SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GERARD HOGAN

vom 17. Dezember 2020 ( 1 )

Rechtssache C‑896/19

Repubblika

gegen

Il-Prim Ministru,

Beteiligte:

WY

(Vorabentscheidungsersuchen der Qorti Ċivili Prim’Awla – Ġurisdizzjoni Kostituzzjonali [Erste Kammer des Zivilgerichts – Verfassungssachen, Malta])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 2 EUV – Werte der Union – Rechtsstaatlichkeit – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Art. 19 EUV – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Richterliche Unabhängigkeit – Verfahren zur Ernennung von Richtern – Befugnisse des Premierministers – Mitwirkung eines Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen“

I. Einleitung

1.

Diese Vorlage zur Vorabentscheidung wirft erneut wichtige Fragen zum Wesen der richterlichen Unabhängigkeit auf. Mit den im Vorlagebeschluss gestellten Fragen wird der Gerichtshof ersucht, zu prüfen, inwieweit die unionsrechtlichen Garantien der richterlichen Unabhängigkeit auch Auswirkungen auf das System der Ernennung nationaler Richter haben; insbesondere, ob das Unionsrecht Einschränkungen hinsichtlich der Richterernennung durch die Exekutive auferlegt.

2.

Diese Vorlage erfolgt im Rahmen eines Verfahrens, das mit einer derzeit bei den maltesischen Gerichten anhängigen actio popularis (im Folgenden: Popularklage) eingeleitet wurde. In diesem Verfahren wird die Unvereinbarkeit des in der maltesischen Verfassung vorgesehenen Verfahrens der Richterernennung u. a. mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) geltend gemacht.

3.

Diese Klage gibt dem Gerichtshof somit erneut Gelegenheit, seine jüngste Rechtsprechung zum Anwendungsbereich dieser Bestimmungen und insbesondere die sich aus ihnen ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit des Justizsystems in der Rechtsordnung der Union zu untersuchen.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. EU-Vertrag

4.

Art. 2 EUV lautet:

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

5.

Art. 19 Abs. 1 EUV bestimmt:

„Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.

Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“

2. Charta

6.

In Titel VI („Justizielle Rechte“) der Charta bestimmt Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“):

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. …

…“

B.   Maltesisches Recht

7.

Die Verfassung Maltas von 1964 (im Folgenden: Verfassung) enthält in Kapitel VIII detaillierte Bestimmungen über die rechtsprechende Gewalt, die u. a. das Verfahren der Richterernennung umfassen. Im Jahr 2016 wurde dieses Kapitel geändert, u. a. durch Einführung des Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen. Die Rolle dieses Ausschusses und das Verfahren zur Ernennung von Richtern wurden im Juli 2020 erheblich geändert; auf das Ausgangsverfahren finden die nachstehenden Regeln Anwendung.

8.

Art. 96 der Verfassung betrifft die Ernennung der Richter an den Obergerichten (Judges). Er bestimmt:

„(1)

Die Judges an den Obergerichten werden vom Präsidenten entsprechend dem Rat des Premierministers ernannt.

(2)

Zur Ernennung als Judge an den Obergerichten ist nur qualifiziert, wer über einen Zeitraum von mindestens zwölf Jahren oder über mehrere Zeiträume von insgesamt mindestens zwölf Jahren in Malta eine Tätigkeit als Rechtsanwalt oder das Amt eines Magistrate ausgeübt hat oder aber zum Teil als Rechtsanwalt und zum Teil als Magistrate tätig war.

(3)

Unbeschadet der Bestimmungen in Abs. 4 muss die von dem durch Art. 96A der Verfassung eingerichteten Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen vorzunehmende Beurteilung gemäß Art. 96A Abs. 6 Buchst. c, d oder e der Verfassung vorgenommen worden sein, bevor der Premierminister gemäß Abs. 1 seinen Rat bezüglich der Ernennung eines Judge an den Obergerichten (mit Ausnahme des Chief Justice) erteilt.

(4)

Ungeachtet der Bestimmungen in Abs. 3 ist der Premierminister berechtigt, sich dafür zu entscheiden, sich nicht an das Ergebnis der in Abs. 3 genannten Beurteilung zu halten:

Sofern der Premierminister von der ihm durch diesen Absatz eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hat, hat der Premierminister oder der für die Justiz zuständige Minister:

a)

innerhalb von fünf Tagen in der Gazette [Amtsblatt] eine Erklärung zu veröffentlichen, die die Bekanntgabe der Entscheidung, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen, und die Gründe für diese Entscheidung enthält, sowie

b)

im Repräsentantenhaus eine Erklärung zu der betreffenden Entscheidung abzugeben, in der die Gründe, auf denen die Entscheidung beruht, erläutert werden, und zwar spätestens in der zweiten, nach dem Zeitpunkt stattfindenden Sitzung des Repräsentantenhauses, zu dem dem Präsidenten der Rat gemäß Abs. 1 erteilt wurde:

Die Bestimmungen dieses Absatzes Unterabs. 2 finden im Fall der Bestellung für das Amt des Chief Justice keine Anwendung.“

9.

Art. 96A der Verfassung beschreibt die Rolle des Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen. Er lautet:

„(1)

Es wird ein Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen eingerichtet, in diesem Artikel als ‚Ausschuss‘ bezeichnet, der als Unterausschuss der durch Art. 101A der Verfassung eingerichteten Kommission für Rechtspflege aus folgenden Mitgliedern besteht:

a)

dem Chief Justice [in Personalunion u. a. Präsident der Rechtsmittelgerichte und des Verfassungsgerichts sowie stellvertretender Vorsitzender der Commission for the Administration of Justice];

b)

dem Attorney General [Generalstaatsanwalt];

c)

dem Auditor General [Generalrechnungsprüfer];

d)

dem Commissioner for Administrative Investigations (Ombudsman) [Kommissar für Verwaltungsuntersuchungen (Bürgerbeauftragter)] sowie

e)

dem President of the Chamber of Advocates [Präsident der Rechtsanwaltskammer]:

(2)

Der Vorsitz im Ausschuss wird vom Chief Justice oder, in dessen Abwesenheit, von dem Richter geführt, der ihn gemäß Abs. 3 Buchst. d vertritt.

(3)

a) Eine Person kann nicht zum Mitglied des Ausschusses bestellt werden oder ihr Amt als Mitglied des Ausschusses weiter innehaben, wenn sie Minister, Parlamentarischer Staatssekretär, Mitglied des Repräsentantenhauses, Mitglied eines Gemeinderats oder Funktionär oder Kandidat einer politischen Partei ist:

(4)

Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben handeln die Mitglieder des Ausschusses nach ihrem eigenen Urteil und unterliegen dabei keinerlei Weisung oder Kontrolle durch irgendeine Person oder Stelle.

(5)

Der Ausschuss hat einen Sekretär, der durch den für die Justiz zuständigen Minister bestellt wird.

(6)

Die Aufgaben des Ausschusses sind:

a)

Interessensbekundungen von Personen entgegenzunehmen und zu prüfen, die daran interessiert sind, zum Judge an den Obergerichten (mit Ausnahme des Amtes des Chief Justice) oder zum Magistrate an den Untergerichten ernannt zu werden, mit Ausnahme der Personen, auf die Buchst. e Anwendung findet;

b)

ein ständiges Register der in Abs. a genannten Interessensbekundungen und der hierauf bezogenen Handlungen zu führen, das geheim zu halten und nur den Mitgliedern des Ausschusses, dem Premierminister und dem für die Justiz zuständigen Minister zugänglich ist;

c)

Bewerbungsgespräche zu führen und Beurteilungen der Kandidaten für die vorgenannten Ämter vorzunehmen, so wie er dies für angemessen hält, sowie zu diesem Zweck Informationen bei staatlichen Stellen anzufordern, die er für nach vernünftigem Ermessen erforderlich hält;

d)

den Premierminister durch den für die Justiz zuständigen Minister über die von ihm vorgenommene Beurteilung der Eignung und Leistung der Kandidaten für die Ernennung in die vorgenannten Ämter zu beraten;

e)

den Premierminister auf dessen Verlangen über die Eignung und Leistung von Personen, die bereits das Amt des Attorney General, des Auditor General, des Commissioner for Administrative Investigations (Ombudsman) oder eines Magistrate an den Untergerichten innehaben, im Hinblick auf die Ernennung in ein Richteramt zu beraten;

f)

den für die Justiz zuständigen Minister auf dessen gelegentliche Anforderung über die Ernennung in jedes sonstige Richteramt oder Amt in den Gerichten zu beraten:

Die in Buchst. d genannte Beurteilung ist nicht später als sechzig Tage nach Zugang der Interessensbekundung beim Ausschuss und die in den Buchst. e und f genannte Beratung ist nicht später als dreißig Tage nach ihrer Anforderung oder innerhalb der Fristen vorzunehmen, die von dem für die Justiz zuständigen Minister im Einvernehmen mit dem Ausschuss durch Anordnung in der Gazette gesetzt werden.

(7)

Die Tätigkeit des Ausschusses ist vertraulich und findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und kein Mitglied oder Sekretär des Ausschusses darf geladen werden, als Zeuge vor einem Gericht oder einer sonstigen Stelle über Dokumente, die dem Ausschuss zugegangen sind, oder Angelegenheiten, die von ihm erörtert wurden oder an ihn oder von ihm mitgeteilt wurden, auszusagen.

(8)

Der Ausschuss regelt sein eigenes Verfahren und ist verpflichtet, im Einvernehmen mit dem für die Justiz zuständigen Minister die Kriterien zu veröffentlichen, nach denen er seine Beurteilungen vornimmt.“

10.

Art. 97 der Verfassung bestimmt:

„(1)   Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Artikels scheidet ein Judge an den Obergerichten mit Vollendung des 65. Lebensjahrs aus dem Amt aus.

(2)   Ein Judge an den Obergerichten kann nur durch den Präsidenten der Republik seines Amtes enthoben werden, sofern dies mit einem Antrag des Repräsentantenhauses, dem mindestens zwei Drittel aller seiner Mitglieder zugestimmt haben, gefordert wird, weil das Mitglied der Richterschaft (wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen oder anderer Ursachen) erwiesenermaßen unfähig ist, die Aufgaben seines Amtes wahrzunehmen, oder erwiesenermaßen ein Fehlverhalten vorliegt.

(3)   Das Parlament kann durch Gesetz das Verfahren für den Beschluss einer Eingabe sowie für die Untersuchung und den Nachweis der Unfähigkeit oder des Fehlverhaltens eines Judge an den Obergerichten nach den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes festlegen.“

11.

Art. 100 der Verfassung betrifft die Ernennung der Richter an den Untergerichten (Magistrates). Das dort vorgesehene Verfahren ist dem Verfahren für die Judges an den Obergerichten vergleichbar:

„(1)

Die Magistrates an den Untergerichten werden vom Präsidenten der Republik entsprechend dem Rat des Premierministers ernannt.

(2)

Für eine Ernennung zum Magistrate an den Untergerichten ist nur qualifiziert, wer über einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren oder über mehrere Zeiträume von insgesamt mindestens sieben Jahren eine Tätigkeit als Rechtsanwalt in Malta ausgeübt hat.

(3)

Vorbehaltlich der Bestimmungen von Abs. 4 scheidet ein Magistrate an den Untergerichten mit Vollendung des 65. Lebensjahrs aus dem Amt aus.

(4)

Die Bestimmungen von Art. 97 Abs. 2 und 3 der Verfassung finden auf die Magistrates der Untergerichte entsprechende Anwendung.

(5)

Unbeschadet der Bestimmungen in Abs. 6 muss die von dem durch Art. 96A der Verfassung eingerichteten Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen vorzunehmende Beurteilung gemäß Art. 96A Abs. 6 Buchst. c, d oder e der Verfassung vorgenommen worden sein, bevor der Premierminister gemäß Abs. 1 seinen Rat bezüglich der Ernennung eines Magistrate an den Untergerichten erteilt.

(6)

Ungeachtet der Bestimmungen in Abs. 5 ist der Premierminister berechtigt, sich dafür zu entscheiden, sich nicht an das Ergebnis der in Abs. 5 genannten Beurteilung zu halten:

Sofern der Premierminister von der ihm durch diesen Absatz eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hat, hat der Premierminister oder der für die Justiz zuständige Minister:

a)

innerhalb von fünf Tagen in der Gazette eine Erklärung zu veröffentlichen, die die Bekanntgabe der Entscheidung, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen, und die Gründe für diese Entscheidung enthält, sowie

b)

im Repräsentantenhaus eine Erklärung zu der betreffenden Entscheidung abzugeben, in der die Gründe, auf denen die Entscheidung beruht, erläutert werden, und zwar spätestens in der zweiten nach dem Zeitpunkt stattfindenden Sitzung des Repräsentantenhauses, zu dem dem Präsidenten der Rat gemäß Abs. 1 erteilt wurde.“

12.

Art. 101B der Verfassung bezieht sich auf die Disziplinarordnung für Judges und Magistrates. Er bestimmt:

„(1)   Es wird ein Ausschuss für Judges und Magistrates (im Folgenden: Ausschuss) eingerichtet, der als Unterausschuss der Kommission für Rechtspflege aus drei Mitgliedern der Richterschaft besteht, die nicht Mitglied der Kommission für Rechtspflege sind und die gemäß von der Kommission für Rechtspflege erlassenen Regeln aus der Mitte der Judges und Magistrates gewählt werden, wobei jedoch in Disziplinarverfahren gegen einen Magistrate zwei der drei Mitglieder Magistrates und in Disziplinarverfahren gegen einen Judge zwei der drei Mitglieder Judges sein müssen.

(4)   Die Disziplinargewalt über die Judges und Magistrates wird vom Ausschuss in der in diesem Artikel vorgeschriebenen Weise ausgeübt.

(15)   Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben handeln die Mitglieder des Ausschusses nach ihrem eigenen Urteil und unterliegen dabei keinerlei Weisung oder Kontrolle durch irgendeine andere Person oder Stelle.

…“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

13.

Repubblika ist ein Verein zur Förderung von Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Malta. Mit seiner beim vorlegenden Gericht erhobenen Popularklage vom 25. April 2019 beantragt er die Feststellung, dass Malta mit seinem zum Zeitpunkt der Einleitung dieses Verfahrens geltenden System der Ernennung von Judges (Obergerichte) und Magistrates (Untergerichte), so wie es in den Art. 96, 96A und 100 der Verfassung geregelt ist, seine Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta sowie aus Art. 39 der Verfassung und aus Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verletzt.

14.

In der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 2019 vor dem vorlegenden Gericht hat der Kläger klargestellt, dass er in diesem Verfahren alle Richterernennungen mit Wirkung vom 25. April 2019 wie auch gegebenenfalls alle danach erfolgten Richterernennungen anfechte, es sei denn, diese seien gemäß den Empfehlungen der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (im Folgenden: Venedig-Kommission) in ihrer Stellungnahme Nr. 940/2018 zu verfassungsrechtlichen Bestimmungen, der Gewaltenteilung, der Unabhängigkeit der Justiz und der Strafverfolgung ( 2 ) und in Einklang mit den Bestimmungen von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta erfolgt.

15.

Der Prim Ministru (Premierminister, im Folgenden: Beklagter) führt aus, dass das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht in Malta beachtet werde. In diesem Zusammenhang seien die Ernennungen mit Wirkung vom 25. April 2019 unter strikter Einhaltung der Verfassungsbestimmungen sowie im Einklang mit dem Unionsrecht erfolgt. Es gebe keinen Unterschied zwischen speziell diesen Ernennungen und anderen seit der Verkündung der Verfassung im Jahr 1964 erfolgten Ernennungen von Mitgliedern der Richterschaft, abgesehen von dem Umstand, dass Kandidaten – anders als im Fall der vor 2016 erfolgten Ernennungen – nunmehr einer Eignungsbeurteilung durch den durch Art. 96A der Verfassung geschaffenen Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen unterzogen würden.

16.

Nach Ansicht des Beklagten steht das System für die Ernennung der Mitglieder der Richterschaft mit den Anforderungen von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta in der Auslegung durch den Gerichtshof in Einklang. Tatsächlich spiegele das System sogar das für die Ernennung der Richter des Gerichtshofs vorgesehene Verfahren gemäß Art. 253 Abs. 1 AEUV wider, bei dem die Stellungnahme des gemäß Art. 255 AEUV eingerichteten Ausschusses für die endgültige Entscheidung der Regierungen der Mitgliedstaaten nicht verbindlich sei.

17.

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, die ihm zur Beurteilung vorgelegte Kernfrage betreffe vor allem das auf den Art. 96, 96A und 100 der Verfassung beruhende Ermessen des Premierministers bei der Ernennung sämtlicher Mitglieder der Richterschaft sowie die Frage, ob die Verfassungsänderungen von 2016 diesen Ermessensspielraum vergrößert hätten oder nicht. Obwohl eine Reihe der durch die vorliegende Rechtssache aufgeworfenen Aspekte vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531), behandelt worden seien, sollte diese Frage im Kontext einer Beurteilung des Systems in seiner Gesamtheit, einschließlich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht in Malta, behandelt werden.

18.

In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2020 ist dem Gerichtshof mitgeteilt worden, dass im Juli 2020 im Anschluss an Empfehlungen der Venedig-Kommission zum System der Ernennungen im Justizwesen in ihrer Stellungnahme Nr. 940/2018 bestimmte Verfassungsänderungen erfolgt seien. Diese Änderungen lassen jedoch sowohl den Gegenstand des Verfahrens vor dem vorlegenden Gericht als auch das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen unberührt.

IV. Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

19.

Unter diesen Umständen hat die Qorti Ċivili Prim’Awla – Ġurisdizzjoni Kostituzzjonali (Erste Kammer des Zivilgerichts – Verfassungssachen, Malta) mit Entscheidung vom 25. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Dezember 2019, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist davon auszugehen, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta, sei es separat oder in Verbindung miteinander gelesen, in Bezug auf die Rechtsgültigkeit der Art. 96, 96A und 100 der Verfassung von Malta anwendbar sind?

2.

Falls die erste Frage bejaht wird: Ist davon auszugehen, dass die Befugnisse des Premierministers im Verfahren zur Ernennung der Mitglieder der Richterschaft in Malta mit Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta, auch unter Berücksichtigung des 2016 in Kraft getretenen Art. 96A der Verfassung, im Einklang steht?

3.

Falls die Befugnisse des Premierministers für nicht vereinbar befunden werden: Ist diese Tatsache bei künftigen Ernennungen zu berücksichtigen oder betrifft sie auch bisherige Ernennungen?

20.

Repubblika, die belgische, die maltesische, die niederländische, die polnische und die schwedische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Außerdem haben sie in der Sitzung vom 27. Oktober 2020 mündliche Ausführungen gemacht.

V. Würdigung

A.   Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

21.

In ihren schriftlichen Erklärungen macht die polnische Regierung geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen aus zwei Gründen unzulässig sei.

22.

Erstens würde das vorlegende Gericht – selbst wenn es Klägern nach maltesischem Recht möglich sein sollte, im Rahmen einer Popularklage die abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit geltender Vorschriften der nationalen Rechtsordnung zu verlangen – dem Gerichtshof seine Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen, damit es – je nach der erteilten Antwort – über die abstrakte Vereinbarkeit der maltesischen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht entscheiden könne.

23.

Die Entscheidung über die abstrakte Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht falle jedoch in die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs nach den Art. 258 und 259 AEUV und derartige Verfahren könnten nur von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat eingeleitet werden. Gegenstand einer Vorlage zur Vorabentscheidung sei dagegen allein die Auslegung von Unionsrecht. Dementsprechend sei es im Licht der Art. 258, 259 und 267 AEUV einem nationalen Gericht verwehrt, auf der Grundlage der im Vorabentscheidungsverfahren vorgenommenen Auslegung des Unionsrechts über die abstrakte Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu entscheiden, da ja der Gerichtshof selbst sich nicht als zuständig ansähe, im Vorabentscheidungsverfahren die Vereinbarkeit des nationalen Rechts zu prüfen.

24.

Die vom Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren vorgenommene Auslegung des Unionsrechts könne deshalb nicht dazu verwendet werden, einen Rechtsstreit wie den beim vorlegenden Gericht anhängigen zu entscheiden, und könne dementsprechend nicht als zur Entscheidung des Ausgangsverfahrens erforderlich im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden. Eine entgegengesetzte Auslegung dieser Bestimmung liefe darauf hinaus, die Art. 258 und 259 AEUV zu umgehen und die in diesen Bestimmungen vorgesehene ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs, der Kommission und der Mitgliedstaaten zu untergraben.

25.

Insoweit ist hinsichtlich der Aufgabe des Gerichtshofs tatsächlich danach zu unterscheiden, ob er um Vorabentscheidungsersuchen ersucht wird oder über eine Vertragsverletzungsklage entscheiden soll. Während der Gerichtshof im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage zu prüfen hat, ob die von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat beanstandete nationale Maßnahme oder Praxis allgemein dem Unionsrecht zuwiderläuft, ohne dass dafür ein entsprechender Rechtsstreit vor den nationalen Gerichten erforderlich ist, besteht die Aufgabe des Gerichtshofs in Vorabentscheidungsverfahren dagegen darin, das vorlegende Gericht bei der Entscheidung des konkret bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu unterstützen. In einem solchen Verfahren muss daher ein Bezug zwischen dem fraglichen Rechtsstreit und den Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung ersucht wird, bestehen, so dass diese Auslegung einem objektiven Erfordernis für die Entscheidung entspricht, die das nationale Gericht zu treffen hat ( 3 ).

26.

In der vorliegenden Rechtssache ist anzuerkennen, dass der Rechtsstreit im Ausgangsverfahren einen Sachbezug zum Unionsrecht aufweist, insbesondere zu Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, auf den die Vorlagefragen Bezug nehmen. Das vorlegende Gericht ist deshalb gehalten, diese Bestimmung anzuwenden, um daraus die in diesem Verfahren zu treffende Entscheidung in der Sache herzuleiten.

27.

Auch wenn Art. 267 AEUV dem Gerichtshof nicht die Befugnis verleiht, die Vereinbarkeit von Bestimmungen des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu beurteilen oder die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden, ist es doch die Aufgabe des Gerichtshofs, sich zur Auslegung der Verträge und der Rechtsakte der Unionsorgane zu äußern. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof deshalb das Unionsrecht im Rahmen der durch diesen Artikel begründeten Zusammenarbeit zwischen den Gerichten unter Berücksichtigung der Akten auslegen, soweit dies dem innerstaatlichen Gericht bei der Beurteilung der Wirkungen einer unionsrechtlichen Bestimmung dienlich sein könnte ( 4 ).

28.

Ergänzend möchte ich anführen, dass der Umstand, dass es sich bei der Klage im Ausgangsverfahren um eine Popularklage handelt, für die der Kläger kein persönliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits nachweisen muss, den Gerichtshof nicht daran hindert, über Vorlagefragen zu entscheiden. Es genügt, dass das Verfahren nach nationalem Recht zulässig ist und dass die Fragen für die Entscheidung des Rechtsstreits, mit dem das vorlegende Gericht ordnungsgemäß befasst ist, objektiv erforderlich sind ( 5 ).

29.

Angesichts der vorstehenden Erwägungen bin ich daher der Auffassung, dass es sich um einen beim vorlegenden Gericht anhängigen echten Rechtsstreit handelt und dass die Relevanz der Vorlagefragen außer Zweifel steht, da sie die Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts – in diesem Falle des Primärrechts – betreffen, wobei diese Fragen genau den Kern dessen bilden, worüber im Ausgangsverfahren gestritten wird. Folglich greift das erste von der polnischen Regierung angeführte Argument nicht durch.

30.

Zweitens macht die polnische Regierung geltend, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, der die Mitgliedstaaten verpflichte, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet sei, weder den Inhalt des Grundsatzes der Einzelermächtigung noch den Umfang der Kompetenzen der Union in irgendeiner Weise ändere. Dieser Bestimmung liege vielmehr die Prämisse zugrunde, dass es, mangels einer Kompetenz der Union für die Organisation der Justizsysteme, Sache der Mitgliedstaaten sei, die Gerichte einzurichten und angemessene Mechanismen für diejenigen Verfahren vorzusehen, die den Schutz der aus der Unionsrechtsordnung abgeleiteten Individualrechte bezweckten. Folglich ließen sich aus dem im Licht von Art. 5 EUV in Verbindung mit den Art. 3 und 4 AEUV ausgelegten Art. 19 Abs. 1 EUV keine spezifischen Regeln für die Ernennung von Richtern oder die Organisation der Gerichtsbarkeit ableiten.

31.

Art. 47 der Charta sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Repubblika habe eine Popularklage erhoben, ohne sich jedoch auf ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes subjektives Recht zu stützen. Zudem liege im vorliegenden Fall entgegen dem Erfordernis nach Art. 51 der Charta keine „Durchführung“ des Rechts der Union durch die Mitgliedstaaten vor, da die mit dem Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfenen Fragen Angelegenheiten des nationalen Verfahrensrechts beträfen, deren Regelung allein Sache der Mitgliedstaaten sei.

32.

Außerdem gebe es jedenfalls keine gemeinsamen unionsrechtlichen Kriterien für die Ernennung von Richtern, auf die der Gerichtshof bei der Beurteilung des in Malta geltenden Systems abstellen könne, und hätten alle Mitgliedstaaten unterschiedliche Systeme.

33.

Dieses Vorbringen bezieht sich in Wirklichkeit auf das mit der ersten Vorlagefrage des vorlegenden Gerichts aufgeworfene Problem. Ich werde es deshalb bei meiner Prüfung der ersten Frage untersuchen. Es genügt die Feststellung, dass meines Erachtens auch der zweite von der polnischen Regierung vorgebrachte Unzulässigkeitsgrund nicht durchgreift. Zwar teile ich die Meinung, dass Art. 47 der Charta als solcher im Ausgangsverfahren nicht anwendbar ist (weil es sich nicht um die „Durchführung“ von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 der Charta durch Malta handelt), doch ist Art. 19 EUV in vollem Umfang anwendbar, so dass sich die Auslegung dieser Bestimmung für das vorlegende Gericht als hilfreich erweisen dürfte.

34.

Dementsprechend schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen für zulässig zu erklären.

B.   Zur ersten Frage

35.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob davon auszugehen ist, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta anwendbar sind, wenn ein nationales Gericht die Rechtsgültigkeit eines Verfahrens zur Ernennung von Richtern wie das in der maltesischen Verfassung vorgesehene zu beurteilen hat.

1. Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 1 EUV

36.

Zu Art. 19 Abs. 1 EUV hat der Gerichtshof kürzlich mehrere Grundsatzurteile erlassen, nach denen diese Frage zweifelsfrei bejaht werden kann.

37.

So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535), zusammenfassend ausgeführt, dass sich aus der Rechtsprechung ergebe, dass „die Unabhängigkeit der Richter der Mitgliedstaaten aus verschiedenen Gründen für die Rechtsordnung der Union von fundamentaler Bedeutung ist. Zunächst fällt sie unter die Rechtsstaatlichkeit, die zu den Werten gehört, auf die sich die Union gemäß Art. 2 EUV gründet und die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, sowie Art. 19 EUV, der diesen Wert konkretisiert und die Aufgabe, in dieser Rechtsordnung die gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, auch den nationalen Gerichten überträgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 32). Sodann ist diese Unabhängigkeit eine notwendige Voraussetzung, um den Rechtsunterworfenen im Geltungsbereich des Unionsrechts das in Art. 47 der Charta vorgesehene Grundrecht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter zu gewährleisten, dem als Garant für den Schutz sämtlicher den Rechtsunterworfenen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte grundlegende Bedeutung zukommt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 70 und 71 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Schließlich ist diese Unabhängigkeit für das reibungslose Funktionieren des Systems der justiziellen Zusammenarbeit essenziell, das durch den Mechanismus des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV verkörpert wird, da die Vorlageberechtigung von Einrichtungen, die mit der Anwendung des Unionsrechts betraut sind, u. a. daran geknüpft ist, dass sie unabhängig sind (vgl. u. a. Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).“ ( 6 )

38.

Darüber hinaus ist auch eindeutig festgestellt worden, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV hinsichtlich seines sachlichen Anwendungsbereichs in „den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ Anwendung findet, ohne dass es insoweit darauf ankäme, dass die Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta Unionsrecht durchführen ( 7 ).

39.

In diesem Zusammenhang ist nunmehr klar, dass zwar die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit fällt, jedoch unbeschadet dessen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einhalten müssen, die sich für sie aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, ergeben ( 8 ). Diese Verpflichtung gilt insbesondere für jede nationale Einrichtung, die als Gericht über Fragen der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts und somit über Fragen aus den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu entscheiden hat ( 9 ).

40.

Diese Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 19 Abs. 1 EUV wird durch die Entstehungsgeschichte und den Kontext der Eingliederung dieser Bestimmung in den Vertrag gestützt. Art. 19 Abs. 1 EUV wurde nämlich aufgenommen, um die Verpflichtung der Mitgliedstaaten hervorzuheben, wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, wenn der Gerichtshof selbst keinen unmittelbaren Rechtsschutz bieten kann ( 10 ), da das Vorhandensein einer wirksamen, zur Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dienenden gerichtlichen Kontrolle dem Wesen eines Rechtsstaats inhärent ist ( 11 ). Ohne wirksame Garantien der richterlichen Unabhängigkeit würde der Grundsatz des wirksamen Rechtsschutzes die unionsrechtlichen subjektiven Rechte untergraben ( 12 ). Dieser Grundsatz, der in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV aufgenommen wurde, ist nämlich ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 EMRK und nun auch in Art. 47 der Charta verankert ( 13 ).

41.

Da das in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende Ernennungsverfahren für sämtliche maltesischen Richter gilt, kann man davon ausgehen, dass notwendigerweise zumindest einige von ihnen, wenn nicht gar alle, aufgerufen sein werden, über Fragen zu entscheiden, die die Auslegung oder Anwendung von Unionsrecht betreffen. Schon allein deswegen ist sicherzustellen, dass diese Richter, die gemäß dem in der Verfassung niedergelegten Verfahren ernannt werden, über ein ausreichendes Maß an richterlicher Unabhängigkeit verfügen, das den Anforderungen von Art. 19 EUV gerecht wird.

2. Anwendbarkeit von Art. 47 der Charta

42.

Nach Art. 47 Abs. 1 der Charta hat „[j]ede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, … das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen“. Dem Urteil vom 16. Mai 2017, Berlioz Investment Fund (C‑682/15, EU:C:2017:373), ist zu entnehmen, dass dieser Artikel nur dann anwendbar ist, wenn die Verletzung von Rechten oder Freiheiten, die durch das Recht der Union garantiert sind, geltend gemacht wird ( 14 ).

43.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger weder die Verletzung seines eigenen Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf geltend macht, noch die Unabhängigkeit des vorlegenden Gerichts im Rahmen seiner Klage in Frage stellt oder sich auf ein bestimmtes durch Unionsrecht garantiertes Recht beruft. Deshalb denke ich, dass Art. 47 der Charta im Ausgangsverfahren nicht anwendbar ist.

44.

Ich teile auch die kürzlich von Generalanwalt Bobek vertretene Auffassung, dass die Durchführung einer „abstrakten Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit“ einer nationalen Norm im Licht von Art. 47 der Charta möglich ist, wenn die betreffende Norm im Zuge der Durchführung von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta erlassen wurde ( 15 ). Da das Verfahren zur Ernennung nationaler Richter jedoch Teil der Organisation des Justizsystems ist, fällt es, wie vorstehend ausgeführt, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Somit ist, was das Ernennungsverfahren für Richter in Malta betrifft, die in Art. 51 Abs. 1 der Charta niedergelegte Voraussetzung der „Durchführung“ des Rechts der Union nicht erfüllt; diese Voraussetzung ist jedoch, wie ich bereits ausgeführt habe, für die Anwendung von Art. 19 EUV nicht erforderlich ( 16 ).

45.

Da die den Mitgliedstaaten in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV auferlegte Pflicht, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, allerdings dem in Art. 47 der Charta verankerten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf entspricht ( 17 ), werden die sich aus Art. 19 Abs. 1 EUV ergebenden Pflichten der Mitgliedstaaten folglich insoweit durch das in Art. 47 der Charta anerkannte subjektive Recht „gespiegelt“ ( 18 ).

46.

Ich teile daher vollends die von Generalanwalt Tanchev in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:551) vertretene Auffassung, dass es „eine ‚verfassungsrechtliche Brücke‘ zwischen beiden Bestimmungen [gibt] und die zu ihnen ergangene Rechtsprechung … sich zwangsläufig [überschneidet]“ ( 19 ). Zudem hat der Gerichtshof selbst bereits entschieden, „dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV alle Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz im Sinne von insbesondere Art. 47 der Charta in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“ ( 20 ).

47.

Was dies angeht, bin ich der Ansicht, dass zwar Art. 47 der Charta als solcher im Ausgangsverfahren nicht anwendbar ist, gleichwohl aber die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 EUV im Licht von Art. 47 der Charta – und der dazu ergangenen Rechtsprechung – erfolgen muss.

3. Ergebnis zur ersten Frage

48.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen gelange ich somit zu dem Ergebnis, dass der im Licht von Art. 47 der Charta ausgelegte Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV anwendbar ist, wenn ein nationales Gericht die Rechtsgültigkeit eines Verfahrens zur Ernennung von Richtern wie das in der maltesischen Verfassung vorgesehene zu beurteilen hat.

C.   Zur zweiten Frage

49.

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 19 EUV, erforderlichenfalls bei Auslegung im Licht von Art. 47 der Charta, dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen der Exekutive, in diesem Fall dem Premierminister, im Verfahren zur Ernennung der Mitglieder der Richterschaft Ermessens- und Entscheidungsbefugnisse eingeräumt sind. Dies ist das mit dieser Vorlage aufgeworfene grundlegende Problem.

1. Allgemeine Bemerkungen zu den sich aus Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 47 der Charta und Art. 6 EMRK ergebenden Folgen für die Verfahren zur Ernennung von Richtern

50.

Aus der Rechtsprechung, die in meiner Prüfung der ersten Frage des vorlegenden Gerichts angeführt ist, ergibt sich, dass ein Mitgliedstaat, wenn seine Richter über die Anwendung oder Auslegung von Unionsrecht zu entscheiden haben, gewährleisten muss, dass die Unabhängigkeit seiner Richter hinreichend gewährleistet ist und dass die wesentlichen Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erfüllt sind ( 21 ).

51.

Da ferner die den Mitgliedstaaten in Art. 19 Abs. 1 EUV auferlegte Verpflichtung, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, dem in Art. 47 der Charta verankerten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf entspricht ( 22 ), ist zu beachten, dass gemäß Art. 52 Abs. 3 der Charta, soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, diese die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird.

52.

Aus den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta bei deren Auslegung zu berücksichtigen sind, geht hervor, dass Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 der EMRK entspricht.

53.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wurde nämlich die Wendung „auf Gesetz beruhende[s] Gericht“ in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eingefügt, um sicherzustellen, dass die Organisation des Justizsystems nicht ins uneingeschränkte Ermessen der Exekutive gestellt ist, sondern dass die Einrichtung des Gerichtssystems und die Richterernennung auf geeigneter gesetzlicher Grundlage beruhen. Es steht daher außer Zweifel, dass das Recht, von einem „auf Gesetz beruhenden“ Gericht im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK abgeurteilt zu werden, schon seinem Wesen nach das Verfahren zur Ernennung der Richter umfasst ( 23 ). In der Praxis sind die durch nationale Gesetze insoweit auferlegten Ermessensbeschränkungen allerdings zumeist auf Angelegenheiten wie die Ernennungsvoraussetzungen, die Beförderung innerhalb des Gerichtssystems und Altersgrenzen begrenzt.

54.

Dabei ist es auch wichtig zu beachten, dass der Grundsatz der Trennung von Exekutive und Judikative in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an Bedeutung gewonnen hat, dieser jedoch an seiner Auffassung festhält, dass weder Art. 6 noch eine andere Bestimmung der EMRK den Staaten ein bestimmtes Verfassungsmodell zur Regelung der Beziehungen und des Zusammenwirkens zwischen den verschiedenen Staatsgewalten in einer bestimmten Weise vorgebe. Art. 6 der EMRK verpflichte die Staaten auch nicht, sich nach dem einen oder anderen theoretischen Verfassungskonzept für die zulässigen Grenzen eines solchen Zusammenwirkens zu richten ( 24 ). Wenngleich eine große Zahl von Mitgliedstaaten entweder einen Justizrat – d. h. eine durch Gesetz oder aufgrund der nationalen Verfassung geschaffene unabhängige Einrichtung, die die Unabhängigkeit der Justiz wie auch der einzelnen Richter schützen und somit die effiziente Arbeitsweise des Justizsystems fördern soll ( 25 ) – oder, wie es in Malta und einigen anderen Ländern der Fall ist, einen Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen ( 26 ) haben, ist doch einzuräumen, dass deren Zusammensetzung und Zuständigkeiten erhebliche Unterschiede aufweisen ( 27 ).

55.

Allerdings ist auch von Bedeutung, dass der bloße Umstand, dass Richter von einem Mitglied der Exekutive ernannt werden, für sich genommen kein Abhängigkeitsverhältnis schaffen oder Zweifel an der Unparteilichkeit der Richter aufkommen lassen kann, wenn die Richter – und dies ist die entscheidende Maßgabe – nach ihrer Ernennung keinem Druck ausgesetzt sind und bei der Ausübung ihres Amtes keinen Weisungen unterliegen ( 28 ). Von diesem Grundsatz gibt es allerdings eine Ausnahme. In seinem Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232), hat der Gerichtshof anerkannt, dass Art. 19 EUV durchaus eine Rolle spielt, wenn ein bestimmter Richter nicht rechtmäßig ernannt worden ist und diese Vorschriftswidrigkeit von solcher Art und Schwere ist, dass sie die tatsächliche Gefahr begründet, dass, um es mit den Worten des Gerichtshofs zu sagen, die Exekutive die Integrität des Ernennungsverfahrens beeinträchtigt ( 29 ). Daraus folgt wiederum, dass es einen Mechanismus geben muss, mit dem eine rechtswidrige Richterernennung – insbesondere wenn der betreffende Richter die gesetzlichen Ernennungsvoraussetzungen gar nicht erfüllte – von Rechts wegen aufgehoben werden kann.

56.

Allerdings ist zu sagen, dass Art. 19 Abs. 1 EUV – außer in der besonderen und außergewöhnlichen Konstellation, dass es, wie in der Rechtssache Simpson, um rechtswidrig bestellte Richter geht – im Wesentlichen auf die Zukunft ausgerichtet ist, da er den Schutz der Unabhängigkeit des Richters nach seiner Ernennung betrifft.

57.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in zahlreichen Rechtsordnungen, auch solche in vielen Mitgliedstaaten, die Politik bei der Richterernennung eine Rolle – zuweilen sogar eine entscheidende Rolle – gespielt hat. An dieser Stelle kann es mit dem Hinweis auf zwei der berühmtesten und einflussreichsten Gerichte sein Bewenden haben, nämlich den US Supreme Court und das deutsche Bundesverfassungsgericht, deren Richter fast alle mit bestimmten politischen Parteien und politischen Traditionen verbunden gewesen sind ( 30 ). Zuweilen gehören Politiker und ehemalige Politiker von Amts wegen den Verfassungsgerichten von Mitgliedstaaten an (etwa in Frankreich ( 31 )) oder aufgrund des Verfassungsgerichtsgesetzes (wie im Falle des belgischen Verfassungsgerichtshofs ( 32 )), oder sie werden von Parlamentsabgeordneten gewählt (etwa in Deutschland ( 33 ) oder, zum Teil, in Italien ( 34 )) oder, was oft vorkommt, einfach traditionell zu Richtern an diesen Gerichten ernannt. Niemand würde jedoch in Zweifel ziehen, dass alle diese Gerichte sich als strikt unabhängig von den anderen Staatsgewalten erwiesen haben.

2. Urteile „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ und A. K. u. a.

58.

Dies bringt uns direkt zu der Frage, was der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit beinhaltet. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst das Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte zwei Aspekte. Der erste, das Außenverhältnis betreffende Aspekt erfordert, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie vor Interventionen oder Druck von außen, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten, geschützt ist. Der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht ( 35 ).

59.

Auch wenn es hier nicht direkt um die Frage der richterlichen Unparteilichkeit geht, ist dies doch ein Begriff, der mit dem der institutionellen Unabhängigkeit in engem Zusammenhang steht. Die institutionelle Unabhängigkeit ist Gegenstand einer Reihe von Entscheidungen des EGMR gewesen, beginnend mit der Leitentscheidung im Urteil vom 28. Juni 1984 in der Rechtssache Campbell und Fell/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:1984:0628JUD000781977), zuletzt aber auch einer Reihe wichtiger Entscheidungen des Gerichtshofs, die wohl mit dem Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117), ihren Anfang nahm.

60.

Ein Großteil dieser Rechtsprechung ist in den Urteilen „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ und A. K. u. a. gefestigt und zusammengefasst worden, so dass es hier genügen mag, einfach den vom Gerichtshof in den beiden genannten Urteilen entwickelten Begriff der Unabhängigkeit zu prüfen. Ich schlage vor, zunächst das Urteil A. K. u. a. zu betrachten.

61.

In seinem Urteil A. K. u. a. hat der Gerichtshof Folgendes ausgeführt:

„123 Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie [‚Unabhängigkeit des Obersten Gerichts‘], Rn. 74).

124 Im Übrigen ist nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Poltorak,C‑452/16 PPU, EU:C:2016:858, Rn. 35).

125 Insoweit sind die betreffenden Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die in Rn. 123 des vorliegenden Urteils angeführten Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen auszuschließen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil [‚Unabhängigkeit des Obersten Gerichts‘], Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).

127 Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt es für die Frage, ob ein Gericht als ‚unabhängig‘ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen ist, u. a. auf die Art und Weise der Berufung und die Amtszeit seiner Mitglieder, das Bestehen von Schutz gegen die Ausübung von Druck von außen und darauf an, ob es den Eindruck von Unabhängigkeit vermittelt (EGMR, 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 144 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei zu diesem letzten Punkt klargestellt wird, dass es um das Vertrauen selbst geht, das jedes Gericht in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (vgl. in diesem Sinne EGMR, 21. Juni 2011, Fruni/Slowakei, CE:ECHR:2011:0621JUD000801407, § 141).

129 Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt entschieden hat, sind die Begriffe der Unabhängigkeit und der objektiven Unparteilichkeit eng miteinander verknüpft, was ihn in der Regel dazu veranlasst, sie zusammen zu prüfen (vgl. u. a. EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, § 192 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 150 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird bei der Entscheidung, ob Anlass zu der Befürchtung besteht, dass die Erfordernisse der Unabhängigkeit oder objektiven Unparteilichkeit in einem bestimmten Fall nicht erfüllt sind, der Standpunkt einer Partei zwar berücksichtigt, spielt aber keine entscheidende Rolle. Entscheidend ist, ob die Befürchtungen als objektiv gerechtfertigt angesehen werden können (vgl. u. a. EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, §§ 193 und 194 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, §§ 147 und 152 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).“

62.

Im selben Urteil hat der Gerichtshof ferner ausgeführt, „dass der bloße Umstand, dass [bestimmte Richter] vom Präsidenten der Republik ernannt werden, keine Abhängigkeit von ihm schaffen oder Zweifel an der Unparteilichkeit [dieser Richter] aufkommen lassen kann, wenn diese nach ihrer Ernennung keinem Druck ausgesetzt sind und bei der Ausübung ihres Amtes keinen Weisungen unterliegen“ ( 36 ). Der Gerichtshof hat allerdings darauf hingewiesen, dass „jedoch sicherzustellen [ist], dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass der Ernennungsentscheidungen so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen, sind die betreffenden Richter erst einmal ernannt, keine berechtigten Zweifel an deren Unempfänglichkeit für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen“ ( 37 ). Diesbezüglich müssen die genannten Voraussetzungen und Modalitäten u. a. so ausgestaltet sein, dass der Schutz der Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, sichergestellt ist ( 38 ).

63.

Der Gerichtshof hat dazu ausgeführt, dass die Einschaltung eines Landesjustizrats (in dem Fall der KRS), der den polnischen Präsidenten über die Eignung einzelner Kandidaten für das Richteramt beriet, zu mehr Objektivität und Transparenz dieses Verfahrens beigetragen habe, wobei dies jedoch nur insoweit gelte „als dieses Gremium selbst von der Legislative und der Exekutive sowie dem Organ, dem es einen solchen Ernennungsvorschlag übermitteln soll, hinreichend unabhängig ist (vgl. entsprechend Urteil [„Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“], Rn. 116)“ ( 39 ). Abschließend hat der Gerichtshof die Gesichtspunkte genannt, anhand deren das vorlegende Gericht die Unabhängigkeit des KRS prüfen konnte.

64.

Ähnliche Gedanken sind im Urteil „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ des Gerichtshofs zu finden. Allerdings ist es notwendig, den Hintergrund zu diesem Verfahren zu prüfen, um den Zusammenhang und die Bedeutung der späteren Ausführungen des Gerichtshofs in der Rechtssache A. K. u. a. richtig zu verstehen, in denen es um die Notwendigkeit geht, sicherzustellen, dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass der Ernennungsentscheidungen so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen keine berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betroffenen Richter für äußere Faktoren aufkommen lassen.

65.

Das Urteil „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ erging in einem Vertragsverletzungsverfahren, das von der Kommission wegen bestimmter polnischer Rechtsvorschriften eingeleitet wurde, nach denen die Entscheidung, ob ein Richter das Richteramt über das Regelruhestandsalter hinaus ausüben darf, der Entscheidung des Präsidenten der Republik Polen überlassen war, was nach Ansicht der Kommission gegen die Garantien der richterlichen Unabhängigkeit verstieß. Der Gerichtshof hat betont, dass Entscheidungen über das Regelruhestandsalter zwar allein Sache der Mitgliedstaaten sind, dass die Mitgliedstaaten aber dennoch, wenn sie sich für ein solches Verfahren entscheiden, dafür Sorge tragen müssen, dass dieses so beschaffen ist, dass es den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt.

66.

Dazu hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „[d]er Umstand, dass … dem Präsidenten der Republik die Befugnis eingeräumt wird, zu entscheiden, ob eine solche mögliche Verlängerung genehmigt wird oder nicht, … für sich allein genommen sicher nicht für die Feststellung [genügt], dass dieser Grundsatz beeinträchtigt ist. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten, die für den Erlass solcher Entscheidungen gelten, so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen keine berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betroffenen Richter für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen“ ( 40 ).

67.

Sodann hat der Gerichtshof festgestellt, dass das neue Gesetz über das polnische Oberste Gericht diesen Anforderungen insofern nicht genügte, als die Entscheidung über eine solche Verlängerung „nunmehr von einer Entscheidung des Präsidenten der Republik abhängt, die in dessen freiem Ermessen steht, da für ihren Erlass als solchen keine objektiven und nachprüfbaren Kriterien gelten, und die nicht begründet werden muss. Außerdem kann eine solche Entscheidung nicht Gegenstand einer Klage bei einem Gericht sein.“ ( 41 )

68.

Der Gerichtshof hat zur Kenntnis genommen, dass der polnische Landesjustizrat gehalten war, dem Präsidenten der Republik eine Stellungnahme zu übermitteln, bevor dieser seine Entscheidung traf, und anerkannt, dass dies ein Verfahren sei, das sicherlich zur Objektivierung dieses Prozesses habe beitragen können; das änderte aber nichts daran, dass das Gesetz keinen Mechanismus vorsah, wonach der Landesjustizrat verpflichtet war, „die betreffende Stellungnahme … auf der Grundlage objektiver und einschlägiger Kriterien [zu verfassen] und in gebotener Weise [zu begründen], so dass sie geeignet ist, [dem Präsidenten] objektive Anhaltspunkte für seine Entscheidungsfindung zu liefern“ ( 42 ).

69.

Nach alledem hat der Gerichtshof festgestellt, dass die dem polnischen Präsidenten eingeräumte Befugnis, nach freiem Ermessen zu entscheiden, ob er bestimmten Richtern die Ausübung des Richteramts über das Regelruhestandsalter hinaus genehmigt, „geeignet ist, u. a. bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der betroffenen Richter für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen“ ( 43 ).

3. Aus den Urteilen A. K. u. a. und „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ zu ziehende Schlüsse

70.

Welche Schlüsse lassen sich aus diesen beiden wichtigen Entscheidungen ziehen? Aus der Rechtssache A. K. u. a. (sowie der Vorläufer-Rechtsprechung) folgt, dass weder das Recht der Union noch die EMRK bestimmte auf jeden Fall geltende, feststehende institutionelle Garantien zur Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit festlegt. Worauf es jedoch ankommt, ist erstens, dass Richter gegenüber sowohl der Exekutive als auch der Legislative von jedem Verhältnis der Unterordnung oder hierarchischen Kontrolle frei sind, und zweitens, dass Richter tatsächliche Garantien genießen, die sie vor solchem Druck von außen schützen sollen.

71.

Nur wenn einer dieser Aspekte des Verfahrens der Richterernennung einen Mangel aufweist, der seiner Art und Schwere nach die tatsächliche Gefahr begründet, dass andere Teile der Staatsgewalt – insbesondere die Exekutive – ein ihnen nicht zustehendes Ermessen ausüben können (wodurch die Integrität des Ergebnisses des Ernennungsverfahrens beeinträchtigt und so beim Einzelnen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des oder der betreffenden Richter geweckt werden), kann es sein, dass das betreffende Ernennungsverfahren gegen Art. 19 Abs. 1 EUV verstößt ( 44 ).

72.

Es ist auch zu bedenken, dass die Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs und des EGMR für die Gerichte der Mitgliedstaaten voraussetzen, dass es Regeln nicht nur für die Ernennung ihrer Mitglieder, sondern auch für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen ( 45 ). Diese Kriterien sind nämlich genauso wichtig wie das Ernennungsverfahren selbst, weil „das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit zum Wesensgehalt des Grundrechts auf ein faires Verfahren gehört, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Werts der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt“ ( 46 ).

73.

All dies bedeutet, dass Richter auch finanzielle Autonomie gegenüber der Exekutive und Legislative haben müssen, so dass z. B. ihre Vergütung dem Charakter ihrer richterlichen Funktionen angemessen ist. Dies bedeutet auch, dass diese Vergütung während ihrer Amtszeit (abgesehen von der allgemein geltenden Besteuerung) nicht herabgesetzt werden darf. Allerdings ist es einem Mitgliedstaat möglich, die Vergütung der Richter im Zuge eines Notprogramms zur Kosteneinsparung zu kürzen, sofern diese Kürzungen allgemein für den gesamten öffentlichen Dienst gelten, die Kürzungen verhältnismäßig sind und nach Beendigung der Finanzkrise, die die Maßnahme rechtfertigt, wieder die ursprüngliche Vergütungshöhe gilt ( 47 ).

74.

Noch wichtiger – und ein wesentliches Merkmal der richterlichen Unabhängigkeit – ist, dass Richter auch hinreichend davor geschützt sein müssen, aus anderen als berechtigten Gründen abberufen zu werden ( 48 ). Die Entscheidung, einen Richter abzuberufen, muss – unabhängig davon, ob sie von der Exekutive allein oder nach einem Abberufungsverfahren in der Legislative getroffen wird – grundsätzlich auch gerichtlich überprüfbar sein. Die Garantien der richterlichen Unabhängigkeit wären von nur sehr geringem Nutzen, wenn sich die Exekutive oder die Legislative hinter einer Wand des Schweigens verstecken und darauf berufen könnte, dass Entscheidungen über die Amtsenthebung von Richtern nicht justiziabel seien; der Amtsenthebung von Richtern aus anderen als berechtigten Gründen stünde dann nichts mehr im Wege ( 49 ).

75.

Abschließend ist zu sagen, dass das Unabhängigkeitserfordernis auch verlangt, dass die Disziplinarordnung für diejenigen, die mit Rechtsprechungsaufgaben betraut sind, die erforderlichen Garantien aufweist, um jeglicher Gefahr vorzubeugen, dass sie als System zur politischen Kontrolle des Inhalts von Gerichtsentscheidungen eingesetzt wird. Somit bilden Regeln, die insbesondere festlegen, welche Verhaltensweisen Disziplinarvergehen begründen und welche Sanktionen konkret anwendbar sind, und die die Einschaltung einer unabhängigen Instanz gemäß einem Verfahren vorsehen, das die in den Art. 47 und 48 der Charta niedergelegten Rechte, namentlich die Verteidigungsrechte, in vollem Umfang sicherstellt, und die die Möglichkeit festschreiben, die Entscheidungen der Disziplinarorgane vor Gericht anzufechten, eine Reihe von Garantien, die wesentlich sind, um die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren ( 50 ).

76.

Ein Überblick über die in den Mitgliedstaaten für Ernennungen im Justizwesen derzeit geltenden Verfahren lässt eine Vielfalt von Vorgehensweisen und Systemen bei der Ernennung erkennen. Wie ich bereits festgestellt habe, ist Art. 19 EUV wie auch Art. 47 der Charta (oder hierzu auch Art. 6 EMRK) nichts zu entnehmen, wodurch Einheitlichkeit in diesem Bereich vorgeschrieben würde. Eines ist jedoch klar: Richter werden ernannt und nicht gewählt. In einer Union, die nach Art. 2 EUV auf die Werte der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegründet ist, bedeutet dies, dass Richter keiner demokratischen Rechenschaftspflicht unterliegen und ihnen eine solche auch nicht auferlegt werden kann, dass ihnen aber auch keine Rolle in der Politikgestaltung zukommen darf.

77.

All dies hat wiederum Auswirkungen auf die richterliche Unabhängigkeit. Die institutionellen Garantien, von denen ich gesprochen habe, sind also darauf ausgelegt, sicherzustellen, dass Richter die notwendige Unabhängigkeit von der Exekutive und Legislative an den Tag legen – nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Das wichtigste Merkmal der richterlichen Unabhängigkeit, dessen Bedeutung wohl noch über die notwendigen institutionellen Garantien hinausgeht, ist allerdings auch das am schwersten greifbare. Da Richter kein demokratisches Mandat haben, obliegt es ihnen, Unabhängigkeit von ihren eigenen rein persönlichen politischen Vorlieben und subjektiven politischen Überzeugungen zu zeigen und damit getreu ihren Eid zu erfüllen, das Recht anhand anerkannter Rechtsgrundsätze objektiv und ohne Ansehen der Person anzuwenden.

4. Zur relativen Bedeutung einer unabhängigen Stelle im Verfahren der Richterernennung und den in der Verfassung von Malta bestehenden Garantien

78.

Richtig ist, dass – wie im Urteil „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ anerkannt wird – das Bestehen einer unabhängigen Stelle wie z. B. eines Landesjustizrats oder Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen dazu beitragen kann, sicherzustellen, dass das Ernennungsverfahren im Justizwesen (oder in jenem Fall die Verlängerung der Amtszeit bestimmter Richter) objektiv und transparent ist. Dass es solche Gremien gibt, mag daher an sich schon sehr wünschenswert sein. Aus dem Urteil A. K. u. a. des Gerichtshofs geht jedoch eindeutig hervor, dass ihr Bestehen keine wesentliche Voraussetzung für die nach Art. 19 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta erforderliche richterliche Unabhängigkeit ist. Ich sage dies ungeachtet dessen, dass der Gerichtshof im Urteil „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“, ausgeführt hat, dass sichergestellt sein müsse, dass die „materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten, die für den Erlass [von Ernennungsentscheidungen] gelten, so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit der betroffenen Richter aufkommen lassen ( 51 )“. Wie wir jedoch gesehen haben, betrafen diese Ausführungen die Verlängerung der Amtszeit von Richtern, es ging also nicht um die eigentliche Richterernennung. Es sei daher nochmals gesagt, dass Art. 19 Abs. 1 EUV im Wesentlichen zukunftsbezogen ist: Er soll sicherstellen, dass Richter, wenn sie erst einmal ernannt sind, hinreichende Garantien richterlicher Unabhängigkeit genießen.

79.

Zu dieser Schlussfolgerung bin ich gelangt, ohne übersehen zu haben, dass der Gerichtshof diese Worte im Urteil A. K. u. a. ( 52 ) in Bezug auf Richterernennungen im Allgemeinen wiederholt hat. Ich denke jedoch nicht, dass der Gerichtshof damit – ohne dies näher auszuführen – sagen wollte, dass z. B. allein der Umstand, dass jemand, der zuvor enge Bindungen zu einer bestimmten politischen Partei oder Tradition hatte, später zum Richter ernannt wurde, für sich genommen ausreicht, Zweifel an dessen Unabhängigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV nach seiner Ernennung aufkommen zu lassen. Insoweit bleibe ich der Überzeugung, dass Art. 19 Abs. 1 EUV sozusagen bis zu der Position zurückreicht, die der fragliche Richter vor der Ernennung innehatte.

80.

Auch den Umstand, dass der EGMR kürzlich in einer Rechtssache, in der es um die Rechtmäßigkeit eines Verfahrens zur Richterernennung ging, einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt hat ( 53 ), habe ich nicht übersehen. Diese Feststellung eines Verstoßes war – so ist zu betonen – jedoch nicht darauf gestützt, dass die Justizministerin nicht die von dem zuständigen unabhängigen Sachverständigenausschuss vorgeschlagenen Kandidaten ernannt hatte, was nach isländischem Recht zulässig war, sondern vielmehr darauf, dass sie ihre Entscheidung, von der Beurteilung des Ausschusses abzuweichen, nicht hinreichend begründet hatte. So hatte sie keine unabhängige Überprüfung des maßgeblichen Umfeldes der Kandidaten für diese Richterämter vorgenommen und nicht hinreichend begründet, weshalb sie von der Empfehlung des Sachverständigenausschusses abgewichen war, was – wie das Oberste isländische Gericht bereits festgestellt hatte – einen Verstoß gegen die isländisches Rech darstellte. Dies waren nach Auffassung des EGMR schwerwiegende Regelverstöße, die den Kernbereich des „auf Gesetz beruhenden Gerichts“ betrafen ( 54 ).

81.

Entscheidend bleibt jedoch, ob ein nationaler Richter, objektiv betrachtet, hinreichende Garantien institutioneller Unabhängigkeit und Schutz vor einer Amtsenthebung genießt, so dass er – wie der Gerichtshof im Urteil A. K. u. a. ausgeführt hat – seine Aufgaben in völliger Autonomie ausübt, ohne Weisungen oder der Kontrolle der Exekutive oder der Legislative unterworfen zu sein.

82.

Letztendlich ist die Beurteilung dieser Fragen Sache des vorlegenden Gerichts, doch wenn man die Bestimmungen der Art. 97 und 100 der Verfassung betrachtet, genießen die Richter in der Tat erheblichen Schutz vor einer Amtsenthebung außer bei Amtsunfähigkeit oder Fehlverhalten. Was den Schutz von Judges und Magistrates in Malta vor einer Amtsenthebung angeht, ist in der Verfassung vorgesehen, dass diese mit Vollendung des 65. Lebensjahrs aus dem Amt ausscheiden und zuvor nur durch den Präsidenten der Republik ihres Amtes enthoben werden können, sofern dies mit einem Antrag des Repräsentantenhauses, dem mindestens zwei Drittel aller seiner Mitglieder zugestimmt haben, gefordert wird, weil das Mitglied der Richterschaft (wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen oder anderer Ursachen) erwiesenermaßen unfähig ist, die Aufgaben seines Amtes wahrzunehmen, oder erwiesenermaßen ein Fehlverhalten vorliegt ( 55 ).

83.

Auch die in der Verfassung vorgesehene Disziplinarregelung scheint die notwendigen Garantien zu enthalten, die jeder Gefahr ihrer Nutzung als System der politischen Kontrolle über den Inhalt richterlicher Entscheidungen entgegenwirken. So ist das Gremium, das die ausschließliche Zuständigkeit für Judges und Magistrates betreffende Disziplinarsachen innehat, ein Unterausschuss der Kommission für Rechtspflege, der aus drei Mitgliedern der Richterschaft besteht, die aus dem Kreis der Judges und Magistrates gewählt werden und nach ihrem eigenen Urteil handeln, ohne dabei der Weisung oder Kontrolle anderer Personen oder Stellen zu unterliegen ( 56 ). Außerdem ist in Art. 101B der Verfassung ein Verfahren vorgesehen, das dem Judge oder Magistrate, gegen den sich das Disziplinarverfahren richtet, Gelegenheit gibt, schriftlich und mündlich Stellung zu nehmen und sich von einem Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand vertreten zu lassen. In derselben Bestimmung werden auch unter Bezugnahme auf den Ethikkodex für die Richterschaft Verhaltensweisen, die Disziplinarvergehen begründen, sowie die einschlägigen Disziplinarmaßnahmen definiert.

84.

Anders als in den Verfassungen einiger anderer Mitgliedstaaten ( 57 ) ist die Unabhängigkeit der Richter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in der maltesischen Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Das vorlegende Gericht könnte jedoch erwägen, ob der Wortlaut von Art. 97 der maltesischen Verfassung dies zwangsläufig impliziert. Jedenfalls wäre das Fehlen einer solchen ausdrücklichen Garantie für sich genommen nicht bedenklich, sofern die maltesischen Richter, wie es der Fall zu sein scheint, andere, starke institutionelle und verfassungsrechtliche Garantien zur Förderung der richterlichen Unabhängigkeit genössen.

85.

Dasselbe gilt auch, was die finanzielle Autonomie angeht. Nach Angaben der maltesischen Regierung bemisst sich die Vergütung der Judges und Magistrates in Malta nach der höchsten Besoldungsgruppe im maltesischen öffentlichen Dienst; die finanzielle Autonomie der maltesischen Richter dürfte also nicht gefährdet sein. Es gibt auch keine Anzeichen für eine tatsächliche oder mögliche Verschlechterung dieser Vergütungen, die die richterliche Unabhängigkeit gefährden könnte.

5. Abschließende Bemerkungen zur Stellungnahme Nr. 940/2018 der Venedig-Kommission

86.

Bevor ich die Ausführungen zur zweiten Frage des vorlegenden Gerichts abschließe, ist noch auf die Auswirkungen der Stellungnahme Nr. 940/2018 der Venedig-Kommission auf die vorliegende Rechtssache einzugehen. Der Kläger stützt sein Vorbringen nämlich zu einem erheblichen Teil auf die in dieser Stellungnahme gegebenen Empfehlungen.

87.

Als Erstes beruft er sich auf die Stellungnahme Nr. 940/2018 der Venedig-Kommission, um die Ungültigkeit des beanstandeten Verfahrens der Richterernennung durch Verweis auf Art. 19 Abs. 1 EUV zu begründen. In der Stellungnahme der Venedig-Kommission heißt es, dass die 2016 erfolgten Verfassungsänderungen mit der Einführung des Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen ein Schritt in die richtige Richtung seien, jedoch nicht ausreichten, die richterliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, weshalb noch weitere Schritte erforderlich seien ( 58 ).

88.

Zwar ist eine Stellungnahme der Venedig-Kommission für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verfahrens zur Richterernennung im Hinblick auf die Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz offensichtlich von großem Wert, sie kann jedoch nicht als endgültige Klärung der Frage nach der Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 1 EUV angesehen werden. Generalanwalt Bobek hat kürzlich ausgeführt: „Nach Unionsrecht stellen diese Berichte … eine nützliche Informationsquelle“ dar ( 59 ). Die von der Venedig-Kommission vorgenommene Untersuchung ist im Wesentlichen eine politische, auch wenn sie auf einer eingehenden rechtlichen und politischen Analyse beruht. Die Stellungnahme der Venedig-Kommission zielt darauf ab, zu einem idealen System zu gelangen. Im Hinblick auf diesen Zweck hat die Venedig-Kommission Empfehlungen für die Verbesserung des in Malta geltenden Systems der Richterernennung gegeben, die u. a. die Zusammensetzung des Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen oder die Bindungswirkung des Vorschlags betreffen, den dieser dem maltesischen Präsidenten (und nicht dem Premierminister) unterbreitet ( 60 ).

89.

Die von der Venedig-Kommission festgelegten Handlungsstandards müssen, worauf ein ehemaliges Mitglied der Venedig-Kommission hingewiesen hat, den betreffenden Ländern auch Entscheidungsfreiheit und Ermessensspielraum belassen. Ihre Stellungnahmen können daher nicht als „Alles-oder-nichts“-Regeln formuliert werden, selbst wenn der Flexibilität einiger Standards, soweit es um den Aufbau und die Unabhängigkeit der Justiz geht, zum Teil durch internationale Übereinkommen wie die EMRK Grenzen gesetzt sind ( 61 ). In ihrer Stellungnahme Nr. 940/2018 hat die Venedig-Kommission selbst daran erinnert, dass es nicht so sei, dass ein ganz bestimmtes „Modell“ den Grundsatz der Gewaltenteilung und die Gewährleistung der umfassenden Unabhängigkeit der Justiz auf ideale Weise sicherstelle ( 62 ).

90.

Als Zweites haben die Vorschläge des Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen nach der Verfassung von 2016 keine Bindungswirkung und die Ernennungsentscheidungen werden ersichtlich von den maltesischen Gerichten als nicht justiziabel angesehen. Hierzu weise ich darauf hin, dass, wie der Vertreter der maltesischen Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, die Popularklage nämlich der derzeit einzige in Malta zur Verfügung stehende Rechtsbehelf ist. Mit diesem Rechtsbehelf kann jedoch, wie Repubblika in Erwiderung darauf ausgeführt hat, lediglich die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes erwirkt werden; es handelt sich nicht um ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer einzelnen Richterernennung. Sollte es je zu einem Streit darüber kommen, ob ein einzelner Richter rechtswidrig ernannt wurde, wären die maltesischen Gerichte aufgrund Art. 19 Abs. 1 EUV verpflichtet, einen geeigneten Rechtsbehelf bereitzustellen, damit die Ernennung wirksam angefochten werden könnte. Einen solchen Fall hat es aber wohl bei den maltesischen Gerichten bislang nicht gegeben, so dass es vielleicht unnötig ist, sich weiter mit dieser Frage zu befassen, solange ein solcher Fall nicht eingetreten ist. Des Weiteren wäre der Premierminister, sollte er jemals vom Vorschlag des Ausschusses für die Richterernennung abweichen, aufgrund der Verfassung gehalten, seine Entscheidung in einer im Amtsblatt veröffentlichten Erklärung zu begründen sowie diese Abweichung von der Empfehlung innerhalb einer bestimmten Frist vor dem Repräsentantenhaus zu erläutern ( 63 ).

91.

Darüber hinaus ist nach Art. 96A Abs. 4 der Verfassung gewährleistet, dass die Mitglieder des Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen in Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach ihrem eigenen Urteil handeln und dabei keiner Weisung oder Kontrolle durch irgendeine Person oder Stelle unterliegen. Außerdem gibt der Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen – wie in Art. 96A Abs. 8 der Verfassung vorgesehen – seine Stellungnahmen auf der Grundlage in einem veröffentlichen Beschluss aufgestellter Kriterien ab ( 64 ) und beruhen Ernennungen auf in der Verfassung niedergelegten objektiven Kriterien wie etwa der anwaltlichen Erfahrung ( 65 ).

92.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Stellungnahme der Venedig-Kommission wohl Empfehlungen für ein System mit umfassenderer Transparenz und leistungsbezogener Richterernennung enthält. Diese Empfehlungen als solche mögen durchaus wünschenswert sein, doch der Umstand, dass Maltas System diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang genügt, deutet für sich genommen nicht darauf hin, dass die Garantien der richterlichen Unabhängigkeit, die die maltesischen Richter sowohl theoretisch als auch tatsächlich genießen, nicht ausreichten, die sich aus Art. 19 EUV ergebenden Anforderungen zu erfüllen.

6. Ergebnis zur zweiten Frage

93.

Folglich führen mich die vorstehenden Erwägungen zu dem Schluss, dass Art. 19 Abs. 1 EUV bei Auslegung im Licht von Art. 47 der Charta nationalen Verfassungsbestimmungen, nach denen die Exekutive oder eines ihrer Mitglieder, etwa der Premierminister, im Ernennungsverfahren für die Richterschaft mitwirkt, nicht entgegensteht.

94.

Auch wenn Art. 19 Abs. 1 EUV bei Auslegung im Licht von Art. 47 der Charta keine ex ante geltenden Vorgaben im Hinblick auf bestimmte Bedingungen für die Ernennung der Richter in den Mitgliedstaaten oder den Charakter der diesen zu gewährenden besonderen Garantien vorsieht, enthält er doch die Mindestanforderung, dass die Unabhängigkeit dieser Richter garantiert sein muss. Dabei kommt es für die Zwecke von Art. 19 EUV darauf an, dass die Richter von jedem Verhältnis der Unterordnung oder hierarchischen Kontrolle durch Exekutive oder Legislative frei sein müssen. Richter müssen auch finanzielle Autonomie gegenüber der Exekutive und Legislative genießen, so dass ihre Vergütung während ihrer Amtszeit (abgesehen von der allgemeinen Besteuerung oder allgemein geltenden, verhältnismäßigen Maßnahmen zur Kürzung der Bezüge) nicht gekürzt werden darf. Wichtig ist ferner, dass sie hinreichenden Schutz vor einer Amtsenthebung genießen, die deshalb allenfalls aus berechtigtem Grund zulässig ist, und dass die Disziplinarordnung die notwendigen Garantien vorsieht, um der Gefahr ihres Missbrauchs als System der politischen Kontrolle über den Inhalt richterlicher Entscheidungen vorzubeugen.

95.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Garantien tatsächlich gegeben sind.

D.   Zur dritten Frage

96.

Für den Fall, dass die Befugnisse des Premierministers für mit Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta unvereinbar befunden werden sollten, möchte das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage wissen, ob dies bei künftigen Ernennungen zu berücksichtigen wäre oder ob es auch bereits erfolgte Ernennungen beträfe. Mit dieser Frage wird die Frage nach der Beschränkung der zeitlichen Wirkung des Urteils des Gerichtshofs aufgeworfen, die sich stellen würde, falls die vom vorlegenden Gericht vorgenommene Prüfung ergeben sollte, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfahren der Richterernennung mit der vom Gerichtshof im anstehenden Urteil vorgenommenen Auslegung von Art. 19 Abs. 1 EUV nicht vereinbar ist.

97.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht wird, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, angewandt werden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen ( 66 ).

98.

Nur ganz ausnahmsweise kann der Gerichtshof aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit, die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse unter Berufung auf die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung einer Bestimmung in Frage zu stellen, beschränken. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen ( 67 ).

99.

Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen einer solchen Auslegung nur in dem Urteil selbst erfolgen kann, mit dem über die erbetene Auslegung entschieden wird ( 68 ). Hier ist zu beachten, dass mit dieser Rechtssache erstmals die Frage aufgeworfen wird, ob ein nationales Verfahren der Richterernennung unter Art. 19 Abs. 1 EUV fällt, und, falls ja, inwieweit.

100.

Was das Kriterium des guten Glaubens angeht, sind drei Aspekte hervorzuheben: Erstens kann dieser Rechtssache eine Weiterentwicklung der Auslegung der Tragweite von Art. 19 Abs. 1 EUV darstellen, soweit es sich um Verfahren der Richterernennung handelt, und zwar vor dem Hintergrund relativ neuer Rechtsprechung, die im Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117), ihren Ausgang nahm. Zweitens war das Ernennungssystem, das vor der Verfassungsreform 2016 galt, dem im Ausgangsverfahren beanstandeten ähnlich – abgesehen von der Mitwirkung des Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen. Um Vollmitglied der Europäischen Union zu werden, musste Malta notwendigerweise die in Art. 2 EUV ( 69 ) niedergelegten Werte wahren sowie die vom Europäischen Rat am 21. und 22. Juni 1993 beschlossenen Kopenhagener Kriterien ( 70 ) erfüllen, was – im Rahmen des politischen Kriteriums – eine strenge Überprüfung der Achtung der Rechtsstaatlichkeit sowie des Vorhandenseins einer starken, wirksamen, unabhängigen, unparteiischen und rechenschaftspflichtigen Justiz impliziert ( 71 ). Drittens hat es die Kommission, obwohl sie in ihrem Länderbericht 2019 für Malta ( 72 ) unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Venedig-Kommission Nr. 940/2018 feststellte, dass das maltesische Justizsystem eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen habe und dass die jüngsten Reformen die richterliche Unabhängigkeit noch nicht in vollem Umfang gewährleisteten ( 73 ), gleichwohl nicht für erforderlich gehalten, ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV gegen Malta einzuleiten ( 74 ).

101.

Angesichts dieser Umstände dürften, so denke ich, die zuständigen Stellen in Malta mit vertretbaren Gründen davon ausgegangen sein, dass das beanstandete Verfahren der Richterernennung mit dem Unionsrecht vereinbar sei ( 75 ).

102.

Was die Gefahr schwerwiegender Störungen angeht, ist zu beachten, dass die in dieser Rechtssache vorgenommene Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf sowie die ordnungsgemäße Zusammensetzung der nationalen Gerichte betrifft.

103.

Sollte vor diesem Hintergrund also das vorlegende Gericht auf Grundlage des Urteils des Gerichtshofs zu dem Ergebnis gelangen, dass das in Malta geltende Verfahren der Richterernennung gegen Art. 19 Abs. 1 EUV verstößt, würde dies unausweichlich erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Rechtssicherheit aufkommen lassen, die das Funktionieren des gesamten Justizsystems beeinträchtigen könnten. Diese Störungen beträfen nicht nur die Fähigkeit der Richter, in anhängigen Sachen zu entscheiden, sondern hätten – worauf die maltesische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht hingewiesen hat – auch Auswirkungen auf die Fähigkeit des maltesischen Justizsystems, das Problem der hohen Zahl unerledigter Verfahren in Malta zu lösen. Eine solche Entscheidung hätte schließlich wohl auch Auswirkungen auf die Rechtskraft in der Vergangenheit ergangener Urteile maltesischer Gerichte. Der Grundsatz der Rechtskraft ist jedoch von besonderer Bedeutung, sowohl in der Unionsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können ( 76 ).

104.

Angesichts der vorstehenden Erwägungen sollte die dritte Vorlagefrage des nationalen Gerichts meines Erachtens dahin beantwortet werden, dass das Verfahren der Richterernennung nicht nach dem im Licht von Art. 47 der Charta ausgelegten Art. 19 Abs. 1 EUV in Frage gestellt werden kann, um vor der Verkündung des anstehenden Urteils erhobene Klagen zu stützen.

VI. Ergebnis

105.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Qorti Ċivili Prim’Awla – Ġurisdizzjoni Kostituzzjonali (Erste Kammer des Zivilgerichts – Verfassungssachen, Malta) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Der im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgelegte Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist anwendbar, wenn ein nationales Gericht die Rechtsgültigkeit eines Verfahrens zur Ernennung von Richtern wie das in der maltesischen Verfassung vorgesehene zu beurteilen hat.

2.

Der im Licht von Art. 47 der Grundrechtecharta ausgelegte Art. 19 Abs. 1 EUV steht nationalen Verfassungsbestimmungen, nach denen die Exekutive oder eines ihrer Mitglieder, etwa der Premierminister, im Ernennungsverfahren für die Richterschaft mitwirkt, nicht entgegen. Auch wenn Art. 19 Abs. 1 EUV bei Auslegung im Licht von Art. 47 der Charta keine ex ante geltenden Vorgaben im Hinblick auf bestimmte Bedingungen für die Ernennung der Richter in den Mitgliedstaaten oder den Charakter der diesen zu gewährenden besonderen Garantien vorsieht, enthält er doch die Mindestanforderung, dass die Unabhängigkeit dieser Richter garantiert sein muss. Dabei kommt es für die Zwecke von Art. 19 EUV darauf an, dass die Richter von jedem Verhältnis der Unterordnung oder hierarchischen Kontrolle durch Exekutive oder Legislative frei sein müssen. Richter müssen auch finanzielle Autonomie von der Exekutive und Legislative genießen, so dass ihre Vergütung während ihrer Amtszeit (abgesehen von der allgemeinen Besteuerung oder allgemein geltenden, verhältnismäßigen Maßnahmen zur Kürzung der Bezüge) nicht gekürzt werden darf. Wichtig ist ferner, dass sie hinreichenden Schutz vor einer Amtsenthebung genießen, die deshalb allenfalls aus berechtigtem Grund zulässig ist, und dass die Disziplinarordnung die notwendigen Garantien vorsieht, um der Gefahr ihres Missbrauchs als System der politischen Kontrolle über den Inhalt richterlicher Entscheidungen vorzubeugen.

3.

Das Verfahren der Richterernennung kann nicht nach dem im Licht von Art. 47 der Charta ausgelegten Art. 19 Abs. 1 EUV in Frage gestellt werden, um vor der Verkündung des anstehenden Urteils erhobene Klagen zu stützen.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) CDL-AD(2018)028.

( 3 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C-563/18, EU:C:2020:234, Rn. 47 und 48).

( 4 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39, Rn. 23), und vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 132).

( 5 ) Vgl. in diesem Sinne zu einem Feststellungsantrag Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a. (C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 6 ) Rn. 45.

( 7 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 29), „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ (Rn. 50), und vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C-563/18, EU:C:2020:234, Rn. 33).

( 8 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ (Rn. 52), vom 5. November 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte) (C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 102), A. K. u. a. (Rn. 75) sowie vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C-563/18, EU:C:2020:234, Rn. 36).

( 9 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 40), „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ (Rn. 51), A. K. u. a. (Rn. 83) sowie vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C-563/18, EU:C:2020:234, Rn. 34).

( 10 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 100 und 101). Vgl. auch Krajeswki, M. und Ziółkowski, M., „EU judicial independence decentralized: A.K.“, Common Market Law Review, Bd. 57, 2020, S. 1107 bis 1138, insbesondere S. 1121.

( 11 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 36). Vgl. auch Badet, L., „À propos de l’article 19 du Traité sur l’Union européenne, pierre angulaire de l’action de l’Union européenne pour la sauvegarde de l’État de droit“, Cahiers de droit européen, 2020, S. 57 bis 106, insbesondere S. 75 und 76.

( 12 ) Vgl. in diesem Sinne Pauliat, H., „Abaissement de l’âge de la retraite des magistrats: une atteinte à l’indépendance de la justice reconnue en Pologne“, La Semaine Juridique – Édition générale, Nr. 29, 2019, S. 1424 bis 1428, insbesondere S. 1427.

( 13 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 35).

( 14 ) Vgl. dazu die Rn. 44 bis 52 im Vergleich zu dem Ansatz, der von Generalanwalt Wathelet in den Nrn. 51 bis 67 seiner Schlussanträge in derselben Rechtssache entwickelt wurde (Berlioz Investment Fund, C‑682/15, EU:C:2017:2). Der Gerichtshof hat seine Auffassung kürzlich im Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen) (C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 55), eindeutig bestätigt.

( 15 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Asociaţia „Forumul Judecătorilor Din România“, SO und Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ und Asociaţia „Mişcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“ (C‑83/19, C‑291/19 und C‑355/19, EU:C:2020:746, Nrn. 198 bis 202, insbesondere Nr. 201).

( 16 ) Vgl. Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge.

( 17 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Mai 2017, Berlioz Investment Fund (C‑682/15, EU:C:2017:373, Rn. 44), vom 26. Juli 2017, Sacko (C‑348/16, EU:C:2017:591, Rn. 30), vom 27. September 2017, Puškár (C‑73/16, EU:C:2017:725, Rn. 58), und vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen) (C‑245/19 und C-246/19, EU:C:2020:795, Rn. 47).

( 18 ) Vgl. in diesem Sinne Hofmann, H. C., „Article 47 – Specific Provisions (Meaning)“, in Peers, S., Hervey, T., Kenner, J., und Ward, A. (Hrsg.), The EU Charter of Fundamental Rights – A Commentary, Hart Publishing, 2014, S. 1197 bis 1275, insbesondere Nr. 47.50.

( 19 ) Nr. 85. Vgl. auch García-Valdecasas Dorrego, M.‑J., „El Tribunal de Justicia, centinela de la independencia judicial desde la sentencia Associação Sindical dos Juízes Portugueses (ASJP)“, Revista Epañola de Derecho Europeo, Bd. 72, 2019, S. 75 bis 96, insbesondere S. 86.

( 20 ) Urteil „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ (Rn. 54, Hervorhebung nur hier). Vgl. als Beispiel für die Heranziehung von Art. 47 der Charta zur Auslegung von Art. 19 Abs. 1 EUV auch die Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 40 und 41), und vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 53 in Verbindung mit den Rn. 50 und 52).

( 21 ) Vgl. in diesem Sinne Badet, L., „À propos de l’article 19 du Traité sur l’Union européenne, pierre angulaire de l’action de l’Union européenne pour la sauvegarde de l’État de droit“, Cahiers de droit européen, 2020, S. 57 bis 106, insbesondere S. 63, 64 und 72; Bonellli, M., und Claes, M., „Judicial serendipity: how Portuguese judges came to rescue of the Polish judiciary“, European Constitutional Law Review, Bd. 14, 2018, S. 622 bis 643, insbesondere S. 635.

( 22 ) Vgl. dazu die angeführte Rechtsprechung in Fn. 17.

( 23 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C-543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 73 und 74 sowie die dort angeführte Rechtsprechung des EGMR).

( 24 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil A. K. u. a. (Rn. 130 sowie die dort angeführte Rechtsprechung des EGMR). Vgl. für eine Anwendung dieses Grundsatzes aus jüngerer Zeit, EGMR, 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal (CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 144), und EGMR, 1. Dezember 2020, Guðmundur Andri Ástráðsson/Island (CE:ECHR:2020:1201JUD002637418, § 215).

( 25 ) Definition des Begriffs „council for judiciary“ in Nr. 26 der Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats CM/Rec(2010)12 („Judges: independence, efficiency and responsibilities“) vom 17. November 2010 (im Folgenden: Empfehlung CM/Rec[2010]12).

( 26 ) Vgl. allgemein Caroll McNeill, J., The Politics of Judicial Selection in Ireland, Four Courts Press, Dublin, 2016.

( 27 ) Vgl. in diesem Sinne auch Bobek, M., und Kosař, D., „Global Solutions, Local Damages: A Critical Study in Judicial Councils in Central and Eastern Europe“, German Law Journal, Bd. 19, Nr. 7, 2020, S. 1257 bis 1292, insbesondere S. 1267 und 1268.

( 28 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil A. K. u. a. (Rn. 133). Ähnlich, jedoch in Bezug auf die Rolle von Einrichtungen der Legislative im Verfahren zur Ernennung eines Richters, Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 54).

( 29 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C-543/18 RX-II, EU:C:2020:232, Rn. 75).

( 30 ) Dies gilt auch für bestimmte andere Rechts/Justizsysteme. Vgl. z. B. Caroll McNeill, J., The Politics of Judicial Selection in Ireland, Four Courts Press, Dublin, 2016, S. 107 bis 110. Im britischen System der Richterernennung spielte die Parteipolitik in früheren Generationen eine äußerst wichtige Rolle. Lord Chancellor Halsbury sprach in einem Schreiben vom September 1897 an den damaligen britischen Premierminister (den Earl of Salisbury) unverblümt vom „ungeschriebenen Gesetz unseres Parteiensystems … dass Ansprüche der Parteien stets sehr schwer wiegen, wenn es um die Besetzung der höchsten Richterämter geht … Dieses System mag nicht ideal sein – zweifellos wird die Ernennung [der Oberrichter] eines Tages auf Grundlage eines Wettbewerbs erfolgen, doch zurzeit ist dies nun mal unser System …“ (Heuston, R., Lives of the Lord Chancellors 1885-1940, Oxford, 1964, S. 52)

( 31 ) Gemäß Art. 56 Abs. 2 der französischen Verfassung gehören ehemalige Präsidenten der Republik auf Lebenszeit dem Conseil constitutionnel (Verfassungsrat) an.

( 32 ) Gemäß Art. 34 Abs. 1 und 2 des Sondergesetzes vom 6. Januar 1989 über den Verfassungsgerichtshof muss die Hälfte der Richter am Verfassungsgerichtshof mindestens fünf Jahre Mitglied des Senats, der Abgeordnetenkammer oder eines Gemeinschafts- oder Regionalparlaments gewesen sein.

( 33 ) Gemäß Art. 94 des Grundgesetzes werden die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Sie dürfen weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören.

( 34 ) Nach Art. 135 der italienischen Verfassung setzt sich der Verfassungsgerichtshof aus 15 Richtern zusammen, die zu einem Drittel vom Präsidenten der Republik, zu einem Drittel vom Parlament in gemeinsamer Sitzung und zu einem Drittel von den obersten ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten ernannt werden.

( 35 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 49 bis 52), und A. K. u. a. (Rn. 121 und 122 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 36 ) Rn. 133.

( 37 ) Rn. 134.

( 38 ) Vgl. in diesem Sinne Rn. 135, der auf die vorstehend angeführte Rn. 125 verweist.

( 39 ) Rn. 138.

( 40 ) Rn. 111.

( 41 ) Rn. 114.

( 42 ) Rn. 116.

( 43 ) Rn. 118.

( 44 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 75).

( 45 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 66), „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ (Rn. 74), vom 5. November 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte) (C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 111), A. K. u. a. (Rn. 123), vom 21. Januar 2020, Banco de Santander (C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 63), vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 71), sowie vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 52). Zur Rechtsprechung des EGMR vgl. EGMR, 18. Oktober 2018, Thiam/Frankreich, CE:ECHR:2018:1018JUD008001812, § 59, und vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 144.

( 46 ) Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 48). Vgl. auch in diesem Sinne Urteile „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ (Rn. 58), vom 5. November 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte) (C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 106), A. K. u. a. (Rn. 120), sowie vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 71).

( 47 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 45 bis 51).

( 48 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“, Rn. 76, und Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander (C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 58 bis 60).

( 49 ) Vgl. entsprechend Urteil „Unabhängigkeit des Obersten Gerichts“ (Rn. 114), EGMR, 23. Juni 2016, Baka/Hungary, CE:ECHR:2016:0623JUD002026112, § 121, und EGMR, 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, §§ 212 bis 214.

( 50 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 67).

( 51 ) Rn. 111.

( 52 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil A. K. u. a. (Rn. 134).

( 53 ) Vgl. EGMR, 1. Dezember 2020, Guðmundur Andri Ástráðsson/Iceland, CE:ECHR:2020:1201JUD002637418.

( 54 ) EGMR, 1. Dezember 2020, Guðmundur Andri Ástráðsson/Iceland, CE:ECHR:2020:1201JUD002637418, §§ 254 und 263 bis 267. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der EGMR auch einen Verstoß des Parlaments gegen die für das fragliche Ernennungsverfahren geltenden Abstimmungsregeln feststellte (§ 271).

( 55 ) Vgl. Art. 97 Abs. 1 und 2 der Verfassung in Bezug auf Judges an den Obergerichten und Art. 100 Abs. 3 und 4 der Verfassung in Bezug auf Magistrates an den Untergerichten.

( 56 ) Vgl. Art. 101B Abs. 1 und 15 der Verfassung.

( 57 ) Vgl. z. B. Art. 97 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes von 1949, Art. 104 Abs. 1 der italienischen Verfassung, Art. 203 der portugiesischen Verfassung und Art. 35.4.1 der irischen Verfassung von 1937.

( 58 ) Stellungnahme der Venedig-Kommission Nr. 940/2018, Nr. 43.

( 59 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in den Rechtssachen Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“, SO und Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ sowie Asociaţia „Mişcarea pentru Apărarea Statutului Procurorilor“ (C‑83/19, C‑291/19 und C‑355/19, EU:C:2020:746, Nr. 170).

( 60 ) Stellungnahme der Venedig-Kommission Nr. 940/2018, Nr. 44.

( 61 ) Vgl. in diesem Sinne Bartole, S., „Final remarks: the role of the Venice Commission“, Review of Central and East European Law, Bd. 3, 2000, S. 351 bis 363, insbesondere S. 355.

( 62 ) Stellungnahme der Venedig-Kommission Nr. 940/2018, Nr. 30.

( 63 ) Vgl. Art. 96 Abs. 4 der Verfassung für Judges an den Obergerichten und Art. 100 Abs. 6 der Verfassung für Magistrates an den Untergerichten.

( 64 ) Art. 96A Abs. 8 der Verfassung bestimmt, dass der Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen „sein eigenes Verfahren [regelt] und … verpflichtet [ist], im Einvernehmen mit dem für die Justiz zuständigen Minister die Kriterien zu veröffentlichen, nach denen er seine Beurteilungen vornimmt“. Diese Kriterien sind abrufbar auf der Website des Justizministeriums (https://justice.gov.mt/en/justice/Pages/criteria-for-appointment-to-the-judiciary.aspx).

( 65 ) Vgl. Art. 96 Abs. 2 der Verfassung für Judges an den Obergerichten und Art. 100 Abs. 2 der Verfassung für Magistrates an den Untergerichten.

( 66 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. April 2015, Manea (C‑76/14, EU:C:2015:216, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 23. April 2020, Herst (C‑401/18, EU:C:2020:295, Rn. 54).

( 67 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. April 2015, Manea (C‑76/14, EU:C:2015:216, Rn. 54), und vom 23. April 2020, Herst (C‑401/18, EU:C:2020:295, Rn. 56).

( 68 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. März 2007, Meilicke u. a. (C‑292/04, EU:C:2007:132, Rn. 36), und vom 23. April 2020, Herst (C‑401/18, EU:C:2020:295, Rn. 57).

( 69 ) Art. 49 EUV.

( 70 ) Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat Kopenhagen (21. und 22. Juni 1993).

( 71 ) Vgl. in diesem Sinne Lazarova-Déchaux, G., „L’exigence de qualité de la justice dans la nouvelle stratégie d’élargissement de l’Union européenne“, Revue du droit public, Nr. 3, 2015, S. 729 bis 759, insbesondere S. 731 und 737; Bobek, M., und Kosař, D., „Global Solutions, Local Damages: A Critical Study in Judicial Councils in Central and Eastern Europe“, German Law Journal, Bd. 19, Nr. 7, 2020, S. 1257 bis 1292, insbesondere S. 1275. Dass „demokratische Institutionen und eine unabhängige Justiz“ erforderlich sind, geht klar aus der von der Kommission beschlossenen „Agenda 2000 – Vol. I: For a stronger and wider Union“ (COM[2000] 97 final) (S. 43 der englischen Fassung; Hervorhebung nur hier) hervor.

( 72 ) SWD(2019) 1017 final.

( 73 ) Vgl. in diesem Sinne Titel 3.4.3. Governance/Institutions quality, S. 40.

( 74 ) Ich weise ferner darauf hin, dass die Kommission im Länderkapitel zu Malta in dem von ihr herausgegebenen „Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 – Die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union“ in Bezug auf das Justizsystem Maltas feststellt, dass die maltesische Regierung eine Reihe von Reformplänen, auch für das System der Ernennungen im Justizwesen, vorgelegt habe, welche zur Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit beitrügen (Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020). Länderkapitel zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Malta (SWD[2020] 317 final, S. 2).

( 75 ) Vgl. in diesem Sinne (Auswirkungen der Nichteinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens bei der Beurteilung des guten Glaubens eines Mitgliedstaats), Urteil des Gerichtshofs vom 8. April 1976., Defrenne/SABENA (43/75, EU:C:1976:56, Rn. 73).

( 76 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2015, Târșia (C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 28), und vom 24. Oktober 2018, XC u. a. (C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).