URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

11. Juni 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Elektrizitätsbinnenmarkt – Richtlinie 2009/72/EG – Art. 35 Abs. 4 und 5 – Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden – Nationale Rechtsvorschriften, mit denen die Befugnis zur Bestimmung des Präsidenten der nationalen Regulierungsbehörde vom Staatsoberhaupt auf die Regierung übertragen wird – Beteiligung der nationalen Ministerien an den Entgeltverfahren“

In der Rechtssache C‑378/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Ústavný súd Slovenskej republiky (Verfassungsgericht der Slowakischen Republik), mit Entscheidung vom 23. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 2019, in dem Verfahren

Prezident Slovenskej republiky,

Beteiligte:

Národná rada Slovenskej republiky,

Vláda Slovenskej republiky,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Prezident Slovenskej republiky, vertreten durch Z. Čaputová,

der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,

der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch O. Beynet, R. Lindenthal und A. Tokár als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines vom Prezident Slovenskej republiky (Präsident der Slowakischen Republik) eingeleiteten Verfahrens, das die Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften über die Ernennung und Entlassung des Präsidenten des Úrad pre reguláciu siet’ových odvetví (Regulierungsbehörde für Netzindustrien, Slowakei, im Folgenden: Regulierungsbehörde) mit der slowakischen Verfassung in Verbindung mit dem Unionsrecht sowie die Beteiligung von Vertretern nationaler Ministerien an Entgeltverfahren vor dieser Behörde betrifft.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 33 und 34 der Richtlinie 2009/72 heißt es:

„(33)

Die Richtlinie 2003/54/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. 2003, L 176, S. 37)] verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Regulierungsbehörden mit spezifischen Zuständigkeiten. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Effektivität der Regulierung vielfach aufgrund mangelnder Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden von der Regierung sowie unzureichender Befugnisse und Ermessensfreiheit eingeschränkt wird. Daher hat der Europäische Rat die Kommission auf seiner Tagung vom 8. und 9. März 2007 aufgefordert, Legislativvorschläge auszuarbeiten, die eine weitere Harmonisierung der Befugnisse und eine Stärkung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden vorsehen. Diese nationalen Regulierungsbehörden sollten sowohl den Elektrizitäts- als auch den Gassektor abdecken können.

(34)

Damit der Elektrizitätsbinnenmarkt ordnungsgemäß funktionieren kann, müssen die Regulierungsbehörden Entscheidungen in allen relevanten Regulierungsangelegenheiten treffen können und völlig unabhängig von anderen öffentlichen oder privaten Interessen sein. Dies steht weder einer gerichtlichen Überprüfung, noch einer parlamentarischen Kontrolle nach dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten entgegen. Außerdem sollte die Zustimmung des nationalen Gesetzgebers zum Haushaltsplan der Regulierungsbehörden die Haushaltsautonomie nicht beeinträchtigen. Die Bestimmungen bezüglich der Autonomie bei der Ausführung des der Regulierungsbehörde zugewiesenen Haushalts sollten gemäß dem Rechtsrahmen der einzelstaatlichen Haushaltsvorschriften und ‑regeln angewandt werden. Die Mitgliedstaaten tragen zur Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde von jeglicher Einflussnahme aus Politik oder Wirtschaft durch ein geeignetes Rotationsverfahren bei, sollten aber die Möglichkeit haben, der Verfügbarkeit personeller Ressourcen und der Größe des Gremiums jedoch gebührend Rechnung zu tragen.“

4

Art. 35 („Benennung und Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat benennt auf nationaler Ebene eine einzige nationale Regulierungsbehörde.

(4)   Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde und gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt. Hierzu stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Regulierungsbehörde bei der Wahrnehmung der ihr durch diese Richtlinie und zugehörige Rechtsvorschriften übertragenen Regulierungsaufgaben

a)

rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist,

b)

und sicherstellt, dass ihr Personal und ihr Management

i)

unabhängig von Marktinteressen handelt und

ii)

bei der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholt oder entgegennimmt. Eine etwaige enge Zusammenarbeit mit anderen zuständigen nationalen Behörden oder allgemeine politische Leitlinien der Regierung, die nicht mit den Regulierungsaufgaben und ‑befugnissen gemäß Artikel 37 im Zusammenhang stehen, bleiben hiervon unberührt.

(5)   Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde stellen die Mitgliedstaaten insbesondere sicher,

a)

dass die Regulierungsbehörde unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann und ihr jedes Jahr separate Haushaltsmittel zugewiesen werden, so dass sie den zugewiesenen Haushalt eigenverantwortlich ausführen kann und über eine für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben angemessene personelle und finanzielle Ressourcenausstattung verfügt; und

b)

dass die Mitglieder des Leitungsgremiums der Regulierungsbehörde oder, falls kein solches Gremium vorhanden ist, die Mitglieder des leitenden Managements der Regulierungsbehörde für eine Amtszeit von fünf bis sieben Jahren ernannt werden, die einmal verlängert werden kann;

Was Buchstabe b Unterabsatz 1 betrifft, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass für das Leitungsgremium oder das leitende Management ein geeignetes Rotationsverfahren besteht. Die Mitglieder des Leitungsgremiums der Regulierungsbehörde oder, falls kein solches Gremium vorhanden ist, die Mitglieder des leitenden Managements können während ihrer Amtszeit nur dann des Amtes enthoben werden, wenn sie nicht mehr die in diesem Artikel genannten Bedingungen erfüllen oder wenn sie sich eines Fehlverhaltens nach nationalem Recht schuldig gemacht haben.“

5

Art. 36 („Allgemeine Ziele der Regulierungsbehörde“) der Richtlinie 2009/72 sieht vor:

„Bei der Wahrnehmung der in dieser Richtlinie genannten Regulierungsaufgaben trifft die Regulierungsbehörde alle angemessenen Maßnahmen zur Erreichung folgender Ziele im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse gemäß Artikel 37, gegebenenfalls in engem Benehmen mit anderen einschlägigen nationalen Behörden, einschließlich der Wettbewerbsbehörden, und unbeschadet deren Zuständigkeiten:

a)

Förderung – in enger Zusammenarbeit mit der Agentur, den Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten und der Kommission – eines wettbewerbsbestimmten, sicheren und ökologisch nachhaltigen Elektrizitätsbinnenmarktes in der Gemeinschaft und effektive Öffnung des Marktes für alle Kunden und Lieferanten in der Gemeinschaft, sowie Gewährleistung geeigneter Bedingungen, damit Elektrizitätsnetze unter Berücksichtigung der langfristigen Ziele wirkungsvoll und zuverlässig betrieben werden;

…“

6

Art. 37 („Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Regulierungsbehörde hat folgende Aufgaben:

a)

sie ist dafür verantwortlich, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen;

…“

Slowakisches Recht

7

Der Zákon č. 250/2012 Z.z. o regulácii v sieťových odvetviach (Gesetz Nr. 250/2012 über die Regulierung in der Netzindustrie) hat die Richtlinie 2009/72 und die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94) in slowakisches Recht umgesetzt. Dieses Gesetz wurde durch den Zákon č. 164/2017 Z.z., ktorým sa mení a dopĺňa zákon č. 250/2012 Z.z. o regulácii v sieťových odvetviach v znení neskorších predpisov (Gesetz Nr. 164/2017 zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes Nr. 250/2012 über die Regulierung in der Netzindustrie in geänderter Fassung) geändert.

8

In der Begründung des Gesetzes Nr. 164/2017 heißt es:

„Die Art und Weise der Ernennung des Präsidenten der Regulierungsbehörde wird geändert. Nach der derzeit geltenden Rechtslage wird der Präsident der Regulierungsbehörde auf Vorschlag der Regierung der Slowakischen Republik vom Präsidenten der Slowakischen Republik ernannt und entlassen. Es wird vorgeschlagen, dass der Präsident der Regulierungsbehörde von der Regierung der Slowakischen Republik ernannt wird. Diese Änderung spiegelt die tatsächliche Verantwortung der Regierung der Slowakischen Republik im Bereich der Regulierung in netzgebundenen Wirtschaftszweigen wider, wobei die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde im Rahmen weiterer Änderungen nicht angetastet wird. Auf der Regierung der Slowakischen Republik lastet die volle Verantwortung für die Energiepolitik in der Slowakischen Republik, die Befugnisse des Präsidenten der Republik in diesem Bereich sind sehr begrenzt. Daher ist es sachdienlich und logisch, dass die Befugnis, den Präsidenten der Behörde zu ernennen und zu entlassen, der Regierung der Slowakischen Republik eingeräumt wird.

Dem Wirtschaftsministerium der Slowakischen Republik und dem Umweltministerium der Slowakischen Republik wird in bestimmten Entgeltfestsetzungsverfahren die verfahrensrechtliche Stellung eines Verfahrensbeteiligten eingeräumt, wodurch ihnen in diesen Entgeltverfahren verfahrensrechtliche Möglichkeiten für einen kohärenten Schutz des öffentlichen Interesses eingeräumt werden.

…“

9

§ 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung sieht vor:

„An der Spitze der Behörde steht der Präsident, der von der Regierung der Slowakischen Republik … ernannt und entlassen wird.“

10

§ 14 Abs. 3 Satz 3 dieses Gesetzes bestimmt:

„Beteiligte im Entgeltverfahren ist die regulierte Einrichtung, die einen Entgeltvorschlag unterbreitet hat. Wurde das Entgeltverfahren von der Regulierungsbehörde eingeleitet, ist Beteiligte des Verfahrens die regulierte Einrichtung, deren Entgelte die Behörde zu regulieren beabsichtigt. Beteiligter im Entgeltverfahren ist auch das Ministerium [für Wirtschaft], wenn es sich im Fall eines Betreibers eines regionalen Verteilsystems um ein Entgeltverfahren nach § 11 Abs. 1 Buchst. d oder § 11 Abs. 1 Buchst. e, im Fall eines Betreibers eines Verteilnetzes, an das mehr als 100000 Entnahmepunkte angeschlossen sind, [um ein Entgeltverfahren nach] § 11 Abs. 2 Buchst. c und § 11 Abs. 2 Buchst. d handelt, oder das Umweltministerium der Slowakischen Republik, wenn es sich um ein Entgeltverfahren nach § 11 Abs. 4 Buchst. a bis c handelt.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11

Am 16. Oktober 2017 erhob der Präsident der Slowakischen Republik beim nationalen Gericht, dem Ústavný súd Slovenskej republiky (Verfassungsgericht der Slowakischen Republik), Klage auf Feststellung der Unvereinbarkeit von § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung mit Art. 1 Abs. 1 und 2 der Verfassung der Slowakischen Republik in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 288 AEUV mit der Begründung, dass diese Bestimmungen des Gesetzes Nr. 250/2012 in der geänderten Fassung eine fehlerhafte Umsetzung der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 darstellten.

12

Nach Ansicht der Präsidentin der Slowakischen Republik, die nach dem 15. Juni 2019 das von ihrem Amtsvorgänger eingeleitete Verfahren fortsetzte, entsprechen die genannten Bestimmungen des Gesetzes Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung nicht der Verpflichtung zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde, die sich aus Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 und Art. 39 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/73 ergebe.

13

Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass es zur Beilegung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich sei, die Reichweite des Begriffs der „Unabhängigkeit“ der Regulierungsbehörde im Sinne dieser Richtlinien zu definieren. Es weist darauf hin, dass diese Fragen im Interesse der Vereinfachung der Vorlagefragen nur die Auslegung der Richtlinie 2009/72 beträfen, da Antwort auf diese Fragen auf die Auslegung der Richtlinie 2009/73 übertragbar sei, deren einschlägige Vorschriften mit denen der Richtlinie 2009/72 identisch seien.

14

Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts hat die Präsidentin der Slowakischen Republik im Gesetz Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung zwei Verstöße gegen die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde festgestellt. Der erste Verstoß bestehe in der Änderung der Befugnis zur Ernennung und Entlassung des Präsidenten dieser Behörde, die von dem unmittelbar von den Bürgern gewählten Präsidenten der Slowakischen Republik auf die slowakische Regierung übergegangen sei. Der zweite Verstoß bestehe in der Erweiterung des Kreises der Beteiligten am Entgeltfestsetzungsverfahren vor der Regulierungsbehörde um die Vertreter nationaler Ministerien, die im Rahmen dieses Verfahrens das öffentliche Interesse verteidigen sollten.

15

Vor diesem Gericht macht die slowakische Regierung geltend, dass die einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde nicht in Frage stellten, da dieses Gesetz eine Reihe anderer Garantien in Bezug auf diese Unabhängigkeit enthalte, die von dieser Gesetzesänderung nicht berührt worden seien.

16

Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass sich die Zweifel, die es an der Rechtmäßigkeit der Umsetzung der Richtlinie 2009/72 hege, daraus ergäben, dass das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel gerade darin bestehe, zur Stärkung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde, insbesondere gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten, beizutragen, wie dies aus dem 33. Erwägungsgrund der Richtlinie hervorgehe.

17

Es ist der Auffassung, dass die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 250/2012, die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassen worden seien, es vor der durch das Gesetz Nr. 164/2017 eingeführten Änderung ermöglicht hätten, diese Unabhängigkeit zu stärken. Unter der Geltung des Gesetzes Nr. 250/2012 sei nämlich zum einen nicht die slowakische Regierung, sondern der Präsident der Slowakischen Republik befugt gewesen, den Präsidenten der Regulierungsbehörde zu ernennen und zu entlassen, und habe zum anderen kein Vertreter von Ministerien vor dieser Behörde an dem Entgeltverfahren teilgenommen.

18

Durch das Gesetz Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung sei jedoch die vor der Umsetzung der Richtlinie 2009/72 bestehende Situation wiederhergestellt worden, was entgegen dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel nicht zur Stärkung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde beitrage.

19

Unter diesen Umständen hat der Ústavný súd Slovenskej republiky (Verfassungsgericht der Slowakischen Republik) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 35 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72 insbesondere im Licht ihres 33. Erwägungsgrundes dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat daran hindert, im Rahmen der Änderung einer innerstaatlichen Maßnahme zur Umsetzung dieser Richtlinie die Befugnis, den Präsidenten der Regulierungsbehörde zu ernennen oder zu entlassen, dem direkt von den Bürgern gewählten Präsidenten der Republik zu entziehen und stattdessen der Regierung zu übertragen, wodurch die vor der Umsetzung der Richtlinie bestehende Rechtslage wiederhergestellt wird?

2.

Ist Art. 35 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72 insbesondere im Licht ihres 34. Erwägungsgrundes dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, die es zur Sicherstellung der Verteidigung des öffentlichen Interesses Ministerien gestattet, sich am Entgeltverfahren bei der Regulierungsbehörde zu beteiligen?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

20

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die im Ausgangsverfahren streitigen Bestimmungen des Gesetzes Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung in Bezug auf die Ernennung und Entlassung des Präsidenten der Regulierungsbehörde und die Beteiligung von Vertretern der nationalen Ministerien an bestimmten Entgeltverfahren die im slowakischen Recht unter der Geltung der Richtlinie 2003/54 bestehenden Regeln wiederhergestellt haben. Infolge der durch das Gesetz Nr. 164/2017 eingeführten Änderungen wurde einerseits die slowakische Regierung anstelle des Präsidenten der Slowakischen Republik für diese Ernennung und Entlassung zuständig, andererseits erhielten bestimmte Ministerien den Status von „Beteiligten“ in diesem Verfahren.

21

Da die Richtlinie 2003/54 durch die Richtlinie 2009/72 aufgehoben wurde, deren erklärtes Ziel u. a. darin besteht, die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden zu stärken, kann eine Rückkehr zur Rechtslage vor dieser Richtlinie nach Ansicht dieses Gerichts einen Verstoß gegen die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde im Sinne der Richtlinie 2009/72 darstellen, während mit dem Gesetz Nr. 250/2012 in seiner ursprünglichen Fassung eine ordnungsgemäße Umsetzung der letztgenannten Richtlinie in slowakisches Recht sichergestellt gewesen sei.

22

Insoweit ist festzustellen, dass die Richtlinie 2009/72 im Wesentlichen darauf abzielt, einen offenen und durch Wettbewerb geprägten Elektrizitätsbinnenmarkt zu errichten, der den Verbrauchern die freie Wahl ihrer Lieferanten und den Anbietern die freie Belieferung ihrer Kunden gestattet, auf diesem Markt gleiche Bedingungen zu schaffen, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und den Klimawandel zu bekämpfen (Urteil vom 12. Dezember 2019, Slovenské elektrárne, C‑376/18, EU:C:2019:1068, Rn. 32).

23

Zur Verfolgung dieser Ziele verleiht die Richtlinie 2009/72 der nationalen Regulierungsbehörde weitgehende Befugnisse im Bereich der Regulierung und Überwachung des Elektrizitätsmarkts.

24

Wie im 33. Erwägungsgrund dieser Richtlinie in Erinnerung gerufen wird, hat der Europäische Rat die Kommission auf seiner Tagung vom 8. und 9. März 2007 aufgefordert, Legislativvorschläge auszuarbeiten, die eine weitere Harmonisierung der Befugnisse und eine Stärkung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden vorsehen. Außerdem müssen nach dem 34. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, damit der Elektrizitätsbinnenmarkt ordnungsgemäß funktionieren kann, die Regulierungsbehörden Entscheidungen in allen relevanten Regulierungsangelegenheiten treffen können und völlig unabhängig von anderen öffentlichen oder privaten Interessen sein.

25

Daraus folgt, wie das vorlegende Gericht ausführt, dass die Richtlinie 2009/72 gegenüber der Regelung, die von der durch sie aufgehobenen Richtlinie 2003/54 vorgesehen war, darauf abzielt, die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde zu stärken. Eine solche Stärkung spiegelt sich in den Bestimmungen des Kapitels IX („Nationale Regulierungsbehörden“) der Richtlinie 2009/72 wider, zu dem u. a. Art. 35 der Richtlinie gehört, dessen Auslegung das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bezweckt.

26

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der vom nationalen Gericht angeführte Umstand, dass das Gesetz Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung die Rechtslage wiederhergestellt hat, die, was die Vorschriften über die Ernennung und Entlassung des Präsidenten der Regulierungsbehörde und die Beteiligung von Vertretern nationaler Ministerien an bestimmten Entgeltverfahren betrifft, in der Slowakischen Republik zum Zeitpunkt der Geltung der Richtlinie 2003/54 bestand, nicht notwendigerweise und allein schon aus diesem Grund impliziert, dass die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/72, die die Unabhängigkeit dieser Behörde betreffen, den Bestimmungen dieses Gesetzes, die solche Regeln vorgesehen haben, entgegenstehen.

27

Sofern nämlich diese Regeln im Rahmen der Zuständigkeiten erlassen werden, die die Richtlinie 2009/72 den Mitgliedstaaten belässt, und sie mit den in dieser Richtlinie vorgesehenen Garantien hinsichtlich der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde einhergehen, steht eine Rechtslage, in der der Gesetzgeber eines Mitgliedstaats bestimmte Vorschriften über die Organisation und die Arbeitsweise der nationalen Regulierungsbehörde wieder einführt, die in diesem Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Anwendung der Richtlinie 2003/54 in Kraft waren, nicht notwendigerweise im Widerspruch zur Richtlinie 2009/72.

28

Um dem vorlegenden Gericht im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens eine sachdienliche Antwort geben zu können, ist daher zu prüfen, ob Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen ist, dass er Bestimmungen des nationalen Rechts wie denjenigen des Gesetzes Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung unabhängig davon entgegensteht, ob sie vor dieser Gesetzesänderung mit dem Unionsrecht vereinbar waren.

Zur ersten Frage

29

Auch wenn das vorlegende Gericht seine Fragen der Form nach auf die Auslegung von Art. 35 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72 beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, dem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die diesem bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. März 2020, Caisse d’assurance retraite et de la santé au travail d’Alsace-Moselle, C‑769/18, EU:C:2020:203, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Das vorlegende Gericht möchte also mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen, ob Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die Regierung dieses Staates für die Ernennung und Entlassung des Präsidenten der nationalen Regulierungsbehörde zuständig ist.

31

Art. 35 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde zu gewährleisten und zu gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt.

32

Zum Begriff der Unabhängigkeit, der in der Richtlinie 2009/72 nicht definiert wird, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dieser Begriff in Bezug auf öffentliche Stellen seinem gewöhnlichen Sinn nach in der Regel eine Stellung bezeichnet, die garantiert, dass die betreffende Stelle völlig frei von Weisungen und Druck der Einrichtungen handeln kann, denen gegenüber ihre Unabhängigkeit zu wahren ist (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Juni 2018, Kommission/Polen, C‑530/16, EU:C:2018:430, Rn. 67).

33

Um eine solche Unabhängigkeit zu gewährleisten, sieht Art. 35 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72 zum einen in Buchst. a vor, dass diese Behörde rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen sein muss. Zum anderen stellt Art. 35 Abs. 4 Buchst. b Ziff. i und ii Anforderungen in Bezug auf die Unabhängigkeit des Personals und des Managements dieser Behörde auf, die unabhängig von Marktinteressen handeln müssen und bei der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholen oder entgegennehmen dürfen. Diese Anforderungen implizieren, dass die nationale Regulierungsbehörde ihre Regulierungsaufgaben frei von jeder äußeren Einflussnahme ausüben muss.

34

Zur Wahrung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde schreibt außerdem Art. 35 Abs. 5 Buchst. b der Richtlinie 2009/72 vor, dass die Mitglieder des Leitungsgremiums dieser Behörde oder, falls kein solches Gremium vorhanden ist, die Mitglieder des leitenden Managements dieser Behörde für eine Amtszeit von fünf bis sieben Jahren ernannt werden, die einmal verlängert werden kann. In diesem Zusammenhang müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass für das Leitungsgremium oder das leitende Management ein geeignetes Rotationsverfahren besteht, wobei die Mitglieder des Leitungsgremiums oder des leitenden Managements während ihrer Amtszeit nur dann des Amtes enthoben werden können, wenn sie nicht mehr die in Art. 35 genannten Bedingungen erfüllen oder wenn sie sich eines Fehlverhaltens nach nationalem Recht schuldig gemacht haben.

35

Um diesen Anforderungen zu genügen, muss die Befugnis zur Ernennung und Entlassung des Leitungsgremiums der nationalen Regulierungsbehörde oder, falls kein solches Gremium vorhanden ist, der Mitglieder des leitenden Managements dieser Behörde gesetzlich streng begrenzt sein und auf der Grundlage objektiver, klar und abschließend aufgeführter sowie überprüfbarer Kriterien ausgeübt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Juni 2018, Kommission/Polen, C‑530/16, EU:C:2018:430, Rn. 86).

36

Es ist jedoch festzustellen, dass keine Bestimmung der Richtlinie 2009/72 die Behörde oder die Behörden der Mitgliedstaaten festlegt, die mit der Ernennung und Entlassung der Mitglieder des Leitungsgremiums oder des leitenden Managements der nationalen Regulierungsbehörde, insbesondere ihres Präsidenten, beauftragt werden sollen.

37

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 288 AEUV verpflichtet sind, bei der Umsetzung einer Richtlinie deren vollständige Wirksamkeit zu gewährleisten, wobei sie aber über einen weiten Wertungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Mittel und Wege zu ihrer Durchführung verfügen. Diese Freiheit lässt somit die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (Urteil vom 19. Oktober 2016, Ormaetxea Garai und Lorenzo Almendros, C‑424/15, EU:C:2016:780, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Unter diesen Bedingungen verfügen die Mitgliedstaaten bei der Organisation und Strukturierung ihrer Regulierungsbehörden im Sinne von Art. 35 der Richtlinie 2009/72 über eine institutionelle Autonomie, die jedoch unter vollständiger Beachtung der in dieser Richtlinie festgelegten Ziele und Pflichten auszuüben ist (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Oktober 2016, Ormaetxea Garai und Lorenzo Almendros, C‑424/15, EU:C:2016:780, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Daraus folgt, dass die Richtlinie 2009/72 und insbesondere ihr Art. 35 es nicht verbieten, dass die Regierung eines Mitgliedstaats den Präsidenten der nationalen Regulierungsbehörde ernennen und entlassen kann.

40

Diese Befugnis zur Ernennung und Entlassung muss jedoch so ausgeübt werden, dass die Unabhängigkeit dieser Behörde in dem Sinne gewährleistet ist, dass alle in Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 vorgesehenen Anforderungen beachtet werden müssen.

41

Im vorliegenden Fall weist die slowakische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen darauf hin, dass die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde durch alle nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2009/72 die derzeit in Kraft seien, gewährleistet werde. Sie bezieht sich erstens auf die Bestimmungen von § 4 Abs. 2 und 3 des Gesetzes Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung, in dem die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde verankert sei und in dem angegeben sei, welche Organe diese Behörde habe, zweitens auf § 5 dieses Gesetzes in der geänderten Fassung, der u. a. die Ernennung, den Status, die Tätigkeit und die Entlassung des Präsidenten der Regulierungsbehörde regele, drittens auf die Bestimmungen von § 6 dieses Gesetzes in der geänderten Fassung, die die Tätigkeit des Regulierungsrates beträfen, und viertens auf § 7 dieses Gesetzes in der geänderten Fassung, der die Ernennung und Entlassung der Mitglieder des Regulierungsrates und die sie betreffenden Anforderungen regele. Insbesondere habe der Präsident der Regulierungsbehörde eine Amtszeit von sechs Jahren, sein Gehalt werde durch das Gesetz Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung klar und transparent festgelegt, und er könne nur aus den dort ausdrücklich vorgesehenen Gründen seines Amtes enthoben werden.

42

Diese Bestimmungen des slowakischen Rechts gewährleisteten, dass die Regierung dieses Mitgliedstaats keinen Einfluss auf den Präsidenten der Regulierungsbehörde ausübe, der die Unabhängigkeit dieser Behörde gefährden könnte.

43

Da der Gerichtshof in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die Vorabentscheidungsfrage einfügt, von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen hat, hat der Gerichtshof die Vorlagefrage ausschließlich anhand der vom vorlegenden Gericht dargelegten Bestimmungen zu beantworten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni, C‑240/15, EU:C:2016:608, Rn. 30 und 31).

44

Die Angaben in den Vorlageentscheidungen sollen nämlich nicht nur dem Gerichtshof zweckdienliche Antworten ermöglichen, sondern auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten Gelegenheit geben, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Erklärungen abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gegeben wird; dabei ist zu berücksichtigen, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2016, Pillbox 38, C‑477/14, EU:C:2016:324, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Daher kann der Gerichtshof Bestimmungen des nationalen Rechts wie die, auf die sich die slowakische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen berufen hat, nicht berücksichtigen, da sie vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen nicht angeführt worden sind. Es wird Sache dieses Gerichts sein, zu prüfen, ob diese Bestimmungen es ermöglichen, die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde zu gewährleisten, wie es die Richtlinie 2009/72 verlangt. Die Antwort auf diese Frage wird nicht dadurch präjudiziert, dass, wie sich aus Rn. 39 des vorliegenden Urteils ergibt, diese Richtlinie nicht verbietet, dass die slowakische Regierung den Präsidenten der Regulierungsbehörde ernennen und entlassen kann.

46

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der die Regierung dieses Staates befugt ist, den Präsidenten der nationalen Regulierungsbehörde zu ernennen und zu entlassen, sofern alle in diesen Bestimmungen vorgesehenen Anforderungen erfüllt sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Zur zweiten Frage

47

Unter Berücksichtigung der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die zum Schutz des öffentlichen Interesses die Beteiligung von Vertretern von Ministerien dieses Staates an bestimmten Entgeltverfahren vor der nationalen Regulierungsbehörde vorsieht.

48

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich das vorlegende Gericht mit dieser Frage auf die Beteiligung von Vertretern des Wirtschaftsministeriums und des Umweltministeriums der Slowakischen Republik an den oben genannten Verfahren bezieht. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht jedoch – vorbehaltlich vom vorlegenden Gericht anzustellender Nachprüfungen – hervor, dass die Beteiligung des Umweltministeriums nur die Entgeltverfahren im Zusammenhang mit der Erzeugung und der Versorgung mit Trinkwasser betrifft. Somit dürften in einem solchen Fall die Bestimmungen der Richtlinie 2009/72, die u. a. auf gemeinsame Vorschriften für die Elektrizitätserzeugung, ‑übertragung, ‑verteilung und ‑versorgung sowie Vorschriften im Bereich des Verbraucherschutzes abzielen, um in der Europäischen Union für die Verbesserung und Integration von durch Wettbewerb geprägten Strommärkten zu sorgen, auf eine solche Beteiligung nicht anwendbar sein.

49

Nach dieser einleitenden Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass diese Frage die Voraussetzungen betrifft, denen die Funktionsweise der nationalen Regulierungsbehörde genügen muss, damit ihre Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung gewährleistet ist.

50

Insoweit ergibt sich aus Art. 35 Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2009/72, dass die nationale Regulierungsbehörde unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen muss.

51

Außerdem impliziert, wie in Rn. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die in Art. 35 Abs. 4 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2009/72 geforderte Unabhängigkeit des Personals und des Managements der nationalen Regulierungsbehörde, dass diese Behörde ihre Regulierungsaufgaben frei von jeglicher äußeren Einflussnahme wahrnimmt.

52

Dabei lässt das Erfordernis der Unabhängigkeit des Personals und des Managements der nationalen Regulierungsbehörde nach dieser Bestimmung insbesondere die von der Regierung des betreffenden Mitgliedstaats aufgestellten allgemeinen Leitlinien, die allerdings nicht mit den Regulierungsaufgaben und ‑befugnissen gemäß Art. 37 der Richtlinie 2009/72 im Zusammenhang stehen dürfen, unberührt. Dies umfasst Aufgaben und Befugnisse in Bezug auf die Festlegung, Genehmigung und Beobachtung verschiedener Tarife und Preise, insbesondere gemäß Art. 37 Abs. 1 Buchst. a die Aufgabe, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen.

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Zum letztgenannten Punkt ergibt sich nämlich aus Art. 36 dieser Richtlinie, dass die nationale Regulierungsbehörde im Rahmen der in Art. 37 der Richtlinie festgelegten Aufgaben und Befugnisse alle angemessenen Maßnahmen trifft, um die in Art. 36 aufgeführten, im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu erreichen, zu denen u. a. die Förderung eines wettbewerbsbestimmten, sicheren und ökologisch nachhaltigen Elektrizitätsbinnenmarkts, die Energieeffizienz oder der Verbraucherschutz gehören.

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Daraus folgt, dass die Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung im Sinne von Art. 35 Abs. 4 Buchst. b Ziff. ii und Abs. 5 Buchst. a dieser Richtlinie bedeutet, dass die nationale Regulierungsbehörde im Rahmen der in Art. 37 dieser Richtlinie genannten Regulierungsaufgaben und ‑befugnisse ihre Entscheidungen selbständig und allein auf der Grundlage des öffentlichen Interesses trifft, um die Einhaltung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele zu gewährleisten, ohne externen Weisungen anderer öffentlicher oder privater Stellen unterworfen zu sein.

55

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 keine Bestimmung enthält, die die Beteiligung von Vertretern nationaler Ministerien an bestimmten Entgeltfestsetzungsverfahren, die insbesondere den Zugang zum Übertragungs- und Verteilungsnetz für Elektrizität sowie die Übertragung und Verteilung dieser Energie betreffen, verbieten würde.

56

Folglich können die Mitgliedstaaten in Anbetracht des Spielraums, über den sie bei der Erfüllung der Verpflichtungen aus der Richtlinie 2009/72 verfügen, auf den in den Rn. 37 und 38 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, Vorschriften erlassen, die eine solche Beteiligung ermöglichen, sofern die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde in ihren Entscheidungen im Sinne von Art. 35 Abs. 4 und 5 dieser Richtlinie gewährleistet bleibt.

57

Daher führt im vorliegenden Fall der Umstand, dass die streitigen Bestimmungen des Gesetzes Nr. 250/2012 in der durch das Gesetz Nr. 164/2017 geänderten Fassung die Beteiligung von Vertretern nationaler Ministerien an bestimmten Entgeltverfahren vorsehen, nicht notwendigerweise und allein aus diesem Grund dazu, dass die Regulierungsbehörde ihre tarifbezogenen Aufgaben nicht unabhängig im Sinne der Richtlinie 2009/72 und insbesondere von Art. 35 dieser Richtlinie wahrnimmt.

58

Die slowakische Regierung führt hierzu in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass eine solche Beteiligung erforderlich und zweckdienlich sei, damit die Ministerien über die Entgeltverfahren informiert seien, weil diese Verfahren vor allem unter dem Gesichtspunkt der Ziele und Prioritäten der Energiepolitik der Slowakischen Republik im allgemeinen Interesse der gesamten Gesellschaft lägen.

59

Die Vertreter der genannten Ministerien verfügten über kein spezifisches Recht, das es ihnen erlauben würde, in den Erlass der Entscheidungen der Regulierungsbehörde einzugreifen, da ihre Beteiligung im Wesentlichen den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrens nach slowakischem Recht unterliege. Diese Regeln garantierten nämlich allen Beteiligten der fraglichen Verfahren, dass sie sich aktiv beteiligen und damit ihre Rechte und Interessen verteidigen, sich äußern, Vorschläge unterbreiten, Stellungnahmen abgeben und an der Verhandlung teilnehmen, Beweise vorlegen, Akten einsehen, die Entscheidungen erhalten und diese gegebenenfalls vor dem Regulierungsrat dieser Behörde und vor den nationalen Gerichten mit Rechtsbehelfen anfechten könnten.

60

Dagegen macht die Präsidentin der Slowakischen Republik in ihren schriftlichen Erklärungen insbesondere geltend, dass die Regulierungsbehörde selbst unter der Geltung des Gesetzes Nr. 250/2012 vor dessen Änderung durch das Gesetz Nr. 164/2017 im Jahr 2017 auf Druck der slowakischen Regierung ursprüngliche Entscheidungen aufgehoben und durch Entscheidungen ersetzt habe, die mit deren politischen Willen in Einklang gestanden hätten.

61

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen weder die von der slowakischen Regierung angeführten nationalen Regeln und Vorschriften angeführt hat, die daher, wie aus Rn. 45 des vorliegenden Urteils hervorgeht, vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können, noch irgendwelche Angaben zur Entscheidungspraxis der nationalen Regulierungsbehörde gemacht hat.

62

Um jedoch eine sachdienliche Antwort auf die zweite Frage zu geben, ist darauf hinzuweisen, dass, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 im vorliegenden Fall verlangt, dass die Vertreter der nationalen Ministerien ihre Beteiligung an diesen Entgeltverfahren nicht dazu nutzen können, Druck auf die Regulierungsbehörde auszuüben oder ihr Weisungen zu erteilen, die geeignet wären, ihre Entscheidungen im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse aus Art. 37 zu beeinflussen.

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Die Richtlinie 2009/72 verbietet es zwar nicht, dass die Regierung eines Mitgliedstaats, insbesondere durch die Beteiligung von Vertretern ihrer Ministerien, ihren Standpunkt in Bezug auf die Art und Weise, in der ihrer Auffassung nach diese Behörde das öffentliche Interesse im Rahmen ihrer Regulierungsaufgaben berücksichtigen könnte, vor der nationalen Regulierungsbehörde geltend machen kann. Diese Beteiligung und insbesondere die Stellungnahmen, die diese Vertreter in den Entgeltverfahren abgeben, dürfen aber keinen verbindlichen Charakter haben und von der Regulierungsbehörde in keinem Fall als Weisungen angesehen werden, nach denen sie sich bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Befugnisse zu richten hätte.

64

Darüber hinaus dürfen die Vorschriften in Bezug auf die Beteiligung von Vertretern nationaler Ministerien an den Entgeltverfahren die Tragweite der von der Regulierungsbehörde im Zusammenhang mit ihren Aufgaben und Befugnissen nach Art. 37 der Richtlinie erlassenen Entscheidungen nicht beeinträchtigen. Insbesondere dürfen dort, wo diese Aufgaben oder Befugnisse es erfordern, diese Beteiligungsregeln nicht den zwingenden Charakter und die unmittelbare Anwendbarkeit der Entscheidungen dieser Behörde berühren, indem sie beispielsweise vorschreiben, dass diese Entscheidungen vor ihrer Durchführung von diesen Vertretern angenommen oder genehmigt werden.

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Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die zur Gewährleistung des Schutzes des öffentlichen Interesses die Beteiligung von Vertretern von Ministerien dieses Staates an bestimmten Entgeltverfahren vor der nationalen Regulierungsbehörde vorsieht, sofern die Unabhängigkeit dieser Behörde bei der Entscheidungsfindung gewahrt bleibt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der die Regierung dieses Staates befugt ist, den Präsidenten der nationalen Regulierungsbehörde zu ernennen und zu entlassen, sofern alle in diesen Bestimmungen vorgesehenen Anforderungen erfüllt sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

2.

Art. 35 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2009/72 ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die zur Gewährleistung des Schutzes des öffentlichen Interesses die Beteiligung von Vertretern von Ministerien dieses Staates an bestimmten Entgeltverfahren vor der nationalen Regulierungsbehörde vorsieht, sofern die Unabhängigkeit dieser Behörde bei der Entscheidungsfindung gewahrt bleibt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Slowakisch.