Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierungen in einer erweiterten Europäischen Union

Dieses Grünbuch wirft eine breite Palette von Fragen auf, die mit der künftigen Strategie im Bereich Gleichstellung und Bekämpfung von Diskriminierungen in einer erweiterten Europäischen Union zusammenhängen. Es unterstreicht, dass in den vergangenen fünf Jahren auf EU-Ebene gewaltige Fortschritte bei der Entwicklung eines rechtlichen und politischen Rahmens erzielt worden sind. Gleichwohl müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass diesen Errungenschaften in der ganzen erweiterten EU umfassend und effizient Geltung verschafft wird.

RECHTSAKT

Grünbuch - Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierungen in einer erweiterten Europäischen Union [KOM(2004) 379 endg. - Nicht im Amtsblatt veröffentlicht].

ZUSAMMENFASSUNG

In diesem Grünbuch wird dargestellt, wie die Europäische Kommission die bisherigen Fortschritte bei der Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung beurteilt. Darüber hinaus sollen Meinungen darüber eingeholt werden, auf welche Weise die EU ihre Bemühungen auf diesem Gebiet fortführen und verstärken kann. Damit entspricht die Kommission den Aufforderungen durch das Europäische Parlament und andere Stellen, eine öffentliche Anhörung über die zukünftige Gleichbehandlungspolitik durchzuführen.

BISHERIGE FORTSCHRITTE

Der Kampf gegen Diskriminierungen als neuer Kompetenzbereich der Europäischen Gemeinschaft

In den letzten Jahren hat sich die EU einen beträchtlichen Korpus von Rechtsvorschriften geschaffen, um Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts bei Entlohnung, Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherheit anzugehen. Gleichwohl muss die Europäische Gemeinschaft Diskriminierungen auch wegen einer Reihe weiterer Gründe bekämpfen. Aus diesem Grund wurde mit dem Vertrag von Amsterdam aus dem Jahre 1997 der Artikel 13 eingeführt, der der Gemeinschaft die Befugnis verleiht, Diskriminierungen wegen eines umfassenden neuen Spektrums von Gründen anzugehen, einschließlich von Diskriminierungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung.

In der Folge wurde dieser Artikel durch den Vertrag von Nizza weiter abgeändert, um die Möglichkeit einer Annahme von Anreizmaßnahmen durch Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat zu eröffnen.

Festlegung eines rechtlichen Rahmens

Um sicherzustellen, dass alle in der EU lebenden Menschen einen Rechtsschutz gegen Diskriminierungen genießen, verabschiedete der Rat im Jahr 2000 zwei Richtlinien: die Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und die Richtlinie zur Gleichbehandlung im Bereich der Beschäftigung.

Diese Richtlinien stellen wichtige Fortschritte beim Schutz gegen Diskriminierungen in der gesamten EU dar. Sie haben beträchtliche Änderungen im nationalen Recht aller Mitgliedstaaten erforderlich gemacht, auch in denen, die bereits über umfassende Antidiskriminierungsvorschriften verfügten. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten damit befasst, ihre Gesetzgebung zu Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts unter Berücksichtigung der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (Richtlinie 2002/73/EG) zu aktualisieren.

Durch diese Richtlinien ist in vielen Mitgliedstaaten zum ersten Mal ein Schutz gegen Diskriminierungen wegen bestimmter Gründe eingeführt worden und sie haben auch zur Einrichtung neuer Gleichstellungsstellen geführt.

EU-Unterstützung für Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen

Ergänzt werden die Richtlinien zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und zur Gleichbehandlung im Bereich der Beschäftigung durch ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es eines breiten Spektrums positiver Maßnahmen bedarf, um gegen diskriminierendes Verhalten vorzugehen und einen Wandel der Einstellungen herbeizuführen. Das Aktionsprogramm hat folgende Ziele: Förderung eines besseren Verständnisses der Diskriminierungsproblematik; Entwicklung der Fähigkeit, wirksam Diskriminierungen zu verhüten und gegen sie vorzugehen, insbesondere durch die Förderung des Austauschs von Informationen und bewährten Verfahren; Förderung und Verbreitung der Werte, die zu diesem Kampf ermutigen, u. a. durch Sensibilisierungsmaßnahmen.

Die Projekte zur Bekämpfung von Diskriminierungen bei der Beschäftigung sind auch über die Gemeinschaftsinitiative EQUAL sowie im Rahmen von allgemeinen Maßnahmen des Europäischen Sozialfonds in den Genuss von EU-Mitteln gekommen.

Auf der Tagung des Europäischen Rats in Lissabon im März 2000 legte die EU eine umfassende Zehnjahres-Strategie fest, die auf langfristiges Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, sozialen Zusammenhalt und nachhaltige Entwicklung abzielte. Eine der Zielsetzungen der so genannten „Lissabonner Agenda" ist, das Beschäftigungsniveau solcher Gruppen anzuheben, die derzeit auf dem Arbeitsmarkt unterrepräsentiert sind, und den Abstand zwischen den Arbeitslosenquoten zugunsten benachteiligter Gruppen - wie z. B. Menschen mit Behinderungen, ethnischen Minderheiten und Einwanderern - zu verringern.

Die Antidiskriminierungsvorschriften und -strategien sollen Hindernisse abbauen, die Mitglieder bestimmter Gruppen am Zugang zu Arbeitsplätzen und Ausbildungsmaßnahmen hindern. Unterstützt werden die europäische Beschäftigungsstrategie und der Prozess der sozialen Eingliederung durch den Europäischen Sozialfonds (ESF).

Der Grundsatz des Diskriminierungsverbots und die sozialen Grundrechte

Die Verpflichtung der Europäischen Union auf den Grundsatz des Diskriminierungsverbots wurde durch die Proklamierung der Charta der Grundrechte im Dezember 2000 bestätigt. In Artikel 21 der Charta werden alle sechs in Artikel 13 EG-Vertrag aufgeführten Diskriminierungsgründe abgedeckt sowie sieben zusätzliche Gründe: soziale Herkunft, genetische Merkmale, Sprache, politische oder sonstige Anschauung, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen und Geburt. In Anlehnung an Artikel 12 EG-Vertrag verbietet Artikel 21 der Charta ferner jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Dabei handelt es sich nicht um eine erschöpfende Aufzählung der möglichen Gründe.

Die Grundsätze der Charta sollten dazu dienen, die Politikentwicklung in der EU und die Umsetzung der entsprechenden Strategien durch nationale Behörden zu lenken. Bereits jetzt ist die Charta zu einem bedeutsamen Bezugstext für den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) bei seiner Auslegung des Gemeinschaftsrechts geworden.

Der internationale Kontext

Das Recht, nicht diskriminiert zu werden, wird durch wichtige internationale Rechtsinstrumente anerkannt, darunter die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (alle im Rahmen der UNO) und das Übereinkommen Nr. 111 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). Die Bestimmungen zum Diskriminierungsverbot in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sind vor kurzem durch das Inkrafttreten eines neuen Protokolls 12 zu dieser Konvention am 1. April 2005 verschärft worden, das ein selbständiges Recht auf Gleichbehandlung gewährt.

Es ist auch ein erhebliches internationales Interesse an den Entwicklungen der jüngsten Zeit in der EU festzustellen, deren Vorschriften zum Diskriminierungsverbot zu den weltweit fortschrittlichsten gehören und weithin als wirksames Modell betrachtet werden.

HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE ZUKUNFT

Mit der EU-Erweiterung zusammenhängende Probleme

Die Veröffentlichung dieses Grünbuchs erfolgte unmittelbar nach der Erweiterung der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedstaaten. Sowohl für die alten Mitgliedstaaten als auch für diese zehn Länder sowie die Länder, die einen Beitrittsantrag gestellt haben, ist die Nichtdiskriminierungsthematik von Bedeutung.

Der Grundsatz des Diskriminierungsverbots gehört zu den so genannten „politischen Kriterien" für die Mitgliedschaft, auf die sich die Mitgliedstaaten auf der Tagung des Europäischen Rates in Kopenhagen im Jahr 1993 geeinigt hatten. Die neuen Mitgliedstaaten müssen vor ihrem Beitritt zur Europäischen Union die beiden Antidiskriminierungsrichtlinien als Teil des gemeinschaftlichen Besitzstands umsetzen.

Die Erweiterung sollte allen Mitgliedstaaten als Anreiz dienen, die Lebensumstände der Minderheiten zu verbessern. Dies gilt insbesondere für die Roma, die insgesamt die größte ethnische Minderheitengruppe der erweiterten EU darstellen.

Umsetzung des rechtlichen Rahmens

Die EU hat eine solide Rechtsgrundlage zur Bekämpfung von Diskriminierungen geschaffen. Nun gilt es, die wirksame Umsetzung dieses Rechtsrahmens zu gewährleisten. Angesichts der Tatsache, dass in den vergangenen Jahren rassistisch motivierte Taten und Diskriminierungen aufgrund der Rasse eindeutig zugenommen haben, müsste die Kluft zwischen den im Jahr 2000 auf EU-Ebene verabschiedeten Rechtsvorschriften, dem Umsetzungsstand in einigen Mitgliedstaaten und dem Fortbestand von Diskriminierungen zu überwinden.

Für eine endgültige Aussage zur Wirksamkeit des neuen Rechtsrahmens in allen Mitgliedstaaten ist es noch zu früh. Gleichwohl kann bereits jetzt eine Reihe von Mängeln aufgezeigt werden. Die Kommission ist besorgt über die Verzögerungen bei der Umsetzung der Richtlinien in einigen Mitgliedstaaten und ist sich der unzureichenden Konsultation während des Umsetzungsprozesses bewusst. Es bleibt noch viel zu tun, um eine uneingeschränkte und wirksame Umsetzung und Anwendung der Richtlinien zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und zur Gleichbehandlung im Bereich der Beschäftigung sicherzustellen.

Die Europäische Kommission hat ihren umfassenden Ansatz zur Fortsetzung ihrer Bemühungen zugunsten von Menschen mit Behinderungen in einem Europäischen Aktionsplan dargelegt, der im Oktober 2003 angenommen wurde. In diesem Aktionsplan ist eine Reihe von Initiativen vorgesehen, mit denen der Zugang von behinderten Menschen zur Beschäftigung, zur Bildung und zum lebenslangen Lernen, zu neuen Technologien sowie die Zugänglichkeit zur baulichen Umwelt gefördert werden sollen.

Verbesserung der Datensammlung, Überwachung und Analyse

Da keine Mechanismen für die Datensammlung und Beobachtung von Trends und Fortschritten in den Mitgliedstaaten existieren, ist es derzeit schwierig, das genaue Ausmaß der Herausforderungen einzuschätzen und die Wirksamkeit der Rechtsvorschriften und Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen zu eruieren.

Die Europäische Kommission ist sich bewusst, dass der Schutz personenbezogener Daten ein sensibles Thema darstellt. Gleichwohl ist ein Dialog mit den nationalen Behörden und sonstigen Akteuren darüber, wie man die Datensammlung in diesem Bereich verbessern könnte, unerlässlich.

EU-Unterstützung für praktische Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen

Das Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen hat bereits zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit beigetragen. Es geht nun darum, die strategischen Schwerpunkte für die künftige Bereitstellung von EU-Mitteln, insbesondere nach der Erweiterung, festzulegen. Die Kommission muss dem Rat und dem Parlament bis Ende 2005 Bericht über die Fortschritte bei der Programmumsetzung erstatten.

Ein erheblicher Anteil der im Rahmen dieses Aktionsprogramms zur Verfügung stehenden Human- und Finanzressourcen wurde für transnationale Projekte bereitgestellt, die viele verschiedene Gruppen und Organisationen zusammenführten. Bereitgestellt wurden außerdem im Rahmen des Programms beträchtliche Mittel für die Basisfinanzierung des Europäischen Behindertenforums (EDF), des Europäischen Netzwerkes gegen Rassismus (ENAR), der Europäischen Plattform für Senioren (AGE) und der ILGA-Europe (Internationale Lesben- und Schwulen-Organisation) sowie einer Reihe kleinerer Netze, die im Behindertenbereich tätig sind.

Stärkung der Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren

Ein breites Spektrum von Akteuren hat aktiv an der Entwicklung der Arbeiten der EU im Kampf gegen Diskriminierungen mitgewirkt, darunter nationale Behörden, das Europäische Parlament, die Sozialpartner und Nichtregierungsorganisationen, regionale und lokale Behörden, der Ausschuss der Regionen, wissenschaftliche Experten und die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Einbeziehung des Grundsatzes des Diskriminierungsverbots in andere Politikbereiche

Im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie sind einige Mitgliedstaaten dazu übergegangen, eine umfassendere Strategie zu entwickeln, bei der Maßnahmen zur Förderung der Einbeziehung benachteiligter Gruppen mit Maßnahmen zur Bekämpfung diskriminierender Einstellungen, Verhaltensweisen und Praktiken kombiniert werden. Dieser duale Ansatz sollte verstärkt zur Anwendung gelangen.

Die Kommission stellt eine wachsende Tendenz fest, Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung gleichzeitig mit Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen wegen anderer der in Artikel 13 EG-Vertrag festgehaltenen Gründe durchzuführen. Mit der Entwicklung eines integrierten Ansatzes soll insbesondere der Problematik von Mehrfachdiskriminierungen begegnet werden. Außerdem will man auf diese Weise den Forderungen nach wirksamen Vorgehensweisen bei der Förderung der Gleichbehandlung entsprechen.

Die Kommission wäre interessiert, Meinungen darüber einzuholen, welche Möglichkeiten für eine Stärkung einer integrierten Vorgehensweise im Bereich der Antidiskriminierung bestehen, die alle in Artikel 13 EG-Vertrag genannten Gründe, einschließlich der Geschlechtszugehörigkeit, abdeckt. Sie hat vom 1. Juni bis 31. August 2004 eine öffentliche Anhörung auf der Grundlage eines Fragebogens durchgeführt, der im Anhang des Grünbuchs enthalten ist.

Letzte Änderung: 25.04.2005