URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

11. Juni 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Verfahren zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrags – Architektur- und Ingenieurdienstleistungen – Art. 19 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 2 – Nationale Rechtsvorschriften, die die Möglichkeit der Teilnahme auf Wirtschaftsteilnehmer beschränken, die in bestimmten Rechtsformen errichtet worden sind“

In der Rechtssache C‑219/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 16. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 11. März 2019, in dem Verfahren

Parsec Fondazione Parco delle Scienze e della Cultura

gegen

Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti,

Autorità nazionale anticorruzione (ANAC)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und M. Ilešič,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Parsec Fondazione Parco delle Scienze e della Cultura, vertreten durch A. Pontenani und I. Cecchi, avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Pluchino, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, P. Ondrůšek und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des 14. Erwägungsgrundes sowie von Art. 19 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Parsec Fondazione Parco delle Scienze e della Cultura (im Folgenden: Parsec) einerseits und dem Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (Ministerium für Infrastrukturen und Verkehr, Italien) und der Autorità nazionale anticorruzione (ANAC) (Nationale Antikorruptionsbehörde, Italien) andererseits über die Entscheidung, mit der Letztere den Antrag von Parsec auf Aufnahme in das nationale Verzeichnis der zur Erbringung von Architektur- und Ingenieurdienstleistungen berechtigten Ingenieurgesellschaften und Berufsträger abgelehnt hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 wird ausgeführt:

„Es sollte klargestellt werden, dass der Begriff ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ weit ausgelegt werden sollte, so dass er alle Personen und/oder Einrichtungen umfasst, die die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen auf dem Markt anbieten, ungeachtet der Rechtsform, die sie für sich gewählt haben. Somit sollten Unternehmen, Zweigniederlassungen, Tochterunternehmen, Personengesellschaften, Genossenschaften, haftungsbeschränkte Gesellschaften, Universitäten, ob öffentlich oder privat, sowie andere Einrichtungen, bei denen es sich nicht um natürliche Personen handelt, unter den Begriff ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ fallen, unabhängig davon, ob sie in jeder Beziehung als ‚juristische Personen‘ gelten oder nicht.“

4

In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

10.

‚Wirtschaftsteilnehmer‘ eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die beziehungsweise der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen anbietet;

…“

5

Art. 19 („Wirtschaftsteilnehmer“) Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Wirtschaftsteilnehmer, die gemäß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, zur Erbringung der betreffenden Leistung berechtigt sind, dürfen nicht allein deshalb zurückgewiesen werden, weil sie gemäß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Auftrag vergeben wird, eine natürliche oder juristische Person sein müssten.

Bei öffentlichen Dienstleistungs- und öffentlichen Bauaufträgen sowie bei öffentlichen Lieferaufträgen, die zusätzlich Dienstleistungen oder Verlege- und Installationsarbeiten umfassen, können juristische Personen jedoch verpflichtet werden, in ihrem Angebot oder ihrem Antrag auf Teilnahme die Namen und die einschlägigen beruflichen Qualifikationen der Mitarbeiter anzugeben, die für die Erbringung der betreffenden Leistung verantwortlich sein sollen.“

6

Art. 80 („Vorschriften für die Ausrichtung von Wettbewerben und die Auswahl der Teilnehmer“) der Richtlinie 2014/24 sieht vor:

„(1)   Bei der Durchführung von Wettbewerben wenden die öffentlichen Auftraggeber Verfahren an, welche Titel I und diesem Kapitel entsprechen.

(2)   Die Zulassung zur Teilnahme an einem Wettbewerb darf nicht beschränkt werden

a)

auf das Gebiet eines Mitgliedstaats oder einen Teil davon;

b)

mit der Begründung, dass nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Wettbewerb ausgerichtet wird, nur natürliche oder nur juristische Personen teilnehmen dürften.

(3)   Sind Wettbewerbe auf eine begrenzte Teilnehmerzahl beschränkt, so legen die öffentlichen Auftraggeber klare und nichtdiskriminierende Eignungskriterien fest. In jedem Fall muss die Zahl der Bewerber, die zur Teilnahme am Wettbewerb aufgefordert werden, ausreichen, um einen echten Wettbewerb zu gewährleisten.“

Italienisches Recht

7

Das decreto legislativo n. 50 – Attuazione delle direttive 2014/23/UE, 2014/24/UE e 2014/25/UE sull’aggiudicazione dei contratti di concessione, sugli appalti pubblici e sulle procedure d’appalto degli enti erogatori nei settori dell’acqua, dell’energia, dei trasporti e dei servizi postali, nonché per il riordino della disciplina vigente in materia di contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 50 – Umsetzung der Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU über die Konzessionsvergabe, über die öffentliche Auftragsvergabe und über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Neuordnung der geltenden Rechtsvorschriften betreffend die Bau‑, Dienstleistungs- und Lieferaufträge) vom 18. April 2016 (ordentliche Beilage zur GURI Nr. 91 vom 19. April 2016) bildet den Codice dei contratti pubblici (Vergabegesetzbuch).

8

Während Art. 45 dieses Gesetzbuchs den Begriff des Wirtschaftsteilnehmers, der zur Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge berechtigt ist, allgemein definiert, stellt Art. 46 des Gesetzbuchs folgende Sonderregelung für Architektur- und Ingenieurdienstleistungen auf:

„(1)   Zur Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Architektur- und Ingenieurwesen sind berechtigt:

a)

Erbringer von Ingenieur- und Architekturdienstleistungen: einzelne oder zusammengeschlossene Berufsangehörige, Gesellschaften von Berufsangehörigen im Sinne von Buchst. b, Ingenieurgesellschaften im Sinne von Buchst. c, Konsortien, Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen (EWIV), Bietergemeinschaften zwischen den vorstehenden Rechtssubjekten, die für auf dem Markt tätige öffentliche und private Auftraggeber Ingenieur- und Architekturdienstleistungen sowie damit zusammenhängende technisch-administrative Tätigkeiten und Studien zur wirtschaftlich-finanziellen Machbarkeit erbringen, einschließlich, was Maßnahmen im Zusammenhang mit der Restaurierung und der Instandsetzung von beweglichen Sachen und von mit Architekturgütern verzierten Flächen betrifft, Personen, die die Qualifikation eines Restaurators von Kulturgütern gemäß der geltenden Regelung besitzen;

b)

Gesellschaften von Berufsangehörigen: Gesellschaften, die ausschließlich zwischen in den entsprechenden Verzeichnissen gemäß den geltenden Berufsordnungen eingetragenen Berufsangehörigen errichtet sind, in der Form von Personengesellschaften im Sinne von Titel V Abschnitte II, III und IV des Fünften Buchs des Zivilgesetzbuchs sowie in der Form von Genossenschaften im Sinne von Titel VI Abschnitt I des Fünften Buchs des Zivilgesetzbuchs, die für private und öffentliche Auftraggeber Ingenieur- und Architekturdienstleistungen wie Machbarkeitsstudien, Recherchen, Beratungen, Bauplanungen oder ‑leitungen, Bewertungen der technischen und wirtschaftlichen Angemessenheit oder Umweltverträglichkeitsprüfungen erbringen;

c)

Ingenieurgesellschaften: Kapitalgesellschaften im Sinne von Titel V Abschnitte V, VI und VII des Fünften Buchs des Zivilgesetzbuchs oder in der Form von Genossenschaften im Sinne von Titel VI Abschnitt I des Fünften Buchs des Zivilgesetzbuchs, die die Voraussetzungen der Gesellschaften von Berufsangehörigen nicht erfüllen und Machbarkeitsstudien, Recherchen, Beratungen, Bauplanungen oder ‑leitungen, Bewertungen der technischen und wirtschaftlichen Angemessenheit oder Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie etwaige Tätigkeiten der Herstellung von Waren im Zusammenhang mit der Erbringung dieser Dienstleistungen durchführen;

d)

Erbringer von Ingenieur- und Architekturdienstleistungen, die mit den CPV-Codes 74200000‑1 bis 74276400‑8, 74310000‑5 bis 74323100‑0 und 74874000‑6 identifiziert, in anderen Mitgliedstaaten ansässig und gemäß den in den jeweiligen Ländern geltenden Rechtsvorschriften errichtet sind;

e)

Bietergemeinschaften aus den unter den Buchst. a bis d genannten Rechtssubjekten;

f)

ständige Konsortien von Gesellschaften von Berufsangehörigen und von Ingenieurgesellschaften, auch in gemischter Form, die aus mindestens drei Konsortialmitgliedern bestehen, die in den Bereichen Ingenieur- und Architekturdienstleistungen tätig waren.

(2)   Für die Teilnahme an den in Abs. 1 genannten Vergabeverfahren können die Gesellschaften für einen Zeitraum von fünf Jahren ab ihrer Errichtung attestieren, dass sie über die in der Vergabebekanntmachung geforderten wirtschaftlich-finanziellen und technisch-organisatorischen Voraussetzungen, auch in Bezug auf die Voraussetzungen der Gesellschafter, wenn sie als Personengesellschaft oder Genossenschaft errichtet wurden, und der technischen Leiter oder der bei der Gesellschaft unbefristet beschäftigten Berufsangehörigen, wenn sie als Kapitalgesellschaft errichtet wurden, verfügen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9

Parsec ist eine gemäß dem italienischen Zivilgesetzbuch errichtete Stiftung des Privatrechts ohne Gewinnerzielungsabsicht.

10

Ihr Sitz ist in Prato (Italien), und ihre satzungsmäßigen Tätigkeiten bestehen u. a. in der Untersuchung von Naturkatastrophen, der Vorhersage und Prävention von Risikobedingungen, der Umwelt- und Raumplanung, ‑verwaltung und ‑überwachung sowie dem Zivil- und Umweltschutz. Sie gründete intern ein seismologisches „Observatorium“, das dauerhaft mit dem Istituto nazionale di geofisica e vulcanologia (Nationales Institut für Geophysik und Vulkanologie, Italien) zusammenarbeitet. Über dieses Observatorium betreibt Parsec ein Netz von Messstationen zur Erfassung seismischer Aktivitäten, arbeitet mit Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen und erbringt Dienstleistungen des seismischen Risikomanagements, des Zivilschutzes und der Raumordnung zugunsten zahlreicher Gemeinden und lokaler Gebietskörperschaften. Bei allen diesen Tätigkeiten setzt sie Mitarbeiter ein, die in diesem Bereich hochqualifiziert sind.

11

Um an Ausschreibungen für die Vergabe der Dienstleistung der Gebietseinteilung auf der Grundlage des seismischen Risikos teilnehmen zu können, stellte Parsec einen Antrag auf Aufnahme in das von der ANAC geführte Verzeichnis der zur Erbringung von Ingenieur- und Architekturdienstleistungen berechtigten Wirtschaftsteilnehmer. Da Parsec jedoch nicht zu einer der in Art. 46 Abs. 1 des Vergabegesetzbuchs genannten Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern gehörte, lehnte die ANAC den Aufnahmeantrag ab, wogegen Parsec Klage beim vorlegenden Gericht, dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien), erhob.

12

Vor diesem Gericht machen das Ministerium für Infrastrukturen und Verkehr sowie die ANAC zunächst geltend, dass Parsec durch ihre fehlende Aufnahme in das von der ANAC geführte Verzeichnis der in Art. 46 des Vergabegesetzbuchs genannten Wirtschaftsteilnehmer nicht daran gehindert sei, an Ausschreibungen für die Vergabe der betreffenden Dienstleistungen teilzunehmen.

13

Das vorlegende Gericht weist als Erstes darauf hin, dass die Dienstleistungen, die Gegenstand des bei ihm anhängigen Verfahrens seien, nämlich die Dienstleistungen der Seismologie und der Gebietseinteilung auf der Grundlage des seismischen Risikos, zu den Architektur- und Ingenieurdienstleistungen im Sinne des Vergabegesetzbuchs gehörten. Für die Erbringung dieser Dienstleistungen gestatte aber Art. 46 dieses Gesetzbuchs die Teilnahme an Ausschreibungsverfahren nur für bestimmte Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern, zu denen Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht wie Parsec nicht gehörten. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass aufgrund der mangelnden Aufnahmefähigkeit dieser Einrichtungen in das von der ANAC geführte Verzeichnis jegliche Überprüfung der Professionalität solcher Einrichtungen, die ein Angebot abgeben wollten, durch den öffentlichen Auftraggeber unmöglich sei.

14

Als Zweites führt das vorlegende Gericht aus, diese Sonderregelung, die zur Folge habe, dass die Tragweite des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ in Art. 45 des Vergabegesetzbuchs eingeschränkt werde, könne durch die hohe Professionalität, die von den Bietern verlangt werde, um die Qualität der von ihnen zu erbringenden Dienstleistungen zu gewährleisten, sowie durch eine „Vermutung“ gerechtfertigt werden, wonach die Personen, die diese Dienstleistungen kontinuierlich, berufsmäßig und entgeltlich erbrächten, ihre Tätigkeit eher ohne Unterbrechung ausgeübt und berufliche Fortbildungskurse besucht haben könnten.

15

Als Drittes verweist das vorlegende Gericht auf das Urteil vom 23. Dezember 2009, CoNISMa (C‑305/08, EU:C:2009:807), mit dem der Gerichtshof die italienische Regelung für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt habe, die es Einrichtungen, die nicht in erster Linie eine Gewinnerzielung anstrebten, verboten habe, an einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilzunehmen, obwohl diese Einrichtungen berechtigt gewesen seien, die von dem betreffenden Auftrag erfassten Dienstleistungen anzubieten. Der italienische Gesetzgeber habe zwar in Art. 45 des Vergabegesetzbuchs, der den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ allgemein definiere, die vom Gerichtshof in dem besagten Urteil zugrunde gelegte weite Definition dieses Begriffs übernommen, doch habe er sich mit dem Erlass von Art. 46 dieses Gesetzbuchs hinsichtlich der Architektur- und Ingenieurdienstleistungen für eine engere Definition entschieden.

16

Angesichts des allgemeinen Charakters der Erkenntnisse aus jenem Urteil fragt sich das vorlegende Gericht, ob das Unionsrecht den Mitgliedstaaten gleichwohl die Möglichkeit belässt, für die Dienstleistungen, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, engere Definitionen zu erlassen. Es weist insoweit darauf hin, dass Art. 19 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 ihrem jeweiligen Wortlaut nach, wenn auch implizit, zuzulassen schienen, dass ein Mitgliedstaat die Teilnahme an einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge allein auf natürliche Personen oder bestimmte juristische Personen beschränken könne. Im Übrigen seien die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer von der restriktiven Definition in Art. 46 des Vergabegesetzbuchs nicht betroffen, da auf sie die allgemeine Regel des Art. 45 Abs. 1 dieses Gesetzbuchs anwendbar sei, die es diesen Wirtschaftsteilnehmern im Einklang mit Art. 80 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 erlaube, an einem Auftragsvergabeverfahren auf der Grundlage der Regelung des Mitgliedstaats, in dem sie ansässig seien, teilzunehmen.

17

Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht der 14. Erwägungsgrund in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 einer Vorschrift wie Art. 46 des Vergabegesetzbuchs, mit dem die Italienische Republik die Richtlinien 2014/23, 2014/24 und 2014/25 in ihre innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt hat, entgegen, die es nur den Wirtschaftsteilnehmern, die in den dort angegebenen Rechtsformen errichtet wurden, gestattet, an Ausschreibungen für die Vergabe von „Architektur- und Ingenieurdienstleistungen“ teilzunehmen, so dass die Wirtschaftsteilnehmer, die solche Leistungen unter einer anderen Rechtsform erbringen, von der Teilnahme an solchen Ausschreibungen ausgeschlossen sind?

Zur Vorlagefrage

18

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 19 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 im Lichte von deren 14. Erwägungsgrund dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht die Möglichkeit ausschließt, an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über Ingenieur- und Architekturdienstleistungen teilzunehmen, obwohl diese Einrichtungen nach dem nationalen Recht berechtigt sind, die von dem betreffenden Auftrag erfassten Dienstleistungen anzubieten.

19

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, dass eine Stiftung wie Parsec, die mit ihrer Tätigkeit keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, nach der im Ausgangsverfahren anwendbaren nationalen Regelung nicht zur Teilnahme an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über Ingenieur- und Architekturdienstleistungen zugelassen ist, obwohl sie nach dem nationalen Recht berechtigt ist, die von dem betreffenden Auftrag erfassten Dienstleistungen anzubieten.

20

Der Gerichtshof hat aber in den Rn. 47 bis 49 des Urteils vom 23. Dezember 2009, CoNISMa (C‑305/08, EU:C:2009:807), zu einer nationalen Regelung, mit der die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde, bereits entschieden, dass zwar die Mitgliedstaaten befugt sind, bestimmten Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern die Erbringung bestimmter Leistungen zu gestatten oder zu verwehren, und dass sie insbesondere Einrichtungen, die keine Gewinnerzielung anstreben und deren Zweck hauptsächlich auf Forschung und Lehre gerichtet ist, gestatten oder verwehren können, auf dem Markt tätig zu sein, je nachdem, ob die fragliche Tätigkeit mit ihren institutionellen und satzungsmäßigen Zielen vereinbar ist oder nicht. Wenn und soweit solche Einrichtungen jedoch berechtigt sind, bestimmte Dienstleistungen auf dem Markt anzubieten, kann ihnen das nationale Recht nicht verbieten, an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilzunehmen, die die Erbringung eben dieser Dienstleistungen betreffen.

21

Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs ist sowohl in Bezug auf dieselbe Richtlinie bestätigt worden (Urteile vom 19. Dezember 2012, Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a.,C‑159/11, EU:C:2012:817, Rn. 27, und vom 6. Oktober 2015, Consorci Sanitari del Maresme,C‑203/14, EU:C:2015:664, Rn. 35) als auch in Bezug auf die durch diese ersetzte Richtlinie, nämlich die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. 1992, L 209, S. 1) (Urteil vom 18. Dezember 2014, Data Medical Service,C‑568/13, EU:C:2014:2466, Rn. 36).

22

Sie hat mit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2014/24, mit der die Richtlinie 2004/18 aufgehoben und ersetzt wurde, nichts an Gültigkeit eingebüßt. Abgesehen davon, dass der Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ aus Art. 1 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18 ohne substanzielle Änderung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24 übernommen wurde, wird nämlich im 14. Erwägungsgrund der letztgenannten Richtlinie nunmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser Begriff „weit“ ausgelegt werden sollte, so dass er alle Personen und/oder Einrichtungen umfasst, die auf dem Markt tätig sind, „ungeachtet der Rechtsform, die sie für sich gewählt haben.“ Desgleichen sieht Art. 19 Abs. 1 dieser Richtlinie ebenso wie ihr Art. 80 Abs. 2 ausdrücklich vor, dass die Bewerbung eines Wirtschaftsteilnehmers nicht allein deshalb abgelehnt werden darf, weil er nach nationalem Recht eine natürliche oder juristische Person sein muss.

23

Folglich kann nach der oben in den Rn. 20 und 21 angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs das nationale Recht einer Stiftung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die berechtigt ist, bestimmte Dienstleistungen auf dem nationalen Markt anzubieten, nicht verbieten, an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilzunehmen, die die Erbringung eben dieser Dienstleistungen betreffen.

24

Diese Auslegung kann nicht mit der vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen angeführten und von der italienischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen aufgegriffenen Begründung in Frage gestellt werden, dass die enge Definition des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ in Art. 46 des Vergabegesetzbuchs im Kontext von Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Architektur- und Ingenieurwesen durch die zur Gewährleistung der Qualität solcher Dienstleistungen erforderliche hohe Professionalität sowie durch eine angebliche Vermutung gerechtfertigt sei, wonach die Personen, die diese Dienstleistungen kontinuierlich, berufsmäßig und entgeltlich erbrächten, ihre Tätigkeit eher ohne Unterbrechung ausgeübt und berufliche Fortbildungskurse besucht haben könnten.

25

Als Erstes hat die italienische Regierung, wie von der Europäischen Kommission ausgeführt, nicht dargetan, dass zwischen dem Grad der im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung an den Tag gelegten Professionalität und damit der Qualität der erbrachten Dienstleistung auf der einen Seite und der Rechtsform des die Dienstleistung erbringenden Wirtschaftsteilnehmers auf der anderen Seite irgendeine besondere Wechselbeziehung bestünde.

26

Als Zweites genügt zu der „Vermutung“, wonach die Personen, die Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Architektur- und Ingenieurwesen berufsmäßig und entgeltlich erbrächten, ihre Tätigkeit eher ohne Unterbrechung ausgeübt und berufliche Fortbildungskurse besucht haben könnten, die Feststellung, dass sich eine solche Vermutung im Unionsrecht nicht durchsetzen kann, da sie mit der oben in Rn. 20 angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs unvereinbar ist, aus der sich ergibt, dass einer Einrichtung, wenn sie nach dem nationalen Recht berechtigt ist, in dem betreffenden Mitgliedstaat Ingenieur- und Architekturdienstleistungen auf dem Markt anzubieten, nicht das Recht verweigert werden kann, an einem Verfahren zur Vergabe eines auf die Erbringung eben solcher Dienstleistungen bezogenen öffentlichen Auftrags teilzunehmen.

27

Schließlich ist hinzuzufügen, dass sich der Unionsgesetzgeber der Bedeutung dessen bewusst war, dass die Bewerber und Bieter auf dem Gebiet der öffentlichen Dienstleistungs- und Bauaufträge sowie bestimmter öffentlicher Lieferaufträge einen hohen Grad an Professionalität aufweisen. Zu diesem Zweck hat er in Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 die Möglichkeit vorgesehen, juristische Personen zu verpflichten, in ihrem Angebot oder ihrem Antrag auf Teilnahme die Namen und die einschlägigen beruflichen Qualifikationen der Mitarbeiter anzugeben, die für die Erbringung der betreffenden Leistung verantwortlich sein sollen. Eine differenzierte Behandlung aufgrund der Rechtsform, die solche Bewerber und Bieter für sich gewählt haben, hat der Unionsgesetzgeber dagegen zu diesem Zweck nicht eingeführt.

28

Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 im Lichte von deren 14. Erwägungsgrund dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht die Möglichkeit ausschließt, an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über Ingenieur- und Architekturdienstleistungen teilzunehmen, obwohl diese Einrichtungen nach dem nationalen Recht berechtigt sind, die von dem betreffenden Auftrag erfassten Dienstleistungen anzubieten.

Kosten

29

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 19 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG sind im Lichte des 14. Erwägungsgrundes der Richtlinie dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht die Möglichkeit ausschließt, an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über Ingenieur- und Architekturdienstleistungen teilzunehmen, obwohl diese Einrichtungen nach dem nationalen Recht berechtigt sind, die von dem betreffenden Auftrag erfassten Dienstleistungen anzubieten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.