URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)
5. Februar 2020 ( *1 )
„Unionsmarke – Anmeldung einer dreidimensionalen Unionsmarke – Form eines Schnürsenkels – Absolutes Eintragungshindernis – Fehlende Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001 – Schutz eines älteren Geschmacksmusters – Beweismittel, die zum ersten Mal vor dem Gericht vorgelegt wurden“
In der Rechtssache T‑573/18,
Hickies, Inc. mit Sitz in New York, New York (Vereinigte Staaten), Prozessbevollmächtigte: I. Fowler, Solicitor, und Rechtsanwältin S. Petivlasova,
Klägerin,
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch H. O’Neill als Bevollmächtigten,
Beklagter,
betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 28. Juni 2018 (Sache R 2693/2017‑5) über die Anmeldung eines dreidimensionalen Zeichens in der Form eines Schnürsenkels als Unionsmarke
erlässt
DAS GERICHT (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Richters S. Papasavvas in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten sowie der Richter Z. Csehi und O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),
Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,
aufgrund der am 25. September 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,
aufgrund der am 13. Dezember 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,
aufgrund der Bestimmung eines anderen Richters, um die Kammer nach der Verhinderung eines ihrer Mitglieder zu ergänzen,
auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2019
folgendes
Urteil ( 1 )
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 |
Am 5. Juli 2017 meldete die Klägerin, die Hickies, Inc., nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EU] 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke [ABl. 2017, L 154, S. 1]) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an. |
2 |
Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das folgende dreidimensionale Zeichen: |
3 |
Die Marke wurde für folgende Waren der Klasse 26 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet: „Schnürsenkel; Schuhverzierungen aus Kunststoff; Schuhverzierungen, nicht aus Edelmetall; Accessoires für Bekleidung, Nähartikel und schmückende textile Artikel; Schuhösen; Schuhschnallen; Schuhhaken; Schuhspangen“. |
4 |
Mit Schreiben vom 17. Juli 2017 verneinte die Prüferin die Eintragungsfähigkeit der angemeldeten Marke, da sie keine Unterscheidungskraft habe. |
5 |
Mit Entscheidung vom 19. Oktober 2017 wies die Prüferin die Anmeldung dieser Marke nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 zurück. |
6 |
Am 19. Dezember 2017 legte die Klägerin nach den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüferin ein. |
7 |
Mit Entscheidung vom 28. Juni 2018 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO dieser Beschwerde teilweise statt und hob die Entscheidung der Prüferin auf, soweit sie die Anmeldung der Marke für „Schuhösen“ und „Schuhhaken“ der Klasse 26 zurückgewiesen hatte. |
8 |
Dagegen wies die Beschwerdekammer die Beschwerde für „Schnürsenkel“, „Schuhverzierungen aus Kunststoff“, „Schuhverzierungen, nicht aus Edelmetall“, „Accessoires für Bekleidung“, „Nähartikel und schmückende textile Artikel“, „Schuhschnallen“ und „Schuhspangen“ der Klasse 26 zurück, da die angemeldete Marke im Hinblick auf diese Waren keine Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 habe. [nicht wiedergegeben] |
Rechtliche Würdigung
[nicht wiedergegeben]
Zur Begründetheit
20 |
Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 geltend. [nicht wiedergegeben] |
40 |
Die Klägerin macht erstens geltend, dass die angemeldete Marke entgegen der Beurteilung der Beschwerdekammer kein klassisches Verschlusssystem für Schuhe, sondern ein völlig neuartiges Verschlusssystem darstelle, das erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit für Schuhe abweiche. Zweitens habe die Beschwerdekammer offensichtlich nicht berücksichtigt, dass die angemeldete Marke nicht nur Schnürsenkel, sondern auch die anderen oben in Rn. 8 genannten Waren schützen solle. |
41 |
Insoweit ist festzustellen, dass die angemeldete Marke, wie von der Beschwerdekammer dem Sinn nach ausgeführt, eine dreidimensionale Marke in Form eines Bandes ist, das in vier Abbildungen aus unterschiedlichen Winkeln dargestellt wird. An einem Ende dieses Bandes befindet sich eine Öse, durch die der am anderen Ende befindliche Knopf gezogen werden kann, um das Band zu schließen. In der ersten Abbildung wird dieses Band geschlossen dargestellt, und die Kombination zwischen der Öse und dem durch sie gezogenen Knopf bildet eine konvexe ovale Form. In den drei folgenden Abbildungen wird das Band geöffnet dargestellt, und zwar von oben, von unten und im Profil (Rn. 19 der angefochtenen Entscheidung). In Übereinstimmung mit der Beschwerdekammer (Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung) ist außerdem festzustellen, dass die Art des Materials, aus dem der Schnürsenkel besteht, nicht aus der Abbildung in der Anmeldung hervorgeht. |
Zur Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke im Hinblick auf die Schnürsenkel
[nicht wiedergegeben]
48 |
Zweitens macht die Klägerin zur Stützung ihres Vorbringens, dass die angemeldete Marke erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweiche, geltend, dass die Beschwerdekammer auf eine Reihe von Internetlinks verwiesen habe, die unerheblich seien. [nicht wiedergegeben] |
54 |
Zum anderen macht die Klägerin geltend, dass jedenfalls weder die von der Prüferin angeführten Beispiele, die von der Beschwerdekammer in Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung übernommen worden seien, noch die nur von der Beschwerdekammer angeführten Beispiele belegten, dass der angemeldeten Marke die erforderliche Unterscheidungskraft fehle. Um diese Beispiele zu widerlegen, trägt die Klägerin vor, dass die betreffenden Produkte Nachahmungen seien. [nicht wiedergegeben] |
56 |
Erstens trägt die Klägerin vor, dass keine der von der Prüferin angeführten Websites von Markeninhabern betrieben werde. Es handele sich um Online-Verkaufsplattformen, von denen einige besonders bekannt dafür seien, von Fälschern als Verkaufsweg genutzt zu werden. Es ist festzustellen, dass die Tatsache, dass es sich um Online-Verkaufsplattformen handeln könnte, keinesfalls den Beweiswert der von der Prüferin vorgelegten Nachweise dafür mindert, dass auf dem Unionsmarkt ähnliche Formen wie diejenige vorkommen, die die angemeldete Marke bildet. Außerdem würde, selbst wenn bestimmte dieser Websites für den Verkauf gefälschter Waren genutzt werden könnten, allein diese Möglichkeit nicht beweisen, dass die Waren, auf die die von der Prüferin angeführten und von der Beschwerdekammer übernommenen Links verweisen, Fälschungen sind. Das Gericht ist jedenfalls nicht dafür zuständig, zu entscheiden, ob es sich um Fälschungen handelt. [nicht wiedergegeben] |
60 |
Viertens verweist die Klägerin auf die Neuheit der Ware, deren Form der die angemeldete Marke bildenden entspreche. Die Klägerin beruft sich darauf, Trendsetterin zu sein, und verweist auf die weltweite Präsentation des Konzepts dieser Ware im Jahr 2012 sowie auf die Einführung des Produkts in der Union im Jahr 2014. [nicht wiedergegeben] |
62 |
Selbst wenn nachgewiesen würde, dass die Ware, deren Form der die angemeldete Marke bildenden entspricht, entsprechend dem Vorbringen der Klägerin neu ist, würde dies jedenfalls nicht unbedingt bedeuten, dass diese Marke unterscheidungskräftig ist. |
63 |
Zum einen gelten nämlich nach gefestigter Rechtsprechung Zeichen, die bei der Vermarktung der betreffenden Waren oder Dienstleistungen üblicherweise verwendet werden, als ungeeignet, auf die Herkunft der fraglichen Waren und Dienstleistungen hinzuweisen. Jedoch kann dies nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass die angemeldete Marke Unterscheidungskraft besitzt, wenn sie für die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen kaum verwendet wird. Nach der Rechtsprechung ist die Unterscheidungskraft einer Unionsmarke nämlich nicht anhand der Originalität oder der mangelnden Benutzung der entsprechenden Marke im Bereich der betreffenden Waren und Dienstleistungen zu beurteilen (vgl. Urteil vom 12. Februar 2015, Vita Phone/HABM [LIFEDATA], T‑318/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:96, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
64 |
Außerdem ist mit der Beschwerdekammer (Rn. 28 der angefochtenen Entscheidung) festzustellen, dass sich die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums – und zwar zweier Gemeinschaftsgeschmacksmuster – aufgrund der Vermarktung von Waren mit ähnlicher Form wie die Ware der Klägerin, deren Form der die angemeldete Marke bildenden entspricht, nicht auf die Prüfung der originären Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke auswirkt. Der Schutz eines Geschmacksmusters weist nämlich nicht darauf hin, dass die betreffende Form unterscheidungskräftig ist, da sich die Kriterien für die Prüfung dieser beiden Rechte wesentlich unterscheiden. Der Schutz eines Geschmacksmusters gilt dem Erscheinungsbild eines Erzeugnisses, das sich vom bestehenden Formenschatz abhebt, und beruht auf der Neuheit dieses Geschmacksmusters, nämlich der fehlenden Offenbarung eines identischen Geschmacksmusters, und seiner Eigenart. Im Fall einer Marke hingegen muss zwar die Form, aus der die angemeldete Marke besteht, notwendigerweise erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweichen, um unterscheidungskräftig sein zu können, doch reicht allein die Neuheit dieser Form nicht aus, um die Unterscheidungskraft zu bejahen, da das entscheidende Kriterium darin besteht, dass diese Form ihre Funktion als Hinweis auf die betriebliche Herkunft erfüllen kann. |
65 |
Die Beschwerdekammer hat den von der Klägerin angeführten Designerpreisen zu Recht nur geringe Bedeutung beigemessen. Nach der Rechtsprechung bedeutet nämlich der Umstand, dass die Waren ein Qualitätsdesign aufweisen, nicht zwangsläufig, dass eine in der dreidimensionalen Form dieser Waren bestehende Marke von vornherein eine Unterscheidung dieser Waren von denen anderer Unternehmen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 ermöglicht (vgl. Urteil vom 12. September 2007, Neumann/HABM [Form eines Mikrofonkorbs], T‑358/04, EU:T:2007:263, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem können, wie vom EUIPO geltend gemacht wird, die Fachleute, die diese Preise vergeben, dazu angehalten sein, sich auf kleinste Unterschiede zu konzentrieren, während die maßgeblichen Verkehrskreise, die im vorliegenden Fall durchschnittlich aufmerksam sind, keine analytische Prüfung der betreffenden Form durchführen werden. [nicht wiedergegeben] |
Aus diesen Gründen hat DAS GERICHT (Sechste Kammer) für Recht erkannt und entschieden: |
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Papasavvas Csehi Spineanu-Matei Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. Februar 2020. Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.
( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.