SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 2. Mai 2019 ( 1 )

Rechtssache C‑28/18

Verein für Konsumenteninformation

gegen

Deutsche Bahn AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 260/2012 – Art. 9 Abs. 2 – Technische Vorschriften und Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro – Zugänglichkeit von Zahlungen – Zahlung mittels SEPA(Einheitlicher Europäischer Zahlungsverkehrsraum)-Lastschriftverfahren – Allgemeine Vertragsbedingungen, die Zahlungen davon abhängig machen, dass der Zahler seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem auch der Zahlungsempfänger seinen Wohnsitz hat“

Einleitung

1.

Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass die den Binnenmarkt konstituierenden Grundfreiheiten sich nicht mit Wohnsitzanforderungen vertragen. Vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten stand und steht die Beseitigung von auf Wohnsitzanforderungen basierenden Hindernissen im Mittelpunkt des Handelns sowohl des Unionsgesetzgebers ( 2 ) als auch des Gerichtshofs. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass bei einer nationalen Rechtsvorschrift, die eine Unterscheidung aufgrund des Kriteriums des Wohnsitzes trifft, die Gefahr besteht, dass sie sich hauptsächlich zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirkt, da Gebietsfremde meist Ausländer sind ( 3 ). In Anbetracht dessen, dass sich die Grundfreiheiten vorrangig an die Mitgliedstaaten richten, betreffen die Rechtssachen, mit denen sich der Gerichtshof befasst, hauptsächlich staatliche Maßnahmen, durch die Anforderungen an den (innerstaatlichen) Wohnsitz gestellt werden.

2.

Viel weniger ist zu Sachverhalten geläufig, bei denen ein Privatrechtssubjekt einem anderen Privatrechtssubjekt abverlangt, seinen (Wohn‑)Sitz an einem bestimmten Ort zu unterhalten. Was das Unionsrecht angeht, liegt hier vieles im Dunkeln. Ist es rechtlich zulässig, dass es einem Kunden mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem seine (Haus‑)Bank ihren Sitz hat, in vielen Fällen praktisch unmöglich ist, ein Darlehen von dieser Bank zu erhalten? Darf ein Versicherer einem potenziellen Kunden, der seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, die Gewährung von Versicherungsschutz verweigern? Mindestens für den Laien sind derartige Situationen kaum mit dem Ziel der Schaffung eines Binnenmarkts vereinbar. Während manche solche Praktiken für mit dem Konzept eines Binnenmarkts, „in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist“ ( 4 ), unvereinbar halten, würden andere auf einen vermeintlichen grundlegenden Unterschied zwischen dem Handeln von staatlichen Rechtsträgern und Privatrechtssubjekten sowie auf den Umstand hinweisen, dass nach dem Grundansatz das Handeln von staatlichen Rechtsträgern jedenfalls im Ausgangspunkt von den Grundfreiheiten bestimmt sein müsse, während das Handeln von Privatrechtssubjekten den Bestimmungen des Wettbewerbsrechts unterliege. Der Rest wäre „dem Markt“ selbst überlassen.

3.

Mit den vorliegenden Schlussanträgen kann und soll keine Antwort auf diese grundlegende Streitfrage gegeben werden ( 5 ). Bleibt hier lediglich festzuhalten, dass „der Markt“ in einer Reihe von Fällen unter Beteiligung von „gleichgeordneten“ Privatrechtssubjekten eindeutig keine Lösung hervorgebracht hat, weshalb der Unionsgesetzgeber tätig geworden ist und die Privatautonomie eingeschränkt hat ( 6 ). Ein in diesem Bereich herausragendes Beispiel ist die unionsweite Regelung von Roaming-Gebühren ( 7 ). Hier hat der Unionsgesetzgeber tatsächlich in das Rechtsverhältnis zwischen Privatrechtssubjekten – die in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander stehen: nämlich Telekommunikationsunternehmen einerseits und Verbrauchern andererseits – eingegriffen und klassische Instrumente des Binnenmarkts wie etwa das Diskriminierungsverbot auf Sachverhalte angewendet, die durch gleichgeordnete Rechtssubjekte charakterisiert sind ( 8 ).

4.

Als ein weiteres Beispiel für ein Eingreifen des Unionsgesetzgebers ist die vorliegende Rechtssache anzusehen: der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr in der Union. Zu diesem Zweck hat der Rat unmittelbar vor der Einführung der Euro-Banknoten und Euro-Münzen als gesetzliche Zahlungsmittel ( 9 ) am 29. Dezember 2001 eine Verordnung über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro erlassen: die Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 ( 10 ), aufgehoben durch die Verordnung (EG) Nr. 924/2009 ( 11 ). Danach hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro ( 12 ) erlassen. Die Auslegung genau letzterer Verordnung ist Gegenstand der vorliegenden Rechtssache.

5.

Der Oberste Gerichtshof möchte geklärt wissen, ob das deutsche Eisenbahnverkehrsunternehmen Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (im Folgenden: Deutsche Bahn) Kundenzahlungen im Lastschriftverfahren von einem Wohnsitz des Kunden in Deutschland abhängig machen darf.

6.

In den vorliegenden Schlussanträgen vertrete ich den Standpunkt, dass diese Frage zu verneinen ist. Mein Hauptargument kann wie folgt zusammengefasst werden: Ein Unternehmen ist nicht verpflichtet, seinen Kunden eine Bezahlung im Lastschriftverfahren anzubieten. Wird diese Möglichkeit jedoch eingeräumt, muss dies diskriminierungsfrei geschehen.

Rechtlicher Rahmen

7.

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Verordnung Nr. 260/2012 lautet:

„(1)   In dieser Verordnung werden Vorschriften für auf Euro lautende Überweisungen und Lastschriften innerhalb der Union festgelegt, bei denen entweder der Zahlungsdienstleister des Zahlers und der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers oder der einzige am Zahlungsvorgang beteiligte Zahlungsdienstleister auf dem Gebiet der Union ansässig ist.

(2)   Diese Verordnung gilt nicht für

a)

Zahlungsvorgänge, die von Zahlungsdienstleistern intern und untereinander, auch durch ihre Agenten oder Zweigniederlassungen, auf eigene Rechnung ausgeführt werden;

b)

Zahlungsvorgänge, die über Großbetragszahlungssysteme verarbeitet und abgewickelt werden, ausgenommen Zahlungen per Lastschrift, deren Abwicklung über Großbetragszahlungssysteme der Zahler nicht ausdrücklich verlangt hat;

c)

Zahlungen mit Zahlungskarten oder einem ähnlichen Instrument, einschließlich Barabhebungen, sofern die Zahlungskarte oder ein ähnliches Instrument nicht nur genutzt wird, um die erforderlichen Informationen zu erzeugen, die erforderlich sind, um direkt eine Überweisung oder eine Lastschrift zugunsten und zulasten eines durch BBAN oder IBAN identifizierten Zahlungskontos vorzunehmen;

d)

Zahlungsvorgänge, die über Telekommunikations‑, digitale oder IT‑Geräte abgewickelt werden, sofern solche Zahlungen nicht zu einer Überweisung oder Lastschrift zugunsten und zulasten eines durch BBAN oder IBAN identifizierten Zahlungskontos führen;

e)

Finanztransfers gemäß der Definition in Artikel 4 Nummer 13 der Richtlinie 2007/64/EG[ ( 13 )];

f)

Zahlungsvorgänge, bei denen E‑Geld gemäß der Definition in Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E‑Geld‑Instituten übermittelt wird[ ( 14 )], sofern solche Vorgänge nicht zu einer Überweisung oder einer Lastschrift zugunsten und zulasten eines durch BBAN oder IBAN identifizierten Zahlungskontos führen.

(3)   Wenn Zahlungsmethoden auf Zahlungen in Form von Überweisungen oder Lastschriften basieren, aber zusätzliche optionale Merkmale oder Dienstleistungen aufweisen, gelten die Bestimmungen dieser Verordnung nur für die zugrunde liegende Überweisung oder Lastschrift.“

8.

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 260/2012 sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

1.

‚Überweisung‘ einen vom Zahler ausgelösten inländischen oder grenzüberschreitenden Zahlungsdienst zum Zwecke der Erteilung einer Gutschrift auf das Zahlungskonto des Zahlungsempfängers zulasten des Zahlungskontos des Zahlers, in Ausführung eines oder mehrerer Zahlungsvorgänge durch den Zahlungsdienstleister, der das Zahlungskonto des Zahlers führt;

2.

‚Lastschrift‘ einen vom Zahlungsempfänger ausgelösten inländischen oder grenzüberschreitenden Zahlungsdienst zur Belastung des Zahlungskontos des Zahlers aufgrund der Zustimmung des Zahlers zu einem Zahlungsvorgang;

3.

‚Zahler‘ eine natürliche oder juristische Person, die Inhaber eines Zahlungskontos ist und einen Zahlungsauftrag von diesem Zahlungskonto gestattet, oder, falls kein Zahlungskonto eines Zahlers existiert, eine natürliche oder juristische Person, die einen Zahlungsauftrag auf ein Zahlungskonto eines Zahlungsempfängers erteilt;

4.

‚Zahlungsempfänger‘ eine natürliche oder juristische Person, die Inhaber eines Zahlungskontos ist und die den bei einem Zahlungsvorgang transferierten Geldbetrag als Empfänger erhalten soll;

5.

‚Zahlungskonto‘ ein auf den Namen eines oder mehrerer Zahlungsdienstnutzer lautendes Konto, das für die Ausführung von Zahlungsvorgängen genutzt wird;

21.

‚Mandat‘ die Erteilung der Zustimmung und Autorisierung des Zahlers gegenüber dem Zahlungsempfänger und (direkt oder indirekt über den Zahlungsempfänger) gegenüber dem Zahlungsdienstleister des Zahlers, dass der Zahlungsempfänger den Einzug für die Belastung des angegebenen Zahlungskontos des Zahlers auslösen und der Zahlungsdienstleister des Zahlers solchen Anweisungen Folge leisten darf;

26.

‚grenzüberschreitende Zahlung‘ einen Zahlungsvorgang, der von einem Zahler oder von einem Zahlungsempfänger ausgelöst wird und bei dem der Zahlungsdienstleister des Zahlers und der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sind;

27.

‚Inlandszahlung‘ einen Zahlungsvorgang, der von einem Zahler oder einem Zahlungsempfänger ausgelöst wird und bei dem der Zahlungsdienstleister des Zahlers und der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers im selben Mitgliedstaat ansässig sind;

…“

9.

Art. 3 („Erreichbarkeit“) der Verordnung Nr. 260/2012 enthält folgende Regelungen:

„(1)   Ein Zahlungsdienstleister eines Zahlungsempfängers, der für eine Inlandsüberweisung gemäß einem Zahlverfahren erreichbar ist, muss in Einklang mit den Bestimmungen eines unionsweiten Zahlverfahrens auch für Überweisungen erreichbar sein, die von einem Zahler über einen in einem beliebigen Mitgliedstaat ansässigen Zahlungs-dienstleister ausgelöst werden.

(2)   Ein Zahlungsdienstleister eines Zahlers, der für eine Inlandslastschrift gemäß einem Zahlverfahren erreichbar ist, muss im Einklang mit den Bestimmungen eines unionsweiten Zahlverfahrens auch für Lastschriften erreichbar sein, die von einem Zahlungsempfänger über einen in einem beliebigen Mitgliedstaat ansässigen Zahlungsdienstleister veranlasst werden.

(3)   Absatz 2 gilt nur für Lastschriften, die für die Verbraucher als Zahler nach dem Zahlverfahren verfügbar sind.“

10.

Art. 9 („Zugänglichkeit von Zahlungen“) der Verordnung Nr. 260/2012 lautet:

„(1)   Ein Zahler, der eine Überweisung an einen Zahlungsempfänger vornimmt, der Inhaber eines Zahlungskontos innerhalb der Union ist, gibt nicht vor, in welchem Mitgliedstaat dieses Zahlungskonto zu führen ist, sofern das Zahlungskonto gemäß Artikel 3 erreichbar ist.

(2)   Ein Zahlungsempfänger, der eine Überweisung annimmt oder eine Lastschrift verwendet, um Geldbeträge von einem Zahler einzuziehen, der Inhaber eines Zahlungskontos innerhalb der Union ist, gibt nicht vor, in welchem Mitgliedstaat dieses Zahlungskonto zu führen ist, sofern das Zahlungskonto gemäß Artikel 3 erreichbar ist.“

11.

Art. 77 („Verlangen der Erstattung eines von einem oder über einen Zahlungsempfänger ausgelösten Zahlungsvorgangs“) der Richtlinie (EU) 2015/2366 ( 15 ) bestimmt in seinem Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Zahler die Erstattung eines autorisierten und von einem oder über einen Zahlungsempfänger ausgelösten Zahlungsvorgangs nach Artikel 76 innerhalb von acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Belastung des betreffenden Geldbetrags verlangen kann.“

12.

Die Verordnung (EU) 2018/302 ( 16 ), die seit dem 3. Dezember 2018 in Kraft ist, sieht in ihrem Art. 5 („Nichtdiskriminierung aus Gründen, die im Zusammenhang mit der Zahlung stehen“) vor:

„(1)   Einem Anbieter ist es untersagt, im Rahmen der von ihm akzeptierten Zahlungsmethoden aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden, des Standorts des Zahlungskontos, des Ortes der Niederlassung des Zahlungsdienstleisters oder des Ausstellungsorts des Zahlungs-instruments innerhalb der Union unterschiedliche Bedingungen für einen Zahlungsvorgang anzuwenden, sofern:

a)

der Zahlungsvorgang über eine elektronische Transaktion durch Überweisung, Lastschrift oder ein kartengebundenes Zahlungsinstrument innerhalb derselben Zahlungsmarke und Zahlungskategorie erfolgt;

b)

die Authentifizierungsanforderungen gemäß der Richtlinie (EU) 2015/2366 erfüllt sind, und

c)

die Zahlungsvorgänge in einer Währung erfolgen, die der Anbieter akzeptiert.

(2)   Soweit durch objektive Gründe gerechtfertigt, ist es dem Anbieter durch das Verbot nach Absatz 1 nicht untersagt, die Waren oder die Dienstleistung zurückzuhalten, bis er eine Bestätigung erhalten hat, dass der Zahlungsvorgang ordnungsgemäß eingeleitet wurde.

(3)   Dem Anbieter ist es durch das Verbot nach Absatz 1 nicht untersagt, Entgelte für die Nutzung von kartengebundenen Zahlungsinstrumenten zu erheben, deren Interbankenentgelte nicht durch Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751[ ( 17 )] festgelegt werden, sowie für Zahlungsdienste, auf die die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 nicht anwendbar ist, es sei denn, das Verbot oder die Einschränkung des Rechts, Entgelte für die Verwendung von Zahlungsinstrumenten gemäß Artikel 62 Absatz 5 der Richtlinie (EU) 2015/2366 zu erheben, wurde in das Recht des Mitgliedstaats eingeführt, dem die Tätigkeit des Anbieters unterliegt. Diese Entgelte dürfen nicht höher sein als die unmittelbaren Kosten, die dem Anbieter für die Nutzung des betreffenden Zahlungsinstruments entstehen.“

Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

13.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens, der Verein für Konsumenteninformation, ist nach österreichischem Recht befugt, Konsumentenschutzklagen zu erheben.

14.

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Deutsche Bahn, ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Sitz in Deutschland, das u. a. österreichischen Kunden die Online-Buchung von Bahnfahrten anbietet. Zu diesem Zweck schließt sie Verträge mit Verbrauchern auf Grundlage ihrer Beförderungsbedingungen. Diese Bedingungen enthalten eine Klausel, wonach über das Internet getätigte Buchungen insbesondere per Kreditkarte, Sofort-Überweisung oder SEPA-Lastschriftverfahren bezahlt werden können, wobei das letztere Verfahren Kunden mit einem Wohnsitz in Deutschland vorbehalten ist. Außerdem ist für die Freischaltung zum SEPA-Lastschriftverfahren die Einwilligung zu einer Bonitätsprüfung im Anmeldeablauf erforderlich.

15.

Der Verein für Konsumenteninformation erhob Klage vor dem Handelsgericht Wien (Österreich) mit dem Antrag, die Deutsche Bahn zu verpflichten, die Verwendung der betreffenden Klausel in Verbraucherverträgen zu unterlassen, da diese Klausel gegen Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 verstoße. Denn ein Verbraucher unterhalte sein Zahlungskonto regelmäßig bei einer Bank mit Sitz in dem Mitgliedstaat seines Wohnsitzes.

16.

Mit Urteil vom 13. Juli 2016 hat das Handelsgericht Wien der Klage des Vereins für Konsumenteninformation bezogen auf Verbraucher mit Wohnsitz in Österreich mit der Begründung stattgegeben, dass die umstrittene Klausel gegen Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 verstoße.

17.

Im Rechtsmittelverfahren hat das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 14. März 2017 das zuvor erwähnte Urteil aufgehoben und die Klage des Vereins für Konsumenteninformation mit der Begründung abgewiesen, dass die Verordnung Nr. 260/2012 zwar in ihrem Art. 9 Abs. 2 vorsehe, dass Zahler und Zahlungsempfänger für inländische wie auch grenzüberschreitende Zahlungen mittels der SEPA-Zahlungsinstrumente nur mehr ein einziges Bankkonto benötigten, aber Zahlungsempfänger nicht verpflichte, bestimmte SEPA-Zahlungsinstrumente im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in jedem Fall zu akzeptieren.

18.

Auf die Revision des Vereins für Konsumenteninformation gegen dieses Urteil hat der Oberste Gerichtshof den Standpunkt vertreten, Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 verbiete Zahlern und Zahlungsempfängern die Vorgabe, in welchem Mitgliedstaat das Konto des Gegenparts zu führen sei, und richte sich nicht an Zahlungsdienstleister. Geregelt werde insoweit vielmehr das privatrechtliche (Zahlungs‑)Verhältnis zwischen Zahlern und Zahlungsempfängern, die hierdurch geschützt würden. Zwar verbiete diese Bestimmung bei wörtlicher Auslegung lediglich, den Ort des Zahlungskontos des Zahlers als Kriterium heranzuziehen, doch könne sich die Anforderung, dass ein mit Lastschrift zahlender Zahler seinen Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat wie der Zahlungsempfänger haben müsse, auf diese Bestimmung auswirken, da sich das Zahlungskonto des Zahlers in der Regel in dem Staat befinde, in dem der Zahler seinen Wohnsitz habe.

19.

Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof das Verfahren mit Beschluss vom 20. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Januar 2018, ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 dahin auszulegen, dass dem Zahlungsempfänger verboten wird, die Zahlung im SEPA-Lastschriftverfahren vom Wohnsitz des Zahlers in dem Mitgliedstaat abhängig zu machen, in dem auch der Zahlungsempfänger seinen (Wohn‑)Sitz hat, wenn die Zahlung auch auf andere Art wie zum Beispiel mit Kreditkarte zugelassen wird?

20.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht, und sie alle haben in der Sitzung vom 30. Januar 2019 mündliche Erklärungen abgegeben.

Würdigung

21.

Das vorlegende Gericht möchte geklärt wissen, ob Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 zutreffend dahin auszulegen ist, dass dem Zahlungsempfänger verboten wird, die Zahlung im SEPA-Lastschriftverfahren davon abhängig zu machen, dass der Zahler seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem auch der Zahlungsempfänger seinen (Wohn‑)Sitz hat.

22.

Der Verein für Konsumenteninformation ist der Auffassung, dass Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 es dem Zahlungsempfänger verbiete, die Annahme von Zahlungen im SEPA-Lastschriftverfahren von der Bedingung abhängig zu machen, dass der Zahler seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem auch der Zahlungsempfänger seinen eingetragenen Sitz oder Wohnsitz hat, selbst wenn auch andere Zahlungsmethoden, z. B. mit Kreditkarte, akzeptiert werden. Die Kommission teilt diese Auffassung.

23.

Die Deutsche Bahn ist gegenteiliger Ansicht. Sie macht geltend, dass Art. 9 Abs. 2 dieser Verordnung zwar für das Rechtsverhältnis zwischen dem Zahler und dem Zahlungsempfänger gelte, aber weder eine Verpflichtung des Zahlungsempfängers begründe, eine Zahlung im Lastschriftverfahren anzubieten, noch ein Verbot, dem Zahler die Erfüllung sonstiger Voraussetzungen vorzuschreiben, um von der Möglichkeit einer Lastschrift Gebrauch machen zu können. Insbesondere schreibe diese Bestimmung es einem Zahlungsempfänger, der eine Bezahlung im Lastschriftverfahren anbieten wolle, nicht vor, diese Möglichkeit entweder allen seinen Kunden oder überhaupt nicht anzubieten. Aus der Bestimmung gehe vielmehr eindeutig hervor, dass die Nutzung des Lastschriftverfahrens eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien erfordere. Nur in diesem Fall sei es einem Zahlungsempfänger verboten, vorzuschreiben, dass sich das für die Lastschrift verwendete Zahlungskonto in einem bestimmten Mitgliedstaat befinden müsse.

Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 – Verpflichtungen des Zahlungsempfängers

24.

Nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 gilt: „Ein Zahlungsempfänger, der eine Überweisung annimmt oder eine Lastschrift verwendet, um Geldbeträge von einem Zahler einzuziehen, der Inhaber eines Zahlungskontos innerhalb der Union ist, gibt nicht vor, in welchem Mitgliedstaat dieses Zahlungskonto zu führen ist, sofern das Zahlungskonto gemäß Artikel 3 [dieser Verordnung] erreichbar ist.“

25.

Die wichtigsten in dieser Bestimmung enthaltenen Begriffe sind in Art. 2 derselben Verordnung legaldefiniert. Demnach bezeichnet eine Überweisung einen auf Aufforderung des Zahlers ausgelösten Zahlungsdienst zur Erteilung einer Gutschrift auf das Zahlungskonto des Zahlungsempfängers zulasten des Zahlungskontos des Zahlers in Ausführung eines oder mehrerer Zahlungsvorgänge durch den Zahlungsdienstleister, der das Zahlungskonto des Zahlers führt ( 18 ). Eine Lastschrift wiederum bezeichnet einen vom Zahlungsempfänger ausgelösten inländischen oder grenzüberschreitenden Zahlungsdienst zur Belastung des Zahlungskontos des Zahlers aufgrund der Zustimmung des Zahlers zu einem Zahlungsvorgang.

26.

Es ließe sich argumentieren, dass die Deutsche Bahn allein am Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 gemessen nicht rechtswidrig gehandelt habe. Tatsächlich schreibt die Deutsche Bahn den Kunden, die das Lastschriftverfahren nutzen möchten, nicht vor, ihr Zahlungskonto in einem bestimmten Mitgliedstaat zu unterhalten.

27.

So einfach ist die Angelegenheit allerdings nicht. Wie ich im Folgenden ausführen werde, gibt es sehr überzeugende Argumente, die aus dem Zusammenhang und den Zielen der hier in Rede stehenden Verordnung hergeleitet werden können ( 19 ) und die eine andere Auslegung des Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 nahelegen.

28.

Die Verordnung Nr. 260/2012 wurde als Teil des Projekts zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Zahlungsraums (single european payment area – SEPA) erlassen, mit dem gemeinsame unionsweite Zahlungsdienste entwickelt werden sollten, die die derzeitigen inländischen Zahlungsdienste für auf Euro lautende Zahlungen ersetzen. Um eine vollständige Umstellung auf unionsweite Überweisungen und Lastschriften in Euro sicherzustellen, sieht die Verordnung technische Vorschriften und Geschäftsanforderungen zur Schaffung eines integrierten Markts für elektronische Zahlungen „ohne Unterscheidung zwischen Inlandszahlungen und grenzüberschreitenden Zahlungen“ vor ( 20 ). Diese Anforderungen sollten „unabhängig vom Standort in der Union“ für inländische und grenzüberschreitende SEPA-Zahlungen unter den gleichen grundlegenden Bedingungen, Rechten und Pflichten gelten ( 21 ).

29.

Obwohl der Hauptzweck der Verordnung Nr. 260/2012 darin besteht, technische Vorschriften und Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften zur Schaffung von gemeinsamen unionsweiten Zahlungsdiensten festzulegen, weshalb sie in erster Linie Zahlungsempfänger betrifft, berücksichtigt die Verordnung doch auch die Zahler, d. h. konkret – und in gewissem Umfang – auch das Rechtsverhältnis zwischen Zahlungsempfängern und Zahlern. In dieser Hinsicht ist Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012, der innerhalb der Systematik der Verordnung so etwas wie ein aliud darstellt, konkret auf dieses Rechtsverhältnis zwischen Zahlungsempfängern und Zahlern anwendbar ( 22 ). In diesem Zusammenhang wird in den Erwägungsgründen der Verordnung die Bedeutung eines hohen Maßes an Schutz für die Zahler, insbesondere bei Lastschriften, hervorgehoben ( 23 ).

30.

Es ist eine Tatsache, dass in der Union in der ganz überwiegenden Mehrheit der Fälle der Wohnsitz einer Person dem Ort entspricht, an dem sie auch ihr Zahlungskonto unterhält. Dies dürfte offenbar derart unzweifelhaft sein, dass es keines weiteren Beweises bedarf. Die Anforderung an einen Zahler, in einem bestimmten Mitgliedstaat wohnhaft zu sein, ist daher gleichbedeutend mit der Vorgabe, in welchem Mitgliedstaat ein Zahlungskonto unterhalten werden muss. Wie der Verein für Konsumenteninformation außerdem zu Recht hervorhebt, führt die Verpflichtung des Verbrauchers als Voraussetzung für die Zahlung mittels Lastschrift, er müsse einen Wohnsitz in Deutschland begründen, zu einer noch schwerwiegenderen Auflage als es die (bloße) Eröffnung eines Zahlungskontos in Deutschland wäre.

31.

Die von der Deutschen Bahn geübte Praxis ist daher offenbar nicht mit Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 vereinbar.

32.

Dennoch beruft sich die Deutsche Bahn auf zwei Argumente, um ihre Praxis zu rechtfertigen. Erstens macht das Unternehmen geltend, die Bestimmungen und der Zweck der Verordnung 2018/302 müssten berücksichtigt werden. Zweitens erachtet die Deutsche Bahn ihre Praxis aufgrund der von ihr behaupteten Notwendigkeit der Durchführung von Bonitätsprüfungen als gerechtfertigt. Ich gehe auf diese beiden Argumente nacheinander ein.

Verordnung 2018/302

33.

Die Deutsche Bahn ist sich durchaus der Tatsache bewusst, dass die Verordnung 2018/302 in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar ist.

34.

Diese Verordnung ist seit dem 3. Dezember 2018 in Kraft ( 24 ) und ist daher nach ihrem zeitlichen Anwendungsbereich nicht auf die vorliegende Rechtssache anwendbar. Auch in sachlicher Hinsicht ist sie angesichts dessen, dass sie in Folge des Art. 1 Abs. 3 derselben Verordnung in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 keine Beförderungsleistungen umfasst, nicht anwendbar. Ferner wird im neunten Erwägungsgrund der Verordnung 2018/302 anerkannt, dass Diskriminierung auch im Zusammenhang mit Verkehrsdienstleistungen auftreten kann, insbesondere beim Verkauf von Dokumenten für die Beförderung von Fahr-/Fluggästen. Der besagte Erwägungsgrund verweist diesbezüglich auf vier den Verkehrssektor betreffende Verordnungen, von denen drei Bestimmungen enthalten, die ausdrücklich eine Diskriminierung aufgrund der Nationalität oder des Wohnsitzes verbieten, soweit es um den Zugang zu Beförderungsleistungen geht: die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 ( 25 ), die Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 ( 26 ) und die Verordnung (EU) Nr. 181/2011 ( 27 ). Was die vierte Verordnung angeht, nämlich die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 ( 28 ), die sich mit den Rechten und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr befasst, heißt es im neunten Erwägungsgrund der Verordnung 2018/302, dass „beabsichtigt [wird], die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 … in naher Zukunft entsprechend zu ändern“.

35.

Die Deutsche Bahn ist jedoch der Auffassung, dass die Verordnung 2018/302 bei der Auslegung von Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 zu berücksichtigen ist, um Widersprüche und Inkonsistenzen bei der Anwendung von sekundärem Unionsrecht zu vermeiden.

36.

Diesbezüglich macht die Deutsche Bahn geltend, dass Art. 5 der Verordnung 2018/302 detaillierte Vorgaben dazu enthalte, ob und unter welchen Umständen eine Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzes zulässig sei. Nach Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung ist es einem Anbieter untersagt, im Rahmen der von ihm akzeptierten Zahlungsmethoden u. a. ( 29 ) aufgrund des Wohnsitzes des Kunden unterschiedliche Bedingungen für einen Zahlungsvorgang anzuwenden, sofern der Zahlungsvorgang über eine elektronische Transaktion durch Überweisung, Lastschrift oder ein kartengebundenes Zahlungsinstrument innerhalb derselben Zahlungsmarke und Zahlungskategorie ( 30 ) erfolgt und die Authentifizierungsanforderungen gemäß der Richtlinie 2015/2366 erfüllt sind ( 31 ). Die Deutsche Bahn macht geltend, dass genau diese Authentifizierungsanforderungen ( 32 ) in der vorliegenden Rechtssache nicht erfüllt seien, weshalb eine Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzes möglich sei.

37.

Nach Ansicht der Deutschen Bahn wäre auch eine Diskriminierung nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 zulässig, da eine Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzes in der vorliegenden Rechtssache – die Anwendbarkeit der Verordnung 2018/302 hier einmal hypothetisch angenommen – nach Art. 5 der letzteren Verordnung in Betracht käme. Der Gerichtshof müsse Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 daher so auslegen, dass eine Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzes gestattet sei.

38.

Der Verweis auf die Verordnung 2018/302 – und die etwaige Ableitung negativer Analogien hiervon – im Zusammenhang mit der vorliegenden Rechtssache überzeugt mich nicht ( 33 ).

39.

Die Verordnung 2018/302 ist ein Beispiel für einen Fall, in dem der Unionsgesetzgeber die Kriterien für die Festlegung der Bedingungen, unter denen eine Ungleichbehandlung aufgrund des Wohnsitzes eines Zahlers verboten ist (oder, anders ausgedrückt, wann eine solche Ungleichbehandlung zulässig ist), konkreter geregelt hat. Ein solcher Maßstab gilt im Anwendungsbereich der Verordnung 2018/302, aber eben auch nur im Rahmen der besagten Verordnung. Er ist an die Besonderheiten des Geoblocking geknüpft, die sich vollständig von denen der Bezahlung mittels Lastschrift unterscheiden. Sollte der Unionsgesetzgeber den Wunsch haben, dieselben Maßstäbe an Zahlungen mittels SEPA-Lastschrift im Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 260/2012 anzulegen, stünde ihm dies frei. Mangels einer eindeutigen Bezugnahme in dieser Verordnung auf sonstige Regelwerke wie etwa die Verordnung 2018/302 bereitet es mir jedoch Schwierigkeiten, Begriffe „regelwerkübergreifend nutzbar zu machen“, und zwar umso mehr, als wir es hier mit einer durch Gleichordnung gekennzeichneten Rechtsbeziehung zwischen zwei Privatrechtssubjekten zu tun haben. In einer solchen Situation liegt der Gedanke, dass der Unionsgesetzgeber bereits sämtliche Interessen berücksichtigt und miteinander zum Ausgleich gebracht hat, umso näher, und es gibt keinen Grund, dies in Frage zu stellen.

40.

Im Ergebnis sollte die Verordnung 2018/302 daher nicht wie von der Deutschen Bahn geltend gemacht bei der Auslegung des Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 herangezogen werden. Die Verweisungen auf die Verordnung 2018/302 und die angeblichen Analogien sind eher verwirrend, als dass sie überzeugen können.

Zu den Ausnahmen von den Verpflichtungen des Zahlungsempfängers

41.

Abschließend wende ich mich der Frage zu, ob die durch Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 ausgeschlossene Beschränkung der Zahlungsfreiheit möglicherweise gerechtfertigt sein könnte, d. h., ob es einem Unternehmen anders ausgedrückt gestattet ist, von den Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 abzuweichen.

42.

Die Deutsche Bahn weist im Zusammenhang mit Zahlungen mittels Lastschrift auf die Gefahr des Missbrauchs und des Forderungsausfalls hin. Diese Gefahr sei dann hoch, wenn das SEPA-Mandat wie im Ausgangsverfahren unmittelbar vom Kunden gegenüber dem Zahlungsempfänger erteilt werde, ohne dass die Zahlungsdienstanbieter des Kunden oder des Zahlungsempfängers hieran beteiligt seien. Bei anderen Zahlungsmethoden lasse der Zahlungsdienstanbieter die Zahlung des Kunden nämlich nur dann zu, wenn von einer positiven Zahlungsprognose ausgegangen werden könne. Dagegen müsse der Zahlungsempfänger im Fall der Bezahlung mittels Lastschrift die Gefahr der Nichtzahlung durch den Kunden selbst beurteilen. Denn zunächst einmal erfülle der Zahlungsempfänger seine Verpflichtungen, indem er den Fahrschein ausstelle. Folglich trage der Zahlungsempfänger das Risiko der Nichtzahlung durch den Zahler.

43.

Die Deutsche Bahn erachtet es daher als notwendig, Bonitätsprüfungen durchführen zu können. Anbieter solcher Dienste erbrächten diese allerdings in der Regel nur auf einzelstaatlicher Ebene. Es sei schlicht nicht möglich, eine angemessene Bonitätsprüfung in allen Ländern innerhalb des einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrsraums zu gleichen Bedingungen durchzuführen. Eine Bonitätsprüfung für Kunden mit Wohnsitz in Österreich sei um das 15‑Fache teurer als für Kunden mit Wohnsitz in Deutschland. Der Zahlungsempfänger hätte einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufwand, wenn er die eigenen Verrechnungssysteme und Schnittstellen in der Weise anpassen müsste, dass er Bonitätsprüfungen im gesamten SEPA-Raum durchführen könnte. Angesichts dieser Kosten wäre das Lastschriftverfahren häufig schlicht unwirtschaftlich und könnte nicht mehr angeboten werden. Das könne der Unionsgesetzgeber nicht gewollt haben.

44.

Die Deutsche Bahn macht weiterhin geltend, dass die Einbeziehung von Bonitätsprüfungen in eine vom Anbieter selbst organisierte Zahlungsmethode für einige Zahlungsempfänger nicht innerhalb des SEPA-Raums machbar und in vielen Mitgliedstaaten nicht zu wirtschaftlich angemessenen Konditionen möglich sei. Es gebe keine Anbieter, die im gesamten SEPA-Raum Bonitätsinformationen zur Verfügung stellten. In einigen dem SEPA-Raum angehörenden Mitgliedstaaten sei es nicht möglich, überhaupt oder auch nur partiell Bonitätsinformationen über Kunden zu erhalten. Der Zahlungs-empfänger sei daher nicht in der Lage, das im Zusammenhang mit SEPA-Lastschriften bestehende Forderungsausfallrisiko in Bezug auf die betreffenden Kunden angemessen zu reduzieren, und wenn die Verpflichtung bestünde, in diesen Ländern wohnhaften bzw. ansässigen Kunden eine Bezahlung mittels Lastschrift anzubieten, würde der Zahlungsempfänger sehenden Auges einem unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt. Aufgrund unterschiedlicher Zahlungsgewohnheiten und/oder Kundenerwartungen in verschiedenen Ländern des SEPA-Raums würden sich die Kosten der Beschaffung von Bonitätsinformationen über Kunden erheblich unterscheiden, so dass es in einem bestimmten Mitgliedstaat unwirtschaftlich sein könne, Lastschriften gegenüber sonstigen weniger teuren Zahlungsmethoden zu bevorzugen.

45.

Wenn ich auch die von der Deutschen Bahn vorgetragenen wirtschaftlichen Argumente verstehe, kann ich ihnen von rechtlicher Warte aus betrachtet nicht zustimmen.

46.

Weder Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 noch eine sonstige Bestimmung dieser Verordnung können hier als Rechtfertigung dienen. Mögliche Rechtfertigungen in den Wortlaut dieser Verordnung (vermutlich sogar gegen den mutmaßlichen Willen des Unionsgesetzgebers, der sich sonst dieser Angelegenheit angenommen hätte) hinein zu lesen, ist kein Vorgehen, dass ich dem Gerichtshof empfehlen möchte.

47.

Ich bin mir der verschiedenen Interessen, die im Verhältnis zwischen Zahlern und Zahlungsempfängern bei Zahlungen mittels Lastschrift von Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 zum Ausgleich gebracht werden müssen, durchaus bewusst. Von welcher Seite aus man diese Bestimmung auch betrachtet: Sie sieht keine Ausnahmen vor. Der Unionsgesetzgeber hat damit seine Aufgabe erfüllt – und es steht ihm frei, Bestimmungen zu ändern, wenn diese sich seiner Ansicht nach z. B. als nicht praxistauglich erweisen.

48.

Der Umstand, dass sich in der wirtschaftlichen Praxis kein Binnenmarkt für Informationen über Schuldner und Bonitätsprüfungen herausgebildet hat, stellt als solcher keine Rechtfertigung dafür dar, die hier in Rede stehende Wohnsitzanforderung zu stellen. Außerdem weist diese Begründung eine gefährliche Nähe zu einer rein wirtschaftlichen Argumentation im Zusammenhang mit den vier Grundfreiheiten auf. Der besagten Argumentation kann daher nicht gefolgt werden. Bekanntlich können die Mitgliedstaaten rein wirtschaftliche Argumente nicht als das öffentliche Interesse überwiegende Gründe geltend machen. Zugegebenermaßen stehen bei Sachverhalten mit gleichgeordneten Beteiligten keine öffentlichen Interessen auf dem Spiel – während private Interessen eher wirtschaftlicher Natur sind. Dennoch reicht die bloße Behauptung, es gebe keinen Binnenmarkt für Informationen über Schuldner, nicht aus.

49.

Es trifft zu, dass es Unternehmen als Zahlungsempfänger geben kann, die es aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen bevorzugen, Zahlern nicht die Möglichkeit einer Bezahlung mittels Lastschrift anzubieten. Dies ist nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012 absolut legitim. Denn tatsächlich ist diese Bestimmung nur dann anwendbar, wenn dahin entschieden wurde, Zahlungen mittels Lastschrift anzunehmen. In einer solchen Situation darf es keine Diskriminierung geben. Wenn dies zur Folge hat, dass ein Zahlungsempfänger sich dafür entscheidet, anstatt einer diskriminierenden Bezahlmöglichkeit eine bestimmte Form der Bezahlung überhaupt nicht anzubieten, ist dies eine wirtschaftliche Realität, die man wird akzeptieren müssen.

Ergebnis

50.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Obersten Gerichtshof (Österreich) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Nach zutreffender Auslegung des Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009, geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 248/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014, wird dem Zahlungsempfänger verboten, Zahlungen im SEPA-Lastschriftverfahren davon abhängig zu machen, dass der Zahler seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem auch der Zahlungsempfänger seinen (Wohn‑)Sitz hat.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Vgl. z. B. Art. 20 und 21 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).

( 3 ) Vgl. z. B. Urteil vom 7. Mai 1998, Clean Car Autoservice (C‑350/96, EU:C:1998:205, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 4 ) Vgl. Art. 26 Abs. 2 AEUV.

( 5 ) Die Wahrheit liegt sicherlich irgendwo in der Mitte.

( 6 ) Zur Privatautonomie und zum Unionsrecht, vgl. Leczykiewicz, D., Weatherill, S., „Private Law Relationships in EU Law“, in D. Leczykiewicz, S. Weatherill (Hrsg.), The Involvement of EU Law in Private Law Relationships, Hart Publishing, Oxford and Portland, Oregon, 2013, S. 1 bis 8, dort auf den S. 3 bis 5.

( 7 ) Vgl. Verordnung (EU) Nr. 531/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (ABl. 2012, L 172, S. 10).

( 8 ) Der Unionsgesetzgeber ist bekanntlich auch auf einigen anderen Gebieten des Privatrechts durch den Erlass von Harmonisierungsvorschriften tätig geworden, d. h. in Bezug auf Sachverhalte mit der Sache nach gleichgeordneten Beteiligten (z. B. das Handelsvertreterrecht, die Produkthaftung, das Versicherungswesen und ganz allgemein den Verbraucherschutz). Obwohl das Endziel auch hier die Schaffung eines Binnenmarkts (vgl. hierzu im Einzelnen: Müller-Graff, P.‑C., „Allgemeines Gemeinschaftsprivatrecht“, in M. Gebauer, C. Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (Enzyklopädie Europarecht, Band 6), Nomos, Baden-Baden, 2014, S. 69 bis 151, Rn. 43 ff.) sein mag, sind die eingesetzten Instrumente jedoch verschieden. In diesen Fällen tut der Gesetzgeber mehr, als schlicht die unter Geltung der Grundfreiheiten herangezogenen Konzepte umzusetzen.

( 9 ) 1. Januar 2002.

( 10 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro (ABl. 2001, L 344, S. 13).

( 11 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2001 (ABl. 2009, L 266, S. 11).

( 12 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (ABl. 2012, L 94, S. 22), geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 248/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 (ABl. 2014, L 84, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 260/2012).

( 13 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. 2007, L 319, S. 1).

( 14 ) ABl. 2009, L 267, S. 7.

( 15 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2015, L 337, S. 35).

( 16 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Februar 2018 über Maßnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. 2018, L 601, S. 1.).

( 17 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge (ABl. 2015, L 123, S. 1).

( 18 ) Vgl. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 260/2016.

( 19 ) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, insbesondere deren Entstehungsgeschichte, vgl. z. B. Urteil vom 17. April 2018, Egenberger (C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 20 ) Vgl. erster Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 260/2012.

( 21 ) Vgl. erster Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 260/2012.

( 22 ) Ein deutsches Oberlandesgericht hat diese Bestimmung sogar als eine den Schutz der Verbraucher bezweckende Bestimmung („Verbraucherschutzgesetz“) bezeichnet. Vgl. Oberlandesgericht Karlsruhe, 20. April 2018, 4 U 120/17, Rn. 10 ff., MultiMedia und Recht (MMR), 2018, S. 611.

( 23 ) Vgl. 32. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 260/2012, in dem von „ein[em] hohe[n] Maß an Verbraucherschutz“ die Rede ist.

( 24 ) Vgl. Art. 11 Abs. 1 der Verordnung 2018/302.

( 25 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. 2008, L 293, S. 3). Vgl. Art. 23 Abs. 2: „Unbeschadet des Artikels 16 Absatz 1 wird der Zugang zu den der Öffentlichkeit zugänglichen Flugpreisen und Luftfrachtraten für Flugdienste von einem Flughafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, auf das der Vertrag Anwendung findet, ohne Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnorts des Kunden oder des Niederlassungsorts des Bevollmächtigten des Luftfahrtunternehmens oder sonstiger Flugscheinverkäufer innerhalb der Gemeinschaft gewährt.“ Hervorhebung nur hier.

( 26 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. 2010, L 334, S. 1). Vgl. Art. 4 Abs. 2: „Unbeschadet von Sozialtarifen werden die von Beförderern oder Fahrscheinverkäufern angewandten Vertragsbedingungen und Tarife der Allgemeinheit ohne jegliche unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit des Endkunden oder des Ortes der Niederlassung des Beförderers oder Fahrscheinverkäufers in der Union angeboten.“

( 27 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. 2011, L 55, S. 1). Vgl. Art. 4 Abs. 2: „Unbeschadet der Sozialtarife werden die von Beförderern angewandten Vertragsbedingungen und Tarife der Allgemeinheit ohne jegliche unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit des Endkunden oder des Ortes der Niederlassung des Beförderers oder Fahrscheinverkäufers in der Union angeboten.“

( 28 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. 2007, L 315, S. 14).

( 29 ) Außer aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Ortes der Niederlassung, des Standorts des Zahlungskontos, des Ortes der Niederlassung des Zahlungsdienstleisters oder des Ausstellungsorts des Zahlungsinstruments innerhalb der Union.

( 30 ) Buchst. a.

( 31 ) Buchst. b. Und wenn die Zahlungsvorgänge in einer Währung erfolgen, die der Anbieter akzeptiert (Buchst. c).

( 32 ) Vgl. Art. 97 der Richtlinie 2015/2366.

( 33 ) Es ist hervorzuheben, dass der Gerichtshof den in der mündlichen Verhandlung anwesenden Beteiligten ergänzend zu den schriftlichen Erklärungen der Deutschen Bahn gemäß Art. 61 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung Gelegenheit gegeben hat, sich zu der möglichen Relevanz der Verordnung 2018/302 zu äußern. Ich für meinen Teil habe die mündliche Verhandlung mit der Überzeugung verlassen, dass die besagte Verordnung in der vorliegenden Rechtssache nicht herangezogen werden sollte.