittlung eines nationalen Verbraucherschutzbeauftragten zu lösen.“

Begründung

Zur Zeit ist es wegen der Sprachbarrieren und der Unkenntnis der Verfahrensabläufe bzw. -beschränkungen für den Verbraucher schwer, sein Recht in einem anderen EU-Mitgliedstaat wahrzunehmen, wenn beispielsweise ein Lette in den Niederlanden die Verbraucherrechte missachtet oder umgekehrt.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 23

Nein-Stimmen: 43

Stimmenthaltungen: 3