BESCHLUSS DES VIZEPRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

27. Oktober 2021 ( *1 )

„Vorläufiger Rechtsschutz – Art. 279 AEUV – Antrag auf einstweilige Anordnungen – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Unabhängigkeit der Richter – Disziplinarordnung für Richter – Prüfung von Rechtsfragen in Bezug auf die fehlende Unabhängigkeit von Richtern – Zwangsgeld“

In der Rechtssache C‑204/21 R

betreffend einen Antrag auf einstweilige Anordnungen nach Art. 279 AEUV, eingereicht am 7. September 2021,

Europäische Kommission, vertreten durch K. Herrmann und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,

Antragstellerin,

unterstützt durch:

Königreich Belgien, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,

Königreich Dänemark, vertreten durch M. Søndahl Wolff und V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte,

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

Republik Finnland, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

Königreich Schweden, vertreten durch H. Shev, C. Meyer-Seitz, M. Salborn Hodgson, H. Eklinder, R. Shahsavan Eriksson, O. Simonsson und J. Lundberg als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

Antragsgegnerin,

erlässt

DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

nach Anhörung des Generalanwalts A. M. Collins

folgenden

Beschluss

1

Mit ihrem Antrag auf einstweilige Anordnungen beantragt die Europäische Kommission, die Republik Polen zu verurteilen, ein tägliches Zwangsgeld an den Haushalt der Europäischen Union zu zahlen, um sie dazu zu veranlassen, ihren Verpflichtungen aus dem Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 14. Juli 2021, Kommission/Polen (C‑204/21 R, im Folgenden: Beschluss vom 14. Juli 2021, EU:C:2021:593), unverzüglich nachzukommen.

2

Dieser Antrag ist im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV gestellt worden, die von der Kommission am 1. April 2021 erhoben wurde und mit der beantragt wird,

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) im Licht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie aus Art. 267 AEUV und aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen hat, dass sie Art. 42a §§ 1 und 2 sowie Art. 55 § 4 der Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 (Dz. U. 2001, Nr. 98, Position 1070) in der Fassung der Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych, ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze) vom 20. Dezember 2019 (Dz. U. 2020, Position 190, im Folgenden: Änderungsgesetz) (im Folgenden zusammen: geändertes Gesetz über die ordentliche Gerichtsbarkeit), Art. 26 § 3 und Art. 29 §§ 2 und 3 der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Position 5) in der Fassung des Änderungsgesetzes (im Folgenden: geändertes Gesetz über das Oberste Gericht), Art. 5 §§ 1a und 1b der Ustawa – Prawo o ustroju sądów administracyjnych (Gesetz über den Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit) vom 25. Juli 2002 (Dz. U. 2002, Position 1269) in der Fassung des Änderungsgesetzes (im Folgenden: geändertes Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit) sowie Art. 8 des Änderungsgesetzes erlassen und beibehalten hat, wonach allen nationalen Gerichten die Prüfung, ob die Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht erfüllt sind, untersagt ist;

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta sowie aus Art. 267 AEUV und aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen hat, dass sie Art. 26 §§ 2 und 4 bis 6 sowie Art. 82 §§ 2 bis 5 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht sowie Art. 10 des Änderungsgesetzes erlassen und beibehalten hat, wonach für die Prüfung von Rügen und Rechtsfragen betreffend die fehlende Unabhängigkeit eines Gerichts oder eines Richters ausschließlich die Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) (im Folgenden: Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten) zuständig ist;

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta sowie aus Art. 267 AEUV verstoßen hat, dass sie Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht erlassen und beibehalten hat, wonach die Prüfung, ob die Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht erfüllt sind, als „Disziplinarvergehen“ gewertet werden kann;

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen hat, dass sie die Izba Dyscyplinarna (Disziplinarkammer) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) (im Folgenden: Disziplinarkammer), deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, ermächtigt hat, in Sachen zu entscheiden, die sich unmittelbar auf den Status und die Amtsausübung von Richtern und Assessoren auswirken, etwa zum einen Sachen betreffend die Zustimmung dazu, dass Richter und Assessoren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder festgenommen werden, und zum anderen arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Sachen betreffend die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) sowie Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand;

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten, wie sie in Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 der Charta sowie in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und e, Art. 6 Abs. 3 und Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1) niedergelegt sind, verletzt hat, dass sie Art. 88a des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit, Art. 45 § 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht und Art. 8 § 2 des geänderten Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit erlassen und beibehalten hat.

3

Mit dem Beschluss vom 14. Juli 2021 hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs der Republik Polen aufgegeben, bis zur Verkündung des das Verfahren in der Rechtssache C‑204/21 beendenden Urteils

a)

zum einen die Anwendung von Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht auszusetzen, wonach die Disziplinarkammer dafür zuständig ist, sowohl in erster Instanz als auch in zweiter Instanz über Anträge auf Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren sowie zur Untersuchungshaft, zur Festnahme oder zur zwangsweisen Vorführung von Richtern oder Assessoren zu entscheiden, und zum anderen die Wirkungen der von der Disziplinarkammer auf der Grundlage dieses Artikels bereits erlassenen Entscheidungen über die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter oder zu seiner Festnahme auszusetzen und es zu unterlassen, die in diesem Artikel genannten Sachen an ein Gericht zu verweisen, das den insbesondere im Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), festgelegten Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht genügt,

b)

die Anwendung von Art. 27 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht, wonach die Disziplinarkammer für die Entscheidung in Sachen betreffend den Status und die Amtsausübung von Richtern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), insbesondere in arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen betreffend diese Richter sowie in Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand, zuständig ist, auszusetzen und es zu unterlassen, diese Sachen an ein Gericht zu verweisen, das den insbesondere im Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), festgelegten Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht genügt,

c)

die Anwendung von Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit sowie von Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht auszusetzen, wonach Richter wegen der Prüfung der Beachtung der Anforderungen in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta disziplinarisch belangt werden können,

d)

die Anwendung von Art. 42a §§ 1 und 2 sowie von Art. 55 § 4 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit, von Art. 26 § 3 sowie von Art. 29 §§ 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht, von Art. 5 §§ 1a und 1b des geänderten Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit und von Art. 8 des Änderungsgesetzes auszusetzen, soweit sie es den nationalen Gerichten verbieten, die Beachtung der Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta zu überprüfen,

e)

die Anwendung von Art. 26 §§ 2 und 4 bis 6 sowie von Art. 82 §§ 2 bis 5 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht und von Art. 10 des Änderungsgesetzes auszusetzen, mit denen die ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten für die Prüfung von Rügen der fehlenden Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts festgelegt wird, und

f)

der Kommission spätestens einen Monat nach der Zustellung des Beschlusses vom 14. Juli 2021 alle Maßnahmen mitzuteilen, die getroffen wurden, um diesem Beschluss in vollem Umfang nachzukommen.

Anträge der Parteien

4

Die Kommission beantragt,

die Republik Polen zu verurteilen, an den Haushalt der Union ein tägliches Zwangsgeld in einer Höhe zu zahlen, die geeignet ist, diesen Mitgliedstaat zu veranlassen, die in dem Beschluss vom 14. Juli 2021 getroffenen einstweiligen Anordnungen unverzüglich umzusetzen,

auszusprechen, dass das tägliche Zwangsgeld ab der Verkündung des Beschlusses, mit dem über den vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnungen entschieden wird, geschuldet wird, bis dieser Mitgliedstaat alle Maßnahmen getroffen hat, die erforderlich sind, um sämtlichen in diesem Beschluss getroffenen einstweiligen Anordnungen nachzukommen, oder bis zur Verkündung des das Verfahren in der Rechtssache C‑204/21 beendenden Urteils, und

der Republik Polen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

5

In ihrer am 1. Oktober 2021 eingereichten Stellungnahme hat die Republik Polen beantragt, dass diese Rechtssache von der Großen Kammer des Gerichtshofs geprüft wird und dass der Antrag der Kommission zurückgewiesen wird.

Zum Antrag der Republik Polen, die Rechtssache an die Große Kammer des Gerichtshofs zu verweisen

Vorbringen

6

Die Republik Polen ist der Ansicht, dass der Antrag der Kommission angesichts des Präzedenzcharakters des Beschlusses vom 14. Juli 2021 und des Antragsbegehrens von der Großen Kammer des Gerichtshofs geprüft werden müsse. Eine Entscheidung, mit der ein Zwangsgeld gegen einen Mitgliedstaat verhängt werde, dürfe nicht von einem Einzelrichter erlassen werden, insbesondere nicht in einer Rechtssache, in der grundsätzliche Einwände gegen die Zuständigkeit der Union erhoben worden seien.

7

Außerdem habe die vorliegende Rechtssache den ersten Antrag der Kommission auf Verhängung eines Zwangsgelds im Wege der einstweiligen Anordnung wegen Nichtdurchführung eines früheren Beschlusses zum Gegenstand, und dieser Antrag sei ungenau. Ferner enthalte der Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 20. September 2021, Tschechische Republik/Polen (C‑121/21 R, EU:C:2021:752), die einzige Entscheidung des Gerichtshofs, mit der unter solchen Umständen ein Zwangsgeld verhängt worden sei, keine Begründung in Bezug auf die Kriterien, anhand deren die Höhe des Zwangsgelds festgesetzt worden sei.

Würdigung

8

Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach Art. 161 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs in Verbindung mit Art. 1 des Beschlusses 2012/671/EU des Gerichtshofs vom 23. Oktober 2012 über die richterlichen Aufgaben des Vizepräsidenten des Gerichtshofs (ABl. 2012, L 300, S. 47) der Vizepräsident des Gerichtshofs selbst über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung oder auf einstweilige Anordnungen entscheidet oder die Entscheidung darüber umgehend dem Gerichtshof überträgt.

9

Somit ist nach diesen Bestimmungen dem Vizepräsidenten des Gerichtshofs die Zuständigkeit dafür zugewiesen, über jeden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu entscheiden oder, wenn er der Auffassung ist, dass besondere Umstände die Verweisung des Antrags an einen Spruchkörper erfordern, die Entscheidung darüber dem Gerichtshof zu übertragen (Beschlüsse der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 20. September 2021, Tschechische Republik/Polen, C‑121/21 R, EU:C:2021:752, Rn. 10, und vom 6. Oktober 2021, Polen/Kommission, C‑204/21 R‑RAP, EU:C:2021:834, Rn. 6).

10

Folglich ist es allein Sache des Vizepräsidenten des Gerichtshofs, im Einzelfall zu beurteilen, ob bei Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz, mit denen er befasst ist, eine Vorlage an den Gerichtshof erforderlich ist, damit sie einem Spruchkörper zugewiesen werden können (Beschlüsse der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 20. September 2021, Tschechische Republik/Polen, C‑121/21 R, EU:C:2021:752, Rn. 11, und vom 6. Oktober 2021, Polen/Kommission, C‑204/21 R‑RAP, EU:C:2021:834, Rn. 7).

11

Im vorliegenden Fall enthält der Antrag der Kommission auf Verhängung eines Zwangsgelds nichts, was seine Zuweisung an einen Spruchkörper erforderlich machen könnte.

12

Erstens ist nämlich, soweit sich die Republik Polen auf die Bedeutung der im Beschluss vom 14. Juli 2021 geprüften Fragen und darauf bezieht, dass sie der Ansicht sei, dass diese Fragen nicht in die Zuständigkeit der Union fielen, festzustellen, dass die Prüfung des Antrags der Kommission keine Würdigung dieser Fragen erfordert, sondern nur die Feststellung, ob die Verhängung eines Zwangsgelds erforderlich ist, um die Beachtung dieses Beschlusses sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 20. November 2017, Kommission/Polen, C‑441/17 R, EU:C:2017:877, Rn. 104).

13

Zweitens ist das Vorbringen der Republik Polen, dass der Antrag auf Verhängung eines Zwangsgelds im Wege einer einstweiligen Anordnung neuartiger Natur sei und die Vorschriften über die Prüfung eines solchen Antrags unbestimmt seien, jedenfalls zurückzuweisen, da die Große Kammer des Gerichtshofs mit Beschluss vom 20. November 2017, Kommission/Polen (C‑441/17 R, EU:C:2017:877), bereits über einen Antrag der Kommission auf Verhängung eines Zwangsgelds entschieden hat und die Vizepräsidentin mit Beschluss vom 20. September 2021, Tschechische Republik/Polen (C‑121/21 R, EU:C:2021:752), ein Zwangsgeld wegen der Nichtdurchführung des Beschlusses der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 21. Mai 2021, Tschechische Republik/Polen (C‑121/21 R, EU:C:2021:420), verhängt hat.

14

Drittens ist festzustellen, dass das Argument, der Vizepräsident des Gerichtshofs könne generell kein Zwangsgeld verhängen, ohne die in Rede stehende Rechtssache einem Spruchkörper vorzulegen, bereits durch den Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 20. September 2021, Tschechische Republik/Polen (C‑121/21 R, EU:C:2021:752), zurückgewiesen worden ist.

15

Daher ist der vorliegende Antrag der Kommission nicht an die Große Kammer des Gerichtshofs zu verweisen.

Zur Zulässigkeit des Antrags der Kommission auf Verhängung eines Zwangsgelds

Vorbringen

16

Die Republik Polen macht geltend, der Antrag der Kommission auf Verhängung eines Zwangsgelds sei unzulässig.

17

In diesem Antrag werde die Höhe des Zwangsgelds, dessen Verhängung die Kommission beantrage, nicht angegeben. Es sei aber Sache der Kommission, den Inhalt der einstweiligen Anordnungen, deren Anwendung sie beantrage, genau zu bestimmen. Außerdem beeinträchtige dieses Versäumnis die Verteidigungsrechte der Republik Polen, da ihr damit das Recht genommen werde, sachgerecht zur Höhe des Zwangsgelds Stellung zu nehmen.

Würdigung

18

In dem mit dem Vertrag geschaffenen Rechtsschutzsystem kann eine Partei nicht nur gemäß Art. 278 AEUV die Aussetzung der Durchführung der angefochtenen Handlung beantragen, sondern sich auch auf Art. 279 AEUV berufen, um den Erlass einstweiliger Anordnungen zu beantragen. Nach der letztgenannten Bestimmung kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter insbesondere geeignete Anordnungen gegen die andere Partei treffen (Beschluss vom 20. November 2017, Kommission/Polen, C‑441/17 R, EU:C:2017:877, Rn. 96).

19

Art. 279 AEUV räumt dem Gerichtshof somit die Befugnis ein, alle einstweiligen Anordnungen zu erlassen, die er für erforderlich hält, um die volle Wirksamkeit der Endentscheidung sicherzustellen (Beschluss vom 20. November 2017, Kommission/Polen, C‑441/17 R, EU:C:2017:877, Rn. 97).

20

Insbesondere muss der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter in der Lage sein, die Wirksamkeit einer nach Art. 279 AEUV an eine Partei gerichteten Anordnung sicherzustellen, indem er alle Maßnahmen trifft, die darauf abzielen, dass diese Partei den Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes befolgt. Eine solche Maßnahme kann namentlich darin bestehen, die Verhängung eines Zwangsgelds für den Fall vorzusehen, dass die betroffene Partei die Anordnung nicht befolgt (Beschluss vom 20. November 2017, Kommission/Polen, C‑441/17 R, EU:C:2017:877, Rn. 100).

21

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass weder Art. 279 AEUV noch Art. 160 der Verfahrensordnung eine Verpflichtung der Kommission vorsehen, dem Gerichtshof einen bestimmten Betrag vorzuschlagen, wenn sie die Verhängung eines Zwangsgelds im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt.

22

Außerdem können die von der Kommission gegebenenfalls formulierten Vorschläge zur Höhe des zu verhängenden Zwangsgelds den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter jedenfalls nicht binden. Diesem steht es frei, das verhängte Zwangsgeld in der Höhe und in der Form festzusetzen, die er für angemessen hält, wobei das festgesetzte Zwangsgeld zum einen den Umständen angepasst sein und zum anderen in angemessenem Verhältnis zur Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats stehen muss (vgl. in diesem Sinne Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 20. September 2021, Tschechische Republik/Polen, C‑121/21 R, EU:C:2021:752, Rn. 50).

23

Im Übrigen hat der Gerichtshof in der Rechtssache, in der der Beschluss vom 20. November 2017, Kommission/Polen (C‑441/17 R, EU:C:2017:877), ergangen ist, die Höhe eines Zwangsgelds zu Lasten eines Mitgliedstaats festgesetzt, obwohl der Antrag der Kommission auf Verhängung dieses Zwangsgelds keine näheren Angaben zu dessen Höhe enthielt.

24

Die Verhängung eines Zwangsgelds auf der Grundlage eines Antrags, der seine Höhe nicht angibt, kann darüber hinaus die Verteidigungsrechte des betreffenden Mitgliedstaats nicht beeinträchtigen, da dieser die Möglichkeit behält, in seiner Stellungnahme – gegebenenfalls hilfsweise – die Höhe des Zwangsgelds anzugeben, die er in Anbetracht der Umstände der Rechtssache und seiner Zahlungsfähigkeit für angemessen hält.

25

Nach alledem ist die von der Republik Polen erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

Zur Begründetheit des Antrags der Kommission auf Verhängung eines Zwangsgelds

Vorbringen

26

Die Kommission meint, um dem Beschluss vom 14. Juli 2021 nachzukommen, müssten alle Organe der Republik Polen einschließlich der Gerichte die Anwendung der in diesem Beschluss genannten Bestimmungen des nationalen Rechts bis zum Tag der Verkündung des das Verfahren in der Rechtssache C‑204/21 beendenden Urteils aussetzen.

27

Aus den von der Republik Polen mit Schreiben vom 16. August 2021 übermittelten Angaben gehe jedoch nicht hervor, dass sie alle zur Durchführung der in diesem Beschluss getroffenen einstweiligen Anordnungen erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe.

28

So sei erstens keine Maßnahme ergriffen worden, um die Disziplinarkammer ausdrücklich daran zu hindern, die Befugnisse auszuüben, die ihr in den in Nr. 1 Buchst. a und b des Tenors des Beschlusses vom 14. Juli 2021 genannten Rechtssachen übertragen worden seien.

29

Insbesondere verliehen die von der Ersten Präsidentin des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) erlassenen Maßnahmen dem Präsidenten der Disziplinarkammer die Befugnis, dringende Verfahrensmaßnahmen in Rechtssachen zu treffen, in denen die Zuständigkeit der Disziplinarkammer auszusetzen sei. Zudem bleibe diese Kammer mit den Rechtssachen befasst, die ihr vor dem 5. August 2021 zugewiesen worden seien, da ihr Präsident oder ihre Mitglieder nach freiem Ermessen entscheiden müssten, ob das in solchen Rechtssachen eingeleitete Verfahren fortzusetzen sei oder nicht. In mehreren dieser Rechtssachen habe die Disziplinarkammer im Übrigen beschlossen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen oder in der Sache zu entscheiden.

30

Außerdem seien diese Maßnahmen nur bis spätestens 15. November 2021 und nicht bis zur Verkündung des das Verfahren in der Rechtssache C‑204/21 beendenden Urteils anwendbar.

31

Zweitens seien die von der Präsidentin der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten erlassenen Maßnahmen ebenfalls unzureichend, da zum einen diese Kammer weiterhin über anhängige Rechtssachen entscheiden könne und zum anderen ihre ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die in Nr. 1 Buchst. e des Tenors des Beschlusses vom 14. Juli 2021 genannten Rechtssachen nicht ausgesetzt worden sei, was bedeute, dass die ordentlichen Gerichte nach wie vor verpflichtet seien, sich in solchen Rechtssachen für unzuständig zu erklären.

32

Drittens habe die Republik Polen keine Maßnahme genannt, mit der der Verpflichtung, die Wirkungen der von der Disziplinarkammer bereits erlassenen Entscheidungen auszusetzen, wie in Nr. 1 Buchst. a des Tenors dieses Beschlusses verlangt, oder den in Nr. 1 Buchst. c und d des Tenors dieses Beschlusses getroffenen einstweiligen Anordnungen nachgekommen werden solle.

33

Unter diesen Umständen hält es die Kommission zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Beschlusses vom 14. Juli 2021, der effektiven Anwendung des Unionsrechts und der Wahrung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Integrität der Unionsrechtsordnung für erforderlich, der Republik Polen die Zahlung eines täglichen Zwangsgelds in einer Höhe aufzuerlegen, die geeignet ist, diesen Mitgliedstaat dazu zu veranlassen, den in diesem Beschluss getroffenen einstweiligen Anordnungen unverzüglich in vollem Umfang nachzukommen.

34

Die Republik Polen macht geltend, dass alle zur Durchführung des Beschlusses vom 14. Juli 2021 erforderlichen Maßnahmen getroffen worden seien.

35

Nach diesem Beschluss habe sie nicht die Geltung der genannten Vorschriften, sondern nur ihre Anwendung auszusetzen, was nicht den Erlass von allgemeinen Rechtsvorschriften erfordere. Folglich oblägen die sich aus dem Beschluss ergebenden Verpflichtungen allein den für die Anwendung dieser Vorschriften zuständigen Organen, d. h. den Gerichten und Disziplinarbeauftragten.

36

Somit seien die Organe der gesetzgebenden Gewalt keine Adressaten dieser Verpflichtungen, da sie nur über eine Zuständigkeit verfügten, die es ihnen erlaube, allgemeine Rechtsvorschriften zu erlassen oder aufzuheben, was im vorliegenden Fall nicht erforderlich sei. Ebenso wenig seien diese Organe befugt, den Inhalt oder die Verbindlichkeit gerichtlicher Entscheidungen zu ändern, da andernfalls gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen würde. Die Exekutive sei in der polnischen Rechtsordnung auch nicht befugt, einer Anordnung nachzukommen, die die Aussetzung der Anwendung von Vorschriften mit Gesetzesrang zum Inhalt habe.

37

Im Einklang mit diesen Grundsätzen und der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten habe die Erste Präsidentin des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) Anordnungen erlassen, in deren Rahmen es angemessen gewesen sei, den Spruchkörpern die Aufgabe zu überlassen, Entscheidungen über die Aussetzung oder die Zurückstellung der bei ihnen anhängigen Verfahren zu treffen.

38

Die von der Kommission vorgebrachten Antragsgründe, mit denen nachgewiesen werden solle, dass die Republik Polen den Beschluss vom 14. Juli 2021 nicht durchgeführt habe, beträfen in Wirklichkeit nur einen begrenzten Teil dieses Beschlusses. Mit den von der Kommission angeführten Beispielen könne nicht in Frage gestellt werden, dass die Mehrheit der polnischen Gerichte im Einklang mit diesem Beschluss entscheide. In den wenigen Rechtssachen, in denen polnische Gerichte von diesem Beschluss abweichen wollten, verfügten die Behörden über keine Mittel, um ihre Entscheidung zu beeinflussen. Solche Entscheidungen könnten später durch die Wahrnehmung ordentlicher und außerordentlicher Rechtsbehelfe in Frage gestellt werden. Der geschaffene rechtliche Rahmen sei daher ausreichend, und in Anbetracht des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit könne ein Mitgliedstaat nicht wegen einzelner Entscheidungen seiner nationalen Gerichte zur Zahlung eines Zwangsgelds verurteilt werden.

39

Im Übrigen entsprächen die von der Republik Polen in der vorliegenden Rechtssache erlassenen Maßnahmen denen, die sie im Anschluss an den Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen (C‑791/19 R, EU:C:2020:277), erlassen habe. Die Kommission habe jedoch in der Rechtssache, in der jener Beschluss ergangen sei, nicht die Verhängung eines Zwangsgelds beantragt.

40

Sollte der Gerichtshof zu der Auffassung gelangen, dass die Republik Polen nicht alle zur Durchführung des Beschlusses vom 14. Juli 2021 erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, wären mehrere mildernde Umstände zu berücksichtigen, die der Verhängung eines Zwangsgelds entgegenstünden.

41

Erstens habe die Republik Polen alle nach polnischem Recht möglichen Maßnahmen ergriffen. Zweitens beachteten die polnischen Gerichte grundsätzlich den Beschluss vom 14. Juli 2021, wobei etwaige gegenteilige Entscheidungen aufgehoben oder außer Acht gelassen werden könnten. Drittens seien die zur Durchführung dieses Beschlusses erforderlichen Maßnahmen entsprechend der Praxis der Kommission in der Rechtssache bestimmt worden, in der der Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen (C‑791/19 R, EU:C:2020:277), ergangen sei. Viertens beabsichtige die Republik Polen verschiedene Reformen, die dem Rechtsstreit, um den es in der Rechtssache C‑204/21 gehe, seinen Gegenstand nehmen würden.

Würdigung

Zur Verhängung eines Zwangsgelds

42

Mit dem Beschluss vom 14. Juli 2021 hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs eine Reihe einstweiliger Anordnungen erlassen, die in Rn. 3 des vorliegenden Beschlusses aufgeführt sind und denen die Republik Polen unverzüglich nachkommen musste.

43

Erstens ist jedoch festzustellen, dass aus den Akten nicht hervorgeht, dass die von der Republik Polen getroffenen Maßnahmen ausreichten, um die Durchführung dieser einstweiligen Anordnungen zu gewährleisten.

44

Zunächst beruft sich die Republik Polen zwar auf von der Ersten Präsidentin des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) erlassene organisatorische Maßnahmen, doch lässt ihr Vorbringen hierzu nicht den Schluss zu, dass diese Maßnahmen eine vollständige Umsetzung der in Nr. 1 Buchst. a und b des Tenors des Beschlusses vom 14. Juli 2021 genannten Verpflichtungen gewährleisten.

45

So bestreitet die Republik Polen nicht sachdienlich das Vorbringen der Kommission, dass der Präsident der Disziplinarkammer weiterhin befugt bleibe, in Rechtssachen, die nach den im Tenor des Beschlusses vom 14. Juli 2021 genannten nationalen Bestimmungen in die Zuständigkeit dieser Kammer fielen, dringende Maßnahmen zu erlassen.

46

Ebenso geht aus den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien hervor, dass die Entscheidung, die Prüfung der bei der Disziplinarkammer anhängigen Verfahren fortzusetzen oder nicht fortzusetzen, je nach Fall vom Präsidenten oder von Mitgliedern dieser Kammer getroffen wird, ohne dass die Maßnahmen der Ersten Präsidentin des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) sie dazu verpflichten, diese Prüfung auszusetzen.

47

Außerdem hat die Republik Polen nicht geltend gemacht, dass die Wirkungen der bereits erlassenen Entscheidungen der Disziplinarkammer, auf die sich Nr. 1 Buchst. a des Tenors des Beschlusses vom 14. Juli 2021 beziehe, ausgesetzt worden seien, da sie nur eine Rechtssache erwähnt, in der eine solche Aussetzung beschlossen worden sei.

48

Daher ist davon auszugehen, dass die nationalen Bestimmungen, die die Zuständigkeit der Disziplinarkammer für die in Nr. 1 Buchst. a und b des Tenors dieses Beschlusses genannten Rechtssachen vorsehen, in der polnischen Rechtsordnung anwendbar bleiben.

49

Soweit die Republik Polen geltend macht, dass die erlassenen Maßnahmen dennoch ausreichend seien, weil es nicht erforderlich sei, allgemeine Maßnahmen zu erlassen, die eine Aussetzung der Geltung der in Rede stehenden nationalen Bestimmungen bewirkten, genügt die Feststellung, dass der Umstand, dass, wie dieser Mitgliedstaat einräumt, Spruchkörper der Disziplinarkammer gegen einige der Verpflichtungen aus dem Beschluss vom 14. Juli 2021 verstoßen haben, zeigt, dass der von ihm gewählte Weg zur Sicherstellung der Durchführung dieses Beschlusses insoweit keine wirksamen Garantien bietet.

50

Sodann hat die Republik Polen das Vorbringen der Kommission, es sei keine nationale Maßnahme zur Umsetzung der Verpflichtungen aus Nr. 1 Buchst. c und d des Tenors dieses Beschlusses erlassen worden, nicht bestritten. Darüber hinaus hat dieser Mitgliedstaat dem Gerichtshof keine Angaben dazu übermittelt, auf welche Art und Weise die polnischen Gerichte und Behörden diesen Verpflichtungen nachgekommen sein sollen.

51

Was schließlich die in Nr. 1 Buchst. e des Tenors des Beschlusses vom 14. Juli 2021 genannten Verpflichtungen angeht, hat die Republik Polen das Vorbringen der Kommission, dass zum einen die bei der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten anhängigen Rechtssachen von dieser Kammer nach wie vor geprüft werden könnten und zum anderen die Rechtssachen, die in die Zuständigkeit dieser Kammer fielen, von den ordentlichen Gerichten nach wie vor an sie verwiesen werden müssten, nicht sachdienlich bestritten.

52

Zweitens kann das Vorbringen der Republik Polen, dass es angesichts der Grenzen der Ausübung der Befugnisse der nationalen Legislativ- und Exekutivorgane sowie der ausschließlichen Zuständigkeit der polnischen Gerichte für die Entscheidung über anhängige oder bereits abgeschlossene Rechtssachen keine anderen Maßnahmen gebe, die zur Umsetzung des Beschlusses vom 14. Juli 2021 ergriffen werden könnten, nicht durchgreifen.

53

Da dieser Beschluss gemäß Art. 279 AEUV nur einstweilige Anordnungen enthält, verpflichtet er die Republik Polen zwar nicht, die in seinem Tenor genannten Bestimmungen aufzuheben. Ebenso schließt das Unionsrecht in keiner Weise die Möglichkeit aus, dass die Durchführung eines solchen Beschlusses teilweise auf Maßnahmen beruht, die von Gerichten erlassen werden.

54

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass sich zum einen ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung der aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen (Urteil vom 12. November 2019, Kommission/Irland [Windfarm Derrybrien], C‑261/18, EU:C:2019:955, Rn. 89), und dass zum anderen die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das Unionsrecht zu beachten, allen Trägern öffentlicher Gewalt dieser Staaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten obliegt (Urteil vom 4. Oktober 2018, Kommission/Frankreich [Steuervorabzug für ausgeschüttete Dividenden], C‑416/17, EU:C:2018:811, Rn. 106).

55

Selbst wenn man annimmt, dass die in der polnischen Rechtsordnung geltenden Vorschriften es den Legislativ- oder Exekutivorganen nicht erlauben, allgemeine Maßnahmen zu erlassen, mit denen die Aussetzung der Anwendung der im Tenor des Beschlusses vom 14. Juli 2021 genannten nationalen Bestimmungen angeordnet wird, hat dies daher keine Auswirkungen auf die Frage, ob die Republik Polen diesem Beschluss tatsächlich nachgekommen ist oder ob ein Zwangsgeld zu verhängen ist, um die Wirksamkeit der in diesem Beschluss getroffenen einstweiligen Anordnungen zu gewährleisten.

56

Drittens ist der Umstand, dass sich die Republik Polen in der vorliegenden Rechtssache auf von ihr ergriffene Maßnahmen beruft, die denen entsprächen, die sie ergriffen habe, um dem Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen (C‑791/19 R, EU:C:2020:277), nachzukommen, und dass die Kommission es in jener Rechtssache nicht für angebracht hielt, nach dem Erlass dieser Maßnahmen die Verhängung eines Zwangsgelds zu beantragen, jedenfalls nicht geeignet, um darzutun, dass dieser Mitgliedstaat dem Beschluss vom 14. Juli 2021 tatsächlich nachgekommen ist.

57

Unter diesen Umständen erscheint es notwendig, die Wirksamkeit der mit diesem Beschluss getroffenen einstweiligen Anordnungen zu erhöhen, indem die Verhängung eines Zwangsgelds gegen die Republik Polen vorgesehen wird, um diesen Mitgliedstaat davon abzuhalten, die Anpassung seines Verhaltens an diesen Beschluss hinauszuzögern (vgl. entsprechend Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 20. September 2021, Tschechische Republik/Polen, C‑121/21 R, EU:C:2021:752, Rn. 49.

Zur Höhe des Zwangsgelds

58

Zur Festsetzung der Höhe des in der vorliegenden Rechtssache zu verhängenden Zwangsgelds ist darauf hinzuweisen, dass der Beschluss vom 14. Juli 2021 einstweilige Anordnungen betrifft, deren Beachtung erforderlich ist, um einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Unionsrechtsordnung und damit für die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte sowie für die in Art. 2 EUV genannten Werte, auf die sich die Union gründet, insbesondere die Rechtsstaatlichkeit, zu verhindern.

59

Außerdem ist festzustellen, dass das Vorbringen der Republik Polen, mit dem das Vorliegen „mildernder Umstände“ dargetan werden soll, keinen Erfolg haben kann.

60

So ergibt sich erstens aus der in Rn. 54 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung, dass der Umstand, dass das polnische Recht dem Erlass zusätzlicher Maßnahmen, um dem Beschluss vom 14. Juli 2021 nachzukommen, entgegengestanden habe, bei der Bemessung der Höhe des zu verhängenden Zwangsgelds nicht berücksichtigt werden kann.

61

Zweitens ist festzustellen, dass die Republik Polen, soweit sie geltend macht, dass die polnischen Gerichte diesem Beschluss trotz der Unzulänglichkeit der nach seinem Erlass getroffenen Maßnahmen grundsätzlich nachkämen, jedenfalls nichts vorgetragen hat, was die Stichhaltigkeit dieses Vorbringens belegen könnte.

62

Drittens kann der Umstand, dass die Kommission es in einer anderen Rechtssache für angebracht gehalten hat, nicht die Verfahren durchzuführen, die erforderlich sind, um die Anwendung eines Beschlusses sicherzustellen, mit dem einstweilige Anordnungen getroffen wurden, selbst wenn er erwiesen wäre, es der Republik Polen nicht erlauben, sich ihren Verpflichtungen aus dem Beschluss vom 14. Juli 2021 zu entziehen, und keine Herabsetzung des Betrags des Zwangsgelds rechtfertigen, der erforderlich ist, um diesen Mitgliedstaat von der Fortsetzung seines Verhaltens abzuhalten.

63

Viertens ist die von der Republik Polen geäußerte Absicht, innerhalb eines Jahres eine Reihe von Maßnahmen zur Reform des polnischen Justizsystems zu erlassen, in Ermangelung eines sofortigen Tätigwerdens dieses Mitgliedstaats nicht geeignet, den Eintritt des in Rn. 58 des vorliegenden Beschlusses genannten Schadens zu verhindern.

64

Folglich ist der Republik Polen unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falls und der Zahlungsfähigkeit dieses Mitgliedstaats aufzugeben, an die Kommission ein Zwangsgeld in Höhe von 1000000 Euro pro Tag zu zahlen, und zwar ab dem Tag der Zustellung des vorliegenden Beschlusses an die Republik Polen und bis zu dem Tag, an dem dieser Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen aus dem Beschluss vom 14. Juli 2021 nachkommt, oder andernfalls bis zum Tag der Verkündung des Urteils, mit dem das Verfahren in der Rechtssache C‑204/21 beendet wird.

 

Aus diesen Gründen hat der Vizepräsident des Gerichtshofs beschlossen:

 

1.

Die Republik Polen wird verurteilt, an die Europäische Kommission ein Zwangsgeld in Höhe von 1000000 Euro pro Tag zu zahlen, und zwar ab dem Tag der Zustellung des vorliegenden Beschlusses an die Republik Polen und bis zu dem Tag, an dem dieser Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen aus dem Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 14. Juli 2021, Kommission/Polen (C‑204/21 R, EU:C:2021:593), nachkommt, oder andernfalls bis zum Tag der Verkündung des Urteils, mit dem das Verfahren in der Rechtssache C‑204/21 beendet wird.

 

2.

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.