SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 21. Mai 2019 ( 1 )

Rechtssache C‑94/18

Nalini Chenchooliah

gegen

Minister for Justice and Equality

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court [Oberster Gerichtshof, Irland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Richtlinie 2004/38/EG – Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats frei zu bewegen und aufzuhalten – Berechtigte – Drittstaatsangehöriger Ehegatte eines Unionsbürgers, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat und sodann in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückgekehrt ist und dort eine Freiheitsstrafe verbüßt – Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38 auf die Abschiebung dieses Drittstaatsangehörigen – Anwendungsbereich von Art. 15 und Kapitel VI“

Inhaltsverzeichnis

 

I. Einleitung

 

II. Rechtlicher Rahmen

 

A. Unionsrecht

 

B. Irisches Recht

 

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

 

IV. Würdigung

 

A. Abgrenzung der durch die Vorlagefragen aufgeworfenen Problematik

 

B. Prüfung der Vorlagefragen

 

1. Zur Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38 auf die Situation von Frau Chenchooliah und ihres Ehegatten mit Unionsbürgerschaft

 

a) Vorbemerkungen

 

b) Ist der Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 statisch oder dynamisch?

 

1) Urteil Metock u. a.

 

2) Urteil Lounes

 

3) Der sich wandelnde Charakter des Begriffs „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38: Erkenntnisse aus den Urteilen Metock u. a. und Lounes

 

c) Der „Lebenszyklus“ der Ausübung des Freizügigkeitsrechts eines Unionsbürgers und seiner Familienangehörigen im Rahmen der Richtlinie 2004/38

 

1) Die differenzielle Anwendung der Richtlinie 2004/38

 

2) Der wesentliche Unterschied zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache, in der das Urteil Lounes ergangen ist

 

3) Die Ausweisung eines drittstaatsangehörigen Ehepartners eines Unionsbürgers fällt weiterhin unter die Richtlinie 2004/38, wenn dieser Unionsbürger sein Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rückkehr in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht mehr ausübt

 

2. Zu den Beschränkungen und Verfahrensgarantien, die auf die Ausweisung der Unionsbürger und ihrer drittstaatsangehörigen Familienangehörigen aufgrund des Ablaufs ihres Aufenthaltsrechts anwendbar sind

 

a) Anwendungsbereich von Kapitel VI der Richtlinie 2004/38

 

b) Auslegung von Art. 15 der Richtlinie 2004/38

 

V. Ergebnis

I. Einleitung

1.

Fällt eine drittstaatsangehörige Ehefrau eines Bürgers der Europäischen Union, der sein Freizügigkeitsrecht in einem Mitgliedstaat aufgrund seiner Rückkehr in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht mehr ausübt, für die Zwecke ihrer Abschiebung aus dem Aufnahmemitgliedstaat unter die Richtlinie 2004/38/EG ( 2 )? Welche Bestimmungen dieser Richtlinie sind gegebenenfalls auf ihre Abschiebung anwendbar? Ist diese Staatsangehörige von den Bestimmungen von Kapitel VI oder Art. 15 dieser Richtlinie betreffend die Verfahrensgarantien erfasst, die auf Abschiebungsentscheidungen anwendbar sind, die nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen werden?

2.

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssache und werden den Gerichtshof veranlassen, zum ersten Mal Art. 15 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38 betreffend die Verfahrensgarantien auszulegen.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

3.

Art. 3 („Berechtigte“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt in Abs. 1:

„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.“

4.

Art. 6 („Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten“) der Richtlinie lautet:

„(1)   Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.

(2)   Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.“

5.

In Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) Abs. 1, 2 und 4 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)   Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach Artikel 6 zu, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

(2)   Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.

(4)   Abweichend von den Absätzen 1 und 2 und unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels VI darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn

a)

die Unionsbürger Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder

b)

die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.“

6.

Art. 15 („Verfahrensgarantien“) Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38 sieht Folgendes vor:

„(1)   Die Verfahren der Artikel 30 und 31 finden sinngemäß auf jede Entscheidung Anwendung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wird.

(3)   Eine Entscheidung gemäß Absatz 1, mit der die Ausweisung verfügt wird, darf nicht mit einem Einreiseverbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen.“

7.

Art. 27 („Allgemeine Grundsätze“) der Richtlinie 2004/38 lautet:

„(1)   Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2)   Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.

Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

…“

8.

Art. 30 („Mitteilung der Entscheidungen“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„(1)   Entscheidungen nach Artikel 27 Absatz 1 müssen dem Betroffenen schriftlich in einer Weise mitgeteilt werden, dass er deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann.

(2)   Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit des Staates dieser Mitteilung entgegenstehen.

(3)   In der Mitteilung ist anzugeben, bei welchem Gericht oder bei welcher Verwaltungsbehörde der Betroffene einen Rechtsbehelf einlegen kann, innerhalb welcher Frist der Rechtsbehelf einzulegen ist und gegebenenfalls binnen welcher Frist er das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zu verlassen hat. Außer in ordnungsgemäß begründeten dringenden Fällen muss die Frist zum Verlassen des Hoheitsgebiets mindestens einen Monat, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Mitteilung, betragen.“

9.

Art. 31 („Verfahrensgarantien“) Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie sieht Folgendes vor:

„(1)   Gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit müssen die Betroffenen einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können.

(3)   Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 nicht unverhältnismäßig ist.“

B. Irisches Recht

10.

Derzeit ist die irische Regelung zur Umsetzung der Richtlinie 2004/38 in den European Communities (Free Movement of Persons) Regulations 2015 (Verordnung von 2015 über die Freizügigkeit in den Europäischen Gemeinschaften) (im Folgenden: Verordnung von 2015) enthalten.

11.

Die Verordnung von 2015 ersetzte die European Communities (Free Movement of Persons) (no 2) Regulations 2006 (Verordnung Nr. 2 von 2006 über die Freizügigkeit in den Europäischen Gemeinschaften, im Folgenden: Verordnung von 2006) und trat am 1. Februar 2016 in Kraft.

12.

Art. 3 des Immigration Act 1999 (Einwanderungsgesetz 1999) regelt die Befugnis des Minister for Justice and Equality (Minister für Justiz und Gleichberechtigung, Irland) (im Folgenden: Minister) zum Erlass sogenannter „Ausweisungsverfügungen“ (deportation orders).

13.

Nach Art. 3 Abs. 1 des Einwanderungsgesetzes 1999 kann der Minister eine Ausweisungsverfügung erlassen, „um jedem Ausländer, der von der Verfügung betroffen ist, aufzugeben, innerhalb der in dieser genannten Frist das Hoheitsgebiet zu verlassen und in Zukunft außerhalb des Hoheitsgebiets zu bleiben“.

14.

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. h und i dieses Gesetzes kann eine Ausweisungsverfügung gegen Personen erlassen werden, die „nach Auffassung des Ministers gegen eine Beschränkung oder ihnen auferlegte Bedingung hinsichtlich der Landung oder der Ankunft im Hoheitsgebiet oder der Genehmigung zum Aufenthalt im Hoheitsgebiet verstoßen haben“ oder „deren Ausweisung nach Auffassung des Ministers dem Gemeinwohl förderlich wäre“.

15.

Nach Art. 3 Abs. 3 Buchst. a dieses Gesetzes übermittelt der Minister, wenn er einen Entwurf einer Ausweisungsverfügung erlässt, dem Betroffenen diesen schriftlich mit einer Begründung.

16.

Art. 3 Abs. 4 des Einwanderungsgesetzes 1999 sieht vor, dass die Unterrichtung über diesen Entwurf u. a. folgende Hinweise enthalten muss:

den Hinweis, dass die Person binnen 15 Werktagen Stellung nehmen kann;

den Hinweis, dass die Person das Recht hat, das Hoheitsgebiet freiwillig zu verlassen, bevor der Minister über die Akte entscheidet, und den Hinweis, dass die Person den Minister über die zum Verlassen des Hoheitsgebiets getroffenen Vorkehrungen zu unterrichten hat;

den Hinweis, dass die Person binnen 15 Werktagen dem Erlass einer Ausweisungsverfügung zustimmen kann, woraufhin der Minister die Abschiebung der Person aus dem Hoheitsgebiet so bald wie möglich durchzuführen hat.

17.

Nach Art. 3 Abs. 3 Buchst. b Ziff. i dieses Gesetzes hat der Minister, wenn eine Person Stellung genommen hat, diese vor seiner Entscheidung zu berücksichtigen.

18.

Gemäß Art. 3 Abs. 6 dieses Gesetzes hat der Minister für die Beurteilung, ob eine Ausweisungsverfügung zu erlassen ist, eine Reihe von Umständen zu berücksichtigen, wie die Dauer des Aufenthalts der Person im Inland und ihre Beziehungen zu diesem Hoheitsgebiet, ihren beruflichen Werdegang und ihre Beschäftigungsaussichten (einschließlich hinsichtlich der Tätigkeit als Selbständiger), ihre Zuverlässigkeit und ihr Verhalten sowohl im Inland als auch, soweit sie relevant sind und festgestellt werden können, im Ausland, humanitäre Erwägungen, das Gemeinwohl sowie Erwägungen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung.

19.

Beim Erlass einer Ausweisungsverfügung hat der Minister auch jede Gefahr der Zurückweisung sowie die Rechte, wie die Persönlichkeitsrechte, die sich aus der irischen Verfassung und/oder der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) ergeben können, zu berücksichtigen.

20.

Sobald eine Ausweisungsverfügung erlassen wurde, bleibt sie auf unbestimmte Zeit in Kraft. Allerdings kann der Betroffene die Änderung oder den Widerruf einer solchen Verfügung nach Art. 3.11 des Einwanderungsgesetzes 1999 beantragen. Prüft der Minister einen Antrag auf Widerruf der Ausweisungsverfügung, hat er festzustellen, ob der Antragsteller eine seit dem Erlass dieser Verfügung eingetretene Änderung der Umstände angeführt hat, die ihren Widerruf rechtfertigen. Solche Umstände können u. a. vorliegen, wenn die Person Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der in Irland sein ihm vom Unionsrecht verliehenes Recht auf Freizügigkeit ausübt.

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

21.

Frau Nalini Chenchooliah, eine mauritische Staatsangehörige, kam ungefähr im Februar 2005 mit einem Studentenvisum nach Irland und wohnte dort aufgrund aufeinanderfolgender Aufenthaltsgenehmigungen bis zum 7. Februar 2012. Am 13. September 2011 heiratete sie einen portugiesischen Staatsangehörigen. Am 2. Februar 2012 beantragte sie eine Aufenthaltskarte als Ehegattin eines Unionsbürgers. Auf diesen Antrag hin verlangte der Minister von Frau Chenchooliah mehrmals weitere Informationen, die diese zum Teil mit Schreiben vom 25. Mai 2012 übermittelte. Mit Schreiben vom 27. August 2012 beantragte Frau Chenchooliah eine zusätzliche Frist für die Vorlage eines Arbeitsvertrags und brachte vor, ihr Ehegatte habe eine Arbeit aufgenommen.

22.

Mit Entscheidung vom 11. September 2012 lehnte der Minister den Antrag von Frau Chenchooliah auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte mit folgender Begründung ab:

„Sie haben nicht nachgewiesen, dass der Unionsbürger in Irland eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, so dass der Minister nicht überzeugt ist, dass dieser [seine] Rechte über eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit ausübt, einem Studium nachgeht, unfreiwillig arbeitslos ist oder über ausreichende Existenzmittel nach den Erfordernissen von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung [von 2006] verfügt. Folglich haben Sie kein Aufenthaltsrecht [in Irland] nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung [von 2006].“

23.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2012 legte Frau Chenchooliah einen Nachweis dafür vor, dass ihr Ehegatte zwei Wochen lang in einem Restaurant gearbeitet hatte, und beantragte eine Verlängerung der Frist für die Einreichung eines Antrags auf Überprüfung der Entscheidung vom 11. September 2012. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2012 gewährte der Minister die Verlängerung dieser Frist. Im Rahmen der Überprüfung verlangte der Minister zusätzliche Informationen und wies darauf hin, dass, falls diese nicht innerhalb einer Frist von zehn Werktagen übermittelt würden, die Akte der für Abschiebungen zuständigen Stelle übermittelt würde. Da Frau Chenchooliah fast zwei Jahre lang keine neuen Informationen mitteilte, wurde die Entscheidung vom 11. September 2012 endgültig.

24.

Mit unmittelbar an den Minister gerichtetem Schreiben vom 17. Juli 2014 teilte Frau Chenchooliah mit, dass sich ihr Ehegatte nach einer strafrechtlichen Verurteilung seit dem 16. Juni 2014 in Portugal in Haft befinde, und beantragte unter Berufung auf ihre persönliche Lage die Erlaubnis, in Irland zu bleiben. Der persönliche Sekretär des Ministers erhielt diesen Brief und bestätigte seinen Empfang am 18. Juli 2014. Offenbar ging dieses Schreiben jedoch erst am 15. September 2014 bei der zuständigen Abteilung des Ministeriums ein.

25.

Zwischenzeitlich unterrichtete der Minister Frau Chenchooliah mit Schreiben vom 3. September 2014 darüber, dass ihr gegenüber eine Abschiebungsverfügung erwogen werde, weil ihr Ehegatte, ein Unionsbürger, sich für mehr als drei Monate in Irland aufgehalten habe, ohne die Erfordernisse von Art. 6 Abs. 2 der Verordnung von 2006, einer Bestimmung zur Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 in das irische Recht, einzuhalten, so dass sie nicht mehr das Recht habe, in Irland zu bleiben.

26.

Mit Schreiben vom 26. November 2015 beantragten die Frau Chenchooliah vertretenden Anwälte beim Minister, dass dieser aufgrund seines nach irischem Recht bestehenden Ermessens Frau Chenchooliah eine Aufenthaltsgenehmigung erteile, und machten u. a. ihren langen Aufenthalt in Irland, ihren beruflichen Werdegang und ihre Beschäftigungsaussichten geltend.

27.

Mit Schreiben vom 15. November 2016 teilte der Minister Frau Chenchooliah seine Entscheidung mit, keine Abschiebung zu verfügen, sondern ein Ausweisungsverfahren nach Art. 3 des Einwanderungsgesetzes 1999 einzuleiten. Diesem Schreiben war ein Entwurf einer Ausweisungsverfügung beigefügt, zu dem Frau Chenchooliah aufgefordert wurde, Stellung zu nehmen. Dieser Entwurf stützte sich auf die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts von Frau Chenchooliah in Irland seit dem 7. Februar 2012 ( 3 ) und die Ansicht des Ministers, dass ihre Ausweisung das Gemeinwohl fördern könne. Diesem Schreiben war eine vorangegangene Entscheidung vom 21. Oktober 2016 beigefügt, mit der bestätigt wurde, dass beschlossen worden sei, gegenüber Frau Chenchooliah keine Abschiebungsverfügung und kein Einreiseverbot nach der Verordnung von 2006 und den Übergangsbestimmungen der Verordnung von 2015 zu erlassen.

28.

Am 12. Dezember 2016 gestattete das vorlegende Gericht Frau Chenchooliah, einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung der Entscheidung vom 21. Oktober 2016 sowie einen Antrag auf den Erlass einer Anordnung zu stellen, mit der dem Minister untersagt werde, eine Ausweisungsverfügung zu erlassen. Dieses Gericht hat außerdem vorläufige Maßnahmen erlassen, um die Fortsetzung des Ausweisungsverfahrens von Frau Chenchooliah vor einer Entscheidung über ihren Rechtsbehelf zu verhindern.

29.

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Gründe, aus denen es ihr gestattet wurde, beim vorlegenden Gericht einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung zu stellen, darin liegen, dass Frau Chenchooliah als Ehegattin eines Unionsbürgers, deren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte für eine Familienangehörige eines Unionsbürgers vom Minister behandelt wurde, eine Person ist, auf die die Richtlinie 2004/38 und die Verordnung von 2006 in der durch die Verordnung von 2015 geänderten Fassung anwendbar waren und weiterhin anwendbar sind.

30.

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die Frage, ob ein drittstaatsangehöriger Ehegatte eines Unionsbürgers weiterhin als „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie falle, vom Gerichtshof bisher noch nicht behandelt worden sei und dass folglich in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der dieser Unionsbürger in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitze, zurückgekehrt sei, um dort eine Freiheitsstrafe zu verbüßen, und daher im Aufnahmemitgliedstaat sein vom Unionsrecht gewährtes Freizügigkeitsrecht nicht mehr ausübe, die Beendigung des Aufenthalts eines solchen Drittstaatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat, in dem dieser wohne, insbesondere von den Art. 27, 28 und 31 der Richtlinie 2004/38 geregelt werde.

31.

Das vorlegende Gericht bezieht sich insoweit auf sein Urteil vom 29. April 2014, Igunma v. Governor of Wheatfield Prison and others ([2014] IEHC 218), in dem es festgestellt habe, dass diese Frage im Wesentlichen deshalb zu bejahen sei, weil in einer Situation, in der ein Drittstaatsangehöriger rechtmäßig einen Unionsbürger zu einem Zeitpunkt heirate, zu dem dieser im Aufnahmemitgliedstaat sein auf dem Unionsrecht beruhendes Recht auf Freizügigkeit und/oder Aufenthalt ausübe, der betreffende Drittstaatsangehörige weiterhin als „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie falle, selbst wenn ihm später ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 dieser Richtlinie mit der Begründung verweigert worden sei, dass der Unionsbürger sein Freizügigkeitsrecht nicht oder nicht mehr ausübe. Da in einer solchen Situation die Richtlinie weiterhin anwendbar sei, könne dieser Drittstaatsangehörige nur nach den Bestimmungen von Kapitel VI dieser Richtlinie ausgewiesen werden. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die etwaigen Erkenntnisse, die aus diesem Urteil gezogen und auf die vorliegende Rechtssache angewandt werden könnten, vor ihm erörtert worden seien.

32.

Der Minister rügte die Begründetheit dieses Urteils und machte insbesondere geltend, dass dieses einen wesentlichen Umstand der Rechtssache verkenne, nämlich dass ein Familienangehöriger eines Unionsbürgers nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/38 falle, wenn dieser Bürger sein Freizügigkeitsrecht nicht tatsächlich ausübe. In einem solchen Fall werde eine Verfügung zur Beendigung des Aufenthalts dieses Familienangehörigen nicht von den Bestimmungen von Kapitel VI dieser Richtlinie, sondern vom nationalen Ausländerrecht geregelt. Außerdem erfordere eine gegenteilige Auslegung den Nachweis einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit, was die Ausweisung von drittstaatsangehörigen Ehegatten von Unionsbürgern, die nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht aufgrund der Tätigkeiten ihrer Ehegatten im Aufnahmemitgliedstaat verfügt hätten, unabhängig von der aktuellen Tätigkeit oder dem Ort, an dem diese Unionsbürger sich nunmehr aufhielten, was sogar außerhalb der Union sein könne, sehr schwierig oder praktisch unmöglich mache.

33.

Hingegen brachte Frau Chenchooliah vor, das in Rede stehende Urteil bestätige ihren Standpunkt, wonach sie als Person, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgrund ihrer Eheschließung über ein zumindest vorübergehendes dreimonatiges Aufenthaltsrecht nach Art. 6 der Richtlinie 2004/38 verfügt habe, später weiterhin in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie falle und daher aus dem Aufnahmemitgliedstaat nur im Einklang mit den Vorschriften und Garantien dieser Richtlinie ausgewiesen werden könne.

34.

Unter diesen Umständen hat der High Court (Oberster Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 16. Januar 2018, die am 12. Februar 2018 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:

1.

Wenn dem Ehegatten eines Unionsbürgers, der Freizügigkeitsrechte nach Art. 6 der Richtlinie 2004/38 ausgeübt hat, ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 der Richtlinie verweigert wird, weil der fragliche Unionsbürger im betreffenden Aufnahmemitgliedstaat keine Rechte aus dem EU-Vertrag ausübt oder sie nicht mehr ausübt, und vorgeschlagen wird, den Ehegatten aus dem Mitgliedstaat abzuschieben, muss dann die Abschiebung mit den Vorschriften der Richtlinie im Einklang stehen oder fällt sie in die Zuständigkeit des nationalen Rechts des Mitgliedstaats?

2.

Sollte die Antwort auf die vorstehende Frage lauten, dass die Abschiebung mit den Vorschriften der Richtlinie 2004/38 im Einklang stehen muss, muss dann die Abschiebung mit den Anforderungen von Kapitel VI der Richtlinie und insbesondere der Art. 27 und 28 der Richtlinie im Einklang stehen oder darf sich der Mitgliedstaat unter solchen Umständen auf andere Vorschriften – insbesondere die Art. 14 und 15 der Richtlinie – stützen?

35.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die dänische, die niederländische und die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

36.

In der Sitzung vom 15. Januar 2019 wurde im Namen der Klägerin des Ausgangsverfahrens, der dänischen Regierung und der niederländischen Regierung sowie der Kommission mündlich verhandelt.

IV. Würdigung

A. Abgrenzung der durch die Vorlagefragen aufgeworfenen Problematik

37.

Vor der Prüfung der Vorlagefragen unter dem Blickwinkel des Unionsrechts ist die von der vorliegenden Rechtssache aufgeworfene Problematik abzugrenzen.

38.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation Frau Chenchooliah, einer mauritischen Staatsangehörigen, von den zuständigen Behörden erlaubt wurde, sich in ihrer Eigenschaft als Studentin im Zeitraum von 2005 bis 2012 in Irland aufzuhalten. Nachdem sie sich in diesem Zeitraum von fast sieben Jahren rechtmäßig in Irland aufgehalten hatte, heiratete Frau Chenchooliah einen portugiesischen Staatsangehörigen und beantragte eine Aufenthaltskarte als Ehegattin eines Unionsbürgers.

39.

Insoweit lässt sich den Angaben in der Vorlageentscheidung entnehmen, dass der Ehegatte von Frau Chenchooliah, ein Unionsbürger, sein Freizügigkeitsrecht ausübte, indem er sich in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit er besaß, begab und sich dort aufhielt, als er Portugal verließ, um nach Irland zu reisen, wo er zumindest 15 Tage lang arbeitete. Er kehrte jedoch nach Portugal zurück, wo er seit dem 16. Juni 2014 eine Freiheitsstrafe verbüßt, während Frau Chenchooliah in Irland blieb.

40.

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass, wie das vorlegende Gericht darlegt, Frau Chenchooliah aufgrund ihrer Ehe mit diesem Unionsbürger in dem Zeitraum, in dem dieser seine Freizügigkeit in Irland ausübte, zumindest in diesem Zeitraum die Eigenschaft einer „Berechtigten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 hatte. Ihr Antrag auf ein vom Aufenthaltsrecht ihres Ehegatten mit Unionsbürgerschaft abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 wurde jedoch mit der bestandskräftig gewordenen Entscheidung des Ministers vom 11. September 2012 mit der Begründung abgelehnt, dass Frau Chenchooliah in Irland nicht über das Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung von 2006, der Bestimmung zur Umsetzung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 in irisches Recht, verfüge ( 4 ).

41.

Wie sich aus ihren schriftlichen Erklärungen ergibt und wie in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, ficht Frau Chenchooliah schließlich diese Entscheidung des Ministers nicht an und beansprucht daher kein vom Aufenthaltsrecht ihres Ehegatten mit Unionsbürgerschaft abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38. Sie macht hingegen geltend, dass, da sie sich in Irland nach den Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 aufgehalten habe, gegen sie nur eine Abschiebungsverfügung im Einklang mit den anwendbaren Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie und insbesondere deren Art. 27 und 28, und keine Ausweisungsverfügung nach Art. 3 des Einwanderungsgesetzes 1999, die von Amts wegen mit einem unbefristeten Einreiseverbot nach Irland einhergehe, erlassen werden könne.

B. Prüfung der Vorlagefragen

42.

Mit seinen zwei Vorlagefragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2004/38 und insbesondere die Bestimmungen von Kapitel VI oder ihr Art. 15 dahin auszulegen sind, dass sie auf eine Verfügung zur Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen anwendbar sind, die mit der Begründung erlassen wird, dass dieser über kein Aufenthaltsrecht nach dieser Richtlinie mehr verfüge, in einer Situation, in der dieser Drittstaatsangehörige einen Unionsbürger zu einem Zeitpunkt heiratete, zu dem dieser Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machte, indem er sich gemäß Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begab und sich dort aufhielt, und der in der Folge in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückkehrte.

43.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Standpunkte der Klägerin, der Kommission, des Ministers und der an der vorliegenden Rechtssache beteiligten Regierungen in diesem Punkt voneinander abweichen. Während Frau Chenchooliah und die Kommission vorbringen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation, nämlich die Abschiebung eines Familienangehörigen eines Unionsbürgers durch einen Mitgliedstaat, weil dieser Unionsbürger dort seine Freizügigkeitsrechte nicht mehr ausübe, unter die Richtlinie 2004/38 falle ( 5 ), sind der Minister, unterstützt durch Irland, sowie die dänische, die niederländische und die österreichische Regierung gegenteiliger Ansicht. Das vorlegende Gericht bezieht sich, wie sich aus Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, auf das Urteil des High Court (Oberster Gerichtshof) vom 29. April 2014, Igunma v. Governor of Wheatfield Prison and others ([2014] IEHC 218), in dem es feststellte, dass die Richtlinie 2004/38 auf eine Situation, die mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vergleichbar war, anwendbar sei ( 6 ).

44.

Folglich ist es meines Erachtens für die Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts erforderlich, zunächst zu bestimmen, ob und inwieweit die Richtlinie 2004/38 im vorliegenden Fall anwendbar ist. Im Hinblick auf dieses Ziel werde ich die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs prüfen, die meiner Ansicht nach gewisse Hinweise liefert, um das vorlegende Gericht sachdienlich zu informieren.

1.   Zur Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38 auf die Situation von Frau Chenchooliah und ihres Ehegatten mit Unionsbürgerschaft

a)   Vorbemerkungen

45.

Kurz nach der Einführung der Unionsbürgerschaft und drei Jahre nach dem Erlass des Urteils Grzelczyk ( 7 ), in dem der Gerichtshof zum ersten Mal darauf hingewiesen hat, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein ( 8 ), wurde die Richtlinie 2004/38 erlassen, um der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, die Regelung der seit Anfang der 2000er Jahre geltenden Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte an diesen neuen Status anzupassen ( 9 ).

46.

Aus den Erwägungsgründen 1 bis 4 und 11 der Richtlinie 2004/38 geht hervor, dass diese vor allem „die Ausübung des elementaren und individuellen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, das den Unionsbürgern unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 AEUV erwächst, erleichtern und dieses Recht verstärken [soll]“ ( 10 ). Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Gegenstand dieser Richtlinie, wie sich aus ihrem Art. 1 Buchst. a ergibt, die Bedingungen sind, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen ( 11 ).

b)   Ist der Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 statisch oder dynamisch?

47.

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, der ihren persönlichen Anwendungsbereich festlegt, bestimmt, dass diese Richtlinie für jeden Unionsbürger gilt, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, „begibt oder sich dort aufhält“, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie, die „ihn begleiten oder ihm nachziehen“ ( 12 ).

48.

Aus dieser Bestimmung in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof ergibt sich, dass nur ein Berechtigter im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2004/38 Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte aus dieser Richtlinie herleiten kann. Berechtigter kann ein Unionsbürger (der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält) oder ein Familienangehöriger (der ihn begleitet oder ihm nachzieht) im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 sein ( 13 ). Insoweit gewährt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Richtlinie 2004/38 drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers keine eigenständigen Rechte. Die etwaigen Rechte, die ihnen die Richtlinie verleiht, sind also von denen abgeleitet, die der betreffende Unionsbürger aufgrund der Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit genießt ( 14 ).

49.

Im vorliegenden Fall ist es offenkundig, dass der Ehemann von Frau Chenchooliah, der seine Freizügigkeit ausübte, indem er den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nämlich Portugal, verließ, um sich nach Irland zu begeben und sich dort aufzuhalten, in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fiel. Folglich hatte, wie das vorlegende Gericht dargelegt hat, auch Frau Chenchooliah zumindest in dem Zeitraum, in dem ihr portugiesischer Ehegatte seine Freizügigkeit in Irland ausübte, die Eigenschaft einer „Berechtigten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie ( 15 ). Allerdings ist in Anbetracht der Tatsache, dass der Ehemann von Frau Chenchooliah nach Portugal zurückgekehrt ist und die Richtlinie 2004/38 die Situation der Rückkehr eines Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht umfasst ( 16 ), davon auszugehen, dass sie nicht mehr unter die Definition des Begriffs „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2004/38 fällt.

50.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob Frau Chenchooliah, die Ehegattin eines Unionsbürgers, der seine Freizügigkeit nicht mehr ausübt, die Eigenschaft einer „Berechtigten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 verlieren kann, da sie grundsätzlich aufgrund der Rückkehr ihres Ehegatten in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, die von dieser Bestimmung aufgestellte Voraussetzung, nämlich den Unionsbürger zu begleiten oder ihm nachzuziehen, nicht mehr erfüllt ( 17 ).

51.

Meines Erachtens ist dies zu bejahen.

52.

Insoweit haben die Urteile Metock u. a. ( 18 ) und Lounes ( 19 ), aus denen sich ergibt, dass der Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 dynamisch ist oder sich mit der Zeit wandelt, meines Erachtens besondere Bedeutung.

1) Urteil Metock u. a.

53.

Im Urteil Metock u. a. ( 20 ) hat der Gerichtshof zwei Vorlagefragen des High Court (Oberster Gerichtshof) im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen fünf Unionsbürgern sowie ihren drittstaatsangehörigen Ehegatten und dem Minister beantwortet. Dieser hatte ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatten von Unionsbürgern, die in Irland arbeiten oder sich dort aufhalten, abgelehnt, weil sie die von der damaligen irischen Regelung aufgestellte Voraussetzung eines vorherigen rechtmäßigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat nicht erfüllten.

54.

Der Gerichtshof hat erstens zum Erfordernis des vorherigen rechtmäßigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat festgestellt, dass nicht alle Drittstaatsangehörigen aus der Richtlinie 2004/38 das Recht ableiten, in einen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, sondern nur diejenigen, die im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, niedergelassen hat ( 21 ). Er hat daher entschieden, dass die Richtlinie 2004/38 der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach sich der mit einem Unionsbürger, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, verheiratete Drittstaatsangehörige vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben muss, um sich auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen zu können ( 22 ).

55.

Zu, zweitens, Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Bestimmung dahin gehend auszulegen ist, dass sich der mit einem Unionsbürger, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, verheiratete Drittstaatsangehörige, der diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen kann, unabhängig davon, wo und wann ihre Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist ( 23 ).

2) Urteil Lounes

56.

Die Rechtssache, in der das Urteil Lounes ( 24 ) ergangen ist, betraf eine spanische Staatsangehörige, Frau Ormazabal, die, nachdem sie sich seit dem Jahr 1996 im Vereinigten Königreich aufgehalten hatte, im Lauf des Jahres 2009 durch Einbürgerung die britische Staatsbürgerschaft erworben hatte, aber auch ihre spanische Staatsangehörigkeit behielt. Im Jahr 2014 hatte Frau Ormazabal einen algerischen Staatsangehörigen, Herrn Toufik Lounes, geheiratet. Letzterer hatte einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte als Ehegatte eines Unionsbürgers gestellt, der vom Secretary of State for the Home Department (Innenminister, Vereinigtes Königreich) mit der Begründung abgelehnt worden war, dass Herr Lounes unter Umgehung der einwanderungsrechtlichen Kontrollen die im Vereinigten Königreich zulässige Aufenthaltsdauer überschritten habe.

57.

Obwohl der Gerichtshof festgestellt hat, dass Frau Ormazabal die spanische Staatsangehörigkeit hat und von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem sie sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besaß, begab und sich dort aufhielt, nämlich als sie im Jahr 1996 Spanien verließ, um in das Vereinigte Königreich zu reisen, veranlassten die Umstände dieses konkreten Falles den Gerichtshof, zu entscheiden, dass die Richtlinie 2004/38 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei ( 25 ). Insoweit ist der Gerichtshof den Schlussanträgen von Generalanwalt Bot ( 26 ) gefolgt und hat die Ansicht vertreten, dass der Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft für Frau Ormazabal zu einer Veränderung der Rechtslage hinsichtlich sowohl des nationalen Rechts als auch der Richtlinie 2004/38 geführt hat ( 27 ). Der Gerichtshof hat daher zum einen entschieden, dass Frau Ormazabal nicht mehr unter die Definition des Begriffs „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 falle, und zum anderen, dass diese Richtlinie nicht mehr dazu bestimmt sei, ihren Aufenthalt im Vereinigten Königreich zu regeln, da dieser von Natur aus keinen Bedingungen unterliege. Daher hat der Gerichtshof festgestellt, dass Herr Lounes auf der Grundlage der Richtlinie 2004/38 kein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat genieße ( 28 ).

58.

Der Gerichtshof hat daher seine Überlegungen an der Unionsbürgerschaft orientiert ( 29 ). Insoweit hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Rechte eines Unionsbürgers aus Art. 21 Abs. 1 AEUV einschließlich der abgeleiteten Rechte, die seine Familienangehörigen genießen, auch den Zweck haben, die schrittweise Integration des betreffenden Unionsbürgers in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats zu fördern ( 30 ). Demnach verlangt nach dem Gerichtshof die praktische Wirksamkeit dieser Rechte, dass ein Bürger, der sich in einer Situation wie derjenigen von Frau Ormazabal befindet, im Aufnahmemitgliedstaat, nachdem er die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats zusätzlich zu seiner ursprünglichen Staatsangehörigkeit erworben hat, weiterhin die Rechte aus dieser Bestimmung genießen und insbesondere ein Familienleben mit seinem drittstaatsangehörigen Ehegatten entwickeln kann, indem diesem ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gewährt wird ( 31 ). Insbesondere hat der Gerichtshof entschieden, dass Herr Lounes nach Art. 21 Abs. 1 AEUV ein solches Aufenthaltsrecht genießen konnte, wobei die Voraussetzungen hierfür nicht strenger sein durften als diejenigen, die die Richtlinie 2004/38 für einen Drittstaatsangehörigen vorsieht, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt ( 32 ).

3) Der sich wandelnde Charakter des Begriffs „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38: Erkenntnisse aus den Urteilen Metock u. a. und Lounes

59.

Ich bin mir der tatsächlichen Unterschiede zwischen der vorliegenden Rechtssache und denjenigen, in denen die Urteile Metock u. a. ( 33 ) und Lounes ( 34 ) ergangen sind, bewusst. Wie ich allerdings oben in Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, scheinen mir diese beiden Rechtssachen insbesondere für die Beurteilung des dynamischen oder sich wandelnden Charakters des Begriffs „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 relevant.

60.

Was das Urteil Metock u. a. ( 35 ) anbelangt, scheint mir zunächst der Hinweis interessant, dass die vier drittstaatsangehörigen Kläger des Ausgangsverfahrens nach der Richtlinie 2004/38 das Recht geltend machten, sich mit ihren Ehegatten mit Unionsbürgerschaft im Aufnahmemitgliedstaat niederzulassen ( 36 ). Die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dieser Drittstaatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat waren damals nämlich zu einem Zeitpunkt gestellt worden, zu dem sich ihre Ehegatten mit Unionsbürgerschaft bereits seit einigen Jahren dort aufhielten. Der Gerichtshof hat dieses Urteil daher im Rahmen der Anerkennung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat erlassen, wo der Ehegatte mit Unionsbürgerschaft sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hatte, indem er sich dort niedergelassen hatte ( 37 ). Es ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof festgestellt hat, dass das Erfordernis, den Unionsbürger zu begleiten oder ihm nachzuziehen, außerdem dem Zweck der abgeleiteten Rechte auf Einreise und auf Aufenthalt, die die Richtlinie 2004/38 für die Familienangehörigen der Unionsbürger vorsieht, entspricht, da andernfalls „der Unionsbürger dadurch in seiner Freizügigkeit beeinträchtigt sein könnte, dass ihn seine Familie nicht in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nicht dorthin nachziehen darf, weil ihn dies davon abhielte, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in diesen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten“ ( 38 ).

61.

Kann man im Licht dieser Erkenntnisse davon ausgehen, dass die Eigenschaft eines „Berechtigten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, soweit sie aufgrund der Ehe eines Drittstaatsangehörigen mit einem Unionsbürger erlangt wurde, der im Aufnahmemitgliedstaat, wo sie sich gemeinsam aufhalten, sein Freizügigkeitsrecht ausübt, erhalten bleibt und nicht mehr verloren werden kann?

62.

Meines Erachtens ist das nicht der Fall ( 39 ).

63.

Da dieses Urteil im Rahmen von Anträgen drittstaatsangehöriger Ehegatten eines Unionsbürgers betreffend das Recht dieser Staatsangehörigen, sich mit ihren Ehegatten mit Unionsbürgerschaft im Aufnahmemitgliedstaat niederzulassen, erlassen wurde, kann man aus den Erwägungen des Gerichtshofs, entgegen dem Vorbringen von Frau Chenchooliah, nicht schließen, dass die Eigenschaft eines „Berechtigten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erhalten bleibt und nicht mehr verlorengehen kann.

64.

Außerdem hat der Gerichtshof jüngst im Urteil Lounes ( 40 ) auf den dynamischen oder sich wandelnden Charakter der Eigenschaft eines „Berechtigten“ im Sinne dieser Bestimmung hingewiesen. Die in Nr. 56 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebenen Umstände der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, haben den Gerichtshof nämlich zu der Feststellung veranlasst, dass Frau Ormazabal, eine Unionsbürgerin, seit ihrem Erwerb der Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr unter die Definition des Begriffs „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fiel, obwohl sie ihr Recht auf Freizügigkeit im Aufnahmemitgliedstaat fast zwanzig Jahre lang ausgeübt und sogar ein Recht auf Daueraufenthalt im Sinne dieser Richtlinie erworben hatte ( 41 ).

65.

Wenn man die Erkenntnisse aus diesen beiden Urteilen für die Prüfung des sich wandelnden Charakters des Begriffs „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 auf den vorliegenden Fall anwendet, bedeutet das in einem ersten Schritt, dass Frau Chenchooliah als Ehefrau eines Portugiesen ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht von bis zu drei Monaten auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie erlangte. Sie war zu diesem Zeitpunkt „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, da sie sich mit ihrem Ehemann mit Unionsbürgerschaft in einem anderen als dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besaß, aufhielt. In einem zweiten Schritt hat Frau Chenchooliah jedoch ihre Eigenschaft einer „Berechtigten“ im Sinne dieser Bestimmung aufgrund der Rückkehr ihres Ehegatten nach Portugal verloren, da dieser die Voraussetzung des Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat nicht mehr erfüllte und sie die Voraussetzung, ihn in diesen Mitgliedstaat zu begleiten oder ihm nachzuziehen, nicht mehr erfüllte ( 42 ). Daraus folgt, dass Frau Chenchooliah seit der Rückkehr ihres Ehegatten nach Portugal, da sie in Irland geblieben ist, wo sie sich nicht mehr mit ihm aufhält, nicht mehr unter den Begriff „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fällt.

66.

Gleichwohl bleibt die im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssache stehende Frage offen: Kann man davon ausgehen, dass Frau Chenchooliah, obwohl sie nicht mehr „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ist, für die Zwecke ihrer Abschiebung aus dem Aufnahmemitgliedstaat weiterhin unter diese Richtlinie fällt?

67.

Wie ich in den folgenden Erwägungen darlegen werde, ist dies nach meiner Überzeugung zu bejahen.

c)   Der „Lebenszyklus“ der Ausübung des Freizügigkeitsrechts eines Unionsbürgers und seiner Familienangehörigen im Rahmen der Richtlinie 2004/38

68.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass, selbst wenn Frau Chenchooliah die Eigenschaft einer „Berechtigten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht mehr hat und sie folglich ihr Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat verloren hat, dies keineswegs bedeutet, dass die anderen Bestimmungen dieser Richtlinie nicht anwendbar sein können. Zwar wird die Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38 für den Zeitraum, in dem ein Unionsbürger und seine Familienangehörigen „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 sind, von dieser Bestimmung geregelt. Daher leiten sie in diesem Zeitraum die Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte aus dieser Richtlinie her. Allerdings bleiben die Folgen des Verlusts der Eigenschaft eines „Berechtigten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, insbesondere die Abschiebung, immer mit dem Zeitraum verbunden, in dem sich der Unionsbürger und seine Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat als „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie rechtmäßig aufgehalten haben.

69.

Dieser Gedanke ist näher auszuführen.

1) Die differenzielle Anwendung der Richtlinie 2004/38

70.

Die Struktur der Richtlinie 2004/38 zeigt, dass diese Richtlinie ein System der differenziellen Anwendung ihrer Bestimmungen schafft. Der bloße Wortlaut der Titel der verschiedenen Kapitel und der Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 genügt, um ein solches System erkennen zu lassen ( 43 ). Der Aufbau dieser Richtlinie verweist nämlich zum einen auf den Gedanken der Entwicklung der Situationen des Unionsbürgers und seiner Familienangehörigen, die sie regelt, sowie der Rechte, die sie ihnen einräumt, und zum anderen auf den Gedanken der schrittweisen Integration der Berechtigten im Aufnahmemitgliedstaat. Die Richtlinie 2004/38 regelt den vollständigen Lebenszyklus der Ausübung des Freizügigkeitsrechts eines Unionsbürgers und seiner Familienangehörigen ab dem Zeitpunkt ihrer Einreise in einen anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit dieser Unionsbürger besitzt, bis zum Zeitpunkt ihres Wegzugs aus diesem ( 44 ).

71.

Die Richtlinie 2004/38 schafft daher ein System, das verschiedene Arten von Rechten für verschiedene Kategorien von Bürgern umfasst und das folglich eine „differenzielle Anwendung“ ihrer Bestimmungen impliziert. Eine solche differenzielle Anwendung beruht darauf, dass zum einen die Situationen der Einreise, des Aufenthalts oder des Wegzugs eines Unionsbürgers, der sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat, und seiner Familienangehörigen, die ihn begleiten oder ihm nachziehen, sehr unterschiedlich sein können und zum anderen sich ihre Situation während des Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat verändern kann. Die differenzielle Anwendung der Richtlinie 2004/38 bedeutet einfach, dass verschiedene Gruppen von Unionsbürgern und ihrer Familienangehörigen (Studenten, Arbeitssuchende, Arbeitnehmer oder dauerhaft Ansässige usw.) verschiedene Arten von Rechten haben können, je nach der Stufe, in der sie sich befinden (Aufenthalt bis zu drei Monaten, für mehr als drei Monate oder Daueraufenthalt), und den Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt, die sie während der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt erfüllen. Somit fällt der vollständige Lebenszyklus der Ausübung ihrer Freizügigkeit zur Gänze in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie ( 45 ).

72.

Außerdem fügt sich dieser allgemeine Gedanke durchaus in den Gedanken ein, wonach das von der Richtlinie 2004/38 vorgesehene System des Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat in abgestufter Weise geregelt ist ( 46 ). Auch hier findet sich der Gedanke der Entwicklung. Somit unterliegt zunächst das Aufenthaltsrecht bis zu drei Monaten nach Art. 6 der Richtlinie 2004/38 keinen Bedingungen oder Formalitäten, außer der Verpflichtung zum Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses ( 47 ). Sodann hängt das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate von den Voraussetzungen nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ab ( 48 ). Schließlich ist ein Recht auf Daueraufenthalt ( 49 ) in Art. 16 dieser Richtlinie für die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen vorgesehen, die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben ( 50 ). Der Unionsbürger und seine Familienangehörigen können daher eine oder mehrere Stufen der Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts zurücklegen, wenn sie die von der Richtlinie 2004/38 ( 51 ) vorgesehenen Voraussetzungen, die je nach Dauer des Aufenthalts variabel sind, erfüllen, was ihre „schrittweise Integration“ in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats fördert.

73.

Wenn diese Personen jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt die Voraussetzungen nach der Richtlinie 2004/38 nicht mehr erfüllen, mit der Folge des Verlusts ihrer Eigenschaft als „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie und daher ihres Rechts, in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, bedeutet das noch nicht, dass andere Bestimmungen dieser Richtlinie für sie nicht gelten. Diese anderen Bestimmungen regeln nicht nur die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts und die Voraussetzungen, nach denen dieses Recht erlischt (Art. 12 bis 14), sondern auch die Beschränkung der Einreise- und Aufenthaltsrechte und den Schutz im Fall der Ausweisung (Art. 15).

74.

Insoweit scheint es mir sachdienlich, daran zu erinnern, dass nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 „Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen … das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu[steht], solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen“. Die Art. 12 und 13 dieser Richtlinie regeln jeweils die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Tod oder Wegzug des Unionsbürgers und die Aufrechterhaltung dieses Rechts bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder bei Beendigung der eingetragenen Partnerschaft. Während die in diesen beiden Artikeln genannten Situationen das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen des Unionsbürgers, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, daher nicht berühren ( 52 ), gilt das nicht für die drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die gewisse Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung ihres abgeleiteten Aufenthaltsrechts erfüllen müssen. Wenn diese in Art. 12 Abs. 2 und in Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, verlieren diese Personen ihr Aufenthaltsrecht, ohne jedoch ihren Schutz vor Ausweisung zu verlieren. Sie werden nämlich von Art. 15 (Kapitel III) dieser Richtlinie geschützt, der die Beschränkung der Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erfolgt, regelt. Die Situation von Frau Chenchooliah fällt unter diese Bestimmung.

75.

Meines Erachtens ergibt sich aus der Prüfung der Art. 12 und 13 der Richtlinie 2004/38, dass diese Richtlinie den in ihrem Art. 15 vorgesehenen Schutz im Fall der Ausweisung gewährt, selbst wenn ein Drittstaatsangehöriger das abgeleitete Aufenthaltsrecht verliert und folglich nicht mehr „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ist.

76.

Nach dieser Klarstellung scheint es mir in diesem Stadium meiner Prüfung wichtig, auf den wesentlichen Unterschied hinzuweisen, der zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache, in der das Urteil Lounes ( 53 ) ergangen ist, besteht.

2) Der wesentliche Unterschied zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache, in der das Urteil Lounes ergangen ist

77.

In der Rechtssache Lounes war die erfolgte Änderung eine grundlegende Änderung des Status von Frau Ormazabal. Aus diesem Urteil geht nämlich hervor, dass es für Frau Ormazabal durch den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats zu einer Veränderung der Rechtslage hinsichtlich sowohl des nationalen Rechts als auch der Richtlinie 2004/38 kam. Auch wenn diese Richtlinie den Rahmen für fast zwanzig Jahre der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit im Aufnahmemitgliedstaat gebildet hatte, führte diese grundlegende Veränderung der Rechtslage von Frau Ormazabal daher dazu, dass sich ihre Situation nicht im Rahmen des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2004/38 weiterentwickelte, sondern im Gegenteil außerhalb von deren Anwendungsbereich, so dass diese Richtlinie auf Frau Ormazabal seit ihrer Einbürgerung nicht mehr anwendbar war. Deshalb genoss Herr Lounes auf der Grundlage der Richtlinie 2004/38 kein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat.

78.

Im Ausgangsverfahren hat hingegen die Rückkehr des Ehegatten von Frau Chenchooliah nach Portugal den Lebenszyklus ihres (eigenen und abgeleiteten) Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt beendet mit der Folge, dass sie ihre Eigenschaft als „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 verloren haben, ohne jedoch zum Verlust des von dieser Richtlinie vorgesehenen Schutzes im Fall der Ausweisung aus dem Aufnahmemitgliedstaat zu führen.

79.

Mit anderen Worten ist, anders als die Situation von Frau Ormazabal, die nach dem Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft aufgrund der Veränderung der Rechtslage, die sich aus der Änderung des Status ergibt, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/38 ausgeschieden ist (wobei sie jedoch von Art. 21 Abs. 1 AEUV erfasst war), diejenige des Ehegatten von Frau Chenchooliah nach seiner Rückkehr nach Portugal nicht mehr von dieser Richtlinie geregelt, ohne dass das jedoch bedeutet, dass es für ihn zu einer Veränderung der Rechtslage gekommen ist. Er wird nämlich in Zukunft sein Freizügigkeitsrecht in Irland im Rahmen der Richtlinie 2004/38 ausüben können, während Frau Ormazabal als britische Staatsangehörige im Vereinigten Königreich über ein nicht an Bedingungen geknüpftes Aufenthaltsrecht verfügt. Folglich ist diese Richtlinie nicht dazu bestimmt, ihr Recht auf Aufenthalt in dem Mitgliedstaat zu regeln.

80.

Folglich fällt, anders als die Situation von Herrn Lounes, der das Aufenthaltsrecht im Sinne der Richtlinie 2004/38 nach dem Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft durch seine Ehefrau nicht mehr in Anspruch nehmen konnte, die Situation von Frau Chenchooliah nach der Rückkehr ihres Ehegatten nach Portugal für die Zwecke ihrer Ausweisung insbesondere in den Anwendungsbereich anderer Bestimmungen dieser Richtlinie ( 54 ).

3) Die Ausweisung eines drittstaatsangehörigen Ehepartners eines Unionsbürgers fällt weiterhin unter die Richtlinie 2004/38, wenn dieser Unionsbürger sein Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rückkehr in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht mehr ausübt

81.

Wie sich aus den in den Nrn. 68 bis 80 dieser Schlussanträge dargelegten Erwägungen ergibt, ist es klar, dass die Ausweisung von Frau Chenchooliah unter die Richtlinie 2004/38, insbesondere ihren Art. 15, fällt.

82.

Insoweit sind meines Erachtens drei weitere Überlegungen von Bedeutung.

83.

Erstens weise ich darauf hin, dass in der Rechtssache, in der das Urteil Metock u. a. ( 55 ) ergangen ist, der Minister bereits eine weite Auslegung der Anwendung des nationalen Ausländerrechts auf die zur Familie eines Unionsbürgers gehörenden Ehegatten vertreten hatte. Diesen Standpunkt hat der Gerichtshof in den Rn. 60 bis 70 seines Urteils zurückgewiesen. In diesem Kontext hat der Gerichtshof u. a. auf die Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers hingewiesen, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen die Familienangehörigen eines Unionsbürgers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen und sich dort aufhalten dürfen, wenn der Unionsbürger dadurch in seiner Freizügigkeit beeinträchtigt sein könnte, dass ihn seine Familie nicht in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nicht dorthin nachziehen darf, weil ihn dies davon abhalten würde, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in diesen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten ( 56 ).

84.

Würde man im Übrigen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, drittstaatsangehörige Familienangehörige von Unionsbürgern aus dem Aufnahmemitgliedstaat anhand der Verfahrensgarantien der Richtlinie 2004/38 oder nach nationalem Ausländerrecht auszuweisen, so hätte dies zur Folge, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, je nach dem nationalen Zuwanderungsrecht, insbesondere nach den Bestimmungen über die Ausweisung mit unbefristetem Einreiseverbot, unterschiedlich ausgestaltet wäre. Dieses Ergebnis wäre mit dem Recht aller Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, unvereinbar.

85.

Zweitens ist hervorzuheben, dass, wie die Kommission ausdrücklich vorgetragen hat, eine Auslegung, wonach ein Unionsbürger und seine Familienangehörigen unterschiedlichen Abschiebungsverfahren unterzogen würden, das Ziel beeinträchtigte, den Schutz des Familienlebens sicherzustellen und die Ausübung der Freizügigkeit zu erleichtern ( 57 ). Wenn ein drittstaatsangehöriger Ehegatte eines Unionsbürgers, der seine Freizügigkeitsrechte nicht mehr ausübt, auf der Grundlage des nationalen Ausländerrechts, das ein unbefristetes Einreiseverbot nach Irland vorsieht, wie es hier der Fall ist, ausgewiesen werden könnte, liefe dies somit in Wahrheit darauf hinaus, den Unionsbürger daran zu hindern, in Zukunft mit seinem Ehegatten nach Irland zurückzukehren, für den Fall, dass er in diesem Mitgliedstaat von seiner Freizügigkeit Gebrauch machen möchte ( 58 ).

86.

Insoweit hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass nach dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 „[d]as Recht aller Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, … wenn es unter objektiven Bedingungen in Freiheit und Würde ausgeübt werden soll, auch den Familienangehörigen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit gewährt werden [sollte]“ ( 59 ). Meines Erachtens ist es sinnvoll, davon auszugehen, dass sich diese „objektiven Bedingungen in Freiheit und Würde“ auf den gesamten Lebenszyklus der Ausübung der Freizügigkeit der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen – von ihrer Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat bis zu ihrem Wegzug aus diesem – zu erstrecken haben. Außerdem ergibt sich aus dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie u. a., dass Verfahrensgarantien festgelegt werden sollten, damit im Fall eines Verbots, in einen anderen Mitgliedstaat einzureisen oder sich dort aufzuhalten, ein hoher Schutz der Rechte des Unionsbürgers und seiner Familienangehörigen gewährleistet ist.

87.

Drittens und letztens steht der von mir in den Nrn. 68 bis 80 der vorliegenden Schlussanträge dargelegte Standpunkt, wonach Frau Chenchooliah für die Zwecke ihrer Ausweisung weiterhin unter die Richtlinie 2004/38, insbesondere ihren Art. 15, fällt, im Einklang mit dem Erfordernis, die Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 nicht eng auszulegen und ihnen nicht ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen ( 60 ).

88.

Nach alledem bin ich daher der Ansicht, dass, soweit die Beendigung oder der Ablauf eines Aufenthaltsrechts Teil des Endes der Ausübung der Freizügigkeit ist, die Ausweisung eines drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat weiterhin unter die Richtlinie 2004/38, insbesondere deren Art. 15, fällt, wenn dieser Unionsbürger von seinem Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat durch seine Rückkehr in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht mehr Gebrauch macht.

2.   Zu den Beschränkungen und Verfahrensgarantien, die auf die Ausweisung der Unionsbürger und ihrer drittstaatsangehörigen Familienangehörigen aufgrund des Ablaufs ihres Aufenthaltsrechts anwendbar sind

89.

Die Richtlinie 2004/38 sieht Beschränkungen und Verfahrensgarantien vor, die auf die Ausweisung der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen anwendbar sind. Insbesondere trifft diese Richtlinie eine auf den Gründen für die Ausweisung beruhende Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Regelungen. So kann eine Entscheidung über die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sein (Kapitel VI) oder aus anderen Gründen (Art. 15), u. a. durch die Tatsache, dass ein Berechtigter der Richtlinie 2004/38 die von dieser vorgesehenen Voraussetzungen des Aufenthalts nicht mehr erfüllt.

90.

Auch wenn ich dem Minister darin zustimme, dass die für die Abschiebung von Frau Chenchooliah geltend gemachten Gründe nicht unter die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit nach der Richtlinie 2004/38 fallen, ist es für mich aus den Gründen, die ich im Folgenden darlegen werde, nicht vorstellbar, dass die Situation von Frau Chenchooliah nicht von Art. 15 dieser Richtlinie erfasst ist.

a)   Anwendungsbereich von Kapitel VI der Richtlinie 2004/38

91.

Der Minister sowie die Regierungen, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, vertreten die Auffassung, dass in einer Situation wie der von Frau Chenchooliah eine Verfügung zur Beendigung des Aufenthalts nicht von den Bestimmungen des Kapitels VI der Richtlinie 2004/38, sondern vom nationalen Ausländerrecht (Ausweisungsverfügung) geregelt werde ( 61 ).

92.

Hingegen macht Frau Chenchooliah geltend, dass eine Verfügung zur Beendigung des Aufenthalts ihr gegenüber mit den Anforderungen von Kapitel VI der Richtlinie 2004/38 und insbesondere der Art. 27 und 28 dieser Richtlinie im Einklang stehen müsse.

93.

Erstens ist vor der Prüfung des Grades an Schutz vor Ausweisung, der einem drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers, wie Frau Chenchooliah, zukommt, darauf hinzuweisen, dass aus der Überschrift von Kapitel VI der Richtlinie 2004/38 hervorgeht, dass die Bestimmungen in diesem Kapitel, insbesondere Art. 27, die Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit regeln.

94.

Es ist offenkundig, dass die für die Abschiebung von Frau Chenchooliah geltend gemachten Gründe nicht unter die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit nach Kapitel VI der Richtlinie 2004/38 fallen ( 62 ). Wie nämlich der Minister in seinen schriftlichen Erklärungen dargelegt und in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, gründet sich ihre Abschiebung auf die Tatsache, dass ihr Ehegatte mit Unionsbürgerschaft seit seiner Rückkehr nach Portugal sein Freizügigkeitsrecht in Irland nicht mehr ausübt. Der Minister hat auch ausgeführt, dass eine Ausweisungsverfügung, wie der Entwurf einer Verfügung zur Ausweisung von Frau Chenchooliah, eine Maßnahme der Zuwanderungskontrolle sei, die zu wirtschaftlichen Zwecken erlassen werde.

95.

Zweitens scheint es mir sachdienlich, auf die Rn. 94 und 95 des Urteils Metock u. a. ( 63 ) zurückzukommen. In Rn. 94 dieses Urteils hat der Gerichtshof festgestellt, dass, „[w]ürde die Richtlinie 2004/38 nur auf Familienangehörige eines Unionsbürgers angewandt, die diesen ‚begleiten‘ oder ihm ‚nachziehen‘, … dies … einer Beschränkung des Einreise- und Aufenthaltsrechts von Familienangehörigen eines Unionsbürgers auf den Mitgliedstaat gleich[käme], in dem dieser sich aufhält“. Der Gerichtshof hat jedoch in Rn. 95 dieses Urteils klargestellt, dass, „[wenn] ein Drittstaatsangehöriger, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, aufgrund der Richtlinie 2004/38 das Recht [hat], in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, … der Aufnahmemitgliedstaat dieses Recht nur unter Beachtung der Art. 27 und 35 dieser Richtlinie beschränken [darf]“ ( 64 ). Meines Erachtens kann diese Klarstellung nicht getrennt von den tatsächlichen Umständen gewürdigt werden, zu denen dieses Urteil ergangen ist, nämlich dass sich die betroffenen Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat niedergelassen hatten und sich dort mit ihren drittstaatsangehörigen Ehepartnern aufhielten. Daher ist eine solche Klarstellung des Gerichtshofs in dem Sinne zu verstehen, dass, wenn und soweit sich der drittstaatsangehörige Ehegatte eines Unionsbürgers, der von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht, mit diesem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufhält und in der Folge das abgeleitete Recht auf Einreise und Aufenthalt verliert, das er nach der Richtlinie 2004/38 hat, dieses Recht nur unter Beachtung insbesondere der Art. 27 und 35 dieser Richtlinie beschränkt werden kann.

96.

Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet das: Da der Ehegatte von Frau Chenchooliah nach Portugal zurückgekehrt ist und sich das Paar nicht mehr gemeinsam im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, kommt Frau Chenchooliah der Schutz vor Ausweisung nach den Art. 27 und 28 der Richtlinie 2004/38 nicht mehr zugute.

97.

Daraus folgt, dass die Situation von Frau Chenchooliah grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich von Kapitel VI der Richtlinie 2004/38 fällt ( 65 ). Wie ich jedoch in den Nrn. 72 bis 74 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, bedeutet das nicht, dass Frau Chenchooliah nicht in den Anwendungsbereich anderer Bestimmungen dieser Richtlinie, insbesondere ihres Art. 15, fällt, die die Verfahrensgarantien für die Ausweisung der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen regeln, die sich in der Vergangenheit im Aufnahmemitgliedstaat als „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie aufgehalten haben.

b)   Auslegung von Art. 15 der Richtlinie 2004/38

98.

Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 „[finden d]ie Verfahren der Artikel 30 und 31 … sinngemäß auf jede Entscheidung Anwendung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wird“ ( 66 ).

99.

Erstens ergibt sich aus einer rein wörtlichen Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, dass die Verfahrensgarantien, auf die diese Bestimmung verweist (Art. 30 und 31), „sinngemäß auf jede Entscheidung …, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt“, Anwendung finden. Das bedeutet, dass diese Bestimmung auf jede Entscheidung über die Ausweisung anzuwenden ist, die nicht nur die Freizügigkeit eines Unionsbürgers, sondern auch seiner Familienangehörigen beschränkt. Nach ihrem Wortlaut erfasst diese Bestimmung auch nicht die Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wurden, sondern nur die „nicht aus [solchen] Gründen“ erlassenen. Folglich ist davon auszugehen, dass diese „anderen Gründe“, auf die sich Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bezieht, u. a. die Situation betreffen, in der ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat aufgrund der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, verloren geht, wie dies in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation der Fall ist.

100.

Zweitens ist, wenn man die Bestimmungen berücksichtigt, die Art. 15 der Richtlinie 2004/38 umgeben, darauf hinzuweisen, dass dieser Artikel zu Kapitel III („Aufenthaltsrecht“) dieser Richtlinie gehört. Die Bestimmungen dieses Kapitels betreffen u. a. das Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten (Art. 6), das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate (Art. 7) sowie zum einen die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Tod oder Wegzug des Unionsbürgers (Art. 12), bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder bei Beendigung der eingetragenen Partnerschaft (Art. 13) und zum anderen die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts nach den Art. 6, 7, 12 und 13, soweit die danach Berechtigten die Voraussetzungen nach diesen Artikeln erfüllen (Art. 14). In diesem Kontext umfasst, wie die Kommission zu Recht dargelegt hat, Art. 15 der Richtlinie 2004/38 die Situationen, in denen ein Unionsbürger und seine Familienangehörigen, die ihn begleiten oder ihm nachziehen, die von dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen des Aufenthalts (Art. 6, 7, 12, 13 oder 14) nicht mehr erfüllen und folglich ihr eigenes oder abgeleitetes Aufenthaltsrecht verlieren ( 67 ). Im vorliegenden Fall steht fest, dass Frau Chenchooliah in Irland als Ehegattin eines Unionsbürgers, der in diesem Mitgliedstaat von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, aufgrund des abgeleiteten Rechts auf Aufenthalt bis zu drei Monaten nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 gelebt hat, wobei sie dieses Recht nach der Rückkehr ihres Ehegatten nach Portugal verloren hat.

101.

Daher ist Art. 15 der Richtlinie 2004/38, in seinem Kontext geprüft, dahin auszulegen, dass er einen Unionsbürger und seine drittstaatsangehörigen Familienangehörigen in einer Situation wie derjenigen von Frau Chenchooliah erfasst. Dabei handelt es sich um die einzige Auslegung, die die Verwirklichung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele sicherstellen kann.

102.

Das vorstehende Ergebnis wird durch die Analyse der Zielsetzung der Richtlinie 2004/38 bestätigt.

103.

Insoweit ist zunächst daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Unionsgesetzgeber die Bedeutung anerkannt hat, die der Gewährleistung des Schutzes des Familienlebens der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten für die Beseitigung der Hindernisse bei der Ausübung der vom AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten zukommt ( 68 ). Wie ich in den Nrn. 85 und 86 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, hätte es, wenn man Art. 15 der Richtlinie 2004/38 auf drittstaatsangehörige Familienangehörige nicht anwenden würde, was meines Erachtens nicht vorstellbar wäre, zur Folge, dass ein Ehepaar aus dem Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage unterschiedlicher Rechtsordnungen abgeschoben werden könnte, was das Ziel beeinträchtigen würde, den Schutz des Familienlebens sicherzustellen und die Ausübung der Freizügigkeit zu erleichtern. Im vorliegenden Fall würde, wenn Frau Chenchooliah insbesondere nach Art. 3 Abs. 1 des Einwanderungsgesetzes 1999 ausgewiesen würde, für sie ein unbefristetes Einreiseverbot nach Irland gelten. Auch wenn, wie der Minister in seinen schriftlichen Erklärungen dargelegt hat, nach Art. 3.11 dieses Gesetzes eine Person, gegen die eine Ausweisungsverfügung verhängt wurde, beim Minister die Änderung oder den Widerruf dieser Verfügung beantragen kann, hat der Minister in der mündlichen Verhandlung doch bestätigt, dass dies immer eine Ermessensentscheidung ist.

104.

Sodann ist daran zu erinnern, dass nach Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 eine Entscheidung nach Art. 15 Abs. 1 dieser Richtlinie, mit der die Ausweisung verfügt wird, nicht mit einem Einreiseverbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen darf. Damit steht fest, dass die Heranziehung einer Ausweisungsverfügung auf der Grundlage des nationalen Ausländerrechts, die mit einem Einreiseverbot in das Hoheitsgebiet einhergeht, durch den Aufnahmemitgliedstaat jedenfalls einen Verstoß gegen die Erfordernisse von Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 darstellte. Außerdem liefe eine solche Heranziehung in Wahrheit darauf hinaus, den Unionsbürger daran zu hindern, in Zukunft mit seinem drittstaatsangehörigen Ehegatten nach Irland zurückzukehren, für den Fall, dass er in diesem Mitgliedstaat von seiner Freizügigkeit Gebrauch machen möchte.

105.

Schließlich führte die Nichtanwendung von Art. 15 der Richtlinie 2004/38 auf Situationen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende dazu, diese Bestimmung zum Teil auszuhöhlen, indem ihr ihre praktische Wirksamkeit genommen würde.

106.

Aus all diesen Gründen bin ich der Meinung, dass die Art. 15, 30 und 31 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sind, dass sie auf eine Entscheidung über die Abschiebung eines drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers, wie der Klägerin des Ausgangsverfahrens, anwendbar sind.

V. Ergebnis

107.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des High Court (Oberster Gerichtshof, Irland) wie folgt zu antworten:

Die Art. 15, 30 und 31 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG in der durch die Verordnung (EG) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie auf eine Abschiebungsverfügung eines Drittstaatsangehörigen anwendbar sind, die mit der Begründung erlassen wird, dass dieser über kein Aufenthaltsrecht nach dieser Richtlinie mehr verfüge, in einer Situation, in der dieser Drittstaatsangehörige einen Unionsbürger zu einem Zeitpunkt geheiratet hat, zu dem dieser Unionsbürger von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem er sich nach Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begeben und sich dort aufgehalten hat, und der in der Folge in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückgekehrt ist.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 (ABl. 2011, L 141, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2004/38).

( 3 ) Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der 7. November 2012 der Zeitpunkt ist, an dem das letzte Studentenvisum der Klägerin abgelaufen ist.

( 4 ) Siehe Nr. 23 der vorliegenden Schlussanträge. In ihren schriftlichen Erklärungen weist die Kommission vorab darauf hin, dass sich aus der Vorlageentscheidung zu ergeben scheine, dass sich die irischen Behörden, indem sie Frau Chenchooliah die Gewährung einer Aufenthaltskarte verweigert hätten, ausschließlich darauf gestützt hätten, ob ihr Ehegatte mit Unionsbürgerschaft persönlich über ausreichende Existenzmittel verfüge und dazu einen Arbeitsvertrag vorlegen könne. Die Kommission erinnert jedoch daran, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 enthaltene Erfordernis, über ausreichende Existenzmittel zu „verfügen“ dahin auszulegen sei, „dass es ausreicht, wenn dem Unionsbürger diese Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass die Bestimmung Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt, so dass diese auch von einem … Drittstaatsangehörigen stammen können ... Wie der Gerichtshof ebenfalls bereits festgestellt hat, würde nämlich mit einer Auslegung der Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel dahin, dass der Betreffende selbst über solche Mittel verfügen muss, ohne dass er sich insoweit auf Existenzmittel eines ihn begleitenden Familienangehörigen berufen könnte, dieser Voraussetzung, wie sie in der Richtlinie 2004/38 formuliert ist, ein Erfordernis in Bezug auf die Herkunft der Mittel hinzugefügt, das einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Ausübung des durch Art. 21 AEUV gewährleisteten Grundrechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt darstellen würde, da es für die Erreichung des verfolgten Ziels – Schutz der öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten – nicht erforderlich ist“. Vgl. Urteil vom 16. Juli 2015, Singh u. a. (C‑218/14, EU:C:2015:476, Rn. 74 und 75 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Selbst wenn ich dieser Würdigung der Kommission zustimme, ist darauf hinzuweisen, dass mir nicht nur keine ausreichenden Informationen für die Prüfung dieser Situation im vorliegenden Fall vorliegen, sondern vor allem die Entscheidung des Ministers vom 11. September 2012, die Frau Chenchooliah nicht anficht, bestandskräftig geworden ist. Siehe Nr. 22 der vorliegenden Schlussanträge.

( 5 ) Nach Ansicht der Kommission müsste eine Abschiebung folglich im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie erfolgen.

( 6 ) Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass in dieser Rechtssache dem drittstaatsangehörigen Kläger, Herrn Igunma, eine Aufenthaltserlaubnis in Irland verweigert wurde, weil nicht angenommen wurde, dass seine Ehegattin, eine Unionsbürgerin, zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Unionsrecht bestehende Rechte ausübte. Anlass der Rechtssache war die Verhaftung von Herrn Igunma im Zuge der Durchführung einer Ausweisungsverfügung, die ihm gegenüber erlassen worden war, bevor er seine Ehegattin in Irland heiratete. Die Hauptfrage dieses Falles war, ob bei Herrn Igunma davon ausgegangen werden könne, dass er eine in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/38 und deren irischer Umsetzungsverordnungen fallende Person sei. Das vorlegende Gericht befand, dass die Richtlinie 2004/38 und die angeführten Verordnungen auf Herrn Igunma anwendbar seien, so dass er nur durch eine Abschiebungsverfügung nach den irischen Verordnungen abgeschoben werden könne. In Rn. 32 dieses Urteils führte dieses Gericht aus, dass sich eine Ausweisungsverfügung nicht zuletzt dadurch von einer Abschiebungsverfügung unterscheide, dass die Dauer einer Ausweisungsverfügung unbestimmt sei. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wird eine Abschiebungsverfügung mit ihrer Vollstreckung verbraucht, es sei denn, sie sei mit einem befristeten Wiedereinreiseverbot verbunden.

( 7 ) Urteil vom 20. September 2001 (C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31).

( 8 ) Auf diese gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs ist jüngst im Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a. (C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung), hingewiesen worden.

( 9 ) Vgl. den dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38.

( 10 ) Urteile vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 59 und 82), vom 12. März 2014, O. und B. (C‑456/12, EU:C:2014:135, Rn. 35), sowie vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a. (C‑202/13, EU:C:2014:2450, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 11 ) Urteile vom 5. Mai 2011, McCarthy (C‑434/09, EU:C:2011:277, Rn. 33), und vom 12. März 2014, O. und B. (C‑456/12, EU:C:2014:135, Rn. 41).

( 12 ) In den vorliegenden Schlussanträgen verwende ich den Ausdruck „Berechtigter“ nur im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38. Siehe Fn. 54 der vorliegenden Schlussanträge.

( 13 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache O. u. a. (C‑456/12, EU:C:2013:837, Nr. 68).

( 14 ) Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 15 ) Siehe Nr. 40 der vorliegenden Schlussanträge.

( 16 ) Der Gerichtshof hat jedoch das abgeleitete Aufenthaltsrecht der Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, der in den Mitgliedstaat seiner Staatsangehörigkeit zurückkehrt, anerkannt: vgl. Urteile vom 7. Juli 1992, Singh (C‑370/90, EU:C:1992:296, Rn. 25), und vom 11. Dezember 2007, Eind (C‑291/05, EU:C:2007:771, Rn. 45). In diesen beiden Urteilen hat der Gerichtshof u. a. entschieden, dass, wenn sich ein Unionsbürger länger als zweieinhalb bzw. länger als eineinhalb Jahre zusammen mit einem Drittstaatsangehörigen, der sein Familienangehöriger ist, in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und dort eine unselbständige Tätigkeit ausgeübt hat, dem Drittstaatsangehörigen bei der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit dieser besitzt, dort nach dem Unionsrecht ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zustehen muss. Der Gerichtshof hat sodann im Urteil vom 12. März 2014, O. und B. (C‑456/12, EU:C:2014:135, Rn. 61), entschieden, dass Art. 21 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass die Richtlinie 2004/38 entsprechend anwendbar ist, wenn ein Unionsbürger im Rahmen eines in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, auf der Grundlage und unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 und 2 oder Art. 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38 erfolgten Aufenthalts von einer gewissen Dauer ein Familienleben mit einem Drittstaatsangehörigen entwickelt oder gefestigt hat und mit seinem Familienangehörigen in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückkehrt. Zwar regelt, wie der Gerichtshof festgestellt hat, die Richtlinie 2004/38 einen solchen Fall der Rückkehr nicht; sie ist hinsichtlich der Voraussetzungen des Aufenthalts eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, jedoch entsprechend anzuwenden, da in beiden Fällen der Unionsbürger die Referenzperson dafür ist, dass einem Drittstaatsangehörigen, der sein Familienangehöriger ist, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gewährt werden kann. Zur Rückkehr eines Unionsbürgers und seines gleichgeschlechtlichen Ehepartners vgl. Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a. (C‑673/16, EU:C:2018:385). Zur Rückkehr eines Unionsbürgers und des Lebenspartners, mit dem er eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung unterhält, vgl. Urteil vom 12. Juli 2018, Banger (C‑89/17, EU:C:2018:570).

( 17 ) Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Anbetracht des Umstands, dass Frau Chenchooliah ihren Ehepartner weder nach Portugal begleitete noch ihm nachzog, die Rechtsprechung zum abgeleiteten Einreise- oder Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines in den Mitgliedstaat seiner Staatsangehörigkeit zurückgekehrten Unionsbürgers ist, auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umstände nicht anwendbar ist. Zu dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs siehe Fn. 16 der vorliegenden Schlussanträge. Zum Einreiserecht eines Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers und im Besitz einer von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltskarte ist, hat der Gerichtshof festgestellt, dass dieser Drittstaatsangehörige nach Art. 5 der Richtlinie 2004/38 „bei der Einreise in das Hoheitsgebiet des Herkunftsmitgliedstaats dieses Unionsbürgers nicht der Visumspflicht oder einer entsprechenden Verpflichtung unterliegt“: vgl. Urteil vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a. (C‑202/13, EU:C:2014:2450, Rn. 42). Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache McCarthy u. a. (C‑202/13, EU:C:2014:345).

( 18 ) Urteil vom 25. Juli 2008 (C‑127/08, EU:C:2008:449).

( 19 ) Urteil vom 14. November 2017 (C‑165/16, EU:C:2017:862).

( 20 ) Urteil vom 25. Juli 2008 (C‑127/08, EU:C:2008:449). Vgl. auch Stellungnahme von Generalanwalt Poiares Maduro in dieser Rechtssache (C‑127/08, EU:C:2008:335).

( 21 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 73).

( 22 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 80). In diesem Urteil ist der Gerichtshof vom Urteil vom 23. September 2003, Akrich (C‑109/01, EU:C:2003:491), wieder abgerückt.

( 23 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 99).

( 24 ) Urteil vom 14. November 2017 (C‑165/16, EU:C:2017:862).

( 25 ) Der Gerichtshof hat insoweit darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 2004/38 nicht dazu bestimmt ist, das Recht eines Unionsbürgers auf Aufenthalt in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu regeln und sie folglich auch nicht dazu bestimmt ist, drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers ein Recht auf Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat zu verleihen. Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 26 ) Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:407, Nrn. 48 und 63).

( 27 ) Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 39).

( 28 ) Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 41 und 44).

( 29 ) Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 48): „Der Zweck und die Rechtfertigung eines solchen abgeleiteten Rechts beruhen demnach auf der Feststellung, dass seine Nichtanerkennung insbesondere die Freizügigkeit sowie die Ausübung und die praktische Wirksamkeit der Rechte, die dem Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AEUV zustehen, beeinträchtigen könnte“.

( 30 ) Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 56).

( 31 ) Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 60). Vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:407, Nr. 86): „Würde man ihr nun die Rechte, über die sie bislang hinsichtlich des Aufenthalts ihrer Familienangehörigen verfügt hat, deshalb entziehen, weil sie im Wege der Einbürgerung eine vertiefte Integration im Aufnahmemitgliedstaat angestrebt hat, würde dies die praktische Wirksamkeit der Rechte, die ihr nach Art. 21 Abs. 1 AEUV zustehen, zunichtemachen.“

( 32 ) Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 62).

( 33 ) Urteil vom 25. Juli 2008 (C‑127/08, EU:C:2008:449).

( 34 ) Urteil vom 14. November 2017 (C‑165/16, EU:C:2017:862).

( 35 ) Urteil vom 25. Juli 2008, u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449).

( 36 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 18 bis 37).

( 37 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 73).

( 38 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 63). Vgl. auch Urteile vom 8. November 2012, Iida (C‑40/11, EU:C:2012:691, Rn. 63 und 68), vom 12. März 2014, O. und B. (C‑456/12, EU:C:2014:135, Rn. 45), vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 73), sowie vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 48).

( 39 ) Gleichwohl sind meines Erachtens zum einen die Situationen, in denen es klar ist, dass die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38 nicht erfüllt sind, wie es der Fall ist bei der endgültigen Rückkehr eines Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit dieser besitzt, oder seinem endgültigen Umzug in einen anderen Mitgliedstaat, während sein drittstaatsangehöriger Ehegatte im Aufnahmemitgliedstaat bleibt, wo sie sich gemeinsam aufhielten, und zum anderen die Situationen mit vorübergehendem Charakter nicht zu verwechseln, bei denen davon auszugehen ist, dass der Unionsbürger und sein drittstaatsangehöriger Ehegatte weiterhin die Eigenschaft von „Berechtigten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 haben. Zu dieser zweiten Kategorie von Situationen gehören u. a. der Fall eines Unionsbürgers, der umzieht und sich vorübergehend im Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält, um sich einer ordnungsgemäß bescheinigten medizinischen Behandlung zu unterziehen, um vorübergehend für einen Familienangehörigen mit gesundheitlichen Problemen zu sorgen, oder der umzieht und sich vorübergehend aus wichtigen Gründen in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, wie einer Schwangerschaft oder einer Entbindung, Studien oder einer Berufsausbildung oder aus beruflichen Gründen, wie einer Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat oder ein Drittland. Das bedeutet meines Erachtens, dass für den Fall, dass der Unionsbürger vorübergehend in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zurückkehren oder sich dort aufhalten muss oder umzieht und sich vorübergehend aus triftigen Gründen in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, sein drittstaatsangehöriger Ehegatte, der im Aufnahmemitgliedstaat bleibt, u. a. um einen Verlust seiner Arbeit zu vermeiden, seine Studien oder eine Berufsausbildung in diesem Mitgliedstaat fortzusetzen, weiterhin unter den Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fallen muss. Zur Beibehaltung der Aufenthaltskarte im Fall von vorübergehenden Abwesenheiten vgl. Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie.

( 40 ) Urteil vom 14. November 2017 (C‑165/16, EU:C:2017:862).

( 41 ) Die schrittweise und beispielhafte Integration von Frau Ormazabal in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats bis hin zur Annahme der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats hatte nämlich das paradoxe Ergebnis, dass sie ihre Rechte im Rahmen der Richtlinie 2004/38 verlor, obwohl sie in jedem Stadium die verlangten Voraussetzungen des Aufenthalts erfüllte. Vgl. zu diesem Paradoxon Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:407, Nrn. 86 bis 89). Allerdings hat der Gerichtshof diese enge Auslegung der Richtlinie 2004/38 durch die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 AEUV, unter den Frau Ormazabal weiterhin fiel, ausgeglichen. Insoweit scheint mir der Hinweis wichtig, dass der Gerichtshof in diesem Urteil u. a. die spanische Staatsangehörigkeit von Frau Ormazabal berücksichtigt hat, indem er festgestellt hat, dass „[e]in Mitgliedstaat … aber die Wirkungen, die der Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats hat, nicht einschränken [darf], und insbesondere auch nicht die Rechte, die nach dem Unionsrecht mit dieser Staatsangehörigkeit verbunden sind und sich daraus ergeben, dass ein Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat“: Urteil vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 55). Zur Infragestellung des Grundsatzes des Vorrangs der inländischen Staatsagehörigkeit vgl. u. a. Pataut, É., „Les conflits de nationalités face au droit de l’Union“, Revue critique de droit international privé, April-Juni 2018, S. 241 bis 256.

( 42 ) Da der Ehegatte von Frau Chenchooliah nach Portugal zurückgekehrt ist, wo er eine lange Freiheitsstrafe verbüßt, kann man nicht davon ausgehen, dass seine Rückkehr nach Portugal im Sinne von Fn. 39 der vorliegenden Schlussanträge „vorübergehend“ ist. Siehe auch die Fn. 16 und 17 der vorliegenden Schlussanträge.

( 43 ) Vgl. u. a. Kapitel II „Recht auf Ausreise und Einreise“ und Kapitel III „Aufenthaltsrecht“ (bis zu drei Monaten, für mehr als drei Monate, Daueraufenthalt), Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts (selbst im Fall des Wegzugs des Unionsbürgers), Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts (Ausweisung) dieser Richtlinie.

( 44 ) Ich verstehe den Lebenszyklus der Richtlinie 2004/38 als den Zeitraum, in dem die Stufen, aus denen die Freizügigkeit der Unionsbürger besteht, aufeinanderfolgen, einschließlich derjenigen, in der das Freizügigkeitsrecht nach dieser Richtlinie erlischt.

( 45 ) Vgl. Nr. 70 der vorliegenden Schlussanträge.

( 46 ) Insoweit hat der Gerichtshof wiederholt festgestellt, dass sich im Gesamtzusammenhang der Richtlinie 2004/38 das Ziel, die Ausübung des elementaren und individuellen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, das den Unionsbürgern unmittelbar aus dem AEU-Vertrag erwächst, zu erleichtern und dieses Recht zu verstärken, in ein abgestuftes System einfügt, das das Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat regelt. Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass dieses System unter Übernahme im Wesentlichen der Stufen und Bedingungen, die in den vor dem Erlass dieser Richtlinie bestehenden einzelnen Instrumenten des Unionsrechts vorgesehen waren, sowie der zuvor ergangenen Rechtsprechung im Recht auf Daueraufenthalt mündet. Urteile vom 21. Dezember 2011, Ziolkowski und Szeja (C‑424/10 und C‑425/10, EU:C:2011:866, Rn. 38), vom 16. Januar 2014, Onuekwere (C‑378/12, EU:C:2014:13, Rn. 30), sowie vom 17. April 2018, B und Vomero (C‑316/16 und C‑424/16, EU:C:2018:256, Rn. 51).

( 47 ) Nach Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie bleibt dieses Recht bestehen, solange die Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

( 48 ) Nach Art. 14 Abs. 2 dieser Richtlinie haben die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nämlich dieses Aufenthaltsrecht, wenn sie u. a. die in Art. 7 der Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllen, die vermeiden sollen, dass sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen. Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Wathelet in der Rechtssache Gusa (C‑442/16, EU:C:2017:607, Nrn. 51 und 52): „Dieses zweite Ziel [das sich aus dem zehnten Erwägungsgrund ergibt] existiert jedoch nur wegen des ersten. Weil die Richtlinie darauf abzielt, die Wahrnehmung des Aufenthaltsrechts zu erleichtern, war es nach Ansicht der Mitgliedstaaten nötig, darauf zu achten, dass die durch diese Freiheit entstehende finanzielle Inanspruchnahme in Grenzen gehalten wird.“

( 49 ) Insbesondere geht aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 hervor, dass das Recht auf Daueraufenthalt nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III dieser Richtlinie geknüpft ist. Daher könnte eine Person mit einem Recht auf Daueraufenthalt eine Belastung für das Sozialhilfesystem des Aufnahmemitgliedstaats darstellen und könnte aus diesem Mitgliedstaat nicht ausgewiesen werden. Vgl. Lenaerts, K., „European Union Citizenship, National Welfare Systems and Social Solidarity“, Jurisprudence, Nr. 18, 2011, S. 409.

( 50 ) „Der Grundgedanke ist, dass die Rechte, die der Unionsbürger und seine Familienangehörigen genießen, mit der Dauer des Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat zunehmen“, Barnard, C., The Substantive Law of the EU: The Four Freedoms, 5. Aufl., Oxford University Press, Oxford, 2016, S. 438.

( 51 ) Um seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat über drei Monate hinaus zu verlängern, muss der Unionsbürger „Arbeitnehmer oder Selbständiger“ sein (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) oder über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass er während seines Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen muss, und er muss über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b) oder Student sein (Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) oder ein Familienangehöriger, der den Unionsbürger, der die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht (Art. 7 Abs. 1 Buchst. d). Wenn der Unionsbürger eine dieser Voraussetzungen erfüllt, gilt das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate (vorbehaltlich der Einschränkungen nach Art. 7 Abs. 4) auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen (Art. 7 Abs. 2).

( 52 ) Unbeschadet von Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/38 („Bevor die Betroffenen das Recht auf Daueraufenthalt erwerben, müssen … sie die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe a), b), c) oder d) erfüllen“) sowie von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/38 („Bevor die Betroffenen das Recht auf Daueraufenthalt erwerben, müssen … sie die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe a), b), c) oder d) erfüllen“).

( 53 ) Urteil vom 14. November 2017 (C‑165/16, EU:C:2017:862).

( 54 ) Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, ist nach dem Zweck zu unterscheiden, zu dem der Begriff „Berechtigter“ verwendet wird, nämlich u. a. nach dem Zweck betreffend die Ausübung des Freizügigkeitsrechts und/oder Aufenthaltsrechts und dem Zweck betreffend die Beschränkung dieser Rechte und den Schutz im Fall der Ausweisung.

( 55 ) Urteil vom 25. Juli 2008 (C‑127/08, EU:C:2008:449).

( 56 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 63). Vgl. auch Urteile vom 8. November 2012, Iida (C‑40/11, EU:C:2012:691, Rn. 63 und 68), vom 12. März 2014, O. und B. (C‑456/12, EU:C:2014:135, Rn. 45), vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 73), sowie vom 14. November 2017, Lounes (C‑165/16, EU:C:2017:862, Rn. 48).

( 57 ) Nach den Ausführungen der Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof würde in diesem Fall gegen den Unionsbürger eine Abschiebungsverfügung nach dem irischen Recht zur Umsetzung der Richtlinie 2004/38 erlassen, während gegen den drittstaatsangehörigen Ehegatten eine Ausweisungsverfügung mit unbefristetem Einreiseverbot nach Irland auf der Grundlage des nationalen Ausländerrechts erlassen würde, was Art. 15 Abs. 3 dieser Richtlinie ausdrücklich verbietet.

( 58 ) Nach Art. 21 Abs. 1 AEUV hat „[j]eder Unionsbürger … das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten“.

( 59 ) Urteile vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 83), und vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a. (C‑202/13, EU:C:2014:2450, Rn. 33).

( 60 ) Urteile vom 11. Dezember 2007, Eind (C‑291/05, EU:C:2007:771, Rn. 43), vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 84), sowie vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a. (C‑202/13, EU:C:2014:2450, Rn. 32).

( 61 ) Siehe Nr. 32 der vorliegenden Schlussanträge. Es ist daran zu erinnern, dass, wie sich aus dem in der Vorlageentscheidung dargelegten rechtlichen Rahmen ergibt, eine Ausweisungsverfügung nach Art. 3 des Einwanderungsgesetzes 1999 von Amts wegen mit einem unbefristeten Einreiseverbot nach Irland einhergeht.

( 62 ) Wie der Minister und Irland vor dem vorlegenden Gericht und in ihren schriftlichen Erklärungen vorgetragen haben, ist es offenkundig, dass eine Entscheidung über die Beendigung des Aufenthalts von Frau Chenchooliah auf der Grundlage von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 tatsächlich nicht erlassen werden kann, da dies nach dieser Bestimmung den Nachweis erfordert, dass der Betroffene eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, was hier offensichtlich nicht der Fall ist.

( 63 ) Urteil vom 25. Juli 2008 (C‑127/08, EU:C:2008:449).

( 64 ) Es ist darauf hinzuweisen, dass sich der High Court (Oberster Grichtshof) insbesondere auf diese Randnummer des Urteils Metock u. a. stützte, um in Rn. 30 seines Urteils vom 29. April 2014, Igunma v. Governor of Wheatfield Prison and others ([2014] IEHC 218), auf das sich das vorlegende Gericht bezieht, festzustellen, dass Herr Igunma unter Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 falle, da er eine Unionsbürgerin in dem Aufnahmemitgliedstaat, in dem diese Unionsbürgerin von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, geheiratet habe, und dass er weiterhin unter diese Bestimmung falle, selbst wenn ihm eine Aufenthaltskarte rechtmäßig verwehrt worden sei.

( 65 ) Außer hinsichtlich der Art. 30 und 31 dieser Richtlinie, wie ich im Folgenden ausführen werde.

( 66 ) Hervorhebung nur hier.

( 67 ) Was das Verhältnis zwischen Art. 3 Abs. 1 und den Art. 12 bis 15 der Richtlinie 2004/38 anbelangt, ist Art. 15, wie ich soeben dargelegt habe, auf alle Fälle anzuwenden, in denen ein Unionsbürger oder seine Familienangehörigen die Voraussetzungen des Aufenthalts nach den Art. 6, 7 und 12 bis 14 dieser Richtlinie nicht erfüllen. Es ist daher hervorzuheben, dass nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 „[d]as Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 … auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt, [gilt]“ (Hervorhebung nur hier). Dieser Hinweis auf „Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen“, ist auch in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie enthalten. Folglich ist klar, dass Art. 15 der Richtlinie 2004/38 auch auf drittstaatsangehörige Familienangehörige eines Unionsbürgers anzuwenden ist.

( 68 ) Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, EU:C:2008:449, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).