URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

28. Oktober 2021 ( *1 )

„Rechtsmittel – Schadensersatzklage – Außervertragliche Haftung – Instrument für Heranführungshilfe – Dezentrale Mittelverwaltung – Untersuchung des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) – Kontrollen vor Ort – Verordnung (Euratom, EG) Nr. 2185/96 – Art. 7 – Zugang zu EDV-Daten – Digitalforensische Maßnahme – Grundsatz des Vertrauensschutzes – Anhörungsrecht – Immaterieller Schaden“

In der Rechtssache C‑650/19 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 3. September 2019,

Vialto Consulting Kft. mit Sitz in Budapest (Ungarn), Prozessbevollmächtigte: D. Sigalas und S. Paliou, dikigoroi,

Klägerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch D. Triantafyllou, J. Baquero Cruz und A. Katsimerou als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen (Berichterstatter), und des Richters J.‑C. Bonichot,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2021,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. April 2021

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Vialto Consulting Kft. (im Folgenden: Vialto) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 26. Juni 2019, Vialto Consulting/Kommission (T‑617/17, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2019:446), mit dem das Gericht ihre Klage auf Ersatz des Schadens abgewiesen hat, der ihr durch vermeintlich rechtswidriges Verhalten der Europäischen Kommission und des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) im Zusammenhang mit ihrem Ausschluss von dem Dienstleistungsvertrag mit der Referenz TR2010/0311.01-02/001 (im Folgenden: fraglicher Vertrag) entstanden sein soll.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung (Euratom, EG) Nr. 2185/96

2

Art. 4 der Verordnung (Euratom, EG) Nr. 2185/96 des Rates vom 11. November 1996 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten (ABl. 1996, L 292, S. 2) lautet:

„Die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort werden von der Kommission vorbereitet und durchgeführt; dies erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, die rechtzeitig über Gegenstand, Ziel und Rechtsgrundlage der Kontrollen und Überprüfungen unterrichtet werden, damit sie die erforderliche Unterstützung gewähren können. Zu diesem Zweck können die Beauftragten des betreffenden Mitgliedstaats an den Kontrollen und Überprüfungen vor Ort teilnehmen.

Darüber hinaus werden die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort auf Wunsch des betreffenden Mitgliedstaats gemeinsam von der Kommission und dessen zuständigen Behörden durchgeführt.“

3

Art. 7 dieser Verordnung bestimmt:

(1)   Die Kontrolleure der Kommission haben unter denselben Bedingungen wie die Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen und unter Einhaltung der einzelstaatlichen Vorschriften Zugang zu allen Informationen und Unterlagen über die betreffenden Vorgänge, die sich für die ordnungsgemäße Durchführung der Kontrollen und Überprüfungen vor Ort als erforderlich erweisen. Sie können dieselben materiellen Kontrollmittel benutzen wie die Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen und insbesondere zweckdienliche Unterlagen kopieren.

Die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort können sich insbesondere erstrecken auf

EDV-Daten,

(2)   Erforderlichenfalls obliegt es den Mitgliedstaaten, auf Ersuchen der Kommission die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, um insbesondere Beweisstücke zu sichern.“

4

Art. 9 der Verordnung Nr. 2185/96 lautet:

„Widersetzen sich die in Artikel 5 genannten Wirtschaftsteilnehmer einer Kontrolle oder Überprüfung vor Ort, so gewährt der betreffende Mitgliedstaat den Kontrolleuren der Kommission in Übereinstimmung mit seinen nationalen Rechtsvorschriften die erforderliche Unterstützung, damit sie ihren Auftrag zur Durchführung der Kontrollen und Überprüfungen vor Ort erfüllen können.

Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften etwaige notwendige Maßnahmen zu treffen.“

Beschluss 1999/352/EG, EGKS, Euratom

5

Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 1999/352/EG, EGKS, Euratom der Kommission vom 28. April 1999 zur Errichtung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. 1999, L 136, S. 20) sieht in Unterabs. 1 vor:

„Das Amt übt die Befugnisse der Kommission zur Durchführung externer Verwaltungsuntersuchungen aus, welche dazu dienen, die Bekämpfung von Betrug, Korruption und allen anderen rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu verstärken, sowie die Befugnisse zur Betrugsbekämpfung bei allen sonstigen Tatsachen oder Handlungen, welche Verstöße gegen Gemeinschaftsbestimmungen darstellen.“

Verordnung (EG) Nr. 718/2007

6

Der erste Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 718/2007 der Kommission vom 12. Juni 2007 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1085/2006 des Rates zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA) (ABl. 2007, L 170, S. 1) lautet:

„Zweck der Verordnung (EG) Nr. 1085/2006 (nachstehend IPA-Verordnung genannt) ist es, den begünstigten Ländern Heranführungshilfe zu leisten und sie auf ihrem Weg von der Nennung in Anhang II über die Nennung in Anhang I der Verordnung bis zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu unterstützen.“

7

Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 718/2007 bestimmt:

„Sofern in den Absätzen 2, 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist, gilt für die Durchführung der Hilfe nach der IPA-Verordnung die dezentrale Mittelverwaltung, bei der die Kommission die Verwaltung bestimmter Maßnahmen dem begünstigten Land überträgt, jedoch die oberste Gesamtverantwortung für die Ausführung des Gesamthaushaltsplans nach Artikel 53c der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 [des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2002, L 248, S. 1)] und den einschlägigen Bestimmungen der Verträge behält.

Für die Zwecke der Hilfe nach der IPA-Verordnung gilt die dezentrale Mittelverwaltung mindestens für die Ausschreibung, die Auftragsvergabe und die Zahlungen.

…“

8

In Art. 21 Abs. 1 dieser Verordnung heißt es:

„Das begünstigte Land benennt die folgenden Stellen und Behörden:

f)

eine operative Struktur für jede IPA-Komponente oder jedes Programm;

…“

9

Art. 28 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)   Für jede IPA-Komponente oder jedes Programm wird eine operative Struktur für die Verwaltung und die Durchführung der Hilfe nach der IPA-Verordnung eingerichtet.

Die operative Struktur muss eine Stelle oder eine Gesamtheit von Stellen innerhalb der Verwaltung des begünstigten Landes sein.

(2)   Die operative Struktur ist für die Verwaltung und Durchführung des betreffenden Programms bzw. der betreffenden Programme nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung zuständig. Für diese Zwecke hat sie eine Reihe von Aufgaben zu erfüllen, zu denen es unter anderem gehört,

f)

für Ausschreibungsverfahren, Zuschussvergabeverfahren, den Abschluss der sich daraus ergebenden Verträge sowie die Zahlungen an den Endempfänger und die Wiedereinziehung von Mitteln beim Endempfänger zu sorgen;

…“

Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013

10

Art. 3 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates (ABl. 2013, L 248, S. 1) bestimmt:

„(1)   Das Amt übt die der Kommission durch die Verordnung (Euratom, EG) Nr. 2185/96 übertragenen Befugnisse zur Durchführung von Kontrollen und Überprüfungen vor Ort in den Mitgliedstaaten und – gemäß den geltenden Vereinbarungen über Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung und sonstigen geltenden Rechtsinstrumenten – in Drittstaaten und in den Räumlichkeiten internationaler Organisationen aus.

(2)   Zur Feststellung des Vorliegens von Betrug oder Korruption oder jedweder sonstigen rechtswidrigen Handlung zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, der bzw. die im Zusammenhang mit einer Finanzhilfevereinbarung, einem Finanzhilfebeschluss oder einem Vertrag über eine Finanzhilfe der Union verübt wurde, kann das Amt gemäß den in der Verordnung (Euratom, EG) Nr. 2185/96 festgelegten Bestimmungen und Verfahren bei Wirtschaftsteilnehmern vor Ort Kontrollen und Überprüfungen durchführen.

…“

11

In Art. 11 der Verordnung Nr. 883/2013 heißt es:

„(1)   Nach Abschluss einer vom Amt durchgeführten Untersuchung wird unter der verantwortlichen Leitung des Generaldirektors ein Bericht erstellt. Dieser Bericht gibt Aufschluss über die Rechtsgrundlage der Untersuchung, die durchgeführten Verfahrensschritte, den festgestellten Sachverhalt und seine vorläufige rechtliche Bewertung, die geschätzten finanziellen Auswirkungen des Sachverhalts, die Einhaltung der Verfahrensgarantien nach Artikel 9 sowie die Schlussfolgerungen der Untersuchung.

Dem Bericht werden Empfehlungen des Generaldirektors zu der Frage beigefügt, ob Maßnahmen ergriffen werden sollten oder nicht. In diesen Empfehlungen werden gegebenenfalls disziplinarische, verwaltungsrechtliche, finanzielle oder justizielle Maßnahmen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen sowie der zuständigen Behörden des betroffenen Mitgliedstaats genannt, wobei insbesondere Angaben zur geschätzten Höhe der wieder einzuziehenden Beträge sowie zur vorläufigen rechtlichen Bewertung des Sachverhalts gemacht werden.

(3)   Die nach Abschluss einer externen Untersuchung erstellten Berichte und Empfehlungen werden zusammen mit allen sachdienlichen Schriftstücken gemäß den für externe Untersuchungen geltenden Regelungen den zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten sowie erforderlichenfalls den zuständigen Dienststellen der Kommission übermittelt.

…“

OLAF‑interne Leitlinien zu digitalforensischen Arbeitsverfahren für die Bediensteten des OLAF

12

Art. 4 Abs. 3 und 4 der OLAF‑internen Leitlinien vom 15. Februar 2016 zu digitalforensischen Arbeitsverfahren für die Bediensteten des OLAF (im Folgenden: OLAF‑Leitlinien) bestimmt:

„(3)   Zu Beginn der digitalforensischen Maßnahme werden vom SDB [Spezialist für digitale Beweismittel] 1) sämtliche digitalen Speichermedien, die Gegenstand der forensischen Maßnahme sind, sowie deren physische Umgebung und ihre Anordnung dokumentiert und fotografiert und [wird] 2) eine Bestandsliste der digitalen Speichermedien erstellt. Die Bestandsliste wird in den Bericht über die digitalforensische Maßnahme aufgenommen, und die Fotoaufnahmen werden dem Bericht beigefügt.

(4)   Grundsätzlich sollte der SDB eine vollständige digitalforensische Erfassung der in Artikel 3 erwähnten Geräte vornehmen. Soweit machbar, sollten der SDB und der Untersuchungsbeauftragte gemeinsam eine Sichtung dieser Geräte vornehmen, um festzustellen, ob sie für die Untersuchung möglicherweise relevante Daten enthalten und ob eine forensische Teilerfassung angezeigt wäre. Wenn dies der Fall ist, kann der SDB stattdessen eine forensische Teilerfassung der Daten vornehmen. Bei der Erfassung des digitalforensischen Abbilds werden eine kurze Beschreibung der Inhalte und das vom SDB hinzugefügte Aktenzeichen protokolliert.“

13

Art. 8 Abs. 2 und 4 der OLAF‑Leitlinien sieht vor:

„(2)   Das digitalforensische Abbild wird vom SDB auf den Forensik-Dateiserver im Forensiklabor übertragen. Die so übertragene Datei dient als forensische Arbeitsdatei. Sobald die forensische Arbeitsdatei fertiggestellt ist, unterrichtet der SDB den Untersuchungsbeauftragten.

(4)   Wenn die forensische Arbeitsdatei verfügbar ist, beantragt der Untersuchungsbeauftragte über das [CMS-Modul für Auskunftsersuchen] schriftlich die Indexierung der forensischen Arbeitsdatei und gegebenenfalls die Unterstützung des SDB oder des Spezialisten für operative Analyse bei der Ermittlung für die Untersuchung relevanter Daten. In dem letzteren Antrag ist anzugeben, worin das Ziel der Suchabfrage besteht und nach welcher Art von Beweisen und/oder Nachweisen der Untersuchungsbeauftragte sucht. Auf den schriftlichen Antrag des Untersuchungsbeauftragten hin extrahiert der SDB gemeinsam mit dem Untersuchungsbeauftragten aus der forensischen Arbeitsdatei die Daten, die den Suchkriterien entsprechen; der Untersuchungsbeauftragte hat nur Lesezugriff auf diese Daten.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

14

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 1 bis 23 des angefochtenen Urteils geschildert und kann für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie folgt zusammengefasst werden.

15

Vialto ist eine Gesellschaft ungarischen Rechts, die Unternehmen und Einrichtungen des privaten und des öffentlichen Sektors berät.

16

Am 22. April 2011 schloss die Europäische Kommission mit der Republik Türkei eine Finanzierungsvereinbarung nach dem System der dezentralen Mittelverwaltung mit Ex-ante-Kontrolle, die Teil des nationalen Programms für die Republik Türkei im Rahmen der Komponente „Hilfe beim Übergang und Institutionenaufbau“ des Instruments für Heranführungshilfe (IPA) war. Benannte operative Struktur im Sinne von Art. 21 der Verordnung Nr. 718/2007 war die Central Finance and Contracts Unit (CFCU), eine Stelle der türkischen Verwaltung.

17

Am 17. Dezember 2013 wurde in der Beilage zum Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2013/S 244-423607) unter dem Az. EuropeAid/132338/D/SER/TR für die Vergabe eines Auftrags im nicht offenen Verfahren ein Aufruf zum Wettbewerb für die Erbringung von Dienstleistungen der externen Qualitätskontrolle im Rahmen des Projekts TR2010/0311.01 „Digitization of Land Parcel Identification System“ (Digitalisierung des Systems zur Identifizierung landwirtschaftlicher Parzellen, im Folgenden: fragliches Projekt) veröffentlicht. In dem Aufruf zum Wettbewerb war die CFCU als öffentlicher Auftraggeber benannt.

18

Am 19. September 2014 wurde der mit dem genannten Aufruf zum Wettbewerb verbundene Auftrag an ein von der Agrotec SpA koordiniertes Konsortium (im Folgenden: Konsortium) vergeben, das aus fünf Mitgliedern, darunter Vialto, bestand. Das Konsortium unterzeichnete mit der CFCU den fraglichen Vertrag.

19

Nach der Einleitung einer Untersuchung wegen des Verdachts von Korruption und Betrug im Zusammenhang mit dem fraglichen Projekt beschloss das OLAF, in den Räumlichkeiten von Vialto Kontrollen und Überprüfungen durchzuführen (im Folgenden: Kontrolle vor Ort).

20

Am 7. April 2016 erteilte das OLAF zwei Mandate, in denen die für die Durchführung der Kontrolle vor Ort und einer digitalforensischen technischen Maßnahme verantwortlichen Bediensteten benannt waren. Diesen Mandaten zufolge bestand der Zweck der Kontrolle vor Ort darin, bei Vialto Beweise für ihre etwaige Verwicklung in die korruptiven und betrügerischen Handlungen zu sammeln, die im Rahmen des fraglichen Projekts mutmaßlich begangen worden waren. Zweck der digitalforensischen Maßnahme war es, u. a. ein digitalforensisches Abbild aller digitalen Geräten von Vialto, die für die Durchführung des fraglichen Projekts verwendet wurden, der E-Mail-Korrespondenz von Vialto und ihrer Mitarbeiter, der funktionalen Mailboxen, die für die Durchführung des fraglichen Projekts verwendet wurden, und der Dateien oder Verzeichnisse im Netz von Vialto, die für die Untersuchung relevant sein konnten, anzufertigen.

21

Die Kontrolle vor Ort und die digitalforensische Maßnahme wurden vom 12. bis 14. April 2016 durchgeführt. Zu jedem Kontrolltag wurde vom OLAF ein Protokoll angefertigt. In dem Protokoll zum 14. April 2016 war vermerkt, dass Vialto sich geweigert habe, dem OLAF gewisse Informationen vorzulegen. Ein Vertreter von Vialto unterschrieb alle Protokolle, gegebenenfalls mit Anmerkungen.

22

Mit Schreiben vom 6. Mai 2016 reichte Vialto beim OLAF eine Beschwerde ein, mit der sie bestimmte Angaben in diesen Protokollen beanstandete und kommentierte. Das OLAF beantwortete ihre Beschwerde mit Schreiben vom 8. Juli 2016.

23

Mit Schreiben vom 14. September 2016 teilte das OLAF Vialto mit, dass sie für die Zwecke der Untersuchung des Korruptions- bzw. Betrugsverdachts in Bezug auf das fragliche Projekt als Betroffene angesehen werde, und forderte sie auf, binnen zehn Tagen Stellung zu nehmen.

24

Mit Schreiben vom 23. September 2016 übermittelte Vialto dem OLAF ihre Stellungnahme und erklärte, dass sie im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen gehandelt und alle Bedingungen für einen rechtmäßigen Zugang des OLAF zu ihren Daten erfüllt habe.

25

Mit Schreiben vom 29. September 2016 unterrichtete die CFCU Agrotec über die Kontrolle vor Ort, die in den Räumlichkeiten von Vialto durchgeführt worden war, sowie darüber, dass Vialto dem OLAF keinen Zugang zu bestimmten Daten gewährt habe, die das OLAF angefordert habe, um seine Untersuchung durchführen zu können. Sie fügte hinzu, dass Vialto nach Ansicht des OLAF durch ihr Verhalten gegen Art. 25 der für den fraglichen Vertrag geltenden Allgemeinen Bedingungen (im Folgenden: Allgemeine Bedingungen), der Überprüfungen, Kontrollen und Audits durch die Behörden der Europäischen Union betreffe, verstoßen habe. Das OLAF prüfe die Situation zusammen mit den zuständigen Dienststellen der Kommission. Unter Hinweis darauf, dass Agrotec nach den Allgemeinen Bedingungen ihr einziger Ansprechpartner für alle den Vertrag und die Finanzierung betreffenden Fragen sei, teilte die CFCU Agrotec mit, sie werde die Bezahlung der von Agrotec vorgelegten Rechnungen vorsorglich zumindest bis zum Abschluss der Untersuchung des OLAF einstellen.

26

Mit Schreiben vom 13. Oktober 2016 teilte die Generaldirektion Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen der Kommission (im Folgenden: GD Erweiterung) der CFCU mit, dass sich Vialto entgegen Art. 25 der Allgemeinen Bedingungen geweigert habe, bei der vom OLAF durchgeführten Untersuchung zu kooperieren, und forderte sie auf, die nach diesen Allgemeinen Bedingungen gebotenen Maßnahmen zu ergreifen und insoweit die Aussetzung der Erfüllung des fraglichen Vertrags oder des auf Vialto entfallenden Teils als eine der möglichen Maßnahmen gemäß den Art. 25 und 35 der Allgemeinen Bedingungen in Betracht zu ziehen. Sie fügte hinzu, die aufgrund des fraglichen Vertrags an Vialto gezahlten Beträge könnten nach ihrer Ansicht nicht aus dem Unionshaushalt finanziert werden, und forderte die CFCU auf, diese Beträge genau zu beziffern.

27

Mit Schreiben vom 9. November 2016 teilte das OLAF Vialto mit, dass es seine Untersuchung abgeschlossen habe, dass sein abschließender Untersuchungsbericht der GD Erweiterung zugeleitet worden sei und dass es dieser empfohlen habe, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung der aus dem schwerwiegenden Verstoß von Vialto gegen die Allgemeinen Bedingungen resultierenden Verfahren und Sanktionen sicherzustellen.

28

Mit Schreiben vom 11. November 2016 unterrichtete die CFCU Agrotec über den Abschluss der Untersuchung des OLAF und über dessen Feststellung, dass Vialto gegen Art. 25 der Allgemeinen Bedingungen verstoßen habe. Die CFCU teilte Agrotec auch mit, sie habe beschlossen, Vialto vom fraglichen Vertrag vollständig auszuschließen, diesen aber weiterhin zu erfüllen, statt ihn ganz auszusetzen, wie es die GD Erweiterung als eine mögliche Maßnahme empfohlen habe. Die CFCU forderte Agrotec daher auf, die Tätigkeit von Vialto unverzüglich zu beenden und die erforderlichen Schritte für deren Ausschluss aus dem Konsortium zu unternehmen, d. h., einen entsprechenden Nachtrag zum fraglichen Vertrag abzufassen.

29

Mit Schreiben an die CFCU vom 5. Dezember 2016 wandte sich Vialto gegen ihren Ausschluss vom fraglichen Vertrag. Die CFCU wies ihr Vorbringen mit Schreiben vom 10. Januar 2017 zurück.

30

Am 13. Dezember 2016 unterzeichneten die CFCU und Agrotec einen Nachtrag zum fraglichen Vertrag, der die Streichung von Vialto aus der Liste der Mitglieder des Konsortiums und die daraus zu ziehenden Konsequenzen insbesondere finanzieller Art zum Gegenstand hatte.

Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

31

Mit am 7. September 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift beantragte Vialto, die Kommission zu verurteilen, ihr 320944,56 Euro und 150000 Euro zuzüglich Zinsen als Ersatz des materiellen bzw. des immateriellen Schadens zu zahlen, die ihr aufgrund des angeblich rechtswidrigen Verhaltens der Kommission und des OLAF im Zusammenhang mit ihrem Ausschluss vom fraglichen Vertrag entstanden seien.

32

Vialto stützte diese Klage zum einen auf zwei Rügen, mit denen sie ein rechtswidriges Verhalten des OLAF geltend machte, nämlich erstens einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 und zweitens eine Verletzung des Rechts auf eine gute Verwaltung, des Diskriminierungsverbots, des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes. Zum anderen erhob sie eine Rüge, mit der sie ein rechtswidriges Verhalten der Kommission geltend machte, nämlich die Verletzung ihres Anhörungsrechts.

33

In der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht nahm Vialto ihren Antrag auf Ersatz des materiellen Schadens zurück und reduzierte den Betrag, den sie als Entschädigung für den angeblich erlittenen immateriellen Schaden verlangte, auf 25000 Euro zuzüglich Zinsen.

34

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht, nachdem es entschieden hatte, dass die Kommission zu Unrecht seine Zuständigkeit und damit die Zulässigkeit der Klage beanstandet habe, sämtliche von Vialto gegen das OLAF und die Kommission erhobenen Rügen zurück.

35

Das Gericht stellte zunächst in den Rn. 69 bis 73 des angefochtenen Urteils fest, dass die Daten, zu denen die Bediensteten des OLAF im vorliegenden Fall Zugang verlangt hatten, als für die Untersuchung des OLAF relevant anzusehen seien und dass die Anfertigung eines digitalforensischen Abbilds zu den Befugnissen der Kommission nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 gehöre. Daraus zog es in den Rn. 74 bis 80 des angefochtenen Urteils den Schluss, dass die Bediensteten des OLAF mit ihrer Aufforderung, Vialto möge ihnen diese Daten zur Prüfung zugänglich machen, nicht gegen diese Bestimmung verstoßen hätten.

36

Das Gericht wies sodann das Vorbringen zurück, mit dem Vialto gerügt hatte, das OLAF habe das Recht auf eine gute Verwaltung, das Diskriminierungsverbot, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt. Nachdem das Gericht in Rn. 114 des angefochtenen Urteils auf die Voraussetzungen hingewiesen hatte, die erfüllt sein müssen, um den letztgenannten Grundsatz geltend machen zu können, stellte es in den Rn. 116 und 117 dieses Urteils fest, dass sich die Bediensteten des OLAF auf Vialtos Weigerung hin, ihrem rechtmäßigen Ersuchen, die Daten erheben zu dürfen, nachzukommen, im vorliegenden Fall bereit erklärt hätten, hinsichtlich des Ortes der Datenerhebung und ‑bearbeitung sowie des dafür verwendeten Datenträgers von der in den OLAF‑Leitlinien geregelten Vorgehensweise abzuweichen. Das Gericht zog daraus in Rn. 118 des angefochtenen Urteils den Schluss, Vialto könne sich nicht auf eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Grundsatzes des Schutzes des berechtigten Vertrauens berufen, das sie in die Anwendung einer sie begünstigenden abweichenden Praxis gesetzt habe, obwohl sie es abgelehnt habe, den Ersuchen nachzukommen, die die Bediensteten des OLAF im Einklang mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 an sie gerichtet hätten.

37

Schließlich wies das Gericht die Rüge zurück, mit der Vialto eine Verletzung ihres Anhörungsrechts durch die Kommission beanstandet hatte. Hierzu stellte es zum einen in Rn. 121 des angefochtenen Urteils fest, dass Vialto im Schreiben an das OLAF zu der Kontrolle vor Ort Stellung genommen habe, und führe zum anderen in Rn. 122 dieses Urteils aus, dass die Entscheidung, Vialto vom fraglichen Vertrag auszuschließen, von der CFCU getroffen worden sei, ohne dass diese durch eine in diesem Sinne lautende Stellungnahme der GD Erweiterung gebunden gewesen wäre.

38

Daher wies das Gericht die Klage von Vialto in vollem Umfang ab, ohne die Voraussetzungen des hinreichend direkten Ursachenzusammenhangs zwischen dem beanstandeten Verhalten und dem behaupteten Schaden sowie des Vorliegens des Schadens zu prüfen.

Anträge der Parteien

39

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt Vialto,

das angefochtene Urteil aufzuheben und

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

40

Für den Fall der Aufhebung stelle sie es in das Ermessen des Gerichtshofs, ob die Rechtssache zur Entscheidung an das Gericht zurückzuweisen sei.

41

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen und

Vialto die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

42

Vialto stützt ihr Rechtsmittel auf drei Gründe. Mit den ersten beiden macht sie geltend, dass dem Gericht Fehler unterlaufen seien, soweit es die beiden Rügen zurückgewiesen habe, die sich erstens auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 und zweitens auf eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes bezogen. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund macht sie Fehler geltend, die dem Gericht unterlaufen seien, soweit es die Rüge der Verletzung des Anhörungsrechts zurückgewiesen habe.

Zum ersten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96

Zum ersten und zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

– Vorbringen der Parteien

43

Mit dem ersten und dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht Vialto geltend, dem Gericht seien mehrere Fehler in Bezug auf die dem OLAF im Rahmen einer Kontrolle vor Ort zustehenden Datenzugangs- und Datenerhebungsbefugnisse unterlaufen.

44

Erstens habe das Gericht die Tatsachen in zweierlei Hinsicht verfälscht und sei anschließend in Rn. 80 des angefochtenen Urteils zu dem unzutreffenden Schluss gelangt, das OLAF habe nicht gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 verstoßen, als es von Vialto Zugang zu den in Rn. 71 dieses Urteils genannten Daten verlangt habe.

45

Zum einen gehe es in der Rechtssache, in der das angefochtene Urteil ergangen sei, darum, ob sich ein Verstoß gegen diese Bestimmung daraus ergebe, dass das OLAF verlangt habe, diese Daten erheben zu dürfen, und nicht darum, ob sich der Verstoß daraus ergebe, dass das OLAF Zugang zu diesen Daten verlangt habe.

46

Diese Verfälschung habe zu einer fehlerhaften Rechtsanwendung durch das Gericht geführt; dieses hätte nach Auffassung von Vialto das in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 vorgesehene Zugangsrecht dahin auslegen müssen, dass es einerseits ein sehr weites Untersuchungsrecht umfasse, das für alle in dieser Bestimmung genannten Arten von Daten gelte, und andererseits ein Erhebungsrecht, das auf die Daten beschränkt sei, die einen Zusammenhang mit den von der Kontrolle betroffenen Vorgängen aufwiesen.

47

Zum anderen habe das Gericht die Tatsachen verfälscht, indem es in Rn. 80 des angefochtenen Urteils nicht festgestellt habe, dass Vialto dem OLAF Zugang zu den fraglichen Daten gewährt habe. Insbesondere hätte das Gericht nach Ansicht von Vialto den ihrer Klageschrift beigefügten Anhang zum Protokoll des OLAF zum dritten Tag der Kontrolle berücksichtigen müssen. Aus diesem Dokument gehe nämlich hervor, dass sie dem OLAF vollständigen Zugang zu ihrem Buchhaltungssystem und zu ihren Transaktionen gewährt habe.

48

Zweitens werde im angefochtenen Urteil die in dessen Rn. 74 getroffene Feststellung nicht begründet, wonach die Daten, deren Erhebung das OLAF im vorliegenden Fall verlangt habe, im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 mit den betreffenden Vorgängen im Zusammenhang gestanden hätten und für die ordnungsgemäße Durchführung der Kontrolle vor Ort erforderlich gewesen seien. Diese Feststellung sei somit willkürlich.

49

Drittens sei diese Feststellung, die auch in Rn. 83 des angefochtenen Urteils aufgegriffen werde, mit einem Rechtsfehler behaftet, da vor einer Recherche nach Schlüsselwörtern nicht davon ausgegangen werden könne, dass sämtliche vom OLAF angeforderten Daten, insbesondere die gesamte Korrespondenz und der gesamte Inhalt der Rechner zweier Angestellter von Vialto sowie deren gesamter Server und eine Kopie ihrer sämtlichen Transaktionen seit 2012 mit den von der Untersuchung betroffenen Vorgängen im Zusammenhang stünden und für diese erforderlich seien und das OLAF daher berechtigt gewesen sei, sie zu erheben.

50

Viertens habe das Gericht die Tatsachen verfälscht, indem es in Rn. 75 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, Vialto habe sich lediglich der Erfassung dieser Daten auf Datenträgern, die in die Räumlichkeiten des OLAF verbracht werden mussten, widersetzt; sie habe sich jedoch von Beginn an allgemein der Erhebung von Daten, die mit dem kontrollierten Projekt nicht im Zusammenhang stünden, widersetzt.

51

Die Kommission beantragt, den ersten und den zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

52

Erstens kann das Vorbringen von Vialto, wonach das Gericht den Inhalt der Rüge verfälscht habe, mit der sie in ihrer Klageschrift geltend gemacht hatte, dass das dem OLAF vorgeworfene Verhalten wegen eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 rechtswidrig gewesen sei, keinen Erfolg haben.

53

Das Gericht hat nämlich in Rn. 62 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass Vialto dem OLAF vorwirft, verlangt zu haben, entgegen dieser Bestimmung Daten erheben zu dürfen, die nicht im Zusammenhang mit dem fraglichen Projekt stünden. Außerdem hat das Gericht in Rn. 75 des angefochtenen Urteils präzisiert, dass Vialto vorträgt, den Bediensteten des OLAF den Zugang zu sämtlichen angeforderten Daten gewährt und sich lediglich der Erhebung dieser Daten widersetzt zu haben.

54

Daher kann nicht angenommen werden, dass das Gericht die Klageschrift dahin interpretiert hat, dass sich diese Rüge auf die Frage bezieht, ob ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 in dem Verlangen des OLAF auf Zugang zu diesen Daten und nicht in der Erhebung dieser Daten zu sehen ist.

55

Zweitens ist zu dem Vorbringen von Vialto, das Gericht habe die Tatsachen verfälscht, indem es in Rn. 80 des angefochtenen Urteils nicht festgestellt habe, dass Vialto dem OLAF Zugang zu sämtlichen angeforderten Daten gewährt habe, darauf hinzuweisen, dass diese Randnummer das Ergebnis der Erwägungen des Gerichts zur Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 darstellt und keine Bewertung des Verhaltens von Vialto enthält. Daraus folgt, dass dieses Vorbringen auf einem falschen Verständnis dieser Randnummer beruht.

56

Selbst unter der Annahme, dass Vialto sich mit diesem Vorbringen gegen die Gründe wenden wollte, die das Gericht zu einer solchen Schlussfolgerung veranlasst haben, ist darauf hinzuweisen, dass die Rn. 63 bis 78 des angefochtenen Urteils nicht die Feststellung enthalten, dass Vialto dem OLAF den Zugang zu den in Rn. 71 des angefochtenen Urteils genannten Daten verweigert hätte.

57

Hingegen hat das Gericht in Rn. 79 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Bediensteten des OLAF die Kontrolle vor Ort und die digitalforensische Maßnahme beendeten, ohne dass Vialto ihnen die Daten übermittelt hatte, die nach Ansicht von Vialto unter das Berufsgeheimnis fielen oder von den Vertragsklauseln, auf die sie sich beruft, erfasst waren.

58

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Rechtsmittel gemäß Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf Rechtsfragen beschränkt ist. Für die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie für die Beweiswürdigung ist daher allein das Gericht zuständig. Die Würdigung dieser Tatsachen und Beweise ist somit, außer im Fall ihrer Verfälschung, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittels unterläge (Urteil vom 25. Februar 2021, Dalli/Kommission, C‑615/19 P, EU:C:2021:133, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59

Eine solche Verfälschung muss sich in offensichtlicher Weise aus den Akten ergeben, ohne dass es einer neuen Tatsachen- und Beweiswürdigung bedarf. Es obliegt dem Rechtsmittelführer, genau anzugeben, welche Tatsachen das Gericht verfälscht haben soll, und darzulegen, welche Beurteilungsfehler das Gericht seines Erachtens zu dieser Verfälschung veranlasst haben (Urteil vom 4. März 2020, Tulliallan Burlington/EUIPO, C‑155/18 P bis C‑158/18 P, EU:C:2020:151, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60

Vialto trägt im Wesentlichen vor, wenn das Gericht den Anhang des Protokolls des OLAF zum dritten Tag der Kontrolle vor Ort berücksichtigt hätte, in dem ihre Anmerkungen bezüglich des Verlaufs dieses Tags der Kontrolle vermerkt seien, hätte es feststellen müssen, dass Vialto dem OLAF vollständigen Zugang zu den angeforderten Daten gewährt habe.

61

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dieses Dokument die Anmerkungen von Vialto zur Durchführung der Kontrolle wiedergibt, so dass damit lediglich ihre Sichtweise dieser Durchführung nachgewiesen werden kann. Das Gericht hat in Rn. 75 des angefochtenen Urteils jedoch präzisiert, dass Vialto vorträgt, den Bediensteten des OLAF Zugang zu sämtlichen angeforderten Daten gewährt zu haben.

62

Daraus folgt, dass mit dem Vorbringen von Vialto der Nachweis nicht erbracht ist, dass das Gericht die maßgeblichen Tatsachen oder Beweise verfälscht hat. Dieses Vorbringen ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

63

Was drittens den angeblichen Begründungsmangel in Rn. 74 des angefochtenen Urteils betrifft, genügt der Hinweis, dass die Begründungspflicht nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs vom Gericht nicht verlangt, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln; die Begründung des Gerichts kann daher implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erfahren, aus denen das Gericht ihrer Argumentation nicht gefolgt ist, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollfunktion wahrnehmen kann (Urteil vom 25. Juni 2020, SatCen/KF, C‑14/19 P, EU:C:2020:492, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64

Im vorliegenden Fall hat das Gericht in den Rn. 66 bis 73 des angefochtenen Urteils seine Feststellung begründet, dass die Daten, die das OLAF verlangt habe, erheben zu dürfen, im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 mit den betreffenden Vorgängen im Zusammenhang gestanden hätten und für die ordnungsgemäße Durchführung der Kontrolle vor Ort erforderlich gewesen seien.

65

Aus diesen Randnummern geht hervor, dass diese Feststellung vor allem auf den Wortlaut dieser Vorschrift gestützt ist, aus der sich nach Ansicht des Gerichts ergibt, dass das OLAF zum einen berechtigt ist, Zugang zu sämtlichen Informationen und Unterlagen, die den Sachverhalt betreffen, der Gegenstand seiner Untersuchung ist, zu erhalten und Kopien der Dokumente anzufertigen, die für die Durchführung der Kontrolle vor Ort erforderlich sind, und zum anderen bei der Bestimmung der für diesen Zweck erheblichen Daten über einen gewissen Beurteilungsspielraum verfügt. Sodann hat sich das Gericht auf den Zweck der vom OLAF im vorliegenden Fall durchgeführten Untersuchung und die angeforderten Daten gestützt, die nach seiner Auffassung in die in dieser Vorschrift genannte Kategorie fallen. Schließlich hat das Gericht auf die Besonderheiten der digitalforensischen Maßnahme hingewiesen, insbesondere die Erforderlichkeit, eine Indexierung der Daten durchzuführen, indem digitale Abbilder der betreffenden Daten angefertigt werden, um die für die Untersuchung relevanten Dokumente identifizieren zu können.

66

Diese Begründung ist ausreichend, um zum einen Vialto zu ermöglichen, die Gründe zu verstehen, aus denen ihrer Argumentation nicht gefolgt wurde, und zum anderen den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, seine Kontrolle auszuüben. Die von Vialto geltend gemachte Rüge des Begründungsmangels ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

67

Was viertens den behaupteten Rechtsfehler bezüglich der Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in Rn. 74 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass die Daten, die das OLAF im vorliegenden Fall verlangt habe, erheben zu dürfen, mit den betreffenden Vorgängen im Zusammenhang gestanden hätten und für die ordnungsgemäße Durchführung der Kontrolle vor Ort erforderlich gewesen seien. Zudem hat das Gericht in Rn. 80 des angefochtenen Urteils entschieden, dass das OLAF mit seiner Aufforderung, Vialto möge ihm diese Daten zur Prüfung zugänglich machen, nicht gegen diese Bestimmung verstoßen habe.

68

Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 sieht insoweit vor, dass die Kontrolleure der Kommission unter denselben Bedingungen wie die Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen und unter Einhaltung der einzelstaatlichen Vorschriften Zugang zu allen Informationen und Unterlagen über die betreffenden Vorgänge haben, die sich für die ordnungsgemäße Durchführung der Kontrollen und Überprüfungen vor Ort als erforderlich erweisen. Sie können nach dieser Vorschrift dieselben materiellen Kontrollmittel wie die Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen benutzen und insbesondere zweckdienliche Unterlagen kopieren. Zudem können sich die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort insbesondere auf EDV-Daten erstrecken.

69

Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 1999/352 und aus Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2013, dass die der Kommission durch die Verordnung Nr. 2185/96 eingeräumte Befugnis zur Durchführung von Kontrollen und Überprüfungen vor Ort vom OLAF ausgeübt wird.

70

Aus der Kombination dieser Vorschriften ergibt sich, dass die Bediensteten des OLAF im Rahmen einer Kontrolle vor Ort unter denselben Bedingungen wie die Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen und unter Einhaltung der einzelstaatlichen Vorschriften Zugang zu allen Informationen, einschließlich EDV-Daten haben, die sich für die ordnungsgemäße Durchführung der Kontrolle vor Ort als erforderlich erweisen, und dass sie dieselben materiellen Kontrollmittel wie die Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen benutzen und insbesondere zweckdienliche Unterlagen kopieren können.

71

Zwar verweist diese Vorschrift hinsichtlich der Bedingungen des Zugangs der Bediensteten des OLAF zu Informationen auf das Recht des betreffenden Mitgliedstaats, doch ist darauf hinzuweisen, dass Vialto nicht vorträgt, das OLAF habe bei der Kontrolle vor Ort die anwendbaren Vorschriften des ungarischen Rechts missachtet, und dass sie kein Argument in diesem Sinne geltend macht.

72

Außerdem wendet sich Vialto nicht gegen die Feststellungen des Gerichts zur Anfertigung eines digitalforensischen Abbilds in Rn. 73 des angefochtenen Urteils, in der auf die in Rn. 44 dieses Urteils enthaltenen Erläuterungen verwiesen wird. In diesen Randnummern hat das Gericht unter Heranziehung insbesondere der Art. 4 und 8 der OLAF‑Leitlinien festgestellt, dass im Rahmen eines solchen Verfahrens die Anfertigung eines digitalforensischen Abbilds der auf einem digitalen Datenträger gespeicherten Daten der Indexierung der Daten diene, die ihrerseits mit Hilfe spezieller forensischer Computersoftware eine Schlüsselwortsuche ermöglichen solle, mit der die Daten identifiziert würden, die für die Untersuchung des OLAF relevant seien.

73

Soweit Vialto mit ihrer Argumentation beabsichtigen sollte, die Anfertigung eines solchen digitalforensischen Abbilds sämtlicher auf bestimmten Datenträgern gespeicherter Daten dem Kopieren im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 sämtlicher auf diesen Datenträgern gespeicherter Dokumente gleichzustellen, ist hervorzuheben, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 78 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dieser Vorgang nur eine Zwischenstufe im Rahmen der Prüfung dieser Daten darstellt (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2020, Nexans France und Nexans/Kommission, C‑606/18 P, EU:C:2020:571, Rn. 63).

74

Auch wenn die Anfertigung eines solchen Abbilds in technischer Hinsicht zwangsläufig voraussetzt, dass alle fraglichen Daten zu einem Zeitpunkt, zu dem ihre Erheblichkeit noch nicht geprüft wurde, vorübergehend „kopiert“ werden, fällt dieser Vorgang daher unter die Ausübung des in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 verankerten Rechts auf Informationszugang, da er ausschließlich dazu dient, die für die Untersuchung relevanten Dokumente zu identifizieren. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das OLAF mit diesem Vorgang sämtliche betreffenden Dokumente im Sinne dieser Vorschrift kopiert. Aus deren Wortlaut und Systematik ergibt sich nämlich, dass das Recht eines Kontrolleurs, zweckdienliche Unterlagen zu kopieren, im Unterschied zur Ausübung des Rechts auf Zugang zu Informationen darauf abzielt, dass der Kontrolleur von einigen der Dokumente, zu denen er Zugang hatte, die er als für seine Untersuchung relevant identifiziert hat, dauerhaft Kopien zurückbehält, wobei diese Dokumente später im Rahmen dieser Untersuchung verwendet werden können.

75

Vor diesem Hintergrund ist ersichtlich, dass das Gericht zur Recht angenommen hat, dass die Anfertigung eines solchen digitalforensischen Abbilds an die dem OLAF nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 eingeräumten Befugnisse zum Zugang zu den für die ordnungsgemäße Durchführung der Kontrolle vor Ort erforderlichen Informationen und zur Anfertigung von Kopien der zweckdienlichen Unterlagen geknüpft werden kann.

76

Vialto hat somit nicht nachgewiesen, dass die Feststellung des Gerichts in den Rn. 74 und 80 des angefochtenen Urteils, wonach das vom OLAF an Vialto gerichtete Ersuchen, die in Rn. 71 des angefochtenen Urteils genannten Daten erheben zu dürfen, um eine digitalforensische Maßnahme durchzuführen, nicht gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 verstößt, rechtsfehlerhaft ist.

77

Die gegen diese Feststellung geltend gemachte Rüge eines Rechtsfehlers ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

78

Fünftens beruht das Vorbringen von Vialto, das Gericht habe in Rn. 75 des angefochtenen Urteils die Tatsachen verfälscht, auf einem fehlerhaften Verständnis der Rn. 75 des angefochtenen Urteils und ist ebenfalls als unbegründet zu verwerfen. In dieser Randnummer hat das Gericht nämlich lediglich festgestellt, dass sich Vialto dem Sammeln von Daten auf einem Datenträger, der aus ihren Räumlichkeiten verbracht werden sollte, widersetzte, was Vialto nicht bestreitet.

79

Daher sind der erste und der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zu verwerfen.

Zum dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

– Vorbringen der Parteien

80

Mit dem dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht Vialto erstens geltend, das Gericht habe in Rn. 77 des angefochtenen Urteils ihr auf die Wahrung des Berufsgeheimnisses und auf Klauseln von mit ihren Geschäftspartnern geschlossenen Verträgen gestütztes Vorbringen rechtsfehlerhaft als für die außervertragliche Haftung der Union unerheblich zurückgewiesen. Dieses Vorbringen sei für die Feststellung eines Verstoßes des OLAF gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 von Bedeutung, denn damit könne belegt werden, dass die von Vialto geäußerten Vorbehalte gegen die Erhebung von Daten, die mit der Untersuchung nichts zu tun gehabt hätten, gerechtfertigt gewesen seien. Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs habe Vialto beweisen müssen, dass die Geltendmachung dieser Vorbehalte nicht rechtsmissbräuchlich gewesen sei.

81

Zweitens habe das Gericht die Klageschrift mit der Feststellung in Rn. 79 des angefochtenen Urteils verfälscht, es sei nicht anzunehmen, dass das OLAF Vialto zu einer Verletzung ihres Berufsgeheimnisses oder der Klauseln von mit ihren Geschäftspartnern geschlossenen Verträgen gezwungen habe, denn Vialto habe keineswegs behauptet, vom OLAF zu einem solchen Verhalten gezwungen worden zu sein.

82

Die Kommission beantragt, den dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als teils unzulässig, teils ins Leere gehend und jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

83

Was den Rechtsfehler betrifft, mit dem Rn. 77 des angefochtenen Urteils behaftet sein soll, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in dieser Randnummer festgestellt hat, dass das auf das Berufsgeheimnis und auf die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Geschäftspartnern gestützte Vorbringen von Vialto für die außervertragliche Haftung der Union unerheblich sei, da dieses Vorbringen darauf abziele, die Weigerung von Vialto, dem OLAF einige der Daten zu übermitteln, zu denen das OLAF Zugang verlangt habe, zu begründen und nicht, dem OLAF oder der Kommission einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift, die bezwecke, den Einzelnen Rechte zu verleihen, vorzuwerfen.

84

In diesem Kontext ist das Vorbringen von Vialto, sie habe beweisen müssen, dass die von ihr gegenüber der Erhebung bestimmter Daten durch das OLAF geäußerten Vorbehalte nicht rechtsmissbräuchlich gewesen seien, nicht geeignet, um nachzuweisen, dass die im ersten Rechtszug vorgebrachten Argumente zum Berufsgeheimnis und zu den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Geschäftspartnern geeignet waren, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift, die bezweckt, den Einzelnen Rechte zu verleihen, darzutun. Dieses Argument geht deshalb ins Leere.

85

Das Gleiche gilt für die von Vialto geltend gemachte Verfälschung der Klageschrift. Denn selbst unter der Annahme, das Gericht habe, wie von Vialto geltend gemacht, die Klageschrift verfälscht, indem es sich veranlasst gesehen habe, in Rn. 79 des angefochtenen Urteils auf ein von Vialto nicht geltend gemachtes Argument einzugehen, das OLAF habe Druck auf sie ausgeübt und sie dadurch gezwungen, das Berufsgeheimnis und vertragliche Verpflichtungen gegenüber ihren Geschäftspartnern zu verletzen, wäre ein solcher Fehler nicht geeignet, die Zurückweisung der von Vialto im ersten Rechtszug geltend gemachten ersten Rüge in Frage zu stellen.

86

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs können nämlich Rügen, die gegen nicht tragende Gründe einer Entscheidung des Gerichts gerichtet sind, nicht zur Aufhebung dieser Entscheidung führen und gehen daher ins Leere (Urteil vom 25. Februar 2021, Dalli/Kommission, C‑615/19 P, EU:C:2021:133, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87

Daher ist der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als ins Leere gehend zurückzuweisen und dieser Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

Zweiter Rechtsmittelgrund: Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes

Vorbringen der Parteien

88

Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht Vialto eine Reihe von Argumenten geltend, mit denen dargetan werden soll, dass das Gericht in Rn. 118 des angefochtenen Urteils unzutreffend zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Bediensteten des OLAF im vorliegenden Fall nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen hätten.

89

Erstens weise das angefochtene Urteil einen Begründungsmangel auf, soweit nicht erläutert werde, warum eine der drei Voraussetzungen, die erforderlich seien, um sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen zu können, im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei.

90

Zweitens weise Rn. 118 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler auf, da das Gericht die Rechtsprechung missachtet habe, nach der die rückwirkende Rücknahme eines – rechtmäßigen oder rechtswidrigen – Verwaltungsakts, der individuelle Rechte oder ähnliche Vorteile verleihe, verboten sei. Die Zusicherungen, die von den Bediensteten des OLAF am ersten Tag der Kontrolle in Bezug auf das Verfahren zur Durchführung der Kontrolle gemacht worden seien, seien nämlich rechtmäßig gewesen. Hierzu präzisiert Vialto, dass eine Abweichung von den OLAF‑Leitlinien keinen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 2185/96 darstelle. Daher hätten die Bediensteten des OLAF ihre Zusicherungen nicht nachträglich zurücknehmen und verlangen können, dass diese Kontrolle durchgeführt werde, als wären solche Zusicherungen nie gegeben worden.

91

Außerdem sei die rückwirkende Rücknahme eines Verwaltungsakts verboten, selbst wenn dieser als rechtswidrig anzusehen sei.

92

Drittens habe das Gericht in Rn. 118 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft entschieden, dass sich Vialto nicht auf eine Verletzung des berechtigten Vertrauens berufen könne, das sie in die Anwendung einer sie begünstigenden abweichenden Praxis gesetzt habe, obwohl sie es abgelehnt habe, den Aufforderungen nachzukommen, die die Bediensteten des OLAF im Einklang mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 an sie gerichtet hätten. Insbesondere vermittle die Formulierung dieser Randnummer den Eindruck, dass Vialto bösgläubig gehandelt habe. Da die Aufforderungen der Bediensteten des OLAF mit dieser Vorschrift nicht im Einklang gestanden hätten, sei ihre Weigerung, ihnen nachzukommen, außerdem völlig rechtmäßig gewesen. Wären die Bediensteten des OLAF der Auffassung gewesen, Vialto habe sich rechtswidrig verhalten oder die Untersuchung behindert, hätten sie gemäß den Art. 4 und 9 der Verordnung Nr. 2185/96 die nationalen Behörden um Unterstützung bitten müssen. Die Bediensteten des OLAF hätten aber beschlossen, die Kontrolle zu beenden, ohne diese Vorgehensweise zu befolgen.

93

Die Kommission ist der Auffassung, dass der zweite Rechtsmittelgrund teils ins Leere gehe, jedenfalls aber unbegründet sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

94

Was erstens den angeblichen Begründungsmangel des angefochtenen Urteils angeht, ist darauf hinzuweisen, dass die Begründungspflicht nach der in Rn. 63 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs vom Gericht nicht verlangt, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln; die Begründung des Gerichts kann daher implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erfahren, aus denen das Gericht ihrer Argumentation nicht gefolgt ist, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollfunktion wahrnehmen kann.

95

Nachdem das Gericht im vorliegenden Fall in Rn. 114 des angefochtenen Urteils auf die Voraussetzungen hingewiesen hatte, die erfüllt sein müssen, damit sich ein Einzelner auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen kann, hat es in Rn. 116 dieses Urteils festgestellt, dass sich die Bediensteten des OLAF hier auf Vialtos Weigerung hin, ihrem Ersuchen, die Daten erheben zu dürfen, nachzukommen, bereit erklärten, hinsichtlich des Ortes der Datenerhebung und ‑bearbeitung sowie des dafür verwendeten Datenträgers von der in den OLAF‑Leitlinien geregelten Vorgehensweise abzuweichen. Darüber hinaus hat das Gericht in Rn. 117 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass das OLAF gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 zum Zugang zu den Daten berechtigt sei, zu denen Vialto ihm den Zugang verweigert habe. Das Gericht hat daraus in Rn. 118 des angefochtenen Urteils den Schluss gezogen, dass Vialto keine hinreichend qualifizierte Verletzung des Grundsatzes des Schutzes berechtigter Erwartungen geltend machen könne, die sie in die Anwendung einer sie begünstigenden abweichenden Praxis gesetzt habe, obwohl sie es abgelehnt habe, der Aufforderung nachzukommen, die die Bediensteten des OLAF im Einklang mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 an sie gerichtet hätten.

96

Den Rn. 113 bis 118 des angefochtenen Urteils ist somit die Auffassung des Gerichts zu entnehmen, dass Vialto sich nicht auf ein berechtigtes Vertrauen in die Anwendung einer Vereinbarung berufen könne, der sie nicht habe nachkommen wollen.

97

Diese Begründung ist ausreichend, um Vialto zu ermöglichen, die Gründe zu erfahren, aus denen ihrer Argumentation nicht gefolgt wurde, und den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, seine Kontrolle auszuüben. Die von Vialto geltend gemachte Rüge des Begründungsmangels ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

98

Was zweitens das Argument von Vialto betrifft, das aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Voraussetzungen der Rücknahme eines rechtsbegründenden Verwaltungsakts hergeleitet wird, genügt der Hinweis, dass Vialto dieses Argument im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht hat.

99

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein erstmals im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens vor dem Gerichtshof vorgebrachtes Angriffsmittel als unzulässig zurückzuweisen. Im Rahmen eines Rechtsmittels kann der Gerichtshof grundsätzlich nur prüfen, wie das Gericht die vor ihm erörterten Angriffs- und Verteidigungsmittel gewürdigt hat. Könnte eine Partei in diesem Rahmen ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringen, das sie vor dem Gericht nicht vorgebracht hat, könnte sie den Gerichtshof, dessen Rechtsmittelzuständigkeit begrenzt ist, mit einem Streitgegenstand befassen, der über denjenigen hinausgeht, über den das Gericht zu erkennen hatte (Urteil vom 30. Mai 2017, Safa Nicu Sepahan/Rat, C‑45/15 P, EU:C:2017:402, Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung).

100

Folglich ist dieses Vorbringen als unzulässig zurückzuweisen.

101

Was drittens das Vorbringen von Vialto betrifft, das Gericht habe in Rn. 118 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft entschieden, dass sie sich nicht auf eine Verletzung des Schutzes der berechtigten Erwartung berufen könne, die sie in die Anwendung einer sie begünstigenden abweichenden Praxis gesetzt habe, obwohl sie es abgelehnt habe, dem Ersuchen nachzukommen, das die Bediensteten des OLAF im Einklang mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96 an sie gerichtet hätten, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht mit dieser Bezugnahme auf die Weigerung von Vialto, bestimmte Informationen zu erteilen, obwohl sie sich hierzu verpflichtet hatte, implizit, aber notwendigerweise entschieden hat, dass sich Vialto nicht auf ein berechtigtes Vertrauen in die Anwendung einer Vereinbarung berufen kann, die sie beschlossen hatte, nicht einzuhalten.

102

Es ist aber davon auszugehen, dass Vialto, indem sie es ablehnte, Zusagen nachzukommen, die sie den Bediensteten des OLAF im Rahmen einer solchen Vereinbarung gegeben hatte, durch ihr Verhalten die Anwendung dieser Vereinbarung unmöglich machte, so dass sie sich anschließend nicht auf ein berechtigtes Vertrauen in deren Anwendung berufen kann.

103

Daraus folgt, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es in Rn. 118 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass Vialto sich nicht auf ein berechtigtes Vertrauen in die Anwendung einer Vereinbarung berufen könne, die sie beschlossen hatte, nicht einzuhalten.

104

Das Vorbringen von Vialto, Rn. 118 des angefochtenen Urteils sei mit einem Rechtsfehler behaftet, ist somit als unbegründet zurückzuweisen.

105

Viertens beruht das Vorbringen von Vialto, wonach die Formulierung der Rn. 118 des angefochtenen Urteils den Eindruck vermittle, dass sie bösgläubig gehandelt habe, auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils, da diese Randnummer keineswegs eine Bewertung in diesem Sinne enthält, und ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

106

Was fünftens das Vorbringen von Vialto betrifft, die von den Bediensteten des OLAF durchgeführte Datenerhebung stehe nicht im Einklang mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96, ergibt sich aus der Prüfung des ersten von Vialto geltend gemachten Rechtsmittelgrundes, dass auch dieses Vorbringen als unbegründet zu verwerfen ist.

107

Sechstens ist zu dem aus den Art. 4 und 9 der Verordnung Nr. 2185/96 hergeleiteten Argument von Vialto festzustellen, dass Vialto dieses nicht im ersten Rechtszug geltend gemacht hat, so dass es gemäß der in Rn. 99 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs als unzulässig zurückzuweisen ist.

108

Nach alledem ist der zweite Rechtsmittelgrund als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.

Dritter Rechtsmittelgrund: Verletzung des Anhörungsrechts

Vorbringen der Parteien

109

Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht Vialto geltend, das Gericht habe mehrere Fehler begangen, als es ihre Argumente in Bezug auf die Verletzung ihres Anhörungsrechts in den Rn. 121 bis 123 des angefochtenen Urteils zurückgewiesen habe.

110

Erstens seien die Feststellungen in Rn. 121 des angefochtenen Urteils zu dem Umstand, dass sie vom OLAF angehört worden sei, für die Prüfung der Frage irrelevant, ob die GD Erweiterung ihr Anhörungsrecht verletzt habe.

111

Zweitens habe das Gericht die Tatsachen verfälscht, in dem es in den Rn. 94 und 122 des angefochtenen Urteils ausgeführt habe, dass die Stellungnahme dieser GD zu den gegenüber Vialto zu ergreifenden Maßnahmen für die CFCU nicht bindend gewesen sei. Aus den Akten ergebe sich nämlich, dass eine solche Aufforderung für die CFCU verbindlich gewesen sei. Es könne nicht anders sein, da eben diese GD das Projekt finanziere und somit den fraglichen Vertrag unterzeichnet habe.

112

Diese Verfälschung der Tatsachen habe zu einer fehlerhaften Rechtsanwendung durch das Gericht geführt. Das Gericht hätte nämlich entscheiden müssen, dass die GD Erweiterung verpflichtet gewesen sei, Vialto anzuhören, bevor sie von der CFCU verlangt habe, in Anbetracht des Verstoßes von Vialto gegen ihre Vertragspflichten die im fraglichen Vertrag vorgesehenen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

113

Drittens hätte auch die GD Erweiterung bei ihrer Empfehlung, die Erfüllung des fraglichen Vertrags ganz oder hinsichtlich des auf Vialto entfallenden Teils auszusetzen, Vialtos Recht auf Anhörung beachten müssen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus dem Urteil vom 4. April 2019, OZ/EIB (C‑558/17 P, EU:C:2019:289), ergebe sich nämlich, dass das Anhörungsrecht auch zu wahren sei, wenn ein Unionsorgan unverbindliche Empfehlungen ausspreche.

114

Die Kommission stimmt der Bewertung, zu der das Gericht hinsichtlich des Anhörungsrechts gelangt ist, zu und spricht sich dafür aus, den dritten Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

115

Erstens sei im vorliegenden Fall, selbst unter der Annahme, dass die Kommission Vialto hätte anhören müssen, bevor sie ihre Empfehlung an die CFCU richtete, diese Formalität durch das OLAF als Dienststelle der Kommission, von der die Empfehlung stamme, erfüllt worden.

116

Zweitens habe das Gericht ohne Verfälschung der Tatsachen festgestellt, dass die Kommission die CFCU lediglich aufgefordert habe, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, und dabei beispielhafte Empfehlungen hierzu formuliert habe. Die Stellungnahme der Kommission in Bezug auf Vialto sei daher für die CFCU nicht verbindlich gewesen. Der Umstand, dass die Kommission das Projekt finanziere, mache eine solche Stellungnahme nicht verbindlich.

117

Drittens verdeutliche das Urteil vom 4. April 2019, OZ/EIB (C‑558/17 P, EU:C:2019:289), dass die Anhörung vor der Einrichtung, die die Empfehlung ausgesprochen habe, untergeordneten Charakter habe, während der Schwerpunkt auf der Einrichtung liege, die die Entscheidung erlasse. Darüber hinaus unterscheide sich der Sachverhalt der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, von dem der vorliegenden Rechtssache, da in der Erstgenannten die Einrichtung, die die Empfehlung ausgesprochen habe, und die Einrichtung, die die Entscheidung erlassen habe, zur selben Verwaltungsstruktur gehört hätten.

Würdigung durch den Gerichtshof

118

Zu dem Rechtsfehler, den das Gericht in Rn. 122 des angefochtenen Urteils begangen haben soll, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in dieser Randnummer entschieden hat, dass die GD Erweiterung nicht verpflichtet gewesen sei, Vialto anzuhören, bevor die CFCU ihre Entscheidung getroffen habe, Vialto vom fraglichen Vertrag auszuschließen, da die CFCU diese Entscheidung getroffen habe, ohne durch eine in diesem Sinne lautende Stellungnahme der GD Erweiterung gebunden zu sein.

119

Vialto wendet sich gegen diese Schlussfolgerung, wobei sie geltend macht, dass selbst unter der Annahme, dass die CFCU diese Entscheidung getroffen habe, ohne an eine in diesem Sinne lautende Stellungnahme der GD Erweiterung gebunden zu sein, die GD Erweiterung Vialto vor der Abgabe einer solchen Stellungnahme hätte anhören müssen.

120

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union das Recht auf eine gute Verwaltung u. a. das Recht jeder Person umfasst, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird.

121

Das Recht, gehört zu werden, garantiert somit jeder Person die Möglichkeit, im Verwaltungsverfahren sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen möglicherweise nachteilige Entscheidung erlassen wird (Urteil vom 4. Juni 2020, EAD/De Loecker, C‑187/19 P, EU:C:2020:444, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

122

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass das Anhörungsrecht zu den Verteidigungsrechten gehört, deren Wahrung einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, der auch dann Anwendung findet, wenn eine spezifische Regelung hierzu fehlt. Dieser Grundsatz gebietet es, dass die Adressaten von Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar beeinträchtigen, in die Lage versetzt werden, ihren Standpunkt zu den zu ihren Lasten angenommenen Gesichtspunkten, auf die solche Entscheidungen gestützt werden, in sachdienlicher Weise vorzutragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2016, Marchiani/Parlament, C‑566/14 P, EU:C:2016:437, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

123

Außerdem ist, wie der Generalanwalt in Nr. 121 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Verletzung der Verteidigungsrechte, zu denen das Anhörungsrecht gehört, anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2011, Solvay/Kommission, C‑110/10 P, EU:C:2011:687, Rn. 63).

124

Was die fragliche Stellungnahme der GD Erweiterung betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 10 der Verordnung Nr. 718/2007 im Rahmen der allgemeinen Grundsätze für die Durchführung der Heranführungshilfe zwar eine dezentrale Mittelverwaltung vorsieht, bei der die Kommission die Verwaltung bestimmter Maßnahmen dem begünstigten Land überträgt und die mindestens für die Ausschreibung, die Auftragsvergabe und die Zahlungen gilt. Außerdem benennt das begünstigte Land nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. f dieser Verordnung eine operative Struktur für jede IPA-Komponente oder jedes Programm. Des Weiteren ergibt sich aus Art. 28 dieser Verordnung, dass die operative Struktur eine Stelle oder eine Gesamtheit von Stellen innerhalb der Verwaltung des begünstigten Landes sein muss, die für die Verwaltung und Durchführung dieser Hilfe nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung zuständig ist und u. a. für die Ausschreibungsverfahren, die Zuschussvergabeverfahren und den Abschluss der sich daraus ergebenden Verträge sorgt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 4. Juli 2013, Diadikasia Symvouloi Epicheiriseon/Kommission u. a., C‑520/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:457, Rn. 32).

125

Daraus folgt, dass es sich bei von Drittstaaten vergebenen und für eine Hilfe im Rahmen des IPA in Betracht kommenden öffentlichen Aufträgen, die dem Grundsatz der dezentralen Mittelverwaltung unterliegen, nach wie vor um nationale Aufträge handelt und dass Unternehmen, die für die betreffenden Aufträge Angebote eingereicht oder einen Zuschlag erhalten haben, nur zu dem für den Auftrag verantwortlichen Drittstaat in rechtlichen Beziehungen stehen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 4. Juli 2013, Diadikasia Symvouloi Epicheiriseon/Kommission u. a., C‑520/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:457, Rn. 34).

126

Doch behält die Kommission, wie sich aus Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 718/2007 ergibt, die oberste Gesamtverantwortung für die Ausführung des Gesamthaushaltsplans und ist daher für die Feststellung der von der Finanzierung durch die Union gegebenenfalls ausgeschlossenen Beträge zuständig.

127

In Anbetracht der obersten Gesamtverantwortung der Kommission für die Ausführung des Gesamthaushaltsplans ist daher festzustellen, dass vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass ein Schreiben, in dem die Kommission der CFCU empfiehlt, nicht mit Vialto zusammenzuarbeiten, und darauf hinweist, dass die an Vialto im Rahmen des fraglichen Projekts gezahlten Beträge jedenfalls nicht für eine Finanzierung aus dem Unionshaushalt in Betracht kommen, in der Praxis bedeutende Auswirkungen auf die Entscheidung der CFCU über die gegenüber Vialto hinsichtlich des fraglichen Vertrags zu treffenden Maßnahmen, die für Vialto nachteilig sein können, haben kann, die in nicht unerheblicher Weise über die Auswirkungen hinausgehen, die von einer bloßen Empfehlung zu erwarten sind.

128

Eine solche Stellungnahme der Kommission kann somit für den betreffenden Wirtschaftsteilnehmer so folgenschwer sein, dass ihm Gelegenheit gegeben werden muss, zu dem ihm zur Last gelegten Verhalten und zu den Maßnahmen, die ihm gegenüber im Zusammenhang mit dem fraglichen Vertrag getroffen werden sollen, Stellung zu nehmen, bevor die Kommission ihren Standpunkt zu diesen Fragen festlegt (vgl. entsprechend Urteil vom 10. Juli 2001, Ismeri Europa/Rechnungshof, C‑315/99 P, EU:C:2001:391, Rn. 29).

129

Diese Stellungnahme der Kommission ist daher als für Vialto nachteilige individuelle Maßnahme im Sinne von Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte anzusehen.

130

Daher ist festzustellen, dass das Gericht in Rn. 122 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen hat, indem es entschieden hat, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, Vialto anzuhören, bevor die CFCU ihre Entscheidung traf, Vialto von dem fraglichen Vertrag auszuschließen.

131

Aus den Rn. 121 und 123 des angefochtenen Urteils geht des Weiteren hervor, dass das Gericht das Vorbringen von Vialto in Bezug auf die Verletzung des Anhörungsrechts durch die Kommission auch aufgrund des Umstands zurückgewiesen hat, dass Vialto im vorliegenden Fall vom OLAF angehört worden war.

132

Hierzu ist festzustellen, dass ein solcher Umstand die Kommission nicht zu der Annahme berechtigt, ihre Verpflichtung, die betreffende Person anzuhören, sei erfüllt.

133

Gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2013 erstellt nämlich das OLAF am Ende seiner Untersuchung einen Untersuchungsbericht, dem Empfehlungen seines Generaldirektors zu der Frage beigefügt werden, ob Maßnahmen ergriffen werden sollten oder nicht. Art. 11 Abs. 3 dieser Verordnung bestimmt, dass die nach Abschluss einer externen Untersuchung erstellten Berichte und Empfehlungen zusammen mit allen sachdienlichen Schriftstücken gemäß den für externe Untersuchungen geltenden Regelungen den zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten sowie erforderlichenfalls den zuständigen Dienststellen der Kommission übermittelt werden.

134

Aus dem Wortlaut und der Systematik dieser Bestimmungen ergibt sich, dass es der Behörde, an die sich diese Empfehlungen richten, obliegt, eine eigene Untersuchung durchzuführen und die betreffende Person vor dem Erlass einer Entscheidung, die für diese nachteilig sein könnte, anzuhören.

135

In diesem Kontext können auch die zwischen dem OLAF und der Kommission bestehenden strukturellen Verbindungen die Kommission nicht von einer solchen Verpflichtung entbinden, indem sie etwa die Annahme zuließen, Vialto sei bei ihrer Anhörung durch die Bediensteten des OLAF bereits von der Kommission angehört worden.

136

Somit ist dem dritten Rechtsmittelgrund stattzugeben und das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die von Vialto geltend gemachte Rüge, die Kommission habe ihr Anhörungsrecht verletzt, als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Klage vor dem Gericht

137

Nach Art. 61 Abs. 1 seiner Satzung kann der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

138

Nach ständiger Rechtsprechung hängt die außervertragliche Haftung der Union im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV vom Vorliegen einer Reihe von Voraussetzungen ab, nämlich der Rechtswidrigkeit des dem Unionsorgan vorgeworfenen Verhaltens, dem tatsächlichen Bestehen des Schadens und dem Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Organs und dem geltend gemachten Schaden (Urteil vom 25. Februar 2021, Dalli/Kommission, C‑615/19 P, EU:C:2021:133, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

139

Im vorliegenden Fall ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, soweit es um die erste Voraussetzung bezüglich des Verhaltens der Kommission geht.

140

Aus der Begründung im Rahmen der Prüfung des dritten von Vialto geltend gemachten Rechtsmittelgrundes ergibt sich nämlich, dass Vialto nachgewiesen hat, dass die Kommission das Anhörungsrecht verletzt hat, das eine Rechtsvorschrift darstellt, die bezweckt, den Einzelnen Rechte zu verleihen.

141

Zum hinreichend qualifizierten Charakter dieses Verstoßes macht Vialto geltend, die Kommission könne nicht frei entscheiden, den Ausschluss von Vialto von dem Projekt zu verlangen, ohne ihr die Möglichkeit einzuräumen, angehört zu werden und ihre Verteidigungsrechte auszuüben.

142

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die bloße Verletzung des Unionsrechts ausreichen kann, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht anzunehmen, wenn das Unionsorgan nur über einen erheblich verringerten oder gar auf null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt (Urteil vom 20. Januar 2021, Kommission/Printeos, C‑301/19 P, EU:C:2021:39, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).

143

Wie sich aus der Begründung im Rahmen der Prüfung des dritten Rechtsmittelgrundes ergibt, war die Kommission verpflichtet, Vialto anzuhören, bevor sie der CFCU ihre Stellungnahme zu den Maßnahmen übermittelte, die gegenüber Vialto im Zusammenhang mit dem fraglichen Vertrag zu treffen waren, so dass die Kommission insoweit über keinen Gestaltungsspielraum verfügte.

144

Im Übrigen ist der Rechtsstreit nicht zur Entscheidung reif.

145

Die übrigen Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Union wurden vom Gericht nämlich nicht geprüft.

146

Darüber hinaus geht aus den Rn. 25 und 26 des angefochtenen Urteils hervor, dass Vialto ihren Standpunkt zum Umfang des ihr angeblich entstandenen Schadens in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht erheblich geändert hat.

147

In Anbetracht der vorstehend genannten Umstände ist der Gerichtshof nicht in der Lage, mit hinreichender Gewissheit über das tatsächliche Bestehen eines Schadens und das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Verletzung des Anhörungsrechts durch die Kommission und dem geltend gemachten Schaden zu entscheiden.

148

Daher ist der Rechtsstreit zur Entscheidung hierüber an das Gericht zurückzuverweisen.

Kosten

149

Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Kostenentscheidung vorzubehalten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 26. Juni 2019, Vialto Consulting/Kommission (T‑617/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:446), wird aufgehoben, soweit die von der Vialto Consulting Kft. erhobene Rüge, die Europäische Kommission habe das Anhörungsrecht verletzt, als unbegründet zurückgewiesen wurde.

 

2.

Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

 

3.

Der Rechtsstreit wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen, damit es über die Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Europäischen Union entscheidet, die das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Verletzung des Anhörungsrechts durch die Europäische Kommission und dem geltend gemachten Schaden sowie das tatsächliche Bestehen eines Schadens betreffen.

 

4.

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Griechisch.