URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

18. September 2019 ( *1 )

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 258 AEUV – Richtlinie 2004/18/EG – Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge – Öffentliche Baukonzessionen – Verlängerung der Dauer einer bestehenden Konzession für den Bau und den Betrieb einer Autobahn ohne Veröffentlichung einer Ausschreibung“

In der Rechtssache C‑526/17

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 4. September 2017,

Europäische Kommission, vertreten durch G. Gattinara, P. Ondrůšek und A. Tokár als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von V. Nunziata, E. De Bonis und P. Pucciariello, avvocati dello Stato,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász (Berichterstatter), M. Ilešič und I. Jarukaitis,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2018,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. März 2019

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 2 und 58 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1422/2007 der Kommission vom 4. Dezember 2007 (ABl. 2007, L 317, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2004/18) verstoßen hat, dass sie die Konzession für die Autobahn A 12 Livorno–Civitavecchia (Italien) ohne Veröffentlichung einer Ausschreibung vom 31. Oktober 2028 bis zum 31. Dezember 2046 verlängert hat.

Rechtlicher Rahmen

2

Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 definiert „öffentliche Bauaufträge“ als „öffentliche Aufträge über entweder die Ausführung oder gleichzeitig die Planung und die Ausführung von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang I genannten Tätigkeiten oder eines Bauwerks oder die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen“. Nach dieser Bestimmung ist ein „Bauwerk“ das „Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- oder Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll“.

3

Anhang I („Verzeichnis der Tätigkeiten nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b“) dieser Richtlinie enthält den Straßenbau (Klasse 45.23 nach der Statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Union [NACE]), der – als Klasse – den Bau von Autobahnen umfasst.

4

Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 definiert „öffentliche Baukonzessionen“ als „Verträge, die von öffentlichen Bauaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Bauleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht“.

5

Art. 2 („Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen“) der Richtlinie 2004/18 lautet:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor.“

6

Art. 56 der Richtlinie 2004/18 bestimmt, dass die Vorschriften über die öffentlichen Baukonzessionen für alle von öffentlichen Auftraggebern geschlossenen Verträge über öffentliche Baukonzessionen gelten, sofern der Wert dieser Verträge mindestens 5150000 Euro beträgt.

7

Art. 58 der Richtlinie 2004/18 („Veröffentlichung der Bekanntmachung betreffend öffentliche Baukonzessionen“) bestimmt:

„(1)   Ein öffentlicher Auftraggeber, der eine öffentliche Baukonzession vergeben will, teilt seine Absicht in einer Bekanntmachung mit.

(2)   Die Bekanntmachungen betreffend öffentliche Baukonzessionen enthalten die in Anhang VII Teil C aufgeführten Informationen und gegebenenfalls jede andere vom öffentlichen Auftraggeber für sinnvoll erachtete Angabe gemäß den jeweiligen Mustern der Standardformulare, die von der Kommission nach dem in Artikel 77 Absatz 2 genannten Verfahren angenommen werden.

(3)   Die Bekanntmachungen werden gemäß Artikel 36 Absätze 2 bis 8 veröffentlicht.

(4)   Artikel 37 betreffend die Veröffentlichung der Bekanntmachungen gilt auch für öffentliche Baukonzessionen.“

8

Nach Art. 80 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18 hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um dieser Richtlinie spätestens am 31. Januar 2006 nachzukommen.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Konzessionsvertrag von 1969

9

Am 23. Oktober 1969 wurde zwischen der Azienda Nazionale Autonoma delle Strade SpA (ANAS), der für die Vergabe von Autobahnkonzessionen zuständigen öffentlichen Auftraggeberin, und der Società Autostrada Tirrenica SpA (SAT), einer Wirtschaftsteilnehmerin, ein Vertrag über eine öffentliche Baukonzession (im Folgenden: Konzessionsvertrag von 1969) abgeschlossen. Nach Art. 1 des Vertrags ist dessen Ziel der Bau und der Betrieb der Autobahn von Livorno nach Civitavecchia mit einer Gesamtlänge von ungefähr 237 km.

10

Art. 5 des Konzessionsvertrags von 1969 sieht u. a. in seinem Abs. 1 vor, dass der Konzessionär beim Bau der Abschnitte die im allgemeinen Arbeits- und Durchführungsplan festgelegten Fristen einzuhalten hat, und in Abs. 2, dass der Konzessionär den Bau der Abschnitte vorzeitig fertigstellen kann, ohne jedoch einen Anspruch auf eine Vorauszahlung der jeweiligen Gegenleistung zu haben. Nach Art. 5 Abs. 3 muss der Konzessionär nach Genehmigung der Durchführungsvorhaben die Arbeiten zum Bau der Teilstrecken zu den im allgemeinen Arbeits- und Durchführungsplan festgelegten Zeitpunkten aufnehmen und innerhalb der in den jeweiligen Lastenheften vorgesehenen Fristen die vollständigen Bauwerke liefern. Nach Art. 5 Abs. 4 kann ANAS auf Antrag des Konzessionärs und aus Gründen, die diesem nicht zuzurechnen sind, die für die Vorlage der einzelnen Vorhaben festgelegten Fristen sowohl für den Beginn als auch für die Beendigung der damit zusammenhängenden Arbeiten verlängern. In Abs. 5 bestimmt Art. 5, dass im letztgenannten Fall der Zeitpunkt des Endes der Konzession um einen Zeitraum aufgeschoben werden kann, der die gemäß dem vorstehenden Absatz gewährte Verlängerung nicht überschreitet, und in Abs. 6, dass die Verwaltung der Arbeiten in den Bestimmungen über die staatlichen Bauwerke und die allgemeinen Verdingungsunterlagen geregelt ist.

11

Nach Art. 7 des Konzessionsvertrags von 1969 endet die Konzession am Ende des dreißigsten Jahres, das auf den Zeitpunkt folgt, an dem der Betrieb der gesamten Autobahn beginnt. Unbeschadet der in Art. 5 Abs. 5 und 6 dieses Vertrags genannten Bestimmungen kann der Zeitraum jedoch nicht das dreißigste Jahr ab dem Datum überschreiten, an dem die Arbeiten, die in dem in Art. 5 Abs. 1 und 2 genannten allgemeinen Arbeits- und Durchführungsplan beschrieben sind, abgeschlossen sind.

12

Die durch den Konzessionsvertrag von 1969 erteilte Konzession wurde am 7. November 1969 gebilligt und für durchführbar erklärt.

Zusatz von 1987

13

Am 14. Oktober 1987 unterzeichneten ANAS und SAT einen Zusatz zu dem Konzessionsvertrag von 1969 (im Folgenden: Zusatz von 1987).

14

Art. 14 dieses Zusatzes bestimmt, dass „[d]ie Dauer der vorliegenden Konzession … auf 30 Jahre ab dem Datum, an dem die gesamte Autobahn für den Verkehr freigegeben wird, festgelegt [wird]“.

Vertrag von 1999

15

Am 7. Oktober 1999 schlossen ANAS und SAT einen Vertrag (im Folgenden: Vertrag von 1999), dessen Art. 2 die Überschrift „Gegenstand“ trägt.

16

Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Vertrags regelt dieser zwischen der konzessionsgewährenden Behörde und dem Konzessionär den Betrieb des 36,6 km langen Abschnitts zwischen Livorno und Cecina, der am 3. Juli 1993 für den Verkehr freigegeben wurde und integraler Bestandteil der Autobahn A 12 Livorno–Civitavecchia ist, deren Bau und Betrieb an SAT vergeben worden war.

17

Nach Art. 2 Abs. 2 dieses Vertrags werden dem Konzessionär die Tätigkeiten und die Aufgaben übertragen, die nach den im Vertrag vorgesehenen Modalitäten und Bedingungen sowie nach Art. 14 der Legge n. 531 – Piano decennale per la viabilità di grande comunicazione e misure di riassetto del settore autostradale (Gesetz Nr. 531 – Zehnjahresplan für einen verkehrstauglichen Zustand von Hauptverkehrsstraßen und Instandsetzungsmaßnahmen im Autobahnsektor) vom 12. August 1982 (GURI Nr. 223 vom 14. August 1982) zum Betrieb dieser Autobahn erforderlich sind.

18

Nach Art. 2 Abs. 3 des Vertrags wird, „wenn die rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen für die Fortführung des Bauprogramms, für das eine Konzession gewährt worden ist, erfüllt sind, ein entsprechender Zusatz abgeschlossen …, um ein vertragliches Rahmenwerk für den Bau und den Betrieb zweier weiterer Abschnitte, Cecina–Grosseto und Grosseto–Civitavecchia, zu schaffen“.

19

Art. 23 des Vertrags von 1999 („Dauer der Konzession“) bestimmt in Abs. 1, dass „[d]ie Konzession … am 31. Oktober 2028 [endet]“.

Einheitsvereinbarung von 2009

20

Am 11. März 2009 unterzeichneten ANAS und SAT einen Vertragsentwurf (im Folgenden: Einheitsvereinbarung von 2009), der in Art. 1 Abs. 4 bestimmt: „Die Parteien vereinbaren, dass sie kein Recht, kein Interesse, keinen Anspruch und keine Erwartung, gegenwärtig oder künftig, in Bezug auf [den Vertrag von 1999] oder ein vor dem Abschluss der vorliegenden Vereinbarung erlassenes Gesetz oder eine vor dem Abschluss der vorliegenden Vereinbarung erlassene Maßnahme haben.“

21

Art. 2 („Gegenstand“) dieser Einheitsvereinbarung sieht in Abs. 1 vor, dass „[d]ie vorliegende Einheitsvereinbarung … umfassend und einheitlich die Beziehung zwischen der konzessionsgewährenden Behörde und dem Konzessionär in Bezug auf die Planung, den Bau und den Betrieb all dessen [regelt], was bereits von der Konzessionsvereinbarung, die mit ANAS am 7. Oktober 1999 geschlossen wurde, erfasst wird:

a)

A 12 Livorno–Cecina (Rosignano), 36,6 km
(am 3. Juli 1993 für den Verkehr freigegeben);

b)

Cecina (Rosignano)–Grosseto, 110,5 km;

c)

Grosseto–Civitavecchia, 95,5 km,

insgesamt 242,6 km“.

22

Art. 4 („Dauer der Konzession“) der Einheitsvereinbarung bestimmt in Abs. 1: „In Abhängigkeit von der Fertigstellung der Autobahn Cecina (Rosignano)–Civitavecchia endet die Konzession unter Berücksichtigung der in der Einleitung und in Art. 143 des Decreto legislativo Nr. 163/2006 genannten Zeiträume, in denen die Ausführung der Arbeiten unterbrochen war, am 31. Dezember 2046. …“

Vorverfahren

23

Im Jahr 2009 wurde eine Beschwerde wegen der in der Einheitsvereinbarung von 2009 vorgesehenen Verlängerung (vom 31. Oktober 2028 bis zum 31. Dezember 2046) der Konzession für die Autobahn A 12 von Livorno nach Civitavecchia an die Kommission gerichtet.

24

Hierüber fanden Kontakte zwischen der Kommission und den italienischen Behörden statt, ohne dass eine Lösung erzielt werden konnte.

25

Nach mehreren erfolglosen Kontakten mit den italienischen Behörden sandte die Kommission am 22. April 2014 gemäß Art. 258 AEUV ein Mahnschreiben an die Italienische Republik, damit dieser Mitgliedstaat zu dieser möglicherweise gegen die Art. 2 und 58 der Richtlinie 2004/18 verstoßenden Verlängerung Stellung nimmt.

26

Da die Kommission die Antworten auf dieses Mahnschreiben nicht für zufriedenstellend hielt, richtete sie am 17. Oktober 2014 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Italienische Republik.

27

Im Anschluss an die Übersendung dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme fanden Gespräche zwischen der Kommission und der Italienischen Republik statt, die eine mögliche Verkürzung der Laufzeit der fraglichen Konzession und eine etwaige Ausschreibung der im Rahmen dieser Konzession durchzuführenden Arbeiten zum Gegenstand hatten.

28

Mit einem Schreiben vom 8. März 2016 forderte die Kommission die Italienische Republik auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen und die betreffende Konzession, wie im Vertrag von 1999 vorgesehen, am 31. Oktober 2028 zu beenden.

29

Da die Kommission der Ansicht war, dass die Italienische Republik nicht die zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Richtlinie 2004/18 erforderlichen Maßnahmen erlassen habe und der gerügte Verstoß gegen die Art. 2 und 58 dieser Richtlinie nicht abgestellt worden sei, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

Vorbringen der Kommission

30

Mit ihrer Klage wirft die Kommission der Italienischen Republik vor, dadurch gegen die Art. 2 und 58 der Richtlinie 2004/18 verstoßen zu haben, dass sie durch die Einheitsvereinbarung von 2009 ohne Veröffentlichung einer Ausschreibung die Laufzeit der Konzession für die Autobahn A 12 zwischen Livorno und Civitavecchia (die gemäß dem Vertrag von 1999 am 31. Oktober 2028 hätte enden sollen), um mehr als 18 Jahre, nämlich bis zum 31. Dezember 2046, verlängert habe.

31

Im vorliegenden Fall gehe es um eine öffentliche Baukonzession im Sinne von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18, da die Vergütung des Konzessionärs durch den Betrieb der Infrastruktur sichergestellt werde, zu deren Errichtung er sich verpflichte; der Wert dieser Baukonzession belaufe sich auf 66631366,93 Euro, so dass der in Art. 56 dieser Richtlinie vorgesehene Schwellenwert überschritten werde. Nach Art. 58 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18 hätte in Bezug auf die genannte Baukonzession eine Ausschreibung veröffentlicht werden müssen. Es sei aber keine Ausschreibung veröffentlicht worden, und zwar weder im Laufe des Jahres 1969, als der Vertrag über die ursprüngliche Konzession abgeschlossen worden sei, noch im Laufe des Jahres 1999, als diese Konzession bis 2028 verlängert worden sei.

32

Die Kommission, die auf das Urteil vom 7. September 2016, Finn Frogne (C‑549/14, EU:C:2016:634, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), verweist, macht insbesondere erstens geltend, dass die Verschiebung des Enddatums der in Rede stehenden Konzession vom 31. Oktober 2028 auf den 31. Dezember 2046 – die der Vergabe einer neuen Konzession gleichkomme, weil sie zu einer wesentlichen Änderung einer bestehenden Baukonzession führe – gemäß Art. 58 der Richtlinie 2004/18 Gegenstand einer Ausschreibung und eines Verfahrens mit Aufruf zum Wettbewerb hätte sein müssen. Eine solche wesentliche Änderung hätte nämlich die Einleitung eines neuen Verfahrens mit Aufruf zum Wettbewerb erfordert, so dass, wenn sie im Voraus bekannt gewesen wäre, weitere Bieter am Ausschreibungsverfahren teilgenommen hätten. Ferner sei gemäß dem Urteil vom 5. April 2017, Borta (C‑298/15, EU:C:2017:266‚ Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung), bei einem fehlenden Verfahren mit Aufruf zum Wettbewerb für die Vergabe der ursprünglichen Konzession im Fall einer wesentlichen Änderung dieser Konzession erst recht die Durchführung eines Verfahrens mit Aufruf zum Wettbewerb erforderlich.

33

Im vorliegenden Fall stelle die Neuverhandlung der Dauer der fraglichen Konzession als solche einen Nachweis dafür dar, dass es sich um eine wesentliche Änderung gehandelt habe; zudem hätten die Parteien im Sinne von Rn. 37 des Urteils vom 13. April 2010, Wall (C‑91/08, EU:C:2010:182), klar ihren Willen zum Ausdruck gebracht, die wesentlichen Bestimmungen dieser Konzession zu ändern. Da der Konzessionär durch den Betrieb der von ihm errichteten Infrastruktur vergütet werde, ermögliche eine Verlängerung der Konzession um 18 Jahre eine Erhöhung der Vergütung, was das wirtschaftliche Gleichgewicht – zugunsten des Konzessionärs – erheblich verändere.

34

Zweitens stelle eine ohne Veröffentlichung einer Ausschreibung erfolgende Änderung wesentlicher Bestandteile einer Konzession, wie die Verlängerung der in Rede stehenden Konzession um 18 Jahre, einen Verstoß gegen die in Art. 2 der Richtlinie 2004/18 niedergelegten Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz dar. Die Kommission verweist auf das Urteil vom 22. April 2010, Kommission/Spanien (C‑423/07, EU:C:2010:211, Rn. 56), und macht konkret in Bezug auf eine Baukonzession zum Bau und zum Betrieb einer Autobahn geltend, dass die Bekanntmachungspflicht – nach der öffentliche Auftraggeber ihre Absicht, diese Konzession zu vergeben, bekannt zu machen hätten – ein Niveau an Wettbewerb sicherstelle, das vom Unionsgesetzgeber im Bereich der öffentlichen Bauaufträge für ausreichend befunden werde.

35

Was das Vorbringen der Italienischen Republik betrifft, bestreitet die Kommission erstens, dass, wie die Italienische Republik behaupte, zwischen dem Konzessionsvertrag von 1969 und der Einheitsvereinbarung von 2009 Kontinuität vorgelegen habe. Letztere stelle nämlich eine eigenständige Regelung dar. Nach Ansicht der Kommission dürfen die Bestimmungen der Einheitsvereinbarung von 2009 nicht im Licht des Konzessionsvertrags von 1969 ausgelegt werden. Die mit dieser Einheitsvereinbarung herbeigeführte Verlängerung betreffe die „bestehende Konzession“ zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung, d. h. die Konzession, die durch den Vertrag von 1999 geregelt worden sei.

36

Selbst wenn die ursprüngliche Konzession zu einer Zeit abgeschlossen worden sei, als es keine einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen gegeben habe, müsse eine Änderung oder Revision dieser ursprünglichen Konzession zudem im Licht der inzwischen in Kraft getretenen unionsrechtlichen Vorschriften beurteilt werden (Urteil vom 27. Oktober 2005, Kommission/Italien, C‑187/04 und C‑188/04, nicht veröffentlicht, EU:C:2005:652).

37

Zweitens macht die Kommission geltend, dass die sich aus der Durchführung der ursprünglichen Konzession angeblich ergebenden Schwierigkeiten und die verschiedenen Änderungen der nationalen Rechtsvorschriften nicht maßgeblich seien, und weist darauf hin, dass eine etwaige Notwendigkeit, wichtige, im Vertrag von 1999 nicht vorgesehene Bauarbeiten durchzuführen, ebenfalls bedeute, dass – im Wege der Veröffentlichung einer Ausschreibung – ein Aufruf zum Wettbewerb zu erfolgen habe. Im Übrigen sei es nicht logisch, sich auf das Vorliegen wesentlicher Änderungen der in Rede stehenden Konzession zu berufen, die sich aus der Zunahme der vorzunehmenden Investitionen, einem Anstieg der Tarife um 51,42 % und der Notwendigkeit, die Dauer der Konzession zu verlängern, ergäben, gleichzeitig aber geltend zu machen, dass der Gegenstand der Konzession seit 1969 unverändert geblieben sei. Außerdem werde mit der Behauptung, dass die in der ursprünglichen Konzession festgelegte Frist von 30 Jahren eine „variable“ Frist sei, die erst nach Abschluss der Arbeiten zu laufen habe beginnen sollen, weder dem Transparenzgrundsatz noch der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 2004/18 Rechnung getragen.

38

Drittens verkenne die Italienische Republik die Tragweite des Urteils vom 19. Juni 2008, pressetext Nachrichtenagentur (C‑454/06, EU:C:2008:351), indem sie der im vorliegenden Fall bestehenden Pflicht, ein Verfahren mit Aufruf zum Wettbewerb einzuleiten, nicht nachgekommen sei, weil sie gemeint habe, dass die neuen Vorschriften der Einheitsvereinbarung von 2009 darauf gerichtet seien, im Hinblick auf die ursprüngliche Konzession das vertragliche Gleichgewicht herzustellen.

39

Viertens habe im vorliegenden Fall kein Anlass bestanden, das vertragliche Gegenseitigkeitsverhältnis auszugleichen. Da der Konzessionär im Rahmen einer Konzession durch den Betrieb der Infrastruktur vergütet werde und das mit dem Betrieb verbundene Risiko trage, würde die Aufrechterhaltung des vertraglichen Gleichgewichts dieses Risiko nämlich vollständig beseitigen und den Gegenstand des Konzessionsvertrags verfälschen. In Bezug auf eine eventuelle Rechtfertigung des Umstands, dass beim Abschluss der Einheitsvereinbarung von 2009 kein Aufruf zum Wettbewerb erfolgt sei, mit der „Notwendigkeit, das vertragliche Gleichgewicht sicherzustellen“, macht die Kommission geltend, dass das von der Italienischen Republik angeführte Urteil vom 14. Juli 2016, Promoimpresa u. a. (C‑458/14 und C‑67/15, EU:C:2016:558), im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei, weil es die Möglichkeit betreffe, diejenigen Konzessionen, die bis zum Inkrafttreten der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1) von keiner Richtlinie erfasst gewesen wären, den sich aus dem AEU-Vertrag ergebenden Grundsätzen zu unterwerfen. Beim Abschluss der Einheitsvereinbarung von 2009 habe aber die Richtlinie 2004/18 gegolten. Gestützt auf das Urteil vom 4. Juni 2009, Kommission/Griechenland (C‑250/07, EU:C:2009:338‚ Rn. 38), hebt die Kommission hervor, dass die Richtlinie 2004/18 keine Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung enthalte, die auf eine angebliche Notwendigkeit, „das vertragliche Gleichgewicht sicherzustellen“, gestützt seien, dass sie indes andere Ausnahmen von diesem Grundsatz vorsehe, die eng auszulegen seien. Im Übrigen ergebe sich aus dem Urteil vom 14. November 2013, Belgacom (C‑221/12, EU:C:2013:736‚ Rn. 40), dass es nicht möglich sei, sich auf den Grundsatz der Rechtssicherheit zu berufen, um eine Vereinbarung entgegen dem Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie dem sich daraus ergebenden Transparenzgebot zu erweitern.

Vorbringen der Italienischen Republik

40

Die Italienische Republik beschreibt im Detail die zeitliche Abfolge der einschlägigen Tatsachen. Sie erläutert u. a., dass SAT 13 Jahre lang nicht mit den vorgesehenen Arbeiten habe beginnen können, da gesetzlich die Aussetzung der Vergabe von Konzessionen für den Bau von Autobahnen und die allgemeine Aussetzung des Baus von Autobahnen oder Autobahnabschnitten vorgesehen gewesen sei, so dass SAT erst im Jahr 1982 berechtigt gewesen sei, Arbeiten an der Autobahn A 12 durchzuführen, und zwar im Rahmen der zugewiesenen Mittel und unter der Bedingung, dass in Bezug auf die öffentliche Beteiligung am Kapital der konzessionierten Gesellschaft eine Änderung erfolge. Vor diesem Hintergrund hätten ANAS und SAT den Zusatz von 1987 unterzeichnet, mit dem bestätigt worden sei, dass die Dauer der Konzession mit 30 Jahren, ab dem Zeitpunkt der Freigabe der gesamten Autobahn für den Verkehr, festgelegt werde. Dieser Zusatz habe somit den Bau des Abschnitts von Livorno nach Cecina ermöglicht, der nur etwa 15 % der Gesamtlänge der Autobahn A 12 ausmache.

41

Mit der Einheitsvereinbarung von 2009 sollten der Konzessionsvertrag von 1969 und die Rechtsakte, durch die er geändert worden sei, ersetzt werden, indem die 2009 geltenden vertraglichen Vereinbarungen aktualisiert und geändert würden und indem die vollständige Fertigstellung der Autobahn A 12 vorgesehen werde.

42

In der Sache trägt die Italienische Republik vor, die Klage der Kommission beruhe auf einer unrichtigen tatsächlichen Prämisse, da die Kommission davon ausgehe, dass der Vertrag von 1999 die Arbeiten und den Betrieb der Autobahn A 12 auf ihrer gesamten Länge zwischen Livorno und Civitavecchia betreffe.

43

Tatsächlich habe Art. 23 Abs. 1 des Vertrags von 1999 das Ende der Konzession nur in Bezug auf den Abschnitt zwischen Livorno und Cecina auf den 31. Oktober 2028 festgelegt. Nach seinem Art. 2 Abs. 1 regele dieser Vertrag nämlich nur den Betrieb dieses 36,6 km langen Abschnitts, der am 3. Juli 1993 für den Verkehr freigegeben worden sei, und nicht den Betrieb der anderen Abschnitte der Autobahn A 12, hinsichtlich deren die Fertigstellungsarbeiten ausgesetzt worden seien.

44

In Bezug auf den verbleibenden Teil der Autobahn A 12 sei in Art. 2 Abs. 3 des Vertrags von 1999 klar vorgesehen gewesen, dass, wenn die rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen für die Fortführung des Bauprogramms erfüllt seien, ein entsprechender Zusatz abgeschlossen werde, um ein vertragliches Rahmenwerk für den Bau und den Betrieb der Abschnitte Cecina–Grosseto und Grosseto–Civitavecchia zu schaffen.

45

Nach Ansicht der Italienischen Republik wurde die Einheitsvereinbarung von 2009 auf der Grundlage der zuletzt genannten Bestimmung abgeschlossen, als die Voraussetzungen für die Fertigstellung der gesamten Autobahn A 12 erfüllt gewesen seien.

46

Die Italienische Republik macht nicht nur geltend, dass von dieser unrichtigen tatsächlichen Prämisse ausgegangen worden sei, sondern trägt darüber hinaus mehrere Argumente vor, mit denen dargetan werden soll, dass die Klage der Kommission unbegründet sei.

47

Erstens sei im vorliegenden Fall keine „Verlängerung“ der Konzession um 18 Jahre beschlossen worden.

48

Das in Art. 7 des Konzessionsvertrags von 1969 definierte „variable“ Ende von 30 Jahren vom „Beginn des Betriebs der gesamten Autobahn“ an sei niemals erreicht worden. Außerdem betreffe die Einheitsvereinbarung von 2009 Arbeiten, die bereits in der ursprünglichen Konzession von 1969 vorgesehen gewesen seien, und enthalte nur eine Neufassung der Bestimmungen des Konzessionsvertrags von 1969, die notwendig sei, um die Autobahn A 12 zur Gänze fertigstellen zu können und das ursprüngliche vertragliche Gleichgewicht zu wahren.

49

Die Einheitsvereinbarung von 2009 gelte für die gesamte Konzession in Bezug auf die Planung, die Ausführung und den Betrieb all dessen, was bereits von den vorangehenden Verträgen erfasst sei. Im Gegensatz zu dem Vertrag von 1999, der insoweit nur eine Vorbehaltsklausel enthalten habe, sei in dieser Einheitsvereinbarung die Fertigstellung der in Rede stehenden Autobahn vorgesehen. Ferner lasse sich das Urteil vom 27. Oktober 2005, Kommission/Italien (C‑187/04 und C‑188/04, nicht veröffentlicht, EU:C:2005:652), nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, da es sich in der Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen sei, um eine neue Vereinbarung über die Durchführung neuer Arbeiten gehandelt habe, wohingegen es in der vorliegenden Rechtssache um gerade die Arbeiten gehe, auf die sich der Konzessionsvertrag von 1969 bezogen habe.

50

Nach Ansicht der Italienischen Republik geht die Kommission im vorliegenden Fall zu Unrecht von einer „wesentlichen Änderung der bestehenden Konzession“ aus. Der Gegenstand dieser Konzession sei nämlich gegenüber dem ursprünglich festgelegten nicht geändert worden, und der Abschluss der Einheitsvereinbarung von 2009 ergebe sich aus einer Verpflichtung, die durch Rechts- und Gesetzgebungsakte im Jahr 2006 zu dem Zweck eingeführt worden sei, alle vertraglichen Klauseln einer jeden Autobahnkonzession in einem einzigen rechtlichen Dokument zu erfassen, das eine Zusammenfassung, eine Revision und eine Novation der früheren Verträge darstelle. Mit dem Decreto-legge n. 262 – Disposizioni urgenti in materia tributaria e finanziaria (Gesetzesdekret Nr. 262 mit Dringlichkeitsbestimmungen auf steuerlichem und finanziellem Gebiet) vom 3. Oktober 2006 (GURI Nr. 230 vom 3. Oktober 2006), mit Änderungen in ein Gesetz umgewandelt durch das Gesetz Nr. 286 vom 24. November 2006 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 277 vom 28. November 2006), anschließend geändert durch Art. 1 Nr. 1030 der Legge n. 296 – Disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (finanziaria 2007) (Gesetz Nr. 296 mit Bestimmungen über den Jahres- und Mehrjahreshaushalt des Staates [Finanzgesetz 2007]) vom 27. Dezember 2006 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 299 vom 27. Dezember 2006), seien neue Vorschriften auf dem Gebiet der Autobahnkonzessionen eingeführt worden.

51

Folglich berufe sich die Kommission zu Unrecht auf die Bestimmung der Einheitsvereinbarung von 2009, nach der die Parteien auf der Grundlage von – dem Abschluss dieser Vereinbarung vorausgehenden – Handlungen oder Maßnahmen „kein Recht, keinen Anspruch, kein Interesse und keine Erwartung“ geltend machen könnten, um darzutun, dass zwischen der ursprünglichen Konzession und der Einheitsvereinbarung von 2009 keine Kontinuität gegeben sei und dass die vor 2009 bestehenden Rechtsverhältnisse nicht zu berücksichtigen seien.

52

Die Einheitsvereinbarung von 2009 gewähre dem Konzessionär keinen ungerechtfertigten und zusätzlichen Vorteil. Außerdem seien die während des Zeitraums der Durchführung der Investitionen vorgesehenen Tarife auf ein Niveau angehoben worden, jenseits dessen der von den Nutzern gezahlte Tarif sozial unverträglich würde und die betreffende Infrastruktur aufgegeben werden müsste. Das im Konzessionsvertrag von 1969 vorgesehene Gleichgewicht mache es also notwendig, das Ende der Konzession auf das Jahr 2046 festzulegen. Das erkläre sich auch dadurch, dass das Projekt – aus den Parteien nicht zuzurechnenden Gründen – nicht rechtzeitig habe durchgeführt werden können.

53

Zweitens macht die Italienische Republik geltend, die Richtlinie 2004/18 sei angesichts der Kontinuität von Vertragsbeziehungen, die im Jahr 1969 begonnen hätten, im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

54

Drittens sei die Verlegung des Enddatums der fraglichen Konzession jedenfalls durch die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen (pacta sunt servanda) und der Rechtssicherheit gerechtfertigt. Nach Ansicht der Italienischen Republik gebieten diese Grundsätze eine angemessene Beurteilung des wirtschaftlichen Interesses von SAT, und zwar umso mehr in einer Situation, die ursprünglich nicht unionsrechtswidrig gewesen sei. Die Italienische Republik macht unter Verweis auf das Urteil vom 14. Juli 2016, Promoimpresa u. a. (C‑458/14 und C‑67/15, EU:C:2016:558, Rn. 71 bis 73), geltend, dass die Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung durch die Notwendigkeit, das Gleichgewicht des Vertrags – insbesondere aus wirtschaftlicher Sicht – zu garantieren, gerechtfertigt werden könnten. Ferner ließen sich die Urteile vom 13. April 2010, Wall (C‑91/08, EU:C:2010:182), und vom 5. April 2017, Borta (C‑298/15, EU:C:2017:266), nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, da sie sich auf andere Umstände als die der vorliegenden Rechtssache bezögen.

Würdigung durch den Gerichtshof

55

Mit ihrer Klage beantragt die Kommission, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 2 und 58 der Richtlinie 2004/18 verstoßen habe, dass die Konzession für die Autobahn A 12 mit der Einheitsvereinbarung von 2009 ohne Veröffentlichung einer Ausschreibung vom 31. Oktober 2028 bis zum 31. Dezember 2046 verlängert worden sei.

56

Zu prüfen ist, ob die Richtlinie 2004/18 auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbar ist – was von der Italienischen Republik in Abrede gestellt wird –, und anschließend, ob, wie behauptet wird, ein Verstoß gegen diese Bestimmungen der Richtlinie 2004/18 vorliegt.

Zur Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/18

57

Nach Ansicht der Italienischen Republik kann die Richtlinie 2004/18 nicht auf das sich aus dem im Jahr 1969 – also vor der Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum öffentlichen Auftragswesen und vor Erlass der einschlägigen Instrumente des abgeleiteten Unionsrechts – geschlossenen Konzessionsvertrag ergebende Verhältnis zwischen der konzessionsgewährenden Behörde und dem Konzessionär angewandt werden.

58

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Grundsatz der Gleichbehandlung und das daraus folgende Transparenzgebot dem entgegenstehen, dass der konzessionsgewährende öffentliche Auftraggeber und der Konzessionär nach der Vergabe eines Vertrags über eine öffentliche Baukonzession die Bestimmungen ihres Konzessionsvertrags in dem Sinne abändern, dass diese Bestimmungen Merkmale aufweisen, die sich von denen des ursprünglichen Vertrags wesentlich unterscheiden. Dies ist der Fall, wenn die beabsichtigten Änderungen die öffentliche Baukonzession in erheblichem Umfang um nicht vorgesehene Bestandteile erweitern, wenn sie das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrags zugunsten des Konzessionärs ändern oder wenn sie Anlass zu Zweifeln an der Vergabe der öffentlichen Baukonzession geben, und zwar in dem Sinne, dass, wenn diese Änderungen in den Unterlagen des ursprünglichen Vergabeverfahrens enthalten gewesen wären, entweder ein anderes Angebot den Zuschlag erhalten hätte oder weitere Bieter hätten zugelassen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2016, Finn Frogne, C‑549/14, EU:C:2016:634, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59

Somit muss eine wesentliche Änderung eines Vertrags über eine öffentliche Baukonzession grundsätzlich zu einem neuen Vergabeverfahren über den so geänderten Vertrag führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2016, Finn Frogne, C‑549/14, EU:C:2016:634, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60

Klarzustellen ist hierzu, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das anwendbare Unionsrecht jenes ist, das zum Zeitpunkt dieser Änderung gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2013, Kommission/Niederlande, C‑576/10, EU:C:2013:510, Rn. 54). Insoweit ist daher der Umstand, dass der ursprüngliche Konzessionsvertrag vor dem Erlass der einschlägigen Unionsvorschriften abgeschlossen wurde, irrelevant.

61

In der vorliegenden Rechtssache macht die Kommission geltend, dass die Einheitsvereinbarung von 2009 gegenüber der in Rede stehenden ursprünglichen öffentlichen Baukonzession wesentliche Änderungen enthalte und dass somit das Fehlen einer Ausschreibung zum Zweck des Abschlusses dieser Einheitsvereinbarung einen Verstoß gegen bestimmte Vorschriften der Richtlinie 2004/18 darstelle.

62

Da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die in Rede stehende öffentliche Baukonzession und die Einheitsvereinbarung von 2009 in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18 fallen, können die Änderungen, die durch diese Einheitsvereinbarung an der vertraglichen Beziehung zwischen ANAS und SAT vorgenommen wurden, somit grundsätzlich anhand der Bestimmungen dieser Richtlinie beurteilt werden.

Zum behaupteten Verstoß gegen die Richtlinie 2004/18

63

Nach der von der Kommission eingereichten Klageschrift hat die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 2 und 58 der Richtlinie 2004/18 verstoßen, weil die Konzession der Autobahn A 12 von Livorno nach Civitavecchia um 18 Jahre, also bis zum 31. Dezember 2046, verlängert worden sei, während ihr Ende im Vertrag von 1999 auf den 31. Oktober 2028 festgelegt gewesen sei.

64

Hierzu ist festzustellen, dass die Kommission in ihrer Erwiderung die Einheitsvereinbarung von 2009 zwar als „eigenständige Regelung“ einstuft und geltend macht, diese könne nicht als eine bloße Aktualisierung oder Revision einer bestehenden Konzession angesehen werden, dabei aber die Ansicht vertritt, dass die Festlegung des Enddatums der in Rede stehenden Konzession in Art. 4 Abs. 1 der Einheitsvereinbarung von 2009 eine „Verlängerung“ der zuvor im Vertrag von 1999 festgelegten Dauer darstelle, weshalb die Auslegung der Einheitsvereinbarung von 2009 anhand dieses Vertrags zu erfolgen habe.

65

Wie die Generalanwältin in Nr. 46 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hat die Kommission nur geltend gemacht, dass die Einheitsvereinbarung von 2009 gegen das Unionsrecht verstoße, nicht aber, dass dies auch in Bezug auf den Vertrag von 1999 der Fall sei.

66

Zu den Änderungen des Vertragsverhältnisses zwischen ANAS und SAT durch die Bestimmungen des Vertrags von 1999 macht die Italienische Republik geltend, dass in diesem Vertrag unterschieden werde zwischen dem Autobahnabschnitt, der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits für den Verkehr freigegeben gewesen sei, und den anderen Abschnitten der Autobahn A 12, deren Bau zu diesem Zeitpunkt weder begonnen worden noch abgeschlossen gewesen sei.

67

In dem Vertrag von 1999 sei nur der Betrieb des 36,6 km langen Abschnitts von Livorno nach Cecina, der im Jahr 1993 als Teil der Autobahn A 12 von Livorno nach Civitavecchia für den Verkehr freigegeben worden sei, geregelt worden, und die Festlegung des Endes der Konzession auf den 31. Oktober 2028 (gemäß Art. 23 Abs. 1 dieses Vertrags) betreffe nur diesen Abschnitt.

68

Dieser Standpunkt wird durch den Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 des Vertrags von 1999 gestützt, der bestimmt, dass dieser „zwischen der konzessionsgewährenden Behörde und dem Konzessionär den Betrieb des 36,6 km langen Abschnitts zwischen Livorno und Cecina, am 3. Juli 1993 für den Verkehr freigegeben und integraler Bestandteil der Autobahn A 12 Livorno–Civitavecchia, deren Bau und Betrieb an SAT vergeben wurde[, regelt]“.

69

Diese Auffassung wird auch durch Art. 2 Abs. 3 dieses Vertrags bestätigt, wonach, „wenn die rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen für die Fortführung des Bauprogramms, für das eine Konzession gewährt worden ist, erfüllt sind, ein entsprechender Zusatz abgeschlossen wird, um ein vertragliches Rahmenwerk für den Bau und den Betrieb zweier weiterer Abschnitte, Cecina–Grosseto und Grosseto–Civitavecchia, zu schaffen“.

70

Zu ergänzen ist im Übrigen, dass es in Bezug auf diese beiden anderen Streckenabschnitte sinnwidrig wäre, anzunehmen, dass die Parteien des Vertrags von 1999 die Dauer der Konzession, die sich zum einen aus einem unbestimmten Zeitraum – dessen Dauer nach der bereits erworbenen Erfahrung infolge von gesetzgeberischen Maßnahmen unbestimmt war, aber sehr lang sein konnte – für den Bau und die Inbetriebnahme und zum anderen aus einem festen Zeitraum von 30 Jahren für den Betrieb der betreffenden Autobahn zusammensetzte, durch eine mit 29 Jahren festgelegte Konzessionsfrist – deren Ende auf den 31. Oktober 2028 festgelegt wurde – ersetzen wollten, die sowohl die für den Bau und die Inbetriebnahme als auch die für den Betrieb erforderlichen Zeiträume umfasste.

71

Die Kommission hat in ihrer Erwiderung und in der mündlichen Verhandlung die von der Italienischen Republik vorgelegten Beweise nicht in Frage gestellt, um so nachzuweisen, dass die durch die Einheitsvereinbarung von 2009 beschlossene Verlängerung nicht nur den Abschnitt Livorno–Cecina, sondern auch die Abschnitte Cecina–Grosseto und Grosseto–Civitavecchia betroffen habe.

72

Folglich ist die Klage der Kommission abzuweisen, soweit sie die Abschnitte der Autobahn A 12 Cecina–Grosseto sowie Grosseto–Civitavecchia betrifft, da die Kommission nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass die öffentliche Baukonzession für diese Abschnitte um 18 Jahre verlängert wurde.

73

Vor dem Hintergrund der Bestimmungen der Richtlinie 2004/18 beanstandet die Kommission jedoch Art. 4 Abs. 1 der Einheitsvereinbarung von 2009, soweit mit diesem Artikel das Ende der Konzession für die gesamte Autobahn A 12, also auch für den Abschnitt Livorno–Cecina, auf den 31. Dezember 2046 festgelegt wurde.

74

In Bezug auf diesen letzten Abschnitt, der am 3. Juli 1993 für den Straßenverkehr freigegeben worden sei und vom Konzessionär gesondert verwaltet werde, hätte das Ende der Konzession daher gemäß Art. 23 Abs. 1 des Vertrags von 1999 auf den 31. Oktober 2028 festgelegt bleiben müssen.

75

Unstrittig ist, dass die Änderung des (gemäß der Einheitsvereinbarung von 2009 auf den 31. Dezember 2046 verschobenen) Enddatums der Konzession SAT einen erheblichen zusätzlichen Zeitraum bietet, um den Betrieb des Abschnitts Livorno–Cecina sicherzustellen, und dass diese Änderung, da dieser Konzessionär seine Vergütung durch den Betrieb dieses Abschnitts erzielt, die Vergütung von SAT erheblich erhöht.

76

Diese Verlängerung der ursprünglichen Laufzeit dieser Konzession um 18 Jahre und 2 Monate stellt daher nach den in Rn. 58 des vorliegenden Urteils genannten Grundsätzen eine wesentliche Änderung der Bedingungen der bestehenden Konzession dar.

77

Daher verstößt Art. 4 Abs. 1 der Einheitsvereinbarung von 2009, soweit er die Konzession für den Abschnitt der Autobahn A 12 zwischen Livorno und Cecina vom 31. Oktober 2028 bis zum 31. Dezember 2046 verlängert, gegen die in Art. 2 der Richtlinie 2004/18 vorgesehene Gleichbehandlungspflicht und die in Art. 58 dieser Richtlinie vorgesehene Pflicht zur Veröffentlichung einer Ausschreibung.

78

Dieses Ergebnis kann nicht durch das Vorbringen der Italienischen Republik in Frage gestellt werden. Zum einen können die Argumente, die sich auf die Notwendigkeit der Wahrung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des ursprünglichen Konzessionsvertrags zwischen den Parteien beziehen, auf keinen Fall durchgreifen, da sie die Konzession in ihrer Gesamtheit betreffen. Zum anderen kann, da der Vertrag von 1999 zwischen der konzessionsgewährenden Behörde und dem Konzessionär gemäß seinem Art. 23 Abs. 1 das Ende der Konzession in Bezug auf den Abschnitt Livorno–Cecina auf den 31. Oktober 2028 festgelegt hat, nicht angenommen werden, dass für diesen Abschnitt die Verlängerung der Konzession zum Zweck der Einhaltung der Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen (pacta sunt servanda) und der Rechtssicherheit geboten war.

79

Nach alledem ist festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 2 und 58 der Richtlinie 2004/18 verstoßen hat, dass sie die Konzession für den Abschnitt der Autobahn A 12 (Livorno–Civitavecchia) zwischen Livorno und Cecina ohne Veröffentlichung einer Ausschreibung vom 31. Oktober 2028 bis zum 31. Dezember 2046 verlängert hat.

80

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Kosten

81

Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

82

Im vorliegenden Fall haben die Kommission und die Italienische Republik beantragt, der jeweils anderen Partei die Kosten aufzuerlegen.

83

Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint. Da im vorliegenden Fall der Klage der Kommission nur insoweit stattgegeben wurde, als sie den Abschnitt der Autobahn A 12 Livorno–Civitavecchia zwischen Livorno und Cecina betrifft, ist in Anwendung dieser Bestimmung zu entscheiden, dass die Kommission außer ihren eigenen Kosten drei Viertel der Kosten der Italienischen Republik trägt und diese ein Viertel ihrer eigenen Kosten trägt.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 2 und 58 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1422/2007 geänderten Fassung verstoßen, dass sie die Konzession für den Abschnitt der Autobahn A 12 (Livorno–Civitavecchia) zwischen Livorno und Cecina (Italien) ohne Veröffentlichung einer Ausschreibung vom 31. Oktober 2028 bis zum 31. Dezember 2046 verlängert hat.

 

2.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

3.

Die Europäische Kommission trägt außer ihren eigenen Kosten drei Viertel der Kosten der Italienischen Republik. Die Italienische Republik trägt ein Viertel ihrer eigenen Kosten.

 

Unterschriften.


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.