URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
12. März 2020 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 5 und 7 – Ausgleichsanspruch bei Verspätung oder Annullierung eines Fluges – Mehrfacher Ausgleichsanspruch bei Verspätung oder Annullierung, der nicht nur die ursprüngliche Buchung, sondern auch die Umbuchung im Rahmen einer anderweitigen Beförderung betrifft – Umfang – Befreiung von der Ausgleichspflicht – Begriff ‚außergewöhnliche Umstände‘ – ‚On condition‘-Teil – Technische Mängel, die sich bei Wartung eines Flugzeugs zeigen“
In der Rechtssache C‑832/18
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki, Finnland) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Dezember 2018, in dem Verfahren
A u. a.
gegen
Finnair Oyj
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter) und F. Biltgen,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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der Finnair Oyj, vertreten durch T. Väätäinen, asianajaja, |
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der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten, |
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der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und A. Berg als Bevollmächtigte, |
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der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Natale, avvocato dello Stato, |
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der österreichischen Regierung, zunächst vertreten durch J. Schmoll und G. Hesse, dann durch J. Schmoll, als Bevollmächtigte, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Yerrell und I. Koskinen als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1). |
2 |
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen acht Fluggästen und der finnischen Fluggesellschaft Finnair Oyj über einen Antrag auf eine Ausgleichsleistung infolge der Verspätung eines von Letzterer vorgeschlagenen Alternativflugs. |
Rechtlicher Rahmen
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Die Erwägungsgründe 1 und 2 sowie 12 bis 15 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:
…
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Art. 2 Buchst. l dieser Verordnung bestimmt: „Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck …
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Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung lautet: „(1) Diese Verordnung gilt
(2) Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste
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6 |
Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung Nr. 261/2004 sieht vor: „(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen
(2) Wenn die Fluggäste über die Annullierung unterrichtet werden, erhalten sie Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung. (3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. (4) Die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurde, trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen.“ |
7 |
Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung lautet: „(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt. (2) Wird Fluggästen gemäß Artikel 8 eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel mit einem Alternativflug angeboten, dessen Ankunftszeit
nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 um 50 % kürzen. (3) Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen. (4) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Entfernungen werden nach der Methode der Großkreisentfernung ermittelt.“ |
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Art. 8 Abs. 1 der Verordnung sieht vor: „Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen
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Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
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Die Kläger des Ausgangsverfahrens buchten bei Finnair einen Direktflug von Helsinki (Finnland) nach Singapur. |
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Dieser Flug war für den 11. Oktober 2013 um 23.55 Uhr gebucht. Er wurde jedoch aufgrund eines in der Maschine aufgetretenen technischen Problems annulliert. |
11 |
Nach Annahme eines entsprechenden Angebots der Finnair wurden die Kläger des Ausgangsverfahrens auf den Flug Helsinki–Singapur via Chongqing (China), Abflugzeit am darauffolgenden Tag, dem 12. Oktober 2013, um 17.40 Uhr und geplante Ankunftszeit in Singapur am 13. Oktober um 17.25 Uhr, umgebucht. |
12 |
Finnair war das ausführende Luftfahrtunternehmen für den Alternativflug Helsinki–Chongqing–Singapur. |
13 |
Wegen einer ausgefallenen Servolenkung für das Steuerruder der betreffenden Maschine verzögerte sich jedoch ihre anderweitige Beförderung. Sie kamen daher in Singapur am 14. Oktober 2013 um 00.15 Uhr an. |
14 |
Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben beim Helsingin käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Helsinki, Finnland) Klage gegen Finnair, die auf Verurteilung der Fluggesellschaft zur Zahlung eines Betrags an jeden von ihnen in Höhe von 600 Euro zuzüglich Zinsen wegen der Annullierung des ursprünglichen Fluges Helsinki–Singapur gerichtet war. Außerdem beantragten sie, Finnair auch zur Zahlung eines Betrags an jeden von ihnen in Höhe von 600 Euro zuzüglich Zinsen wegen der Verspätung der Ankunft des Alternativflugs Helsinki–Chongqing–Singapur von mehr als drei Stunden zu verurteilen. |
15 |
Finnair gewährte eine Ausgleichsleistung von 600 Euro für jeden der Kläger des Ausgangsverfahrens wegen der Annullierung des ursprünglichen Fluges Helsinki–Singapur. Die Gesellschaft weigerte sich jedoch, die zweite von ihnen beantragte Ausgleichszahlung zu leisten. Finnair ging davon aus, dass dieser Antrag nicht begründet sei, da die Verordnung Nr. 261/2004 das Luftfahrtunternehmen nicht verpflichte, dem Fahrgast, dessen Flug annulliert worden sei, bei Verspätung des ihm dann angebotenen Alternativflugs eine Ausgleichszahlung zu leisten. Zudem machte Finnair geltend, dass der von den Klägern des Ausgangsverfahrens akzeptierte Alternativflug wegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung verzögert gewesen sei. |
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Mit Urteil vom 21. Juni 2017 wies das Helsingin käräjäoikeus (erstinstanzliches Gericht Helsinki) die Anträge der Kläger des Ausgangsverfahrens auf Leistung einer Ausgleichszahlung wegen Verspätung des Alternativflugs zurück, da die Verordnung Nr. 261/2004 keinen Anspruch auf eine solche Ausgleichszahlung gewähre. Daher nahm dieses Gericht nicht dazu Stellung, ob der technische Mangel, der die Verspätung des Alternativflugs verursacht hatte, einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung darstellte. |
17 |
Die Kläger des Ausgangsverfahrens legten beim Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki, Finnland) gegen dieses Urteil Berufung ein und beantragten, Finnair zur Zahlung eines Betrags an jeden von ihnen in Höhe von 600 Euro zuzüglich Zinsen wegen der Verspätung des Alternativflugs Helsinki–Chongqing–Singapur zu verurteilen. |
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Finnair beantragte die Zurückweisung der Berufung und führte zur Begründung aus, zum einen hätten die Kläger des Ausgangsverfahrens keinen Anspruch auf eine zweite Ausgleichszahlung nach der Verordnung Nr. 261/2004 und zum anderen habe sich der Alternativflug wegen „außergewöhnlicher Umstände“ im Sinne dieser Verordnung verzögert. Eine von drei Servolenkungen des Steuerruders zur Lenkung des Flugzeugs sei ausgefallen, wobei es sich um einen Airbus A 330 gehandelt habe, dessen Hersteller mitgeteilt habe (Technical Follow-up), dass mehrere Maschinen dieses Typs einen versteckten Fabrikations- bzw. Konstruktionsfehler aufwiesen, der die Servolenkungen des Steuerruders betreffe. Außerdem handle es sich bei der Servolenkung des Steuerruders um ein sogenanntes „On condition“-Teil, das nur bei Defekt des früheren Teils durch ein neues Teil ersetzt werde. |
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Unter diesen Umständen hat das Helsingin hovioikeus (Berufungsgericht Helsinki) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
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Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 261/2004 und insbesondere ihr Art. 7 Abs. 1 dahin auszulegen sind, dass ein Fluggast, der wegen der Annullierung eines Fluges eine Ausgleichszahlung erlangt hat und den ihm angebotenen Alternativflug akzeptiert hat, Anspruch auf eine Ausgleichszahlung wegen Verspätung des Alternativflugs hat, wenn diese Verspätung eine Anzahl von Stunden beträgt, die zu einer Ausgleichszahlung berechtigt, und das den Alternativflug ausführende Luftfahrtunternehmen dasselbe ist wie das des annullierten Fluges. |
21 |
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass den betreffenden Fluggästen nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 8. Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 im Fall der Annullierung eines Fluges drei verschiedene Unterstützungsleistungen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen angeboten werden, nämlich entweder die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten, gegebenenfalls samt Rückflug zum ersten Abflugort, oder die anderweitige Beförderung zum Endziel zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder eine anderweitige Beförderung zum Endziel zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggasts, vorbehaltlich verfügbarer Plätze. |
22 |
In der Rechtssache des Ausgangsverfahrens leistete Finnair infolge der Annullierung des von den betreffenden Fluggästen gebuchten Fluges eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 und machte ihnen nach Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung ein Angebot der anderweitigen Beförderung, das sie akzeptierten. Aufgrund einer technischen Panne der Maschine, die den Alternativflug ausführte, erreichten sie jedoch ihr Endziel mit einer Verspätung von mehr als sechs Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit des von ihnen akzeptierten Angebots. |
23 |
Der Gerichtshof hat für Recht erkannt, dass die Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 61, und vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a., C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657, Rn. 38). |
24 |
In einer Rechtssache wie der des Ausgangsverfahrens stellt sich daher die Frage, ob der in der vorangehenden Randnummer angesprochene Ausgleichsanspruch, über den die Fluggäste verspäteter Flüge verfügen, auch von Fluggästen geltend gemacht werden kann, die nach der Annullierung ihres Fluges, für die sie eine Ausgleichszahlung erhalten haben, einen von dem Luftfahrtunternehmen gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 angebotenen Alternativflug akzeptiert und ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen für diesen Alternativflug geplanten Ankunftszeit erreicht haben. |
25 |
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 der Verordnung Nr. 261/2004, der den Anwendungsbereich dieser Verordnung festlegt, in Abs. 2 vorsieht, dass diese Verordnung unter der Bedingung zur Anwendung kommt, dass die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen oder von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür. |
26 |
Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Verordnung Nr. 261/2004 u. a. auf den Fall anwendbar ist, dass ein Fluggast vom Luftfahrtunternehmen infolge der Annullierung seines gebuchten Fluges auf einen Alternativflug zu seinem Endziel verlegt wurde. |
27 |
Es ist aber festzustellen, dass die Verordnung Nr. 261/2004 keine Bestimmung enthält, mit der die Rechte der Fluggäste, die anderweitig befördert werden, wie es in der Rechtssache des Ausgangsverfahrens der Fall ist, beschränkt werden sollen; das gilt auch für ihren Ausgleichsanspruch. |
28 |
Daher hat nach der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ein Fluggast, der, nachdem er den vom Luftfahrtunternehmen infolge der Annullierung seines Fluges angebotenen Alternativflug akzeptiert hat, sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen für den Alternativflug geplanten Ankunftszeit erreicht hat, Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. |
29 |
Für diese Auslegung sprechen insbesondere zwei weitere Erwägungen. |
30 |
Zum einen ergibt sich aus dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004, dass diese dem Ärgernis und den großen Unannehmlichkeiten, die eine Nichtbeförderung, die Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen verursachen, abhelfen soll. |
31 |
Fluggäste, die Annullierungen oder große Verspätungen hinnehmen mussten, wie jene des Ausgangsverfahrens, hatten aber solche Unannehmlichkeiten sowohl in Verbindung mit der Annullierung ihres ursprünglich gebuchten Fluges als auch später aufgrund der großen Verspätung ihres Alternativflugs. Daher steht es im Einklang mit dem Ziel, diesen großen Unannehmlichkeiten abzuhelfen, wenn diesen Fluggästen ein Ausgleichsanspruch für jede dieser aufeinanderfolgenden Unannehmlichkeiten gewährt wird. |
32 |
Zum anderen bliebe in einem solchen Fall, wenn das Luftfahrtunternehmen nicht der Verpflichtung unterläge, unter den vorgesehenen Voraussetzungen an die betreffenden Fluggäste Ausgleichszahlungen zu leisten, die Verletzung seiner Verpflichtung zu einer Unterstützungsleistung gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 folgenlos. Da die Verpflichtung zu Ausgleichsleistungen unbestreitbar Wirkungen dahin zeigt, das Luftfahrtunternehmen zur wirksamen Unterstützungsleistung zu veranlassen, würde die Folgenlosigkeit bewirken, dass die Gewährleistung des Anspruchs der Fluggäste auf anderweitige Beförderung gefährdet würde, was dem im ersten Erwägungsgrund dieser Verordnung erklärten Ziel eines hohen Schutzes zuwiderliefe. |
33 |
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 261/2004 und insbesondere ihr Art. 7 Abs. 1 dahin auszulegen sind, dass ein Fluggast, der wegen der Annullierung eines Fluges eine Ausgleichszahlung erlangt hat und den ihm angebotenen Alternativflug akzeptiert hat, Anspruch auf eine Ausgleichszahlung wegen Verspätung des Alternativflugs hat, wenn diese Verspätung eine Anzahl von Stunden beträgt, die zu einer Ausgleichszahlung berechtigt, und das den Alternativflug ausführende Luftfahrtunternehmen dasselbe ist wie das des annullierten Fluges. |
Zur zweiten Frage
34 |
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass sich ein Luftfahrtunternehmen für die Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen auf „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung berufen kann, die mit dem Defekt eines „On condition“-Teils zusammenhängen, d. h. eines Teils, das nur wegen Defekts des früheren Teils ausgetauscht wird, sofern er ständig ein Ersatzteil vorrätig hält. |
35 |
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, wie in Ziff. 11 der Empfehlungen des Gerichtshofs an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2018, C 257, S. 1) ausgeführt, zwar bei seiner Entscheidung zwangsläufig den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits berücksichtigt, wie ihn das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen dargelegt hat, jedoch das Unionsrecht nicht selbst auf diesen Rechtsstreit anwendet. Wenn der Gerichtshof über die Auslegung oder die Gültigkeit des Unionsrechts entscheidet, bemüht er sich, eine der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits dienliche Antwort zu geben. Die konkreten Konsequenzen aus dieser Antwort hat jedoch das vorlegende Gericht zu ziehen. |
36 |
Im Hinblick auf diese Empfehlungen wird sich der Gerichtshof bemühen, dem vorlegenden Gericht der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits dienliche Hinweise zu geben. |
37 |
Nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit deren Erwägungsgründen 14 und 15 ist das Luftfahrtunternehmen abweichend von deren Art. 5 Abs. 1 von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste gemäß Art. 7 dieser Verordnung befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung des Fluges bzw. dessen um drei Stunden oder mehr verspätete Ankunft auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, oder es bei Eintritt eines solchen Umstands die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser zur Annullierung oder zur großen Verspätung des betreffenden Fluges führt (Urteil vom 26. Juni 2019, Moens, C‑159/18, EU:C:2019:535, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
38 |
Nach ständiger Rechtsprechung können als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 Vorkommnisse angesehen werden, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind (Urteile vom 4. April 2019, Germanwings, C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 20, und vom 26. Juni 2019, Moens, C‑159/18, EU:C:2019:535, Rn. 16). |
39 |
Allerdings können technische Mängel, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen, als solche grundsätzlich keine „außergewöhnlichen Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 25). |
40 |
Der Gerichtshof ist nämlich davon ausgegangen, dass sich angesichts der besonderen Bedingungen, unter denen der Luftverkehr durchgeführt wird, und des Maßes an technologischer Komplexität der Flugzeuge die Luftfahrtunternehmen gewöhnlich dieser Art von Mängeln gegenübersehen (Urteil vom 4. April 2019, Germanwings, C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
41 |
Insbesondere stellt das vorzeitige, sogar unerwartete Auftreten von Mängeln an bestimmten Teilen eines Flugzeugs keinen außergewöhnlichen Umstand dar, da ein solcher Defekt grundsätzlich untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. April 2019, Germanwings, C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
42 |
Es liegt aber auf der Hand, dass der Defekt eines sogenannten „On condition“-Teils wie dem des Ausgangsverfahrens, auf dessen Austausch sich das Luftfahrtunternehmen durch ständiges Vorrätighalten eines Ersatzteils vorbereitet hat, nach der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ein Vorkommnis ist, das seiner Natur oder Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich zu beherrschen ist, es sei denn, ein solcher Defekt ist nicht untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. |
43 |
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass sich ein Luftfahrtunternehmen für die Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen nicht auf „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung berufen kann, die mit dem Defekt eines sogenannten „On condition“-Teils zusammenhängen, d. h. eines Teils, das nur wegen Defekts des früheren Teils ausgetauscht wird, auch wenn er ständig ein Ersatzteil vorrätig hält, sofern nicht der Fall vorliegt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, dass ein solcher Mangel ein Vorkommnis darstellt, das seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist, wobei jedoch gilt, dass dieser Mangel, sofern er grundsätzlich untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden bleibt, nicht als ein solches Vorkommnis anzusehen ist. |
Kosten
44 |
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Finnisch.