URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

28. Oktober 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Art. 4, 6 und 11 – Verletzungsklage – Nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Erscheinungsform eines Teils eines Erzeugnisses – Schutzvoraussetzungen – Bauelement eines komplexen Erzeugnisses – Eigenart – Handlung der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit“

In der Rechtssache C‑123/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 4. März 2020, in dem Verfahren

Ferrari SpA

gegen

Mansory Design & Holding GmbH,

WH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan, des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos und des Richters M. Ilešič (Berichterstatter),

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Ferrari SpA, vertreten durch Rechtsanwälte R. Pansch und A. Sabellek,

der Mansory Design & Holding GmbH sowie von WH, vertreten durch Rechtsanwältin B. Ackermann,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und T. Machovičová als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier, T. Scharf und J. Samnadda als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ferrari SpA auf der einen Seite und der Mansory Design & Holding GmbH (im Folgenden: Mansory Design) sowie deren Geschäftsführer WH auf der anderen Seite wegen einer Verletzungsklage und Annexanträgen aufgrund der angeblichen Verletzung von Rechten aus einem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

Rechtlicher Rahmen

3

In den Erwägungsgründen 6, 7, 16, 17, 21 und 25 der Verordnung Nr. 6/2002 heißt es:

„(6)

Da die Ziele der beabsichtigten Aktion, nämlich insbesondere der Schutz eines Geschmacksmusters in einem einzigen Gebiet, das alle Mitgliedstaaten umfasst, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Schaffung eines gemeinschaftlichen Geschmacksmusters und einer entsprechenden Gemeinschaftsbehörde besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die [Union] im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. …

(7)

Ein verbesserter Schutz für gewerbliche Geschmacksmuster fördert deshalb nicht nur den Beitrag einzelner Entwerfer zu der herausragenden Gesamtleistung der Gemeinschaft auf diesem Gebiet, sondern ermutigt auch zur Innovation und zur Entwicklung neuer Erzeugnisse sowie zu Investitionen für ihre Herstellung.

(16)

Einige … Wirtschaftszweige [der Union] bringen zahlreiche Geschmacksmuster für Erzeugnisse hervor, die häufig nur eine kurze Lebensdauer auf dem Markt haben; für sie ist ein Schutz ohne Eintragungsformalitäten vorteilhaft und die Schutzdauer von geringerer Bedeutung. Andererseits gibt es Wirtschaftszweige, die die Vorteile der Eintragung wegen ihrer größeren Rechtssicherheit schätzen und der Möglichkeit einer längeren, der absehbaren Lebensdauer ihrer Erzeugnisse auf dem Markt entsprechenden Schutzdauer bedürfen.

(17)

Hierfür sind zwei Schutzformen notwendig, nämlich ein kurzfristiges nicht eingetragenes Geschmacksmuster und ein längerfristiges eingetragenes Geschmacksmuster.

(21)

Der ausschließliche Charakter des Rechts aus dem eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster steht mit seiner größeren Rechtssicherheit im Einklang. Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster sollte dagegen nur das Recht verleihen, Nachahmungen zu verhindern. Der Schutz kann sich somit nicht auf Erzeugnisse erstrecken, für die Geschmacksmuster verwendet werden, die das Ergebnis eines selbständigen Entwurfs eines anderen Entwerfers sind; dieses Recht sollte sich auch auf den Handel mit Erzeugnissen erstrecken, in denen nachgeahmte Geschmacksmuster verwendet werden.

(25)

Wirtschaftszweige, die sehr viele möglicherweise kurzlebige Geschmacksmuster während kurzer Zeiträume hervorbringen, von denen vielleicht nur einige tatsächlich vermarktet werden, werden das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster vorteilhaft finden. …“

4

Art. 1 („Gemeinschaftsgeschmacksmuster“) dieser Verordnung bestimmt in Abs. 2 Buchst. a:

„Ein Geschmacksmuster wird:

a)

durch ein ‚nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster‘ geschützt, wenn es in der in dieser Verordnung vorgesehenen Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird“.

5

Art. 3 („Begriffe“) dieser Verordnung sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet:

a)

‚Geschmacksmuster‘ die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt;

b)

‚Erzeugnis‘ jeden industriellen oder handwerklichen Gegenstand, einschließlich – unter anderem – der Einzelteile, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen, Verpackung, Ausstattung, graphischen Symbolen und typographischen Schriftbildern; ein Computerprogramm gilt jedoch nicht als ‚Erzeugnis‘;

c)

‚komplexes Erzeugnis‘ ein Erzeugnis aus mehreren Bauelementen, die sich ersetzen lassen, so dass das Erzeugnis auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann.“

6

In Art. 4 („Schutzvoraussetzungen“) Abs. 1 und 2 der Verordnung heißt es:

„(1)   Ein Geschmacksmuster wird durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

(2)   Ein Geschmacksmuster, das in einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, gilt nur dann als neu und hat nur dann Eigenart:

a)

wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt, und

b)

soweit diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen.“

7

Art. 5 („Neuheit“) der Verordnung Nr. 6/2002 sieht in Abs. 1 Buchst. a vor:

„Ein Geschmacksmuster gilt als neu, wenn der Öffentlichkeit:

a)

im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird,

kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist.“

8

Art. 6 („Eigenart“) dieser Verordnung bestimmt in Abs. 1 Buchst. a:

„Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, und zwar:

a)

im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird“.

9

Art. 7 („Offenbarung“) dieser Verordnung sieht in Abs. 1 vor:

„Im Sinne der Artikel 5 und 6 gilt ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es nach der Eintragung oder auf andere Weise bekannt gemacht, oder wenn es ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, und zwar vor dem in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a) und Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a) beziehungsweise in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b) und Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zeitpunkt, es sei denn, dass dies den in der [Union] tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf nicht bekannt sein konnte. Ein Geschmacksmuster gilt jedoch nicht als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es lediglich einem Dritten unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit offenbart wurde.“

10

Art. 11 („Schutzdauer des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1)   Ein Geschmacksmuster, das die im 1. Abschnitt genannten Voraussetzungen erfüllt, wird als ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster für eine Frist von drei Jahren geschützt, beginnend mit dem Tag, an dem es der Öffentlichkeit innerhalb der [Union] erstmals zugänglich gemacht wurde.

(2)   Im Sinne des Absatzes 1 gilt ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit innerhalb der [Union] zugänglich gemacht, wenn es in solcher Weise bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, dass dies den in der [Union] tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte. Ein Geschmacksmuster gilt jedoch nicht als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn es lediglich einem Dritten unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit offenbart wurde.“

11

In Art. 19 („Rechte aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster“) der Verordnung Nr. 6/2002 heißt es:

„(1)   Das eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gewährt seinem Inhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen und Dritten zu verbieten, es ohne seine Zustimmung zu benutzen. Die erwähnte Benutzung schließt insbesondere die Herstellung, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Einfuhr, die Ausfuhr oder die Benutzung eines Erzeugnisses, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, oder den Besitz des Erzeugnisses zu den genannten Zwecken ein.

(2)   Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gewährt seinem Inhaber das Recht, die in Absatz 1 genannten Handlungen zu verbieten, jedoch nur, wenn die angefochtene Benutzung das Ergebnis einer Nachahmung des geschützten Musters ist.

Die angefochtene Benutzung wird nicht als Ergebnis einer Nachahmung des geschützten Geschmacksmusters betrachtet, wenn sie das Ergebnis eines selbständigen Entwurfs eines Entwerfers ist, von dem berechtigterweise angenommen werden kann, dass er das von dem Inhaber offenbarte Muster nicht kannte.

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

12

Ferrari ist ein in Italien ansässiger Hersteller von Renn- und Sportwagen. Ihr Spitzenmodell FXX K, das nur in sehr begrenzter Stückzahl hergestellt wurde, ist ausschließlich für das Fahren auf Rennstrecken vorgesehen.

13

Ferrari stellte das Modell FXX K der Öffentlichkeit erstmals in einer Pressemitteilung vom 2. Dezember 2014 vor. Diese Pressemitteilung enthielt die folgenden beiden Fotografien, die eine Seitenansicht bzw. eine Frontansicht des Fahrzeugs zeigen:

Image

14

Den Ferrari FXX K gibt es in zwei Varianten, die sich nur durch die Farbe des „V“ auf der Fronthaube unterscheiden. Bei der ersten Variante ist dieses „V“ schwarz mit Ausnahme seiner unteren Spitze, die in der Grundfarbe des betreffenden Fahrzeugs lackiert ist. Bei der zweiten Variante ist dieses „V“ vollständig schwarz lackiert.

15

Mansory Design, deren Geschäftsführer WH ist, ist ein Unternehmen, das „Tuning“ von hochwertigen Fahrzeugen anbietet. Beide sind in Deutschland ansässig. Seit 2016 produziert und vertreibt Mansory Design sogenannte „Tuning-Bausätze“, mit denen die Erscheinungsform des Ferrari 488 GTB – ein seit 2015 erhältliches, serienmäßig hergestelltes Straßenmodell – so verändert werden kann, dass sie der des Ferrari FXX K nahekommt.

16

Mansory Design bietet mehrere Kits an, mit denen die Erscheinungsform des Ferrari 488 GTB verändert werden kann, darunter zwei Versionen des Front kits, die die beiden Varianten des Ferrari FXX K widerspiegeln. In der ersten Version ist das „V“ auf der Fronthaube schwarz mit Ausnahme seiner unteren Spitze, während es in der zweiten Version vollständig schwarz lackiert ist. Bei einem vollständigen Umbau des Ferrari 488 GTB wird ein Großteil der sichtbaren Karosserieverkleidung ausgetauscht. Im März 2016 stellte Mansory Design auf dem Internationalen Autosalon in Genf (Schweiz) ein so umgebautes Fahrzeug unter dem Namen Mansory Siracusa 4XX vor.

17

Ferrari ist der Auffassung, Mansory Design verletze mit dem Vertrieb dieser Bauteile ein oder mehrere zu ihren Gunsten bestehende nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

18

Der Vertrieb der Front kits stelle eine Verletzung eines ersten zu ihren Gunsten bestehenden nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters dar, das aus dem Teilbereich ihres Modells FXX K bestehe, der sich aus dem V-förmigen Element auf der Fronthaube, dem mittig aus diesem Element herausragenden in Längsrichtung angeordneten flossenartigen Element (d. h. dem „Strake“), dem in die Stoßstange integrierten zweischichtigen Frontspoiler und dem mittigen vertikalen Verbindungssteg, der den Frontspoiler mit der Fronthaube verbinde, zusammensetze. Dieser Bereich werde als Einheit verstanden, die die individuellen „Gesichtszüge“ dieses Fahrzeugs bestimme und gleichzeitig die Assoziation mit einem Flugzeug oder einem Formel-1-Wagen wecke. Dieses nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster sei mit Veröffentlichung der Pressemitteilung vom 2. Dezember 2014 entstanden.

19

Hilfsweise machte Ferrari geltend, ihr stehe ein zweites durch die Pressemitteilung vom 2. Dezember 2014, spätestens aber durch die Veröffentlichung eines Films mit dem Titel „Ferrari FXX K – The Making Of“ am 3. April 2015 entstandenes nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster an dem zweischichtigen Frontspoiler zu, das durch den Vertrieb der Front kits durch Mansory Design ebenfalls verletzt worden sei.

20

Weiter hilfsweise stützte Ferrari ihre Klage auf ein drittes nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster im Hinblick auf eine weitere in der Pressemitteilung vom 2. Dezember 2014 enthaltene Fotografie des Fahrzeugs in einer Schrägansicht, das sich auf die daraus ersichtliche Gesamtgestaltung des Ferrari FXX K erstrecke.

21

Außerdem machte Ferrari in Bezug auf die im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zum Kauf angebotenen Bauteile Ansprüche aus lauterkeitsrechtlichem Nachahmungsschutz geltend.

22

Erstinstanzlich beantragte Ferrari auf diesen verschiedenen Grundlagen die Unterlassung der Herstellung, des Anbietens, des Inverkehrbringens, des Ein- und Ausführens, der Benutzung oder des Besitzes der Anbauteile in der gesamten Europäischen Union und stellte mehrere Annexanträge, und zwar auf Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung der in Rede stehenden Erzeugnisse und Schadensersatzfeststellung. Das Landgericht Düsseldorf (Deutschland) wies die Klage insgesamt ab.

23

Ferrari legte gegen diese Entscheidung beim Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) Berufung ein und erklärte ihre Unterlassungsanträge sowie ihre Anträge auf Rückruf und Vernichtung der in Rede stehenden Erzeugnisse, soweit sie auf die geltend gemachten Gemeinschaftsgeschmacksmusterrechte gestützt waren, wegen des Ablaufs der fraglichen Rechte am 3. Dezember 2017 für erledigt. Insbesondere die Anträge auf Ersatz ihres Schadens hielt Ferrari hingegen aufrecht.

24

Das Berufungsgericht erklärte die auf der Grundlage dieser nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestellten Anträge für unbegründet und wies die Berufung von Ferrari zurück. Das erste beanspruchte Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das den in Rn. 18 des vorliegenden Urteils beschriebenen Teil des Ferrari FXX K betreffe, habe nie bestanden, da Ferrari nicht dargetan habe, dass die Mindestvoraussetzung einer gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form erfüllt gewesen sei. Auch das zweite von Ferrari beanspruchte Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das sich auf die Erscheinungsform des zweischichtigen Frontspoilers beziehe, bestehe nicht, weil es ebenfalls nicht die Voraussetzung der Geschlossenheit der Form erfülle. Das dritte beanspruchte Geschmacksmuster, das die Gesamtgestaltung des Ferrari FXX K betreffe, bestehe zwar, sei aber von Mansory Design nicht verletzt worden.

25

Hiergegen legte Ferrari Revision zum Bundesgerichtshof (Deutschland) ein. Dieses Gericht, das die Revision zuließ, ist der Auffassung, dass die Entscheidung darüber von der Auslegung der Verordnung Nr. 6/2002 und insbesondere davon abhänge, unter welchen Voraussetzungen die Erscheinungsform eines Teils eines Erzeugnisses, im vorliegenden Fall die von Ferrari beanspruchte Erscheinungsform eines Teils des Modells FXX K, gemäß dieser Verordnung als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt werden kann.

26

In diesem Rahmen fragt sich das vorlegende Gericht zum einen, ob, wenn die Abbildung eines Erzeugnisses in seiner Gesamtheit im Sinne von Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, damit auch die Geschmacksmuster der Teile dieses Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

27

Für den Fall, dass dies so sein sollte, fragt es sich zum anderen, ob die Erscheinungsform eines Teils eines Erzeugnisses, um ein getrenntes Geschmacksmuster darstellen zu können, das sich von dem Geschmacksmuster dieses Erzeugnisses unterscheidet, entsprechend der Entscheidung des Berufungsgerichts eine gewisse Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form aufweisen muss, die die Feststellung erlaubt, dass die Erscheinungsform dieses Teils nicht vollständig in der Erscheinungsform des in Rede stehenden Erzeugnisses untergeht und vielmehr einen von dessen Gesamtform unabhängigen Gesamteindruck hervorruft.

28

Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Können durch die Offenbarung einer Gesamtabbildung eines Erzeugnisses gemäß Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster an einzelnen Teilen des Erzeugnisses entstehen?

2.

Für den Fall, dass die Frage 1 bejaht wird:

Welcher rechtliche Maßstab ist im Rahmen der Prüfung der Eigenart nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 bei der Ermittlung des Gesamteindrucks im Falle eines Bauelements anzulegen, das – wie etwa ein Teil einer Fahrzeugkarosserie – in ein komplexes Erzeugnis eingefügt wird? Darf insbesondere darauf abgestellt werden, ob die Erscheinungsform des Bauelements in der Wahrnehmung des informierten Benutzers nicht vollständig in der Erscheinungsform des komplexen Erzeugnisses untergeht, sondern eine gewisse Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form aufweist, die es ermöglicht, einen von der Gesamtform unabhängigen ästhetischen Gesamteindruck festzustellen?

Zu den Vorlagefragen

29

Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 dahin auszulegen ist, dass, wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wie bei der Veröffentlichung von Fotografien eines Fahrzeugs, dies dazu führen kann, dass ein Geschmacksmuster an einem Teil oder einem Bauelement dieses Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, und, wenn ja, inwiefern die Erscheinungsform eines Teils eines Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung oder eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung im Verhältnis zum Gesamterzeugnis eigenständig sein muss, damit geprüft werden kann, ob diese Erscheinungsform Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung hat.

30

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass ein Geschmacksmuster nach Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 „die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt“, bezeichnet. Folglich ist die Erscheinungsform im Rahmen der in der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehenen Systematik das entscheidende Merkmal eines Geschmacksmusters (Urteile vom21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles, C‑361/15 P und C‑405/15 P, EU:C:2017:720, Rn. 62, sowie vom 8. März 2018, DOCERAM, C‑395/16, EU:C:2018:172, Rn. 25).

31

Zum Ziel der Verordnung Nr. 6/2002 ist festzustellen, dass sie nach ihren Erwägungsgründen 6 und 7 den Schutz der Geschmacksmuster in einem einzigen Gebiet, das alle Mitgliedstaaten umfasst, und einen verbesserten Schutz für gewerbliche Geschmacksmuster einführt, der auch zur Innovation und zur Entwicklung neuer Erzeugnisse sowie zu Investitionen für ihre Herstellung ermutigt. Der Gerichtshof hat zudem bereits entschieden, dass mit der Verordnung das Ziel eines wirksamen Schutzes der Gemeinschaftsgeschmacksmuster verfolgt wird (Urteil vom 27. September 2017, Nintendo, C‑24/16 und C‑25/16, EU:C:2017:724, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Darüber hinaus geht aus den Erwägungsgründen 16 und 25 der Verordnung Nr. 6/2002 hervor, dass der Unionsgesetzgeber mit der Einführung der Regelung über das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster im Hinblick auf die Förderung der Innovation beabsichtigte, Geschmacksmuster zu schützen, die für Erzeugnisse, die nur eine kurze Lebensdauer auf dem Markt haben, benutzt werden oder in diesen verwendet werden und für die ihre Entwerfer einen schnellen und wirksamen Schutz ohne Eintragungsformalitäten wünschen und die Schutzdauer von geringerer Bedeutung ist.

33

Die materiellen Voraussetzungen für die Entstehung des Schutzes eines – eingetragenen oder nicht eingetragenen – Gemeinschaftsgeschmacksmusters, d. h. die Neuheit und die Eigenart im Sinne der Art. 4 bis 6 der Verordnung Nr. 6/2002, sind für Erzeugnisse und Teile davon dieselben. Für den Schutz der Erscheinungsform eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses sind allerdings die in Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Erfordernisse zu beachten.

34

Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu ermitteln, ob die Bauteile der Karosserie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fahrzeugs „Teile eines Erzeugnisses“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 oder „Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses“ im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung darstellen. Es ist jedoch Aufgabe des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht alle für die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit sachdienlichen Hinweise zu geben (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 4. Juli 2019, Tronex, C‑624/17, EU:C:2019:564, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Das vorlegende Gericht fragt sich insbesondere, ob, wenn die Abbildung eines Erzeugnisses in seiner Gesamtheit im Sinne von Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, damit auch die Geschmacksmuster der Teile dieses Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

36

Hierzu ist zu bemerken, dass gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002, sofern die materiellen Schutzvoraussetzungen erfüllt sind, die formelle Voraussetzung für die Entstehung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist, dass es der Öffentlichkeit in der in Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehenen Weise zugänglich gemacht wurde. Gemäß dieser letztgenannten Bestimmung gilt ein Geschmacksmuster als der Öffentlichkeit innerhalb der Union zugänglich gemacht, „wenn es in solcher Weise bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, dass dies den in der [Union] tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte“.

37

Wie aus dieser Bestimmung hervorgeht, entsteht das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster an dem Tag, an dem es der Öffentlichkeit innerhalb der Union erstmals zugänglich gemacht wurde. Gemäß dieser Bestimmung wird ein Geschmacksmuster nämlich „zugänglich gemacht“, wenn es so offenbart wird, dass dies den in der Union tätigen „Fachkreisen“ des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf „bekannt sein konnte“. Dieses Kriterium kann erfüllt sein, wenn Abbildungen des in Rede stehenden Geschmacksmusters an in diesem Wirtschaftszweig tätige Händler verteilt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, H. Gautzsch Großhandel, C‑479/12, EU:C:2014:75, Rn. 30).

38

Damit die Zugänglichmachung des Geschmacksmusters eines Erzeugnisses in seiner Gesamtheit für die Öffentlichkeit die Offenbarung des Geschmacksmusters eines Teils davon bewirkt, ist es damit, wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, unabdingbar, dass die Erscheinungsform dieses Teils bei dieser Offenbarung klar erkennbar ist. Andernfalls können die Fachkreise nämlich nicht die in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 geforderte Kenntnis von dem betreffenden Teil des Erzeugnisses erlangen.

39

In Bezug auf eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass das sich aus der Verordnung Nr. 6/2002 ergebende Gemeinschaftssystem für Geschmacksmuster verlangt, dass die Wiedergabe eines Geschmacksmusters dieses klar erkennen lassen muss, damit die Wirtschaftsteilnehmer einschlägige Informationen über die Rechte Dritter erlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juli 2018, Mast-Jägermeister/EUIPO, C‑217/17 P, EU:C:2018:534, Rn. 54, 55 und 60). Diese Erwägungen sind auch in Bezug auf nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster von Belang, da die aktuellen und potenziellen Wettbewerber des Entwerfers oder des Verwerters des in Rede stehenden Geschmacksmusters auch in diesem Fall klare und genaue Informationen benötigen.

40

Allerdings bedeutet das Erfordernis der Erkennbarkeit des Schutzgegenstands, das zu einem gewissen Maß an Rechtssicherheit im Rahmen der Regelung über den Schutz nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster beiträgt, keine Pflicht für die Entwerfer, jeden einzelnen Teil ihrer Erzeugnisse, den sie durch ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt sehen möchten, gesondert zu offenbaren. Wie der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, liefe eine solche Pflicht dem Ziel der Einfachheit und Schnelligkeit zuwider, das, wie der Gerichtshof festgestellt hat, die Einführung des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gerechtfertigt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C‑345/13, EU:C:2014:2013, Rn. 42).

41

Wie der Generalanwalt in Nr. 76 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde zudem, wenn den Entwerfern im Namen der Rechtssicherheit von Dritten eine Pflicht zur gesonderten Offenbarung des Geschmacksmusters eines Teils eines Erzeugnisses vorgeschrieben würde, dies dem vom Unionsgesetzgeber im Rahmen der Regelung über den Schutz von nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern gewünschten Gleichgewicht zuwiderlaufen, das naturgemäß eine Absenkung des Niveaus dieser Sicherheit im Vergleich zu der, die sich aus eingetragenen Geschmacksmustern ergibt, bedeutet.

42

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Schutzniveau, das dem Inhaber eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters zugutekommt, ebenfalls vermindert ist. Zum einen wird der Inhaber gemäß Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 nur gegen die Nachahmung seines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters geschützt. Zum anderen ist die Dauer des den Inhabern von nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern eingeräumten Schutzes nach Art. 11 Abs. 1 dieser Verordnung auf drei Jahre ab dem Zeitpunkt, zu dem diese der Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht wurden, begrenzt.

43

Da der Unionsgesetzgeber keinen anderen Willen zum Ausdruck gebracht hat, ist Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 demnach dahin auszulegen, dass er den Entwerfern keine Pflicht auferlegt, jeden einzelnen Teil ihrer Erzeugnisse, den sie durch ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt sehen möchten, gesondert zu offenbaren.

44

Das Kriterium der Kenntniserlangung der Fachkreise von den die Offenbarung darstellenden Tatsachen setzt allerdings voraus, dass das Geschmacksmuster des Teils oder des Bauelements des Erzeugnisses klar erkennbar ist. Wenn wie im vorliegenden Fall die Offenbarungshandlung in der Veröffentlichung von Abbildungen eines Erzeugnisses besteht, müssen die Merkmale des Teils oder des Bauelements dieses Erzeugnisses, für den bzw. das das Geschmacksmuster beansprucht wird, daher klar sichtbar sein.

45

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es, wie der Gerichtshof zum Begriff „ein anderes Geschmacksmuster“ in Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 bereits entschieden hat, für die Beurteilung der Frage, ob das beanspruchte Geschmacksmuster Eigenart besitzt, möglich sein muss, dieses mit einem oder mehreren genau bezeichneten, einzeln benannten Geschmacksmustern, die aus der Gesamtheit der der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Geschmacksmuster ermittelt und bestimmt wurden, zu vergleichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C‑345/13, EU:C:2014:2013, Rn. 25). Hierfür ist unbedingt eine Abbildung erforderlich, auf der dieses beanspruchte Geschmacksmuster präzise und sicher zu erkennen ist.

46

Der Vergleich des von einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindrucks ist im Hinblick auf die gesamte Erscheinungsform jedes einzelnen dieser Geschmacksmuster vorzunehmen. Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 dahin auszulegen ist, dass sich für die Bejahung der Eigenart eines Geschmacksmusters der Gesamteindruck, den dieses beim informierten Benutzer hervorruft, nicht von dem Gesamteindruck, den eine Kombination isolierter Elemente von mehreren älteren Geschmacksmustern hervorruft, sondern von dem Gesamteindruck, den ein oder mehrere ältere Geschmacksmuster für sich genommen hervorrufen, unterscheiden muss (Urteil vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C‑345/13, EU:C:2014:2013‚ Rn. 35).

47

Daraus folgt, wie der Generalanwalt in Nr. 104 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass der Begriff „Eigenart“ im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht die Beziehungen zwischen dem Geschmacksmuster eines Erzeugnisses und den Geschmacksmustern der Teile, aus denen es besteht, sondern die Beziehung zwischen diesen Geschmacksmustern und anderen, älteren Geschmacksmustern regelt.

48

Zur Beurteilung dieser Eigenart im Hinblick auf den Gesamteindruck, den die Erscheinungsform des beanspruchten Geschmacksmusters beim informierten Benutzer hervorruft, ist auf die Definition des Begriffs „Geschmacksmuster“ in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 unter Berücksichtigung insbesondere der Merkmale der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe abzustellen.

49

Der Begriff „Teil davon“ ist mangels einer Definition in der Verordnung Nr. 6/2002 entsprechend dem Sinn, den er nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch hat, zu bestimmen (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Dezember 2017, Acacia und D’Amato, C‑397/16 und C‑435/16, EU:C:2017:992, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie der Generalanwalt in Nr. 107 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, handelt es sich um einen Teilbereich des „Ganzen“, den das Erzeugnis bildet. Damit die Erscheinungsform dieses Teilbereichs als Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt werden kann, muss dieser definitionsgemäß sichtbar sein. Gleiches gilt, wie aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 hervorgeht, wenn das beanspruchte Geschmacksmuster aus einem Bauelement eines komplexen Erzeugnisses besteht.

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Damit die Voraussetzungen für den Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster beurteilt werden können, muss daher der in Rede stehende Teil eines Erzeugnisses oder das in Rede stehende Bauelement eines komplexen Erzeugnisses sichtbar und durch Merkmale abgegrenzt sein, die seine besondere Erscheinungsform bilden, d. h. durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur. Dies setzt voraus, dass die Erscheinungsform dieses Teils eines Erzeugnisses oder dieses Bauelements eines komplexen Erzeugnisses geeignet sein muss, selbst einen „Gesamteindruck“ hervorzurufen, und nicht vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht.

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Folglich muss das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren prüfen, ob die Merkmale der Geschmacksmuster, die Ferrari für die Teile beansprucht, die die Karosserie des betreffenden Fahrzeugs bilden, die oben genannten Voraussetzungen für den Schutz als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster erfüllen.

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Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 dahin auszulegen ist, dass, wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wie bei der Veröffentlichung von Fotografien eines Fahrzeugs, dies dazu führt, dass ein Geschmacksmuster an einem Teil dieses Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung oder an einem Bauelement dieses Erzeugnisses als komplexem Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sofern die Erscheinungsform dieses Teils oder Bauelements bei dieser Offenbarung eindeutig erkennbar ist. Damit geprüft werden kann, ob diese Erscheinungsform die Voraussetzung der Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung erfüllt, ist es erforderlich, dass der in Rede stehende Teil oder das in Rede stehende Bauelement einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass, wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wie bei der Veröffentlichung von Fotografien eines Fahrzeugs, dies dazu führt, dass ein Geschmacksmuster an einem Teil dieses Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung oder an einem Bauelement dieses Erzeugnisses als komplexem Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sofern die Erscheinungsform dieses Teils oder Bauelements bei dieser Offenbarung eindeutig erkennbar ist.

 

Damit geprüft werden kann, ob diese Erscheinungsform die Voraussetzung der Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung erfüllt, ist es erforderlich, dass der in Rede stehende Teil oder das in Rede stehende Bauelement einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.