URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

30. Januar 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Pharmazeutische Erzeugnisse – Schranken für den Eintritt in den Generikamarkt, die durch Vereinbarungen zur gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten über Verfahrenspatente errichtet werden, die der Hersteller des Originalpräparats und Inhaber der Verfahrenspatente mit Generikaherstellern schließt – Art. 101 AEUV – Potenzieller Wettbewerb – Bezweckte Beschränkung – Einstufung – Bewirkte Beschränkung – Beurteilung der Auswirkungen – Art. 102 AEUV – Relevanter Markt – Einbeziehung der Generika in den relevanten Markt – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Einstufung – Rechtfertigungsgründe“

In der Rechtssache C‑307/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Competition Appeal Tribunal (Gericht für Wettbewerbssachen, Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 27. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Mai 2018, in dem Verfahren

Generics (UK) Ltd,

GlaxoSmithKline plc,

Xellia Pharmaceuticals ApS,

Alpharma LLC, ehemals Zoetis Products LLC,

Actavis UK Ltd,

Merck KGaA

gegen

Competition and Markets Authority

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin und D. Šváby (Berichterstatter), der Richterin K. Jürimäe und des Richters N. Piçarra,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Generics (UK) Ltd, vertreten durch C. Humpe und S. Kon, Solicitors,

der GlaxoSmithKline plc, vertreten durch B. Sher, R. Hoare, J. Kontogeorges und R. Bickler, Solicitors, D. Scannell und C. Thomas, Barristers, und J. E. Flynn, QC,

der Xellia Pharmaceuticals ApS und der Alpharma LLC, vertreten durch L. Tolaini und B. Jasper, Solicitors, und R. O’Donoghue, QC,

der Actavis UK Ltd, vertreten durch C. Firth, Solicitor, und S. Ford, QC,

der Merck KGaA, vertreten durch S. Smith, A. White und B. Bär-Bouyssière, Solicitors, sowie R. Kreisberger, QC,

der Competition and Markets Authority, vertreten durch C. Brannigan, R. Browne, V. Pye und N. Rouse, Solicitors, D. Bailey, Barrister, sowie J. Turner und M. Demetriou, QC,

der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Castilla Contreras, T. Vecchi, B. Mongin und C. Vollrath als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. Januar 2020

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 101 und 102 AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Generics (UK) Ltd, der GlaxoSmithKline plc (im Folgenden: GSK), der Xellia Pharmaceuticals ApS, der Alpharma LLC, ehemals Zoetis Products LLC, der Actavis UK Ltd und der Merck KGaA einerseits und der Competition and Markets Authority (Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde, Vereinigtes Königreich, im Folgenden: CMA) andererseits über deren Entscheidung vom 12. Februar 2016, mit der das Bestehen von Kartellen, an denen die genannten Unternehmen beteiligt waren, und der Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch GSK festgestellt und gegen die beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt wurden (im Folgenden: Entscheidung der CMA).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Rn. 17, 20 und 24 der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. 1997, C 372, S. 5) heißt es:

„17.

Die zu beantwortende Frage lautet, ob die Kunden der Parteien als Reaktion auf eine angenommene kleine, bleibende Erhöhung der relativen Preise (im Bereich zwischen 5 und 10 %) für die betreffenden Produkte und Gebiete auf leicht verfügbare Substitute ausweichen würden. Ist die Substitution so groß, dass durch den damit einhergehenden Absatzrückgang eine Preiserhöhung nicht mehr einträglich wäre, so werden in den sachlich und räumlich relevanten Markt so lange weitere Produkte und Gebiete einbezogen, bis kleine, dauerhafte Erhöhungen der relativen Preise einen Gewinn einbrächten. Der gleiche Grundsatz wird bei der Ermittlung der Nachfragemacht angewandt: [H]ierbei wird vom Anbieter ausgegangen, und mit Hilfe des Preistests lässt sich dann ermitteln, welche alternativen Vertriebswege und Verkaufsstellen es für die Produkte des Anbieters gibt. Bei Anwendung dieser Prinzipien sind bestimmte Konstellationen, wie sie unter den Randnummern 56 bis 58 beschrieben werden, sorgfältig zu berücksichtigen.

20.

Der Substituierbarkeit auf der Angebotsseite kann bei der Definition der Märkte dann ebenfalls Rechnung getragen werden, wenn sie sich genauso wirksam und unmittelbar auswirkt wie die Nachfragesubstituierbarkeit. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anbieter in Reaktion auf kleine, dauerhafte Änderungen bei den relativen Preisen in der Lage sind, ihre Produktion auf die relevanten Erzeugnisse umzustellen und sie kurzfristig ([d]as heißt innerhalb eines Zeitraums, in dem es zu keiner erheblichen Anpassung bei den vorhandenen Sachanlagen und immateriellen Aktiva kommen kann [siehe Randnummer 23]) auf den Markt zu bringen, ohne spürbare Zusatzkosten oder Risiken zu gewärtigen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so üben die zusätzlich auf den Markt gelangenden Produkte auf das Wettbewerbsgebaren der beteiligten Unternehmen eine disziplinierende Wirkung aus. Dieses Ergebnis ist hinsichtlich Wirksamkeit und Unmittelbarkeit dem Nachfrage-Substitutionseffekt gleichwertig.

24.

Der dritte Faktor, der Wettbewerbsdruck erzeugt, nämlich der potenzielle Wettbewerb, wird bei der Marktdefinition nicht herangezogen, da die Voraussetzungen, unter denen potenzieller Wettbewerb eine wirksame Wettbewerbskraft darstellt, von bestimmten Faktoren und Umständen im Zusammenhang mit den Markteintrittsbedingungen abhängt. Sofern erforderlich, wird diese Untersuchung in einer späteren Stufe vorgenommen, wenn die Stellung der beteiligten Unternehmen auf dem relevanten Markt bestimmt worden ist und diese Stellung zu Wettbewerbsbedenken Anlass gibt.“

Recht des Vereinigten Königreichs

4

Part I des Competition Act 1998 (Wettbewerbsgesetz von 1998) umfasst die Chapter I bis V. In Chapter I bestimmt Section 2:

„Vereinbarungen …, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken

(1)

… [A]lle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die

(a)

den Handel innerhalb des Vereinigten Königreichs zu beeinträchtigen geeignet sind und

(b)

eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Vereinigten Königreichs bezwecken oder bewirken,

[sind] verboten, sofern in diesem Part nichts anderes bestimmt ist.

(2)

Subsection (1) gilt insbesondere für Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen, mit denen

(b)

die Erzeugung, der Absatz, die technische Entwicklung oder die Investitionen eingeschränkt oder kontrolliert werden;

(c)

die Märkte oder Versorgungsquellen aufgeteilt werden …“

5

In Part I Chapter II des Wettbewerbsgesetzes von 1998 bestimmt Section 18:

„Missbrauch einer beherrschenden Stellung

(1)

Die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Markt durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel im Vereinigten Königreich zu beeinträchtigen, ist verboten.

(2)

Dieser Missbrauch kann insbesondere in Folgendem bestehen:

(b)

der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher;

…“

6

In Part I Chapter V des Gesetzes bestimmt Section 60:

„Maßgebliche Grundsätze

(1)

Mit dieser Section soll so weit wie möglich (unter Berücksichtigung aller relevanten Unterschiede zwischen den betreffenden Vorschriften) sichergestellt werden, dass Fragen im Zusammenhang mit diesem Part, die den Wettbewerb im Vereinigten Königreich betreffen, in einer Weise behandelt werden, die mit der Behandlung entsprechender den Wettbewerb in der Europäischen Union betreffender Fragen durch das Unionsrecht im Einklang steht.

(2)

Sobald ein Gericht über eine diesen Part betreffende Frage zu befinden hat, hat es (soweit mit den Bestimmungen dieses Parts vereinbar und unabhängig davon, ob es anderweitig dazu verpflichtet ist) zu gewährleisten, dass keine Unvereinbarkeit besteht zwischen:

(a)

den von ihm insoweit angewandten Grundsätzen und der von ihm insoweit getroffenen Entscheidung und

(b)

den im Vertrag und vom Gerichtshof der Union festgelegten Grundsätzen sowie allen einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs, die für die Entscheidung über eine entsprechende unionsrechtliche Frage maßgeblich sind.

(3)

Darüber hinaus berücksichtigt das Gericht einschlägige Entscheidungen und Verlautbarungen der Kommission.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7

Paroxetin ist ein verschreibungspflichtiges Antidepressivum, das zur Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (im Folgenden: SSRI) gehört. Es wurde vom Originalpräparatehersteller GSK im Vereinigten Königreich unter dem Handelsnamen „Seroxat“ vermarktet.

8

Nach dem Auslaufen des GSK für den Wirkstoff des Originalpräparats erteilten Patents im Januar 1999 und dem Ende der entsprechenden „Datenexklusivität“ im Dezember 2000 bestand für GSK die Gefahr, dass die Generikahersteller im Vereinigten Königreich in einem vereinfachten Verfahren eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eigener Versionen des Arzneimittels beantragen könnten.

9

Zu dieser Zeit wurden GSK eine Reihe von „Sekundärpatenten“ erteilt, u. a. 1997 das Patent GB 2297550 (im Folgenden: Anhydrat-Patent) für vier Paroxetin-Modifikationen und die Verfahren zu deren Herstellung. Letzteres wurde vom Patents Court (Patentgericht, Vereinigtes Königreich) teilweise für nichtig erklärt. Soweit es weiterhin gültig war, lief es im Jahr 2016 ab.

10

GSK erfuhr Mitte 2000, dass einige Generikahersteller, darunter IVAX Pharmaceuticals UK (im Folgenden: IVAX), GUK und Alpharma, erwägten, mit generischem Paroxetin in den Markt des Vereinigten Königreichs einzutreten. IVAX hatte in Irland auf der Grundlage von bei der BASF AG bezogenem Paroxetin einen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen gestellt, GUK hatte im April 2001 die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Paroxetin in Dänemark erhalten, und Alpharma hatte am 30. Mai 2001 einen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen im Vereinigten Königreich gestellt.

11

Vor diesem Hintergrund schloss GSK mit den betreffenden Generikaherstellern drei Vereinbarungen.

12

Die erste wurde am 3. Oktober 2001 mit IVAX geschlossen (im Folgenden: Vereinbarung GSK/IVAX). Sie galt bis zum 29. Juni 2004. IVAX wurde im Vereinigten Königreich mit dem auf 770000 Packungen mit 30 Tabletten begrenzten „Alleinvertrieb“ von Paroxetinhydrochlorid 20 mg betraut, das als zugelassenes Generikum verkauft werden sollte. Dafür sollte IVAX von GSK einen „Werbekostenzuschuss“ in Höhe von jährlich 3,2 Mio. Pfund Sterling (GBP) erhalten.

13

Die zweite Vereinbarung wurde am 13. März 2002 mit GUK geschlossen (im Folgenden: Vereinbarung GSK/GUK). Sie galt bis zum 1. Juli 2004. Mit ihr wurde auf verschiedene Verfahren reagiert, u. a. auf das von BASF am 27. Juli 2001 in Bezug auf das Anhydrat-Patent eingeleitete Nichtigkeitsverfahren, auf das von GSK am 18. September 2001 in Bezug auf dasselbe Anhydrat-Patent gegen GUK eingeleitete Verletzungsverfahren und auf die vom Patent Tribunal am 23. Oktober 2001 erlassene einstweilige Verfügung, mit der GUK untersagt wurde, in den Markt einzutreten, und in deren Rahmen sich GSK für den Fall, dass sich die in der ersten mündlichen Verhandlung erlassene einstweilige Verfügung später als ungerechtfertigt erweisen sollte, verpflichtete, GUK hierdurch entstandene Verluste und Schäden zu ersetzen (im Folgenden: „cross-undertaking in damages“). Am 13. März 2002, einen Tag, bevor in den von BASF und GSK angestrengten Verfahren mündlich verhandelt werden sollte, schloss GSK mit GUK einen Vergleich über die Aufhebung der einstweiligen Verfügung und des „cross-undertaking in damages“, den Verzicht auf jegliche Schadensersatzansprüche und das Ruhen des Verfahrens. GSK verpflichtete sich, die gesamten im Besitz von GUK befindlichen Bestände an generischem Paroxetin, die zum Absatz im Vereinigten Königreich bestimmt waren, zu einem Preis von 12,5 Mio. US‑Dollar aufzukaufen, bis zu einem Höchstbetrag von 0,5 Mio. GBP 50 % der Prozesskosten von GUK zu übernehmen und an GUK jährlich einen Werbekostenzuschuss in Höhe von 1,65 Mio. GBP zu zahlen. GUK verpflichtete sich, mit IVAX eine Untervertriebsvereinbarung über 750000 Packungen Paroxetin 20 mg zu einem indexierten Preis zu schließen und es während der Dauer dieser Vereinbarung zu unterlassen, Paroxetinhydrochlorid herzustellen, in das Vereinigte Königreich einzuführen oder dorthin zu liefern, was für sämtliche Gesellschaften des Merck-Konzerns gelten sollte.

14

Die dritte Vereinbarung wurde am 12. November 2002 mit Alpharma geschlossen (im Folgenden: Vereinbarung GSK/Alpharma). Sie galt bis zum 13. Februar 2004. Hintergrund war die Patentverletzungsklage, die GSK gegen Alpharma erhoben hatte, und der von GSK gestellte Antrag auf Erlass einstweiliger Verfügungen. Da das Gericht, bei dem die Rechtssache anhängig war, die Parteien wissen ließ, dass solche Maßnahmen voraussichtlich erlassen würden, verpflichtete sich Alpharma am 1. August 2002 vor diesem Gericht, im Vereinigten Königreich bis zur Verkündung des Endurteils kein Paroxetin zu verkaufen. GSK ging dafür ein „cross-undertaking in damages“ ein. Am 12. November 2002 schlossen GSK und Alpharma einen Vergleich. Sie vereinbarten, die Verpflichtungen, die sie wechselseitig eingegangen waren, aufzuheben und auf ihre Ansprüche zu verzichten. Ferner war vorgesehen, dass Alpharma mit IVAX eine Untervertriebsvereinbarung über den Bezug von 500000 Packungen Paroxetin 20 mg (auf 2020000 Packungen erhöht, dann wieder auf 620000 Packungen herabgesetzt) schließen werde, dass GSK an Alpharma 0,5 Mio. GBP für ihre Prozesskosten, 3 Mio. GBP „für die Herstellungskosten und die Kosten der Einführung von [Paroxetin] durch Alpharma auf dem britischen Markt“ und zwölf Monate lang 100000 GBP monatlich als „Werbekostenzuschuss“ zahlen werde und dass GSK Alpharma für bestimmte Produkte, die gegebenenfalls auf anderen Therapiegebieten angeboten würden, eine Kaufoption einräumen werde. Im Gegenzug verpflichtete sich Alpharma, es zu unterlassen, Paroxetinhydrochlorid herzustellen, in das Vereinigte Königreich einzuführen oder dorthin zu liefern, was nicht für von IVAX erworbenes oder von GSK hergestelltes Paroxetinhydrochlorid gelten sollte. Für den Fall, dass ein „Generikamarkt“ entstehen oder das Patent für das Verfahren zur Herstellung des Anhydrat-Patents „durch Verfall, Verzicht, Aufgabe oder auf andere Weise“ erlöschen sollte, wurde Alpharma das Recht eingeräumt, die Vereinbarung mit einer Frist von einem Monat zu kündigen. Als am 5. Dezember 2003 in einem Parallelfall ein Urteil erging, mit dem Generikaherstellern der Markteintritt ermöglicht wurde, machte Alpharma von diesem Recht Gebrauch und trat im Februar 2004 in den Paroxetinmarkt ein.

15

Vor diesem Hintergrund erließ die CMA am 12. Februar 2016 eine Entscheidung, mit der sie feststellte,

dass GSK auf dem Paroxetinmarkt eine beherrschende Stellung innegehabt und diese durch den Abschluss der Vereinbarungen mit IVAX, GUK und Alpharma unter Verstoß gegen das Verbot nach Part I Chapter II des Competition Act 1998 missbräuchlich ausgenutzt habe,

dass GSK und GUK sowie Merck durch den Abschluss der Vereinbarung GSK/GUK gegen das Verbot in Part I Chapter I des Competition Act 1998 und, was die Zeit nach dem 1. Mai 2004 angeht, auch gegen Art. 101 AEUV verstoßen hätten und

dass GSK und die Gesellschaften des Alpharma-Konzerns (Actavis UK, Xellia Pharmaceuticals, ehemals Alpharma UK Limited, und Alpharma) mit dem Abschluss der Vereinbarung GSK/Alpharma gegen das Verbot nach Part I Chapter I des Competition Act 1998 verstoßen hätten.

16

Die CMA verhängte gegen die beteiligten Unternehmen deshalb Geldbußen in Höhe von insgesamt 44,99 Mio. GBP.

17

Nicht geahndet wurde von der CMA die Vereinbarung GSK/IVAX. Insoweit kam die Competition Act 1998 (Land and Vertical Agreements Exclusion) Order 2000 (SI 2000/310) zum Tragen, die bis zu ihrer Aufhebung am 30. April 2005 vertikale Vereinbarungen vom Verbot nach Chapter 1 des Competition Act 1998 ausschloss.

18

Die Unternehmen, gegen die die Geldbußen verhängt wurden, erhoben gegen die Entscheidung der CMA beim Competition Appeal Tribunal (Gericht für Wettbewerbssachen, Vereinigtes Königreich) Klage.

19

Dieses Gericht führt aus, dass es für die Entscheidung über diese Klage nach Maßgabe des Unionsrechts zu prüfen habe, ob GSK einerseits und GUK, Alpharma und IVAX andererseits im relevanten Zeitraum hinsichtlich der Lieferung von Paroxetin im Vereinigten Königreich potenzielle Wettbewerber gewesen seien und ob die drei Vereinbarungen, die GSK mit den betreffenden Generikaherstellern geschlossen habe, bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen (im Folgenden: bezweckte Beschränkung) oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkungen (im Folgenden: bewirkte Beschränkung) dargestellt hätten. Es sei auch der sachlich relevante Markt zu bestimmen, auf dem GSK Paroxetin geliefert habe, um zu untersuchen, ob dieser Arzneimittelhersteller auf diesem Markt eine beherrschende Stellung innegehabt und diese Stellung missbräuchlich ausgenutzt habe.

20

Das Competition Appeal Tribunal (Gericht für Wettbewerbssachen) stellt fest, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, soweit sich diese auf Wettbewerbsbeschränkungen beziehe, Art. 101 AEUV auszulegen sei. In Rechtssachen, an denen dieselben Arzneimittelhersteller beteiligt gewesen seien wie die des Ausgangsverfahrens, seien zwar Urteile des Gerichts der Europäischen Union ergangen, die vergleichbare Fragen betroffen hätten wie die, um die es im Ausgangsverfahren gehe. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens seien aber allesamt der Auffassung, dass diese im vorliegenden Fall nicht einschlägig seien. Außerdem sei nach wie vor nicht geklärt, wie im Einzelnen zu beurteilen sei, ob eine bewirkte Beschränkung, wie sie Gegenstand von Frage 6 sei, vorliege. Darüber hinaus stellten sich im Ausgangsverfahren neue Rechtsfragen betreffend die Auslegung von Art. 102 AEUV, die sich sowohl auf die Abgrenzung des relevanten Marktes als auch den Begriff des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und die mögliche Rechtfertigung eines solchen Missbrauchs bezögen.

21

Das Competition Appeal Tribunal (Gericht für Wettbewerbssachen) hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Potenzieller Wettbewerb

Sind für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV der Inhaber eines Arzneimittelpatents und ein Generikahersteller, der mit einem Generikum dieses Arzneimittels in den Markt einzutreten versucht, als potenzielle Wettbewerber anzusehen, wenn die Parteien über die Frage, ob das Patent gültig ist und/oder das Generikum das Patent verletzt, einen Bona-fide-Rechtsstreit führen?

2.

Ist Frage 1 anders zu beantworten,

a)

wenn zwischen den Parteien ein Rechtsstreit über diese Frage anhängig ist und/oder

b)

der Patentinhaber eine einstweilige Anordnung erstritten hat, mit der dem Generikahersteller ein Markteintritt bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens untersagt wird, und/oder

c)

der Patentinhaber den Generikahersteller als einen potenziellen Wettbewerber ansieht?

3.

Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung

Handelt es sich um eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn die Parteien eines Rechtsstreits über die Frage der Gültigkeit eines Arzneimittelpatents und dessen Verletzung durch ein Generikum, bei dem die Erfolgsaussichten der Parteien nicht absehbar sind, zur Beilegung der Streitigkeit eine Vereinbarung schließen,

a)

in der der Generikahersteller sich verpflichtet, mit seinem Generikum nicht in den Markt einzutreten und für die Dauer der Vereinbarung (die nicht länger ist als die verbleibende Patentlaufzeit) das Patent nicht anzugreifen, und

b)

der Patentinhaber sich verpflichtet, Wertübertragungen an den Generikahersteller zu tätigen, die wertmäßig erheblich höher sind als die Kosten des vermiedenen Rechtsstreits (einschließlich der durch den Rechtsstreit anfallenden Kosten für den Verwaltungsaufwand und die betriebliche Störung) und die keine Zahlungen für an den Patentinhaber gelieferte Güter oder Dienstleistungen darstellen?

4.

Ist Frage 3 anders zu beantworten, falls

a)

die Tragweite der Einschränkung des Generikaherstellers nicht über den Bereich des umstrittenen Patents hinausgeht und/oder

b)

der Umfang der Wertübertragungen an den Generikahersteller geringer sein kann als der Gewinn, den er gemacht hätte, wenn er stattdessen im Patentrechtsstreit obsiegt hätte und mit einem unabhängigen Generikum in den Markt eingetreten wäre?

5.

Sind die Fragen 3 und 4 anders zu beantworten, falls sich der Patentinhaber in der Vereinbarung dazu verpflichtet, den Generikahersteller mit einer erheblichen, aber begrenzten Menge von zugelassenem Generikum zu beliefern und

a)

diese Lieferverpflichtung zwar zu keinem nennenswerten Wettbewerbsdruck auf die vom Patentinhaber geforderten Preise führt,

b)

sie den Verbrauchern aber gewisse Vorteile bringt, die nicht eingetreten wären, wenn der Patentinhaber in dem Rechtsstreit obsiegt hätte, die aber beträchtlich geringer sind als die Vorteile, die bei einem vollständigen Wettbewerb im Fall eines gerichtlichen Obsiegens des Generikaherstellers eingetreten wären, oder ist dieser Punkt nur für die Prüfung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV von Bedeutung?

6.

Bewirkte Wettbewerbsbeschränkung

Ist bei den in den Fragen 3 bis 5 dargestellten Umständen eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV gegeben, oder setzt dieser Begriff die gerichtliche Feststellung voraus, dass ohne diese Vereinbarung

a)

der Generikahersteller im Patentverfahren wahrscheinlich obsiegt hätte (d. h., die Wahrscheinlichkeit der Gültigkeit und der Verletzung des Patents lag unter 50 %) bzw.

b)

die Parteien wahrscheinlich eine weniger einschränkende Vereinbarung abgeschlossen hätten (d. h. die Wahrscheinlichkeit einer weniger einschränkenden Vereinbarung lag über 50 %)?

7.

Definition des Markts

Sind, wenn ein patentiertes Arzneimittel durch eine Reihe anderer Arzneimittel in einer Klasse therapeutisch substituierbar ist und der angebliche Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV darin besteht, dass der Patentinhaber die generische Version dieses Arzneimittels effektiv vom Markt ausschließt, diese Generika bei der Definition des sachlich relevanten Marktes auch dann zu berücksichtigen, wenn sie vor Ablauf des Patents nicht rechtmäßig auf den Markt hätten gelangen können, wenn das Patent (was nicht sicher ist) gültig gewesen und durch diese Generika verletzt worden wäre?

8.

Missbrauch

Ist unter den in den Fragen 3 bis 5 genannten Umständen das Verhalten eines Patentinhabers, der eine marktbeherrschende Stellung innehat, beim Abschluss einer solchen Vereinbarung als ein Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV zu bewerten?

9.

Ist Frage 8 anders zu beantworten, falls der Patentinhaber eine derartige Vereinbarung nicht zur Beilegung eines anhängigen Rechtsstreits schließt, sondern zur Vermeidung eines Rechtsstreits?

10.

Ist Frage 8 oder 9 anders zu beantworten, falls

a)

der Patentinhaber die Strategie verfolgt, mehrere solcher Vereinbarungen zu schließen, um die Gefahr des uneingeschränkten Markteintritts eines Generikums auszuschließen, und

b)

die erste dieser Vereinbarungen zur Folge hat, dass sich aufgrund der nationalen Regelungen für die Erstattung der Kosten des Arzneimitteleinkaufs gegenüber den Apotheken durch die Gesundheitsbehörden das Erstattungsniveau für das betreffende Arzneimittel verringert, was zu erheblichen Einsparungen für die Gesundheitsbehörden führt (wenngleich die Ersparnis erheblich geringer ist als diejenige, die sich bei einem unabhängigen Markteintritt des Generikums im Fall eines Obsiegens des Generikaherstellers in der Patentstreitigkeit eingestellt hätte), und

c)

es den Parteien beim Abschluss der Vereinbarungen nicht um diese Einsparungen gegangen ist?

Vorbemerkungen

22

Aus der oben in Rn. 15 zusammengefassten Entscheidung der CMA geht hervor, dass diese das Verhalten von GSK, GUK und Alpharma jeweils in unterschiedlicher Hinsicht und auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage geahndet hat.

23

Die Vereinbarung GSK/GUK wurde kartellrechtlich für ihre gesamte Dauer auf der Grundlage von Part I Chapter I des Competition Act 1998 geahndet, für die Zeit nach dem 1. Mai 2004 darüber hinaus auf der Grundlage von Art. 101 AEUV. Die vor dem 1. Mai 2004 abgelaufene Vereinbarung GSK/Alpharma wurde hingegen ausschließlich auf der Grundlage von Part I Chapter I des Competition Act 1998 geahndet.

24

Auch der Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch GSK wurde ausschließlich auf der Grundlage von Part I Chapter II des Competition Act 1998 und nicht auf der Grundlage von Art. 102 AEUV geahndet.

25

Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof im Verfahren nach Art. 267 AEUV nicht für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist; die Auslegung des nationalen Rechts ist ausschließlich Sache des vorlegenden Gerichts (vgl. Urteile vom 7. September 2006, Marrosu und Sardino, C‑53/04, EU:C:2006:517, Rn. 54, und vom 18. November 2010, Georgiev, C‑250/09 und C‑268/09, EU:C:2010:699, Rn. 75).

26

In Fällen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht unmittelbar in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, aber Vorschriften des Unionsrechts durch das nationale Recht aufgrund eines darin enthaltenen Verweises auf ihren Inhalt für anwendbar erklärt worden sind, ist der Gerichtshof jedoch für die Entscheidung über Vorschriften des Unionsrechts betreffende Vorabentscheidungsersuchen zuständig (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, Cicala, C‑482/10, EU:C:2011:868, Rn. 17, vom 18. Oktober 2012, Nolan, C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 45, und vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 53).

27

Sollen sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richten, um beispielsweise zu verhindern, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, oder um sicherzustellen, dass in vergleichbaren Fällen ein einheitliches Verfahren angewandt wird, besteht nämlich ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 37, vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem, C‑28/95, EU:C:1997:369, Rn. 32, und vom 18. Oktober 2012, Nolan, C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 46).

28

Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts und den Antworten der Beteiligten auf eine vom Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage sind im vorliegenden Fall aber sowohl Section 2 (Part I Chapter I) als auch Section 18 (Part I Chapter II) des Competition Act 1998 gemäß dessen Section 60 im Einklang mit den entsprechenden Vorschriften des Unionsrechts anzuwenden.

29

Folglich ist dem Vorabentscheidungsersuchen zu entsprechen.

Zu den Vorlagefragen

Zu den Fragen 1 bis 6 (Art. 101 AEUV)

Zu den Fragen 1 und 2 (potenzieller Wettbewerb)

30

Nach Art. 101 Abs. 1 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken.

31

Danach fällt das Verhalten von Unternehmen nur dann unter das generelle Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise, also eine Absprache, vorliegt und diese den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts spürbar einschränkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2012, Expedia, C‑226/11, EU:C:2012:795, Rn. 16 und 17).

32

Letzteres setzt bei Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die auf derselben Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind, voraus, dass die Absprache zwischen Unternehmen erfolgt, die tatsächliche oder zumindest potenzielle Wettbewerber sind.

33

Die Fragen 1 und 2 werden vom vorlegenden Gericht in diesem Zusammenhang gestellt. Sie sind zusammen zu prüfen.

34

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Hersteller des Originalpräparats, der Inhaber eines Patents für das Verfahren zur Herstellung des gemeinfreien Wirkstoffs ist, und Generikahersteller, die sich auf den Eintritt in den Markt für Arzneimittel mit diesem Wirkstoff vorbereiten, in Fällen, in denen zwischen ihnen Streit über die Gültigkeit des Patents oder dessen Verletzung durch die betreffenden Generika besteht, potenzielle Wettbewerber sind. Das vorlegende Gericht möchte ferner wissen, ob insoweit relevant ist, dass ein Rechtsstreit über die Gültigkeit des betreffenden Patents anhängig ist, in dem im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes eine einstweilige Verfügung erlassen wurde, und dass der Patentinhaber die Generikahersteller möglicherweise als potenzielle Wettbewerber wahrnimmt.

35

Im vorliegenden Fall geht es lediglich um einen „potenziellen Wettbewerb“, da die Generikahersteller, die die streitigen Vereinbarungen mit GSK geschlossen haben, zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarungen noch nicht in den Paroxetinmarkt eingetreten waren.

36

Um zu beurteilen, ob ein auf einem Markt nicht vertretenes Unternehmen mit einem oder mehreren anderen dort bereits vertretenen Unternehmen in einem Verhältnis des potenziellen Wettbewerbs steht, muss festgestellt werden, ob für das nicht auf dem Markt vertretene Unternehmen wirkliche und konkrete Möglichkeiten bestehen, in den Markt einzutreten und mit dem oder den auf dem Markt vertretenen Unternehmen in Wettbewerb zu treten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 1991, Delimitis, C‑234/89, EU:C:1991:91, Rn. 21).

37

Danach ist bei einer Vereinbarung, die dazu führt, dass ein Unternehmen vorübergehend vom Markt ferngehalten wird, zu prüfen, ob für dieses Unternehmen ohne die Vereinbarung wirkliche und konkrete Möglichkeiten bestanden hätten, in den Markt einzutreten und mit den dort vertretenen Unternehmen in Wettbewerb zu treten.

38

Damit wird ausgeschlossen, dass ein potenzielles Wettbewerbsverhältnis bereits aus der rein hypothetischen Möglichkeit des Markteintritts oder der bloßen Absicht des Generikaherstellers, in den Markt einzutreten, abgeleitet wird. Hingegen ist nicht erforderlich, dass festgestellt wird, dass der Generikahersteller tatsächlich in den betreffenden Markt eintreten wird, oder gar, dass er sich in der Folge auf dem Markt behaupten kann.

39

Bei der Prüfung der Frage, ob potenzieller Wettbewerb besteht, sind die Struktur und das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des Marktes zu berücksichtigen.

40

Dabei sind zum einen die spezifischen Regelungen des Arzneimittelsektors zu berücksichtigen, wenn es wie im Ausgangsverfahren um den Pharmasektor geht, auf dessen Besonderheiten hinsichtlich der Durchführung des Wettbewerbsrechts der Union der Gerichtshof bereits hingewiesen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 65 und 80), und insbesondere um die Öffnung des Markts für ein Arzneimittel, das einen seit Kurzem gemeinfreien Wirkstoff enthält, für Generikahersteller, auf deren Auswirkungen auf die Preise das vorlegende Gericht hingewiesen hat. Dazu gehört u. a. Art. 6 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 (ABl. 2007, L 324, S. 121, berichtigt in ABl. 2009, L 87, S. 174) geänderten Fassung, nach dem ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden darf, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 219/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2009 (ABl. 2009, L 87, S. 109) geänderten Fassung erteilt wurde (Urteil vom 23. Januar 2018, Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 53).

41

Zum anderen sind die Rechte des geistigen Eigentums, insbesondere die sich auf ein oder mehrere Verfahren zur Herstellung eines gemeinfreien Wirkstoffs beziehenden Patente der Originalpräparatehersteller in vollem Umfang zu berücksichtigen, für die nach der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, berichtigt in ABl. 2004, L 195, S. 16) und nach Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ein hohes Schutzniveau besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, Huawei Technologies, C‑170/13, EU:C:2015:477, Rn. 57).

42

Wie die Generalanwältin in Nr. 60 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist für die Beurteilung der Frage, ob ein auf einem Markt nicht vertretenes Unternehmen mit einem bereits dort vertretenen Unternehmen in einem Verhältnis des Wettbewerbs steht, von Bedeutung, wie Letzteres Ersteres wahrnimmt. Wird es als potenzieller Marktteilnehmer wahrgenommen, kann das auf dem Markt nicht vertretene Unternehmen nämlich allein durch seine Existenz Wettbewerbsdruck auf das auf dem Markt vertretene Unternehmen ausüben.

43

Um festzustellen, ob der Hersteller des Originalpräparats, der Inhaber eines Verfahrenspatents für einen gemeinfreien Wirkstoff ist, und ein Generikahersteller, der sich auf den Eintritt in den Markt für Arzneimittel mit diesem Wirkstoff vorbereitet, die eine Vereinbarung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden geschlossen haben, potenzielle Wettbewerber sind, ist somit erstens zu prüfen, ob der betreffende Generikahersteller zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung ausreichende Vorbereitungsmaßnahmen getroffen hatte, um innerhalb einer Frist, die geeignet ist, Wettbewerbsdruck auf den Hersteller des Originalpräparats auszuüben, in den betreffenden Markt eintreten zu können.

44

Dabei kann es sich um Maßnahmen handeln, mit denen der Generikahersteller sicherstellt, dass er innerhalb dieser Frist über die für das Inverkehrbringen des Generikums erforderlichen behördlichen Genehmigungen sowie über einen ausreichenden Vorrat dieses Arzneimittels verfügt, das er selbst herstellen oder von Dritten beziehen kann. In Betracht kommen insoweit ferner gerichtliche Schritte, die der Generikahersteller tatsächlich unternimmt, um Verfahrenspatente des Herstellers des Originalpräparats unmittelbar oder im Rahmen eines anderen Verfahrens anzufechten, oder auch die Marketingaktivitäten des Generikaherstellers. Auf diese Weise lässt sich bei einem Arzneimittel mit einem gemeinfreien Wirkstoff feststellen, ob der Generikahersteller trotz der Verfahrenspatente des Herstellers des Originalpräparats fest entschlossen und aus eigener Kraft in der Lage ist, in den Markt einzutreten.

45

Zweitens wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob der Eintritt eines solchen Generikaherstellers in den Markt nicht auf unüberwindliche Marktzutrittsschranken stößt.

46

Für sich genommen stellt ein Patent für ein Verfahren zur Herstellung eines gemeinfreien Wirkstoffs keine unüberwindliche Schranke dar. Ist ein Generikahersteller tatsächlich fest entschlossen und aus eigener Kraft in der Lage, in den Markt einzutreten, und, wie seine Maßnahmen zeigen, bereit, das Patent anzufechten und sich beim Eintritt in den Markt einer Verletzungsklage des Patentinhabers auszusetzen, steht das Verfahrenspatent der Einstufung des Generikaherstellers als „potenzieller Wettbewerber“ des Herstellers des Originalpräparats nicht entgegen.

47

Das Vorbringen der Unternehmen, gegen die die CMA Geldbußen verhängt hat, nämlich, dass bei einem Verfahrenspatent des Originalpräparateherstellers vermutet werde, dass es gültig sei, dass der Ausgang des Rechtsstreits über die Gültigkeit des Patents ungewiss sei und dass von einem nationalen Gericht eine einstweilige Verfügung erlassen worden sei, mit der den Generikaherstellern der Verkauf der generischen Version des Originalpräparats vorläufig untersagt worden sei, rechtfertigt keine andere Bewertung.

48

Was zunächst die Vermutung der Gültigkeit des betreffenden Patents angeht, ist festzustellen, dass eine solche Vermutung die automatische Folge der Anmeldung und dann der Erteilung eines Patents ist. Im Zusammenhang mit der Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV besagt sie daher nichts über den Ausgang eines Rechtsstreits über die Gültigkeit des Patents. Wie dieser ausgegangen wäre, lässt sich wegen des zwischen dem Inhaber des Verfahrenspatents und dem betreffenden Generikahersteller geschlossenen Vergleichs ohnehin nicht mehr feststellen.

49

Wäre bei einem gemeinfreien Wirkstoff wegen der Vermutung der Gültigkeit eines Verfahrenspatents bei jedem Unternehmen, dem vorgeworfen wird, das Patent zu verletzen, ausgeschlossen, dass es auf dem Markt für Arzneimittel mit dem betreffenden Wirkstoff potenzieller Wettbewerber des Patentinhabers ist, käme Art. 101 AEUV bei Vereinbarungen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden überhaupt nicht zum Tragen. Dies würde dem Kartellrecht der Union zuwiderlaufen (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Juli 1966, Consten und Grundig/Kommission, 56/64 und 58/64, EU:C:1966:41, S. 394).

50

Wie die Generalanwältin in Nr. 83 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, bedeutet dies nicht, dass die betreffende Wettbewerbsbehörde patentrechtliche Aspekte, die für die Feststellung des Bestehens eines potenziellen Wettbewerbsverhältnisses relevant sein könnten, außer Acht lassen müsste. Patente für das Originalpräparat oder ein Verfahren zu dessen Herstellung gehören ohne Frage zum wirtschaftlichen und rechtlichen Umfeld des zwischen ihren Inhabern und den Generikaherstellern bestehenden Wettbewerbsverhältnisses. Bei der Beurteilung der Rechte aus einem Patent hat die Wettbewerbsbehörde jedoch nicht zu prüfen, wie stark das Patent ist oder wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass in einem Rechtsstreit zwischen dem Patentinhaber und einem Generikahersteller festgestellt wird, dass das Patent gültig ist und verletzt worden ist. Entscheidend ist vielmehr, ob für den Generikahersteller zum maßgeblichen Zeitpunkt trotz des Bestehens des Patents reale und konkrete Möglichkeiten bestehen, in den Markt einzutreten.

51

Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die hinsichtlich der Gültigkeit von Patenten für Arzneimittel bestehende Ungewissheit ein Wesensmerkmal des Pharmasektors ist, dass die Vermutung der Gültigkeit eines Patents für ein Originalpräparat nicht die Vermutung begründet, dass ein entsprechendes Generikum, das ordnungsgemäß in Verkehr gebracht wird, rechtswidrig wäre, dass ein Patent keinen Schutz vor Nichtigkeitsklagen bietet, dass solche Klagen und insbesondere der sogenannte „launch at risk“ eines Generikums sowie entsprechende Gerichtsverfahren in der Phase unmittelbar vor oder nach dem Inverkehrbringen des Generikums durchaus üblich sind, dass es für die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums nicht erforderlich ist, nachzuweisen, dass durch das Inverkehrbringen keine Rechte aus dem Patent für das Originalpräparat verletzt werden und dass im Arzneimittelsektor ein potenzieller Wettbewerb weit vor Ablauf eines Patents für den Wirkstoff des Originalpräparats stattfinden kann, da die Generikahersteller bei Ablauf des Patents bereit sein wollen, in den Markt einzutreten.

52

Zu dem Vorbringen, es bestehe zwischen dem Hersteller des Originalpräparats und dem Hersteller eines Generikums, der damit in den entsprechenden Markt eintreten wolle, ein ernsthafter Streit, dessen Ausgang ungewiss sei, ist festzustellen, dass die Ernsthaftigkeit des Streits keineswegs ausschließt, dass die beiden Hersteller miteinander in Wettbewerb stehen, sondern gerade ein Indiz dafür darstellt, dass sie potenzielle Wettbewerber sind, zumal wenn der Streit gerichtlich ausgetragen wird.

53

Schließlich ist zu dem Vorbringen, dass ein nationales Gericht eine einstweilige Verfügung erlassen habe, mit der einem Generikahersteller der Eintritt in den Markt für ein Arzneimittel mit einem gemeinfreien Wirkstoff untersagt werde, festzustellen, dass es sich bei dieser Verfügung um eine Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, die der Entscheidung über die Begründetheit einer vom Patentinhaber erhobenen Verletzungsklage in keiner Weise vorgreift, zumal wenn sie wie im Ausgangsverfahren gegen ein „cross-undertaking in damages“ des Patentinhabers erlassen wird.

54

Drittens kann die Feststellung, dass der Generikahersteller fest entschlossen und aus eigener Kraft in der Lage ist, in den Markt für einen gemeinfreien Wirkstoff einzutreten, falls sie nicht durch das Bestehen unüberwindlicher Marktzutrittsschranken entkräftet wird, durch weitere Elemente bestätigt werden.

55

So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Abschluss einer Vereinbarung zwischen mehreren Unternehmen, die auf derselben Ebene der Produktionskette tätig sind und von denen einige nicht auf dem betreffenden Markt vertreten waren, ein starkes Indiz für das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen diesen Unternehmen ist (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Januar 2016, Toshiba Corporation/Kommission, C‑373/14 P, EU:C:2016:26, Rn. 33 und 34).

56

Ein weiteres Indiz für das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses ist, dass sich der Hersteller des Originalpräparats bereit erklärt, auf einen Generikahersteller, obwohl er diesem vorwirft, eines oder mehrere seiner Verfahrenspatente zu verletzen, als Gegenleistung für die Verschiebung seines Markteintritts Werte zu übertragen, und diese dann auch tatsächlich überträgt. Je höher die Werte sind, die übertragen werden, desto höher ist die Indizwirkung.

57

An der Bereitschaft, solche Wertübertragungen vorzunehmen, zeigt sich nämlich, wie der Hersteller des Originalpräparats die Gefahr einschätzt, die vom Generikahersteller für seine geschäftlichen Interessen ausgeht. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 42), ist die Einschätzung dieser Gefahr durch den Hersteller des Originalpräparats, da sie dessen Marktverhalten bestimmt, für die Beurteilung der Frage, ob die beiden Hersteller potenzielle Wettbewerber sind, relevant.

58

Somit ist auf die Fragen 1 und 2 zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Hersteller des Originalpräparats, der Inhaber eines Patents für das Verfahren zur Herstellung des gemeinfreien Wirkstoffs ist, und Generikahersteller, die sich auf den Eintritt in den Markt für Arzneimittel mit diesem Wirkstoff vorbereiten, in Fällen, in denen zwischen ihnen Streit über die Gültigkeit des Patents oder dessen Verletzung durch die betreffenden Generika besteht, potenzielle Wettbewerber sind, wenn der Generikahersteller nachweislich fest entschlossen und aus eigener Kraft in der Lage ist, in den Markt einzutreten, und dem nicht unüberwindliche Marktzutrittsschranken entgegenstehen, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

Zu den Fragen 3 bis 5 (Einstufung als bezweckte Beschränkung)

59

In Anbetracht der Antwort auf die Fragen 1 und 2 sind die Fragen 3 bis 5 nur im Hinblick auf eine Vereinbarung zu prüfen, die der Hersteller des Originalpräparats und Inhaber eines Patents für ein Verfahren zur Herstellung des gemeinfreien Wirkstoffs und ein sich auf den Eintritt in den Markt für Arzneimittel mit diesem Wirkstoff vorbereitender Generikahersteller als potenzielle Wettbewerber geschlossen haben.

60

Mit den Fragen 3 bis 5, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine von dem Hersteller des Originalpräparats und dem Hersteller eines Generikums als potenzielle Wettbewerber geschlossene Vereinbarung über die gütliche Beilegung eines anhängigen Rechtsstreits über die Gültigkeit eines Patents des Herstellers des Originalpräparats für das Verfahren zur Herstellung des gemeinfreien Wirkstoffs des Originalpräparats und über die Verletzung dieses Patents durch ein Generikum, mit der sich der Hersteller des Generikums gegen Wertübertragungen seitens des Herstellers des Originalpräparats dazu verpflichtet, während der Laufzeit der Vereinbarung nicht in den Markt für Arzneimittel mit dem betreffenden Wirkstoff einzutreten und seine Klage auf Nichtigerklärung des Patents nicht weiter zu verfolgen, eine Vereinbarung darstellt, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt.

61

Das vorlegende Gericht möchte auch wissen, ob insoweit die folgenden Umstände von Bedeutung sind:

Es ist unmöglich, zu bestimmen, welche Partei in dem Rechtsstreit obsiegt hätte.

Der Umfang der dem Generikahersteller auferlegten Wettbewerbsbeschränkung geht nicht über den Umfang des betreffenden Patents hinaus.

Die auf den Generikahersteller übertragenen Werte sind deutlich höher als die vermiedenen Prozesskosten und stellen keine Gegenleistung für die Lieferung von Waren oder Dienstleistungen an den Hersteller des Originalpräparats dar, sind aber geringer als der Gewinn, den der Generikahersteller erzielt hätte, wenn er im Patentrechtsstreit obsiegt und mit einem unabhängigen Generikum in den Markt eingetreten wäre.

Der Vergleich sieht vor, dass der Hersteller des Originalpräparats und Inhaber des Patents den Generikahersteller in erheblichem, aber begrenztem Umfang mit einem zugelassenen Generikum beliefert, was nicht zu einer erheblichen Wettbewerbsbeschränkung hinsichtlich der vom Patentinhaber verlangten Preise führt, sondern den Verbrauchern Vorteile verschafft, die sie nicht gehabt hätten, wenn der Patentinhaber im Patentrechtsstreit obsiegt hätte, wobei diese Vorteile jedoch erheblich geringer sind als die Wettbewerbsvorteile, die sich aus der Vermarktung des unabhängigen Generikums ergeben hätten, wenn der Generikahersteller im Patentrechtsstreit obsiegt hätte.

62

Ergänzend zu den Erwägungen oben in den Rn. 30 und 31 ist darauf hinzuweisen, dass eine Absprache, um unter das in Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgestellte Verbot zu fallen, eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts „bezwecken oder bewirken“ muss.

63

So wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, unterscheidet diese Vorschrift also klar zwischen dem Begriff der bezweckten und dem der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung, für die jeweils verschiedene Beweisregeln gelten.

64

So können bezweckte Beschränkungen als Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV eingestuft werden, ohne dass ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb untersucht, geschweige denn nachgewiesen werden müssten. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass bezweckte Beschränkungen zu Produktionsverringerungen und Preiserhöhungen führen, was eine Fehlallokation von Ressourcen zum Nachteil insbesondere der Verbraucher zur Folge hat (Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 115 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65

Bei bezweckten Beschränkungen muss lediglich nachgewiesen werden, dass sie die entsprechenden Tatbestandsmerkmale erfüllen. Bloße Behauptungen reichen hierfür allerdings nicht aus.

66

Steht hingegen nicht fest, dass eine Vereinbarung, ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise einen wettbewerbswidrigen Zweck hatte, muss, um nachzuweisen, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist, geprüft werden, welche Auswirkungen die Vereinbarung, der Beschluss oder die Verhaltensweise gehabt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 2015, Maxima Latvija, C‑345/14, EU:C:2015:784, Rn. 17).

67

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Begriff der „bezweckten“ Einschränkung des Wettbewerbs eng auszulegen. Unter ihn fallen nur solche Absprachen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb nach ihrem Inhalt, den mit ihnen verfolgten Zielen und dem wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie stehen, für sich genommen hinreichend beeinträchtigen, um davon ausgehen zu können, dass die Prüfung ihrer Wirkungen nicht notwendig ist. Bestimmte Formen der Absprache zwischen Unternehmen können nämlich schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden (Urteile vom 26. November 2015, Maxima Latvija, C‑345/14, EU:C:2015:784, Rn. 20, und vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 78 und 79).

68

Bei der Beurteilung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs der Absprachen sind auch die Art der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Marktes oder dieser Märkte zu berücksichtigen (Urteil vom 11. September 2014, CB/Kommission, C‑67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass im Arzneimittelsektor wegen der beim Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu erfüllenden Anforderungen (siehe oben, Rn. 40 und 47) hohe Marktzutrittsschranken bestehen. Außerdem ist dieser Sektor, wie das vorlegende Gericht für das Vereinigte Königreich festgestellt hat, durch einen gesetzlich streng geregelten Preisbildungsmechanismus gekennzeichnet, in dem der Markteintritt von Generika große Auswirkungen hat. Er führt kurzfristig nämlich zu einem sehr deutlichen Rückgang des Preises von Arzneimitteln mit einem bestimmten Wirkstoff, die nun nicht nur vom Hersteller des Originalpräparats, sondern auch von Generikaherstellern angeboten werden.

70

All diese Faktoren, die den Originalpräparate- und Generikaherstellern hinlänglich bekannt sind, machen den Arzneimittelsektor besonders empfänglich für den Aufschub des Markteintritts einer generischen Version eines Originalpräparats. Ein solcher Aufschub führt jedoch zur Aufrechterhaltung eines Monopolpreises auf dem Markt für das betreffende Arzneimittel, der weitaus höher ist als der Preis, zu dem Generika nach ihrem Markteintritt verkauft würden, und stellt, wenn nicht für den Endverbraucher, so doch zumindest für die Sozialversicherungsträger, eine erhebliche finanzielle Belastung dar.

71

Es ist daher zu prüfen, ob Vereinbarungen wie die von GSK mit Alpharma oder GUK geschlossenen den Wettbewerb bereits für sich genommen so stark beeinträchtigen, dass für die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht ermittelt zu werden braucht, welche Auswirkungen sie haben.

72

Wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt und oben in den Rn. 13 und 14 dargestellt ist, stellen die Vereinbarungen, die GSK mit GUK bzw. Alpharma geschlossen hat, im Wesentlichen zwei komplexe Bündel von Vereinbarungen dar, die große Ähnlichkeiten aufweisen.

73

Beide Vereinbarungen wurden in Form eines Vergleichs zur gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits über ein Patent für ein Verfahren zur Herstellung des gemeinfreien Wirkstoffs Paroxetin geschlossen.

74

Mit den Vergleichen wurde auf eine Verletzungsklage reagiert, die GSK gegen GUK und Alpharma erhoben hatte. Diese Klage führte zum einen dazu, dass GUK und Alpharma das betreffende Patent unmittelbar oder mittelbar anfochten, und zum anderen dazu, dass ein nationales Gericht eine einstweilige Verfügung erließ, mit der GUK und Alpharma gegen ein „cross-undertaking in damages“ von GSK untersagt wurde, in den Markt einzutreten.

75

Erstens verpflichteten sich GUK und Alpharma in den betreffenden Vereinbarungen dazu, während deren Laufzeit nicht in den Markt einzutreten, keine nach dem streitigen Patent hergestellte Generika zu produzieren und/oder einzuführen sowie die Anfechtung des Patents nicht weiterzuverfolgen. Zweitens wurde aufgrund der Vereinbarungen eine Vertriebsvereinbarung geschlossen, die es GUK und Alpharma ermöglichte, mit einer begrenzten Menge des von GSK hergestellten generischen Paroxetins in den Markt einzutreten. Drittens zahlte GSK an GUK und Alpharma aufgrund der Vereinbarungen für verschiedene Zwecke Beträge, die nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts erheblich höher waren als die vermiedenen Prozesskosten und keine Gegenleistung für gelieferte Waren oder Dienstleistungen von GUK bzw. Alpharma darstellten.

76

Wie es in den Vorlagefragen ausdrücklich heißt, wurden die Vereinbarungen vor dem Hintergrund eines ernsthaften Streits über ein Verfahrenspatent geschlossen, der schließlich vor einem nationalen Gericht ausgetragen wurde. Daher kann nicht angenommen werden, dass es sich um Vereinbarungen handelte, mit denen zur Verdeckung einer Marktaufteilungs- bzw. ‑ausschlussvereinbarung bloße Scheinstreitigkeiten beigelegt werden und die deshalb den Wettbewerb ebenso wie die verdeckte Marktaufteilungs- bzw. ‑ausschlussvereinbarung hinreichend beeinträchtigten und als bezweckte Beschränkung einzustufen sind.

77

Es ist somit, wie vom vorlegenden Gericht vorgeschlagen, zu prüfen, ob die Vereinbarungen dennoch mit solchen Marktaufteilungs- oder ‑ausschlussvereinbarungen gleichgesetzt werden können.

78

Nach ständiger Rechtsprechung hat jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen, welche Politik er auf dem Binnenmarkt betreiben will (Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 119).

79

Insoweit hat der Gerichtshof speziell zu Verhaltensweisen von Unternehmen im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums entschieden, dass ein gewerbliches Schutzrecht als gesetzliche Regelung nicht unter die Merkmale einer Vereinbarung oder Abstimmung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, dass aber seine Ausübung unter die Verbote des Vertrags fallen kann, wenn sie den Gegenstand, das Mittel oder die Folgen eines Kartells darstellt (Urteil vom 8. Juni 1982, Nungesser und Eisele/Kommission, 258/78, EU:C:1982:211, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), ungeachtet der Tatsache, dass die Ausübung eine legitime Ausprägung des Rechts des geistigen Eigentums sein kann, das dem Inhaber des Rechts gestattet, sich gegen jegliche Verletzung des Rechts zur Wehr zu setzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Oktober 1974, Centrafarm und de Peijper, 15/74, EU:C:1974:114, Rn. 9), und dass, worauf die Kommission hinweist, der Staat zum Abschluss von Vergleichen anhält, weil damit Mittel eingespart werden können und somit Vorteile für die Allgemeinheit entstehen.

80

Art. 101 Abs. 1 AEUV differenziert bei der Untersagung bestimmter „Vereinbarungen“ zwischen Unternehmen also nicht zwischen Vereinbarungen, die zur Beendigung eines Rechtsstreits geschlossen werden, und Vereinbarungen, mit denen andere Zwecke verfolgt werden (Urteil vom 27. September 1988, Bayer und Maschinenfabrik Hennecke, 65/86, EU:C:1988:448, Rn. 15).

81

Vergleiche, mit denen ein Generikahersteller, der in den Markt eintreten will, die Gültigkeit eines Patents des Herstellers eines Originalpräparats zumindest zeitweilig anerkennt und sich deshalb verpflichtet, das Patent nicht anzufechten und nicht in den Markt einzutreten, können daher eine Einschränkung des Wettbewerbs bewirken (vgl. entsprechend Urteil vom 27. September 1988, Bayer und Maschinenfabrik Hennecke, 65/86, EU:C:1988:448, Rn. 16). In Sektoren, in denen ausschließliche Rechte an Technologien bestehen, gehört die Anfechtung der Gültigkeit und Tragweite eines Patents nämlich zum normalen Wettbewerb.

82

Auch eine Nichtangriffsabrede kann den Wettbewerb aufgrund des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs, in dem sie steht, im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV beschränken (Urteil vom 27. September 1988, Bayer und Maschinenfabrik Hennecke, 65/86, EU:C:1988:448, Rn. 16).

83

Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass Vereinbarungen, mit denen sich Wettbewerber bewusst für eine praktische Zusammenarbeit entscheiden anstatt sich auf einen mit Risiken verbundenen Wettbewerb einzulassen, eine bezweckte Beschränkung darstellen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. November 2008, Beef Industry Development Society und Barry Brothers, C‑209/07, EU:C:2008:643, Rn. 34).

84

Einem Generikahersteller, der sich in der in den Fragen 3 bis 5 beschriebenen Lage befindet, steht es jedoch frei, nach Einschätzung seiner Erfolgsaussichten in dem Rechtsstreit zwischen ihm und dem Hersteller des Originalpräparats zu beschließen, vom Eintritt in den betreffenden Markt abzusehen und in diesem Zusammenhang mit dem Hersteller des Originalpräparats einen Vergleich zu schließen. Eine solche Vereinbarung kann nicht generell als bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV angesehen werden.

85

Dass im Rahmen der Vereinbarung Werte monetärer oder nicht monetärer Art vom Hersteller des Originalpräparats auf den Generikahersteller übertragen werden, genügt nicht, um die Vereinbarung als bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs einzustufen. Solche Wertübertragungen können nämlich durchaus gerechtfertigt sein, wenn sie im Hinblick auf die legitimen Ziele der Parteien der Vereinbarung geeignet und erforderlich sind.

86

Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Generikahersteller vom Hersteller des Originalpräparats Beträge erhält, mit denen tatsächlich Kosten oder Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit zwischen ihnen ausgeglichen werden oder mit denen die sofortige oder spätere tatsächliche Lieferung von Waren oder Dienstleistungen an den Hersteller des Originalpräparats vergütet wird. Wertübertragungen können ferner gerechtfertigt sein, wenn der Generikahersteller auf Ansprüche, insbesondere finanzieller Art, die er gegen den Patentinhaber hat, z. B. aus einem „cross-undertaking in damages“, verzichtet.

87

Die Vereinbarung ist jedoch als bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs einzustufen, wenn sich die vereinbarten Wertübertragungen allein durch das geschäftliche Interesse erklären lassen, das sowohl der Patentinhaber als auch das Unternehmen, dem vorgeworfen wird, das Patent zu verletzen, an der Vermeidung von Leistungswettbewerb haben.

88

Wie die Generalanwältin in Nr. 114 ihrer Schlussanträge aufgezeigt hat, führt der Abschluss einer Vereinbarung, mit der sich ein Wettbewerber des Patentinhabers gegen Zahlung eines erheblichen Geldbetrags verpflichtet, nicht in den Markt einzutreten und das Patent nicht mehr anzugreifen, wobei diese Verpflichtung die einzige Gegenleistung für die Zahlung ist, aber gerade dazu, dass der Patentinhaber gegen Nichtigkeitsklagen geschützt wird und dass für Produkte, die von seinem Wettbewerber in den Verkehr gebracht werden, eine Vermutung der Rechtswidrigkeit begründet wird. Es kann daher nicht angenommen werden, dass der Abschluss einer solchen Vereinbarung eine Ausübung der Rechte aus dem Patent darstellte. Dies gilt umso mehr, als es nach der Rechtsprechung Aufgabe der Behörden und nicht privater Unternehmen ist, dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden.

89

Ebenso wenig kann mithin angenommen werden, dass die Generikahersteller mit dem Abschluss einer solchen Vereinbarung lediglich das Patent des Patentinhabers anerkennen würden, für das die Vermutung der Gültigkeit gilt. Überträgt der Patentinhaber nämlich in erheblichem Umfang Werte auf die Generikahersteller, für die es keine andere Gegenleistung gibt als deren Verpflichtung, nicht in den Markt einzutreten und das Patent nicht mehr anzugreifen, so ist dies in Ermangelung einer anderen plausiblen Erklärung ein Indiz dafür, dass die Generikahersteller nicht wegen ihrer Einschätzung der Stärke des Patents, sondern wegen der Aussicht auf die Wertübertragungen darauf verzichtet haben, in den Markt einzutreten und das Patent anzufechten.

90

Um beurteilen zu können, ob die in Vereinbarungen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vorgesehenen Wertübertragungen allein durch das geschäftliche Interesse der Vertragsparteien an der Vermeidung von Leistungswettbewerb erklärt werden können, sind, wie die Generalanwältin in Nr. 120 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, zunächst alle Wertübertragungen zu berücksichtigen, die zwischen den Parteien erfolgt sind, und zwar unabhängig davon, ob monetäre oder nicht monetäre Werte übertragen worden sind.

91

Wie das vorlegende Gericht und die Generalanwältin in den Nrn. 120 und 170 bis 172 ihrer Schlussanträge erwägen, sind mitunter auch mittelbare Übertragungen zu berücksichtigen, die sich z. B. aus Gewinnen ergeben, die der Generikahersteller aus einem mit dem Hersteller des Originalpräparats geschlossenen Vertriebsvertrag zieht, der es ihm ermöglicht, vom Hersteller des Originalpräparats hergestellte Generika zu verkaufen, und sei es auch in begrenzter Menge.

92

Sodann ist zu prüfen, ob der positive Saldo der vom Hersteller des Originalpräparats auf den Generikahersteller übertragenen Werte durch etwaige Gegenleistungen oder den erwiesenen legitimen Verzicht des Generikaherstellers auf bestimmte Ansprüche gerechtfertigt sein kann (siehe oben, Rn. 86).

93

Falls nicht, ist schließlich zu prüfen, ob der positive Saldo hoch genug ist, um den Generikahersteller tatsächlich dazu zu veranlassen, vom Eintritt in den Markt abzusehen.

94

In Anbetracht der hinsichtlich des Ausgangs des Patentrechtsstreits bestehenden Ungewissheit müssen die Wertübertragungen nicht unbedingt höher sein als die Gewinne, die der Generikahersteller erzielt hätte, wenn er im Patentrechtsstreit obsiegt hätte. Entscheidend ist allein, dass die Wertübertragungen vorteilhaft genug sind, um den Generikahersteller dazu zu veranlassen, von einem Eintritt in den betreffenden Markt abzusehen und mit dem Hersteller des Originalpräparats nicht in Leistungswettbewerb zu treten.

95

Ist dies der Fall, ist die betreffende Vereinbarung grundsätzlich als bezweckte Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV einzustufen.

96

Dem können die Unternehmen, die solche Vereinbarungen geschlossen haben, nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass Vergleiche wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht über den Umfang und die Restlaufzeit des Patents, auf das sie sich beziehen, hinausgehen und daher nicht wettbewerbswidrig sind oder dass die sich aus den Vereinbarungen ergebenden Beschränkungen rein akzessorisch im Sinne des Urteils vom 11. Juli 1985, Remia u. a./Kommission (42/84, EU:C:1985:327), seien.

97

Auch wenn der Abschluss eines Vergleichs mit einem Unternehmen, dem vorgeworfen wird, ein Patent zu verletzen, der nicht über den Umfang und die Restlaufzeit des Patents hinausgeht, eine Ausprägung des Rechts des geistigen Eigentums des Inhabers des Patents darstellt und dieses Recht Letzteren insbesondere dazu berechtigt, sich gegen jegliche Zuwiderhandlung zur Wehr zu setzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Oktober 1974, Centrafarm und de Peijper, 15/74, EU:C:1974:114, Rn. 9), gewährt das Patent, wie die Generalanwältin in Nr. 114 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, seinem Inhaber nicht das Recht, Verträge abzuschließen, die gegen Art. 101 AEUV verstoßen (siehe oben, Rn. 79).

98

An der Einstufung als bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs ändert auch nichts, dass Unsicherheit über die Gültigkeit des Patents besteht und dass sich diese Unsicherheit daraus ergibt, dass zwischen dem Patentinhaber und dem betreffenden Generikahersteller ein ernsthafter Streit besteht, dass vor Abschluss des fraglichen Vergleichs ein Rechtsstreit anhängig war oder dass ein nationales Gericht eine einstweilige Verfügung erlassen hat, mit der dem Unternehmen, dem vorgeworfen wird, ein Patent zu verletzen, gegen ein „cross-undertaking in damages“ des Patentinhabers untersagt wird, in den Markt einzutreten.

99

Könnte bei einem Verhalten, das den Wettbewerb für sich genommen hinreichend beeinträchtigt, aus solchen Gründen von der Einstufung als bezweckte Einschränkung abgesehen werden, würde die Reichweite des Begriffs der bezweckten Einschränkung, auch wenn dieser eng auszulegen ist, übermäßig eingeschränkt (siehe oben, Rn. 67).

100

Denn gerade auch wegen der Ungewissheit, die hinsichtlich des Ausgangs des Rechtsstreits über die Gültigkeit des Patents des Herstellers des Originalpräparats und die Verletzung des Patents durch die generische Version des Arzneimittels besteht, sind die beiden Parteien des Rechtsstreits, solange die Ungewissheit besteht, zumindest potenzielle Wettbewerber.

101

Außerdem kann diese Ungewissheit, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 48 und 49), bei einem Vergleich, bei dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass er den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt (siehe oben, Rn. 67), nicht ausreichen, um die Einstufung als bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs auszuschließen.

102

Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 48), besagen die für ein Patent bestehende Vermutung der Gültigkeit, die Anhängigkeit eines Rechtsstreits vor Abschluss eines Vergleichs und der Erlass einer einstweiligen Verfügung durch ein nationales Gericht im Zusammenhang mit der Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV nichts über den Ausgang eines Rechtsstreits über die Gültigkeit des Patents. Wie dieser ausgegangen wäre, lässt sich wegen des zwischen dem Inhaber des Verfahrenspatents und dem betreffenden Generikahersteller geschlossenen Vergleichs ohnehin nicht mehr feststellen.

103

Schließlich ist im Zusammenhang mit Frage 5 darauf hinzuweisen, dass, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 67) und wie auch die Generalanwältin in Nr. 158 ihrer Schlussanträge aufgezeigt hat, bei der Prüfung der Frage, ob der Vergleich eine bezweckte Beschränkung darstellt, unter dem Gesichtspunkt des Umfelds des Vergleichs auch dessen wettbewerbsfördernde Wirkungen zu berücksichtigen sind, wenn sich die Parteien des Vergleichs darauf berufen. Diese Wirkungen können nämlich unter Umständen die Gesamtbeurteilung der Frage, ob die Absprache den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt, und folglich die Einstufung als bezweckte Einschränkung des Wettbewerbs in Frage stellen.

104

Mit der Berücksichtigung der wettbewerbsfördernden Wirkungen des Vergleichs soll keineswegs die Einstufung als Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgeschlossen werden. Sie dient lediglich dazu, die objektive Schwere des betreffenden Verhaltens zu ermitteln und folglich die Modalitäten des Nachweises zu bestimmen. Sie steht in keiner Weise im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der das Unionsrecht keine „Rule of reason“ kennt, wonach bei der Einstufung einer Vereinbarung als Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV die wettbewerbsfördernden Aspekte der Vereinbarung gegen die wettbewerbswidrigen abzuwägen wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 1966, Consten und Grundig/Kommission, 56/64 et 58/64, EU:C:1966:41, S. 390 und 391).

105

Die wettbewerbsfördernden Wirkungen des Vergleichs können jedoch nur Berücksichtigung finden, sofern sie erwiesen und relevant sind. Außerdem müssen sie allein auf die betreffende Vereinbarung zurückzuführen sein, wie die Generalanwältin in Nr. 144 ihrer Schlussanträge im Hinblick auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vereinbarungen festgestellt hat.

106

Wie die Generalanwältin weiter in Nr. 166 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist die Einstufung als bezweckte Einschränkung nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Vereinbarung solche wettbewerbsfördernden Wirkungen hat.

107

Die wettbewerbsfördernden Auswirkungen müssen, sofern sie erwiesen, relevant und allein auf die betreffende Vereinbarung zurückzuführen sind, hinreichend erheblich sein, um begründete Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass der betreffende Vergleich den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt und dass er daher eine bezweckte Beschränkung darstellt.

108

Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung, insbesondere aus den vom vorlegenden Gericht in Frage 5 a und b angeführten Umständen, auf die die Generalanwältin in den Nrn. 168 bis 172, 175 und 179 ihrer Schlussanträge eingeht, hervor, dass bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergleichen im Wesentlichen davon auszugehen ist, dass sie allenfalls geringe wettbewerbsfördernde Auswirkungen hatten.

109

Das vorlegende Gericht stellt zwar fest, dass die Vergleiche tatsächlich dazu geführt hätten, dass der Paroxetinpreis leicht gesunken sei. Gleichzeitig weist es aber u. a. in Frage 5 a darauf hin, dass durch das von GSK vereinbarungsgemäß an die Generikahersteller gelieferte Paroxetin kein erheblicher Wettbewerbsdruck auf GSK ausgeübt worden sei. Für die Generikahersteller habe wegen der begrenzten Liefermengen, die nicht technisch bedingt gewesen seien, kein Anreiz bestanden, sich auf einen Preiswettbewerb einzulassen. Darüber hinaus weist das vorlegende Gericht in Frage 5 b darauf hin, dass die Vergleiche den Verbrauchern Vorteile gebracht hätten, die sie nicht gehabt hätten, wenn im Patentrechtsstreit der Patentinhaber obsiegt hätte, wobei es klarstellt, dass diese Vorteile erheblich geringer gewesen seien als die Wettbewerbsvorteile, die sich aus der Vermarktung eines unabhängigen Generikums ergeben hätten, wenn die Generikahersteller im Patentrechtsstreit obsiegt hätten. Schließlich stellt das vorlegende Gericht fest, dass die durch die Vergleiche herbeigeführte Änderung der Marktstruktur nicht auf die Entstehung von Wettbewerb, sondern auf eine kontrollierte Neuordnung des Paroxetinmarkts durch GSK zurückzuführen sei und dass die Lieferung von Paroxetin und die Überlassung von Marktanteilen an die Generikahersteller durch GSK als nicht monetäre Wertübertragungen anzusehen seien.

110

Solche Wirkungen, die allenfalls in geringem Umfang wettbewerbsfördernd waren, würden – einmal unterstellt, sie würden vom vorlegenden Gericht festgestellt – aber noch keine begründeten Zweifel daran aufkommen lassen, dass Vereinbarungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen, was zu prüfen jedenfalls allein Sache des vorlegenden Gerichts ist.

111

Somit ist auf die Fragen 3 bis 5 zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine von dem Hersteller des Originalpräparats und einem Generikahersteller als potenzielle Wettbewerber geschlossene Vereinbarung über die gütliche Beilegung eines anhängigen Rechtsstreits über die Gültigkeit eines Patents des Herstellers des Originalpräparats für das Verfahren zur Herstellung des gemeinfreien Wirkstoffs und über die Patentverletzung durch ein Generikum dieses Präparats, in der sich der Generikahersteller gegen Wertübertragungen seitens des Herstellers des Originalpräparats dazu verpflichtet, während der Laufzeit der Vereinbarung nicht in den Markt für Arzneimittel mit dem betreffenden Wirkstoff einzutreten und seine Klage auf Nichtigerklärung des Patents nicht weiter zu verfolgen, eine Vereinbarung darstellt, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt,

wenn sich aus allen verfügbaren Beweisen ergibt, dass sich der positive Saldo der vom Hersteller des Originalpräparats auf den Generikahersteller übertragenen Werte allein mit dem geschäftlichen Interesse der Parteien der Vereinbarung an der Vermeidung von Leistungswettbewerb erklären lässt,

es sei denn, die Vereinbarung hat nachweislich wettbewerbsfördernde Auswirkungen, die begründete Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt.

Zu Frage 6 (Einstufung als bewirkte Beschränkung)

112

Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass ohne den streitigen Vergleich eine reale Möglichkeit bestanden hätte, dass die betroffenen Generikahersteller in den Verfahren über das betreffende Verfahrenspatent obsiegt oder mit GSK zumindest einen den Wettbewerb weniger einschränkenden Vergleich geschlossen hätten.

113

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass, wenn die Einstufung als bewirkte Beschränkung erfordere, dass festgestellt werde, dass eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % bestanden hätte, dass der Generikahersteller sein Recht auf Eintritt in den Markt hätte durchsetzen können oder die Parteien zumindest einen den Wettbewerb weniger einschränkenden Vergleich geschlossen hätten, eine solche Feststellung im vorliegenden Fall nach Lage der Akten nicht getroffen werden könne.

114

Frage 6 ist daher im Wesentlichen dahin zu verstehen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass bei Vergleichen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Nachweis potenziell oder tatsächlich spürbarer Auswirkungen auf den Wettbewerb und damit die Einstufung als bewirkte Beschränkung voraussetzt, dass festgestellt wird, dass es ohne den Vergleich wahrscheinlich gewesen wäre, dass der an dem Vergleich beteiligte Generikahersteller in dem Rechtsstreit über das Verfahrenspatent obsiegt oder mit dem Patentinhaber einen den Wettbewerb weniger einschränkenden Vergleich geschlossen hätte.

115

Lässt die Prüfung der betreffenden Absprache keine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen, sind ihre Auswirkungen zu untersuchen, und es müssen, damit sie als Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV eingestuft werden kann, Umstände vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, dass der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist (siehe oben, Rn. 66).

116

Hierbei ist der konkrete Rahmen zu berücksichtigen, in den sich die Absprache einfügt, nämlich der wirtschaftliche und rechtliche Zusammenhang, in dem die betreffenden Unternehmen tätig sind, die Natur der betroffenen Waren und Dienstleistungen, die auf dem betreffenden Markt oder den betreffenden Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Marktes oder dieser Märkte (Urteil vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 165 und die dort angeführte Rechtsprechung).

117

Nach ständiger Rechtsprechung kann es sich bei den den Wettbewerb einschränkenden Wirkungen sowohl um tatsächliche als auch um potenzielle Wirkungen handeln. Die Wirkungen müssen jedenfalls aber hinreichend spürbar sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Juli 1969, Völk, 5/69, EU:C:1969:35, Rn. 7, und vom 23. November 2006, Asnef-Equifax und Administración del Estado, C‑238/05, EU:C:2006:734, Rn. 50).

118

Bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Absprache nach Art. 101 AEUV ist der Wettbewerb so zu betrachten, wie er ohne die fragliche Vereinbarung bestehen würde (Urteil vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 161).

119

Danach muss das vorlegende Gericht in Fällen wie denen des Ausgangsverfahrens im Rahmen seiner Feststellungen zum zuwiderhandlungsfreien Szenario nicht endgültig feststellen, welche Erfolgsaussichten der Generikahersteller im Patentrechtsstreit gehabt hätte oder wie wahrscheinlich der Abschluss eines den Wettbewerb weniger einschränkenden Vergleichs gewesen wäre.

120

Mit dem zuwiderhandlungsfreien Szenario soll nämlich lediglich bestimmt werden, welche realistischen Verhaltensmöglichkeiten der Generikahersteller gehabt hätte, wenn der Vergleich nicht geschlossen worden wäre. Die Erfolgsaussichten des Generikaherstellers im Patentrechtsstreit bzw. die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses einer den Wettbewerb weniger einschränkenden Vereinbarung sind insoweit durchaus relevant. Es handelt sich aber lediglich um zwei Gesichtspunkte einer ganzen Reihe von Gesichtspunkten, die bei der Prüfung der Frage zu berücksichtigen sind, wie sich der Markt ohne den Vergleich wahrscheinlich verhalten hätte und welche Struktur er dann gehabt hätte.

121

Zum Nachweis potenziell oder tatsächlich spürbarer Auswirkungen von Vergleichen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf den Wettbewerb hat das vorlegende Gericht mithin nicht festzustellen, dass es wahrscheinlich gewesen wäre, dass der an dem Vergleich beteiligte Generikahersteller im Patentrechtsstreit obsiegt hätte oder die Parteien des Vergleichs einen den Wettbewerb weniger einschränkenden Vergleich geschlossen hätten.

122

Somit ist auf Frage 6 zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass bei Vergleichen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Nachweis potenziell oder tatsächlich spürbarer Auswirkungen auf den Wettbewerb und damit die Einstufung als bewirkte Beschränkung nicht voraussetzt, dass festgestellt wird, dass es ohne den Vergleich wahrscheinlich gewesen wäre, dass der an dem Vergleich beteiligte Generikahersteller in dem Rechtsstreit über das Verfahrenspatent obsiegt oder mit dem Patentinhaber einen den Wettbewerb weniger einschränkenden Vergleich geschlossen hätte.

Zu den Fragen 7 bis 10 (Art. 102 AEUV)

Zu Frage 7 (Abgrenzung des relevanten Markts)

123

Mit Frage 7 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in Fällen, in denen ein patentiertes Arzneimittel durch eine ganze Reihe anderer Arzneimittel einer bestimmten Therapieklasse ersetzt werden kann und dem Patentinhaber als Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV zur Last gelegt wird, dass er generische Versionen seines Arzneimittels praktisch vom Markt ausschließt, diese bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes zu berücksichtigen sind, obwohl sie unter der (nicht gesicherten) Annahme, dass das Patent gültig war und durch sie verletzt worden wäre, bis zum Ablauf des Patents nicht rechtmäßig in den Markt hätten eintreten können.

124

Zunächst ist festzustellen, dass diese Frage zu der vor dem nationalen Gericht unter dem Gesichtspunkt einer beherrschenden Stellung von GSK erörterten Problematik der Abgrenzung des sachlich relevanten Markts gehört. GSK hat geltend gemacht, dass angesichts der zentralen Rolle, die der therapeutischen Substituierbarkeit zukomme, neben Paroxetin auch andere SSRI in den sachlich relevanten Markt einzubeziehen seien.

125

Wie jedoch aus der Antwort des vorlegenden Gerichts auf ein entsprechendes Auskunftsersuchen des Gerichtshofs hervorgeht, ist die Frage, ob neben Paroxetin auch andere SSRI in den sachlich relevanten Markt einzubeziehen sind, nicht Gegenstand von Frage 7. Denn, wie das vorlegende Gericht festgestellt hat, haben die anderen SSRI hinsichtlich der Festsetzung des Preises für Seroxat in Wirklichkeit kaum Druck auf GSK ausgeübt.

126

In Frage 7 geht es demnach nur um die Frage, ob Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass bei einem Originalpräparat, bei dem der Wirkstoff gemeinfrei ist, das Verfahren zur Herstellung des Wirkstoffs aber durch ein Verfahrenspatent geschützt ist, dessen Gültigkeit ungewiss ist, in Fällen, in denen der Hersteller des Originalpräparats dem Markteintritt entsprechender Generika unter Berufung auf sein Verfahrenspatent entgegentritt, bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Markts nicht nur das Originalpräparat, sondern auch entsprechende Generika zu berücksichtigen sind, obwohl diese bis zum Ablauf des Verfahrenspatents möglicherweise nicht rechtmäßig in den Markt eintreten konnten.

127

Insoweit ist festzustellen, dass die Abgrenzung des relevanten Marktes im Rahmen der Anwendung von Art. 102 AEUV grundsätzlich eine Voraussetzung für die Beurteilung des möglichen Bestehens einer beherrschenden Stellung des betreffenden Unternehmens ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 1973, Europemballage und Continental Can/Kommission, 6/72, EU:C:1973:22, Rn. 32). Durch die Abgrenzung des relevanten Markts soll ermittelt werden, für welchen Bereich zu beurteilen ist, ob das betreffende Unternehmen in der Lage ist, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und den Verbrauchern gegenüber in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 1983, Nederlandsche Banden‑Industrie-Michelin/Kommission, 322/81, EU:C:1983:313, Rn. 37).

128

Der relevante Markt ist als Erstes in sachlicher Hinsicht und als Zweites in räumlicher Hinsicht abzugrenzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 1978, United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, 27/76, EU:C:1978:22, Rn. 10 und 11).

129

Was den sachlich relevanten Markt betrifft, auf den es hier allein ankommt, ist festzustellen, dass der Begriff des relevanten Marktes nach der Rechtsprechung die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs zwischen den zu ihm gehörenden Erzeugnissen oder Dienstleistungen voraussetzt, so dass ein hinreichender Grad an Austauschbarkeit zwischen allen zum gleichen Markt gehörenden Erzeugnissen oder Dienstleistungen im Hinblick auf die gleiche Verwendung erforderlich ist. Die Austauschbarkeit oder Ersetzbarkeit beurteilt sich nicht allein mit Blick auf die objektiven Eigenschaften der fraglichen Erzeugnisse und Dienstleistungen. Es müssen auch die Wettbewerbsbedingungen sowie die Struktur der Nachfrage und des Angebots auf dem Markt in Betracht gezogen werden (Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

130

Wie die Generalanwältin in Nr. 222 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sind die Austausch- und die Ersetzbarkeit von Produkten naturgemäß insofern dynamisch, als die Definition der Produkte, bei denen davon ausgegangen wird, dass ein auf dem Markt vorhandenes Produkt mit ihnen ausgetauscht oder durch sie ersetzt werden kann, durch das Auftreten neuer Produkte Veränderungen unterliegen kann, so dass eine Neudefinition der Parameter des relevanten Marktes gerechtfertigt ist.

131

Daraus folgt für die Definition des sachlich relevanten Markts, zu dem im Hinblick auf eine mögliche Anwendung von Art. 102 AEUV ein Originalpräparat – hier Paroxetin, das unter dem Handelsnamen „Seroxat“ vertrieben wird und therapeutisch durch andere SSRI ersetzt werden kann – gehört, dass das Angebot von Generika mit demselben Wirkstoff – hier Paroxetin – dazu führen kann, dass die maßgeblichen Verkehrskreise zu der Auffassung gelangen, dass das Originalpräparat nur durch solche Generika ausgetauscht werden kann und somit zu einem spezifischen, allein Arzneimittel mit dem betreffenden Wirkstoff umfassenden Markt gehört.

132

Nach den oben in Rn. 129 dargestellten Grundsätzen setzt dies jedoch voraus, dass das Originalpräparat und die entsprechenden Generika hinreichend austauschbar sind.

133

Dies ist der Fall, wenn die betreffenden Generikahersteller in der Lage sind, kurzfristig so stark auf dem relevanten Markt aufzutreten, dass sie ein ernst zu nehmendes Gegengewicht zu dem bereits auf dem Markt vertretenen Originalpräparatehersteller bilden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 1973, Europemballage und Continental Can/Kommission, 6/72, EU:C:1973:22, Rn. 34).

134

Dies wiederum ist dann der Fall, wenn die Generikahersteller nach Ablauf des Patents für den betreffenden Wirkstoff oder dem Ende der Datenexklusivität in der Lage sind, sofort oder kurzfristig in den Markt einzutreten, insbesondere wenn sie vorher eine erfolgversprechende Strategie für den Eintritt in den Markt entwickelt haben und die für deren Umsetzung erforderlichen Schritte unternommen haben, z. B. eine Genehmigung für das Inverkehrbringen beantragt oder schon erlangt oder Bezugsverträge mit Dritthändlern abgeschlossen haben.

135

Wie die Generalanwältin in Nr. 239 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, können bei der Beurteilung der Frage, ob die Generikahersteller einen signifikanten Wettbewerbsdruck ausgeübt haben, auch Umstände berücksichtigt werden, die erkennen lassen, für wie unmittelbar bevorstehend der Hersteller des Originalpräparats den drohenden Markteintritt von Generikaherstellern gehalten hat.

136

Dass sich der Hersteller des Originalpräparats auf ein Recht des geistigen Eigentums am Verfahren zur Herstellung des betreffenden Wirkstoffs beruft, das dem Markteintritt entsprechender Generika möglicherweise entgegenstehen kann, kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen.

137

Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 41), gewährleisten die Richtlinie 2004/48 und Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte im Binnenmarkt für geistiges Eigentum einen hohen Schutz. Das Verfahrenspatent, auf das sich ein Hersteller von Originalpräparaten berufen kann, um das Inverkehrbringen einer generischen Version eines Arzneimittels mit einem gemeinfreien Wirkstoff zu verhindern, bietet dem Hersteller des betreffenden Originalpräparats aber keine Gewähr dafür, dass das entsprechende Generikum nicht rechtmäßig in Verkehr gebracht werden kann oder das Patent nicht angefochten wird, wie es dann im Ausgangsverfahren im Übrigen auch geschehen ist (siehe oben, Rn. 14).

138

Unter den oben in den Rn. 133 und 134 genannten Voraussetzungen sind bei einem Originalpräparat, bei dem der Wirkstoff gemeinfrei ist, das Verfahren zu dessen Herstellung jedoch durch ein Patent geschützt ist, dessen Gültigkeit ungewiss ist, bei der Abgrenzung des relevanten Marktes daher auch Generika zu berücksichtigen. Etwas anderes ließe sich nicht mit der oben in Rn. 129 dargestellten Rechtsprechung vereinbaren, nach der auch die Wettbewerbsbedingungen sowie die Struktur der Nachfrage und des Angebots auf dem Markt in Betracht zu ziehen sind.

139

Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Umstand, dass Arzneimittel unrechtmäßig hergestellt oder verkauft werden, grundsätzlich daran hindert, sie als substituierbar oder austauschbar anzusehen (Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 52). Diese Rechtsprechung betrifft nicht den Markteintritt von generischen Versionen eines Originalpräparats mit einem gemeinfreien Wirkstoff, die ein Verfahrenspatent verletzen sollen, sondern das Inverkehrbringen eines Arzneimittels, ohne dass die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83 erteilt hätte oder eine Genehmigung gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 erteilt worden wäre. Diese Richtlinie und diese Verordnung haben beide den Schutz der Gesundheit der Patienten und der öffentlichen Gesundheit zum Ziel (Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 81 und 82).

140

Nach alledem ist auf Frage 7 zu antworten, dass Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass bei einem Originalpräparat, bei dem der Wirkstoff gemeinfrei ist, das Verfahren zur Herstellung des Wirkstoffs aber durch ein Verfahrenspatent geschützt ist, dessen Gültigkeit ungewiss ist, in Fällen, in denen der Hersteller des Originalpräparats dem Markteintritt entsprechender Generika unter Berufung auf sein Verfahrenspatent entgegentritt, bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Markts nicht nur das Originalpräparat, sondern auch entsprechende Generika zu berücksichtigen sind, auch wenn diese bis zum Ablauf des Verfahrenspatents möglicherweise nicht rechtmäßig in den Markt eintreten können, sofern die betreffenden Generikahersteller in der Lage sind, kurzfristig so stark auf dem relevanten Markt aufzutreten, dass sie ein ernst zu nehmendes Gegengewicht zu dem bereits auf dem Markt vertretenen Originalpräparatehersteller bilden können, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

Zu den Fragen 8 bis 10

141

Mit Frage 8 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens und unter der Annahme, dass der Inhaber des betreffenden Verfahrenspatents – im vorliegenden Fall GSK – eine beherrschende Stellung innehat, der Abschluss eines Vergleichs wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstellt.

142

Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht jedoch hervor, dass gegen GSK aufgrund des Abschlusses der streitigen Vereinbarungen mit IVAX, GUK bzw. Alpharma nicht jeweils wegen eines Missbrauchs einer beherrschenden Stellung eine Geldbuße verhängt wurde, sondern wegen eines einheitlichen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung aufgrund ihrer Gesamtstrategie des Abschlusses dieser Vereinbarungen mit den Generikaherstellern.

143

Frage 8 ist daher allein unter diesem Gesichtspunkt, auf den das nationale Gericht in Frage 10 a hinweist, zu beantworten.

144

Ferner ist festzustellen, dass GSK, wie sich aus den Fragen 9 und 10 b in Verbindung mit der Antwort des vorlegenden Gerichts auf ein entsprechendes Auskunftsersuchen des Gerichtshofs ergibt, wegen des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung nicht nur aufgrund der mit GUK und Alpharma geschlossenen Vereinbarungen, die auch nach dem Kartellrecht des Vereinigten Königreichs und sogar der Union geahndet wurden, sondern auch aufgrund einer dritten, mit IVAX geschlossenen Vereinbarung mit einer Geldbuße belegt wurde. Diese wurde erstens nicht geschlossen, um ein laufendes Gerichtsverfahren zu beenden, sondern um ein solches Verfahren zu vermeiden, ist zweitens aufgrund einer speziellen innerstaatlichen Vorschrift vom Anwendungsbereich des Kartellrechts des Vereinigten Königreichs ausgenommen und hatte drittens günstige Auswirkungen, nämlich eine durch die Struktur des nationalen Systems der Vergütung der Apotheken durch die Gesundheitsbehörden bedingte Verringerung der Höhe der Vergütungen für das betreffende Arzneimittel, wodurch die Gesundheitsbehörden erhebliche Einsparungen erzielen konnten.

145

Folglich sind die Fragen 8 bis 10 zusammengenommen so zu verstehen, dass geprüft werden soll, ob Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass die Strategie eines Unternehmens in beherrschender Stellung, das Inhaber eines Patents für das Verfahren zur Herstellung eines gemeinfreien Wirkstoffs ist, nach der es entweder präventiv oder nach der Einleitung von Gerichtsverfahren, in denen das Patent angefochten wurde, eine Reihe von Vergleichen schließt, die zumindest bewirken, dass potenzielle Wettbewerber, die Generika mit dem betreffenden Wirkstoff herstellen, vorübergehend vom Markt ferngehalten werden, einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne dieser Vorschrift darstellt, und zwar auch dann, wenn einer der betreffenden Vergleiche vom Anwendungsbereich des nationalen Kartellrechts ausgenommen ist.

146

Nach ständiger Rechtsprechung kann dieselbe Praxis zu einer Zuwiderhandlung sowohl gegen Art. 101 AEUV als auch gegen Art. 102 AEUV führen, auch wenn mit diesen beiden Bestimmungen jeweils verschiedene Ziele verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 116, und vom 16. März 2000, Compagnie maritime belge transports u. a./Kommission, C‑395/96 P und C‑396/96 P, EU:C:2000:132, Rn. 33).

147

Danach kann die Vertragsstrategie eines Originalpräparateherstellers, der auf einem Markt eine beherrschende Stellung innehat, wegen der einzelnen Vereinbarungen nicht nur nach Art. 101 AEUV, sondern wegen des zusätzlichen Eingriffs in die Wettbewerbsstruktur eines Marktes, auf dem der Wettbewerb durch die beherrschende Stellung, die der Originalpräparatehersteller dort innehat, bereits geschwächt ist, auch nach Art. 102 AEUV geahndet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 120).

148

Insoweit ist zu beachten, dass es sich beim Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV um einen objektiven Begriff handelt, der auf die Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung abstellt, die auf einem Markt, auf dem der Grad an Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Grades an Wettbewerb oder die Entwicklung des Wettbewerbs durch den Einsatz von anderen Mitteln behindern als denjenigen eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Wirtschaftsteilnehmer (Urteile vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 91, und vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 17).

149

Das Vorliegen einer beherrschenden Stellung kann einem Unternehmen, das sich in dieser Stellung befindet, aber nicht das Recht nehmen, seine eigenen geschäftlichen Interessen zu wahren, wenn diese angegriffen werden, noch, in vernünftigem Maße, die Möglichkeit, so vorzugehen, wie es dies zum Schutz dieser Interessen für richtig hält (Urteil vom 14. Februar 1978, United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, 27/76, EU:C:1978:22, Rn. 189).

150

Insbesondere die Ausübung eines ausschließlichen Rechts aus einem Recht des geistigen Eigentums, wie der Abschluss von Vereinbarungen zur gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten über ein Patent zwischen dem Inhaber des Patents und Unternehmen, denen vorgeworfen wird, das Patent zu verletzen, gehört zu den Vorrechten des Inhabers eines Rechts des geistigen Eigentums, so dass die Ausübung eines solchen Rechts, selbst wenn sie von einem Unternehmen in beherrschender Stellung ausgeübt wird, für sich genommen keinen Missbrauch dieser Stellung darstellen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, Huawei Technologies, C‑170/13, EU:C:2015:477, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

151

Jedoch ist ein derartiges Verhalten nicht zulässig, wenn es gerade auf eine Verstärkung der beherrschenden Stellung und deren Missbrauch abzielt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 1978, United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, 27/76, EU:C:1978:22, Rn. 189), etwa dann, wenn es dazu dient, nachweislichen potenziellen Wettbewerbern den tatsächlichen Zugang zu einem Markt wie dem für ein Arzneimittel mit einem gemeinfreien Wirkstoff zu verwehren.

152

Somit rechtfertigt der bloße Wunsch eines marktbeherrschenden Herstellers von Originalpräparaten, seine eigenen geschäftlichen Interessen insbesondere durch die Verteidigung seiner Patente zu wahren und sich vor dem Wettbewerb durch Generika zu schützen, nicht den Rückgriff auf Praktiken, die mit Leistungswettbewerb nichts zu tun haben (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Huawei Technologies, C‑170/13, EU:C:2015:477, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

153

Das Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, trägt nämlich eine besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Binnenmarkt nicht beeinträchtigt (Urteil vom 6. September 2017, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung).

154

In diesem Zusammenhang ist weiter zu beachten, dass ein Verhalten nur dann als missbräuchlich eingestuft werden kann, wenn es geeignet war, den Wettbewerb zu beschränken und insbesondere die beanstandeten Verdrängungswirkungen zu erzeugen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Februar 2011, TeliaSonera Sverige, C‑52/09, EU:C:2011:83, Rn. 64 und 66, und vom 6. September 2017, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 138), was unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände dieses Verhaltens zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Februar 2011, TeliaSonera Sverige, C‑52/09, EU:C:2011:83, Rn. 68).

155

Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die auf Betreiben von GSK geschlossenen Vergleiche nach Auffassung der CMA und des vorlegenden Gerichts Teil einer Gesamtstrategie dieses Originalpräparateherstellers waren und wenn nicht bezweckt, so doch zumindest bewirkt haben, den Markteintritt von Generika mit dem nunmehr gemeinfreien Wirkstoff Paroxetin zu verzögern und damit einen Verfall der Preise für die von GSK hergestellten Originalpräparate zu verhindern, der unmittelbar zu einer erheblichen Verringerung der Marktanteile von GSK und einem ebenso erheblichen Sinken des Verkaufspreises des Originalpräparats von GSK geführt hätte.

156

Das vorlegende Gericht wird anhand der ihm vorliegenden Beweise zu prüfen haben, ob eine solche Vertragsstrategie tatsächlich vorlag. Grundsätzlich stellt eine solche Vertragsstrategie ein Verhalten dar, das zum Nachteil des Endverbrauchers, zumindest aber der nationalen Gesundheitssysteme verhindert, dass auf dem Markt für einen gemeinfreien Wirkstoff Wettbewerb entsteht.

157

Die wettbewerbswidrigen Auswirkungen einer solchen Vertragsstrategie dürften über die der einzelnen Vereinbarungen, die im Rahmen der Strategie abgeschlossen wurden, hinausgehen. Eine solche Vertragsstrategie hat auf dem Markt für das Originalpräparat nämlich eine erhebliche abschottende Wirkung. Denn den Verbrauchern werden die Vorteile des Markteintritts potenzieller Wettbewerber, die ihr eigenes Arzneimittel herstellen, vorenthalten. Und der Markt wird auf diese Weise unmittelbar oder mittelbar dem Hersteller des Originalpräparts vorbehalten.

158

Insoweit ist es im Rahmen von Frage 9 unerheblich, dass einer der in Rede stehenden Vergleiche, nämlich der Vergleich zwischen GSK und IVAX, nicht zur gütlichen Beilegung eines bei einem Gericht anhängigen Rechtsstreits, sondern zur Vermeidung der Einleitung eines Gerichtsverfahrens geschlossen wurde.

159

Ebenso wenig ändert der Umstand, dass einer der vom Originalpräparatehersteller geschlossenen Vergleiche, nämlich der Vergleich zwischen GSK und IVAX, nach nationalem Kartellrecht nicht geahndet werden konnte oder zu erheblichen Einsparungen für das nationale Gesundheitssystem hätte führen können, für sich genommen nichts daran, dass die oben beschriebene Vertragsstrategie existierte und missbräuchlich war.

160

Unabhängig davon, ob die Bestimmung des Rechts des Vereinigten Königreichs, nach der der Vergleich zwischen GSK und IVAX nicht geahndet werden konnte, mit dem Vorrang von Art. 101 AEUV vereinbar ist, bedeutet die bloße Tatsache, dass dieser Vergleich nicht geahndet wurde, nicht, dass er keine wettbewerbswidrigen Auswirkungen gehabt hätte.

161

Aus diesem Grund und weil es nicht Sache des beherrschenden Unternehmens ist, zu bestimmen, wie viele konkurrenzfähige Wettbewerber mit ihm konkurrieren dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 42), kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vereinbarung GSK/IVAX zusammen mit den Vereinbarungen GSK/Alpharma bzw. GSK/GUK zu kumulativen Wirkungen paralleler wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen geführt hat, die geeignet waren, die beherrschende Stellung von GSK zu verstärken, und dass die Strategie dieses Originalpräparateherstellers mithin missbräuchlich im Sinne von Art. 102 AEUV war, was zu beurteilen jedoch allein Sache des vorlegenden Gerichts ist.

162

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass für die Anwendung von Art. 102 AEUV zwar nicht der Nachweis einer wettbewerbswidrigen Absicht des Unternehmens in beherrschender Stellung erforderlich ist, der Nachweis einer solchen Absicht, auch wenn er für sich genommen nicht ausreicht, aber einen tatsächlichen Umstand darstellt, der bei der Feststellung des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung berücksichtigt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 20, 21 und 24).

163

Im vorliegenden Fall sind die CMA und das vorlegende Gericht der Auffassung, dass der Abschluss der fraglichen Vergleiche durch GSK Teil einer Gesamtstrategie gewesen sei, die darauf abgezielt habe, die Monopolstellung von GSK auf dem Paroxetinmarkt des Vereinigten Königreichs so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.

164

Unterstellt, diese Annahme träfe zu, wird das vorlegende Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten von GSK als Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV einzustufen ist, zu berücksichtigen haben, dass GSK eine wettbewerbswidrige Absicht hatte.

165

Zur Beantwortung von Frage 10 b und c ist jedoch darauf hinzuweisen, dass ein Unternehmen in beherrschender Stellung nach ständiger Rechtsprechung Handlungen, die möglicherweise unter das Verbot des Art. 102 AEUV fallen, rechtfertigen kann, insbesondere, indem es nachweist, dass die durch sein Verhalten hervorgerufene Verdrängungswirkung durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder sogar übertroffen werden kann, die auch dem Verbraucher zugutekommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 2012, Post Danmark, C‑209/10, EU:C:2012:172, Rn. 40 und 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

166

Das Unternehmen in beherrschender Stellung hat hierzu nachzuweisen, dass die durch das betreffende Verhalten möglicherweise eintretenden Effizienzvorteile wahrscheinlich negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Interessen der Verbraucher auf den betroffenen Märkten ausgleichen, dass diese Effizienzvorteile durch das genannte Verhalten erzielt worden sind oder erzielt werden können und dass dieses Verhalten für das Erreichen der Effizienzvorteile notwendig ist und einen wirksamen Wettbewerb nicht ausschaltet, indem es alle oder die meisten bestehenden Quellen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs zum Versiegen bringt (Urteil vom 27. März 2012, Post Danmark, C‑209/10, EU:C:2012:172, Rn. 42), wodurch ausgeschlossen wird, dass das Unternehmen lediglich vage, allgemeine und theoretische Argumente zu diesem Punkt vorbringt oder sich ausschließlich auf seine eigenen geschäftlichen Interessen stützt.

167

Daraus folgt, dass die Beurteilung der Rechtfertigung eines Verhaltens, das unter das Verbot des Art. 102 AEUV fallen könnte, insbesondere eine Abwägung der für den Wettbewerb vorteilhaften und nachteiligen Auswirkungen der beanstandeten Praxis voraussetzt (Urteil vom 6. September 2017, Intel/Kommission, C‑413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 140), die wiederum eine objektive Analyse der Auswirkungen des Verhaltens auf den Markt erfordert.

168

Für die Berücksichtigung der durch das betreffende Verhalten erzielten Effizienzgewinne ist nicht maßgeblich, welche Ziele mit dem Verhalten verfolgt wurden, und damit auch nicht, ob die Effizienzgewinne bewusst erzielt wurden oder ob sie sich vielmehr rein zufällig ergaben oder nicht beabsichtigt waren.

169

Dies wird bestätigt durch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der es sich bei dem Begriff des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung um einen objektiven Begriff handelt (vgl. Urteile vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, EU:C:1979:36, Rn. 91, und vom 16. Juli 2015, Huawei Technologies, C‑170/13, EU:C:2015:477), so dass auch Rechtfertigungen eines solchen Verhaltens objektiv zu beurteilen sind.

170

Die für das nationale Gesundheitssystem günstigen finanziellen Auswirkungen der Vereinbarung GSK/IVAX, die in Frage 10 b angesprochen werden, können also nicht allein deshalb von der Abwägung der günstigen und ungünstigen Auswirkungen des betreffenden Verhaltens auf den Wettbewerb ausgeschlossen werden, weil sie möglicherweise nicht beabsichtigt waren. Sie sind daher bei der Beurteilung der Frage, ob sie tatsächlich Effizienzgewinne darstellen, die durch das betreffende Verhalten erzielt werden können, und, falls ja, ob sie nachteilige Auswirkungen, die das Verhalten auf den Wettbewerb und die Verbraucherinteressen auf dem betroffenen Markt haben kann, neutralisieren, zu berücksichtigen.

171

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass bei dieser Abwägung die Merkmale des betreffenden Verhaltens und, insbesondere im Fall eines einseitigen Verhaltens wie desjenigen, um das es im Ausgangsverfahren geht, der vom vorlegenden Gericht in Frage 10 b angesprochene Umstand zu berücksichtigen sind, nämlich, dass die erwiesenen günstigen Auswirkungen, die sich aus dem Vergleich GSK/IVAX ergeben, deutlich geringer sind als diejenigen, die sich im Fall eines Obsiegens von IVAX im Patentrechtsstreit wahrscheinlich aus dem unabhängigen Markteintritt von generischem Seroxat ergeben hätten.

172

Nach alledem ist auf die Fragen 8 bis 10 zusammen genommen zu antworten, dass Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass die Strategie eines Unternehmens in beherrschender Stellung, das Inhaber eines Patents für das Verfahren zur Herstellung eines gemeinfreien Wirkstoffs ist, nach der es entweder präventiv oder nach der Einleitung von Gerichtsverfahren, in denen das Patent angefochten wurde, eine Reihe von Vergleichen schließt, die zumindest bewirken, dass potenzielle Wettbewerber, die Generika mit dem betreffenden Wirkstoff herstellen, vorübergehend vom Markt ferngehalten werden, einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne dieser Vorschrift darstellt, wenn sie geeignet ist, den Wettbewerb einzuschränken, insbesondere Verdrängungswirkungen zu erzeugen, die über die wettbewerbswidrigen Auswirkungen der einzelnen in ihrem Rahmen abgeschlossenen Vereinbarungen hinausgehen, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

Kosten

173

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Hersteller des Originalpräparats, der Inhaber eines Patents für das Verfahren zur Herstellung des gemeinfreien Wirkstoffs ist, und Generikahersteller, die sich auf den Eintritt in den Markt für Arzneimittel mit diesem Wirkstoff vorbereiten, in Fällen, in denen zwischen ihnen Streit über die Gültigkeit des Patents oder dessen Verletzung durch die betreffenden Generika besteht, potenzielle Wettbewerber sind, wenn der Generikahersteller nachweislich fest entschlossen und aus eigener Kraft in der Lage ist, in den Markt einzutreten, und dem nicht unüberwindliche Marktzutrittsschranken entgegenstehen, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

 

2.

Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine von dem Hersteller des Originalpräparats und einem Generikahersteller als potenzielle Wettbewerber geschlossene Vereinbarung über die gütliche Beilegung eines anhängigen Rechtsstreits über die Gültigkeit eines Patents des Herstellers des Originalpräparats für das Verfahren zur Herstellung des gemeinfreien Wirkstoffs des Originalpräparats und über die Patentverletzung durch ein Generikum dieses Präparats, in der sich der Generikahersteller gegen Wertübertragungen seitens des Herstellers des Originalpräparats dazu verpflichtet, während der Laufzeit der Vereinbarung nicht in den Markt für Arzneimittel mit dem betreffenden Wirkstoff einzutreten und seine Klage auf Nichtigerklärung des Patents nicht weiter zu verfolgen, eine Vereinbarung darstellt, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt,

wenn sich aus allen verfügbaren Beweisen ergibt, dass sich der positive Saldo der vom Hersteller des Originalpräparats auf den Generikahersteller übertragenen Werte allein mit dem geschäftlichen Interesse der Parteien der Vereinbarung an der Vermeidung von Leistungswettbewerb erklären lässt,

es sei denn, die Vereinbarung hat nachweislich wettbewerbsfördernde Auswirkungen, die begründete Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt.

 

3.

Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass bei Vergleichen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Nachweis potenziell oder tatsächlich spürbarer Auswirkungen auf den Wettbewerb und damit die Einstufung als bewirkte Beschränkung nicht voraussetzt, dass festgestellt wird, dass es ohne den Vergleich wahrscheinlich gewesen wäre, dass der an dem Vergleich beteiligte Generikahersteller in dem Rechtsstreit über das Verfahrenspatent obsiegt oder mit dem Patentinhaber einen den Wettbewerb weniger einschränkenden Vergleich geschlossen hätte.

 

4.

Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass bei einem Originalpräparat, bei dem der Wirkstoff gemeinfrei ist, das Verfahren zur Herstellung des Wirkstoffs aber durch ein Verfahrenspatent geschützt ist, dessen Gültigkeit ungewiss ist, in Fällen, in denen der Hersteller des Originalpräparats dem Markteintritt entsprechender Generika unter Berufung auf sein Verfahrenspatent entgegentritt, bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Markts nicht nur das Originalpräparat, sondern auch entsprechende Generika zu berücksichtigen sind, auch wenn diese bis zum Ablauf des Verfahrenspatents möglicherweise nicht rechtmäßig in den Markt eintreten können, sofern die betreffenden Generikahersteller in der Lage sind, kurzfristig so stark auf dem relevanten Markt aufzutreten, dass sie ein ernst zu nehmendes Gegengewicht zu dem bereits auf dem Markt vertretenen Originalpräparatehersteller bilden können, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

 

5.

Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Strategie eines Unternehmens in beherrschender Stellung, das Inhaber eines Patents für das Verfahren zur Herstellung eines gemeinfreien Wirkstoffs ist, nach der es entweder präventiv oder nach der Einleitung von Gerichtsverfahren, in denen das Patent angefochten wurde, eine Reihe von Vergleichen schließt, die zumindest bewirken, dass potenzielle Wettbewerber, die Generika mit dem betreffenden Wirkstoff herstellen, vorübergehend vom Markt ferngehalten werden, einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne dieser Vorschrift darstellt, wenn sie geeignet ist, den Wettbewerb einzuschränken, insbesondere Verdrängungswirkungen zu erzeugen, die über die wettbewerbswidrigen Auswirkungen der einzelnen in ihrem Rahmen abgeschlossenen Vereinbarungen hinausgehen, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.