19.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 211/23


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt“

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel“

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen“

KOM(2007) 528 endg. — 2007/0195 (COD)

KOM(2007) 529 endg. — 2007/0196 (COD)

KOM(2007) 530 endg. — 2007/0197 (COD)

KOM(2007) 531 endg. — 2007/0198 (COD)

KOM(2007) 532 endg. — 2007/0199 (COD)

(2008/C 211/06)

Der Rat beschloss am 18. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 44 Absatz 2, Artikel 55 und Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmark“.

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt“.

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden“.

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel“.

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2008 an. Berichterstatter war Herr CEDRONE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 100 gegen 4 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Schlussfolgerungen

1.1.1

Der EWSA billigt insgesamt die Gründe, die die Kommission zur Vorlage des dritten Energie-Legislativpakets bewogen haben. Dies ist eine unter rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten komplexe und schwierige Materie, die zu unterschiedlichen Bewertungen und Reaktionen geführt hat.

1.1.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass der gegenwärtige Zustand im Energiesektor nicht mehr länger andauern darf. Nach dem Start des Integrations- und Liberalisierungsprozesses befinden wir uns in einer Übergangsphase: jetzt muss entschieden werden, welche Richtung eingeschlagen werden soll. Die Liberalisierung des Energiemarkts befindet sich in einer Stagnationsphase, die hohe Übergangskosten verursacht, die den Nutzen übersteigen könnten. Diese Kosten sind auf den fehlenden Rahmen einheitlicher gemeinschaftlicher Bestimmungen und in einigen Fällen auf das Fehlen eines echten Liberalisierungswillens und einer eindeutigen Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Parteien zurückzuführen. Diese Regulierungsunsicherheit kann zu einem niedrigen Investitionsniveau und schwach entwickeltem Wettbewerb in diesem Sektor führen. Das hat zu einem fragmentierten, in einigen Fällen von ehemaligen Monopolunternehmen kontrollierten europäischen Markt geführt. Daher muss nachdrücklich die Notwendigkeit einer entschlossenen Weiterführung der Liberalisierung bekräftigt werden.

1.1.3   Politische Aspekte: Der Binnenmarkt

1.1.3.1

Zentraler Punkt dieser Strategie ist die Realisierung eines europäischen Energiebinnenmarkts. Die EU muss eine gemeinsame Strategie erarbeiten, um rasch, geschlossen und mit größerem Gewicht auf der internationalen Bühne handeln zu können. Die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten, Regulierungsbehörden und Übertragungs- und Fernleitungsnetzbetreibern ist unbedingt erforderlich, weshalb strukturelle Veränderungen zwecks Integration von Netzbetrieb und Netzentwicklung auf regionaler Ebene vorgenommen werden müssen. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Vorschriften zusammenlegen, um gemeinsam zu handeln und eine echte Preispolitik für die Versorgung vorzuschlagen (aufzuerlegen) und ein möglichst wettbewerbsorientiertes Umfeld zu schaffen, das möglichst faire Preise hervorbringt und sich der Finanzspekulation entzieht. Es sollte mehr Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten bestehen, die sich im Interesse der Nutzer/Verbraucher an die vereinbarten gemeinsamen Bestimmungen halten und die zuvor beschlossenen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in nationales Recht umsetzen sollten.

1.1.4   Wirtschaftliche Aspekte

1.1.4.1

Nach Auffassung des EWSA würde ein fairer, angemessen geregelter Wettbewerb (der durch den derzeitigen Kommissionsvorschlag nicht ermöglicht wird) die Erhöhung des Anteils alternativer Energiequellen und der Investitionen in Energieinfrastrukturen fördern. Dies würde zu einem Anstieg der Produktivität der Unternehmen (wie z.B. der KMU) und damit zu fairen Preisen, zu erhöhter Transparenz und zur Verringerung der Gefahren marktbeherrschender Stellungen führen.

1.1.4.2

Eines der wichtigsten Ziele des dritten Energie-Legislativpakets besteht darin, die erforderlichen Energieinfrastrukturinvestitionen zu fördern und ihre Koordinierung auf europäischer Ebene zu gewährleisten. Unter diesem Aspekt gehen die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen in die richtige Richtung, jedoch muss sichergestellt werden, dass diese Maßnahmen die erforderlichen Investitionen bei der Erzeugung ermöglichen, dass sie das Vertrauen der Investoren stärken. In Bezug auf den Ausbau der Netze muss dafür Sorge getragen werden, dass eine angemessene, alle Beteiligte berücksichtigende Planung erfolgt, die sowohl von ihrem Umfang her als auch hinsichtlich der Fristen eingehalten wird. Ferner ist eine Kontrolle der Investitionen auf Gemeinschaftsebene (durch die Agentur für die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden) erforderlich. Ein wenig elastischer Markt, der durch Unternehmen mit Oligopolstellung und einige Staaten, die ihre Zuständigkeit für die Versorgung nur zögerlich aufgeben, gekennzeichnet ist, beeinträchtigt das Vertrauen der Akteure und Nutzer und führt zu einem Liquiditätsmangel. Dieser Situation muss Abhilfe geschaffen werden.

1.1.5   Soziale Aspekte

1.1.5.1

Die durch das dritte Energiepaket ausgelösten Umstrukturierungsprozesse müssen mit beschäftigungsfördernden Maßnahmen einhergehen, an denen die Gewerkschaften und Unternehmen mittels Instrumenten wie „corporate social restructuring“ und Mechanismen der sozialen Abfederung auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene umfassend zu beteiligen sind. Die Feststellung ist beruhigend, dass in den Staaten, die eine eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungsnetze durchgeführt haben, keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung zu verzeichnen sind.

1.1.5.2

Wenngleich der Schutz sozial schwächerer und schutzbedürftiger Verbrauchergruppen nach wie vor ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten liegt, ist es doch sehr wichtig, dass die Kommission die grundlegende Bedeutung solcher internationaler Maßnahmen anerkennt. Die Kommission muss sicherstellen, dass auch ihre Durchführung überwacht wird, damit diese Instrumente die Voraussetzungen für einen offenen und wettbewerbsorientierten Markt erfüllen. Der Begriff der „Energiearmut“ sollte auf europäischer Ebene eingeführt werden (niedrigster angewandter Tarif) und dem öffentlichen Versorgungsauftrag sowie den Gemeinwohlverpflichtungen — wie in den gegenwärtigen Richtlinien vorgesehen — entsprochen werden.

1.1.6   Die Nutzer (Unternehmen und Verbraucher)

1.1.6.1

Eine neue energiepolitische Strategie muss folglich den echten Wettbewerb zwischen den Unternehmen fördern, damit die Nutzer mehr Wahlmöglichkeiten haben. Die Leitungsnetze müssen für alle, die sie nutzen wollen, zugänglich sein. Für energieintensive Großunternehmen muss ein europäischer Energiekaufvertrag mit einheitlichen Preisen (vergleichbare Preise oder „law of one price“) konzipiert und die staatlichen Beihilfen beseitigt werden, die den Wettbewerb verzerren. Die Verbraucher müssen in den Genuss der von der EU vorgesehenen Rechte kommen und sich frei für den Versorger ihrer Wahl mit dem niedrigsten Preis entscheiden können.

1.1.7

Der EWSA ist schließlich der Auffassung, dass der Kommissionsvorschlag darauf abzielen muss, ein unfreiwilliges gemeinsames Vorgehen zur Konsolidierung des Status quo zu unterbinden: Dabei sind zum einen die großen Monopolbetriebe bestrebt, den Vorteil, der sich aus ihrem Status ergibt, zu erhalten, zum anderen versuchen die Gewerkschaften Arbeitsplätze zu verteidigen.

1.2   Die Vorschläge des EWSA

1.2.1   Der Energiebinnenmarkt

1.2.1.1

Um die Verwirklichung des Energiebinnenmarkts zu beschleunigen, muss die Kommission die Vorschläge des dritten Energiepakets dahingehend ändern, dass sie auf der internationalen Bühne — insbesondere mit Blick auf die Energiequellen — unabhängig agieren kann. Zu diesem Zweck müssen die im dritten Energiepaket enthaltenen Vorschläge zur regionalen Zusammenarbeit als ein Zwischenschritt bei der Verwirklichung des letztlich angestrebten Ziels des Energiebinnenmarkts angesehen werden. Außerdem sollten sich die Mitgliedstaaten für die Integration ihrer Strommärkte engagieren und Netzbetreiber sollten in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sein. Der EWSA ist der Auffassung, dass die im dritten Energiepaket vorgeschlagene regionale Zusammenarbeit von Netzbetreibern keinesfalls als vorübergehender Ersatz oder als Alternative für den Energiebinnenmarkt aufgefasst werden darf. Eine auf eigentumsrechtlicher Entflechtung basierende regionale Zusammenarbeit von Netzbetreibern, die von den Vertriebs-/Erzeugungstätigkeiten effektiv abgekoppelt sind, ist von zentraler Bedeutung. Die von der Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden (ERGEG) unlängst geförderten regionalen Initiativen sollten auch für eine Überprüfung der Konsistenz der Regulierung und der Marktvorschriften herangezogen werden.

1.2.2   Die Entflechtung vertikal integrierter Unternehmen

1.2.2.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU der eigentumsrechtlichen Entflechtung gegenüber der funktionalen Entflechtung den Vorzug geben sollte, da erstere für die Investitionsförderung sicherlich besser geeignet ist. Das würde die Transparenz und das Vertrauen der Marktteilnehmer erhöhen, die Sicherheit des Netzwerks steigern und die Überwachung monopolistischer Aktivitäten verbessern, indem diskriminierende Verhaltensweisen verhindert und die Nutzung und Instandhaltung der Netze optimiert werden.

1.2.2.2

Die Folgen mit strategischer Bedeutung, die sich aus der Frage des Netzeigentums und der erforderlichen Gewährleistung der Unabhängigkeit auch in Bezug auf eventuelle Interessen von Drittstaaten — einschließlich die Entscheidung in Bezug auf das Eigentum der (öffentlichen oder privaten) Netze — muss weiter vertieft und untersucht werden. Der Kommissionsvorschlag verlangt im Zusammenhang mit der eigentumsrechtlichen Entflechtung keine Privatisierung der Übertragungs-/Fernleitungsnetze, die sich gegenwärtig in öffentlichem Eigentum befinden.

1.2.2.3

Es gibt keine Unterschiede zwischen dem Elektrizitäts- und dem Gassektor (siehe USA, Dänemark, Niederlande, Portugal, Vereinigtes Königreich, Spanien und Schweden), die eine nicht einheitliche Behandlung im Bereich der eigentumsrechtlichen Entflechtung rechtfertigen könnten. Die eigentumsrechtliche Entflechtung der Vertriebs- und Erzeugungstätigkeiten einerseits und der Übertragungsaktivitäten andererseits ist in beiden Sektoren erforderlich, denn die möglichen diskriminierenden Verhaltensweisen aufgrund unzureichender vertikaler Entflechtung sind identisch. Unternehmen, die Erdgas verkaufen, sollten nicht daran interessiert sein, wer ihr Erdgas transportiert, sondern lediglich daran, über vertrauenswürdige und finanziell solide Geschäftspartner zu verfügen, die „ihr“ Erdgas verkaufen können.

1.2.3   Die europäische Agentur

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden mehr Befugnisse erhalten sollte, um

eine autonome und unabhängige Regulierungsfunktion auszuüben;

die Überwachung der Aktivitäten der Europäischen Netze der Übertragungs- und Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSO) auszuüben und zusammen mit ENTSO und einem ständigen Sachverständigenausschuss die Europäische Kommission dabei zu unterstützen, eine Liste der erforderlichen Bestimmungen aufzustellen, die für die Erarbeitung und Annahme der entsprechenden Leitlinien sowie technischen Kodizes und Marktkodizes notwendig sind;

die Kriterien aufzustellen und die Kodizes zu billigen;

Verfahren zur Festlegung von Gebühren und die Gebühren für die Kompensation der den Netzbetreibern bei der grenzüberschreitenden Übertragung von Strom entstehenden Kosten zu ermitteln;

Leitlinien bezüglich der Grundsätze für die Netzentwicklung zu erarbeiten und den von ENTSO vorgeschlagenen Zehnjahresinvestitionsplan zu billigen;

dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission Informationen vorzulegen und Stellungnahmen zu übermitteln;

die Marktakteure zu konsultieren;

die Arbeit der nationalen Behörden zu koordinieren;

die Transparenz, einschließlich der Verfahren zur Ernennung seiner Führungsebene, zu fördern.

1.2.4   Einzelstaatliche Behörden

1.2.4.1

Die nationalen Regulierungsbehörden spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung des Wettbewerbs und der Gewährleistung einer korrekten Umsetzung der Richtlinien auf einzelstaatlicher Ebene, vor allem in Bezug auf die Übereinstimmung mit den Vorschriften für die unparteiische Nutzung der Infrastrukturen. Ihre Befugnisse sollten deshalb harmonisiert und ihre Unabhängigkeit von den Regierungen und Energieunternehmen gestärkt werden, damit sie den Markt überwachen und den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen verhindern können. Unabhängigere Regulierungsbehörden fördern das Vertrauen in den Markt und können besser mit der Europäischen Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden interagieren.

1.2.5   Koordinierungsmechanismus der nationalen Netzbetreiber (European Networks of Transmission System Operators — ENTSOs)

1.2.5.1

Der EWSA propagiert eine effizientere Koordinierung der nationalen Netzbetreiber in puncto Investitionstätigkeit und Optimierung des Infrastrukturmanagements. Dies ist für die Entwicklung eines integrierten europäischen Netzes erforderlich. Die Agentur sollte bezüglich Vorschlagen, Erarbeiten, Überwachen und Annehmen der Kodizes eine wichtigere Rolle spielen als ursprünglich beabsichtigt, damit eine angemessene Berücksichtigung der öffentlichen Interessen gewährleistet wird. ENTSO sollte nur im Rahmen seiner Fähigkeiten und Kompetenzen auf den Plan treten. Dementsprechend sollte die Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden für die Erarbeitung von Leitlinien und Kodizes zuständig sein.

1.2.6   Europäische Netze und Investitionen

1.2.6.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die EU auf die künftige Nutzung der Netze mithilfe eines Investitionsprogramms einstellen sollte, das die Schaffung eines Systems öffentlicher und/oder privater europäischer, gemeinschaftlich regulierter Netzwerke vorsieht, die sowohl für die Übertragung wie auch für die Nutzung von Energie allgemein zugänglich sind. Zu diesem Zweck sollte gewährleistet sein, dass die Verfahren für die Zusammenschaltungen wirklich transparent sind und auf marktwirtschaftlichen Verfahren basieren, um einen möglichst ungehinderten Handel zu ermöglichen. Investitionen sollten dann getätigt werden, wenn sie aus regionaler Perspektive zum Wohlstand der Gesellschaften beitragen. Alle Marktteilnehmer sollten angemessen am Entscheidungsprozess über die Entwicklung von Kodizes sowie des Zehnjahresinvestitionsplans beteiligt werden.

1.2.7   Demokratie und Vertretung

1.2.7.1

Nach Ansicht des EWSA muss gemäß den bereits bestehenden oder derzeit in Erarbeitung befindlichen Schutzbestimmungen die Vertretung der Verbraucher im Verwaltungsrat der Agentur vorgesehen werden. Dasselbe gilt für alle weiteren Beteiligten (Akteure, Gewerkschaften, Unternehmen), die neben ihrer Präsenz im Verwaltungsrat auch in einem entsprechenden Aufsichtsgremium vertreten sein könnten, so dass sich die Ausarbeitung der Bestimmungen nicht nur in der Endphase, sondern von Anfang an auf einen möglichst breiten Konsens und eine möglichst umfassende Beteiligung stützt.

2.   Einleitung

2.1

Vor etwa zehn Jahren begann die Kommission (mit großer Verspätung), sich mit einem europäischen Regelwerk für einen Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt zu befassen. Der Ausschuss hatte Gelegenheit, zu diesem Thema Stellung zu nehmen. Er setzte in dieser — im Laufe der Zeit immer wichtigeren und kontroverser diskutierten — Frage mitunter andere Schwerpunkte als die Kommission.

2.2

Mit der Annahme des dritten Legislativpakets zum Strom- und Gasmarkt möchte die Europäische Kommission diesen bereits begonnenen Prozess unter vollkommen veränderten internationalen Bedingungen, die allen Beteiligten neuartige Probleme bereiten, vollenden. Die Vorschläge stoßen nicht auf die einhellige Zustimmung der Mitgliedstaaten. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Annahme und Anwendung der neuen Vorschläge verzögert und die Verwirklichung des europäischen Energiebinnenmarkts gefährdet wird.

2.3

Der EWSA trägt die große Verantwortung, eine Stellungnahme zu einem der wichtigsten (und sensibelsten) Themen der letzten Jahre vorzulegen, das nicht nur für den Energiemarkt, sondern auch für die Zukunft der europäischen Unternehmen in diesem Sektor, für die europäischen Verbraucher und für die Unternehmen der Drittländer von Bedeutung ist.

2.4

Der EWSA begrüßt die von der Europäischen Kommission erstellte Folgenabschätzung, die bereits deutliche Hinweise auf die Wirksamkeit der Liberalisierung und eines fairen Wettbewerbs gibt (vgl. Wortlaut).

3.   Die Motive der Kommission

3.1

Es soll sichergestellt werden, dass sich die Verbraucher angesichts eines breiten Angebots wirklich frei für den Lieferanten ihrer Wahl entscheiden und in den Genuss der „Vorteile“, die mit dieser Wahl einhergehen „sollten“, kommen können. Diese optimalen Bedingungen für die Nutzer müssen auch für Unternehmen aus Drittländern, die in der EU tätig sind, ein gemeinsames Ziel darstellen.

3.2

Angestrebt wird die Entflechtung von Erzeugung und Übertragung von Eigentum und Betrieb der Übertragungs-/Fernleitungsnetze für Strom und Gas. Ferner wird eine zweite Option vorgestellt, die einen „unabhängigen Netzbetreiber“ vorsieht und die es vertikal integrierten Unternehmen ermöglicht, Eigentümer ihrer Netzwerke zu bleiben, sofern das gebundene Kapital von einer unabhängigen Instanz oder einem anderen Unternehmen verwaltet wird. Damit sollen Infrastrukturinvestitionen gefördert werden.

3.3

Es sollen wirksame Maßnahmen ergriffen werden bezüglich der Probleme der Fragmentierung des Marktes entlang der nationalen Grenzen, der bestehenden vertikalen Integration und der starken Konzentration des Angebots, die bislang einen echten Wettbewerb und das Zustandekommen eines Energiebinnenmarkts verhindert haben.

3.4

Durch die Schaffung einer Agentur mit der Zielsetzung, die nationalen Regulierungsbehörden zu koordinieren und den in dieser Branche operierenden Unternehmen die gleichen Bedingungen zu bieten, soll der grenzübergreifende Handel vereinfacht werden. Damit soll die Entstehung eines echten europäischen Netzwerks sichergestellt werden, das zur Versorgungssicherheit beiträgt, eine Diversifizierung des Angebots ermöglicht und außerdem die Unabhängigkeit der nationalen Behörden nachhaltig stärkt.

3.5

Mittels neuer Vorschriften soll die Zusammenarbeit der europäischen Netzbetreiber gefördert und eine verstärkte Kooperation der verschiedenen europäischen Märkte — auch mit Blick auf Versorgungsengpässe — gewährleistet werden.

3.6

Durch Vereinfachung der Marktvorschriften und Bereitstellung von Verbraucherinformationen soll die Transparenz erhöht und das Vertrauen der Nutzer in einen funktionstüchtigen Markt gesteigert werden (aber war das bislang tatsächlich stets der Fall?).

3.7

Die Verbraucher sollen nächstes Jahr in den Genuss von — in einer spezifischen (verbindlichen) „Charta“ verbrieften — Energieverbraucherrechten kommen. Diese Charta soll u.a. Informationen über die Anbieter, über die verschiedenen Optionen des Marktes, über die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren und über die Armut aufgrund des Energieverbrauchs (fuel poverty) usw. enthalten (1).

4.   Die Richtlinienvorschläge (Elektrizität und Erdgas)

4.1

Angestrebt wird eine effektive (rechtliche und funktionale) Entflechtung des Versorgungs- und Übertragungssystems für Elektrizität und Erdgas mittels vertikal nicht integrierter Systeme in allen Mitgliedstaaten. Dies ist von zentraler Bedeutung für die Lösung möglicher Interessenskonflikte sowie für

die Gewährleistung angemessener Investitionen in ein effizienteres Versorgungs- und Übertragungssystem, einschließlich einem verbesserten Management grenzüberschreitender Übertragungen;

das Vermeiden von Privilegien oder Vorzugsbehandlungen für verbundene Unternehmen in vertikal integrierten Verteilungs- und Erzeugungssystemen;

die Gewährleistung eines korrekten und transparenten Informationszugangs für alle Marktteilnehmer, und nicht nur für diejenigen, die mit den betreffenden Unternehmen in Verbindung stehen.

4.2

Angesichts vertikal integrierter Unternehmen und des Widerstands gegen eine effektive eigentumsrechtliche Entflechtung ist die Einrichtung eines unabhängigen Netzbetreibers eine Lösung. Dieser Netzbetreiber ermöglicht den Unternehmen, Eigentümer des Netzwerks zu bleiben, ohne dieses jedoch verwalten zu können. Diese Unabhängigkeit des Netzbetreibers kann nur im Rahmen einer wirksamen Regelung gewährleistet werden.

4.2.1

Die Unabhängigkeit des Netzbetreibers und die eigentumsrechtliche Entflechtung von Verteilernetzen und Produktionssystemen sind sowohl auf öffentliche wie auch auf private Unternehmen anzuwenden.

4.2.2

Hauptziel ist es, die in der Strom- und Gaserzeugung und -versorgung operierenden Unternehmen in der gesamten EU vollständig zu entflechten.

4.2.3

In dem Richtlinienvorschlag sind befristete Ausnahmen von den eigentumsrechtlichen Entflechtungsvorschriften vorgesehen, wenn Investitionen in Energieinfrastrukturen getätigt werden.

4.3

Die Trennung von Versorgung und Produktion einerseits und Netzbetrieb andererseits wird nicht nur auf nationaler Ebene, sondern unionsweit angestrebt. Keinem Energieerzeugungsunternehmen soll es erlaubt sein, ein Verteilernetz in einem anderen Mitgliedstaat zu besitzen oder zu betreiben. Jeder Akteur, der sich am System beteiligt, muss den Nachweis über seine Unabhängigkeit von Versorgungs- und Erzeugungsaktivitäten erbringen.

4.4

Die eigentumsrechtliche Entflechtung muss zu einem korrekten Funktionieren des Marktes und des Netzes führen, was sich letztlich in einer korrekten Preisbildung für Elektrizität und Erdgas und möglichen Preissenkungen ausdrückt, was eindeutig den Verbrauchern und den Investoren in diesem Sektor zugute kommt.

4.5

Das korrekte Verhalten des unabhängigen Netzbetreibers sowie die wirksame eigentumsrechtliche Entflechtung des Produktions- und Versorgungssystems kann nur mithilfe einer unabhängigen und funktionsfähigen Regulierungsbehörde bewerkstelligt werden. Die Regulierungsbehörden müssen von jedwedem anderen öffentlichen oder privaten Akteur rechtlich getrennt und funktional selbstständig sein und unabhängig von jedem Marktinteresse handeln. Sie müssen über ein umfassendes Mandat verfügen und grenzübergreifend zusammenarbeiten können, um:

die Einhaltung der Transparenzverpflichtungen der verschiedenen Marktakteure zu überprüfen;

die Wirksamkeit der Verbraucherschutzbestimmungen zu gewährleisten;

das gute Funktionieren der Verteilung von Strom und Gas zu überprüfen;

die Investitionspläne der Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreiber zu kontrollieren und sie auf ihre Kompatibilität zu überprüfen;

eventuelle Marktmissbräuche oder die Präsenz marktbeherrschender Akteure, die eine korrekte Preisbildung verhindern, kontrollieren.

Die externen Agenturen (CESR, Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden) haben die Aufgabe, die Kommission bei der Anwendung der genannten Vorschriften zu beraten.

5.   Die Verordnungsvorschläge (Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen)

5.1

Die Konsolidierung der nationalen Märkte mittels gemeinsamer Regeln und Rahmenbedingungen ist für die Entwicklung des europäischen Energiemarkts und die Realisierung des erforderlichen grenzüberschreitenden Handels von zentraler Bedeutung. Eine Harmonisierung der in den verschiedenen Mitgliedstaaten bestehenden Vorschriften (z.B. der technischen Vorschriften oder Netzkodizes, die die Elektrizitätsunternehmen anzuwenden haben) ist notwendig, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint sie mithilfe der „Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für Elektrizität und Ergas“ (ERGEG) nicht realisiert worden zu sein. Eine solche Harmonisierung kann nur von einer getrennten und unabhängigen Instanz herbeigeführt werden, die aufgrund der Bestimmungen des Vertrags nur in Form einer Agentur gegründet werden kann.

5.2

Die Agentur sollte in erster Linie folgende Aufgaben haben:

ein besseres Management bei grenzüberschreitenden Aktivitäten ermöglichen;

die Aktivitäten der Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreiber überwachen;

die Wirksamkeit der Zehnjahresinvestitionspläne für die Netze überprüfen;

gewährleisten, dass die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren effizient und transparent und dem Binnenmarkt förderlich ist;

Einzelfallentscheidungen zu bestimmten technischen Aspekten und bei Anträgen auf Ausnahmen treffen;

eine beratende Rolle bei Problemen der Marktregulierung ausüben und Leitlinien zur Verbesserung der von nationalen Regulierungsbehörden angewandten Verfahren vorschlagen.

5.3

Die Organisationsstruktur entspricht dem typischen Organisationsplan der Regulierungsagenturen der EU, wobei der Gewährleistung der Unabhängigkeit bei der Ausübung der Regulierungsfunktion besondere Aufmerksamkeit gewährt wird. Daher kann neben einem Verwaltungsrat, der den Direktor der Agentur ernennt, ein Regulierungsrat eingerichtet werden, der für sämtliche Regulierungsfragen zuständig ist, sowie ein Beschwerdeausschuss, der für eventuelle Einsprüche gegen die von der Agentur getroffenen Entscheidungen zuständig ist. Die Agentur soll eine Personalausstattung von ca. 40-50 Mitarbeiter erhalten, ihre durch Gemeinschaftszuschüsse gedeckten jährlichen Gesamtkosten werden mit ca. 6-7 Mio. EUR veranschlagt.

5.4

Der Kommission kommt als Hüterin der Verträge die Funktion der obersten Kontrollinstanz zu. Die Agentur verfügt nur bei bestimmten technischen Fragen über Entscheidungsbefugnis und Ermessensspielraum. Die Entscheidung über Maßnahmen zum Schutz der Zusammenarbeit oder des reibungslosen Funktionieren des Marktes können nur von der Kommission nach Unterrichtung durch die Agentur oder in Eigeninitiative der Kommission ergriffen werden.

5.5

Eine effiziente Zusammenarbeit zwischen den Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreibern ist für eine echte Integration der Märkte von zentraler Bedeutung. Gegenwärtig besteht nur eine freiwillige Zusammenarbeit, die keine zufriedenstellenden Ergebnisse erbracht hat, zumal mit Blick auf Netzstörungen und Stromausfällen. Die Integration des Netzbetriebs auf regionaler Ebene würde es ermöglichen,

kohärente und international anerkannte technische Kodizes und Marktkodizes zu erarbeiten;

nicht diskriminierendes Verhalten in Bezug auf den Netzbetrieb und die Netzentwicklung zu gewährleisten;

die Marktintegration zu fördern, somit die Konvergenz der Preise zu ermöglichen und

die Sorgen über Marktkonzentration zu zerstreuen, die Liquidität zu stimulieren usw.;

die Finanzierung und Gestaltung von Forschung und Innovation zu fördern.

5.6

Die Kooperationsstrukturen der Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreiber müssen auf europäischer Ebene voll anerkannt sein. Entweder kann auf bereits bestehende Strukturen wie GTE (Europäisches Netz der Fernleitungsnetzbetreiber) und ETSO (Europäisches Netz der Übertragungsnetzbetreiber) zurückgegriffen werden, oder aber es werden zentrale und dauerhafte Strukturen sowohl für die Verwaltung wie auch in Bezug auf praktische Instrumente für Planung und Netzbetrieb aufgebaut.

6.   Allgemeine Bemerkungen

6.1

Das Hauptproblem bei den Netzen besteht — insbesondere bei den Stromnetzen — nicht nur in der Liberalisierung, sondern auch darin, sie für die Bürger und Unternehmen nutzbar zu machen. So wären z.B. öffentliche oder von der EU regulierte europäische Netze denkbar, die für alle zugänglich sind.

6.2

Die Kommission sollte Investitionen in die Verwirklichung eines völlig innovativen Übertragungssystems fördern, um europaweit die Nutzung von Elektrizität über ein interaktives intelligentes Netz zu ermöglichen, das n mit dem Internet vergleichbar ist und dank intelligenter Zähler den Energiefluss in beiden Richtungen ermöglicht.

6.3

Dies würde die Investitionstätigkeit stark ankurbeln und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie zur Verwirklichung des alten Slogans „power to the people“ beitragen: den Austausch von Energie im Einklang mit dem individuellen Bedarf über für alle zugängliche Netze und mit einheitlichen, in allen EU-Mitgliedstaaten angewandten Regelungen, wobei (wie beim Internet) keine Ausnahmen gemacht werden.

6.4

Aus diesen Gründen könnte eine vollständige Trennung im Stromversorgungssystem und einer Wahlmöglichkeit zwischen einer Trennung und einem unabhängigen Netzbetreiber für die Gasnetze angestrebt werden.

6.5

Die von der Kommission verfolgten Ziele (Stärkung der nationalen Behörden, Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Übertragungsnetzbetreibern (unabhängigen Netzbetreibern, Fernleitungsnetzbetreibern), Schaffung von mehr Transparenz auf dem Energiemarkt usw.) lassen sich nur schwer verwirklichen, wenn die nationale Optik nicht überwunden wird, und zwar nicht nur in Bezug auf die Netze, sondern auch bei der Versorgung, den Investitionen usw. Nur durch solche Maßnahmen kann eine bessere Dienstleistungsqualität sichergestellt werden, auch wenn sie alleine die Preise nicht eindämmen können.

6.6

Die Konzentration der Erdölreserven in einigen wenigen Regionen der Welt (61,8 % im Nahen Osten, 11,7 % in Europa und Russland, 9,4 % in Afrika, 8,5 % in Südamerika, 5,1 % in Nordamerika und 3,5 % in Fernost (F. Profumo, Polytechnikum Turin) sollte die Kommission dazu veranlassen, eine klare gemeinsame Politik sowohl gegenüber diesen Weltregionen als auch in den internationalen Organisationen zu betreiben, in denen Abkommen geschlossen und Entscheidungen getroffen werden. Andernfalls besteht schlicht und einfach die Gefahr, dass die Liberalisierung zur Augenwischerei verkommt — weil sie nicht ausreicht, die Preise einzudämmen, die häufig aufgrund von Monopolen — die auch gegenüber der Politik das Sagen haben — aufgeschlagen werden.

6.7

Die EU muss sich weiterhin für regulierten Wettbewerb und Transparenz einsetzen, damit das Wirtschaftssystem wettbewerbsorientierter und transparenter wird. Die Siege über Microsoft und Volkswagen sind ermutigende Präzedenzfälle für den Wettbewerb, obwohl dies allein nicht genug ist. Gleichzeitig müssen effizientere Maßnahmen zur Abfederung der Auswirkungen auf die Beschäftigung vorgesehen werden sowie entsprechende Maßnahmen und Investitionen, um die Dynamik des Wirtschaftssystems zu verbessern. Damit sollen mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer und für junge Menschen geschaffen und der Bedarf an „Schutz“ verringert werden. Die jüngsten, nicht sonderlich ermutigenden Daten über das Wirtschaftswachstum in Europa (siehe Mitteilung der Kommission) sind nicht nur auf den starken Euro zurückzuführen, sondern auch auf die niedrige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den „Schutz“, den viele von ihnen genießen. Der nach der Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte in Angriff genommene Abbau von Monopolen ist zum Erfolg verdammt, da im Falle eines Scheiterns durch die dadurch verursachte Marktstörung und eventuelle neuerliche Aufwendung öffentlicher Gelder zur Sicherung des Überlebens der Netze, wie dies bei der britischen Eisenbahn der Fall war, die Interessen der Bürger/Verbraucher mit Füßen getreten würden.

6.8

Die Debatte über dieses Paket darf nicht auf die institutionelle Ebene oder die Fachkreise beschränkt bleiben. Die Kommission und der EWSA müssen die Debatte nach außen tragen; sie muss offen unter Einbeziehung der Bürger und Verbraucher, der Arbeitnehmer und Unternehmen geführt werden, um zu verhindern, dass nur die in dieser Branche tätigen Unternehmen, die häufig eine Monopolstellung einnehmen, die Entscheidungen beeinflussen (z.B. könnte zu diesem Zweck ein Blog für die Bürger eingerichtet werden, und es sollten öffentliche Anhörungen in den meisten Mitgliedstaaten und in einigen europäischen Städten durchgeführt und die Ergebnisse in einer großen öffentlichen Konferenz auf Gemeinschaftsebene zusammengetragen werden). Im Übrigen sollte die von der Kommission ausgeübte Kontrolle über die europäischen Regulierungsbehörden auch eine demokratische Dimension erhalten und durch eine Kontrolle seitens des Europäischen Parlaments bestätigt werden.

7.   Besondere Bemerkungen

7.1

Entflechtung der Eigentumsverhältnisse der Tätigkeitsbereiche: Trennung der Versorgung und Erzeugung vom Betrieb der Netze (ownership unbundling). Die Durchführung derartiger Maßnahmen ist eine notwendige Voraussetzung für die Verringerung der Barrieren für den Marktzugang. Dadurch soll verhindert werden, dass integrierte Unternehmen, die verschiedene Tätigkeiten erbringen, einen Teil der Kosten der liberalisierten Tätigkeiten zu Lasten der regulierten Tätigkeiten „übertragen“ können und dadurch einen unbilligen Wettbewerbsvorteil gegenüber denjenigen Unternehmen haben, die ausschließlich in den dem Wettbewerb unterliegenden Bereichen tätig sind. Die Mitgliedstaaten haben die Richtlinien über den Ergas- und Elektrizitätsbinnenmarkt uneinheitlich umgesetzt und in einigen Fällen die Schaffung vertikal integrierter Erzeugungs- und Versorgungs- sowie Netzbetriebsunternehmen ermöglicht.

7.2

Wirksame Stärkung der Befugnisse der nationalen Regulierungsbehörden, die gleichzeitig die Neutralität des Betriebs der Netze und generell der im Rahmen von Konzessionen verwalteten Infrastrukturen sicherstellen, die für die Liberalisierung von entscheidender Bedeutung sind (Übertragung, Verteilung und Messung im Elektrizitätssektor; Transport, Verteilung, Messung, Lagerung und Wiedervergasung im Erdgassektor).

7.3

Maßgebliche Rolle der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden bei der Überwachung der Maßnahmen der unabhängigen nationalen Behörden. Die Schaffung einer supranationalen Regulierungsbehörde mit Befugnissen zur Überwachung der Maßnahmen der einzelnen beteiligten Länder würde den Anstoß zu einer klar definierten Zusammenarbeit geben und die Unausgewogenheit der Perspektiven der gesamten EU und der einzelnen Ländern zugunsten von Lösungen verringern helfen, die auf einen integrierten Energiemarkt ausgerichtet sind.

7.4

Schaffung von Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreibern, die vom Erzeugungssystem unabhängig sind und die zusammenarbeiten, um Versorgungsprobleme effizient zu bewältigen. Die Betreiber der Übertragungsnetze von vertikal integrierten Unternehmen neigen dazu, verbundene Unternehmen zu begünstigen, was ein gravierendes Informationsdefizit für neue Wettbewerber zur Folge hat. Die Investitionen innerhalb stark integrierter Unternehmen sind häufig verzerrt, da das marktbeherrschende Unternehmen keinerlei Interesse an der Verbesserung des Netzes hat, weil dies vor allem den Konkurrenzunternehmen zugute käme. Durch eine formelle und materielle Abtrennung der Übertragungsnetzbetreiber könnte der gleichberechtigte Netzzugang für alle Stromversorgungsunternehmen gewährleistet werden. Dies würde technische Verbesserungen ermöglichen, die für einen effizienteren Betrieb und letztendlich für niedrigere Verbraucherpreise notwendig sind.

7.5

Schaffung von mehr Transparenz und Erleichterung des Zugangs zu den Märkten, um die Liquidität des Elektrizitäts- und Gasmarkts zu steigern. Es ist ein Mangel an Informationen über die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Leistungen auf dem Markt (zwischen den verschiedenen Akteuren der Branche) festzustellen. Es besteht ein deutliches Informationsgefälle zwischen den etablierten Unternehmen und ihren Konkurrenten. Durch mehr Transparenz könnten die Zugangsrisiken für neue Marktteilnehmer minimiert und auch die Barrieren für den Marktzugang verringert werden, wodurch das Vertrauen in die Großhandelsmärkte und damit in die Preissignale verbessert würde. Es ist jedoch notwendig, eine gewisse Einheitlichkeit/Übereinstimmung der Informationen sicherzustellen, die — ohne die Bedeutung der strategisch-wirtschaftlichen Geheimhaltung unterzubewerten — keinen Raum für vage Interpretationen lässt, die eine echte Transparenz des Marktes in Frage stellen.

7.6

Gewährleistung der Verfügbarkeit von Informationen für sämtliche Marktteilnehmer, um das notwendige Vertrauen zu schaffen, damit sich der Markt richtig entwickeln kann. Viele Marktteilnehmer haben nur geringes Vertrauen in die Preisbildungsmechanismen. Die Verträge über Gaseinfuhren werden auf der Grundlage von Preisindizes ausgehandelt, die sich auf einen Warenkorb von Erdölerzeugnissen stützen, weshalb die Preise der Entwicklung der Erdölmärkte strikt folgen. Diese Kopplung schlägt sich auf die Großhandelspreise nieder, die infolge dessen nicht nach dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage auf dem Markt zustande kommen, was zu Lasten der Liefergarantie geht (Angebot). Bei den langfristigen Einfuhrverträgen ist kein klarer Trend hin zu von der Marktdynamik bestimmten Preisbildungsmechanismen zu erkennen.

7.7

Festlegung besonders detaillierter Anforderungen für die Gewährleistung der Transparenz bei der Elektrizitäts- und Gaserzeugung. Es müssen genaue Informationen über die kurzfristigen Angebots- und Nachfrageprognosen verfügbar gemacht werden. Diese Anforderungen müssten von den verschiedenen Elektrizitätserzeugern eingehalten werden, weshalb den nationalen Regulierungsbehörden verstärkte Befugnisse zugewiesen werden müssen.

7.8

Schaffung von Derivatmärkten. Die Derivate sind nicht nur ein geeignetes Instrument für die Entwicklung der Elektrizitäts- und Gasmärkte, sondern auch ein wirkungsvolles Mittel für das Preisrisikomanagement. Während auf den Elektrizitätsmärkten schon seit einer gewissen Zeit Derivatverträge direkt oder indirekt ausgehandelt werden und somit bereits Anstrengungen in Richtung einer Vereinheitlichung unternommen wurden, muss noch mehr getan werden. Auf dem europäischen Erdgasmarkt ist eine eklatante Uneinheitlichkeit zu beobachten. Auf einigen Märkten (z.B. im Vereinigten Königreich) wurde bereits ein hohes Maß an Liberalisierung erzielt, während es in anderen Ländern noch nicht einmal einen Spotmarkt für Erdgas gibt (z.B. Italien).

7.9

Regulierung der Speicheranlagen, um sicherzustellen, dass alle für Dritte zugänglichen Speicherkapazitäten auf transparente und nicht diskriminierende Weise auf dem Markt angeboten werden und einem Horten von Kapazitäten entgegengewirkt wird.

7.10

Öffentlich bekannte und eindeutige Kriterien, die vorgeben, wann und wie der Zugang Dritter zu den auf dem Markt angebotenen Lagerkapazitäten zu ermöglichen ist.

7.11

Festlegung transparenter und in die Einzelheiten gehender Bestimmungen über den Zugang zu den Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG-Kopfstationen), die es ermöglichen, die unter die Ausnahmeregelung fallenden Infrastrukturen zu ermitteln. Es müssen korrekte Bestimmungen für die Durchführung des so genannten „Open Season“-Verfahrens festgelegt werden. Ein derartiges Verfahren, das einen Mechanismus für die Vorabreservierung von Kapazität vor deren Bau vorsieht, könnte möglicherweise nicht ausreichen, um eine bessere Öffnung für die Marktteilnehmer zu gewährleisten, da im Rahmen des Verfahrens bei der Zuweisung von Übertragungskapazitäten im nationalen Netz in jedem Fall demjenigen Unternehmen Vorrang eingeräumt werden muss, das die Gasleitung oder die LNG-Kopfstation baut und Inhaber der Ausnahmegenehmigung ist. Ein Hemmnis für die Entwicklung des Wettbewerbs auf dem Versorgungsmarkt könnte sich außerdem aufgrund des Zuteilungsverfahrens für die Restquote von 20 % ergeben, bei dem diejenigen im Vorteil sind, die versuchen, diese Quote mit langfristigen Verträgen zu abzudecken, was zu Lasten sowohl des Spotmarkts als auch der Versorgungsflexibilität geht.

7.12

Festlegung langfristiger nachgelagerter, bilateraler Liefervereinbarungen, die mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar sind. Auf den Endkundenmärkten ist Wettbewerb nur in begrenztem Maß gegeben. Die kumulierten Auswirkungen von langfristigen Verträgen, Verträgen mit unbegrenzter Laufzeit, Verträgen mit Klauseln über ihre stillschweigende Verlängerung sowie der langen Laufzeiten der Ausnahmegenehmigungen können den Wettbewerb erheblich behindern. Die vertraglichen Verpflichtungen, die die industriellen Abnehmer und die (etablierten) Erzeuger langfristig binden, sind von Land zu Land unterschiedlich. Die Nachfrage nach einem wettbewerbsorientierteren Angebot durch neue Marktteilnehmer wird jedoch immer größer; es mangelt an einem europaweiten Versorgungsangebot, was ernsthaft geprüft sollte. In einigen Mitgliedstaaten mit einer hohen Konzentration (Österreich, Belgien) ist das gegenwärtige Wettbewerbsniveau (wenige Anbieter) besonders unbefriedigend. Die Beschränkungen dahingehend, wie die Kunden über das ihnen zugeteilten Gas verfügen können, in Verbindung mit restriktiven Praktiken der Lieferanten an den Übergabepunkten werfen daher nicht wenige Wettbewerbsbedenken auf.

7.13

Den Endkundenmarkt im Elektrizitäts- und Gassektor zur effektiven Verwirklichung des Liberalisierungsprozesses bringen. Die EU-Bürger können nur dann vom Wettbewerb profitieren, wenn es einen echten Endkundenmarkt gibt. Das bedeutet, dass vereinfachte Bestimmungen für den Marktzugang geschaffen werden müssen, damit sich kleine Erzeuger und Vertreiber beteiligen können, um eine Verbesserung der Marktliquidität und wettbewerbsfähigere Preise zu ermöglichen. Die Sicherstellung der Liquidität ist eine Grundvoraussetzung, um das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Preisbildung sowohl auf den Elektrizitätsmärkten als auch auf den Umschlagplätzen für Gas zu stärken, da dadurch — insbesondere in letzterem Fall — eine Abkopplung von den Erdölerzeugnissen möglich wird.

7.14

Einem liberalisierten Elektrizitäts- und Gasmarkt kommt eine Schlüsselrolle dabei zu, die Unternehmen und die Bürger für einen „intelligenten“ Energieverbrauch zu sensibilisieren, der eine Eindämmung und Kontrolle der Kosten ermöglicht. Das bedeutet, dass die Bürger über die derzeit verfügbaren Energiequellen und über die alternativen Quellen für die Entwicklung im Energiebereich (erneuerbare Energieträger) aufgeklärt werden müssen, damit ihnen die große Bedeutung dieses Gutes angesichts seiner gegenwärtigen Verknappung bewusst wird. Sowohl unter dem Blickwinkel der Energieeinsparung als auch der Kosten ist es unverzichtbar, den Endkunden Verträge anzubieten, die auf ihre spezifischen Verbrauchsmuster zugeschnitten werden können.

7.15

Als verantwortungsvolle Endverbraucher müssen die Bürger auch darüber informiert werden, ob die Regulierungsbehörden die Bestimmungen einhalten oder missbräuchlich anwenden, damit sie ihre Rechte u.a. über Verbraucherschutzorganisationen geltend machen können.

7.16

Sicherstellung der Nachfragebefriedigung auch bei Spitzenlasten. Im Fall der Elektrizität wirft dies ein Problem hinsichtlich der Energieerzeugungskapazitäten und der Übertragungs-und Fernleitungskapazitäten im Netz auf. Im Fall von Gas müssen ausreichende Einfuhr- und Lagerkapazitäten geschaffen werden. Es ist jedoch bekannt, dass die Einfuhrkapazitäten insbesondere insofern beschränkt sind, als von den etablierten Unternehmen Beförderungskapazitäten über Mehrjahresverträge reserviert werden, die teilweise eine Laufzeit von mehr als zwanzig Jahren haben. Das bedeutet, dass Neubauprojekte und Projekte für den Um- und Ausbau der Elektrizitäts- und Gasinfrastrukturen (Gasfernleitungen) sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene schnellstens vorangetrieben werden müssen. Vorrangige Bedeutung kommt den Wiedervergasungsanlagen zu, die vor allem im Mittelmeerraum eine wichtige Rolle für die Verbindung zu den wichtigsten Rohstoff produzierenden Ländern spielen (Libyen, Algerien).

7.17

Stärkung der Solidarität: Die EU-Mitgliedstaaten müssen sowohl auf regionaler als auch bilateraler Ebene Kooperationsvereinbarungen fördern, die eine Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung für den Fall vorsehen, dass ein Mitgliedstaat aus Gründen, für die er nicht unmittelbar selbst verantwortlich ist, von einer Energieunterversorgung betroffen ist.

Brüssel, den 22. April 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Auf dem Weg zu einer Charta der Rechte der Energieverbraucher“, CESE 71/2008.