URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)
10. Februar 2022 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Fischereipolitik – Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 – Kontrollregelung – Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 – Aufzeichnung von Fangmengen und Fischereiaufwand – Übermittlung von Angaben zu den Mengen der gefangenen Kaisergranate an die Europäische Kommission – Möglichkeit, andere als die im Fischereilogbuch aufgezeichneten Daten zu verwenden – Angemessenes und wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Bearbeitung und Zertifizierung der Daten – Schließung von Fischereien“
In der Rechtssache C‑564/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 20. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 2020, in dem Verfahren
PF,
MF
gegen
Minister for Agriculture, Food and the Marine,
Sea Fisheries Protection Authority (SFPA)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Safjan,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
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von MF und PF, vertreten durch D. F. Conway, Solicitor, E. Sweetman, BL, und D. Conlan Smyth, SC, |
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der Sea Fisheries Protection Authority (SFPA), vertreten durch M. Boohig, Advocate, D. McCarthy, BL, und T. F. Creed, SC, |
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des Minister for Agriculture, Food and the Marine, vertreten durch M. Browne, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte sowie durch P. McGarry und D. Lehane, SC, |
– |
der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Moro, K. Walkerová und A. Dawes als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates vom 20. November 2009 zur Einführung einer Kontrollregelung der Union zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 847/96, (EG) Nr. 2371/2002, (EG) Nr. 811/2004, (EG) Nr. 768/2005, (EG) Nr. 2115/2005, (EG) Nr. 2166/2005, (EG) Nr. 388/2006, (EG) Nr. 509/2007, (EG) Nr. 676/2007, (EG) Nr. 1098/2007, (EG) Nr. 1300/2008, (EG) Nr. 1342/2008 sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 2847/93, (EG) Nr. 1627/94 und (EG) Nr. 1966/2006 (ABl. 2009, L 343, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2015/812 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 (ABl. 2015, L 133, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1224/2009). |
2 |
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen PF und MF einerseits und dem Minister for Agriculture Food and the Marine (Minister für Landwirtschaft, Ernährung und maritime Angelegenheiten, Irland, im Folgenden: Minister) und der Sea Fisheries Protection Authority (SFPA) (Behörde für den Schutz der Seefischerei, Irland) andererseits wegen der Entscheidung des Ministers, den Fang von Kaisergranaten (nephrops norvegicus) in dem als Funktionsgebiet 16 (im Folgenden: FU16) bezeichneten Fanggebiet an der Porcupine-Bank vor der Westküste Irlands zu verbieten. |
Rechtlicher Rahmen
Verordnung (EU) Nr. 1380/2013
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Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1380/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über die Gemeinsame Fischereipolitik und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1954/2003 und (EG) Nr. 1224/2009 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 2371/2002 und (EG) Nr. 639/2004 des Rates und des Beschlusses 2004/585/EG des Rates (ABl. 2013, L 354, S. 22), der die Ziele der Gemeinsamen Fischereipolitik (im Folgenden: GFP) festlegt, lautet: „Die GFP stellt sicher, dass Fischerei- und Aquakulturtätigkeiten langfristig umweltverträglich sind und auf eine Art und Weise durchgeführt werden, die mit den Zielen der Erreichung eines wirtschaftlichen, sozialen und beschäftigungspolitischen Nutzens und eines Beitrags zum Nahrungsmittelangebot vereinbar ist.“ |
Verordnung Nr. 1224/2009
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Art. 5 („Allgemeine Grundsätze“) Abs. 5 der Verordnung Nr. 1224/2009 bestimmt: „In jedem Mitgliedstaat koordiniert eine einzige Behörde die Kontrolltätigkeiten aller nationalen Kontrollbehörden. Diese Behörde ist auch dafür zuständig, die Erfassung, Verarbeitung und Zertifizierung von Informationen über Fischereitätigkeiten zu koordinieren und mit der Kommission, der gemäß der Verordnung (EG) Nr. 768/2005 … errichteten Europäischen Fischereiaufsichtsagentur und anderen Mitgliedstaaten und gegebenenfalls Drittländern zusammenzuarbeiten und die Übermittlung von Informationen zu gewährleisten und ihnen Bericht zu erstatten.“ |
5 |
Art. 9 („Schiffsüberwachungssystem“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 sieht vor: „Die Mitgliedstaaten setzen zur wirksamen Überwachung der Fischereitätigkeiten der Fischereifahrzeuge unter ihrer Flagge, unabhängig vom Einsatzort dieser Fischereifahrzeuge, und von Fischereitätigkeiten in den Gewässern des Mitgliedstaats ein satellitengestütztes Schiffsüberwachungssystem (VMS) ein.“ |
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Art. 14 („Führen und Übermittlung des Fischereilogbuchs“) Abs. 1, 2 und 9 dieser Verordnung bestimmt: „(1) Unbeschadet spezieller Vorschriften in Mehrjahresplänen führt der Kapitän eines jeden Fischereifahrzeugs der Union mit einer Länge über alles von 10 Metern oder mehr ein Fischereilogbuch über die Einsätze, in das für jede Fangreise alle Mengen jeder gefangenen und an Bord behaltenen Art von über 50 kg Lebendgewichtäquivalent im Einzelnen eingetragen werden. Die 50‑kg-Grenze gilt, sobald die Fangmenge einer Art 50 kg übersteigt. (2) Das Fischereilogbuch gemäß Absatz 1 enthält insbesondere folgende Angaben:
… (9) Die Kapitäne bürgen für die Richtigkeit der Angaben im Fischereilogbuch.“ |
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Art. 15 („Elektronisches Führen und elektronische Übermittlung von Fischereilogbuchdaten“) Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1224/2009 lautet: „(1) Die Kapitäne von Fischereifahrzeugen der Union mit einer Länge über alles von 12 m oder mehr zeichnen die Angaben gemäß Artikel 14 elektronisch auf und übermitteln sie mindestens einmal täglich, ebenfalls elektronisch, der zuständigen Behörde des Flaggenmitgliedstaats. (2) Die Kapitäne von Fischereifahrzeugen der Union mit einer Länge über alles von 12 m oder mehr übermitteln die in Artikel 14 genannten Angaben auf Verlangen der zuständigen Behörde des Flaggenstaates und übermitteln die einschlägigen Fischereilogbuchdaten in jedem Fall nach Beendigung des letzten Fangeinsatzes vor dem Einlaufen in den Hafen.“ |
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Art. 33 („Aufzeichnung von Fangmengen und Fischereiaufwand“) Abs.1 und 2 dieser Verordnung bestimmt: „(1) Jeder Flaggenmitgliedstaat zeichnet alle im vorliegenden Kapitel erwähnten sachdienlichen Fangdaten, insbesondere die Daten gemäß den Artikeln 14, 21, 23, 28 und 62 auf, und zwar ausgedrückt sowohl in Anlandungen als gegebenenfalls auch in Fischereiaufwand, und hebt die Originaldaten nach Maßgabe der einzelstaatlichen Vorschriften für einen Zeitraum von drei Jahren oder länger auf. (2) Unbeschadet gegebenenfalls geltender spezieller Unionsvorschriften teilt jeder Flaggenmitgliedstaat vor dem 15. jeden Monats der Kommission oder der von ihr bezeichneten Stelle elektronisch Folgendes mit:
…“ |
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Art. 34 („Daten über ausgeschöpfte Fangmöglichkeiten“) dieser Verordnung sieht vor: „Die Mitgliedstaaten informieren die Kommission unverzüglich, wenn sie feststellen, dass
… In diesen Fällen übermitteln sie der Kommission auf deren Anfrage detailliertere und häufigere Angaben als in Artikel 33 verlangt.“ |
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Art. 35 („Schließung von Fischereien durch die Mitgliedstaaten“) Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1224/2009 bestimmt: „(1) Jeder Mitgliedstaat setzt den Zeitpunkt fest, ab dem
… (2) Der Mitgliedstaat untersagt allen oder einigen Fischereifahrzeugen unter seiner Flagge von dem in Absatz 1 genannten Zeitpunkt an den Fang von Fischen des Bestands oder der Bestandsgruppe, dessen/deren Quote ausgeschöpft ist, die betreffende Fischerei oder, wenn die betreffenden Fischereifahrzeuge das betreffende Fanggerät an Bord mitführen, den Fischfang in dem einschlägigen geografischen Gebiet, wenn der höchstzulässige Fischereiaufwand erreicht ist, sowie insbesondere das Anbordbehalten, Umladen, Umlagern und Anlanden von Fängen, die nach diesem Zeitpunkt getätigt wurden, und legt fest, bis wann Umladungen, Transfers und Anlandungen oder letzte Fangmeldungen noch möglich sind. …“ |
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Art. 109 („Allgemeine Grundsätze für die Analyse der Daten“) sieht vor: „(1) Die Mitgliedstaaten schaffen spätestens bis zum 31. Dezember 2013 eine elektronische Datenbank zum Zwecke der Validierung der nach dieser Verordnung aufgezeichneten Daten und ein Validierungssystem. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle nach dieser Verordnung aufgezeichneten Daten korrekt und vollständig sind und innerhalb der in der [GFP] vorgesehenen Fristen vorgelegt werden. Insbesondere
(3) Das Validierungssystem ist so konzipiert, dass Unstimmigkeiten zwischen den Daten sowie Fehler und fehlende Informationen in den Daten sofort erkennbar sind. (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die vom Datenvalidierungssystem festgestellten Unstimmigkeiten zwischen den Daten in der Datenbank deutlich ausgewiesen werden. Die Datenbank muss ferner alle korrigierten Daten deutlich ausweisen und den Grund für die Korrektur nennen. (5) Werden Unstimmigkeiten zwischen Daten festgestellt, so führt der betreffende Mitgliedstaat die erforderlichen Untersuchungen durch und trifft, bei begründetem Verdacht, dass ein Verstoß begangen wurde, die erforderlichen Maßnahmen. …“ |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
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Im Juli 2017 hatte die SFPA, die zu Zwecken von Art. 5 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1224/2009 bezeichnete einzige Kontrollbehörde für Irland, ernsthafte Zweifel an der Wahrheitsgemäßheit und Genauigkeit der Daten zu den Fängen von Kaisergranaten im FU16 in der ersten Hälfte des Jahres 2017, die im von den Kapitänen irischer Fischereifahrzeuge gemäß den Art. 14 und 15 der Verordnung Nr. 1224/2009 geführten elektronischen Fischereilogbuch aufgezeichnet worden waren. |
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Die Kapitäne der irischen Fischereifahrzeuge hatten erklärt, 733 t Kaisergranate im FU16 gefangen zu haben. Die SFPA ging davon aus, dass diese Zahl bedeutend niedriger sei als die tatsächliche Menge der im FU16 gefangenen Kaisergranate und dass im FU16 getätigte Fänge von Kaisergranaten falsch als außerhalb dieses Gebiets getätigt deklariert worden seien. Nach den Berechnungen der SFPA waren im Jahr 2017 im FU16 bereits 1991 t Kaisergranate gefangen worden und die TAC Irlands von 1124 t für das Jahr 2017 und für dieses Untergebiet bereits überschritten gewesen. |
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Diese Berechnung der SFPA beruht auf der sogenannten „Verbrachte Zeit“-Methode, bei der die von den Fischern zu der in einem bestimmten Gebiet verbrachten Zeit und zu der Gesamtfangmenge gelieferten Daten verwendet werden. Auf der Grundlage dieser Daten berechnete die SFPA den Ertrag einer Fangfahrt neu, gestützt auf die Annahme, dass die in einem Gebiet verbrachte Zeit eine bessere Lokalisierung der Fänge erlaube als die in den elektronischen Fischereilogbüchern aufgezeichneten Daten. Die SFPA nahm somit eine Neuzuordnung der Fänge nach Maßgabe der mit dem Fischen in einem bestimmten Gebiet verbrachten Zeit vor. Nach dieser Methode werden, wenn beispielsweise 75 % der gesamten Fangzeit einer Fahrt in einem Gebiet verbracht wurde, 75 % des jeweiligen Fangs diesem Gebiet zugeordnet. |
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Mit Schreiben vom 14. Juli 2017 übermittelte die SFPA daher die Zahl von 1991 t an den Minister und an die Kommission. Auf der Grundlage dieser Information schloss der Minister dieses Fanggebiet für Schiffe unter irischer Flagge von Oktober bis Dezember 2017, und am 2. November 2017 veröffentlichte die Kommission eine Schließungsmitteilung, die für Fischer aller Mitgliedstaaten galt. |
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Im Rahmen einer Klage vor dem High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) machten die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens, bei denen es sich um u. a. im FU16 tätige Fischer handelt, geltend, wegen dieser Schließung einen schweren wirtschaftlichen Schaden erlitten zu haben, und fochten insbesondere die von der SFPA angewandte Methode und damit die Gültigkeit des Schließungsbeschlusses des Ministers an, deren Rechtmäßigkeit sie in Frage stellten. |
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Mit Urteil vom 30. Oktober 2018 wies der High Court (Hoher Gerichtshof) die Klage der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens ab. Diese legten gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht, dem Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Irland), ein. |
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Im Rahmen ihres Rechtsmittels tragen die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens vor, die Anwendung der „Verbrachte Zeit“-Methode finde in den maßgeblichen Rechtsvorschriften keine Rechtsgrundlage. Das erstinstanzliche Gericht irre darin, dass diese Methode eine rechtliche Grundlage in den grundlegenden Zielen der GFP finde, statt die klaren Rechtsvorschriften anzuwenden. |
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Insbesondere seien die von der zuständigen Behörde bei der Berechnung der Fangmengen zu berücksichtigenden Daten und Informationen diejenigen, die in den Fischereilogbüchern im Sinne der Art. 14 und 15 der Verordnung Nr. 1224/2009 enthalten seien. Diese Behörde müsse sich darauf beschränken, der Kommission diese Daten gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 dieser Verordnung zu übermitteln. Indem die SFPA die „Verbrachte Zeit“-Methode angewandt habe, habe sie nicht die „Daten“ im Sinne der Verordnung Nr. 1224/2009, sondern ihre Expertenmeinung übermittelt. |
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Die SFPA und der Minister vertreten die Auffassung, dass die Verordnung Nr. 1224/2009, insbesondere deren Art. 14, 15, 33 und 34 die SFPA keineswegs daran hindere, andere Informationen als die im Fischereilogbuch aufgezeichneten zu verwenden, wenn sie aus triftigen Gründen Zweifel an der Richtigkeit letzterer Informationen habe. Aus den Art. 14 und 15 dieser Verordnung ergebe sich zwar, dass das Fischereilogbuch „Daten“ und „Informationen“ enthalte, doch lasse nichts darauf schließen, dass es sich um die einzigen „Daten“ und „Informationen“ handele, die die einzige Kontrollbehörde der Kommission mitteilen dürfe. |
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Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts betreffen die wesentlichen Fragen des Unionsrechts, die im vorliegenden Fall aufgeworfen würden, die Auslegung der Begriffe „Daten“ und „Informationen“ in der Verordnung Nr. 1224/2009, insbesondere die Frage, ob die Seefischereibehörde bei der Mitteilung an die Kommission nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 der Verordnung darauf beschränkt ist, der Kommission die in den Fischereilogbüchern enthaltenen Informationen mitzuteilen, oder ob sie, wenn sie aufgrund triftiger Gründe die Zuverlässigkeit dieser Informationen bezweifelt, stattdessen eine angemessene wissenschaftlich fundierte Methode anwenden darf, um die aufgezeichneten Daten zu überprüfen, und so genauere Entnahmezahlen für eine derartige Mitteilung zu erhalten. |
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Unter diesen Umständen hat der Supreme Court (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Zu den Vorlagefragen
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Mit diesen Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 der Verordnung Nr. 1224/2009 dahin auszulegen sind, dass die einzige Kontrollbehörde eines Mitgliedstaats der Kommission nur die von den Kapitänen von Fischereifahrzeugen nach den Art. 14 und 15 dieser Verordnung im Fischereilogbuch aufgezeichneten Daten mitteilen darf oder ob sie eine angemessene, wissenschaftlich fundierte Methode wie die sogenannte „Verbrachte Zeit“-Methode zur Bearbeitung dieser Daten anwenden darf, um sich zu vergewissern, dass die Fangzahlen, die sie der Kommission mitteilt, richtig sind. |
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 33 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 die Mitgliedstaaten verpflichtet, „alle … sachdienlichen Fangdaten, insbesondere die Daten gemäß den Artikeln 14, 21, 23, 28 und 62“ dieser Verordnung aufzuzeichnen und aufzuheben. Nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung teilt jeder Flaggenmitgliedstaat der Kommission elektronisch für jeden Bestand oder jede Bestandsgruppe, für den/die TAC oder Quoten festgesetzt sind, die „aggregierten Daten“ für die im Vormonat angelandeten Mengen mit. |
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Art. 34 Buchst. a der Verordnung Nr. 1224/2009 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Kommission unverzüglich zu informieren, wenn sie feststellen, dass aufgrund der Fänge, die Fischereifahrzeuge unter ihrer Flagge aus einem quotengebundenen Bestand oder einer quotengebundenen Bestandsgruppe getätigt haben, die betreffende Quote zu 80 % als ausgeschöpft gilt. |
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Zum Führen von Logbüchern durch die Kapitäne von Fischereifahrzeugen schreibt Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 vor, dass die Kapitäne von Fischereifahrzeugen der Union mit einer Länge über alles von 10 Metern oder mehr ein Fischereilogbuch über ihre Einsätze führen. Gemäß Art. 14 Abs. 2 dieser Verordnung muss das Fischereilogbuch u. a. „Angaben“ zum Datum und dem geografischen Gebiet, in dem die Fänge getätigt wurden, sowie den geschätzten Mengen jeder Art enthalten. Art. 14 Abs. 6 dieser Verordnung sieht vor, dass diese Angaben dem Flaggenmitgliedstaat spätestens 48 Stunden nach der Anlandung übermittelt werden. Nach Art. 14 Abs. 9 dieser Verordnung bürgen die Kapitäne für die Richtigkeit der „Angaben“ im Fischereilogbuch. Art. 15 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung sieht vor, dass die Kapitäne von Fischereifahrzeugen der Union mit einer Länge über alles von 12 m oder mehr „die Angaben gemäß Artikel 14“ dieser Verordnung elektronisch aufzeichnen und täglich übermitteln, und legt Fristen hierfür fest. |
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Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 10. März 2021, Staatliches Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg, C‑365/19, EU:C:2021:189, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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Was erstens die wörtliche Auslegung der vom vorlegenden Gericht genannten Vorschriften betrifft, ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 33 der Verordnung Nr. 1224/2009, dass sich diese Vorschrift nicht ausschließlich auf die Daten gemäß den Art. 14, 21, 23, 28 und 62 dieser Verordnung, sondern auf eine größere Gesamtheit bezieht, die „alle … Fangdaten“ umfasst, die als sachdienlich angesehen werden können, wie der Ausdruck „insbesondere“ zeigt. |
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Außerdem geht aus der Verwendung des Adjektivs „aggregiert“ in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1224/2009 klar hervor, dass es sich bei den Daten, die der Kommission mitgeteilt werden müssen, nicht bloß um die aus dem Fischereilogbuch entnommenen Rohdaten handelt, sondern dass diese einer gewissen Bearbeitung in Form der Aggregierung unterzogen werden müssen. |
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Was den Wortlaut von Art. 34 der Verordnung Nr. 1224/2009 betrifft, ist festzustellen, dass dieser für die Feststellung, ob die Schwelle der Ausschöpfung einer Quote zu 80 % erreicht ist, nicht auf „Daten“ und „Angaben“ gemäß anderen Artikeln dieser Verordnung verweist und den Mitgliedstaaten zu diesem Zweck keine Methode vorschreibt. |
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Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich zum einen, dass der Wortlaut der Art. 33 und 34 dieser Verordnung eine Auslegung nicht stützt, nach der die Worte „Daten“ oder „Angaben“ dahin aufgefasst werden können, dass sie nur die von den Kapitänen von Fischereifahrzeugen im Fischereilogbuch aufgezeichneten Rohdaten umfassen. |
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Zum anderen folgt aus dem Wortlaut dieser Vorschriften, insbesondere dem von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1224/2009, dass sich die einzige Kontrollbehörde nicht darauf beschränken darf, die von den Kapitänen von Fischereifahrzeugen im Fischereilogbuch aufgezeichneten Daten automatisch zu übermitteln, sondern diese Daten bearbeiten muss, bevor sie sie der Kommission übermittelt. |
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Was zweitens den Zusammenhang betrifft, in dem die Art. 33 und 34 der Verordnung Nr. 1224/2009 stehen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass kein Bestandteil des Wortlauts der Art. 14 und 15 der Verordnung Nr. 1224/2009 die Auslegung stützt, wonach es sich bei den in Art. 14 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Angaben um die einzigen sachdienlichen „Daten“ im Sinne der Art. 33 oder 34 dieser Verordnung handelt. |
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In diesem Rahmen sind auch die Art. 5, 9 und 109 der Verordnung Nr. 1224/2009 heranzuziehen. |
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Gemäß Art. 5 Abs. 5 dieser Verordnung ist die von dem Mitgliedstaat benannte einzige Kontrollbehörde u. a. dafür zuständig, die Erfassung, Verarbeitung und Zertifizierung von Informationen über Fischereitätigkeiten zu koordinieren und diese Informationen anschließend der Kommission mitzuteilen. Zu diesen Informationen gehören u. a. die in den Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 dieser Verordnung genannten Informationen. Nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1224/2009 setzen die Mitgliedstaaten zur wirksamen Überwachung der Fischereitätigkeiten der Fischereifahrzeuge unter ihrer Flagge, unabhängig vom Einsatzort dieser Fischereifahrzeuge, und von Fischereitätigkeiten in den Gewässern des Mitgliedstaats ein satellitengestütztes Schiffsüberwachungssystem (VMS) ein. |
36 |
Gemäß Art. 109 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1224/2009 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass alle nach dieser Verordnung aufgezeichneten Daten korrekt und vollständig sind. Zu diesem Zweck sieht Art. 109 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung vor, dass die Mitgliedstaaten verschiedene Angaben und Daten einem Abgleich sowie Analysen und Überprüfungen unterziehen, u. a. die Daten des Schiffsüberwachungssystems VMS und die Daten zu den Fangtätigkeiten, insbesondere Daten aus dem Fischereilogbuch, Anlandeerklärungen, Anmeldungen, Daten der Transportdokumente und Verkaufsbelege sowie Daten der Fanglizenzen und Fangerlaubnisse. |
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Art. 109 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1224/2009 bestimmt schließlich, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie Unstimmigkeiten zwischen den erhobenen Informationen und den aufgezeichneten Daten feststellen, die erforderlichen Untersuchungen durchführen und bei begründetem Verdacht, dass ein Verstoß begangen wurde, die erforderlichen Maßnahmen treffen. |
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Somit zielen Art. 5 Abs. 5 sowie Art. 109 Abs. 2 und 5 der Verordnung Nr. 1224/2009 darauf ab, dass die Mitgliedstaaten der Kommission korrekte und vollständige Daten übermitteln und hierzu gegebenenfalls Überprüfungen vornehmen. Aus dem Wortlaut von Art. 5 dieser Verordnung ergibt sich auch, dass die von einem Mitgliedstaat benannte einzige Kontrollbehörde sich nicht darauf beschränken darf, die von ihr erhobenen Informationen der Kommission automatisch zu übermitteln, sondern diese Informationen bearbeiten und überprüfen sowie gegebenenfalls die erforderlichen Maßnahmen treffen muss. |
39 |
Somit bestätigt der Zusammenhang, in dem die Art. 33 und 34 der Verordnung Nr. 1224/2009 stehen, die in Rn. 32 des vorliegenden Urteils dargestellte Auslegung. Eine einzige Kontrollbehörde und damit der Mitgliedstaat, um dessen Behörde es sich handelt, könnten die ihnen nach dieser Verordnung obliegenden Pflichten nicht erfüllen, wenn diese Behörde nicht die Zuverlässigkeit und die Richtigkeit der von ihr erhobenen Daten überprüfen könnte und sich darauf beschränkte, die von den Schiffskapitänen im Fischereilogbuch aufgezeichneten Daten automatisch zu übermitteln. |
40 |
Drittens ist hinsichtlich des Zwecks, der mit der Verordnung Nr. 1224/2009 verfolgt wird, darauf hinzuweisen, dass diese im Rahmen der GFP steht, deren Erhaltungsziele in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1380/2013 festgelegt sind. Nach dieser Vorschrift stellt die GFP sicher, dass Fischerei- und Aquakulturtätigkeiten langfristig umweltverträglich sind und auf eine Art und Weise durchgeführt werden, die mit den Zielen der Erreichung eines wirtschaftlichen, sozialen und beschäftigungspolitischen Nutzens und eines Beitrags zum Nahrungsmittelangebot vereinbar ist. |
41 |
Die Mitgliedstaaten können aber nur dann die Nutzung der Quoten korrekt kontrollieren und zur Erreichung der in Art. 2 der Verordnung Nr. 1380/2013 niedergelegten Ziele der GFP beitragen, wenn sie sich vergewissern können, dass sie über korrekte und vollständige Angaben und Daten zu den Fangmöglichkeiten verfügen. |
42 |
Daher wäre es mit den Erhaltungszielen der GFP unvereinbar, der einzigen Kontrollbehörde die Befugnis abzusprechen, eine angemessene und wissenschaftliche Methode zur Überprüfung der im Fischereilogbuch aufgezeichneten Daten anzuwenden, um sich zu vergewissern, dass die der Kommission gemäß den Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 der Verordnung Nr. 1224/2009 zu übermittelnden Fangdaten richtig sind. |
43 |
Wie die Kommission geltend macht, müssten für die Auslegung, wonach die einzige Kontrollbehörde eine Mitteilung automatisch vornehmen müsste, ohne ihre Expertise unabhängig auszuüben, wenn sie wie hier aus triftigen Gründen zu der Überzeugung gelangt, dass die im Fischereilogbuch enthaltenen Daten unrichtig sind, klare Formulierungen verwendet werden – sei es in der Verordnung Nr. 1380/2013 oder in der Verordnung Nr. 1224/2009 –, was nicht der Fall ist. |
44 |
Außerdem steht diese Auslegung im Einklang mit der Rechtsprechung, die der Gerichtshof bereits im Rahmen des der Verordnung Nr. 1224/2009 vorangegangenen normativen Kontexts entwickelt hat. |
45 |
In Bezug auf Art. 9 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2241/87 des Rates vom 23. Juli 1987 zur Festlegung bestimmter Maßnahmen zur Kontrolle der Fischereitätigkeit (ABl. 1987, L 207, S. 1), wonach die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen hatten, dass alle Anlandungen von Beständen oder Gruppen von Beständen, für die eine TAC oder eine Quotenregelung gilt, im Register verzeichnet werden, und diese Informationen der Kommission mitzuteilen hatten, hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, dass diese Vorschrift nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie sich auf die Verpflichtung zur fristgemäßen Übermittlung der von den Mitgliedstaaten gesammelten Daten beschränkt. Vielmehr haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass die übermittelten Daten richtig sind. Daher wies der Gerichtshof die Argumentation des betreffenden Mitgliedstaats zurück, die Mitgliedstaaten seien nach der genannten Vorschrift lediglich zur Übermittlung der in den Logbüchern enthaltenen Informationen ohne Prüfung ihrer Richtigkeit verpflichtet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. November 2002, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑454/99, EU:C:2002:652, Rn. 47 und 48). |
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Nach alledem sind Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 der Verordnung Nr. 1224/2009 dahin auszulegen, dass die einzige Kontrollbehörde eines Mitgliedstaats der Kommission nicht nur die von den Kapitänen von Fischereifahrzeugen nach den Art. 14 und 15 dieser Verordnung im Fischereilogbuch aufgezeichneten Daten mitteilen darf, sondern eine angemessene, wissenschaftlich fundierte Methode wie die sogenannte „Verbrachte Zeit“-Methode zur Bearbeitung dieser Daten anwenden kann, um sich zu vergewissern, dass die Fangzahlen, die sie der Kommission mitteilt, richtig sind. |
Kosten
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Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 33 Abs. 2 Buchst. a und Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates vom 20. November 2009 zur Einführung einer Kontrollregelung der Union zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 847/96, (EG) Nr. 2371/2002, (EG) Nr. 811/2004, (EG) Nr. 768/2005, (EG) Nr. 2115/2005, (EG) Nr. 2166/2005, (EG) Nr. 388/2006, (EG) Nr. 509/2007, (EG) Nr. 676/2007, (EG) Nr. 1098/2007, (EG) Nr. 1300/2008, (EG) Nr. 1342/2008 sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 2847/93, (EG) Nr. 1627/94 und (EG) Nr. 1966/2006 in der durch die Verordnung (EU) 2015/812 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die einzige Kontrollbehörde eines Mitgliedstaats der Europäischen Kommission nicht nur die von den Kapitänen von Fischereifahrzeugen nach den Art. 14 und 15 dieser Verordnung im Fischereilogbuch aufgezeichneten Daten mitteilen darf, sondern eine angemessene, wissenschaftlich fundierte Methode wie die sogenannte „Verbrachte Zeit“-Methode zur Bearbeitung dieser Daten anwenden kann, um sich zu vergewissern, dass die Fangzahlen, die sie der Kommission mitteilt, richtig sind. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.