BESCHLUSS DER VIZEPRÄSIDENTIN DES GERICHTSHOFS

14. Juli 2021 ( *1 )

„Vorläufiger Rechtsschutz – Art. 279 AEUV – Antrag auf einstweilige Anordnungen – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Unabhängigkeit der Izba Dyscyplinarna (Disziplinarkammer) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Unabhängigkeit der Richter – Disziplinarordnung der Richter – Prüfung von Rechtsfragen betreffend die fehlende Unabhängigkeit von Richtern – Ausschließliche Zuständigkeit der Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)“

In der Rechtssache C‑204/21 R

betreffend einen Antrag auf einstweilige Anordnungen nach Art. 279 AEUV, eingereicht am 1. April 2021,

Europäische Kommission, vertreten durch P. J. O. Van Nuffel und K. Herrmann als Bevollmächtigte,

Antragstellerin,

gegen

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

Antragsgegnerin,

erlässt

DIE VIZEPRÄSIDENTIN DES GERICHTSHOFS

nach Anhörung des Generalanwalts G. W. Hogan

folgenden

Beschluss

1

Mit ihrem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ersucht die Europäische Kommission den Gerichtshof u. a., der Republik Polen bis zum Erlass des Urteils aufzugeben, die Anwendung mehrerer nationaler Bestimmungen auszusetzen, die durch die Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych, ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze) vom 20. Dezember 2019 (Dz. U. 2020, Position 190, im Folgenden: Änderungsgesetz) eingeführt wurden.

2

Dieser Antrag ist im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV gestellt worden, die von der Kommission am 1. April 2021 erhoben wurde (im Folgenden: Klage) und mit der beantragt wird,

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) im Licht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sowie aus Art. 267 AEUV und aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen hat, dass sie Art. 42a §§ 1 und 2 sowie Art. 55 § 4 der Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 (Dz. U. 2001, Nr. 98, Position 1070) in der Fassung des Änderungsgesetzes (im Folgenden: geändertes Gesetz über die ordentliche Gerichtsbarkeit), Art. 26 § 3 und Art. 29 §§ 2 und 3 der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Position 5) in der Fassung des Änderungsgesetzes (im Folgenden: geändertes Gesetz über das Oberste Gericht), Art. 5 §§ 1a und 1b der Ustawa – Prawo o ustroju sądów administracyjnych (Gesetz über den Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit) vom 25. Juli 2002 (Dz. U. 2002, Position 1269) in der Fassung des Änderungsgesetzes (im Folgenden: geändertes Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit) sowie Art. 8 des Änderungsgesetzes erlassen und beibehalten hat, wonach allen nationalen Gerichten die Prüfung, ob die Anforderungen der Europäischen Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht erfüllt sind, untersagt ist;

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta sowie aus Art. 267 AEUV und aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen hat, dass sie Art. 26 §§ 2 und 4 bis 6 sowie Art. 82 §§ 2 bis 5 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht sowie Art. 10 des Änderungsgesetzes erlassen und beibehalten hat, wonach für die Prüfung von Rügen und Rechtsfragen betreffend die fehlende Unabhängigkeit eines Gerichts oder eines Richters ausschließlich die Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) (im Folgenden: Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten) zuständig ist;

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta sowie aus Art. 267 AEUV verstoßen hat, dass sie Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht erlassen und beibehalten hat, wonach die Prüfung, ob die Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht erfüllt sind, als Disziplinarvergehen gewertet werden kann;

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen hat, dass sie die Izba Dyscyplinarna (Disziplinarkammer) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) (im Folgenden: Disziplinarkammer), deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, ermächtigt hat, in Sachen zu entscheiden, die sich unmittelbar auf den Status und die Amtsausübung von Richtern und Assessoren auswirken, etwa zum einen Sachen betreffend die Zustimmung dazu, dass Richter und Assessoren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder festgenommen werden, und zum anderen arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Sachen betreffend die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) sowie Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand;

festzustellen, dass die Republik Polen dadurch das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten, wie sie in Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 der Charta sowie in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und e, Art. 6 Abs. 3 und Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1) niedergelegt sind, verletzt hat, dass sie Art. 88a des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit, Art. 45 § 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht und Art. 8 § 2 des geänderten Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit erlassen und beibehalten hat.

3

Am 6. Mai 2021 hat die Republik Polen ihre schriftliche Stellungnahme zu dem Antrag auf einstweilige Anordnungen eingereicht.

Rechtlicher Rahmen

Geändertes Gesetz über das Oberste Gericht

4

Mit dem Gesetz über das Oberste Gericht wurden innerhalb des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zwei neue Kammern geschaffen, nämlich zum einen die Disziplinarkammer und zum anderen die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten.

5

Durch das Änderungsgesetz wurde das Gesetz über das Oberste Gericht insbesondere wie folgt geändert: In Art. 26 wurden die §§ 2 bis 6 eingefügt und in Art. 27 § 1 eine Nr. 1a, Art. 29 und Art. 72 § 1 wurden geändert, und in Art. 82 wurden die §§ 2 bis 5 eingefügt.

6

In Art. 26 §§ 2 bis 6 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht heißt es:

„§ 2.   Die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten ist zuständig für Anträge oder Erklärungen betreffend die Ablehnung eines Richters oder die Bestimmung des Gerichts, bei dem ein Verfahren geführt werden soll, mit denen die fehlende Unabhängigkeit des Gerichts oder des Richters gerügt wird. Das mit der Sache befasste Gericht übermittelt dem Präsidenten der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten unverzüglich den Antrag, damit dieser nach den in gesonderten Vorschriften festgelegten Regeln weiter behandelt wird. Durch die Übermittlung des Antrags an den Präsidenten der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten wird das laufende Verfahren nicht ausgesetzt.

§ 3.   Der Antrag nach § 2 wird nicht geprüft, wenn er die Feststellung und die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters oder seiner Ermächtigung zur Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung betrifft.

§ 4.   Die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten ist für Klagen zuständig, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit rechtskräftiger Entscheidungen des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)], der ordentlichen Gerichte, der Militärgerichte und der Verwaltungsgerichte einschließlich des Naczelny Sąd Administracyjny [(Oberstes Verwaltungsgericht, Polen)] gerichtet sind, wenn die Rechtswidrigkeit darin besteht, dass der Status der zur Ausübung des Richteramts berufenen Person in Frage gestellt wird, die in der Sache entschieden hat.

§ 5.   Für das Verfahren in den Sachen nach § 4 gelten die Bestimmungen über die Feststellung der Rechtswidrigkeit rechtskräftiger Entscheidungen entsprechend, und in Strafsachen die Bestimmungen über die Wiederaufnahme eines durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenen Gerichtsverfahrens. Es ist nicht erforderlich, dass ein durch den Erlass der Entscheidung, die Gegenstand der Klage ist, verursachter Schaden vorliegt oder glaubhaft gemacht wird.

§ 6.   Eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer rechtskräftigen Entscheidung nach § 4 kann beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) – Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten ohne Befassung des Gerichts, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, erhoben werden, und zwar auch dann, wenn eine Partei die ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe, einschließlich des außerordentlichen Rechtsbehelfs beim Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)], nicht ausgeschöpft hat.“

7

Art. 27 § 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht sieht vor:

„Die Disziplinarkammer ist zuständig für:

1a)

Sachen betreffend die Zustimmung dazu, dass Richter, Gerichtsassessoren [(Richter auf Probe)], Staatsanwälte und Staatsanwaltsassessoren [(Staatsanwälte auf Probe)] strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder in Untersuchungshaft genommen werden.

2)

arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Sachen, die Richter des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] betreffen;

3)

Sachen über die Versetzung eines Richters des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] in den Ruhestand.“

8

Art. 29 §§ 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht sieht vor:

„§ 2.   Im Rahmen der Tätigkeiten des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] oder seiner Organe darf die Legitimität der Gerichte und Gerichtshöfe, der Verfassungsorgane des Staates und der Organe zur Kontrolle und zum Schutz des Rechts nicht in Frage gestellt werden.

§ 3.   Der Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] oder ein anderes Organ der Staatsgewalt darf die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters oder die sich daraus ergebende Befugnis zur Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung weder feststellen noch beurteilen.“

9

Art. 72 § 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht sieht vor:

„Ein Richter des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] kann für Fehlverhalten im Amt (Disziplinarvergehen) disziplinarisch belangt werden, u. a. für:

1)

die offensichtliche und grobe Missachtung von Rechtsvorschriften;

2)

Handlungen oder Unterlassungen, die das Funktionieren eines Organs der Rechtsprechung unmöglich machen oder wesentlich erschweren können;

3)

Handlungen, mit denen das Bestehen des Dienstverhältnisses eines Richters, die Wirksamkeit der Ernennung eines Richters oder die Legitimität eines Verfassungsorgans der Republik Polen in Frage gestellt wird.“

10

Nach Art. 73 § 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht ist die Disziplinarkammer das Disziplinargericht zweiter (und letzter) Instanz für die Richter der ordentlichen Gerichte und das Disziplinargericht erster und zweiter Instanz für die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht).

11

Art. 82 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht bestimmt:

„§ 1.   Hat der Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] bei der Prüfung einer Kassationsbeschwerde oder eines anderen Rechtsbehelfs ernste Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Rechtsvorschriften, auf deren Grundlage die betreffende Entscheidung erlassen wurde, so kann er das Verfahren aussetzen und einem aus sieben Richtern dieses Gerichts bestehenden Spruchkörper eine Rechtsfrage vorlegen.

§ 2.   Prüft der Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] eine Sache, in der sich eine Rechtsfrage stellt, die die Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts betrifft, so setzt er die Entscheidung aus und legt diese Frage einem Spruchkörper vor, der aus sämtlichen Mitgliedern der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten besteht.

§ 3.   Hat der Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] bei der Prüfung eines Antrags nach Art. 26 § 2 ernste Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Rechtsvorschriften, auf deren Grundlage die Entscheidung zu ergehen hat, so kann er das Verfahren aussetzen und einem aus sämtlichen Mitgliedern der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten bestehenden Spruchkörper eine Rechtsfrage vorlegen.

§ 4.   Beim Erlass eines Beschlusses nach § 2 oder § 3 ist die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten nicht an einen Beschluss eines anderen Spruchkörpers des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] gebunden, auch wenn dieser rechtskräftig geworden ist.

§ 5.   Ein von sämtlichen Mitgliedern der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten auf der Grundlage von § 2 oder § 3 erlassener Beschluss ist für alle Spruchkörper des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] verbindlich. Eine Abweichung von einem Beschluss, der die Wirkung eines Rechtsgrundsatzes hat, erfordert eine erneute Entscheidung durch einen Beschluss des Plenums des Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] in Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Richter jeder der Kammern. Art. 88 findet keine Anwendung.“

Geändertes Gesetz über die ordentliche Gerichtsbarkeit

12

Durch das Änderungsgesetz wurde das Gesetz über die ordentliche Gerichtsbarkeit insbesondere wie folgt geändert: Eingefügt wurden ein Art. 42a und in Art. 55 ein § 4, und geändert wurden Art. 107 § 1 und Art. 110 § 2a.

13

Art. 42a des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit lautet:

„§ 1.   Im Rahmen der Tätigkeiten der Gerichte oder der Organe der Gerichte darf die Legitimität der Gerichte und Gerichtshöfe, der Verfassungsorgane des Staates und der Organe zur Kontrolle und zum Schutz des Rechts nicht in Frage gestellt werden.

§ 2.   Ein ordentliches Gericht oder ein anderes Organ der Staatsgewalt darf die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters oder die sich daraus ergebende Befugnis zur Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung weder feststellen noch beurteilen.“

14

Art. 55 § 4 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit sieht vor:

„Ein Richter kann über alle Sachen an seinem Dienstort und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen in anderen Gerichten entscheiden (Zuständigkeit des Richters). Die Vorschriften über die Zuweisung von Sachen sowie über die Bestimmung und Änderung der Spruchkörper beschränken nicht die Zuständigkeit des Richters und können keine Grundlage für die Feststellung sein, dass ein Spruchkörper im Widerspruch zu Rechtsvorschriften steht, dass ein Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt ist oder dass eine Person an der Entscheidung beteiligt war, die dazu nicht befugt oder zuständig ist.“

15

Art. 80 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit lautet:

„§ 1.   Ein Richter darf ohne Zustimmung des zuständigen Disziplinargerichts weder festgenommen noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Diese Bestimmung betrifft nicht die Festnahme eines Richters auf frischer Tat, wenn diese Festnahme unerlässlich ist, um die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens zu gewährleisten. Bis zum Erlass des Beschlusses, mit dem die Zustimmung dazu gegeben wird, dass ein Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, dürfen nur Maßnahmen getroffen werden, die keinen Aufschub dulden.

§ 2c.   Das Disziplinargericht erlässt einen Beschluss, mit dem die Zustimmung dazu gegeben wird, dass ein Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, wenn der hinreichend begründete Verdacht besteht, dass er eine Straftat begangen hat. Der Beschluss enthält die Zustimmung dazu, dass der betreffende Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, und die Begründung dafür.

§ 2d.   Das Disziplinargericht prüft einen Antrag auf Zustimmung dazu, dass ein Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, innerhalb von 14 Tagen nach seinem Eingang.“

16

Art. 107 § 1 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit lautet:

„Ein Richter kann für Fehlverhalten im Amt (Disziplinarvergehen) disziplinarisch belangt werden, u. a. für:

2)

Handlungen oder Unterlassungen, die das Funktionieren eines Organs der Rechtsprechung unmöglich machen oder wesentlich erschweren können;

3)

Handlungen, mit denen das Bestehen des Dienstverhältnisses eines Richters, die Wirksamkeit der Ernennung eines Richters oder die Legitimität eines Verfassungsorgans der Republik Polen in Frage gestellt wird;

…“

17

Art. 110 § 2a des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit lautet:

„Für die Prüfung der in Art. 37 § 5 und Art. 75 § 2 Nr. 3 genannten Sachen ist das Disziplinargericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der von dem Verfahren betroffene Richter sein Amt ausübt. In den Sachen nach den Art. 80 und 106zd entscheidet im ersten Rechtszug der Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] in der Besetzung mit einem Richter der Disziplinarkammer und im zweiten Rechtszug der Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] in der Besetzung mit drei Richtern der Disziplinarkammer.“

18

Art. 129 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit lautet:

„§ 1.   Das Disziplinargericht kann einen Richter, gegen den ein Disziplinar- oder Entmündigungsverfahren eingeleitet wurde, von seinen Diensttätigkeiten suspendieren; dies gilt auch dann, wenn es mit einem Beschluss seine Zustimmung dazu gibt, dass ein Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird.

§ 2.   Wenn das Disziplinargericht mit einem Beschluss seine Zustimmung dazu gibt, dass ein Richter wegen einer vorsätzlichen Straftat, die von Amts wegen verfolgt wird, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, suspendiert es diesen Richter von Amts wegen von seinen Diensttätigkeiten.

§ 3.   Suspendiert das Disziplinargericht einen Richter von seinen Diensttätigkeiten, kürzt es für die Zeit der Suspendierung den Betrag seiner Vergütung um 25 bis 50 %; dies gilt nicht für Personen, gegen die ein Entmündigungsverfahren eingeleitet wurde.

§ 4.   Wenn das Disziplinarverfahren eingestellt oder ein Disziplinarvergehen verneint wurde, werden alle Bestandteile der Vergütung bzw. der Bezüge bis zu ihrer vollen Höhe ausgeglichen.“

Geändertes Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit

19

Durch das Änderungsgesetz wurde das Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit insbesondere wie folgt geändert: In Art. 5 wurden die §§ 1a und 1b eingefügt, und Art. 29 § 1 und Art. 49 § 1 wurden geändert.

20

Art. 5 §§ 1a und 1b des geänderten Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit bestimmt:

„§ 1a.   Im Rahmen der Tätigkeiten eines Verwaltungsgerichts oder seiner Organe darf die Legitimität der Gerichte und Gerichtshöfe, der Verfassungsorgane des Staates und der Organe zur Kontrolle und zum Schutz des Rechts nicht in Frage gestellt werden.

§ 1b.   Ein Verwaltungsgericht oder ein anderes Organ der Staatsgewalt darf die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters oder die sich daraus ergebende Befugnis zur Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung weder feststellen noch beurteilen.“

21

Nach Art. 29 § 1 des geänderten Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit finden die in Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit vorgesehenen Disziplinarvergehen auch in Bezug auf die Richter der Verwaltungsgerichte Anwendung.

22

Nach Art. 49 § 1 des geänderten Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit finden die in Art. 72 § 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht vorgesehenen Disziplinarvergehen auch in Bezug auf die Richter des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) Anwendung.

Änderungsgesetz

23

Die Art. 8 und 10 des Änderungsgesetzes enthalten Übergangsbestimmungen.

24

Nach Art. 8 des Änderungsgesetzes gilt Art. 55 § 4 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit auch für Sachen, die vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes, d. h. vor dem 14. Februar 2020, eingeleitet oder abgeschlossen wurden.

25

Art. 10 des Änderungsgesetzes lautet:

„§ 1.   Die Bestimmungen des [Gesetzes über das Oberste Gericht] in der Fassung des vorliegenden Gesetzes finden auch auf Sachen Anwendung, die der Prüfung durch die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten unterliegen und vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleitet und nicht durch eine rechtskräftige Entscheidung, einschließlich eines Beschlusses, abgeschlossen worden sind.

§ 2.   Das Gericht, bei dem eine Sache nach § 1 anhängig ist, verweist diese unverzüglich, spätestens sieben Tage nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, an die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten, die die zuvor vorgenommenen Handlungen aufheben kann, soweit sie der weiteren Prüfung der Sache im Einklang mit dem Gesetz entgegenstehen.

§ 3.   Gerichtliche Handlungen und Handlungen der Parteien oder Verfahrensbeteiligten in Verfahren in den in § 1 genannten Sachen, die nach dem Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes unter Verstoß gegen § 2 vorgenommen werden, haben keine verfahrensrechtlichen Wirkungen.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits und Vorverfahren

26

Auf drei Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy (Izba Pracy i Ubezpieczeń Społecznych) (Oberstes Gericht [Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen], Polen) (im Folgenden: Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen) hat der Gerichtshof in Rn. 171 des Urteils vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982) (im Folgenden: Urteil A. K.), entschieden, dass Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass Rechtsstreitigkeiten über die Anwendung des Unionsrechts in die ausschließliche Zuständigkeit einer Einrichtung fallen können, die kein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta ist. Nach den Ausführungen des Gerichtshofs in derselben Randnummer ist das der Fall, wenn die objektiven Bedingungen, unter denen die Einrichtung geschaffen wurde, ihre Merkmale sowie die Art und Weise der Ernennung ihrer Mitglieder geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und daher dazu führen können, dass diese Einrichtung nicht den Eindruck vermittelt, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss. Der Gerichtshof hat in derselben Randnummer weiter ergänzt, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehender erheblicher Erkenntnisse zu ermitteln, ob dies bei einer Einrichtung wie der Disziplinarkammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) der Fall ist, und dass in einem solchen Fall der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er das vorlegende Gericht dazu verpflichtet, die Bestimmung des nationalen Rechts, die die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten dieser Einrichtung vorbehält, unangewendet zu lassen, damit die Rechtsstreitigkeiten von einem Gericht verhandelt werden können, das den Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit genügt und in dem betreffenden Bereich zuständig wäre, stünde diese Bestimmung dem nicht entgegen.

27

Im Anschluss an das Urteil A. K. hat die Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen in dem Rechtsstreit, der zu dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑585/18 geführt hat, in ihrem Urteil vom 5. Dezember 2019 entschieden, dass die Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen) (im Folgenden: KRS) kein unparteiisches und von der Legislative und der Exekutive unabhängiges Organ sei. Auch könne die Disziplinarkammer nicht als Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta und Art. 6 EMRK angesehen werden.

28

Am 12. Dezember 2019 legte eine Abgeordnetengruppe dem Sejm Rzeczypospolitej Polskiej (Erste Kammer des Parlaments, Polen) den Gesetzesentwurf vor, der zu dem Änderungsgesetz führte. Dieses Gesetz wurde am 20. Dezember 2019 erlassen und trat am 14. Februar 2020 in Kraft.

29

Da die Kommission der Ansicht ist, dass die Republik Polen durch den Erlass des Änderungsgesetzes gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 7, Art. 8 Abs. 1 und Art. 47 der Charta sowie aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und e, Art. 6 Abs. 3 und Art. 9 der Verordnung 2016/679 verstoßen habe, richtete sie am 29. April 2020 ein Mahnschreiben an diesen Mitgliedstaat. Die Republik Polen antwortete darauf mit Schreiben vom 29. Juni 2020, in dem sie jeden Verstoß gegen das Unionsrecht in Abrede stellte.

30

Am 30. Oktober 2020 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie daran festhielt, dass die durch das Änderungsgesetz eingeführte Regelung gegen die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Beschlusses genannten Bestimmungen des Unionsrechts verstoße.

31

In Anbetracht der zunehmenden Zahl der bei der Disziplinarkammer anhängigen Verfahren wegen Anträgen auf Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter auf der Grundlage von Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht stellte die Kommission den polnischen Behörden am 1. November 2020 mehrere Fragen, die diese Behörden am 13. November 2020 beantworteten.

32

Am 3. Dezember 2020 übersandte die Kommission der Republik Polen wegen der Rechtsprechungstätigkeit der Disziplinarkammer auf der Grundlage von Art. 27 § 1 Nrn. 1a, 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht in Sachen, die sich unmittelbar auf den Status und die Amtsausübung von Richtern und Assessoren auswirken, ein ergänzendes Mahnschreiben.

33

Mit Schreiben vom 30. Dezember 2020 antwortete die Republik Polen auf die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission vom 30. Oktober 2020 und stellte das Vorliegen der gerügten Vertragsverletzungen in Abrede. Sie beantragte die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens.

34

Mit Schreiben vom 4. Januar 2021 antwortete die Republik Polen auf das ergänzende Mahnschreiben vom 3. Dezember 2020 und machte geltend, dass die Rügen der Kommission in Bezug auf die fehlende Unabhängigkeit der Disziplinarkammer unbegründet seien.

35

Am 27. Januar 2021 richtete die Kommission an die Republik Polen eine ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme zur Rechtsprechungstätigkeit der Disziplinarkammer in Sachen betreffend den Status von Richtern und Assessoren.

36

Mit Schreiben vom 26. Februar 2021 antwortete die Republik Polen auf die ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme und machte geltend, dass die von der Kommission darin erhobene Rüge unbegründet sei. Sie beantragte die Einstellung des Verfahrens.

37

Da die Antworten der Republik Polen die Kommission nicht überzeugten, hat sie am 31. März 2021 eine Vertragsverletzungsklage erhoben und den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.

Anträge der Parteien

38

Die Kommission beantragt,

der Republik Polen aufzugeben, bis zum Erlass des Urteils des Gerichtshofs

a)

zum einen die Anwendung von Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht und anderer Bestimmungen auszusetzen, wonach die Disziplinarkammer dafür zuständig ist, sowohl in erster Instanz als auch in zweiter Instanz über Anträge auf Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren sowie zur Untersuchungshaft, zur Festnahme oder zur zwangsweisen Vorführung von Richtern oder Assessoren zu entscheiden, und zum anderen die Wirkungen der von der Disziplinarkammer auf der Grundlage dieses Artikels bereits erlassenen Entscheidungen über die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter oder zu seiner Festnahme auszusetzen und es zu unterlassen, die in diesem Artikel genannten Sachen an ein Gericht zu verweisen, das den insbesondere im Urteil A. K. festgelegten Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht genügt,

b)

die Anwendung von Art. 27 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht, wonach die Disziplinarkammer für die Entscheidung in Sachen betreffend den Status und die Amtsausübung von Richtern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), insbesondere in arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen betreffend diese Richter sowie in Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand, zuständig ist, auszusetzen und es zu unterlassen, diese Sachen an ein Gericht zu verweisen, das den insbesondere im Urteil A. K. festgelegten Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht genügt,

c)

die Anwendung von Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit sowie von Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht auszusetzen, wonach Richter wegen der Prüfung der Beachtung der Anforderungen in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta disziplinarisch belangt werden können,

d)

die Anwendung von Art. 42a §§ 1 und 2 sowie von Art. 55 § 4 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit, von Art. 26 § 3 sowie von Art. 29 §§ 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht, von Art. 5 §§ 1a und 1b des geänderten Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit und von Art. 8 des Änderungsgesetzes auszusetzen, soweit sie es den nationalen Gerichten verbieten, die Beachtung der Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta zu überprüfen,

e)

die Anwendung von Art. 26 §§ 2 und 4 bis 6 sowie von Art. 82 §§ 2 bis 5 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht und von Art. 10 des Änderungsgesetzes auszusetzen, mit denen die ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten für die Prüfung von Rügen der fehlenden Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts festgelegt wird, und

f)

der Kommission spätestens einen Monat nach der Zustellung des Beschlusses des Gerichtshofs, mit dem die beantragten einstweiligen Anordnungen erlassen werden, alle Maßnahmen mitzuteilen, die getroffen wurden, um diesem Beschluss in vollem Umfang nachzukommen;

der Republik Polen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

39

Die Kommission beantragt ferner gemäß Art. 160 Abs. 7 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs den Erlass der in der vorstehenden Randnummer genannten einstweiligen Anordnungen, bevor die Stellungnahme der Republik Polen eingeht.

40

Die Republik Polen beantragt,

den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen;

hilfsweise, den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz als unbegründet zurückzuweisen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Zum Antrag auf Entscheidung ohne Anhörung der Gegenpartei

41

Nach Art. 160 Abs. 7 der Verfahrensordnung kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz stattgeben, bevor die Stellungnahme der Gegenpartei eingeht, wobei die betreffende Anordnung später, auch von Amts wegen, abgeändert oder wieder aufgehoben werden kann.

42

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ermächtigt Art. 160 Abs. 7 der Verfahrensordnung einen Richter, der über einen Antrag auf einstweilige Anordnungen entscheidet, insbesondere dann, wenn es im Interesse einer geordneten Rechtspflege wünschenswert ist, zu verhindern, dass das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes völlig ausgehöhlt und wirkungslos wird, solche Anordnungen vorsorglich bis zum Erlass des Beschlusses, der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendet, oder, wenn dieser früher erfolgt, bis zum Abschluss des Verfahrens zur Hauptsache zu erlassen. Wenn er die Notwendigkeit prüft, einen Beschluss ohne Anhörung der Gegenpartei zu erlassen, hat dieser Richter die Umstände des Einzelfalls zu untersuchen (Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 19. Oktober 2018, Kommission/Polen, C‑619/18 R, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:852, Rn. 13 und 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Im vorliegenden Fall lässt der von der Kommission gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz keine Umstände erkennen, mit denen die Notwendigkeit dargetan würde, die beantragten Anordnungen vorläufig bis zum Erlass des Beschlusses, der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendet, ohne vorherige Anhörung der Republik Polen zu erlassen.

44

Daher hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs beschlossen, dem Antrag der Kommission, über den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ohne Anhörung der Gegenpartei zu entscheiden, nicht stattzugeben.

Zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

Zur Zulässigkeit

45

Die Republik Polen hält den Antrag der Kommission auf vorläufigen Rechtsschutz für offensichtlich unzulässig.

46

Als Erstes macht die Republik Polen geltend, dass die nationalen Bestimmungen, die die Kommission im Rahmen der Klage angreife, nicht in den Zuständigkeitsbereich der Union fielen. Die Union verfüge nämlich über keinerlei Zuständigkeit im Bereich der Organisation der Justiz der Mitgliedstaaten und erst recht über keinerlei Zuständigkeit dafür, die politische Ordnung dieser Staaten zu bestimmen, die Zuständigkeiten ihrer verschiedenen Organe festzulegen, auf deren interne Organisation Einfluss zu nehmen oder deren Tätigkeit auszusetzen. Insbesondere die Frage der Gewährung und der Aufhebung der Immunität der Richter und Assessoren, die Festlegung sowohl der Disziplinarverfahren gegen Personen, die diese Ämter wahrnähmen, als auch des Umfangs ihrer disziplinarischen Verantwortlichkeit und die Bestimmung der für die Durchführung der Verfahren in diesen Sachen zuständigen Organe richteten sich ausschließlich nach dem nationalen Recht. Daher sei der Gerichtshof für den Erlass der von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnungen offensichtlich unzuständig.

47

Was im Übrigen insbesondere die einstweiligen Anordnungen in Bezug auf die Bestimmungen über die Aufhebung der Immunität von Richtern betreffe, verstoße der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz offenkundig gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten. Denn obwohl einige Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht den Richtern keine Immunität gewährten, so dass die Richter dieser Staaten ständigem Druck und einem Zustand ständiger Unsicherheit ausgesetzt seien, habe die Kommission nie Rügen gegen diese Mitgliedstaaten erhoben.

48

Außerdem verstoße der Antrag gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter. Sowohl die Aussetzung der Tätigkeit der Disziplinarkammer als auch die Aussetzung der Anwendung der in Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c und d des vorliegenden Beschlusses genannten Bestimmungen stellten nämlich einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Richter bei der Ausübung ihrer richterlichen Funktionen dar.

49

Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

50

Zunächst trifft es zwar zu – wie die Republik Polen zu Recht hervorhebt –, dass die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit fällt, doch haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einzuhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, ergeben (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Nach dieser Bestimmung hat jeder Mitgliedstaat u. a. dafür zu sorgen, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind und die somit möglicherweise in dieser Eigenschaft über die Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts entscheiden, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden (Urteil vom 2. März 2021, A. B. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, im Folgenden: Urteil A. B., EU:C:2021:153, Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Im vorliegenden Fall steht indessen fest, dass sowohl der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) einschließlich der zu ihm gehörenden Disziplinarkammer als auch die ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts berufen sein können und dass sie als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil des polnischen Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sind, so dass diese Gerichte den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 56).

53

Im Übrigen regeln die von der Kommission im Rahmen der ersten vier Rügen der Klage beanstandeten nationalen Bestimmungen (im Folgenden: streitige nationale Bestimmungen) die Zuständigkeit der Disziplinarkammer, die Disziplinarordnung für die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsgerichte sowie die Verfahrensmodalitäten für die Kontrolle der Voraussetzungen für die Unabhängigkeit dieser Richter.

54

Folglich können diese Bestimmungen im Kontext einer Vertragsverletzungsklage Gegenstand einer Überprüfung im Hinblick auf Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sein und demzufolge von u. a. auf die Aussetzung dieser Bestimmungen gerichteten einstweiligen Anordnungen, die der Gerichtshof in diesem Zusammenhang nach Art. 279 AEUV erlässt.

55

Demnach ist der Gerichtshof entgegen dem Vorbringen der Republik Polen für den Erlass einstweiliger Anordnungen der von der Kommission beantragten Art zuständig.

56

Was sodann das Vorbringen der Republik Polen betrifft, die Kommission habe die in anderen Mitgliedstaaten bestehenden Regelungen über die Immunität der Richter nicht in Frage gestellt, bei denen das Niveau des Schutzes der richterlichen Unabhängigkeit geringer sei als das durch die polnische Regelung gewährleistete, genügt die Feststellung, dass sowohl die mutmaßliche Existenz von Vorschriften, die den streitigen nationalen Bestimmungen entsprechen oder gar weniger Schutz für die richterliche Unabhängigkeit bieten als diese Bestimmungen, als auch die fehlende Infragestellung dieser Vorschriften durch die Kommission keinen Einfluss auf die Zulässigkeit des vorliegenden Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz haben (vgl. entsprechend Beschluss vom 17. Dezember 2018, Kommission/Polen, C‑619/18 R, EU:C:2018:1021, Rn. 58).

57

Schließlich kann dem Vorbringen der Republik Polen, dass der Erlass der von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnungen gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter verstoße, nicht gefolgt werden. Es genügt nämlich die Feststellung, dass diese Anordnungen, falls sie erlassen werden sollten, nicht die Abberufung der Richter der polnischen Gerichte, insbesondere der Richter der Disziplinarkammer sowie der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten, zur Folge hätten, sondern die vorläufige Aussetzung der Anwendung der streitigen nationalen Bestimmungen bis zur Verkündung des Urteils des Gerichtshofs in der Sache (im Folgenden: Endurteil).

58

Als Zweites macht die Republik Polen geltend, der Antrag der Kommission auf vorläufigen Rechtsschutz sei unzulässig, da die beantragten einstweiligen Anordnungen nicht die volle Wirksamkeit des Endurteils sicherstellen sollten.

59

Zum einen macht die Republik Polen nämlich, indem sie wiederholt, dass die Union nicht befugt sei, in die Tätigkeiten der Verfassungsorgane der Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen obersten Gerichte einzugreifen oder gar ihre Tätigkeiten auszusetzen, geltend, dass die von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnungen die Souveränität dieses Mitgliedstaats beeinträchtigten.

60

Zum anderen macht die Republik Polen geltend, dass ein Teil der von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnungen darauf abziele, das von der Kommission angestrebte Endurteil durchzuführen, noch bevor es erlassen worden sei.

61

Insbesondere macht die Republik Polen zunächst geltend, dass die Durchführung eines solchen Urteils nicht gefährdet sei. Sollte mit dem Endurteil den mit der Klage erhobenen Rügen stattgegeben werden, so werde sie dadurch gezwungen, ihr nationales Recht an die unionsrechtlichen Anforderungen anzupassen. Die Kommission habe jedoch den Zusammenhang zwischen den beantragten einstweiligen Anordnungen und der Fähigkeit der Republik Polen, ihrer Verpflichtung aus Art. 260 Abs. 1 AEUV nachzukommen, nicht dargetan.

62

Sodann trägt die Republik Polen vor, dass die entsprechende Anpassung der streitigen nationalen Bestimmungen genau ein und dasselbe gesetzgeberische Vorgehen erforderlich machen würde, unabhängig davon, ob diese Bestimmungen bis zum Erlass des Endurteils anwendbar blieben oder nicht, weshalb der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnungen für die Gewährleistung der Wirksamkeit des Endurteils belanglos sei.

63

Schließlich macht die Republik Polen geltend, eine einstweilige Anordnung auf Aussetzung der Wirkungen der von der Disziplinarkammer auf der Grundlage von Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht erlassenen Entscheidungen, mit denen der Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter oder der Untersuchungshaft eines Richters zugestimmt werde, sei als mit dem Ziel einer einstweiligen Anordnung offensichtlich unvereinbar anzusehen, da sie Wirkungen entfalten solle, die über die Verpflichtungen hinausgingen, die sich nach Art. 260 Abs. 1 AEUV aus dem etwaigen Endurteil ergäben.

64

Diese Argumentation greift ebenfalls nicht durch.

65

Zum einen ergibt sich nämlich aus den Erwägungen in den Rn. 50 bis 55 des vorliegenden Beschlusses, dass der Gerichtshof nicht nur für die Entscheidung über eine Vertragsverletzungsklage wie die hier in Rede stehende Klage zuständig ist, mit der die Vereinbarkeit der nationalen Bestimmungen über die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten, wie derjenigen über die Disziplinarordnung für die Richter, die über unionsrechtliche Fragen zu entscheiden haben, sowie derjenigen über die Aufhebung der Immunität dieser Richter, mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Frage gestellt wird, sondern auch dafür, im Rahmen einer solchen Klage einstweilige Anordnungen auf Aussetzung der Anwendung solcher nationalen Bestimmungen nach Art. 279 AEUV zu erlassen.

66

Folglich kann der Erlass der von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnungen entgegen dem Vorbringen der Republik Polen die Souveränität dieses Mitgliedstaats nicht beeinträchtigen und demnach auch keinen solchen Zweck verfolgen.

67

Zum anderen beruht das in den Rn. 60 bis 63 des vorliegenden Beschlusses wiedergegebene Vorbringen der Republik Polen auf einem falschen Verständnis des Zwecks des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes und insbesondere der Natur und der Wirkungen der von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnungen sowie auf einer Verwechslung dieses Zwecks mit der Tragweite der Maßnahmen, die sich aus einem Urteil ergeben, mit dem eine Vertragsverletzung nach Art. 258 AEUV festgestellt wird.

68

Der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes besteht nämlich darin, die volle Wirksamkeit der im Verfahren zur Hauptsache, an das das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anknüpft, zu erlassenden Entscheidung zu gewährleisten, um eine Lücke in dem vom Gerichtshof gewährten Rechtsschutz zu verhindern. So soll, was speziell eine einstweilige Anordnung auf Aussetzung einer nationalen Bestimmung betrifft, mit einer solchen Anordnung insbesondere verhindert werden, dass die sofortige Anwendung der fraglichen nationalen Bestimmung einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden im Hinblick auf die von dem Antragsteller geltend gemachten Interessen verursacht. Die Erforderlichkeit einer solchen Anordnung ist daher nur im Hinblick auf den wahrscheinlichen Eintritt eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens zu beurteilen, der sich gegebenenfalls aus der Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnungen in dem Fall ergäbe, dass anschließend der Klage stattgegeben würde (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 17. Dezember 2018, Kommission/Polen, C‑619/18 R, EU:C:2018:1021, Rn. 60, 61 und 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69

Daher steht entgegen dem Vorbringen der Republik Polen der Umstand – seinen Nachweis unterstellt –, dass nicht die Gefahr bestehe, dass dieser Mitgliedstaat, falls der Klage letztlich stattgegeben werde, die Durchführung des Endurteils nicht sicherstelle, in keinem Zusammenhang mit dem Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes, insbesondere wenn es sich um eine einstweilige Anordnung auf Aussetzung einer nationalen Bestimmung handelt, wie sie von der Kommission beantragt wird, und ist daher für die Zulässigkeit des vorliegenden Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ohne Belang.

70

Gleiches gilt für den von der Republik Polen geltend gemachten Umstand, dass die Durchführung des Endurteils, falls der Klage letztlich stattgegeben werde, für diesen Mitgliedstaat ein und dieselben Verpflichtungen mit sich bringe, unabhängig davon, ob die von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnungen erlassen würden oder nicht.

71

Ein solcher Umstand hat nämlich nicht nur nichts mit dem Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes zu tun, wie er in Rn. 68 des vorliegenden Beschlusses beschrieben worden ist, sondern ergibt sich aus Art. 260 Abs. 1 AEUV, wonach ein Mitgliedstaat, wenn der Gerichtshof feststellt, dass er gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben.

72

Daher wäre die Republik Polen, wenn die Klage Erfolg haben sollte, unabhängig davon, ob die von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnungen vom Gerichtshof erlassen werden oder nicht, nach Art. 260 Abs. 1 AEUV verpflichtet, zur Durchführung des Endurteils ihr nationales Recht anzupassen und die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die nationalen Gerichte, die Bestandteil ihres Rechtsschutzsystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den Anforderungen in Bezug auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV gerecht werden.

73

Schließlich trifft es zwar zu, dass – wie die Republik Polen im Wesentlichen vorträgt – die Frage, welche Maßnehmen sich aus einem Urteil ergeben, mit dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird, nicht Gegenstand eines nach Art. 258 AEUV erlassenen Urteils ist (Urteil vom 8. April 2014, Kommission/Ungarn, C‑288/12, EU:C:2014:237, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). Entgegen dem Vorbringen dieses Mitgliedstaats bedeutet dieser Umstand aber nicht, dass der Erlass einer konkreten einstweiligen Anordnung wie der, Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht sowie die Wirkungen der von der Disziplinarkammer auf der Grundlage dieser Bestimmung erlassenen Entscheidungen auszusetzen, Wirkungen hätte, die über die sich aus diesem Urteil gemäß Art. 260 Abs. 1 AEUV ergebenden Verpflichtungen hinausgingen und daher im Widerspruch zum Zweck einer einstweiligen Anordnung stünden.

74

Es genügt nämlich die Feststellung, dass das Vorbringen der Republik Polen, wenn ihm gefolgt würde, darauf hinausliefe, dass das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV gegenstandslos würde, da der Gerichtshof in dem Urteil, mit dem die Vertragsverletzung festgestellt wird, dem betroffenen Mitgliedstaat nicht aufgeben kann, bestimmte Maßnahmen zu erlassen, um dieses Urteil durchzuführen (Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 21. Mai 2021, Tschechische Republik/Polen, C‑121/21 R, EU:C:2021:420, Rn. 30).

75

Nach alledem ist der Antrag auf einstweilige Anordnungen zulässig.

Zur Begründetheit

76

Art. 160 Abs. 3 der Verfahrensordnung bestimmt, dass Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz „den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie die den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigenden Sach- und Rechtsgründe“ anführen müssen.

77

Somit kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter eine einstweilige Anordnung nur dann erlassen, wenn dargetan ist, dass ihr Erlass dem ersten Anschein nach in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gerechtfertigt ist (fumus boni iuris), und wenn sie in dem Sinne dringend ist, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten muss. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor. Diese Voraussetzungen bestehen kumulativ, so dass der Antrag auf einstweilige Anordnungen zurückzuweisen ist, sofern es an einer von ihnen fehlt (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78

Daher ist zu prüfen, ob die in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen in Bezug auf die beantragten einstweiligen Anordnungen erfüllt sind. Dazu ist nacheinander die Begründetheit der in Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a, b, d, e und c des vorliegenden Beschlusses wiedergegebenen Anträge auf einstweilige Anordnungen zu prüfen.

Zu den einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a und b des vorliegenden Beschlusses

  Zum fumus boni iuris

79

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Voraussetzung des fumus boni iuris erfüllt, wenn zumindest einer der Gründe, die die Partei, die die einstweiligen Anordnungen beantragt, zur Hauptsache geltend macht, auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage erscheint. Dies ist insbesondere der Fall, wenn einer dieser Gründe komplexe rechtliche Fragen aufwirft, deren Lösung sich nicht sogleich aufdrängt und die daher einer eingehenden Prüfung bedürfen, die nicht von dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter vorgenommen werden kann, sondern Gegenstand des Verfahrens zur Hauptsache sein muss, oder wenn ausweislich des Vorbringens der Parteien eine bedeutsame rechtliche Kontroverse besteht, deren Lösung sich nicht offensichtlich aufdrängt (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80

Im vorliegenden Fall trägt die Kommission vor, die vierte Rüge ihrer Klage, die sich auf die nationalen Bestimmungen bezieht, die Gegenstand der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a und b des vorliegenden Beschlusses sind, erscheine auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage. Mit dieser Rüge werde konkret geltend gemacht, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen habe, dass sie der Disziplinarkammer, deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet seien, die Zuständigkeit für die Entscheidung in Sachen betreffend die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren oder zur Untersuchungshaft von Richtern oder Assessoren, für arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Sachen betreffend die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) sowie in Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand zugewiesen habe.

81

Die Kommission stützt sich insoweit zum einen darauf, dass die nach Art. 27 § 1 Nrn. 1a, 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht in die Zuständigkeit der Disziplinarkammer fallenden Sachen unmittelbare Auswirkungen auf den Status und die Bedingungen der Amtsausübung der Richter hätten, und zum anderen auf die Beurteilungen in den Rn. 52 bis 81 des Beschlusses vom 8. April 2020, Kommission/Polen (C‑791/19 R, EU:C:2020:277), sowie auf die Auslegungshinweise, die der Gerichtshof im Urteil A. K. gegeben habe, aus dem sich ergebe, dass die Rüge der fehlenden Unabhängigkeit und Unparteilichkeit auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage erscheine.

82

Bei der Prüfung, ob die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a und b des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist, ist darauf hinzuweisen, dass entsprechend den Ausführungen in Rn. 51 des vorliegenden Beschlusses jeder Mitgliedstaat gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV u. a. dafür zu sorgen hat, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind und die somit möglicherweise in dieser Eigenschaft über die Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts entscheiden, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden (Urteil A. B., Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83

Damit dieser Schutz gewährleistet ist, ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Unabhängigkeit der betreffenden Einrichtungen gewahrt ist, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 194 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84

Dieses Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, gehört zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt. Nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung ist die Unabhängigkeit der Gerichte u. a. gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 195 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85

Nach ständiger Rechtsprechung setzen die nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung sowie für die Ernennung und die Amtsdauer und für die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteil vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86

Insoweit sind die Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die für den Status der Richter und die Ausübung ihres Richteramts geltenden Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten, auszuschließen – und es damit auszuschließen, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 197 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit verlangt, dass die Vorschriften über die Disziplinarordnung für diejenigen, die mit der Aufgabe des Richtens betraut sind, die erforderlichen Garantien aufweisen, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche Ordnung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird. Insoweit bilden Regeln, die insbesondere festlegen, welche Verhaltensweisen Disziplinarvergehen begründen und welche Sanktionen konkret anwendbar sind, die die Einschaltung einer unabhängigen Instanz gemäß einem Verfahren vorsehen, das die in den Art. 47 und 48 der Charta niedergelegten Rechte, namentlich die Verteidigungsrechte, in vollem Umfang sicherstellt, und die die Möglichkeit festschreiben, die Entscheidungen der Disziplinarorgane vor Gericht anzufechten, eine Reihe von Garantien, die wesentlich sind, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 198 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88

Sieht ein Mitgliedstaat spezifische Vorschriften für Strafverfahren gegen Richter vor, insbesondere hinsichtlich der Aufhebung ihrer Immunität zum Zweck der Einleitung eines Strafverfahrens, so gebietet es das Erfordernis der Unabhängigkeit ferner, um bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel im Sinne der Rn. 85 und 86 des vorliegenden Beschlusses auszuräumen, dass diese spezifischen Vorschriften durch objektive und überprüfbare Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege gerechtfertigt sind und dass sie ebenso wie die Vorschriften über die disziplinarische Haftung der Richter die notwendigen Garantien dafür vorsehen, dass sowohl das Verfahren über die Aufhebung der Immunität der Richter als solches als auch das Strafverfahren nicht als System zur politischen Kontrolle der Tätigkeit dieser Richter verwendet werden können und dass sie die in den Art. 47 und 48 der Charta verankerten Rechte in vollem Umfang gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 213 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies muss umso mehr gelten, wenn die Entscheidungen, mit denen der Aufhebung der Immunität der Richter zum Zweck der Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie zugestimmt wird, als solche Folgen im Hinblick auf den Status oder die Bedingungen der Amtsausübung der betroffenen Richter haben.

89

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten, um zu gewährleisten, dass die nationalen Gerichte, die Bestandteil ihrer Rechtsbehelfssysteme in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen, darunter der der Unabhängigkeit, gerecht werden, und damit ihren Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV nachzukommen, dafür sorgen müssen, dass die Regelung über den Status und die Bedingungen der Amtsausübung der Richter dieser Gerichte, insbesondere die für die Aufhebung der Immunität dieser Richter geltende Regelung, den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit wahrt, indem insbesondere gewährleistet wird, dass die im Rahmen dieser Regelung erlassenen Entscheidungen von einer richterlichen Instanz überprüft werden, die ihrerseits die mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Garantien erfüllt (vgl. entsprechend Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 35).

90

Im vorliegenden Fall ist indessen festzustellen, dass zum einen die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen, die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) betreffen, sowie die Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand, die nach Art. 27 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht in die Zuständigkeit der Disziplinarkammer fallen, nicht nur die Anwendung des Unionsrechts implizieren können, sondern auch, wie die Kommission festgestellt hat, den Status und die Bedingungen der Amtsausübung dieser Richter betreffen.

91

Zum anderen führen, wie die Kommission vorgetragen hat, ohne dass ihr die Republik Polen widersprochen hätte, die Entscheidungen über die Aufhebung der Immunität der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und der ordentlichen Gerichte zum Zweck der Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie dazu, dass sie für gegebenenfalls unbestimmte Zeit von ihrem Amt suspendiert werden und ihre Bezüge in dieser Zeit um 25 % bis 50 % gekürzt werden. Demnach betreffen die Sachen über die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter und Assessoren oder zur Untersuchungshaft von Richtern und Assessoren, die nach Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht in die Zuständigkeit der Disziplinarkammer fallen, den Status und die Bedingungen für die Amtsausübung der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

92

Daher muss die Republik Polen nach der in Rn. 89 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung, um ihren Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV nachzukommen, sicherstellen, dass die Zuständigkeit für Entscheidungen in den in Art. 27 § 1 Nrn. 1a, 2 und 3 des Gesetzes über das Oberste Gericht genannten Sachen einer Einrichtung übertragen ist, die den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen, darunter der der Unabhängigkeit, gerecht wird.

93

Somit wird mit der vierten Rüge der Klage die Frage aufgeworfen, ob die Disziplinarkammer diesen Anforderungen gerecht wird.

94

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil A. K. die Tragweite der Anforderungen in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im Zusammenhang mit gerade einer Einrichtung wie der Disziplinarkammer bestimmt hat.

95

Was zum einen die Umstände betrifft, unter denen die Ernennungen der Richter der Disziplinarkammer erfolgen, hat der Gerichtshof nach der Feststellung, dass die Richter dieser Kammer vom Präsidenten der Republik Polen auf Vorschlag der KRS ernannt werden, in den Rn. 137 und 138 des Urteils A. K. unter Berufung insbesondere auf die Rn. 115 und 116 des Urteils vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531), ausgeführt, dass die Einschaltung der KRS in diesem Ernennungsverfahren zwar zur Objektivierung dieses Verfahrens beitragen kann, indem sie den Handlungsspielraum, über den der Präsident der Republik Polen bei der Ausübung der ihm eingeräumten Befugnis verfügt, begrenzt; dies gilt jedoch u. a. nur insoweit, als die KRS selbst von der Legislative und der Exekutive sowie dem Präsidenten der Republik Polen hinreichend unabhängig ist. Zu diesem Punkt hat der Gerichtshof in den Rn. 142 bis 145 des Urteils A. K. ausgehend von den Angaben des vorlegenden Gerichts Gesichtspunkte ermittelt, die zusammen betrachtet Anlass zu Zweifeln an der Unabhängigkeit eines Gremiums wie der KRS geben können (vgl. auch Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 68 und 69).

96

Zum anderen hat der Gerichtshof unabhängig von den Umständen, unter denen die Richter der Disziplinarkammer ernannt werden, und von der Rolle, die die KRS hierbei spielt, in den Rn. 147 bis 151 des Urteils A. K. weitere Gesichtspunkte festgestellt, die unmittelbar für die Disziplinarkammer kennzeichnend sind. In Rn. 152 des Urteils A. K. hat der Gerichtshof festgestellt, dass zwar jeder einzelne dieser Faktoren für sich allein und isoliert betrachtet keine Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Einrichtung aufkommen lassen kann, doch für ihre Kombination etwas anderes gelten könnte, zumal dann, wenn die Prüfung in Bezug auf die KRS zeigen sollte, dass diese gegenüber der Legislative und der Exekutive nicht unabhängig ist (vgl. auch Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 71).

97

Angesichts der Auslegungshinweise, die der Gerichtshof im Urteil A. K. gegeben hat, sowie des im Anschluss daran ergangenen Urteils der Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen vom 5. Dezember 2019 kann jedoch auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen werden, dass die Disziplinarkammer dem sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergebenden Erfordernis der Unabhängigkeit der Richter nicht gerecht wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 77).

98

Folglich ist, ohne sich in diesem Stadium zur Stichhaltigkeit der von den Parteien im Rahmen der vierten Rüge der Klage vorgebrachten Argumente zu äußern, wofür allein der Richter der Hauptsache zuständig ist, der Schluss zu ziehen, dass das Vorbringen der Kommission im Rahmen dieser Rüge in Anbetracht der von ihr vorgebrachten Gesichtspunkte, der in den Rn. 82 bis 89 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung und der insbesondere im Urteil A. K. gegebenen Auslegungshinweise auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage im Sinne der in Rn. 79 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung erscheint.

99

Das Vorbringen der Republik Polen vermag diese Schlussfolgerung nicht zu widerlegen.

100

Die Republik Polen macht nämlich als Erstes geltend, angesichts der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Anforderungen in Bezug auf das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, die sich insbesondere aus den Urteilen vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535), und vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311), dem Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 10. September 2020, Rat/Sharpston (C‑424/20 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2020:705), und dem Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 6. Oktober 2020, Sharpston/Rat und Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (T‑180/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:473), ergebe, sei die vierte Rüge der Klage zurückzuweisen. Aus dieser Rechtsprechung gehe nämlich hervor, dass die sich aus dieser Bestimmung des AEU-Vertrags ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine unabhängige Gerichtsbarkeit zu gewährleisten, Verfahren zur Ernennung von Richtern durch Politiker, an denen keine Vertreter der Richter beteiligt seien und die keiner gerichtlichen Kontrolle unterlägen, nicht entgegenstehe.

101

Entgegen dem Vorbringen der Republik Polen wurde jedoch zum einen mit den Urteilen vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535), und vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311), nur die frühere Rechtsprechung des Gerichtshofs angewandt, insbesondere die im Urteil A. K. herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze. Zum anderen wurde in dem Beschluss vom 10. September 2020, Rat/Sharpston (C‑424/20 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2020:705]), nur festgestellt, dass die gegen einen Beschluss der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten gerichtete Klage auf den ersten Blick offensichtlich unzulässig war, da ein solcher nicht von einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union erlassener Beschluss vom Gerichtshof nicht nach Art. 263 AEUV auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, was durch den Beschluss vom 16. Juni 2021, Sharpston/Rat und Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (C‑684/20 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:486), der auf ein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Gerichts vom 6. Oktober 2020, Sharpston/Rat und Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (T‑180/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:473), ergangen ist, bestätigt wurde.

102

Die in Rn. 100 des vorliegenden Beschlusses angeführte Rechtsprechung erlaubt es daher nicht, das Vorliegen eines fumus boni iuris in Bezug auf die vierte Rüge der Klage in Frage zu stellen.

103

Als Zweites macht die Republik Polen geltend, das Urteil A. K. sei nicht relevant für die Beurteilung der Frage, ob die vierte Rüge der Klage auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage erscheine, da dieses Urteil in einem spezifischen tatsächlichen Kontext ergangen sei.

104

Insoweit trifft es zwar zu, dass der Gerichtshof im Urteil A. K. nicht die Unvereinbarkeit der in Rede stehenden polnischen Rechtsvorschriften mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV festgestellt hat, sondern dem vorlegenden Gericht die hierfür erforderlichen Beurteilungen überlassen hat, doch ist darauf hinzuweisen, dass das durch Art. 267 AEUV eingerichtete Vorabentscheidungsverfahren ein Verfahren des unmittelbaren Zusammenwirkens des Gerichtshofs und der Gerichte der Mitgliedstaaten darstellt. Im Rahmen dieses Verfahrens, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, fällt jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts, das im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat, während der Gerichtshof nur befugt ist, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Unionsvorschrift zu äußern (Urteile vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo, C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 27, vom 30. Mai 2018, Dell’Acqua, C‑370/16, EU:C:2018:344, Rn. 31, und vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 28).

105

In diesem Zusammenhang sind die Aufgaben des Gerichtshofs danach zu unterscheiden, ob er mit einem Vorabentscheidungsersuchen oder mit einer Vertragsverletzungsklage befasst ist. Während der Gerichtshof nämlich im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage prüfen muss, ob die von der Kommission oder einem anderen als dem betroffenen Mitgliedstaat beanstandete nationale Maßnahme oder Praxis allgemein, und ohne dass diesbezüglich ein Rechtsstreit vor die nationalen Gerichte gebracht zu werden braucht, dem Unionsrecht zuwiderläuft, besteht die Aufgabe des Gerichtshofs in einem Vorabentscheidungsverfahren dagegen darin, das vorlegende Gericht bei der Entscheidung des konkret bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu unterstützen (Urteile vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 47, und vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

106

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, auch wenn es nicht seine Sache ist, im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu beurteilen, gleichwohl befugt ist, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit zu befinden (Urteile vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales, C‑118/08, EU:C:2010:39, Rn. 23, und vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 30).

107

In Anwendung dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof in Rn. 132 des Urteils A. K. ausgeführt, dass er seine Prüfung auf die Bestimmungen des Unionsrechts beschränkt und dieses in einer für das vorlegende Gericht sachdienlichen Weise ausgelegt hat; diesem oblag es, im Licht der vom Gerichtshof gegebenen Auslegungshinweise zu beurteilen, ob die fraglichen polnischen Bestimmungen mit dem Unionsrecht vereinbar waren, um über die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden (vgl. auch Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 75).

108

Die Relevanz gerade dieser Faktoren kann, da sie sich im Wesentlichen auf die Zuständigkeiten der Disziplinarkammer, ihre Zusammensetzung, die Bedingungen und das Verfahren zur Ernennung ihrer Mitglieder sowie auf den Grad ihrer Autonomie innerhalb des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) beziehen, nicht auf die tatsächlichen Umstände beschränkt werden, die dem Urteil des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vom 5. Dezember 2019 eigen sind (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 76).

109

Das Vorbringen der Republik Polen, mit dem dem Urteil A. K. jede Relevanz für die Beurteilung der Frage abgesprochen wird, ob die vierte Rüge der Klage auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage erscheint, kann daher keinen Erfolg haben.

110

Als Drittes macht die Republik Polen geltend, dass es in anderen Mitgliedstaaten für das Verfahren zur Ernennung von Richtern der nationalen obersten Gerichte ähnliche Regeln wie in der Republik Polen gebe. In diesem Zusammenhang führt die Republik Polen zum einen die Regelungen in der Tschechischen Republik sowie in Deutschland, Irland, Litauen, Malta und Österreich an, nach denen die Auswahl dieser Richter ausschließlich oder überwiegend Personen anvertraut sei, die die ausführende oder gesetzgebende Gewalt ausübten, und zum anderen die in Belgien, Dänemark und Frankreich bestehenden Regelungen, nach denen Vertreter der rechtsprechenden Gewalt an dem Verfahren zur Ernennung der Richter der obersten Gerichte beteiligt seien, ohne indessen einen ausschlaggebenden Einfluss auf ihre Auswahl auszuüben. Was im Übrigen insbesondere das Verfahren zur Ernennung der KRS betrifft, erwähnt die Republik Polen auch die spanische Regelung und nimmt auf die Bedingungen der Ernennung der Mitglieder des Consejo General del Poder Judicial (Nationaler Richterrat, Spanien) Bezug. Die Tatsache, dass die Kommission diese nationalen Regelungen nicht in Frage gestellt habe, zeige, dass ihre Rüge hinsichtlich der fehlenden Unabhängigkeit der Disziplinarkammer unbegründet sei.

111

Für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens genügt insoweit allerdings die Feststellung, dass sich die Republik Polen nicht mit Erfolg darauf berufen kann, dass es Vorschriften gebe, die den nationalen Bestimmungen ähnlich seien, auf die sich die vierte Rüge der Klage beziehe, um darzutun, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf diese Rüge nicht erfüllt sei (Beschluss vom 17. Dezember 2018, Kommission/Polen, C‑619/18 R, EU:C:2018:1021, Rn. 58).

112

Als Viertes und Letztes verweist die Republik Polen auf die Merkmale der Regelung für die Ernennung der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und des Verfahrens zur Ernennung der Mitglieder der KRS, eines Organs, das an der Bestimmung dieser Richter beteiligt sei, um darzutun, dass diese Regelung dem Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit entspreche.

113

Angesichts insbesondere der Auslegungshinweise, die der Gerichtshof im Urteil A. K. gegeben hat, kann dieses Vorbringen indessen nicht die Feststellung erlauben, dass die vierte Rüge der Klage auf den ersten Blick ohne ernsthafte Grundlage erscheint.

114

Nach alledem ist festzustellen, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a und b des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist.

  Zur Dringlichkeit

115

Wie in Rn. 68 des vorliegenden Beschlusses dargelegt, besteht der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs darin, die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung zu gewährleisten, um eine Lücke in dem vom Gerichtshof gewährten Rechtsschutz zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Dringlichkeit im Hinblick darauf zu beurteilen, ob eine einstweilige Anordnung erforderlich ist, um den Eintritt eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens bei der Partei, die den vorläufigen Rechtsschutz beantragt, zu verhindern. Dieser Partei obliegt der Nachweis, dass sie den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne dass ihr ein derartiger Schaden entstünde. Für den Nachweis des Bestehens eines solchen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens braucht sein Eintritt nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen zu werden. Es genügt, dass seine Entstehung mit einem hinreichenden Grad von Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

116

Außerdem muss der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter zum alleinigen Zweck der Beurteilung der Dringlichkeit, ohne dass dies eine wie auch immer geartete Stellungnahme seinerseits zur Begründetheit der vom Antragsteller in der Hauptsache geltend gemachten Rügen bedeutete, als gegeben annehmen, dass diese Rügen durchgreifen könnten. Denn der schwere und nicht wiedergutzumachende Schaden, dessen wahrscheinlicher Eintritt glaubhaft gemacht werden muss, ist der Schaden, der sich gegebenenfalls aus der Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnungen in dem Fall ergäbe, dass anschließend der Klage in der Hauptsache stattgegeben würde (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

117

Folglich muss der Gerichtshof im vorliegenden Fall für die Beurteilung der Dringlichkeit als gegeben annehmen, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die vierte Rüge der Klage bezieht, die Zuständigkeit für Entscheidungen in arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen betreffend die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), in Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand und in Sachen betreffend die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren oder zur Untersuchungshaft von Richtern oder Assessoren einer Einrichtung zuweisen könnten, deren Unabhängigkeit möglicherweise nicht gewährleistet ist, und damit gegen die der Republik Polen nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV obliegende Verpflichtung verstoßen könnten, zu gewährleisten, dass die nationalen Gerichte, die Bestandteil ihres Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den Anforderungen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes gerecht werden.

118

Bei dieser Beurteilung ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Disziplinarkammer ihre Tätigkeiten in den Sachen nach Art. 27 § 1 Nrn. 1a, 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht bereits aufgenommen hat.

119

Was ferner insbesondere die Sachen betrifft, in denen es um die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren oder zur Untersuchungshaft von Richtern oder Assessoren geht, ist auch zu berücksichtigen, dass die Disziplinarkammer, wie die Kommission ausgeführt hat, ohne dass die Republik Polen dem widersprochen hätte, erstens im Zeitraum vom 14. Februar 2020, dem Tag des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes, bis zum 15. März 2021 mit mehr als 40 Anträgen befasst wurde, von denen einer den Präsidenten der Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen betraf, und dass seit dem 5. November 2020 mehr als 20 Anträge bereits geprüft wurden. Zweitens stieg die Zahl der Anträge betreffend Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in den Wochen vor der Klageerhebung an, wobei insbesondere die Einreichung von Anträgen der Prokuratura Krajowa (nationale Staatsanwaltschaft, Polen) auf Zustimmung zur Einleitung von Strafverfahren gegen drei Richter der Strafkammer dieses Gerichts am 16. März 2021 zu nennen ist. Drittens erließ die Disziplinarkammer über zwölf Entscheidungen, mit denen der Einleitung von Strafverfahren gegen Richter sowie ihrer Suspendierung von den Amtstätigkeiten und einer Kürzung ihrer Bezüge um 25 % bis 50 % während der Dauer der Suspendierung zugestimmt wurde.

120

In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob, wie die Kommission geltend macht, die Anwendung der nationalen Vorschriften, auf die sich die vierte Rüge der Klage bezieht, und die Aufrechterhaltung der Wirkungen der von der Disziplinarkammer nach Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht erlassenen Entscheidungen einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Unionsrechtsordnung verursachen können.

121

Wie sich insoweit aus der in den Rn. 88 und 89 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung ergibt, kann der Umstand, dass wegen der Anwendung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die vierte Rüge der Klage bezieht, die Prüfung von arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen betreffend die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand und Sachen betreffend die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren oder zur Untersuchungshaft von Richtern oder Assessoren bis zum Erlass des Endurteils in die Zuständigkeit einer Einrichtung fallen, deren Unabhängigkeit möglicherweise nicht gewährleistet ist, nämlich der Disziplinarkammer, in diesem Zeitraum die Unabhängigkeit des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) sowie der ordentlichen Gerichte beeinträchtigen.

122

Wie die Kommission ausgeführt hat und sich im Übrigen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, kann nämlich die bloße Aussicht für die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und der ordentlichen Gerichte, Gefahr zu laufen, dass Anträge auf Aufhebung ihrer Immunität zum Zweck der Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie von einer Einrichtung geprüft werden, deren Unabhängigkeit möglicherweise nicht gewährleistet ist, angesichts der Folgen, die eine Aufhebung der Immunität für die betroffenen Richter mit sich bringen kann, nämlich ihre Suspendierung von den Amtstätigkeiten auf unbestimmte Dauer und die Kürzung ihrer Bezüge um 25 % bis 50 % auf ebenfalls unbestimmte Dauer, ihre eigene Unabhängigkeit beeinträchtigen (vgl. entsprechend Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 90).

123

Ebenso kann der bloße Umstand, dass die Prüfung von Sachen, die sich auf den Status und die Arbeitsbedingungen der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) auswirken, etwa von arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen sowie von Sachen betreffend die Versetzung in den Ruhestand, einer Einrichtung übertragen ist, deren Unabhängigkeit möglicherweise nicht gewährleistet ist, bei den Rechtsunterworfenen Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Richter wecken.

124

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich indessen, dass der Umstand, dass aufgrund der Anwendung einer nationalen Bestimmung, die Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens ist, die Unabhängigkeit des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) bis zur Verkündung des Urteils, mit dem über diese Klage entschieden wird, möglicherweise nicht gewährleistet ist, für die Unionsrechtsordnung und damit für die Rechte, die die Rechtsunterworfenen aus dem Unionsrecht ableiten, sowie für die in Art. 2 EUV genannten Werte, auf die sich die Union gründet, insbesondere die Rechtsstaatlichkeit, einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden hervorrufen kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

125

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Anwendung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die vierte Rüge der Klage bezieht, soweit sie der Disziplinarkammer, deren Unabhängigkeit möglicherweise nicht gewährleistet ist, die Zuständigkeit für Entscheidungen in arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen betreffend die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), für Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand und in Sachen betreffend die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren des polnischen Justizsystems oder zur Untersuchungshaft solcher Richter oder Assessoren entsprechend dem Vorbringen der Kommission einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Unionsrechtsordnung verursachen kann.

126

Wenn schließlich die bloße Aussicht für die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und der ordentlichen Gerichte, Gefahr zu laufen, dass Anträge auf Aufhebung ihrer Immunität zum Zweck der Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie von einer Einrichtung – wie der Disziplinarkammer – geprüft werden, deren Unabhängigkeit möglicherweise nicht gewährleistet ist, die Unabhängigkeit dieser Richter beeinträchtigen kann, dann ist der Erlass von Entscheidungen dieser Einrichtung betreffend die Aufhebung der Immunität von Richtern mit der Folge der Suspendierung von der Amtstätigkeit und der Kürzung der Bezüge der betroffenen Richter erst recht geeignet, die Zweifel daran zu verstärken, dass die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und der ordentlichen Gerichte, gegen die keine solchen Entscheidungen ergangen sind, für jede Einflussnahme und alle äußeren Faktoren, die ihre Entscheidungen leiten könnten, unempfänglich sind, und kann dazu führen, dass nicht der Eindruck vermittelt wird, dass diese Richter unabhängig und unparteiisch sind, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

127

Daher kann der Umstand, dass wegen der Aufrechterhaltung der Wirkungen der Entscheidungen der Disziplinarkammer, mit denen der Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter zugestimmt wird, die Unabhängigkeit der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) und der ordentlichen Gerichte, die nicht Gegenstand dieser Entscheidungen sind, bis zur Verkündung des Endurteils möglicherweise nicht gewährleistet ist, einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für das Unionsrecht zur Folge haben, zumal die Ausübung der Rechtsprechung während dieses Zeitraums allein diesen Richtern obliegt.

128

Wie die Kommission ausgeführt hat, kann eine solche Gefahr nur dadurch vermieden werden, dass für die von diesen Entscheidungen betroffenen Richter die Wiederherstellung ihres dienstrechtlichen Status sowie ihrer Rechte und der Bedingungen ihrer Amtsausübung, wie sie vor dem Erlass dieser Entscheidungen bestanden, gewährleistet wird.

129

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Kommission dargetan hat, dass im Fall der Ablehnung des Erlasses der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a und b des vorliegenden Beschlusses zum einen die Anwendung der nationalen Bestimmungen, die Gegenstand der vierten Rüge der Klage sind, und zum anderen die Aufrechterhaltung der Wirkungen von Entscheidungen, mit denen der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter des polnischen Justizsystems zugestimmt wird, einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Unionsrechtsordnung verursachen kann.

130

Das Vorbringen der Republik Polen, mit dem die fehlende Dringlichkeit dargetan werden soll, kann diese Beurteilung nicht in Frage stellen.

131

Als Erstes macht die Republik Polen geltend, die Kommission habe die aufeinanderfolgenden Schritte zur Beendigung der im Rahmen der vierten Rüge der Klage behaupteten Vertragsverletzung zu spät ergriffen, da die Disziplinarkammer seit dem Erlass des Gesetzes über das Oberste Gericht und nicht erst seit dem Erlass des Änderungsgesetzes für die Entscheidung in Sachen von der Art der in Art. 27 § 1 Nrn. 1a, 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht genannten zuständig sei.

132

Was die Nrn. 2 und 3 von Art. 27 § 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht betreffe, seien diese nämlich bereits in dem Gesetz über das Oberste Gericht enthalten gewesen. Was Nr. 1a betreffe, so würden damit lediglich die Befugnisse der Disziplinarkammer für die Entscheidung in Sachen betreffend die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren oder zur Untersuchungshaft von Richtern oder Assessoren, die sich aus anderen Bestimmungen des Gesetzes über das Oberste Gericht ergäben, auf das erstinstanzliche Verfahren in Sachen betreffend Richter der ordentlichen Gerichte und Assessoren ausgedehnt.

133

Was ferner die Zuständigkeit der Disziplinarkammer für die in Art. 27 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht genannten Sachen angehe, so erlaubten es die Auslegungshinweise, die der Gerichtshof im Urteil A. K. gegeben habe, jede Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens, der sich aus der Anwendung dieser Bestimmung ergebe, zu beseitigen. Sollte nämlich im Licht dieser Auslegungshinweise der Schluss gezogen werden, dass die Prüfung einer dieser Sachen durch die Disziplinarkammer es nicht erlaube, das Recht auf ein unabhängiges Gericht zu gewährleisten, so könnten nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta die Bestimmungen unangewendet bleiben, die der Disziplinarkammer die Zuständigkeit für die Entscheidung in einer solchen Sache verliehen, und die Sache könnte an ein anderes Gericht verwiesen werden, das ohne diese Bestimmungen zuständig wäre.

134

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Kommission, wie aus den Rn. 29 bis 37 des vorliegenden Beschlusses hervorgeht, am 29. April 2020 an die Republik Polen ein erstes Mahnschreiben betreffend das Änderungsgesetz gerichtet hat, d. h. vier Monate nach dessen Erlass im Anschluss an ein Gesetzgebungsverfahren mit einer Dauer von nur acht Tagen. In Anbetracht der Tatsache, dass mit dem Änderungsgesetz nicht nur das Gesetz über das Oberste Gericht, sondern auch andere Gesetze wie u. a. das Gesetz über die ordentliche Gerichtsbarkeit und das Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit geändert wurden, kann ein solcher Zeitraum von vier Monaten für die Prüfung sämtlicher durch das Änderungsgesetz eingeführten Änderungen und ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sowie für die Beurteilung ihrer Auswirkungen nicht als unangemessen angesehen werden. Im Übrigen zeigt die zeitliche Abfolge des Schriftwechsels zwischen der Kommission und der Republik Polen in der Zeit zwischen diesem Mahnschreiben und der Erhebung der Klage keineswegs eine besondere Untätigkeit der Kommission in Bezug auf die Schritte, die auf die Feststellung der geltend gemachten Vertragsverletzung gerichtet waren.

135

Was sodann die Zuständigkeit der Disziplinarkammer nach Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht betrifft, so ist nicht nur unstreitig, dass diese Bestimmung mit dem Änderungsgesetz neu eingeführt wurde, sondern die Republik Polen hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme auch die von der Kommission vorgelegten Daten bestätigt, sowohl in Bezug auf die Zahl der Anträge auf Aufhebung der richterlichen Immunität, mit denen die Disziplinarkammer in der Zeit vom 14. Februar 2020 bis zum 15. März 2021 befasst wurde, als auch in Bezug auf die Anträge, die von ihr seit dem 5. November 2020 geprüft wurden, so wie sie in Rn. 119 des vorliegenden Beschlusses wiedergegeben wurden.

136

Es stimmt, dass die Republik Polen die Schlussfolgerung angreift, die die Kommission aus diesen Daten zieht, nämlich eine Intensivierung der Tätigkeiten der Disziplinarkammer nach Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht in den letzten Monaten vor der Erhebung der Klage und der Stellung des vorliegenden Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, wobei diese Intensivierung nach Ansicht der Kommission die Dringlichkeit belegt. Die Republik Polen macht nämlich geltend, dass ein Gericht, wenn ein Gesetz ihm die Zuständigkeit für die Entscheidung über eine neue Kategorie von Sachen übertrage, zunächst Ermittlungen in diesen Sachen vornehmen müsse, so dass die Zahl der Entscheidungen in dem entsprechenden Bereich in der ersten Zeit notwendigerweise gering sei. Die Republik Polen schließt daraus, dass vernünftigerweise nicht geltend gemacht werden könne, dass die Disziplinarkammer ihre Tätigkeiten intensiviert habe, indem dafür allein angeführt werde, dass sie nach dem Erlass des Änderungsgesetzes in der Zeit vom 5. November 2020 bis zum 15. März 2021 mehr Entscheidungen erlassen habe als in der Zeit vom 14. Februar 2020 bis zum 5. November 2020.

137

Mit dieser Behauptung widerspricht die Republik Polen indessen nicht nur ihrer Behauptung, dass die Disziplinarkammer seit mehr als drei Jahren in Sachen von der Art der in Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht genannten entscheide, sondern zeigt auch, dass die Tätigkeit der Disziplinarkammer, was den Erlass von Entscheidungen nach dieser Bestimmung betrifft, in der Zeit vor der Erhebung der Vertragsverletzungsklage intensiver war als in der Zeit unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes.

138

Schließlich kann sich die Republik Polen, um eine fehlende Dringlichkeit darzutun, mit Erfolg weder darauf berufen, dass Art. 27 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht bereits im Gesetz über das Oberste Gericht enthalten gewesen sei, noch darauf, dass das Urteil A. K. es ermögliche, die Gefahr des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens infolge der Anwendung dieser Bestimmung abzuschwächen. Mit dem Änderungsgesetz wurden nämlich einige Bestimmungen eingeführt, die die Kommission mit ihrer Klage angreift, da sie die nationalen Gerichte insbesondere daran hinderten, die sich aus diesem Urteil ergebenden Grundsätze anzuwenden, und somit seit dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes die Wirksamkeit dieses Urteils im Hinblick auf die genannten Zwecke beeinträchtigten.

139

Als Zweites macht die Republik Polen geltend, dass sich aus dem Umstand, dass die Immunität eines Richters, in Bezug auf den Beweise für die Begehung einer Straftat vorlägen, aufgehoben worden sei und er strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könne, kein Schaden für die Rechtspflege ergebe. Die Gefahr des Eintritts eines solchen Schadens bestehe umso weniger, als das Strafverfahren, das auf eine Entscheidung über die Aufhebung der Immunität folge, nicht vor der Disziplinarkammer, sondern vor der Strafkammer geführt werde.

140

Insoweit genügt jedoch der Hinweis, dass sich, wie aus den Beurteilungen in den Rn. 121 bis 125 des vorliegenden Beschlusses hervorgeht, die Gefahr des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens nicht daraus ergibt, dass gegen Richter des polnischen Justizsystems eine Entscheidung über die Aufhebung ihrer Immunität zum Zweck der Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie ergehen kann, sondern daraus, dass solche Entscheidungen von einer Einrichtung erlassen werden, deren Unabhängigkeit möglicherweise nicht gewährleistet ist. Der Umstand, dass das Strafverfahren im Anschluss an eine Entscheidung über die Aufhebung ihrer Immunität nicht vor der Disziplinarkammer geführt wird, erlaubt es daher nicht, eine solche Gefahr auszuschließen.

141

Nach alledem ist der Schluss zu ziehen, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a und b des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist.

  Zur Interessenabwägung

142

Bei den meisten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes können sowohl der Erlass als auch die Ablehnung der beantragten Aussetzung des Vollzugs in gewissem Maße bestimmte endgültige Wirkungen zeitigen, und es ist Sache des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters, der mit einem Aussetzungsantrag befasst ist, die mit beiden Entscheidungsmöglichkeiten verbundenen Risiken gegeneinander abzuwägen. Konkret bedeutet dies u. a., dass zu prüfen ist, ob das Interesse der Partei, die die einstweiligen Anordnungen beantragt, an der Aussetzung des Vollzugs der nationalen Vorschriften schwerer wiegt als das Interesse an deren sofortiger Anwendung. Dabei ist zu bestimmen, ob eine Aufhebung dieser Vorschriften, nachdem der Gerichtshof der Klage in der Hauptsache stattgegeben hat, die Umkehrung der Lage erlauben würde, die durch ihren sofortigen Vollzug entstünde, und inwieweit umgekehrt die Aussetzung des Vollzugs die Erreichung der mit diesen Vorschriften verfolgten Ziele behindern würde, falls die Klage abgewiesen würde (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).

143

Im vorliegenden Fall trägt die Kommission vor, dass, wenn der Gerichtshof der vierten Rüge der Klage stattgeben sollte, nachdem er es abgelehnt habe, die einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a und b des vorliegenden Beschlusses zu erlassen, das ordnungsgemäße Funktionieren der Unionsrechtsordnung systemisch beeinträchtigt werde und die Rechte, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwüchsen, sowie die in Art. 2 EUV genannten Werte der Rechtsstaatlichkeit in nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt würden. Sollte der Gerichtshof die beantragten einstweiligen Anordnungen erlassen und die Rüge anschließend zurückweisen, hätte dies dagegen nur zur Folge, dass zum einen die nach Art. 27 § 1 Nrn. 1a, 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht in die Zuständigkeit der Disziplinarkammer fallenden Tätigkeiten zeitweise ausgesetzt würden und zum anderen die Entscheidungen der Disziplinarkammer betreffend die Immunität der Richter nicht durchgeführt würden.

144

Die Republik Polen macht ihrerseits, was als Erstes den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a des vorliegenden Beschlusses betrifft, erstens geltend, dass die Aussetzung der Anwendung von Art. 27 § 1 Nr. 1a des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht nicht nur gegen das Subsidiaritätsprinzip und die tragenden Grundsätze der Unionsrechtsordnung verstoßen würde, sondern auch gegen die durch die Verfassung der Republik Polen geschützten Grundprinzipien des Systems eines demokratischen Rechtsstaats, was für diesen Mitgliedstaat und seine Bevölkerung einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden bewirken würde.

145

Dazu genügt indessen der Hinweis, dass, wie in Rn. 50 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt worden ist, die Organisation der Justiz der Mitgliedstaaten zwar in deren Zuständigkeit fällt, die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch die Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, ergeben.

146

Zweitens macht die Republik Polen geltend, dass die Aussetzung der Wirkungen aller Entscheidungen, mit denen der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter zugestimmt werde, zur Verjährung eines Teils der begangenen Straftaten führen würde. Im Übrigen müssten noch nicht abgeschlossene Verfahren mit der Einreichung einer neuen Anklageschrift von vorne begonnen werden, was auch zur Folge hätte, dass die Straftäter zum Teil wegen Zeitablaufs ihrer Verantwortung entgehen könnten. Schließlich würde die Aussetzung der Wirkungen aller Entscheidungen der Disziplinarkammer dazu führen, dass Maßnahmen, die die Gerichte gegebenenfalls zum Schutz der Opfer von Straftaten wie Vergewaltigung oder häuslicher Gewalt angeordnet hätten, hinfällig würden. Der Erlass der von der Kommission beantragten einstweiligen Anordnung würde somit die Interessen der Opfer der Straftaten beeinträchtigen, die von den von diesen Entscheidungen betroffenen Richtern begangen worden seien.

147

Ohne einer Prüfung der Stichhaltigkeit des Vorbringens der Republik Polen vorzugreifen, wonach die Aussetzung der Wirkungen der Entscheidungen der Disziplinarkammer betreffend die Aufhebung der Immunität von Richtern zur Verjährung der von den betreffenden Richtern begangenen Straftaten führen könnte, ist festzustellen, dass die Republik Polen keinerlei Angaben zur Zahl der Entscheidungen der Disziplinarkammer macht, bei denen die Aussetzung ihrer Wirkungen in Anbetracht der besonderen Umstände dieser Entscheidungen zu einer solchen Folge führen könnte. Ebenso wenig macht die Republik Polen konkrete Angaben zum Nachweis dessen, dass es Entscheidungen über die Aufhebung der Immunität eines Richters zum Zweck der Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn wegen Vergewaltigung oder häuslicher Gewalt gibt, das zum Ergreifen von Maßnahmen zum Schutz der Opfer dieser Straftaten geführt hätte. Somit hat die Republik Polen nicht dargetan, dass die Gefahr besteht, dass der geltend gemachte Schaden eintritt.

148

Drittens macht die Republik Polen geltend, die Wiederaufnahme der Rechtsprechungstätigkeit durch von strafrechtlichen Anklagen betroffene Richter führte zum einen zu einer echten Gefahr für die Sicherheit der Rechtspflege, da diese Richter von der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeiten profitieren könnten, um insbesondere ihre persönlichen Interessen zu begünstigen, und zum anderen dazu, dass nicht der Eindruck vermittelt würde, dass diese Richter unabhängig seien, was einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die polnische Justiz und ihre Wahrnehmung durch die Rechtsunterworfenen verursachen würde. Es lasse sich nämlich schwerlich davon sprechen, dass ein Richter den Eindruck der Unabhängigkeit vermittle, wenn er von Korruptionsvorwürfen betroffen sei.

149

Hierzu ist zum einen festzustellen, dass gegen einen Richter, der die Wiederaufnahme der Rechtsprechungstätigkeit dazu nutzen würde, bei der Ausübung seiner richterlichen Aufgaben seine persönlichen Interessen zu begünstigen, die Maßnahmen ergriffen werden könnten, die im nationalen Recht vorgesehen sind, um einem solchen Verhalten ein Ende zu setzen, darunter gegebenenfalls auch strafrechtliche Maßnahmen, soweit im letztgenannten Fall die Entscheidung über die Aufhebung der Immunität des betreffenden Richters von einer unabhängigen gerichtlichen Einrichtung erlassen wird, die den im Urteil A. K. genannten Anforderungen gerecht wird.

150

Zum anderen trifft es zwar zu, dass in Anbetracht der Aufgaben, die Richter wahrzunehmen haben, die Wiederaufnahme der Rechtsprechungstätigkeit durch einen Richter, dem vorgeworfen wird, Straftaten begangen zu haben, die ihrer Natur nach eine Empfänglichkeit für äußere Einflüsse implizieren, wie etwa die Straftat der Korruption, Zweifel an der Unabhängigkeit dieses Richters wecken könnte. Die Republik Polen hat allerdings keinerlei Angaben dazu gemacht, welchen Anteil die von der Disziplinarkammer gegen Richter, denen die Begehung derartiger Straftaten vorgeworfen wird, erlassenen Entscheidungen an allen von ihr in der Zeit vom Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 14. Februar 2020 bis zur Erhebung der Vertragsverletzungsklage am 31. März 2021 erlassenen Entscheidungen über die Aufhebung der Immunität ausmachen. Solche Angaben hätten indessen eine Beurteilung des Bestehens und der Schwere des geltend gemachten Schadens ermöglicht.

151

Was als Zweites den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. b des vorliegenden Beschlusses betrifft, betont die Republik Polen, dass die Anwendung von Art. 27 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht keinen Schaden verursache, da es entsprechend dem Urteil A. K. möglich sei, unter diese Bestimmung fallende Sachen einem Gericht zuzuweisen, das das Recht auf ein unabhängiges Gericht gewährleiste, wenn die tatsächliche Gefahr bestehe, dass das Recht einer Partei verletzt werde. Würde dagegen die Anwendung dieser Bestimmung ausgesetzt, so würde der Disziplinarkammer die Möglichkeit genommen, über Sachen zu befinden, in denen keine Rüge in Bezug auf die Gewährleistung des Rechts auf ein unabhängiges Gericht durch diese Kammer erhoben werde.

152

Aus den in Rn. 138 des vorliegenden Beschlusses genannten Gründen ist jedoch die Wirksamkeit des Urteils A. K. als Faktor, der es erlaubt, die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Unionsrechtsordnung infolge der Anwendung von Art. 27 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht zu beseitigen, nicht dargetan.

153

Unter diesen Umständen ist der Schluss zu ziehen, dass die Interessenabwägung für den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. a und b des vorliegenden Beschlusses spricht.

Zu den einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses

  Zum fumus boni iuris

154

Die Kommission trägt vor, die erste Rüge der Klage, die sich auf die nationalen Bestimmungen bezieht, die Gegenstand der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses sind, erscheine auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage. Diese Rüge werde konkret darauf gestützt, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta im Licht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie aus Art. 267 AEUV und dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen habe, dass sie es jedem nationalen Gericht verboten habe, die Beachtung der Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht zu überprüfen.

155

Die Kommission beruft sich insoweit u. a. auf die Rechtsgrundsätze, die sich aus dem Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232), insbesondere seinen Rn. 55 bis 57 und 73 bis 75 ergeben, aus denen hervorgehe, dass die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ernennung der Richter und der Legitimität der Justizorgane insbesondere im Hinblick auf Unregelmäßigkeiten im Verfahren zur Ernennung zum Richter, erforderlich sei, um das Grundrecht der Einzelnen auf einen wirksamen Rechtsbehelf in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu gewährleisten, und macht geltend, dass die Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Klage beziehe, gegen Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta verstießen, soweit den polnischen Gerichten damit die Vornahme einer solchen Kontrolle untersagt werde.

156

Außerdem hindere das Verbot der Vornahme einer solchen Kontrolle die nationalen Gerichte daran, dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV Fragen nach der Auslegung der Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht zur Vorabentscheidung vorzulegen.

157

Schließlich macht die Kommission geltend, der Umstand, dass der angeblich systemische Charakter des Rechtsakts zur Ernennung eines Richters in Polen gemäß der Verfassung der Republik Polen nicht in Frage gestellt werden könne, könne den Ausschluss der gerichtlichen Kontrolle nicht rechtfertigen, die darauf abziele, die Beachtung der unionsrechtlichen Anforderung in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht zu überprüfen, um das Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu gewährleisten. Im Fall eines nachgewiesenen Verstoßes gegen dieses Grundrecht sei es durch den Effektivitätsgrundsatz und den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, wie sie sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta ergäben, geboten – soweit dies erforderlich sei, um den Grundsatz der Rechtssicherheit mit der Achtung des anwendbaren Rechts und der besonderen Rolle in Einklang zu bringen, die die rechtsprechende Gewalt in einer demokratischen Gesellschaft spielen müsse –, dass die nationalen Vorschriften, darunter auch verfassungsrechtliche, unangewendet blieben, wie aus Rn. 151 des Urteils A. B. hervorgehe.

158

Die Republik Polen macht geltend, die von der Kommission im Rahmen der ersten Rüge der Klage beanstandeten nationalen Bestimmungen, die das Verbot vorsähen, unter Verstoß gegen Verfassungsbestimmungen das Bestehen eines Dienstverhältnisses oder das Mandat von Richtern in Frage zu stellen, hinderten die nationalen Gerichte keineswegs daran, die Beachtung der unionsrechtlichen Anforderungen in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta zu überprüfen, da ein rechtliches Verbot in Bezug auf unmögliche Handlungen keinerlei rechtlichen Wert habe.

159

Das durch Art. 47 der Charta garantierte Recht auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht umfasse nämlich nicht das Recht eines Einzelnen auf einen Antrag dahin gehend, das Mandat eines Richters in Frage zu stellen, der die ihn betreffende Sache geprüft habe oder geprüft hätte.

160

Zur Klärung der Frage, ob die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist, ist insoweit in Anbetracht der Stellungnahme der Republik Polen erstens festzustellen, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Klage bezieht, den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), die ordentlichen Gerichte und die Verwaltungsgerichte daran hindern, die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens zur Ernennung der Richter der Spruchkörper zu überprüfen und gegebenenfalls die Unregelmäßigkeit des entsprechenden Verfahrens festzustellen.

161

Aus dem in den Rn. 158 und 159 des vorliegenden Beschlusses wiedergegebenen Vorbringen der Republik Polen geht nämlich hervor, dass dieser Mitgliedstaat nicht bestreitet, dass diese nationalen Bestimmungen den nationalen Gerichten die Vornahme einer solchen Überprüfung untersagen, sondern geltend macht, dass ein solches, mit den polnischen Verfassungsbestimmungen im Einklang stehendes Verbot nicht als Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, das Recht auf ein unabhängiges, unparteiisches und durch Gesetz errichtetes Gericht zu gewährleisten, angesehen werden könne.

162

Somit wirft die erste Rüge der Klage die Frage auf, ob die Mitgliedstaaten, um ihrer Verpflichtung aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta nachzukommen, sicherzustellen, dass die nationalen Gerichte, die Bestandteil ihres Rechtsschutzsystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen, darunter der der Unabhängigkeit, gerecht werden, gewährleisten müssen, dass diese Gerichte die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens zur Ernennung der Richter eines Spruchkörpers überprüfen können.

163

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, aus dem durch Art. 47 der Charta garantierten Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht ergibt, dass der Einzelne grundsätzlich die Möglichkeit haben muss, sich auf eine Verletzung dieses Rechts zu berufen. Folglich muss der Unionsrichter prüfen können, ob eine Vorschriftswidrigkeit des in Rede stehenden Ernennungsverfahrens zu einer Verletzung dieses Grundrechts führen konnte (Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 55).

164

Die Garantien für den Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht, und insbesondere diejenigen, die für den Begriff und die Zusammensetzung des Gerichts bestimmend sind, bilden den Grundpfeiler des Rechts auf ein faires Verfahren. Danach muss jedes Gericht überprüfen, ob es in Anbetracht seiner Zusammensetzung ein solches Gericht ist, wenn insoweit ein ernsthafter Zweifel besteht. Diese Überprüfung ist im Hinblick auf das Vertrauen erforderlich, das die Gerichte einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtssuchenden wecken müssen. In diesem Sinne stellt eine solche Überprüfung ein wesentliches Formerfordernis dar, das zwingend zu beachten und von Amts wegen zu prüfen ist (Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

165

Im Übrigen soll nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Einfügung des Ausdrucks „auf Gesetz beruhend“ in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, dem Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta entspricht, verhindern, dass die Organisation des Justizsystems in das Ermessen der Exekutive gestellt wird, und dafür sorgen, dass dieser Bereich durch ein Gesetz geregelt wird, das von der gesetzgebenden Gewalt im Einklang mit den Vorschriften über die Ausübung ihrer Zuständigkeit erlassen wurde. Dieser Ausdruck spiegelt nach den Ausführungen des Gerichtshofs insbesondere das Rechtsstaatsprinzip wider und umfasst nicht nur die Rechtsgrundlage für die Existenz des Gerichts, sondern auch die Zusammensetzung des Spruchkörpers in jeder Rechtssache sowie alle weiteren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, deren Nichtbeachtung die Teilnahme eines oder mehrerer Richter an der Verhandlung über die Rechtssache vorschriftswidrig macht, was insbesondere Vorschriften über die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Mitglieder des betreffenden Gerichts einschließt (Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

166

Desgleichen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass das Recht, von einem „auf Gesetz beruhenden“ Gericht im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK abgeurteilt zu werden, schon seinem Wesen nach das Verfahren zur Ernennung der Richter umfasst (Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

167

Somit stellt eine bei der Ernennung der Richter im betroffenen Justizsystem begangene Vorschriftswidrigkeit einen Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta dar, insbesondere dann, wenn die Art und Schwere der Vorschriftswidrigkeit dergestalt ist, dass sie die tatsächliche Gefahr begründet, dass andere Teile der Staatsgewalt – insbesondere die Exekutive – ein ihnen nicht zustehendes Ermessen ausüben können, wodurch die Integrität des Ergebnisses des Ernennungsverfahrens beeinträchtigt und so beim Einzelnen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des oder der betreffenden Richter geweckt werden, was der Fall ist, wenn es um Grundregeln geht, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit dieses Justizsystems sind (Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 75).

168

Schließlich hat der Gerichtshof in Rn. 171 des Urteils A. K. entschieden, dass das Unionsrecht dem entgegensteht, dass Rechtsstreitigkeiten über die Anwendung des Unionsrechts in die ausschließliche Zuständigkeit einer Einrichtung fallen können, die kein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta ist. Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass es Sache des vorlegenden Gerichts war, im Licht der gegebenen Auslegungshinweise zu entscheiden, ob dies bei der für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten zuständigen Einrichtung, d. h. der Disziplinarkammer, der Fall war, und das in einem solchen Fall der Grundsatz des Vorrangs des Unionrechts das vorlegende Gericht dazu verpflichtet, die nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen, die die Zuständigkeit einer solchen Einrichtung zuweisen.

169

Wie in Rn. 108 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, betreffen die dem vorlegenden Gericht vom Gerichtshof gegebenen Auslegungshinweise für die Beurteilung, ob es sich bei der Disziplinarkammer um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne des Unionsrechts handelt, u. a. die Bedingungen und das Verfahren der Ernennung der Mitglieder dieses Gerichts.

170

Somit zeigt sich, dass die Mitgliedstaaten, um ihren Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV nachzukommen, gewährleisten müssen, dass gerichtlich überprüft werden kann, ob die nationalen Gerichte, die Bestandteil ihres Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, und die Richter dieser Gerichte die mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen beachten, wobei diese Überprüfung insbesondere die der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens zur Ernennung der Richter dieser Gerichte umfasst.

171

Daher kann auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen werden, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Vertragsverletzungsklage bezieht, dadurch, dass sie es den nationalen Gerichten untersagen sollen, die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens zur Ernennung eines Richters oder die Legitimität eines Gerichts zu überprüfen, gegen die der Republik Polen nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta im Licht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 EMRK obliegende Verpflichtung verstoßen, zu gewährleisten, dass die nationalen Gerichte, die Bestandteil ihres Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht werden.

172

Zweitens ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Unionsnorm ergangen ist, unangewendet lässt (Urteile vom 8. September 2010, Winner Wetten, C‑409/06, EU:C:2010:503, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 31).

173

Demnach ist jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs‑, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, unmittelbar zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beiseite zu lassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar (Urteile vom 8. September 2010, Winner Wetten, C‑409/06, EU:C:2010:503, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána, C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 36).

174

Daher missachtet eine nationale Vorschrift, die es einem im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufenen nationalen Gericht verwehrt, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta anzuwenden und jede gegen diese Bestimmungen verstoßende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen, den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts.

175

Unter diesen Umständen kann auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen werden, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Klage bezieht, auch gegen die Verpflichtungen verstoßen, die dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem Grundsatz des Vorrangs aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta obliegen.

176

Daher ist, ohne sich in diesem Stadium zur Stichhaltigkeit der von den Parteien im Rahmen der ersten Rüge der Klage vorgebrachten Argumente zu äußern, wofür allein der Richter der Hauptsache zuständig ist, der Schluss zu ziehen, dass das Vorbringen der Kommission im Rahmen dieser Rüge in Anbetracht der von ihr vorgebrachten Gesichtspunkte sowie der in den Rn. 163 bis 168 sowie 172 und 173 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage im Sinne der in Rn. 79 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung erscheint.

177

Folglich ist festzustellen, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist, ohne dass es erforderlich wäre, zu beurteilen, ob das Vorbringen zu dem behaupteten Verstoß der nationalen Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Klage bezieht, gegen Art. 267 AEUV auf den ersten Blick begründet ist, wie sich aus der in Rn. 79 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung ergibt.

  Zur Dringlichkeit

178

Nach der in Rn. 116 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung muss der Gerichtshof für die Beurteilung der Dringlichkeit als gegeben annehmen, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Klage bezieht, dadurch, dass es den Richtern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsgerichte damit untersagt werden soll, die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens zur Ernennung der Richter zu überprüfen und gegebenenfalls die Vorschriftswidrigkeit des entsprechenden Verfahrens festzustellen, gegen die der Republik Polen gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta obliegende Verpflichtung verstoßen können, zu gewährleisten, dass die nationalen Gerichte, die Bestandteil ihres Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht werden. Außerdem ist als gegeben anzunehmen, dass diese nationalen Bestimmungen geeignet sind, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit angerufenen nationalen Gerichte daran zu hindern, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta anzuwenden und nationale Bestimmungen, die gegen diese unionsrechtlichen Bestimmungen verstoßen, unangewendet zu lassen, und damit gegen den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen können.

179

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass die polnischen Gerichte durch die Anwendung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Klage bezieht, bis zur Verkündung des Endurteils daran gehindert sein könnten, zu prüfen, ob ein Richter oder ein Gericht den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Garantien gerecht wird, geeignet ist, die Unabhängigkeit der entsprechenden polnischen Gerichte in dieser Zeit zu beeinträchtigen, und folglich entsprechend der in Rn. 124 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung der Unionsrechtsordnung und damit den Rechten, die die Einzelnen aus dem Unionsrecht ableiten, sowie den in Art. 2 EUV genannten Werten, auf die sich die Union gründet, insbesondere der Rechtsstaatlichkeit, einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen kann.

180

Die Gefahr des Eintritts eines solchen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens ist zudem angesichts der Besonderheiten des rechtlichen Zusammenhangs, in den sich diese Bestimmungen einfügen, umso wahrscheinlicher.

181

Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass das Änderungsgesetz das letzte Element einer Reihe von gesetzgeberischen Reformen betreffend die Organisation der polnischen Justiz ist, die die Republik Polen seit Ende 2015 vorgenommen hat. Dabei war die Reform von 2017 gerade wegen der mit ihr mutmaßlich bewirkten systemischen Unzulänglichkeiten hinsichtlich der Unabhängigkeit der polnischen Gerichte und insbesondere in Bezug auf die Bedingungen der Ernennung der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) stark umstritten und führte im Übrigen zu mehreren Vertragsverletzungsverfahren, zu zahlreichen an den Gerichtshof gerichteten Vorabentscheidungsersuchen sowie dazu, dass die Kommission am 20. Dezember 2017 gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die Republik Polen (COM[2017] 835 final) erlassen hat.

182

In einem Kontext, in dem die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte infolge der in der vorstehenden Randnummer genannten Gesetzesreformen ernsthaft in Zweifel steht, würde indessen die Anwendung nationaler Bestimmungen, die die nationalen Gerichte daran hindern würden, zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Gericht den Anforderungen in Bezug auf die richterliche Unabhängigkeit gerecht wird, die bestehenden Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Gerichte ganz offensichtlich nur verstärken und dazu führen, dass noch weniger der Eindruck vermittelt wird, dass die polnische Justiz unabhängig ist, und den Vertrauensverlust bei den Rechtsuchenden und den anderen Mitgliedstaaten in das Justizsystem der Republik Polen erschweren.

183

Die Republik Polen macht geltend, die Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Beachtung des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts schließe die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens aus, der sich aus der Anwendung der nationalen Bestimmungen ergebe, auf die sich die erste Rüge der Klage beziehe.

184

Diesem Argument kann jedoch nicht gefolgt werden, da, wie in Rn. 178 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, zur Beurteilung der Dringlichkeit als gegeben anzunehmen ist, dass diese Bestimmungen geeignet sind, die nationalen Gerichte daran zu hindern, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta anzuwenden und alle nationalen Bestimmungen, die gegen diese unionsrechtlichen Bestimmungen verstoßen, unangewendet zu lassen, was zur Missachtung des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts durch diese Gerichte führt.

185

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Beachtung der einem nationalen Gericht nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts obliegenden Verpflichtungen bedeuten würde, dass dieses Gericht gegen die streitigen nationalen Bestimmungen verstoßen würde, was ein Disziplinarvergehen darstellen könnte. Hierzu ist festzustellen, dass die Republik Polen in ihrer Stellungnahme zu den einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses anerkannt hat, dass die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Ernennung eines Richters durch einen Richter ein Vergehen gemäß Art. 107 § 1 Nr. 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und Art. 72 § 1 Nr. 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht darstellen kann.

186

Wie die Kommission hervorgehoben hat, kann indessen die bloße Aussicht für die nationalen Richter, gegebenenfalls wegen der Einhaltung ihrer Verpflichtungen aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts disziplinarrechtlich belangt werden zu können, sie davon abhalten, diesen Grundsatz zu beachten.

187

Schließlich kann sich die Republik Polen für den Nachweis der fehlenden Dringlichkeit nicht mit Erfolg auf das Bestehen eines Systems von Rechtsbehelfen gegen die Entscheidungen der nationalen Gerichte berufen, da sie nichts vorträgt, was die Feststellung zuließe, dass dieses System so ausgestaltet ist, dass dadurch in einem Kontext wie dem in den Rn. 181 und 182 des vorliegenden Beschlusses beschriebenen die Gefahr beseitigt werden könnte, dass es infolge der Anwendung der streitigen nationalen Bestimmungen zu einem schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Unionsrechtsordnung kommt.

188

Nach alledem ist der Schluss zu ziehen, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist.

  Zur Interessenabwägung

189

Die Kommission weist darauf hin, dass, wenn der Gerichtshof der ersten Rüge der Klage stattgeben sollte, nachdem er es abgelehnt habe, die einstweilige Anordnung entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses zu erlassen, der Unionsrechtsordnung und den den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechten ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde. Sollte der Gerichtshof diese Anordnung erlassen und die Rüge anschließend zurückweisen, hätte dies dagegen nur die vorübergehende Aussetzung der Anwendung der Bestimmungen, auf die sich diese Rüge beziehe, zur Folge.

190

Die Republik Polen macht geltend, die Aussetzung der streitigen nationalen Bestimmungen würde gegen die grundlegenden Prinzipien verstoßen, die sich insbesondere aus der Verfassung der Republik Polen ergäben. Eine solche Aussetzung bedeute daher nicht, dass die Gerichte Richter unter anderen als den in Art. 180 der Verfassung vorgesehenen Voraussetzungen abberufen könnten. Schließlich beeinträchtigten die Wirkungen einer solchen Aussetzung eindeutig die Interessen der Justiz.

191

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Republik Polen in Anbetracht der mit dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verbundenen Wirkungen nicht mit Erfolg auf einen Widerspruch zwischen den Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, einschließlich solcher mit Verfassungsrang, und den Wirkungen berufen kann, die die Anwendung einer vom Gerichtshof erlassenen einstweiligen Anordnung wie der Aussetzung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Klage bezieht, hätte, und ebenso wenig auf den Schaden für ihre Interessen, der sich aufgrund dieses Widerspruchs aus der Durchführung einer solchen Anordnung ergeben würde. Jedenfalls kann ein solcher Schaden, selbst wenn er dargetan wäre, nicht schwerer wiegen als das allgemeine Interesse der Union im Hinblick auf das ordnungsgemäße Funktionieren ihrer Rechtsordnung.

192

Unter diesen Umständen ist der Schluss zu ziehen, dass die Interessenabwägung für den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses spricht.

Zu den einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. e des vorliegenden Beschlusses

  Zum fumus boni iuris

193

Die Kommission trägt vor, die zweite Rüge der Klage, die sich auf die nationalen Bestimmungen bezieht, die Gegenstand der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. e des vorliegenden Beschlusses sind, erscheine auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage. Diese Rüge sei insbesondere darauf gestützt, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta sowie aus Art. 267 AEUV und aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen habe, dass sie der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten mit diesen Bestimmungen die ausschließliche Zuständigkeit dafür übertragen habe, Rügen und Rechtsfragen betreffend die fehlende Unabhängigkeit eines Gerichts oder eines Richters zu prüfen.

194

Die Kommission macht geltend, dass nach diesen nationalen Bestimmungen kein anderes nationales Gericht als die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten eine Beurteilung der Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta vornehmen oder dem Gerichtshof eine diesbezügliche Frage nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorlegen dürfe.

195

Die Kommission weist u. a. darauf hin, dass sich aus dem Urteil A. K. ergebe, dass jedes nationale Gericht, das sich in einer Situation befinde, die mit der vergleichbar sei, in der sich das vorlegende Gericht in den verbundenen Rechtssachen befunden habe, die zu jenem Urteil geführt hätten, auf der Grundlage der in Rn. 171 des Urteils angeführten Umstände zu prüfen habe, ob das betreffende Gericht unabhängig sei, und, wenn sich aus dieser Prüfung ergebe, dass dies nicht der Fall sei, die mit Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta unvereinbaren nationalen Bestimmungen nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet zu lassen habe.

196

Die Republik Polen macht geltend, dass die Zuweisung der Zuständigkeit für Fragen hinsichtlich der Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts an einen besonderen Spruchkörper, nämlich die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten, keinen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta darstellen könne. Der Grund für diese Zuweisung sei das Erfordernis, eine Spezialisierung in diesen wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen sicherzustellen und die Gefahren von Divergenzen in der Rechtsprechung in Bereichen, die die Unabhängigkeit der Justiz beträfen, zu beseitigen.

197

Zur Klärung der Frage, ob die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. e des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist, ist als Erstes festzustellen, dass die zweite Rüge, wie sich aus dem Vorbringen der Parteien ergibt, u. a. die Frage aufwirft, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta es erlaubt, die Prüfung von Fragen betreffend die richterliche Unabhängigkeit einem spezialisierten Gericht vorzubehalten, und, wenn ja, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um das Recht der Einzelnen auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Dabei handelt es sich um eine komplexe rechtliche Frage, die sich nicht ohne Weiteres beantworten lässt und daher einer eingehenden Prüfung bedarf, die nicht von dem zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter vorgenommen werden kann.

198

Als Zweites ist festzustellen, dass, wie die Kommission vorgetragen hat, ohne dass die Republik Polen dem widersprochen hätte, nach den nationalen Bestimmungen, auf die sich die zweite Rüge der Klage bezieht, erstens nur die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten für die Entscheidung über Rechtsfragen zuständig ist, die die Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts betreffen, so dass die nationalen Gerichte dieser Kammer jede Frage dieser Art vorzulegen haben, die im Rahmen der bei ihnen anhängigen Sachen aufgeworfen wird. Zweitens sind die Beurteilungen dieser Kammer hinsichtlich der Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts für die nationalen Gerichte verbindlich. Drittens ist allein diese Kammer für die Entscheidung über Klagen zuständig, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit rechtskräftiger Urteile des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsgerichte gerichtet sind, wenn die geltend gemachte Rechtswidrigkeit im Zusammenhang mit dem Richterstatus der Person steht, die in der Sache entschieden hat.

199

In Anbetracht der in den Rn. 163 bis 168 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung lässt sich indessen auf den ersten Blick nicht ausschließen, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die erste Rüge der Klage bezieht, dadurch, dass sie andere Kammern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) als die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten sowie die ordentlichen Gerichte und die Verwaltungsgerichte daran hindern, zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Gericht den Anforderungen in Bezug auf die richterliche Unabhängigkeit gerecht wird, gegen die der Republik Polen nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta obliegende Verpflichtung verstoßen, zu gewährleisten, dass die nationalen Gerichte, die Bestandteil ihres Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht werden.

200

Als Drittes ist, wie bereits in Rn. 173 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs‑, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, unmittelbar zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beiseite zu lassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar (Urteil vom 8. September 2010, Winner Wetten, C‑409/06, EU:C:2010:503, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

201

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass dies insbesondere dann der Fall wäre, wenn bei einem Widerspruch zwischen einer unionsrechtlichen Bestimmung und einem späteren nationalen Gesetz die Lösung dieses Normenkonflikts einem über ein eigenes Ermessen verfügenden anderen Organ als dem Gericht, das für die Anwendung des Unionsrechts zu sorgen hat, vorbehalten wäre, selbst wenn das daraus resultierende Hindernis für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts nur vorübergehender Art wäre (Urteil vom 8. September 2010, Winner Wetten, C‑409/06, EU:C:2010:503, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

202

Schließlich hat der Gerichtshof auch klargestellt, dass, wenn die Beurteilung eines nationalen Gerichts nicht dem Unionsrecht entspricht, ein anderes nationales Gericht, das nach dem innerstaatlichen Recht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch das erstgenannte Gericht gebunden ist, nach dem Unionsrecht verpflichtet ist, aus eigener Entscheidungsbefugnis die innerstaatliche Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen, und dass dies u. a. dann der Fall wäre, wenn ein nationales Gericht aufgrund einer solchen innerstaatlichen Rechtsvorschrift, an die es gebunden ist, daran gehindert wäre, in den bei ihm anhängigen Rechtssachen dem Umstand, dass eine nationale Vorschrift nach einem Urteil des Gerichtshofs als unionsrechtswidrig anzusehen ist, angemessen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass der Vorrang des Unionsrechts ordnungsgemäß gewährleistet wird, indem es alle hierfür erforderlichen Maßnahmen ergreift (Beschluss vom 7. Juni 2018, Filippi u. a., C‑589/16, EU:C:2018:417, Rn. 35 und 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

203

Angesichts der in den Rn. 200 bis 202 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung kann somit auf den ersten Blick auch nicht ausgeschlossen werden, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die zweite Rüge der Klage bezieht, gegen die Verpflichtungen verstoßen, die der Republik Polen nach dem Grundsatz des Vorrangs gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta obliegen.

204

Daher ist, ohne sich in diesem Stadium zur Stichhaltigkeit der von den Parteien im Rahmen der zweiten Rüge der Klage vorgebrachten Argumente zu äußern, wofür allein der Richter der Hauptsache zuständig ist, der Schluss zu ziehen, dass das Vorbringen der Kommission im Rahmen dieser Rüge in Anbetracht der von ihr vorgebrachten Gesichtspunkte sowie der in den Rn. 163 bis 168 sowie 200 bis 202 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage im Sinne der in Rn. 79 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung erscheint.

205

Folglich ist festzustellen, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. e des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist, ohne dass erforderlich wäre, zu beurteilen, ob das Vorbringen zu dem behaupteten Verstoß der nationalen Bestimmungen, auf die sich die zweite Rüge der Klage bezieht, gegen Art. 267 AEUV auf den ersten Blick begründet ist, wie sich aus der in Rn. 79 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung ergibt.

  Zur Dringlichkeit

206

Nach der in Rn. 116 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung muss der Gerichtshof für die Beurteilung der Dringlichkeit als gegeben annehmen, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die zweite Rüge der Klage bezieht, dadurch, dass sie der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten die ausschließliche Zuständigkeit dafür übertragen, Fragen in Bezug auf die Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts zu prüfen, und demnach die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsgerichte daran hindern, zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Gericht der Anforderung in Bezug auf die richterliche Unabhängigkeit gerecht wird, gegen die der Republik Polen gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta obliegende Verpflichtung, zu gewährleisten, dass die Gerichte den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht werden, verstoßen können. Außerdem ist als gegeben anzunehmen, dass diese Bestimmungen geeignet sind, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit angerufenen nationalen Gerichte daran zu hindern, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta anzuwenden und nationale Bestimmungen, die gegen diese Bestimmungen des Unionsrechts verstoßen, unangewendet zu lassen, und damit gegen den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen können.

207

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass die nationalen Gerichte mit Ausnahme der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten durch die Anwendung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die zweite Rüge der Klage bezieht, bis zur Verkündung des Endurteils daran gehindert sind, sich mit Fragen in Bezug auf die Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts zu befassen und somit zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Gericht den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht wird, geeignet ist, die Unabhängigkeit der entsprechenden polnischen Gerichte in dieser Zeit zu beeinträchtigen, und folglich entsprechend der in Rn. 124 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung der Unionsrechtsordnung und damit den Rechten, die die Einzelnen aus dem Unionsrecht ableiten, sowie den in Art. 2 EUV genannten Werten, auf die sich die Union gründet, insbesondere der Rechtsstaatlichkeit, einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen kann.

208

Die Gefahr des Eintritts eines solchen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens ist zudem angesichts der Besonderheiten des rechtlichen Zusammenhangs, in den sich diese Bestimmungen einfügen, wie er in den Rn. 181 und 182 des vorliegenden Beschlusses beschrieben ist, umso wahrscheinlicher.

209

Die Republik Polen macht geltend, dass die Gefahr des Eintritts eines solchen Schadens nicht bestehe, da die die Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts betreffenden Rügen bis zur Verkündung des Endurteils von der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten geprüft würden, an deren Unabhängigkeit kein Zweifel bestehe.

210

Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass zum einen die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten ebenso wie die Disziplinarkammer durch das Gesetz über das Oberste Gericht geschaffen wurde und dass, wie aus der Stellungnahme der Republik Polen hervorgeht, die Mitglieder dieser Kammer am Ende eines Verfahrens ernannt werden, an dem – wie auch im Fall der Mitglieder der Disziplinarkammer – die KRS beteiligt ist. In Anbetracht der Auslegungshinweise im Urteil A. K. lässt sich jedoch entgegen dem Vorbringen der Republik Polen nicht vertreten, dass die Unabhängigkeit der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten außer Zweifel steht.

211

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 26 § 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht Anträge auf Feststellung oder Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters oder seiner Ermächtigung zur Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung von der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten nicht geprüft werden.

212

Daraus folgt, dass die Anwendung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die zweite Rüge der Klage bezieht, dazu führen würde, dass bis zur Verkündung des Endurteils kein nationales Gericht diese Fragen prüfen kann, was, wie bei der Prüfung der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses festgestellt worden ist, geeignet ist, der Unionsrechtsordnung und den Rechten der Einzelnen auf einen wirksamen Rechtsbehelf einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen.

213

Nach alledem ist der Schluss zu ziehen, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. e des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist.

  Zur Interessenabwägung

214

Die Kommission weist darauf hin, dass, wenn der Gerichtshof der zweiten Rüge der Klage stattgeben sollte, nachdem er es abgelehnt habe, die einstweilige Anordnung entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. e des vorliegenden Beschlusses zu erlassen, der Unionsrechtsordnung und den den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechten ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde. Sollte der Gerichtshof diese Anordnung erlassen und die Rüge anschließend zurückweisen, hätte dies dagegen nur die vorübergehende Aussetzung der Anwendung der Bestimmungen von Art. 26 §§ 2 und 4 bis 6 sowie von Art. 82 §§ 2 bis 5 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht zur Folge.

215

Die Republik Polen macht ihrerseits zum einen geltend, dass die Aussetzung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die zweite Rüge der Klage beziehe, nicht bedeute, dass die nationalen Gerichte die Fragen prüfen könnten, die diese Bestimmungen der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten vorbehielten, so dass eine solche Aussetzung nicht zu dem damit verfolgten Ziel beitragen könne. Zum anderen würde diese Aussetzung das Recht auf ein zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht und den Grundsatz der Rechtssicherheit beeinträchtigen, da dann keine nationale Vorschrift die materielle Zuständigkeit für die Entscheidung über Rechtsfragen regeln würde, die nach diesen Bestimmungen der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten vorbehalten seien.

216

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Durchführung einer einstweiligen Anordnung auf Aussetzung der Anwendung einer nationalen Bestimmung für den betreffenden Mitgliedstaat die Verpflichtung mit sich bringt, sicherzustellen, dass der vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung bestehende Rechtszustand wiederhergestellt wird, so dass er bis zum Erlass des Endurteils die durch die Bestimmung, deren Anwendung auszusetzen ist, aufgehobenen, ersetzten oder geänderten Bestimmungen anzuwenden hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 17. Dezember 2018, Kommission/Polen, C‑619/18 R, EU:C:2018:1021, Rn. 95 und 107).

217

Somit ist die Beeinträchtigung des Rechts auf ein zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht und des Grundsatzes der Rechtssicherheit, die sich nach Ansicht der Republik Polen aus der Aussetzung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die zweite Rüge der Klage bezieht, bis zur Verkündung des Endurteils ergeben würde, nicht dargetan.

218

Unter diesen Umständen ist der Schluss zu ziehen, dass die Interessenabwägung für den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. e des vorliegenden Beschlusses spricht.

Zu den einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses

  Zum fumus boni iuris

219

Die Kommission trägt vor, die dritte Rüge der Klage, die sich auf die nationalen Bestimmungen bezieht, die Gegenstand der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses sind, erscheine auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage. Diese Rüge sei konkret darauf gestützt, dass die Republik Polen dadurch gegen die ihr nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta sowie nach Art. 267 AEUV obliegende Verpflichtung, die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt und das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, verstoßen habe, dass sie Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht erlassen und beibehalten habe, wonach die Prüfung der Beachtung der Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht als Disziplinarvergehen gewertet werden könne.

220

Die Kommission macht erstens geltend, die Tatbestandsmerkmale der Disziplinarvergehen nach Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und Art. 72 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht, d. h. „Handlungen oder Unterlassungen, die das Funktionieren eines Organs der Rechtsprechung unmöglich machen oder wesentlich erschweren können“, oder „Handlungen, mit denen das Bestehen des Dienstverhältnisses eines Richters [oder] die Wirksamkeit der Ernennung eines Richters … in Frage gestellt wird“, derart ungenau seien, dass davon Fallgestaltungen erfasst werden könnten, in denen ein nationaler Richter überprüfe, ob ein Gericht den Anforderungen in Bezug auf die richterliche Unabhängigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta gerecht werde. Insbesondere könnte die von einem Richter vorgenommene Feststellung, dass sein Spruchkörper oder ein anderer Spruchkörper wegen einer bei der Ernennung eines ihm angehörenden Richters begangenen Unregelmäßigkeit die Anforderung in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht nicht erfülle, als „Handlung, mit der das Bestehen des Dienstverhältnisses eines Richters oder die Wirksamkeit der Ernennung eines Richters in Frage gestellt wird“, eingestuft werden. Davon zeuge der Umstand, dass am 5. August 2020 aus diesem Grund ein Disziplinarverfahren gegen einen Richter des Sąd Apelacyjny w Szczecinie (Berufungsgericht Stettin, Polen) in Anwendung von Art. 107 § 1 Nr. 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sei.

221

Unter Berufung u. a. auf die in Rn. 32 des Urteils vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117), angeführten Rechtsgrundsätze sowie auf die Rn. 55, 57, 70 und 71 des Urteils vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232), macht die Kommission somit geltend, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die dritte Rüge der Klage beziehe, gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta verstießen.

222

Im Übrigen knüpften die Disziplinarvergehen im Sinne dieser Bestimmungen an den Inhalt gerichtlicher Entscheidungen an, was im Widerspruch zu Rn. 67 des Urteils vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586), stehe.

223

Zweitens macht die Kommission geltend, das Disziplinarvergehen nach Art. 72 § 1 Nr. 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht beruhe auf einem ungenauen Begriff, nämlich der „offensichtlichen und groben Missachtung von Rechtsvorschriften“, der sich sowohl auf den Inhalt gerichtlicher Entscheidungen als auch auf die Missachtung nationaler Vorschriften beziehen könne, die es untersagten, gerichtlich zu überprüfen, ob ein Gericht die Anforderungen in Bezug auf die richterliche Unabhängigkeit im Sinne des Unionsrechts beachte.

224

Die Republik Polen trägt vor, dass die disziplinarische Verantwortung, die die Richter nach Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht treffe, keine Haftung für den Inhalt gerichtlicher Entscheidungen umfasse und somit nicht als Faktor angesehen werden könne, mit dem Druck auf die Richter ausgeübt oder in ihre Rechtsprechungstätigkeiten eingegriffen werde.

225

Was insbesondere erstens das Vergehen nach Art. 107 § 1 Nr. 2 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und nach Art. 72 § 1 Nr. 2 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht betrifft, das darin besteht, die Rechtspflege wesentlich zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen, stellt die Republik Polen in Abrede, dass die Durchführung der im Urteil A. K. beschriebenen Verpflichtungen durch ein Gericht ein solches Vergehen darstellen könne, da zum einen offensichtlich sei, dass ein Urteil des Gerichtshofs keine Bestimmungen enthalte, deren Durchführung die Rechtspflege wesentlich erschweren würde, und zum anderen dieses Urteil keine Entscheidung darstelle, die angesichts ihres Inhalts das Funktionieren der Justiz bedrohe. Im Übrigen spiele ein solches Vergehen in den nationalen Rechtsordnungen eine sehr wichtige Rolle und sei in den Verfassungsvorschriften anderer Mitgliedstaaten über die rechtsprechende Gewalt vorgesehen. Insbesondere seien die von der Kommission gerügten Bestimmungen am französischen Recht ausgerichtet worden, das von der Kommission jedoch nicht in Frage gestellt worden sei.

226

Was zweitens das Vergehen nach Art. 107 § 1 Nr. 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und Art. 72 § 1 Nr. 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gerichte betrifft, das darin besteht, das Bestehen eines Dienstverhältnisses eines Richters und die Wirksamkeit der Ernennung eines Richters in Frage zu stellen, wiederholt die Republik Polen ihr in den Rn. 158 und 159 des vorliegenden Beschlusses im Rahmen der Prüfung der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. d des vorliegenden Beschlusses wiedergegebenes Vorbringen. Die Republik Polen bestreitet das Vorbringen der Kommission zu einem gegen einen Richter des Sąd Apelacyjny w Szczecinie (Berufungsgericht Stettin) eingeleiteten Disziplinarverfahren nicht, trägt aber nichtsdestoweniger insbesondere vor, das Verbot, die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters zu beurteilen, stelle im Licht des Verfassungsmodells für die Ernennung von Richtern in Polen eine Präzisierung des bisherigen Inhalts der Rechtsnorm über das Disziplinarvergehen dar und sei in vollem Umfang gerechtfertigt und sachgerecht.

227

Was drittens und letztens das Vergehen der offensichtlichen und groben Missachtung von Rechtsvorschriften nach Art. 72 § 1 Nr. 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht betrifft, kann dieses Vergehen nach Ansicht der Republik Polen keinesfalls einer Haftung für den Inhalt eines Urteils oder für gewöhnliche Fehler, die ein Richter bei seinen Entscheidungen begehen könne, gleichgestellt werden. Dieses Vergehen betreffe, wie aus der Rechtsprechung des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) klar hervorgehe, außergewöhnliche Fälle von Verstößen gegen Rechtsvorschriften, nämlich solche, bei denen der Verstoß offensichtlich und grob sei, so dass es gerechtfertigt sei, denjenigen, der sie begangen habe, zur Verantwortung zu ziehen.

228

Im Hinblick auf die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist, ist erstens darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus den Rn. 171 und 199 des vorliegenden Beschlusses ergibt, nationale Bestimmungen, durch die die zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts berufenen nationalen Gerichte daran gehindert werden, zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Gericht den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht wird und ob insbesondere das Verfahren zur Ernennung eines Richters oder zur Einsetzung eines Gerichts ordnungsmäßig war, auf den ersten Blick gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta verstoßen.

229

Somit ist festzustellen, dass nationale Bestimmungen, aus denen sich ergäbe, dass die nationalen Richter Disziplinarverfahren ausgesetzt sein können, weil sie eine solche Überprüfung vorgenommen haben, auf den ersten Blick ebenfalls gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta verstoßen.

230

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus der in Rn. 87 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung ergibt, das sich insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergebende Erfordernis der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit es gebietet, jede Gefahr zu vermeiden, dass die Disziplinarordnung gegen diejenigen, die zu entscheiden haben, als System zur politischen Kontrolle des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen angewandt wird.

231

Hierzu ist insbesondere wesentlich, dass Regeln vorgesehen werden, die die Verhaltensweisen, die die disziplinarische Haftung von Richtern begründen können, hinreichend klar und präzise definieren, um die dem Auftrag des Richters inhärente Unabhängigkeit zu gewährleisten und zu verhindern, dass Richter der Gefahr ausgesetzt werden, dass ihre disziplinarische Haftung allein aufgrund ihrer Entscheidung eintreten kann (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 234).

232

Im vorliegenden Fall zeigt sich ohne Weiteres, dass der Wortlaut von Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit sowie von Art. 72 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht entsprechend dem Vorbringen der Kommission derart abstrakt und ungenau ist, dass sich auf den ersten Blick nicht ausschließen lässt, dass die disziplinarische Haftung eines Richters allein dadurch ausgelöst werden kann, dass er überprüft hat, ob ein Richter oder ein Spruchkörper den Anforderungen an die richterliche Unabhängigkeit gerecht wird, und insbesondere die Unregelmäßigkeit des Verfahrens zur Ernennung eines Richters festgestellt hat.

233

Dasselbe gilt für Art. 72 § 1 Nr. 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht. Da der Ausdruck „offensichtliche und grobe Missachtung von Rechtsvorschriften“ abstrakt und ungenau ist, lässt sich nämlich auf den ersten Blick nicht ausschließen, dass die Haftung eines Richters allein auf der Grundlage des angeblich „irrtümlichen“ Inhalts seiner Entscheidungen oder aufgrund der Missachtung nationaler Bestimmungen ausgelöst werden kann, die es den nationalen Gerichten verwehren, zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Spruchkörper den Anforderungen in Bezug auf die richterliche Unabhängigkeit gerecht wird.

234

Angesichts des Wortlauts der nationalen Bestimmungen, auf die sich die dritte Rüge der Klage bezieht, kann demnach auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen werden, dass diese Bestimmungen die nationalen Gerichte nicht nur daran hindern, zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Gericht den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht wird, sondern es auch erlauben, dass die Disziplinarordnung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen genutzt wird, und dass sie daher gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta verstoßen.

235

Dies gilt umso mehr für Art. 107 § 1 Nr. 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und Art. 72 § 1 Nr. 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht, da, wie sich aus dem in den Rn. 220 und 226 des vorliegenden Beschlusses wiedergegebenen Vorbringen der Parteien ergibt, die Feststellung der Unregelmäßigkeit der Ernennung eines Richters ein Vergehen nach diesen Bestimmungen darstellen könnte.

236

Im Übrigen wird die in Rn. 234 des vorliegenden Beschlusses vorgenommene Beurteilung auch dadurch weiter gestützt, dass die im Rahmen von Disziplinarverfahren gegen Richter ergangenen Entscheidungen von einer Einrichtung, nämlich der Disziplinarkammer, überprüft werden, deren fehlende Unabhängigkeit auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen werden kann, wie dies in Rn. 97 des vorliegenden Beschlusses festgestellt worden ist. Gleiches gilt für den von der Kommission hervorgehobenen Umstand, dass das Änderungsgesetz, mit dem die in den streitigen nationalen Bestimmungen vorgesehenen Disziplinarvergehen eingeführt wurden, einen Monat nach dem Erlass des Urteils A. K. erlassen wurde, in dem der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht Hinweise zur Beurteilung der Unabhängigkeit dieser Kammer gegeben hat, auf deren Grundlage die nationalen Gerichte die Unabhängigkeit des Richters oder des Gerichts, der oder das für die Entscheidung in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen zuständig war, beurteilen konnten.

237

Was ferner die von der Republik Polen angeführte Rechtsprechung des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zu den Tatbestandsmerkmalen des Vergehens „offensichtliche und grobe Missachtung von Rechtsvorschriften“ nach Art. 72 § 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht betrifft, genügt die Feststellung, dass diese Rechtsprechung vor der Einrichtung der Disziplinarkammer im Jahr 2017 und damit erst recht vor der Annahme der nationalen Bestimmungen, auf die sich insbesondere die ersten beiden Rügen der Klage beziehen, durch das Änderungsgesetz im Jahr 2019 ergangen ist. Folglich kann diese Rechtsprechung die Beurteilung in Rn. 234 des vorliegenden Beschlusses nicht in Frage stellen.

238

Schließlich kann sich die Republik Polen, wie in Rn. 111 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es in anderen Mitgliedstaaten ähnliche Vorschriften wie diese Bestimmungen gebe, um darzutun, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei.

239

Daher ist, ohne sich in diesem Stadium zur Stichhaltigkeit der von den Parteien im Rahmen der dritten Rüge der Klage vorgebrachten Argumente zu äußern, wofür allein der Richter der Hauptsache zuständig ist, der Schluss zu ziehen, dass das Vorbringen der Kommission im Rahmen dieser Rüge in Anbetracht der von ihr vorgebrachten Gesichtspunkte sowie der in den Rn. 163 bis 168 sowie 230 und 231 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung auf den ersten Blick nicht ohne ernsthafte Grundlage im Sinne der in Rn. 79 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung erscheint.

240

Folglich ist festzustellen, dass die Voraussetzung des fumus boni iuris in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist.

  Zur Dringlichkeit

241

Nach der in Rn. 116 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung muss der Gerichtshof für die Beurteilung der Dringlichkeit als gegeben annehmen, dass die nationalen Bestimmungen, auf die sich die dritte Rüge der Klage bezieht, zum einen geeignet sind, die nationalen Gerichte daran zu hindern, zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Gericht den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht wird, und es zum anderen erlauben können, dass die Disziplinarordnung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen genutzt wird, und damit gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta verstoßen können.

242

Wie die Kommission geltend gemacht hat, kann der Umstand, dass durch die Anwendung der in der dritten Rüge der Klage genannten nationalen Bestimmungen zum einen die nationalen Gerichte bis zur Verkündung des Endurteils daran gehindert werden können, zu überprüfen, ob ein Richter oder ein Gericht den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht wird, und zum anderen die Disziplinarordnung bis zur Verkündung dieses Urteils als System zur politischen Kontrolle des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen genutzt werden kann, in dieser Zeit die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte beeinträchtigen und demzufolge entsprechend der in Rn. 124 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung der Unionsrechtsordnung und damit den Rechten, die die Einzelnen aus dem Unionsrecht ableiten, sowie den in Art. 2 EUV genannten Werten, auf die sich die Union gründet, insbesondere der Rechtsstaatlichkeit, einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen.

243

Die Republik Polen bestreitet die Dringlichkeit, weil die Tätigkeiten der Disziplinarkammer in Disziplinarsachen gegen Richter nach dem Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen (C‑791/19 R, EU:C:2020:277), ausgesetzt worden seien. Aufgrund einer solchen Aussetzung, die bis zur Verkündung des Urteils in der Rechtssache C‑791/19 aufrechterhalten werde, wende die Disziplinarkammer die von der Kommission beanstandeten Bestimmungen nicht allgemein an, so dass ihre Aussetzung nicht dringlich sei, da sie nicht zur Folge hätte, irgendeinen Schaden zu verhindern.

244

Insoweit trifft es zwar zu, dass die Aussetzung der Tätigkeiten der Disziplinarkammer die Gefahr des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens durch die Anwendung der streitigen nationalen Bestimmungen mindert, doch kann eine solche Aussetzung eine solche Gefahr nicht beseitigen.

245

Wie die Kommission ausgeführt hat, kann nämlich die bloße Aussicht für die polnischen Richter, wegen der Überprüfung, ob ein Richter oder ein Gericht den mit einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbundenen Anforderungen gerecht wird, gegebenenfalls disziplinarrechtlich verfolgt zu werden, ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen, und zwar unabhängig von der gerichtlichen Instanz, vor der das Disziplinarverfahren durchgeführt wird.

246

Im Übrigen kann das bloße Bestehen nationaler Bestimmungen, die die Nutzung der Disziplinarordnung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts gerichtlicher Entscheidungen erlauben, bei den Rechtsunterworfenen und den anderen Mitgliedstaaten Zweifel an der Unabhängigkeit der nationalen Gerichte wecken, was einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verursachen droht.

247

Was schließlich insbesondere Art. 72 § 1 Nr. 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht betrifft, macht die Republik Polen geltend, dass der Antrag auf Aussetzung dieser Bestimmung verspätet und völlig unverständlich sei. In diesem Kontext macht die Republik Polen zum einen geltend, die Kommission habe keine Rechtfertigung für die Aussetzung der Anwendung einer Bestimmung mit einer sehr langen Verfassungstradition in Polen angeführt, und zum anderen, dass der Umstand, dass die Kommission im Rahmen der Vertragsverletzungsklage in der Rechtssache C‑791/19 eine entsprechende Bestimmung in Art. 107 des Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit angefochten habe, ohne jedoch die Aussetzung ihrer Anwendung zu beantragen, zeige, dass die Kommission in Wirklichkeit nicht die Gefahr sehe, dass die Anwendung von Art. 72 § 1 Nr. 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht zu einem Schaden führe.

248

Zum einen legt die Kommission jedoch entgegen dem Vorbringen der Republik Polen dar, aus welchen Gründen sie der Ansicht ist, dass die Anwendung aller in der dritten Rüge der Klage genannten Bestimmungen auszusetzen sei. Zum anderen wurden mit dem Änderungsgesetz, wie in den Rn. 138 und 237 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, mehrere Bestimmungen eingeführt, u. a. diejenigen, auf die sich die ersten beiden Rügen der Klage beziehen, die sich auf die Tragweite des Vergehens nach Art. 72 § 1 Nr. 1 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht auswirken können und die daher im Verhältnis zu den vor dem Erlass des Änderungsgesetzes bestehenden Umständen neue Gesichtspunkte für die Beurteilung der Dringlichkeit darstellen.

249

Nach alledem ist der Schluss zu ziehen, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit in Bezug auf den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses erfüllt ist.

  Zur Interessenabwägung

250

Die Kommission weist darauf hin, dass, wenn der Gerichtshof der dritten Rüge der Klage stattgeben sollte, nachdem er es abgelehnt habe, die einstweilige Anordnung entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses zu erlassen, der Unionsrechtsordnung und den den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechten, insbesondere ihrem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde.

251

Sollte der Gerichtshof diese Anordnung erlassen und die Rüge in der Folge zurückweisen, hätte dies dagegen nur die vorübergehende Aussetzung von Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des geänderten Gesetzes über die ordentliche Gerichtsbarkeit und von Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 des geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht zur Folge, wodurch es vorübergehend unmöglich werde, den Umstand als Disziplinarvergehen nach diesen Bestimmungen einzustufen, dass ein Richter im Rahmen seiner richterlichen Tätigkeit geprüft habe, ob die unionsrechtlichen Anforderungen in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta gewahrt seien.

252

Die Republik Polen macht u. a. geltend, dass die Nichtanwendung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die dritte Rüge der Klage beziehe, bis zur Verkündung des Endurteils zur Folge hätte, dass während dieses gesamten Zeitraums zu ahndende Verhaltensweisen, die zweifellos die disziplinarische Haftung derjenigen auslösen müssten, die sie an den Tag legten, stattdessen zulässig wären. So könnten die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) u. a. gerichtliche Schriftstücke vordatieren, Unterlagen, die für die Regelung von Rechtssachen von Bedeutung seien, unterdrücken, in den Gesetzen nicht vorgesehene Strafen aussprechen oder Entscheidungen nach in den Verfahren nicht vorgesehenen Modalitäten abändern oder sogar Entscheidungen erlassen, die in den betreffenden Verfahren nicht vorgesehen seien. Die Aussetzung der Anwendung der streitigen nationalen Bestimmungen würde daher zu einem Schaden für die Interessen der Republik Polen führen.

253

Dazu genügt indessen der Hinweis, dass, wie sich aus Rn. 216 des vorliegenden Beschlusses ergibt, die Aussetzung der Anwendung der nationalen Bestimmungen, auf die sich die dritte Rüge der Klage bezieht, für die Republik Polen die Verpflichtung mit sich bringt, bis zur Verkündung des Endurteils die durch die nationalen Bestimmungen, auf die sich diese Rüge bezieht, aufgehobenen, ersetzten oder geänderten Bestimmungen anzuwenden. Somit kann der Erlass der einstweiligen Anordnung entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses nicht den von diesem Mitgliedstaat geltend gemachten Schaden verursachen.

254

Unter diesen Umständen ist der Schluss zu ziehen, dass die Interessenabwägung für den Erlass der einstweiligen Anordnungen entsprechend Rn. 38 erster Gedankenstrich Buchst. c des vorliegenden Beschlusses spricht.

255

Nach alledem ist dem in Rn. 1 des vorliegenden Beschlusses angeführten Antrag der Kommission auf einstweilige Anordnungen stattzugeben.

 

Aus diesen Gründen hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs beschlossen:

 

1.

Die Republik Polen ist verpflichtet, unverzüglich und bis zur Verkündung des das Verfahren in der Rechtssache C‑204/21 beendenden Urteils

a)

zum einen die Anwendung von Art. 27 § 1 Nr. 1a der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 in der Fassung der Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych, ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze) vom 20. Dezember 2019 und anderer Bestimmungen auszusetzen, wonach die Izba Dyscyplinarna (Disziplinarkammer) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) dafür zuständig ist, sowohl in erster Instanz als auch in zweiter Instanz über Anträge auf Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter oder Assessoren sowie zur Untersuchungshaft, zur Festnahme oder zur zwangsweisen Vorführung von Richtern oder Assessoren zu entscheiden, und zum anderen die Wirkungen der von der Disziplinarkammer auf der Grundlage dieses Artikels bereits erlassenen Entscheidungen über die Zustimmung zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter oder zu seiner Festnahme auszusetzen und es zu unterlassen, die in diesem Artikel genannten Sachen an ein Gericht zu verweisen, das den insbesondere im Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), festgelegten Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht genügt,

b)

die Anwendung von Art. 27 § 1 Nrn. 2 und 3 des Gesetzes über das Oberste Gericht in der geänderten Fassung, wonach die Izba Dyscyplinarna (Disziplinarkammer) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) für die Entscheidung in Sachen betreffend den Status und die Amtsausübung von Richtern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), insbesondere in arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen betreffend diese Richter sowie in Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand, zuständig ist, auszusetzen und es zu unterlassen, diese Sachen an ein Gericht zu verweisen, das den insbesondere im Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), festgelegten Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht genügt,

c)

die Anwendung von Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 der Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze sowie von Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 des Gesetzes über das Oberste Gericht in der geänderten Fassung auszusetzen, wonach Richter wegen der Prüfung der Beachtung der Anforderungen in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union disziplinarisch belangt werden können,

d)

die Anwendung von Art. 42a §§ 1 und 2 sowie von Art. 55 § 4 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der geänderten Fassung, von Art. 26 § 3 sowie von Art. 29 §§ 2 und 3 des Gesetzes über das Oberste Gericht in der geänderten Fassung, von Art. 5 §§ 1a und 1b der Ustawa – Prawo o ustroju sądów administracyjnych (Gesetz über den Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit) vom 25. Juli 2002 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze und von Art. 8 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze auszusetzen, soweit sie es den nationalen Gerichten verbieten, die Beachtung der Anforderungen der Europäischen Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte zu überprüfen,

e)

die Anwendung von Art. 26 §§ 2 und 4 bis 6 sowie von Art. 82 §§ 2 bis 5 des Gesetzes über das Oberste Gericht in der geänderten Fassung und von Art. 10 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze auszusetzen, mit denen die ausschließliche Zuständigkeit der Izba Kontroli Nadzwyczajnej i Spraw Publicznych (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) für die Prüfung von Rügen der fehlenden Unabhängigkeit eines Richters oder eines Gerichts festgelegt wird, und

f)

der Europäischen Kommission spätestens einen Monat nach der Zustellung des Beschlusses des Gerichtshofs, mit dem die beantragten einstweiligen Anordnungen erlassen werden, alle Maßnahmen mitzuteilen, die getroffen wurden, um diesem Beschluss in vollem Umfang nachzukommen.

 

2.

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.