URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

10. Juli 2024 ( *1 )

„Wirtschafts- und Währungspolitik – Aufsicht über Kreditinstitute – Einspruch der EZB gegen den Erwerb qualifizierter Beteiligungen an einem Kreditinstitut – Nichtigkeitsklage – Rechtsschutzinteresse – Unmittelbare Betroffenheit – Teilweise Unzulässigkeit – Leumund und fachliche Eignung des interessierten Erwerbers – Finanzielle Solidität – Einhaltung der Aufsichtsanforderungen – Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache T‑323/22

PH,

PI,

PJ,

Socrates Capital Ltd, mit Sitz in Toronto (Kanada),

vertreten durch Rechtsanwälte D. Hillemann, C. Fischer und T. Ehls,

Kläger,

gegen

Europäische Zentralbank (EZB), vertreten durch E. Yoo, S. Letocart und V. Hümpfner als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Europäische Kommission, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,

Streithelferin,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. da Silva Passos sowie des Richters S. Gervasoni (Berichterstatter) und der Richterin T. Pynnä,

Kanzler: V. Di Bucci,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil ( 1 )

1

Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV begehren die Kläger, PH, PI, PJ und Socrates Capital Ltd, die Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 22. März 2022, mit dem die EZB Einspruch gegen den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung von mehr als 50 % des Kapitals und der Stimmrechte durch PH, PI und PJ an der HKB Bank GmbH (im Folgenden: Zielbank) erhoben hat.

I. Vorgeschichte des Rechtsstreits und Ereignisse nach Klageerhebung

2

Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses war die Zielbank ein weniger bedeutendes Kreditinstitut im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63). Sie hatte in Deutschland ihren Sitz und stand unmittelbar unter der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

3

Beim Erlass des angefochtenen Beschlusses hielt Socrates Capital 81,6 % des Kapitals und 95,14 % der Stimmrechte der Zielbank. Socrates Capital selbst wurde mittelbar (über zwei Holdinggesellschaften) letztlich zu 100 % von A gehalten.

[nicht wiedergegeben]

7

Am 9. April 2020 bzw. am 9. Juli 2020 zeigten zum einen PH sowie zum anderen PI und PJ der BaFin ihre Absicht an, als indirekte Erwerber (im Fall von PH und PI) bzw. als direkter Erwerber (im Fall von PJ) eine qualifizierte Beteiligung von mehr als 50% des Kapitals und der Stimmrechte an der Zielbank (im Folgenden: beabsichtigter Erwerb) durch den Erwerb aller von Socrates Capital an der Zielbank gehaltenen Anteile zu erwerben.

[nicht wiedergegeben]

10

Im August 2020 schlossen Socrates Capital auf der einen sowie PI und PJ auf der anderen Seite einen Veräußerungsvertrag über den beabsichtigten Erwerb (im Folgenden: Veräußerungsvertrag). Im Rahmen dieses Vertrags, der an Vorbedingungen und Kündigungsklauseln geknüpft war, erklärte sich Socrates Capital bereit, die qualifizierte Beteiligung, die sie im Juni 2017 an der Zielbank erworben hatte, für einen Betrag von [2-20] Mio. Euro an PJ zu verkaufen.

[nicht wiedergegeben]

20

Am 22. März 2022 stellte die EZB den angefochtenen Beschluss sowie ihre Antwort auf die Stellungnahme zum Entwurf des angefochtenen Beschlusses (im Folgenden: Antwort auf die Stellungnahme) den interessierten Erwerbern zu.

21

Der angefochtene Beschluss wurde u. a. auf der Grundlage der Art. 22 und 23 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338) in Gestalt ihrer Umsetzung in das deutsche Kreditwirtschaftsrecht erlassen. Die EZB war im Wesentlichen der Ansicht, dass Einspruch gegen den beabsichtigten Erwerb zu erheben sei, da die interessierten Erwerber die Kriterien nicht erfüllten, die hinsichtlich Leumund, finanzielle Solidität, Einhaltung der Aufsichtsanforderungen sowie auf dem Gebiet der Bekämpfung des Risikos der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung bestünden.

[nicht wiedergegeben]

II. Verfahren und Anträge der Parteien

26

Mit Schriftsatz, der am 8. September 2022 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat die EZB beantragt, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Mit Beschluss vom 11. Januar 2023 hat das Gericht beschlossen, den Antrag, die Hauptsache für erledigt zu erklären, dem Endurteil vorzubehalten.

27

Die Kläger beantragen,

festzustellen, dass der angefochtene Beschluss rechtswidrig ist und dass ihre Rechte verletzt worden sind;

der EZB die Kosten aufzuerlegen.

28

Die EZB beantragt,

festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist;

hilfsweise die Klage als unzulässig abzuweisen, soweit sie von Socrates Capital erhoben wurde, jedenfalls aber als unbegründet abzuweisen;

den Klägern die Kosten gesamtschuldnerisch aufzuerlegen.

29

Die Europäische Kommission, die dem Rechtsstreit auf Seiten der EZB beigetreten ist, beantragt,

die Klage als unbegründet abzuweisen;

den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

[Nicht wiedergegeben]

C.   Zur Zulässigkeit der Klage, die von Socrates Capital erhoben wurde

51

Die EZB ist der Ansicht, dass Socrates Capital von dem angefochtenen Beschluss nicht unmittelbar und individuell betroffen sei, so dass sie nicht befugt sei, eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV zu erheben. Der angefochtene Beschluss wirke sich nicht auf die Rechtsstellung von Socrates Capital aus, weil er diese Gesellschaft bei rein rechtlicher Betrachtung nicht daran hindere, ihre Beteiligung an einen interessierten Erwerber zu verkaufen: Denn es werde keine Sanktion gegen den Veräußerer der Anteile vorgesehen. Mit Blick auf den Verfahrenszweck, die Kriterien für die Beurteilung des Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung und das Verwaltungsverfahren sei der Veräußerer der qualifizierten Beteiligung von einem Einspruch gegen den Erwerb, der nur den potenziellen interessierten Erwerber betreffe, nicht unmittelbar betroffen. Die Voraussetzung der individuellen Betroffenheit sei nicht erfüllt, da der angefochtene Beschluss das Ergebnis der Beurteilung von Kriterien sei, die in keinem Zusammenhang zu dem Veräußerer der qualifizierten Beteiligung stünden.

52

Die Kläger treten diesem Vorbringen entgegen. Die EZB berücksichtige nicht, dass der Veräußerungsvertrag eine Bedingung enthalte, wonach er nicht vollstreckbar sei, wenn die EZB Einspruch gegen das Geschäft erhebe. Der angefochtene Beschluss verletze auch das Eigentumsrecht und die unternehmerische Freiheit von Socrates Capital. Außerdem werde im angefochtenen Beschluss darauf hingewiesen, dass die Zuverlässigkeit der interessierten Erwerber darunter leide, dass sie mit dem Veräußerer „Geschäfte gemacht“ hätten, was einem allgemeinen Verbot gleichkomme, die Zielbank zu erwerben. Socrates Capital sei individuell betroffen, da kein anderes Unternehmen die Mehrheit der Anteile halte, die die interessierten Erwerber erwerben wollten.

53

Hierzu ist festzustellen, dass die vier Kläger eine einzige Klage erhoben haben. Da es sich jedoch um eine einzige Klage handelt und PH, PI und PJ klageberechtigt sind, braucht nicht geprüft zu werden, ob Socrates Capital klageberechtigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. März 1993, CIRFS u. a./Kommission, C‑313/90, EU:C:1993:111, Rn. 31).

54

Das Gericht hält es jedoch im Interesse einer geordneten Rechtspflege und wegen der besonderen Bedeutung der Zulässigkeitsfrage, die die von der EZB erhobene Einrede der Unzulässigkeit aufgeworfen hat, für angebracht, über diese Zulässigkeitsrüge zu entscheiden.

55

Art. 263 Abs. 4 AEUV sieht zwei Fälle vor, in denen einer natürlichen oder juristischen Person die Befugnis zuerkannt wird, gegen eine nicht an sie gerichtete Handlung Klage zu erheben. Zum einen kann eine derartige Klage erhoben werden, wenn diese Handlung die Person unmittelbar und individuell betrifft. Zum anderen kann eine solche Person gegen einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, klagen, sofern dieser Rechtsakt sie unmittelbar betrifft (Urteil vom 18. Oktober 2018, Internacional de Productos Metálicos/Kommission, C‑145/17 P, EU:C:2018:839, Rn. 32).

56

Die in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind im Licht des Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz auszulegen, ohne dass dies den Wegfall der in diesem Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen zur Folge hätte (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 98).

57

Im vorliegenden Rechtsstreit wurde der angefochtene Beschluss Socrates Capital nicht zugestellt. Es gab im Übrigen keine Bestimmung, die eine solche Zustellung an diese Klägerin als Veräußererin der in Rede stehenden qualifizierten Beteiligung verlangte. Da Socrates Capital nicht Adressatin des angefochtenen Beschlusses ist, kann ihre Klagebefugnis daher nur dann bejaht werden, wenn sie unter eine der beiden oben in Rn. 55 genannten Fälle fällt.

58

Da der angefochtene Beschluss außerdem kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter ist, ist die Zulässigkeit der Klage im Hinblick auf die erste oben in Rn. 55 genannte Fallgestaltung zu prüfen.

59

Somit ist zunächst zu prüfen, ob Socrates Capital vom angefochtenen Beschluss unmittelbar betroffen ist.

60

Nach ständiger Rechtsprechung verlangt die Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von der klagegegenständlichen Maßnahme unmittelbar betroffen sein muss, wie sie in Art. 263 Abs. 4 AEUV festgelegt ist, dass zwei kumulative Kriterien erfüllt sind, nämlich zum einen, dass sich die beanstandete Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung dieser Person auswirkt, und zum anderen, dass sie den Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ohne Anwendung weiterer Durchführungsvorschriften ergibt (Urteil vom 22. Juni 2021, Venezuela/Rat [Betroffenheit eines Drittstaats], C‑872/19 P, EU:C:2021:507, Rn. 61).

61

Für die Feststellung, ob ein Rechtsakt Rechtswirkungen erzeugt, ist insbesondere auf seinen Gegenstand, seinen Inhalt, seine Tragweite, seinen Sachgehalt sowie auf den tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem er erlassen wurde, abzustellen (Urteil vom 22. Juni 2021, Venezuela/Rat [Betroffenheit eines Drittstaats], C‑872/19 P, EU:C:2021:507, Rn. 66).

62

Das in den Art. 22 ff. der Richtlinie 2013/36 vorgesehene System zur Kontrolle qualifizierter Beteiligungen sieht vor, dass die Person, die eine qualifizierte Beteiligung an einem Kreditinstitut erwerben möchte, einer vorherigen Beurteilung, insbesondere hinsichtlich ihres Leumunds und ihrer finanziellen Solidität, unterzogen wird, um eine solide und umsichtige Geschäftsführung des betreffenden Kreditinstituts zu gewährleisten.

63

Die in Art. 23 der Richtlinie 2013/36 vorgesehenen Beurteilungskriterien des angezeigten Erwerbs einer qualifizierten Beteiligung dienen dazu, die Eignung des interessierten Erwerbers und des Erwerbsentwurfs, den er der zuständigen Behörde vorlegt, zu beurteilen. Gegenstand der Prüfung ist insbesondere die Feststellung, dass der interessierte Erwerber über einen guten Leumund und die unverzichtbare finanzielle Solidität verfügt, so dass das Institut, an dem die Beteiligungen erworben werden wird, weiterhin seine aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllt. Die Prüfung trägt auch dazu bei, zu verhindern, dass die Transaktion aus Mitteln finanziert wird, die aus illegalen Aktivitäten stammen (Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona in der Rechtssache Berlusconi und Fininvest, C‑219/17, EU:C:2018:502, Nr. 80).

64

Nach Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 ist es Sache des interessierten Erwerbers, den zuständigen Behörden den beabsichtigten Erwerb anzuzeigen. Im Übrigen wird in dieser Richtlinie weder erwähnt, dass diese Anzeige veröffentlicht werden müsse, noch dass für andere Personen als den interessierten Erwerber, insbesondere für die Person, die ihre Beteiligung an einem Kreditinstitut veräußern möchte, die Möglichkeit bestehe, am Verfahren zur Beurteilung des beabsichtigten Erwerbs teilzunehmen.

65

Nach Art. 22 Abs. 5 der Richtlinie 2013/36 setzen die zuständigen Behörden, wenn sie sich dafür entscheiden, Einspruch gegen den beabsichtigten Erwerb zu erheben, den interessierten Erwerber unter Angabe der Gründe davon in Kenntnis.

66

Schließlich sehen die Mitgliedstaaten nach Art. 26 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 für den Fall, dass eine Beteiligung trotz Einspruchs der zuständigen Behörden erworben wird, unbeschadet der von ihnen zu verhängenden Sanktionen vor, dass die Ausübung der entsprechenden Stimmrechte ausgesetzt wird oder dass die Stimmrechtsausübung ungültig ist oder für nichtig erklärt werden kann.

67

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass mit der Regelung zur Kontrolle qualifizierter Beteiligungen vor deren Erwerb beurteilt werden soll, ob die interessierten Erwerber, die als Eigner Zugang zum Bankensektor erhalten möchten, dafür geeignet sind.

68

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der Einspruch gegen den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut die Rechtsstellung der Gesellschaft, die eine solche Beteiligung veräußert, nicht verändert.

69

Denn zwar stellt der Einspruch gegen den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung in Frage, ob es für die interessierten Erwerber möglich ist, mit dem Veräußerer einer qualifizierten Beteiligung einen Vertrag zu schließen, doch stellt ein solcher Einspruch nicht das Recht des Veräußerers zur Veräußerung in Frage, für die er etwa mit einem anderen interessierten Erwerber einen Vertrag schließen kann: Er läuft nur darauf hinaus, interessierten Erwerbern Zugang zum Bankensektor als Eigner zu versagen.

70

Diese Schlussfolgerung wird durch den rechtlichen Kontext bestätigt, in den sich der angefochtene Beschluss einfügt. Die Richtlinie 2013/36 erwähnt weder die Veröffentlichung der Anzeige über den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an einem Kreditinstitut noch die Möglichkeit der Beteiligung Dritter am Verwaltungsverfahren oder die systematische Veröffentlichung des Beschlusses der zuständigen Behörde. Für den Fall der Nichtbefolgung des Einspruchs gegen den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung sieht sie lediglich Sanktionen in Bezug auf die Ausübung der Stimmrechte vor, die der von den interessierten Erwerbern erworbenen Beteiligung entsprechen. Insbesondere die in § 2c Abs. 2 des Kreditwesengesetzes vom 9. September 1998 (BGBl. 1998 I S. 2776) in der durch das Gesetz vom 10. August 2021 (BGBl. 2021 I S. 3436) geänderten Fassung (im Folgenden: KWG) vorgesehenen Sanktionen enthalten weder solche gegen den Veräußerer einer qualifizierten Beteiligung noch Maßnahmen wie die Nichtigkeit des Erwerbs selbst oder die Verpflichtung, den Zustand vor der Veräußerung wiederherzustellen.

71

Somit beurteilt der angefochtene Beschluss im vorliegenden Fall die Erwerber nach deren Eignung und nicht die Rechtmäßigkeit des Veräußerungsvertrags.

72

Die Klausel des Veräußerungsvertrags, wonach dieser Vertrag ohne Zustimmung der EZB nicht in Kraft treten wird, wurde von den Vertragsparteien aus freien Stücken aufgenommen. Zwar kann eine von den Vertragsparteien aufgenommene Klausel eine Regelung widerspiegeln (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 5. Mai 1998, Dreyfus/Kommission, C‑386/96 P, EU:C:1998:193, Rn. 51). Im vorliegenden Fall spiegelt diese Klausel jedoch eine Regelung wider, die individuell den interessierten Erwerber einem behördlichen Zustimmungserfordernis unterwirft, womit beurteilt werden soll, ob er sich als Eigner für den Zugang zum Bankensektor eignet. Im Unterschied zu den Umständen der Rechtssache, in der das Urteil vom 5. Mai 1998, Dreyfus/Kommission (C‑386/96 P, EU:C:1998:193), ergangen ist, äußert sich die EZB bei der Beurteilung der Anzeige dieses Erwerbs nicht zur Konformität eines eventuell zwischen den interessierten Erwerbern und dem Veräußerer einer Beteiligung an einem Kreditinstitut geschlossenen Vertrags.

73

Darüber hinaus bestimmt Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), dass die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt wird.

74

Jede Person hat nach Art. 17 der Charta das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben.

75

Insoweit stellt der angefochtene Beschluss zwar einen Eingriff in das Eigentumsrecht und die unternehmerische Freiheit der interessierten Erwerber dar, kann aber nicht als Eingriff in die entsprechenden Rechte von Socrates Capital angesehen werden. Der angefochtene Beschluss beeinträchtigt nämlich nicht unmittelbar das Recht von Socrates Capital, ihre Beteiligung an der Zielbank zu veräußern.

76

Entgegen dem Vorbringen der Kläger ist die EZB nicht davon ausgegangen, dass der Leumund der interessierten Erwerber deshalb nicht hinreichend sei, weil sie im Allgemeinen mit Socrates Capital „Geschäfte gemacht“ hätten. Insbesondere hat die EZB den interessierten Erwerbern nicht vorgeworfen, den Veräußerungsvertrag mit Socrates Capital unterzeichnet zu haben. In Nr. 2.7 des angefochtenen Beschlusses hat die EZB lediglich die Absicht der interessierten Erwerber beanstandet, A in die Umsetzung des Geschäftsplans einzubinden und ihn nach dem beabsichtigten Erwerb in den Beirat zu entsenden. Die Kläger können daher nicht mit Erfolg geltend machen, dass der angefochtene Beschluss für Socrates Capital einem allgemeinen Verbot gleichkomme, ihre Anteile an der Zielbank zu verkaufen.

77

Socrates Capital ist daher vom angefochtenen Beschluss nicht unmittelbar betroffen.

78

Folglich ist die Klage, soweit sie diese Gesellschaft betrifft, unzulässig, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob Socrates Capital von dem angefochtenen Beschluss individuell betroffen ist.

D.   Zur Begründetheit der Klage

[nicht wiedergegeben]

6. Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen § 2c Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 KWG hinsichtlich der fachlichen Eignung

[nicht wiedergegeben]

a) Zur Möglichkeit der EZB, die fachliche Eignung der interessierten Erwerber zu beurteilen

357

In der Erwiderung machen die Kläger erstmals geltend, dass sich die EZB für den Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht auf die fachliche Eignung des interessierten Erwerbers habe stützen dürfen. Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 nenne den Leumund und nicht die fachliche Eignung des interessierten Erwerbers. Die EZB habe daher gegen diesen Artikel, wie er in deutsches Recht umgesetzt worden sei, verstoßen.

[Nicht wiedergegeben]

362

Außerdem trifft es zwar zu, dass Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 in Buchst. a nur den Leumund des interessierten Erwerbers erwähnt, während dieser Artikel in Buchst. b den Leumund, die Kenntnisse, die Fähigkeiten und die Erfahrung gemäß Art. 91 Abs. 1 dieser Richtlinie aller Mitglieder des Leitungsorgans erwähnt, das die Geschäfte des Kreditinstituts infolge des beabsichtigten Erwerbs führen wird.

363

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Leumund“ nach üblichem Verständnis „Achtbarkeit“ oder „offenkundige Ehrsamkeit“ bedeutet. Ein solches Begriffsverständnis, das insbesondere auf der öffentlichen Meinung fußt, schließt nicht aus, dass der Leumund einer Person von ihrer fachlichen Eignung abhängt.

364

Nach dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Änderung der Richtlinie 92/49/EWG des Rates sowie der Richtlinien 2002/83/EG, 2004/39/EG, 2005/68/EG und 2006/48/EG in Bezug auf Verfahrensregeln und Bewertungskriterien für die aufsichtsrechtliche Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung von Beteiligungen im Finanzsektor (ABl. 2007, L 247, S. 1), deren Bestimmungen in die Richtlinie 2013/36 übernommen wurden, bedingt das Kriterium der Zuverlässigkeit des interessierten Erwerbers die Prüfung, ob Zweifel hinsichtlich der Integrität „und fachlichen Eignung“ des interessierten Erwerbers bestehen und ob diese Zweifel begründet sind.

365

Die Berücksichtigung der fachlichen Eignung des interessierten Erwerbers im Rahmen der Prüfung seines Leumunds steht im Einklang mit der Beurteilung der „Eignung“ des interessierten Erwerbers gemäß Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36. Sie steht auch im Einklang mit dem Ziel der Kontrolle des Erwerbs qualifizierter Beteiligungen, das eine solide und umsichtige Führung des Kreditinstituts gewährleisten soll. Da der Inhaber einer qualifizierten Beteiligung in der Lage ist, Einfluss auf das betreffende Kreditinstitut auszuüben, trägt seine fachliche Eignung zu einer solchen soliden und umsichtigen Führung des Kreditinstituts bei.

366

Die gemeinsamen Leitlinien bestätigen im Übrigen diese Auslegung, da sie u. a. in Nr. 10.1 darauf hinweisen, dass sich die Beurteilung der Zuverlässigkeit des interessierten Erwerbers auf seine Integrität und fachliche Eignung erstrecken muss.

367

Durch den oben in Rn. 282 wiedergegebenen Wortlaut von § 2c Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 KWG lässt sich eine solche Auslegung nicht ausschließen. In der Begründung des Gesetzes zur Umsetzung der Beteiligungsrichtlinie vom 12. März 2009 (BGBl. 2009 I S. 470), mit dem die Richtlinie 2007/44 in deutsches Recht umgesetzt wird, heißt es, dass mit dem Merkmal der Zuverlässigkeit des interessierten Erwerbers geprüft werden solle, ob Zweifel hinsichtlich der Integrität „und fachlichen Eignung“ bestünden und ob diese Zweifel begründet seien.

368

Nach alledem ist das in Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 genannte Leumundskriterium dahin auszulegen, dass es auch die Beurteilung der fachlichen Eignung des interessierten Erwerbers umfasst.

369

Folglich können die Kläger nicht mit Erfolg geltend machen, dass die EZB gegen Art. 23 der Richtlinie 2013/36 in seiner Umsetzung in deutsches Recht verstoßen habe, indem sie die fachliche Eignung der interessierten Erwerber geprüft habe.

[nicht wiedergegeben]

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

PH, PI, PJ und die Socrates Capital Ltd tragen ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Zentralbank (EZB).

 

3.

Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

 

da Silva Passos

Gervasoni

Pynnä

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. Juli 2024.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.