URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

17. April 2018 ( *1 )

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Art. 6 Abs. 1 und 3 – Art. 12 Abs. 1 – Richtlinie 2009/147/EG – Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – Art. 4 und 5 – Natura-2000-Gebiet ‚Puszcza Białowieska‘ – Änderung des Waldbewirtschaftungsplans – Erhöhung der Hiebsatzes – Plan oder Projekt, der bzw. das nicht unmittelbar für die Verwaltung des Gebiets notwendig ist, es jedoch erheblich beeinträchtigen könnte – Angemessene Verträglichkeitsprüfung – Beeinträchtigung des Gebiets als solches – Wirksame Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen – Auswirkungen auf die Fortpflanzungs- und Ruhestätten der geschützten Arten“

In der Rechtssache C‑441/17

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 20. Juli 2017,

Europäische Kommission, vertreten durch C. Hermes, H. Krämer, K. Herrmann und E. Kružíková als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Republik Polen, vertreten durch den Umweltminister J. Szyszko sowie B. Majczyna und D. Krawczyk als Bevollmächtigte im Beistand von K. Tomaszewski, ekspert,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, J. Malenovský und E. Levits, der Richter A. Borg Barthet, J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos und E. Regan (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2017,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Februar 2018

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klageschrift beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Republik Polen

dadurch, dass sie einen Anhang zum Waldbewirtschaftungsplan für den Forstbezirk Puszcza Białowieska erlassen hat, ohne sich zu vergewissern, dass er sich nicht nachteilig auf das Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung (im Folgenden: GGB) und besondere Schutzgebiet (BSG) PLC200004 Puszcza Białowieska (im Folgenden: Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska) als solches auswirkt, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung (im Folgenden: Habitatrichtlinie),

dadurch, dass sie nicht die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen ergriffen hat, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Habitatrichtlinie sowie der Vogelarten nach Anhang I der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung (im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie) und der dort nicht aufgeführten regelmäßig auftretenden Zugvogelarten entsprechen, für die das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als GGB und BSG ausgewiesen wurde, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie,

dadurch, dass sie für den Goldstreifigen Prachtkäfer (Buprestis splendens), den Scharlachroten Plattkäfer (Cucujus cinnaberinus), den Rothalsigen Düsterkäfer (Phryganophilus ruficollis) und den Pytho kolwensis, xylobionte Käfer, die in Anhang IV der Habitatrichtlinie aufgeführt sind, keinen strengen Schutz sichergestellt hat, d. h. ihre absichtliche Tötung und Störung sowie die Beschädigung oder Vernichtung ihrer Fortpflanzungsstätten im Forstbezirk Białowieża nicht verboten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie

und dadurch, dass sie nicht den Schutz der in Art. 1 der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten sichergestellt hat, insbesondere des Sperlingskauzes (Glaucidium passerinum), des Raufußkauzes (Aegolius funereus), des Weißrückenspechts (Dendrocopos leucotos) und des Dreizehenspechts (Picoides tridactylus), nämlich nicht sichergestellt hat, dass diese Vogelarten im Forstbezirk Białowieża nicht getötet, während der Brut- und Aufzuchtzeit nicht gestört und ihre Nester und Eier nicht absichtlich zerstört, beschädigt oder entfernt werden, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie

verstoßen hat.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Habitatrichtlinie

2

Art. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

a)

‚Erhaltung‘: alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume und die Populationen wildlebender Tier- und Pflanzenarten in einem günstigen Erhaltungszustand im Sinne des Buchstabens e) oder i) zu erhalten oder diesen wiederherzustellen.

c)

‚Natürliche Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse‘: diejenigen Lebensräume, die in dem in Artikel 2 erwähnten Gebiet

i)

im Bereich ihres natürlichen Vorkommens vom Verschwinden bedroht sind

oder

ii)

infolge ihres Rückgangs oder aufgrund ihres an sich schon begrenzten Vorkommens ein geringes natürliches Verbreitungsgebiet haben

oder

iii)

typische Merkmale einer oder mehrerer der folgenden neun biogeografischen Regionen aufweisen: alpine, atlantische, boreale, kontinentale, makaronesische, mediterrane, pannonische Region sowie Schwarzmeer- und Steppenregion.

Diese Lebensraumtypen sind in Anhang I aufgeführt bzw. können dort aufgeführt werden.

d)

‚Prioritäre natürliche Lebensraumtypen‘: die in dem in Artikel 2 genannten Gebiet vom Verschwinden bedrohten natürlichen Lebensraumtypen, für deren Erhaltung der Gemeinschaft aufgrund der natürlichen Ausdehnung dieser Lebensraumtypen im Verhältnis zu dem in Artikel 2 genannten Gebiet besondere Verantwortung zukommt; diese prioritären natürlichen Lebensraumtypen sind in Anhang I mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet;

e)

‚Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums‘: die Gesamtheit der Einwirkungen, die den betreffenden Lebensraum und die darin vorkommenden charakteristischen Arten beeinflussen und die sich langfristig auf seine natürliche Verbreitung, seine Struktur und seine Funktionen sowie das Überleben seiner charakteristischen Arten in dem in Artikel 2 genannten Gebiet auswirken können.

Der ‚Erhaltungszustand‘ eines natürlichen Lebensraums wird als ‚günstig‘ erachtet, wenn

sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen und

die für seinen langfristigen Fortbestand notwendige Struktur und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zukunft wahrscheinlich weiterbestehen werden

und

der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten im Sinne des Buchstabens i) günstig ist.

g)

‚Arten von gemeinschaftlichem Interesse‘: Arten, die in dem in Artikel 2 bezeichneten Gebiet

i)

bedroht sind … oder

ii)

potenziell bedroht sind, d. h., deren baldiger Übergang in die Kategorie der bedrohten Arten als wahrscheinlich betrachtet wird, falls die ursächlichen Faktoren der Bedrohung fortdauern, oder

iii)

selten sind, d. h., deren Populationen klein und, wenn nicht unmittelbar, so doch mittelbar bedroht oder potenziell bedroht sind. Diese Arten kommen entweder in begrenzten geografischen Regionen oder in einem größeren Gebiet vereinzelt vor, oder

iv)

endemisch sind und infolge der besonderen Merkmale ihres Habitats und/oder der potenziellen Auswirkungen ihrer Nutzung auf ihren Erhaltungszustand besondere Beachtung erfordern.

Diese Arten sind in Anhang II und/oder Anhang IV oder Anhang V aufgeführt bzw. können dort aufgeführt werden.

h)

‚Prioritäre Arten‘: die unter Buchstabe g) Ziffer i) genannten Arten, für deren Erhaltung der Gemeinschaft aufgrund ihrer natürlichen Ausdehnung im Verhältnis zu dem in Artikel 2 genannten Gebiet besondere Verantwortung zukommt; diese prioritären Arten sind in Anhang II mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet.

i)

‚Erhaltungszustand einer Art‘: die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Artikel 2 bezeichneten Gebiet auswirken können.

Der Erhaltungszustand wird als „günstig“ betrachtet, wenn

aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, und

das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und

ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern.

j)

‚Gebiet‘: ein geografisch definierter Bereich mit klar abgegrenzter Fläche.

k)

‚[GGB]‘: Gebiet, das in der oder den biogeografischen Region(en), zu welchen es gehört, in signifikantem Maße dazu beiträgt, einen natürlichen Lebensraumtyp des Anhangs I oder eine Art des Anhangs II in einem günstigen Erhaltungszustand zu bewahren oder einen solchen wiederherzustellen und auch in signifikantem Maße zur Kohärenz des in Artikel 3 genannten Netzes ‚Natura 2000‘ und/oder in signifikantem Maße zur biologischen Vielfalt in der biogeografischen Region beitragen kann.

Bei Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, entsprechen die Gebiete von gemeinschaftlichem Interesse den Orten im natürlichen Verbreitungsgebiet dieser Arten, welche die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweisen.

l)

‚[BSG]‘: ein von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden.

…“

3

Art. 2 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen.

(2)   Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

…“

4

Art. 3 Abs. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhang II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.

Das Netz ‚Natura 2000‘ umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 79/409/EWG [des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 1979, L 103, S. 1)] ausgewiesenen [BSG].“

5

Art. 4 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„(1)   Anhand der in Anhang III (Phase 1) festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind. Bei Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, entsprechen diese Gebiete den Orten im natürlichen Verbreitungsgebiet dieser Arten, welche die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweisen. Für im Wasser lebende Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, werden solche Gebiete nur vorgeschlagen, wenn sich ein Raum klar abgrenzen lässt, der die für das Leben und die Fortpflanzung dieser Arten ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist. Die Mitgliedstaaten schlagen gegebenenfalls die Anpassung dieser Liste im Lichte der Ergebnisse der in Artikel 11 genannten Überwachung vor.

Binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe dieser Richtlinie wird der Kommission diese Liste gleichzeitig mit den Informationen über die einzelnen Gebiete zugeleitet. Diese Informationen umfassen eine kartografische Darstellung des Gebietes, seine Bezeichnung, seine geografische Lage, seine Größe sowie die Daten, die sich aus der Anwendung der in Anhang III (Phase 1) genannten Kriterien ergeben, und werden anhand eines von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 ausgearbeiteten Formulars übermittelt.

(2)   Auf der Grundlage der in Anhang III (Phase 2) festgelegten Kriterien und im Rahmen der neun in Artikel 1 Buchstabe c) Ziffer iii) erwähnten biogeografischen Regionen sowie des in Artikel 2 Absatz 1 genannten Gesamtgebietes erstellt die Kommission jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind.

Die Liste der Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden und in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind, wird von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 festgelegt.

(4)   Ist ein Gebiet aufgrund des in Absatz 2 genannten Verfahrens als [GGB] bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren – als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.

(5)   Sobald ein Gebiet in die Liste des Absatzes 2 Unterabsatz 3 aufgenommen ist, unterliegt es den Bestimmungen des Artikels 6 Absätze 2, 3 und 4.“

6

Art. 6 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„(1)   Für die [BSG] legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(3)   Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4)   Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

…“

7

Art. 7 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Was die nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie [79/409] zu [BSG] erklärten oder nach Artikel 4 Absatz 2 derselben Richtlinie als solche anerkannten Gebiete anbelangt, so treten die Verpflichtungen nach Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 der vorliegenden Richtlinie ab dem Datum für die Anwendung der vorliegenden Richtlinie bzw. danach ab dem Datum, zu dem das betreffende Gebiet von einem Mitgliedstaat entsprechend der Richtlinie [79/409] zum [BSG] erklärt oder als solches anerkannt wird, an die Stelle der Pflichten, die sich aus Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Richtlinie [79/409] ergeben.“

8

Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen; dieses verbietet:

a)

alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten;

d)

jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.“

9

In Anhang I („Natürliche Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“) Abschnitt 9 („Naturnahe und natürliche Wälder mit einheimischen Arten im Hochwaldstadium einschließlich Mittelwald mit typischem Unterholz, die den nachstehenden Kriterien entsprechen: selten oder Restbestände und/oder Vorkommen von Arten von gemeinschaftlichem Interesse“) der Habitatrichtlinie sind unter Nr. 91 („Wälder des gemäßigten Europas“) der subkontinentale Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald (Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald Galio-Carpinetum, Natura-2000-Code: 9170), Moorwälder (Natura-2000-Code: 91D0) und Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln (Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior [Alno-Padion, Alnion incanae, Salicion albae], Natura-2000-Code: 91E0), genannt, wobei Letztere als prioritäre Lebensraumtypen gekennzeichnet sind.

10

In Anhang II („Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“) Buchst. a („Tiere“) der Habitatrichtlinie sind unter „Wirbellose Tiere“, „Insecta“ u. a. folgende Coleoptera (Käfer) aufgeführt: der Boros schneideri, der Goldstreifige Prachtkäfer (Buprestis splendens), der Scharlachrote Plattkäfer (Cucujus cinnaberinus), der Eremit (Osmoderma eremita, als prioritärer Lebensraumtyp gekennzeichnet), der Rothalsige Düsterkäfer (Phryganophilus ruficollis, als prioritärer Lebensraumtyp gekennzeichnet), der Pytho kolwensis und der Ungleiche Furchenwalzkäfer (Rhysodes sulcatus).

11

Mit Ausnahme des Boros schneideri und des Ungleichen Furchenwalzkäfers sind die in der vorstehenden Randnummer genannten Käfer auch in Anhang IV („Streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse“) Buchst. a („Tiere“) der Habitatrichtlinie unter „Wirbellose Tiere“, „Insecta“ aufgeführt.

B. Vogelschutzrichtlinie

12

Art. 1 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie betrifft die Erhaltung sämtlicher wildlebenden Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind. Sie hat den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Arten.

(2)   Sie gilt für Vögel, ihre Eier, Nester und Lebensräume.“

13

Art. 4 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt:

„(1)   Auf die in Anhang I aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.

In diesem Zusammenhang sind zu berücksichtigen:

a)

vom Aussterben bedrohte Arten;

b)

gegen bestimmte Veränderungen ihrer Lebensräume empfindliche Arten;

c)

Arten, die wegen ihres geringen Bestands oder ihrer beschränkten örtlichen Verbreitung als selten gelten;

d)

andere Arten, die aufgrund des spezifischen Charakters ihres Lebensraums einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen.

Bei den Bewertungen werden Tendenzen und Schwankungen der Bestände der Vogelarten berücksichtigt.

Die Mitgliedstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen unter Berücksichtigung der Schutzerfordernisse in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, entsprechende Maßnahmen für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten. …

(4)   Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, in den Absätzen 1 und 2 genannten Schutzgebieten zu vermeiden. …“

14

Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt:

„Unbeschadet der Artikel 7 und 9 erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten, insbesondere das Verbot

b)

der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und der Entfernung von Nestern;

d)

ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt;

…“

15

In Anhang I der Vogelschutzrichtlinie sind u. a. folgende Vogelarten aufgeführt: der Wespenbussard (Pernis apivorus), der Sperlingskauz (Glaucidium passerinum), der Raufußkauz (Aegolius funereus), der Weißrückenspecht (Dendrocopos leucotos), der Dreizehenspecht (Picoides tridactylus), der Zwergschnäpper (Ficedula parva) und der Halsbandschnäpper (Ficedula albicollis).

II. Sachverhalt

16

Auf Vorschlag der Mitgliedstaaten genehmigte die Kommission mit der Entscheidung 2008/25/EG vom 13. November 2007 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region (ABl. 2008, L 12, S. 383) gemäß Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 der Habitatrichtlinie die Ausweisung des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska, in dem natürliche Lebensräume und Lebensräume bestimmter Tierarten vorkommen, als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung. Das Gebiet sollte von der Republik Polen gemäß Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie als BSG ausgewiesen werden. Das zum Schutz von 10 natürlichen Lebensraumtypen und 55 Pflanzen- bzw. Tierarten geschaffene Gebiet ist außerdem ein gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenes besonderes Schutzgebiet. Nach Art. 3 Abs. 1 der Habitatrichtlinie gehört das Gebiet als BSG zum Netz „Natura 2000“.

17

Nach den Feststellungen der Kommission ist das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska einer der am besten erhaltenen Naturwälder Europas. Charakteristisch sind große Mengen an Totholz und eine Vielzahl alter Bäume, die zum Teil über hundert Jahre alt sind. In dem Gebiet sind noch natürliche Lebensräume sehr gut erhalten, die als „prioritär“ im Sinne von Anhang I der Habitatrichtlinie gekennzeichnet sind, etwa die Lebensräume 91D0 (Moorwälder) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln), sowie andere Lebensräume von „gemeinschaftlicher Bedeutung“, etwa der Lebensraum 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald).

18

Wegen der großen Mengen an Totholz kommen im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska zahlreiche Arten der in Anhang II der Habitatrichtlinie aufgeführten xylobionten Käfer vor, etwa der Boros schneideri und der Ungleiche Furchenwalzkäfer, auch darüber hinaus in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie aufgeführte streng zu schützende Arten wie etwa der Goldstreifige Prachtkäfer, der Scharlachrote Plattkäfer (Cucujus cinnaberinus), der Rothalsige Düsterkäfer oder der Pytho kolwensis. Ferner kommen in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführte Vogelarten vor, deren Lebensraum absterbende und tote, zum Teil vom Buchdrucker (Ips typographus) besiedelte Fichten sind, etwa der Wespenbussard, der Sperlingskauz, der Raufußkauz, der Weißrückenspecht, der Dreizehenspecht, der Zwergschnäpper und der Halsbandschnäpper sowie die Hohltaube (Colomba oenas), eine gemäß Art. 4 Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie geschützte Zugvogelart.

19

Das Waldgebiet Białowieża (Puszcza Białowieska) ist wegen seines Naturwerts auch in der Welterbeliste der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) aufgeführt.

20

Das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska erstreckt sich über eine Fläche von 63147 ha. Es wird von zwei verschiedenen Behörden verwaltet. Die eine ist für den Nationalpark Białowieża (Białowieski Park Narodowy) zuständig, der mit 10517 ha etwa 17 % der Fläche des Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska ausmacht, die andere, die Staatsforste (Lasy Państwowe), für ein Gebiet mit einer Fläche von 52646,88 ha, das in drei Forstbezirke untergliedert ist: Białowieża (12586,48 ha), Browsk (20419,78 ha) und Hajnówka (19640,62 ha). Der Forstbezirk Białowieża macht etwa 20 % der Gesamtfläche des Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska aus. Seine Fläche entspricht fast der Fläche des Nationalparks und etwa 24 % der Fläche der drei Forstbezirke insgesamt.

21

Am 17. Mai 2012 empfahl der Umweltminister (Minister Środowiska), in über hundert Jahre alten Waldbeständen keine Bewirtschaftungsmaßnahmen durchzuführen.

22

Auf eine im Juni 2011 von der Kommission eingeleitete vorgerichtlichen EU-Pilot-Untersuchung (2210/11/ENVI) hin nahm der Umweltminister am 9. Oktober 2012 für die Forstbezirke Białowieża, Browsk und Hajnówka den Waldbewirtschaftungsplan (Plan Urządzenia Lasu) 2012‑2021 (im Folgenden: WBP 2012‑2021) an, dem Prognosen zu den Umweltauswirkungen beigefügt waren.

23

Mit dem WBP 2012-2021 wurde der Hiebsatz für die drei Forstbezirke auf etwa 470000 m3 in zehn Jahren herabgesetzt, was gegenüber dem von 2003 bis 2012 vorgenommenen Holzeinschlag (1500000 m3) eine erhebliche Herabsetzung darstellt. Für den Forstbezirk Białowieża wurde ein Hiebsatz von 63471 m3 festgesetzt.

24

Wegen des intensiven Holzeinschlags in den Jahren von 2012 bis 2015 wurde der im WBP 2012‑2021 für zehn Jahre genehmigte Hiebsatz im Forstbezirk Białowieża jedoch bereits nach beinahe vier Jahren erschöpft. Nach den Erhebungen des Forstamts Białystok kam es in diesem Zeitraum zu einer massiven Ausbreitung des Buchdruckers.

25

Am 6. November 2015 nahm der Regionaldirektor für Umweltschutz von Białystok (Regionalny Dyrektor Ochrony Środowiska w Białymstoku) einen Bewirtschaftungsplan (Zadań Ochronnych) (im Folgenden: Bewirtschaftungsplan von 2015) an, in dem für die drei Forstbezirke Białowieża, Browsk und Hajnówka die Erhaltungsziele und ‑maßnahmen hinsichtlich des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska festgelegt sind.

26

In Anhang 3 des Bewirtschaftungsplans von 2015 wird für die in Anhang I der Habitatrichtlinie aufgeführten natürlichen Lebensräume sowie für die Lebensräume der in Anhang II der Habitatrichtlinie aufgeführten Tierarten und der in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten bestimmt, welche Praktiken der Waldbewirtschaftung eine potenzielle Gefahr für die Beibehaltung eines günstigen Erhaltungszustands der Lebensräume im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska darstellen.

27

In Anhang 5 des Bewirtschaftungsplans von 2015 werden die Erhaltungsmaßnahmen zur Abwehr der in dessen Anhang 3 aufgeführten potenziellen Gefahren festgelegt, die für die geschützten Lebensräume und Arten, die in den drei Forstbezirken vorkommen, bestehen.

28

Mit Entscheidung vom 25. März 2016 genehmigte der Umweltminister auf Antrag des Generaldirektors der Staatsforste einen Anhang zum WBP 2012‑2021 (im Folgenden: Anhang von 2016), mit dem dieser abgeändert wurde: Im Forstbezirk Białowieża wurden für den Zeitraum 2012–2021 die Nutzungsmenge der Walderzeugnisse (Vor- und Endnutzung) von 63471 m3 auf 188000 m3 und die für die Erst- und Wiederaufforstung vorgesehene Fläche von 12,77 ha auf 28,63 ha heraufgesetzt.

29

Der Antrag war begründet worden mit „dem Eintritt schwerwiegender Schäden innerhalb der Waldbestände infolge der anhaltenden Ausbreitung des Buchdruckers, die (während des Zeitraums der Durchführung des WBP [2012‑2021]) dazu geführt hat, dass eine Ausweitung des Einschlags … erforderlich wurde, um die Wälder in einem angemessenen Gesundheitszustand zu erhalten, die Nachhaltigkeit der Waldökosysteme sicherzustellen, die Verschlechterung des Zustands des Waldes aufzuhalten und einen Regenerationsprozess für die natürlichen Lebensräume, einschließlich der Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse, einzuleiten“.

30

In dem Antrag war weiter ausgeführt worden, dass der Anhang von 2016 „insbesondere die Beseitigung befallener Fichten zur Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers (Notwendigkeit von Sanitärhieben) betrifft“, dass „die Beseitigung der Bäume [vorgenommen wird], um im Waldgebiet Białowieża (Forstbezirk Białowieża) die Verkehrssicherheit zu gewährleisten, weil die Anhäufung absterbender Bäume eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt“, und dass „die Trockenheit in den vergangenen Jahren das Absterben der Bäume und Fichtenbestände verstärkt hat, was eine Zunahme des Brandrisikos im Waldgebiet Białowieża zur Folge hatte“.

31

Mit Schreiben vom 12. Februar 2016 gab der Regionaldirektor für Umweltschutz von Białystok eine positive Stellungnahme zum Erlass des Anhangs von 2016 ab. 2015 hatte die Regionaldirektion der Staatsforste Białystok (Regionalna Dyrekcja Lasów Państwowych w Białymstoku) im Hinblick auf den Erlass des Anhangs von 2016 für die geplanten Maßnahmen eine Umweltverträglichkeitsprüfung (im Folgenden: Umweltverträglichkeitsprüfung von 2015) vorgenommen, die ergab, dass diese „keine wesentlichen negativen Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere nicht auf die Erhaltungsziele und das Natura-2000-Gebiet [Puszcza Białowieska] als solches“ hätten.

32

In einem ebenfalls das Datum des 25. März 2016 tragenden Dokument erarbeiteten der Umweltminister und der Generaldirektor der Staatsforste zur Beseitigung der Meinungsverschiedenheiten über die Art der Bewirtschaftung des Waldes von Białowieża „auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse“ ein Maßnahmenprogramm mit der Bezeichnung „Programm für das Waldgebiet Białowieża als Kultur- und Naturerbe der [Unesco] und Gebiet des Netzes Natura 2000“ (im Folgenden: Maßnahmenprogramm).

33

Zur Beendigung der wissenschaftliche Kontroverse zur Zweckmäßigkeit eines menschlichen Eingreifens und des Einschlags war in dem Programm insbesondere die Durchführung eines Langzeitexperiments vorgesehen: Ein Drittel der Fläche der drei Forstbezirke des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska sollte von den Waldbewirtschaftungsmaßnahmen ausgenommen werden, um die entsprechenden Auswirkungen zu untersuchen und mit denen der ab dem Jahr 2016 vorgesehenen „Maßnahmen des Einschlags und der Nutzung der Bäume“ im anderen Teil zu vergleichen.

34

Am 31. März 2016 erließ der Generaldirektor der Staatsforste im Rahmen seiner Zuständigkeit „unter Berücksichtigung dessen, was wegen der Diversifizierung der Risiken einer erheblichen Beeinträchtigung natürlicher Lebensräume und des Verlusts der Artenvielfalt aufgrund einer der bislang größten Ausbreitungen des Buchdruckers im Gebiet des Waldes von Białowieża erforderlich ist“, die Entscheidung Nr. 52 „über die genaue Regelung der Bewirtschaftung der Wälder im Gebiet der Forstbezirke Białowieża und Browsk“ (im Folgenden: Entscheidung Nr. 52).

35

Abschnitt 1 der Entscheidung Nr. 52 sieht vor, dass in den Forstbezirken Białowieża und Browsk „funktionelle Referenzzonen“ eingerichtet werden, in denen die Waldbewirtschaftung ab dem 1. April 2016 ausschließlich aufgrund natürlicher Prozesse erfolgt. Der Entscheidung zufolge beschränkt sich die Bewirtschaftung in diesen Zonen, die keine Naturschutzgebiete umfassen, u. a. auf den Einschlag von Bäumen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder ein Brandrisiko darstellen, die Zulassung einer natürlichen Erneuerung, die Erhaltung der Waldressourcen in einem Zustand, durch den ein Eindringen von Menschen in den Wald möglichst beschränkt wird, und die Einrichtung eines Schutzgürtels entlang der Grenzen der Zonen durch das Aufstellen von Pheromonfallen, mit denen verhindert werden soll, dass Schädlinge in einem Umfang, durch den das Überleben der Wälder bedroht wird, die Zonen verlassen oder in sie eindringen.

36

In Abschnitt 2 der Entscheidung Nr. 52 ist bestimmt, dass „in den Wäldern der Forstbezirke Białowieża und Browsk, die nicht in den Referenzzonen gemäß Abschnitt 1 der Entscheidung liegen, … die (auf die Waldbewirtschaftungspläne gestützte) Bewirtschaftung nach den Grundsätzen der nachhaltigen Waldbewirtschaftung [erfolgt], und zwar so, dass der Naturschutz in der Praxis durch die Anwendung von Methoden der Waldbewirtschaftung sichergestellt ist“.

37

Nach Abschnitt 4 der Entscheidung Nr. 52 sind zur Durchführung von Arbeiten gemäß bestehenden Vereinbarungen über die Waldbewirtschaftung und zur Durchführung von Arbeiten, sofern sich die Verpflichtung zu ihrer Durchführung aus allgemeinen Rechtsvorschriften, einschließlich des Bewirtschaftungsplans von 2015, ergibt, Befreiungen von den Beschränkungen möglich.

38

Am 17. Februar 2017 erließ der Generaldirektor der Staatsforste für die Forstbezirke Białowieża, Browsk und Hajnówka die Entscheidung Nr. 51 „über die Entfernung von Bäumen, die vom Buchdrucker befallen sind oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder ein Brandrisiko darstellen, in allen Altersklassen der Baumbestände der Forstbezirke Białowieża, Browsk und Hajnówka“ (im Folgenden: Entscheidung Nr. 51).

39

Nach Art. 1 der Entscheidung Nr. 51 sind die zuständigen Stellen „in Anbetracht der außergewöhnlichen Katastrophensituation, die durch die Ausbreitung des Buchdruckers entstanden ist“, u. a. dazu verpflichtet, in den Forstbezirken Białowieża, Browsk und Hajnówka unverzüglich Bäume zu fällen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, in erster Linie entlang der Verkehrs- und Tourismuswege, trockene Bäume sowie das Waldrestholz kontinuierlich zu entfernen und vom Buchdrucker befallene Bäume in allen Altersklassen kontinuierlich und rechtzeitig zu fällen sowie das Holz zu ernten und abzutransportieren oder zu entrinden und zu lagern. Nach Art. 2 der Entscheidung Nr. 51 ist ein solcher Holzeinschlag „von den Beschränkungen im Hinblick auf das Alter der Bäume und die Funktion der Baumbestände befreit“.

40

Nach Art. 1 der Entscheidung Nr. 51 soll das geerntete Holz im Rahmen eines „carbon farming“-Projekts verwendet werden. Trockenholz, das nicht vom Buchdrucker befallen ist, kann nach der Bestimmung übergangsweise auf frei gewordenen oder offenen Flächen gelagert werden, befallenes Holz ist hingegen zu entrinden und zu lagern. Die Bestimmung schreibt ferner die Schaffung eines Systems zum Verkauf des geernteten Holzes zur Deckung des Bedarfs der Bewohner der Gemeinden des Gebiets des Waldes von Białowieża vor.

41

Nach Art. 1 der Entscheidung Nr. 51 sind zur Wiederherstellung der Waldbestände nach der Ausbreitung des Buchdruckers „verschiedene Methoden zur Erneuerung“ (natürliche Regeneration, Wiederaufforstung durch Saat oder Pflanzung) und zum Schutz anzuwenden. Diese Maßnahmen sind durch eine regelmäßige Waldinventur und eine Bewertung der Artenvielfalt, auch unter Rückgriff auf ein groß angelegtes Netz an Flächen zur Bestandserhebung, zu überwachen.

42

Nach dem Erlass der Entscheidung Nr. 51 wurden in den drei Forstbezirken Białowieża, Browsk und Hajnówka in einem „Wiederherstellungsgebiet“ mit einer Fläche von etwa 34000 ha, was fast 54 % der Fläche des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska entspricht, trockene und vom Buchdrucker befallene Bäume beseitigt. Nach dem Vorbringen der Kommission, die sich dabei auf Daten der Staatsforste stützt, wurden im Waldgebiet Białowieża seit Anfang des Jahres 2017 insgesamt mehr als 35000 m3 Holz eingeschlagen, davon 29000 m3 Fichten (etwa 29000 Bäume).

III. Vorverfahren

43

Nachdem die Kommission von der Annahme des Anhangs von 2016 unterrichtet worden war, übermittelte sie den polnischen Behörden über das vorgerichtliche elektronische Kommunikationssystem EU-Pilot (8460/16/ENVI) ein Ersuchen um Klarstellung zu einer Reihe von Fragen nach den Auswirkungen der Erhöhung des Hiebsatzes im Forstbezirk Białowieża auf den Erhaltungszustand natürlicher Lebensräume und wildlebender Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska.

44

In ihrer Antwort vom 18. April 2016 rechtfertigten die polnischen Behörden die Erhöhung des Hiebsatzes in dem Gebiet mit einer Ausbreitung des Buchdruckers von bislang ungekanntem Ausmaß.

45

Am 9. und 10. Juni 2016 reisten Vertreter der Kommission in das Waldgebiet Białowieża, um in etwa zehn verschiedenen Bereichen des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska Untersuchungen durchzuführen.

46

Am 17. Juni 2016 richtete die Kommission an die polnischen Behörden ein Aufforderungsschreiben gemäß Art. 258 AEUV. Die im Anhang von 2016 genehmigten Maßnahmen seien nicht gerechtfertigt. Die polnischen Behörden hätten sich nicht vergewissert, dass die Maßnahmen nicht das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches beeinträchtigten. Durch die Genehmigung der Erhöhung des Hiebsatzes hätten sie gegen ihre Verpflichtungen aus der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verstoßen.

47

Mit Schreiben vom 27. Juni 2016 teilte der Umweltminister dem Europäischen Kommissar für Umwelt mit, dass zusätzliche Informationen zu den im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska vorkommenden Lebensräumen und Arten erforderlich seien und dass derzeit eine entsprechende Bestandserhebung durchgeführt werde.

48

Die polnischen Behörden beantworteten das Aufforderungsschreiben am 18. Juli 2016. Sie wiesen die Rügen der Kommission in vollem Umfang zurück.

49

Im Februar und im März 2017 fand ein Schriftwechsel zwischen dem polnischen Umweltminister und dem Europäischen Kommissar für Umwelt statt. Der Umweltminister teilte mit, dass die ersten Ergebnisse der Bestandserhebung nun bekannt seien und er auf dieser Grundlage entschieden habe, mit dem im Anhang von 2016 vorgesehenen Einschlag zu beginnen.

50

Mit Schreiben vom 28. April 2017 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Polen, in der sie dieser eine Verletzung ihrer Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 und 3 und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie und aus Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie vorwarf. Sie forderte die polnischen Behörden auf, der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb einer Frist von einem Monat ab deren Erhalt nachzukommen. Sie rechtfertigte diese Frist u. a. damit, dass nach ihren Informationen mit dem Einschlag begonnen worden sei und deshalb die unmittelbare Gefahr bestehe, dass das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska eine schwerwiegende, nicht wiedergutzumachende Schädigung erleide.

51

Am 17. Mai 2017 wurde die Kommission über den Erlass der Entscheidung Nr. 51 informiert.

52

Am 26. Mai 2017 beantwortete die Republik Polen die mit Gründen versehene Stellungnahme. Sie machte geltend, der Vorwurf der Vertragsverletzung sei unbegründet.

53

Da die Kommission diese Antwort nicht für zufriedenstellend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof

54

Mit gesondertem Schriftsatz, der am 20. Juli 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Art. 279 AEUV und Art. 160 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einen Antrag auf einstweilige Anordnungen gestellt. Sie hat den Gerichtshof ersucht, anzuordnen, dass die Republik Polen bis zum Erlass des Urteils zur Hauptsache zum einen, ausgenommen den Fall einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit, die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung in den Lebensräumen 91D0 (Moorwälder) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln), in den über hundert Jahre alten Waldbeständen im Lebensraum 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald), in den Lebensräumen des Wespenbussards, des Sperlingskauzes, des Raufußkauzes, des Weißrückenspechts, des Dreizehenspechts, des Zwergschnäppers, des Halsbandschnäppers und der Hohltaube sowie in den Lebensräumen der xylobionten Käfer, nämlich des Boros schneideri, des Goldstreifigen Prachtkäfers, des Scharlachroten Plattkäfers, des Rothalsigen Düsterkäfers, des Pytho kolwensis und des Ungleichen Furchenwalzkäfers, einstellt und zum anderen die Beseitigung über hundert Jahre alter toter Fichten sowie den Einschlag von Bäumen im Rahmen der Erhöhung des Hiebsatzes im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska beendet, wobei die genannten Maßnahmen aus dem Anhang von 2016 und der Entscheidung Nr. 51 folgen.

55

Wegen der Gefahr einer schwerwiegenden, nicht wiedergutzumachenden Schädigung der Lebensräume und des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska als solches hat die Kommission ferner gemäß Art. 160 Abs. 7 der Verfahrensordnung beantragt, die einstweiligen Anordnungen noch vor Eingang der Stellungnahme der Antragsgegnerin zu erlassen.

56

Mit Beschluss vom 27. Juli 2017, Kommission/Polen (C‑441/17 R, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:622), hat der Vizepräsident des Gerichtshofs dem Antrag vorläufig, bis zur Verkündung des Beschlusses, mit dem das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendet wird, stattgegeben.

57

Am 13. September 2017 hat die Kommission ihren Antrag auf einstweilige Anordnungen dahin ergänzt, dass sie den Gerichtshof ersuche, der Republik Polen außerdem ein Zwangsgeld für den Fall aufzuerlegen, dass sie den im Rahmen des Verfahrens ergehenden Anordnungen nicht nachkommt.

58

Am 28. September 2017 hat die Republik Polen beantragt, die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 16 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union an die Große Kammer des Gerichtshofs zu verweisen. Der Vizepräsident des Gerichtshofs hat die Rechtssache gemäß Art. 161 Abs. 1 der Verfahrensordnung dem Gerichtshof übertragen, der sie in Anbetracht ihrer Bedeutung gemäß Art. 60 Abs. 1 der Verfahrensordnung an die Große Kammer verwiesen hat.

59

Mit Beschluss vom 20. November 2017, Kommission/Polen (C‑441/17 R, EU:C:2017:877), hat der Gerichtshof dem Antrag der Kommission bis zur Verkündung des die vorliegende Rechtssache abschließenden Urteils stattgegeben, wobei er der Republik Polen ausnahmsweise die Durchführung der im Anhang von 2016 und in der Entscheidung Nr. 51 vorgesehenen Maßnahmen gestattet hat, wenn sie unbedingt erforderlich sind und soweit sie angemessen sind, um unmittelbar und sofort die öffentliche Sicherheit von Personen zu gewährleisten, und zwar unter der Voraussetzung, dass andere, weniger einschneidende Maßnahmen aus objektiven Gründen nicht möglich sind. Der Gerichtshof hat weiterhin angeordnet, dass die Republik Polen der Kommission spätestens 15 Tage nach Bekanntgabe des Beschlusses – unter genauer, begründeter Angabe der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung, die sie in Anbetracht ihrer Notwendigkeit für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit fortzuführen gedenkt – sämtliche Maßnahmen mitzuteilen hat, die sie ergriffen hat, um dem Beschluss in vollem Umfang nachzukommen. Seine Entscheidung über den ergänzenden Antrag der Kommission auf Auferlegung eines Zwangsgeldes hat der Gerichtshof vorbehalten.

60

Mit Beschluss vom 11. Oktober 2017, Kommission/Polen (C‑441/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:794), hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen, die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 133 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs von Amts wegen dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

V. Zur Klage

61

Die Kommission macht vier Klagegründe geltend: Die Republik Polen habe gegen Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie (erster Klagegrund), gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie (zweiter Klagegrund), gegen Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie (dritter Klagegrund) und gegen Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie (vierter Klagegrund) verstoßen.

A. Zur Zulässigkeit der Klage

1.   Vorbringen der Parteien

62

Die Republik Polen macht geltend, der zweite, der dritte und der vierte Klagegrund seien insoweit unzulässig, als sie sich auf Maßnahmen gemäß der Entscheidung Nr. 51 bezögen, die in den Forstbezirken Browsk und Hajnówka durchgeführt würden. Dadurch würden die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgelegten Beschwerdepunkte erweitert, die sich ausschließlich auf die Auswirkungen des Erlasses des Anhangs von 2016 auf den Forstbezirk Białowieża bezögen. Der Streitgegenstand werde nicht nur räumlich, sondern auch sachlich erweitert, da die Maßnahmen gemäß der Entscheidung Nr. 51 nicht mit den im Anhang von 2016 festgelegten Maßnahmen identisch seien. Im Übrigen seien der zweite, der dritte und der vierte Klagegrund unklar formuliert. Es sei nicht erkennbar, ob sich die Rügen ausschließlich gegen den Erlass des Anhangs von 2016 oder darüber hinaus auch gegen die Maßnahmen gemäß der Entscheidung Nr. 51 richteten.

63

Nach Auffassung der Kommission sind der zweite, der dritte und der vierte Klagegrund zulässig. Der Sachverhalt, der der Republik Polen in der mit Gründen versehenen Stellungnahme zur Last gelegt worden sei, betreffe allein deshalb lediglich den Forstbezirk Białowieża, weil sich die von den polnischen Behörden erlassenen Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt lediglich auf diesen Forstbezirk erstreckt hätten. Sie seien von der Republik Polen aber auch in den beiden anderen Forstbezirken des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska getroffen worden. Da es sich um gleiche Tatsachen handele, die demselben Verhalten zugrunde lägen, sei es gerechtfertigt, dass sich die Vertragsverletzungsklage auf das gesamte Gebiet beziehe, auf das sich die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichtshofs erstreckten. Die räumliche Ausdehnung, die zwischen der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Vertragsverletzungsklage erfolgt sei, hätten die polnischen Behörden selbst zu verantworten. Sie hätten sich dafür entschieden, während des Vorverfahrens Entscheidungen derselben Art zu treffen und diese verspätet zu veröffentlichen.

2.   Würdigung durch den Gerichtshof

64

Das Vorverfahren soll dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit geben, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen oder sich in sachdienlicher Weise gegen die Rügen der Kommission zu verteidigen. Der ordnungsgemäße Ablauf des Vorverfahrens ist nicht nur eine wesentliche Garantie für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür, dass ein etwaiges streitiges Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand hat (Urteil vom 16. September 2015, Kommission/Slowakei, C‑433/13, EU:C:2015:602, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65

Nach ständiger Rechtsprechung wird der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 258 AEUV durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission festgelegt, so dass die Klage auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein muss wie die Stellungnahme (Urteile vom 8. Juli 2010, Kommission/Portugal, C‑171/08, EU:C:2010:412, Rn. 25, und vom 5. April 2017, Kommission/Bulgarien, C‑488/15, EU:C:2017:267, Rn. 37).

66

Dieses Erfordernis kann aber nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen der Darlegung der Rügen im Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in den Anträgen in der Klageschrift bestehen muss, sofern nur der Gegenstand, wie er in der mit Gründen versehenen Stellungnahme umschrieben ist, nicht erweitert oder geändert worden ist (vgl. u. a. Urteil vom 9. November 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich,C‑236/05, EU:C:2006:707, Rn. 11).

67

Der Streitgegenstand einer Vertragsverletzungsklage kann sich auf Tatsachen erstrecken, die nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme eingetreten sind, sofern sie von derselben Art sind wie die, die in dieser Stellungnahme erwähnt waren, und demselben Verhalten zugrunde liegen (vgl. u. a. Urteile vom 4. Februar 1988, Kommission/Italien, 113/86, EU:C:1988:59, Rn. 11, vom 9. November 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑236/05, EU:C:2006:707, Rn. 12, und vom 5. April 2017, Kommission/Bulgarien, C‑488/15, EU:C:2017:267, Rn. 43).

68

Im vorliegenden Fall werden in der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in der Klageschrift dieselben vier Punkte beanstandet. Die Kommission rügt, die Republik Polen habe ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 und 3 und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie und aus Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie verletzt.

69

Sowohl aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme als auch aus der Klageschrift geht aber hervor, dass die Kommission geltend macht, dass alle diese Verletzungen das Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska als solches beeinträchtigen könnten.

70

Die mit Gründen versehene Stellungnahme bezieht sich lediglich auf die Maßnahmen, die im Anhang von 2016 für den Forstbezirk Białowieża vorgesehen sind, während sich der zweite, der dritte und der vierte Klagegrund, die Gegenstand der Unzulässigkeitseinrede der Republik Polen sind, auch auf die gemäß der Entscheidung Nr. 51 in den Forstbezirken Browsk und Hajnówka durchgeführten Maßnahmen beziehen.

71

Die drei Forstbezirke gehören aber alle zum Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska, das Gegenstand der mit Gründen versehenen Stellungnahme ist.

72

Ebenso wie der Anhang von 2016, der verschiedene Einschläge im Forstbezirk Białowieża, insbesondere die Entfernung vom Buchdrucker befallener Fichten (sogenannte Sanitärhiebe) und von absterbenden Bäumen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, sowie Aufforstungsmaßnahmen vorsieht, sieht die Entscheidung Nr. 51 in diesem Forstbezirk sowie in den Forstbezirken Browsk und Hajnówkain den kontinuierlichen, rechtzeitigen Einschlag vom Buchdrucker befallener Bäume, den sofortigen Einschlag von Bäumen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, die kontinuierliche Entfernung trockener Bäume und die Aufforstung der von der Ausbreitung des Buchdruckers betroffenen Baumbestände vor (im Folgenden: Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung).

73

Die Mitteilung über den Erlass der Entscheidung Nr. 51 ist der Kommission nach deren Angaben erst am 17. Mai 2017, also nach der Absendung der mit Gründen versehenen Stellungnahme (28. April 2017), zugegangen. Die Republik Polen hat dies nicht bestritten.

74

Die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme angegebenen Tatsachen sind mithin von derselben Art wie die, die in der Klageschrift angeführt sind, und liegen demselben Verhalten zugrunde.

75

Nach der oben in den Rn. 66 und 67 dargestellten Rechtsprechung war die Einbeziehung der im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska in den Forstbezirken Browsk und Hajnówka durchgeführten Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung in die Klage also zulässig. Der Streitgegenstand ist dadurch nicht verändert worden.

76

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich ferner, dass die Republik Polen, anders als sie geltend macht, keine Zweifel an der Tragweite des zweiten, des dritten und des vierten Klagegrundes haben konnte.

77

Die Republik Polen kann auch nicht geltend machen, sie habe sich gegen die Rügen der Kommission nicht sachdienlich verteidigen können. Die Vorschriften, gegen die verstoßen worden sein soll, sind identisch, ebenso der Gegenstand der Verstöße, nämlich das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska, das sie als solches beeinträchtigen können sollen. Ferner sind das betreffende Verhalten und die betreffenden Tatsachen, nämlich die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung, derselben Art und werden mit denselben Erwägungen begründet, nämlich mit der Ausbreitung des Buchdruckers und der öffentlichen Sicherheit.

78

Im Übrigen bezieht sich das in der Klagebeantwortung enthaltene Vorbringen der Republik Polen zu den Rügen der Kommission ausdrücklich sowohl auf die in dem Anhang von 2016 vorgesehenen Maßnahmen als auch auf die in der Entscheidung Nr. 51 enthaltenen Maßnahmen.

79

Folglich sind der zweite, der dritte und der vierte Klagegrund zulässig.

B. Zum Verstoß gegen Verpflichtungen aus den Verträgen

1.   Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie

a)   Vorbringen der Parteien

80

Die Kommission macht geltend, die Republik Polen habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie dem Anhang von 2016 zugestimmt und die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durchgeführt habe, ohne festgestellt zu haben, dass das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska dadurch als solches nicht beeinträchtigt werde.

81

Der Anhang von 2016 stelle insofern, als er den WBP 2012-2021 abändere, einen „Plan“ oder ein „Projekt“ dar, der bzw. das nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska in Verbindung stehe oder hierfür nicht notwendig sei, das Gebiet jedoch wegen der in ihm für den Forstbezirk Białowieża vorgesehenen Verdreifachung des Hiebsatzes erheblich beeinträchtigen könne. Anders als der Bewirtschaftungsplan von 2015 stelle der WBP 2012‑2021 keinen Bewirtschaftungsplan im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie dar. Er lege nicht die Erhaltungsziele und die nötigen Erhaltungsmaßnahmen für die Natura-2000-Gebiete fest. Mit den WBP 2012‑2021 würden in erster Linie die Praktiken der Waldbewirtschaftung geregelt, insbesondere durch die Festlegung des Hiebsatzes und von Maßnahmen zum Schutz der Wälder. Vor dem Erlass oder der Änderung des Plans hätte deshalb gemäß Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie eine angemessene Prüfung auf Verträglichkeit mit den für das Natura-2000-Gebiet festgelegten Erhaltungszielen durchgeführt werden müssen.

82

Die polnischen Behörden hätten jedoch nicht festgestellt, dass der Anhang von 2016 das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches nicht beeinträchtige, d. h., dass die grundlegenden Eigenschaften des Gebiets, die mit dem Vorkommen eines bestimmten natürlichen Lebensraumtyps zusammenhingen, zu dessen Erhaltung das Gebiet als GGB und als BSG ausgewiesen worden sei, dauerhaft erhalten würden. Im vorliegenden Fall seien dies folgende Merkmale: natürliche ökologische Prozesse, die in dem Gebiet ablaufen, z. B. die natürliche Regeneration der Bäume, die natürliche, nicht vom Menschen gesteuerte Selektion der Arten und die natürliche ökologische Sukzession, die Artenvielfalt und die Altersstruktur der Baumbestände mit einem hohen Anteil an Bäumen in der Optimal- und Plenterphase, Vorhandensein von reichlich Totholz und Vorkommen von Arten, die für natürliche, vom Menschen nicht gestörte Wälder typisch sind und in natürlichen Lebensräumen leben.

83

Die im Anhang von 2016 vorgesehenen Maßnahmen der Entfernung toter und absterbender Bäume, der Waldbewirtschaftung durch sogenannte Sanitärhiebe, des Einschlags von Bäumen in mehr als hundert Jahre alten Beständen in subkontinentalem Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald und in Auenwäldern und der Entfernung von mehr als hundert Jahre alten absterbenden oder toten Fichten, die vom Buchdrucker befallen seien, bedeuteten aber potenzielle Gefahren für die natürlichen Lebensräume und die Lebensräume der betreffenden Arten, wie sie im Bewirtschaftungsplan von 2015 identifiziert seien. Zu diesen potenziellen Gefahren zählten de facto auch sogenannte Sanitärhiebe.

84

Der Buchdrucker werde im Bewirtschaftungsplan von 2015 hingegen nicht als Gefahr für die betreffenden Lebensräume angesehen. Ebenso wenig sei die Bekämpfung des Buchdruckers durch den Einschlag und die Entfernung befallener Fichten in dem Plan als Erhaltungsmaßnahme anerkannt worden. Vielmehr werde die Entfernung vom Buchdrucker befallener Fichten im Bewirtschaftungsplan von 2015 ausdrücklich als Gefahr für die Lebensräume des Sperlingskauzes, des Raufußkauzes und des Dreizehenspechts angesehen.

85

Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft seien Phasen der Ausbreitung des Buchdruckers Teil des natürlichen Zyklus alter Wälder mit Fichten. Solche Phänomene seien in der Vergangenheit im Waldgebiet Białowieża regelmäßig beobachtet worden. Sie würden im Nationalpark von Białowieża, wo der Erhaltungszustand der Lebensräume besser sei als in den von den Staatsforsten verwalteten Forstbezirken, in denen sogenannte Sanitärhiebe vorgenommen worden seien, nicht weiter verfolgt. Wissenschaftliche Studien belegten den besseren Erhaltungszustand der Lebensräume des Waldes von Białowieża, in die überhaupt nicht eingegriffen werde. Die Wissenschaftler befürchteten auch, dass die Entfernung toter oder absterbender Bäume die Altersstruktur der Baumbestände aus dem Gleichgewicht bringe, die Vielfalt der geschützten Arten und Lebensräume schmälere und zahlreichen geschützten Tierarten die Nahrungsgrundlage in erheblichem Umfang entziehe. Die Entfernung von Totholz im Rahmen sogenannter Sanitärhiebe sei somit nicht mit dem Ziel der Erhaltung der geschützten Gebiete zu vereinbaren, da es zur Bewahrung der Biodiversität erforderlich sei, das Totholz im Wald zu belassen.

86

Im Übrigen sei das Ausmaß des im Anhang von 2016 vorgesehenen Einschlags alles andere als gering.

87

Die Gebiete, in denen der Hiebsatz erhöht worden sei, seien dieselben, für die der Bewirtschaftungsplan von 2015 Erhaltungsmaßnahmen vorsehe, mit denen über hundert Jahre alte Baumbestände von Maßnahmen der Waldbewirtschaftung ausgenommen würden.

88

Die Entscheidung Nr. 51 schreibe in den drei Forstbezirken des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska zur Bekämpfung des Buchdruckers den Einschlag und die Entfernung von Bäumen aus Beständen aller Altersklassen vor. Das „Wiederherstellungsgebiet“, in dem die Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Buchdruckers gemäß dem Anhang von 2016 begonnen worden seien, umfasse eine Fläche von 34000 ha, was 50 % der Fläche des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska entspreche, während die Referenzzonen eine Fläche von 17000 ha umfassten.

89

Selbst unterstellt, die Fläche, für die der Anhang von 2016 Maßnahmen der Waldbewirtschaftung vorsehe, umfasste, wie die polnischen Behörden geltend machten, 5 % des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska, wäre dies nicht unerheblich. Denn auch dann läge ein Verstoß gegen die Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie vor. Im Übrigen sei die Verpflichtung, die funktionelle Integrität des Gebiets zu wahren, indem bei den Arten, die eine große Menge an Totholz lieferten, die ökologischen Zusammenhänge beachtet würden, von grundlegender Bedeutung. Indem sie im WBP 2012‑2021 einen Hiebsatz bis 2021 von 63471 m3 festgelegt hätten, hätten die zuständigen Behörden, nach einer Prüfung auf Verträglichkeit mit den für das Gebiet festgelegten Erhaltungszielen, ein ausgewogenes Niveau der Nutzung gefunden.

90

Die polnischen Behörden hätten Stellungnahmen mehrerer wissenschaftlicher Institute, die zu dem Schluss gelangt seien, dass die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska beeinträchtigen könnten, obwohl sie ihnen durchaus bekannt gewesen seien, zu keinem Zeitpunkt des Entscheidungsprozesses berücksichtigt.

91

Die polnischen Behörden hätten sich nicht auf die Verträglichkeitsprüfung von 2015 berufen können, um wissenschaftliche Zweifel hinsichtlich des Fehlens einer Beeinträchtigung des Gebiets als solches auszuschließen. Die Verträglichkeitsprüfung von 2015, der die Verträglichkeitsprüfung von 2012 zugrunde liege, konzentriere sich auf vom Buchdrucker befallene Bestände. Zudem sei bei ihr eine fehlerhafte Methode angewandt worden. Sie beziehe sich nämlich nicht auf die speziellen Ziele der Erhaltung der Lebensräume und Tierarten, die Gegenstand des Bewirtschaftungsplans von 2015 seien. Außerdem werde nicht definiert, was unter dem Gebiet als solches zu verstehen sei und nicht erläutert, inwiefern das Gebiet als solches durch die vorgesehenen Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden könne. Im Übrigen seien beim Erlass des Anhangs von 2016 nicht die aktualisierten Daten zugrunde gelegt worden. Die polnischen Behörden hätten 2016 für das Gebiet eine Bestandserhebung durchgeführt, um die Verbreitung der Tierarten besser zu kennen. Beim Erlass der mit Gründen versehenen Stellungnahme hätten die Ergebnisse dieser Erhebung noch nicht vorgelegen.

92

Für das Nichtbestehen vernünftiger wissenschaftlicher Zweifel hinsichtlich des Fehlens einer Beeinträchtigung des betreffenden Gebiets als solches sei der Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der der Durchführung des betreffenden Projekts zugestimmt werde, maßgeblich. Die Republik Polen habe also bereits deshalb gegen Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie verstoßen, weil der Umweltminister bei seiner Zustimmung zum Anhang von 2016 nicht habe sicher sein können, dass die in dem Anhang vorgesehenen Maßnahmen das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches nicht beeinträchtigen würden. Auch wenn sich später herausstelle, dass keine Beeinträchtigung vorliege, könne der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie nicht geheilt werden. Bei der Zustimmung zum Anhang von 2016 seien die Voraussetzungen für den Erlass einer positiven Entscheidung nämlich nicht erfüllt gewesen.

93

Die Einrichtung von Referenzzonen durch die Entscheidung Nr. 52 habe also keine Maßnahme dargestellt, die die Beeinträchtigung durch die Durchführung des Anhangs von 2016 abgemildert hätte. Zum einen seien die Referenzzonen nicht Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung von 2015 gewesen. Zum anderen hätte die Beeinträchtigung durch die Durchführung des Anhangs von 2015 durch die Einrichtung der Referenzzonen nicht verhindert oder reduziert werden können. Mit der Einrichtung der Referenzzonen sei nämlich lediglich in einem Teil des Forstbezirks von Białowieża der status quo wiederhergestellt worden. Für dessen größeren Rest sei die Beeinträchtigung durch die im Anhang von 2016 vorgesehenen Maßnahmen aber nicht begrenzt worden. Außerdem seien die Referenzzonen willkürlich festgelegt worden. Da die Festsetzung der Referenzzonen keine Auswirkungen auf den im Anhang von 2016 festgesetzten Hiebsatz habe, führe sie letztlich zu einer Intensivierung des Einschlags im Rest des Forstbezirks Białowieża. Im Übrigen seien in den Zonen Ausnahmen vom Ausschluss der aktiven Bewirtschaftung möglich. Und die Entscheidung Nr. 51 schreibe die Entfernung von Trockenholz und vom Buchdrucker befallener Bäume jeder Altersklasse ohne Rücksicht auf die Referenzzonen vor.

94

Die Republik Polen macht geltend, der WBP 2012-2021 sei ebenso wie der Anhang von 2016 ein Bewirtschaftungsplan im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie. Ein solcher Plan sei nämlich ein technisches Hilfsmittel, das erforderlich sei, um die Durchführung der im Bewirtschaftungsplan von 2015 vorgesehenen Erhaltungsmaßnahmen zu gewährleisten. Darin sei nämlich der Hiebsatz nicht festgelegt. Mit dem Anhang von 2016 könne das Erhaltungsziel der Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers verwirklicht werden. Der im Anhang von 2016 für den Forstbezirk Białowieża festgesetzte Hiebsatz (188000 m3) liege deutlich unter den Hiebsätzen, die in den Bewirtschaftungsplänen für die Zeiträume 1992–2001 (308000 m3) und 2002–2011 (302000 m3) festgesetzt worden seien.

95

Man habe eine potenzielle Beeinträchtigung des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska durch die Durchführung des Anhangs von 2016 für wahrscheinlich gehalten. Genau deshalb habe man es für erforderlich erachtet, die Verträglichkeitsprüfung von 2015 durchzuführen. Daraufhin sei ein erster Entwurf eines Anhangs, mit dem der Hiebsatz auf 317894 m3 festgesetzt worden sei, abgelehnt worden. Unter Berücksichtigung der Verträglichkeitsprüfung sei der Hiebsatz im Anhang von 2016 dann um 129000 m3 herabgesetzt worden. Die Verträglichkeitsprüfung für den Anhang von 2016 habe ergeben, dass signifikante negative Auswirkungen auf das Gebiet als solches nicht wahrscheinlich seien. Vielmehr habe der Anhang von 2016 signifikante positive Auswirkungen auf die im Bewirtschaftungsplan von 2015 geschützten Lebensräume und Arten. Die Änderung des Hiebsatzes sei nämlich unerlässlich, um die in diesem Plan vorgesehenen Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Im Übrigen sei im Anhang von 2016 nicht vorgesehen, dass Tiere absichtlich getötet, gefangen oder gestört würden.

96

Die Annahme der Kommission, bei den im Anhang von 2016 aufgeführten Maßnahmen bestehe die Gefahr einer Beeinträchtigung des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska als solches, sei nicht zutreffend.

97

Die Kommission habe nicht bedacht, dass das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches jahrhundertelang von Menschenhand gestaltet worden sei, und zwar durch nachhaltige Forstwirtschaft. Der Zustand und die Verbreitung der Lebensräume und Arten, wie sie bei der Ausweisung des Gebiets vorgelegen hätten, seien das Ergebnis der vorherigen Nutzung des Waldes von Białowieża, nämlich der Entnahme von Holz aus den in der Vergangenheit gepflanzten Baumbeständen. Der Niedergang der Baumbestände, insbesondere der Fichten, sei auf die auf Druck der Kommission im WBP 2012‑2021 vorgesehene drastische Senkung der Nutzung in den alternden Baumbeständen zurückzuführen, die zu einer Ausbreitung des Buchdruckers geführt habe. Nach diesem Niedergang hätten sich die geschützten Lebensräume verändert. Insbesondere der vorherrschende Lebensraum 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald) habe begonnen, sich in Sumpfland oder Wiesen zu verwandeln. Die polnischen Behörden hätten daraufhin auf der Grundlage einer umfassenden Erhebung des Zustands der Lebensräume und der Arten des Natura–2000-Gebiets Puszcza Białowieska einen Maßnahmenkatalog erarbeitet. Mit dem Erlass des Anhangs von 2016 sei mithin versucht worden, zur alten Bewirtschaftungsmethode zurückzugelangen.

98

Das Gebiet als solches und die Erhaltung der Lebensräume, die darin vorkämen, würden deshalb durch die Unterbrechung der Erhaltungsmaßnahmen gefährdet. Das Fehlen eines Tätigwerdens des Menschen zur Unterstützung der Aufrechterhaltung der Biodiversität führe zu einem Niedergang der Arten und ihrer Lebensräume. Die Kommission sei daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich beim Waldgebiet Białowieża um einen Primärwald handele, und habe zu Unrecht festgestellt, dass die in dem Wald vorkommenden Arten typisch für nicht vom Menschen gestörte Gebiete seien.

99

Auch in anderen Mitgliedstaaten habe man sich für eine aktive Waldbewirtschaftung entschieden. So sei etwa in Österreich ein Programm zur Begrenzung der Ausbreitung des Buchdruckers in den Nationalparks und den Gebieten mit hohem natürlichem Wert ausgearbeitet worden. Danach sei das Verbot der Durchführung von Arbeiten in den „Biodiversitätszentren“ beibehalten worden. Gleichzeitig aber seien die angrenzenden Forste durch die Verwendung von Techniken der Waldbewirtschaftung geschützt worden. Es werde in dem Programm allgemein empfohlen, Gebieten, in denen die natürlichen Prozesse geschützt seien, wie Nationalparks, klar in eine interventionsfreie Zone und umliegende Zonen, in denen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers durchgeführt würden, zu untergliedern. Mit den Referenzzonen habe die Republik Polen denselben Ansatz verfolgt.

100

Die im Anhang von 2016 vorgesehenen Maßnahmen stünden mit dem Bewirtschaftungsplan von 2015 in Einklang. So schließe der Anhang von 2016 in Beständen einer Art, die zu mindestens 10 % aus Individuen bestehen, die hundert oder mehr Jahre alt sind, Bewirtschaftungsmaßnahmen wie Einschlag und Beschnitt aus. In solchen Beständen würden lediglich Sanitärhiebe vorgenommen, um vom Buchdrucker befallenes Fichtenholz zu beseitigen. Trockenholz werde nicht entfernt. In Naturschutz- und in Sumpf- und Feuchtgebieten, die mit 7123 ha 58 % der Fläche des Forstbezirks Białowieża ausmachten, würden keine Sanitärhiebe vorgenommen. Die im Anhang von 2016 vorgesehenen Maßnahmen bezögen sich lediglich auf 5,4 % (3401 ha) der Fläche des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska. Die Verträglichkeitsprüfung von 2015 habe daher ergeben, dass sich die durch die Entfernung toter oder absterbender Bäume bestehende potenzielle Gefahr, die im Bewirtschaftungsplan von 2015 identifiziert worden sei, nicht verwirklichen könne.

101

Was die xylobionten Käfer angehe, sei festzustellen, dass stehende, der Sonne ausgesetzte tote Kiefern, die den Lebensraum des Goldstreifigen Prachtkäfers bildeten, nicht entfernt würden. Die Populationen des Scharlachroten Plattkäfers konzentrierten sich nach den 2016 und 2017 an 12000 Bäumen durchgeführten Untersuchungen auf Espe und Esche. Die seit April 2016 durchgeführte Erhebung stelle das erste Vorhaben dieser Art dar, bei dem die verschiedenen Biodiversitätsparameter in 1400 Zonen, die nach einem regelmäßigen Raster über das gesamte Gebiet des Waldes von Białowieża verteilt seien, objektiv und auf statistisch gesicherter Grundlage bewertet worden seien. Beim Boros schneideri gehe die Hauptgefahr vom Niedergang der Kiefer aus, beim Rothalsigen Düsterkäfer, beim Pytho kolwensis und beim Ungleichen Furchenwalzkäfer von der Unterbrechung des kontinuierlichen Nachschubs großstückigen Totholzes, die auf den durch die Ausbreitung des Buchdruckers ausgelösten schlagartigen Niedergang der alten Fichtenbestände zurückzuführen sei.

102

Die im Zusammenhang mit der Entfernung toter Fichten vorgenommenen Einschläge hätten aufgrund der Lichtung des Waldes einen positiven Einfluss auf den Lebensraum des Goldstreifigen Prachtkäfers und des Eremiten. Für die anderen Arten, den Boros schneideri, den Scharlachroten Plattkäfer und den Ungleichen Furchenwalzkäfer sei die Fichte nicht die bevorzugte Baumart. Derzeit enthalte das Waldgebiet Białowieża durchschnittlich etwa 64 m3 Totholz pro Hektar. Durch den kontinuierlichen Nachschub von Totholz in der Natur sei die Sicherheit der Lebensräume der betreffenden Käfer daher in vollem Umfang gesichert.

103

Es seien auch die Referenzzonen zu berücksichtigen. Damit sollten nicht etwa angeblich negative Auswirkungen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung ausgeglichen oder abgemildert werden. Die Zonen seien nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV als Referenzzonen gegenüber den übrigen Zonen des Waldes von Białowieża eingerichtet worden. Die Lage der Zonen hänge mit dem Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der fehlenden Erforderlichkeit, Erhaltungsmaßnahmen gemäß dem Bewirtschaftungsplan von 2015 durchzuführen, zusammen. Die Kommission könne den polnischen Behörden nicht vorwerfen, für die Zonen keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt zu haben. Eine solche Prüfung hätte dann nämlich auch für die von der Kommission geforderte Einstellung der Bewirtschaftung im gesamten Waldgebiet Białowieża durchgeführt werden müssen.

104

Die Kommission gehe zu Unrecht davon aus, dass sich Untätigkeit positiv auf die Biodiversität auswirke. Nach den seit April 2016 durchgeführten Erhebungen komme in den strengen Schutzzonen des Nationalparks von Białowieża nur eine Kolonie des Boros schneideri vor, im Forstbezirk Białowieża insgesamt hingegen 70. Eine vergleichbare Situation habe man bei einer ganzen Reihe anderer Arten wie etwa dem Sperlingskauz oder dem Dreizehenspecht feststellen können.

105

Was die Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse angehe, sei festzustellen, dass das Waldgebiet Białowieża ein derart spezifisches und einzigartiges Ökosystem sei, dass sich die Ergebnisse von Studien über die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Organismen, die in anderen Ökosystemen durchgeführt worden seien, nicht auf die Situation im Waldgebiet Białowieża übertragen ließen. Während ein Teil der Wissenschaft der Bekämpfung der Ausbreitung des Buchdruckers durch Einschlag der befallenen Bäume kritisch gegenüberstehe, gebe es aber auch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, die zu dem Ergebnis gelangten, dass das Nichteinschreiten gegen den Buchdrucker im Waldgebiet Białowieża wahrscheinlich gerade dazu führen würde, dass für die natürlichen Lebensräume und die Lebensräume der Arten, für deren Schutz das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska ausgewiesen worden sei, ein schwerer, nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde. Nach einer Studie über das Waldgebiet Białowieża sei der strenge Schutz bei der Strategie der Erhaltung und Aufrechterhaltung einer hohen Biodiversität lediglich ein ergänzender Faktor, nicht aber der entscheidende.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

1) Vorbemerkungen

106

Art. 6 der Habitatrichtlinie sieht eine ganze Reihe besonderer Verpflichtungen und Verfahren vor, die, wie sich aus ihrem Art. 2 Abs. 2 ergibt, darauf abzielen, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von Interesse für die Europäische Union zu bewahren oder gegebenenfalls wiederherzustellen, um das allgemeinere Ziel der Richtlinie, ein hohes Niveau des Umweltschutzes für die gemäß der Richtlinie geschützten Gebiete zu gewährleisten, zu verwirklichen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 36, und vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK, C‑243/15, EU:C:2016:838, Rn. 43).

107

Die Bestimmungen der Habitatrichtlinie zielen darauf ab, dass die Mitgliedstaaten geeignete Schutzmaßnahmen treffen, um die ökologischen Merkmale der Gebiete, in denen natürliche Lebensraumtypen vorkommen, zu erhalten (Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 38, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 36).

108

Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie sieht hierzu ein Prüfverfahren vor, das durch eine vorherige Prüfung gewährleisten soll, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, dieses jedoch erheblich beeinträchtigen könnten, nur genehmigt werden, soweit sie das Gebiet als solches nicht beeinträchtigen (Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 28, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 43).

109

Bei nach der Anwendung der Habitatrichtlinie zu BSG erklärten Gebieten treten die Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie nach deren Art. 7 ab dem Datum, zu dem das betreffende Gebiet zum besonderen Schutzgebiet erklärt wird, an die Stelle der Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 24. November 2016, Kommission/Spanien, C‑461/14, EU:C:2016:895, Rn. 71 und 92 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

110

Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie unterscheidet zwei Phasen.

111

Die erste Phase (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie) verlangt von den Mitgliedstaaten eine Prüfung der Verträglichkeit von Plänen oder Projekten mit einem geschützten Gebiet, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese das Gebiet erheblich beeinträchtigen (Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 29, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 44).

112

Bei Plänen oder Projekten, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, ist, wenn sie die für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele gefährden, nach dem Vorsorgegrundsatz davon auszugehen, dass sie das Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten. Die Beurteilung dieser Gefahr ist namentlich im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des von solchen Plänen oder Projekten betroffenen Gebiets vorzunehmen (vgl. u. a. Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 30, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 45).

113

Bei der nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie durchzuführenden Prüfung eines Plans oder Projekts auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet sind unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sämtliche Gesichtspunkte des Plans oder Projekts zu ermitteln, die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen oder Projekten die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen können (vgl. u. a. Urteile vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 51, und vom 26. April 2017, Kommission/Deutschland, C‑142/16, EU:C:2017:301, Rn. 57).

114

Die Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie darf daher nicht lückenhaft sein. Sie muss vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen der Arbeiten, die in dem betreffenden Schutzgebiet geplant sind, auszuräumen (vgl. u. a. Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 44, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 50).

115

In der zweiten Phase (Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie), die an die Verträglichkeitsprüfung anschließt, wird die Zustimmung zu dem Plan oder Projekt vorbehaltlich des Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie nur erteilt, wenn dieser das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigt (Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 31, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 46).

116

Damit ein Gebiet nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie als solches in seiner Eigenschaft als natürlicher Lebensraum beeinträchtigt wird, muss es in einem günstigen Erhaltungszustand erhalten werden, was voraussetzt, dass seine grundlegenden Eigenschaften, die mit dem Vorkommen eines natürlichen Lebensraumtyps zusammenhängen, zu dessen Erhaltung das Gebiet in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne dieser Richtlinie aufgenommen wurde, dauerhaft erhalten werden (Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 39, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 47).

117

Die Genehmigung eines Plans oder Projekts im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie darf daher nur unter der Voraussetzung erteilt werden, dass die zuständigen Behörden Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich der Plan oder das Projekt nicht dauerhaft nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirkt. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 40, und vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK, C‑243/15, EU:C:2016:838, Rn. 42).

118

Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie schließt mithin den Vorsorgegrundsatz ein und erlaubt es, durch Pläne oder Projekte entstehende Beeinträchtigungen der Schutzgebiete als solche wirksam zu verhüten. Ein weniger strenges Genehmigungskriterium könnte die Verwirklichung des Ziels des Schutzes der Gebiete, dem diese Bestimmung dient, nicht ebenso wirksam gewährleisten (Urteile vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 41, und vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 53).

119

Die zuständigen nationalen Behörden dürfen daher keine Eingriffe zulassen, die die ökologischen Merkmale von Gebieten, in denen natürliche Lebensraumtypen vorkommen, die von gemeinschaftlichem Interesse oder prioritär sind, dauerhaft beeinträchtigen könnten, was insbesondere dann der Fall ist, wenn der Lebensraumtyp durch den Eingriff verschwinden oder teilweise irreparabel zerstört werden könnte (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, C‑404/09, EU:C:2011:768, Rn. 163, und vom 11. April 2013, Sweetman u. a., C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 43).

120

Nach ständiger Rechtsprechung darf zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der das Projekt genehmigt wird, aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass es sich nicht nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirkt (vgl. u. a. Urteile vom 26. Oktober 2006, Kommission/PortugalC‑239/04, EU:C:2006:665, Rn. 24, und vom 26. April 2017, Kommission/Deutschland, C‑142/16, EU:C:2017:301, Rn. 42).

121

Ob die Republik Polen mit dem Erlass des Anhangs von 2016 und der Entscheidung Nr. 51 gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, wie die Kommission mit ihrem ersten Klagegrund geltend macht, ist nach Maßgabe dieser Grundsätze zu prüfen.

2) Zum Vorliegen eines nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebiets in Verbindung stehenden oder hierfür nicht notwendigen Plans oder Projekts

122

Mit dem Anhang von 2016 wurde der für den Forstbezirk Białowieża für den Zeitraum 2012–2021 geltende Waldbewirtschaftungsplan geändert, um den Hiebsatz in diesem Forstbezirk durch Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung wie die Entfernung vom Buchdrucker befallener Fichten (sogenannte Sanitärhiebe), die Entfernung absterbender Bäume und die Aufforstung von 63471 m3 auf 188000 m3 zu erhöhen. Die Maßnahmen wurden gemäß der Entscheidung Nr. 51 nicht nur im Forstbezirk Białowieża, sondern auch in den Forstbezirken Browsk und Hajnówka durchgeführt.

123

Der Anhang von 2016 dient somit allein der Erhöhung des Hiebsatzes im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska durch die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung. Es werden keine Erhaltungsziele oder ‑maßnahmen für das Gebiet festgelegt. Diese finden sich in dem kurze Zeit zuvor von den polnischen Behörden erlassenen Bewirtschaftungsplan von 2015.

124

Mithin stellen der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51, mit denen ein solcher Eingriff in die Natur zur Nutzung der Ressourcen des Waldes erlaubt wird, für das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie „Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind“, dar.

125

Es ist insoweit ohne Belang, dass der im Anhang von 2016 festgelegte Hiebsatz niedriger ist als die in den Waldbewirtschaftungsplänen für die Zeiträume 1992–2001 und 2002–2011 festgelegten. Das Vorliegen eines nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebiets in Verbindung stehenden oder hierfür nicht notwendigen Plans oder Projekts hängt nämlich maßgeblich von der Art des betreffenden Eingriffs ab, und nicht allein von dessen Ausmaß.

126

Das Vorbringen der Republik Polen, mit dem Anhang von 2016 habe das Erhaltungsziel der Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers verwirklicht werden können, ist nicht stichhaltig. Dieses Ziel gehört nämlich nicht zu den im Bewirtschaftungsplan von 2015 festgelegten Erhaltungszielen. Vielmehr heißt es in Anhang 3 dieses Plans ausdrücklich, dass die Entfernung vom Buchdrucker befallener Fichten als eine potenzielle Gefahr für die Aufrechterhaltung eines für die Lebensräume des Sperlingskauzes, des Raufußkauzes und des Dreizehenspechts günstigen Erhaltungszustands anzusehen sei.

127

Demnach war die Republik Polen nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie verpflichtet, für die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, um zu ermitteln, ob sie das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches wahrscheinlich erheblich beeinträchtigen.

3) Zur Frage, ob eine angemessene Verträglichkeitsprüfung erforderlich war und ob eine solche Prüfung durchgeführt worden ist

128

Die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung, nämlich das Entfernen und der Einschlag von Bäumen in geschützten Lebensräumen des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska sind bereits aufgrund ihrer Art, aber auch aufgrund ihrer Reichweite und ihrer Intensität, geeignet, die für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu beeinträchtigen.

129

Nach dem Anhang von 2016 beträgt der Hiebsatz im Forstbezirk Białowieża im Zeitraum 2012–2021 188000 m3. Das ist ein hoher Wert. Er ist nahezu dreimal so hoch wie der, der im WBP 2012‑2021 für denselben Zeitraum festgelegt worden war.

130

Die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung würden das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches also wahrscheinlich erheblich beeinträchtigen.

131

Die Republik Polen bestreitet auch nicht, dass sie verpflichtet war, für die Maßnahmen eine Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie durchzuführen. Sie meint aber, sie sei dieser Verpflichtung mit der Verträglichkeitsprüfung von 2015 in vollem Umfang nachgekommen.

132

Nach einer ersten Verträglichkeitsprüfung, die ergab, dass der ursprüngliche Entwurf des Anhangs zum WBP 2012‑2021 für den Forstbezirk Białowieża, in dem ein Hiebsatz von 317894 m3 festgesetzt worden war, das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches beeinträchtigen könnte, haben die polnischen Behörden den Hiebsatz im Anhang von 2016 zwar auf 188000 m3 herabgesetzt.

133

Die Verträglichkeitsprüfung von 2015 weist aber mehrere wesentliche Mängel auf.

134

Erstens war Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung von 2015 lediglich der Anhang von 2016, nicht aber die Entscheidung Nr. 51. Mit dieser wurden die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung, die im Anhang von 2016 lediglich für den Forstbezirk Białowieża vorgesehen waren, aber auf die Forstbezirke Browsk und Hajnówka und somit, mit Ausnahme des Nationalparks, auf das gesamte Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska ausgedehnt.

135

Für die Forstbezirke Browsk und Hajnówka ist die Verträglichkeit der Maßnahmen von den polnischen Behörden also überhaupt nicht geprüft worden. Nach der oben in Rn. 113 dargestellten Rechtsprechung sind bei der Prüfung der Verträglichkeit eines nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehenden oder hierfür nicht notwendigen Plans oder Projekts aber die Auswirkungen zu berücksichtigen, die der Plan oder das Projekt in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten für die für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele hat.

136

Zweitens ergibt sich, wie der Generalanwalt in Nr. 162 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bereits aus dem Wortlaut von Abschnitt 4.2 der Verträglichkeitsprüfung von 2015, dass diese auf der Grundlage von Daten durchgeführt wurde, die bei der Prüfung der Verträglichkeit des WBP 2012‑2021 herangezogen worden waren, und nicht auf der Grundlage aktualisierter Daten. Es heißt dort nämlich, dass „[d]ie in der ‚Umweltverträglichkeitsprüfung‘ für die Jahre 2012 bis 2021 enthaltenen Bestimmungen zu den Auswirkungen auf das Natura-2000-Gebiet [Puszcza Białowieska] … grundsätzlich nicht zu aktualisieren [sind]“.

137

Eine Verträglichkeitsprüfung ist aber nicht „angemessen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie, wenn aktualisierte Daten zu den Lebensräumen und geschützten Arten fehlen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2012, Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a., C‑43/10, EU:C:2012:560, Rn. 115).

138

Dies gilt hier umso mehr, als mit den Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung gerade einer neuen Entwicklung im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska Rechnung getragen werden soll, die nach dem Erlass des WBP 2012‑2021 eingetreten sein soll, nämlich, wie es in Abschnitt 2.8 der Verträglichkeitsprüfung von 2015 heißt, „einer stärkeren Verschlechterung der Baumbestände wegen der zunehmenden Ausbreitung des Buchdruckers“, deren erste Symptome im Jahr 2011 aufgetreten seien und die im Lauf des Jahres 2015 ihren Höhepunkt erreicht habe.

139

Dafür, dass auf der Grundlage vollständiger, präziser und endgültiger Feststellungen aus wissenschaftlicher Sicht unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse kein vernünftiger Zweifel daran bestehen darf, dass sich das Projekt nicht nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirkt, ist nach der oben in den Rn. 113, 114 und 120 dargestellten Rechtsprechung aber der Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der das Projekt genehmigt wird, maßgeblich.

140

Drittens ist die Verträglichkeitsprüfung von 2015 nicht im Hinblick auf die Ziele der Erhaltung der im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska, auf das sich der Bewirtschaftungsplan von 2015 bezieht, geschützten Lebensräume und Arten durchgeführt worden. Es wird auch nicht definiert, was das Gebiet als solches ausmacht. Und es wird nicht wirklich erläutert, warum die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung das Gebiet nicht beeinträchtigen können.

141

Die Verträglichkeitsprüfung von 2015 legt den Schwerpunkt auf die vom Buchdrucker befallen Baumbestände, also hauptsächlich Fichten, untersucht aber nicht systematisch und detailliert die Gefahren, die die Durchführung der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung für die einzelnen Lebensräume und Arten, die im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska geschützt sind, bedeutet.

142

Bei den Lebensräumen 91D0 (Moorwälder) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln) gelangt die Verträglichkeitsprüfung von 2015 nach der Feststellung, dass in diesen Lebensräumen die Fichtenbestände „durchforstet“ worden seien, in Abschnitt 4.2.1 ohne weitere Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Durchforstung „dem Zustand der Erhaltung des Lebensraums nicht abträglich sein werde“. Es wird hierzu lediglich ausgeführt, dass das Ausmaß der Hiebe „vom konkreten Risiko der weiteren Ausbreitung abhängen [müsse]“. Zur wahrscheinlichen Entwicklung der Ausbreitung werden jedoch überhaupt keine konkreten Angaben gemacht.

143

Ebenso werden in der Verträglichkeitsprüfung von 2015 in Abschnitt 4.2.3 „vernachlässigbare Auswirkungen“ auf den Rothalsigen Düsterkäfer, den Pytho kolwensis, den Wespenbussard, den Weißrückenspecht, den Zwergschnäpper, den Halsbandschnäpper und die Hohltaube festgestellt. Begründet wird dies lediglich damit, dass es sich um Arten handele, „von denen die meisten unmittelbar an Waldgebiete gebunden sind und auf die die geplanten Maßnahmen keine erheblichen Auswirkungen haben“. In Abschnitt 4.2.3 der Verträglichkeitsprüfung von 2015 wird zum Boros schneideri, zum Goldstreifigen Prachtkäfer, zum Scharlachroten Plattkäfer, zum Eremiten, zum Ungleichen Furchenwalzkäfer, zum Sperlingskauz und zum Dreizehenspecht festgestellt, dass „Auswirkungen auf ihren Lebensraum in vereinzelten Fällen nicht ausgeschlossen werden können“. Erhebliche Auswirkungen werden mit der bloßen Feststellung verneint, dass „die Bestände mit absterbenden Bäumen teilweise“ erhalten blieben. Es wird aber weder festgelegt, in welchem Umfang noch an welchen Orten solche Bestände erhalten bleiben sollen.

144

Die Verträglichkeitsprüfung von 2015 war somit nicht geeignet, jeglichen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der schädlichen Auswirkungen des Anhangs von 2016 auf das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska auszuräumen.

145

Bestätigt wird dies dadurch, dass an dem Tag, an dem der Anhang von 2015 erlassen wurde, auch der Maßnahmenkatalog erlassen wurde, und sechs Tage später dann die Entscheidung Nr. 52.

146

Wie sich aus der Begründung des Maßnahmenkatalogs und den Bestimmungen der Entscheidung Nr. 52 ergibt, sollten damit gerade die Auswirkungen der im Anhang von 2015 festgelegten Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auf das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska bewertet werden, indem in den Forstbezirken Białowieża und Browsk Referenzzonen eingerichtet wurden, in denen die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung nicht durchgeführt werden sollten.

147

Wie die Republik Polen selbst erläutert hat, sollte mit den Referenzzonen auf einer Fläche von etwa 17000 ha die Entwicklung der Merkmale des Gebiets bei Fehlen menschlicher Eingriffe beurteilt werden, um diese dann mit der Entwicklung im übrigen Gebiet der drei Forstbezirke (34000 ha) zu vergleichen, in dem die im Anhang von 2016 vorgesehenen Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durchgeführt werden.

148

Eine angemessene Verträglichkeitsprüfung muss aber vor der Genehmigung des betreffenden Plans oder Projekts durchgeführt werden (vgl. u. a. Urteil vom 7. September 2004, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, C‑127/02, EU:C:2004:482, Rn. 53). Sie darf nicht gleichzeitig oder nachträglich durchgeführt werden (vgl. entsprechend Urteile vom 20. September 2007, Kommission/Italien, C‑304/05, EU:C:2007:532, Rn. 72, und vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, C‑404/09, EU:C:2011:768, Rn. 104).

149

Außerdem lagen den polnischen Behörden zum Zeitpunkt des Erlasses des Anhangs von 2016 die Ergebnisse der Erhebung zur Biodiversität des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska nicht vollständig vor. Sie hatten es für erforderlich erachtet, ab April 2016 eine solche Erhebung durchzuführen, um die Verbreitungsgebiete der in dem Gebiet vorkommenden geschützten Arten festzustellen.

150

Die polnischen Behörden waren sich also darüber im Klaren, dass die zum Zeitpunkt des Erlasses des Anhangs von 2015 verfügbaren Daten über die Auswirkungen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auf die in dem Gebiet vorkommenden geschützten Arten nicht ausreichten.

151

Somit ist festzustellen, dass die polnischen Behörden nicht über alle relevanten Daten verfügten, um die Auswirkungen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auf das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska beurteilen zu können, und somit vor dem Erlass des Anhangs von 2016 und der Entscheidung Nr. 51 keine angemessene Verträglichkeitsprüfung durchgeführt haben. Sie haben deshalb gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie verstoßen.

4) Zur Beeinträchtigung des betreffenden Gebiets als solches

152

Die Kommission macht ferner geltend, die polnischen Behörden hätten den Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung zugestimmt, obwohl diese das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska beeinträchtigen könnten.

153

Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 16), ist das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska auf Antrag der Republik Polen als GGB gemäß der Habitatrichtlinie ausgewiesen worden. Es ist gleichzeitig als BSG gemäß der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesen.

154

Die Schutzregelung, die die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie für die zum Natura-2000-Netz gehörenden Gebiete schaffen, untersagt zwar, anders als die Republik Polen geltend macht, nicht jede menschliche Tätigkeit in diesen Gebieten. Sie macht die Genehmigung solcher Tätigkeiten aber von der Beachtung der Verpflichtungen aus den Richtlinien abhängig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juli 2011, Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura, C‑2/10, EU:C:2011:502, Rn. 40).

155

Wie der Generalanwalt in Nr. 134 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist das Vorbringen der Republik Polen, das Waldgebiet Białowieża könne nicht als Natur- oder Primärwald eingestuft werden, weil es seit jeher aktiv von Menschenhand bewirtschaftet und dadurch geprägt worden sei, deshalb nicht stichhaltig. Die Bewirtschaftung des Waldes von Białowieża unterliegt der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie. Auf die Einstufung des Waldes als Natur- oder Primärwald kommt es insofern nicht an.

156

Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie, der nach deren Art. 7 auf Schutzgebiete anwendbar ist, durfte die Republik Polen den Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung also nur unter der Voraussetzung zustimmen, dass diese der dauerhaften Erhaltung der grundlegenden Eigenschaften des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska, die mit dem Vorkommen von Lebensraumtypen zusammenhängen, zu deren Erhaltung das Gebiet in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurde, nicht abträglich sind.

157

Das Erhaltungsziel, wegen dessen das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als GGB und BSG ausgewiesen worden ist, besteht darin, dass die Lebensräume 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald), 91D0 (Moorwälder) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln), die Lebensräume xylobionter Käfer wie des Boros schneideri, des Goldstreifigen Prachtkäfers, des Scharlachroten Plattkäfers, des Rothalsigen Düsterkäfers, des Pytho kolwensis und des Ungleichen Furchenwalzkäfers sowie die Lebensräume von Vögeln wie des Wespenbussards, des Sperlingskauzes, des Raufußkauzes, des Weißrückenspechts, des Dreizehenspechts, des Zwergschnäppers, des Halsbandschnäppers und der Hohltaube in einem günstigen Erhaltungszustand bewahrt werden, was die grundlegenden Eigenschaften des Gebiets angeht.

158

Für den Nachweis eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie braucht die Kommission in Anbetracht des Vorsorgegrundsatzes, der in dieser Bestimmung enthalten ist (siehe oben, Rn. 118), keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung und der Beeinträchtigung der genannten Lebensräume und Arten als solcher darzutun. Es genügt, wenn sie nachweist, dass die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr besteht, dass die Maßnahmen eine solche Beeinträchtigung verursachen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, C‑404/09, EU:C:2011:768, Rn. 142 und die dort angeführte Rechtsprechung).

159

Demnach ist zu prüfen, ob sich die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung schädlich auf die genannten Lebensräume und Arten, die im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska geschützt sind, auswirken und somit das Gebiet als solches beeinträchtigen können, wie die Kommission mit ihrem ersten Klagegrund geltend macht.

160

Nach dem Wortlaut des Anhangs von 2016 bestehen die Maßnahmen „vor allem“ darin, dass vom Buchdrucker befallene Fichten eingeschlagen werden. Weder der Anhang von 2016 noch die Entscheidung Nr. 51 enthalten aber Beschränkungen hinsichtlich des Alters der Bäume oder der Bestände, auf die sich die Maßnahmen beziehen, insbesondere in Abhängigkeit vom Lebensraum, in dem sich die Bestände befinden. Vielmehr heißt es in der Entscheidung Nr. 51 ausdrücklich, dass vom Buchdrucker befallene Bäume in „Baumbeständen aller Altersklassen“ eingeschlagen werden sollen, wobei klargestellt wird, dass die „Beschränkungen hinsichtlich des Alters der Bäume und der Funktion der Baumbestände“ insoweit nicht gelten. Nach dem Anhang von 2016 und der Entscheidung Nr. 51 ist der Einschlag hundertjähriger Fichten mithin in Baumbeständen jeglicher Art zulässig, auch in geschützten Lebensräumen.

161

Darüber hinaus ist der Einschlag von Bäumen aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit“ nach dem Anhang von 2016 und der Entscheidung Nr. 51 offenbar zulässig, ohne dass insoweit konkrete Voraussetzungen bestimmt werden.

162

Schließlich ist nach dem Anhang von 2016 und der Entscheidung Nr. 51 die Entfernung jeglicher Art von Bäumen zulässig, also nicht nur von Fichten, sondern auch von Kiefern, Hainbuchen, Eichen, Erlen, Eschen und Pappeln, sofern sie „tot“, „trocken“ oder „absterbend“ sind. Auch insofern ist keine Beschränkung hinsichtlich der betreffenden Bestände vorgesehen.

163

Demnach beschränken sich die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung, anders als die Republik Polen geltend macht, nicht auf die Beseitigung vom Buchdrucker befallener Fichten (sogenannte Sanitärhiebe). Sie ermöglichen Einschlag und Beschnitt in Beständen einer Art, die zu mindestens 10 % aus Individuen bestehen, die hundert oder mehr Jahre alt sind.

164

Nach der oben in Rn. 119 dargestellten Rechtsprechung besteht bei Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung wie denen, um die es im Ausgangsverfahren geht, nämlich der Entfernung und dem Einschlag einer erheblichen Zahl von Bäumen im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska, bereits aufgrund der Art der Maßnahmen die Gefahr, dass die ökologischen Merkmale des Gebiets dauerhaft beeinträchtigt werden, da sie zum Verschwinden oder zu einer teilweisen irreparablen Zerstörung der in dem Gebiet vorkommenden geschützten Lebensräume und Arten führen könnten.

165

Mit den Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung konkretisieren sich also gerade die potenziellen Gefahren, die von den polnischen Behörden in Anhang 3 des Bewirtschaftungsplans von 2015 für die im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska vorkommenden geschützten Lebensräume und Arten identifiziert worden sind.

166

Der „Einschlag von Bäumen in über hundert Jahre alten Beständen“ wird im Bewirtschaftungsplan von 2015 nämlich als potenzielle Gefahr für die Lebensräume 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln) und für den in diesen Lebensräumen heimischen Wespenbussard angesehen, „forstwirtschaftliche Schnitte“ und die „Verjüngung der Wälder und Mischwälder durch forstwirtschaftliche Maßnahmen“ als Gefahren für den Boros schneideri.

167

Weiter wird im Bewirtschaftungsplan von 2015 die „Entfernung von über hundert Jahre alten Kiefern und Fichten“, nämlich derer, die vom Buchdrucker befallen sind, als potenzielle Gefahr für den Sperlingskauz, den Raufußkauz und den Dreizehenspecht angesehen.

168

Die „Entfernung toter oder absterbender Bäume“ wird im Bewirtschaftungsplan von 2015 als potenzielle Gefahr für die Lebensräume 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln) sowie für den Sperlingskauz, den Raufußkauz, den Weißrückenspecht, den Dreizehenspecht und den Scharlachroten Plattkäfer angesehen, „die Entfernung absterbender Bäume“ als potenzielle Gefahr für den Boros schneideri, den Goldstreifigen Prachtkäfer, den Rothalsigen Düsterkäfer, den Pytho kolwensis und den Ungleichen Furchenwalzkäfer.

169

Da die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung genau den von den polnischen Behörden in Anhang 3 des Bewirtschaftungsplans von 2015 für diese Lebensräume und Arten identifizierten potenziellen Gefahren entsprechen, ist es für die Beurteilung der Beeinträchtigung des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska entgegen dem Vorbringen der Republik Polen nicht von Belang, dass der Anhang von 2016 keine Bestimmung enthält, die ausdrücklich vorsähe, dass Tiere absichtlich getötet, gefangen oder gestört würden.

170

Diese Feststellungen werden durch das Vorbringen der Republik Polen nicht entkräftet.

171

Als Erstes ist zur Erforderlichkeit der Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers festzustellen, dass in Anbetracht des Vorsorgeprinzips, das einer der Grundsätze ist, auf denen die von der Union verfolgte Politik eines hohen Niveaus des Schutzes der Umwelt nach Art. 191 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV beruht, und das für die Auslegung der Rechtsvorschriften der Union über den Schutz der Umwelt maßgeblich ist, nicht ausgeschlossen ist, dass einem Mitgliedstaat unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gestattet werden kann, in einem durch die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie geschützten Natura-2000-Gebiet Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durchzuführen, um die Ausbreitung eines Schädlings einzudämmen, die das Gebiet als solches beeinträchtigen könnte.

172

Im vorliegenden Fall lässt das entsprechende Vorbringen der Republik Polen aber nicht den Schluss zu, dass die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durch die Erforderlichkeit der Eindämmung der Ausbreitung eines solchen Schädlings gerechtfertigt werden könnten.

173

Erstens wurde der Buchdrucker im Bewirtschaftungsplan von 2015, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 126 und 167), nicht als potenzielle Gefahr für das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches identifiziert, obwohl es nach den Angaben der Republik Polen im Lauf des Jahres 2011 erste Anzeichen für seine Ausbreitung gab. Als potenzielle Gefahr wurde im Bewirtschaftungsplan von 2015 vielmehr das Entfernen vom Buchdrucker befallener hundertjähriger Fichten und Kiefern angesehen. Anders als die Republik Polen in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, sieht der Bewirtschaftungsplan von 2015 nicht vor, dass speziell bei vom Buchdrucker befallenen Bäumen sogenannte Sanitärhiebe vorgenommen werden dürfen.

174

Zweitens kann entgegen dem Vorbringen der Republik Polen nach den dem Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache vorliegenden Informationen zwischen dem Hiebsatz und der Ausbreitung des Buchdruckers kein Zusammenhang hergestellt werden.

175

Zwar wurde der Hiebsatz für den Forstbezirk Białowieża nach einem Tätigwerden der Kommission mit dem WBP 2012‑2021 für den Zeitraum 2012–2021 auf 63471 m3 herabgesetzt. Noch vor dem Ende des Jahres 2015, also nach weniger als vier Jahren, war dieser Hiebsatz aber bereits erschöpft (siehe oben, Rn. 24).

176

Es hat deshalb den Anschein, wie auch der Generalanwalt Nr. 160 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass die im Forstbezirk Białowieża eingeschlagene Holzmenge in Wirklichkeit dieselbe geblieben ist wie in den vorausgegangenen Zeiträumen, in denen der Hiebsatz für diesen Bezirk in den geltenden Waldbewirtschaftungsplänen auf 308000 m3 für den Zeitraum 1992–2001 und auf 302000 m3 für den Zeitraum 2002–2011 festgesetzt worden war. Es kann daher nicht behauptet werden, dass die Ausbreitung des Buchdruckers auf die Abnahme des Holzeinschlags in den Jahren 2012 bis 2015 zurückzuführen wäre.

177

Drittens sind, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 160 bis 163), Gegenstand der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung nicht ausschließlich vom Buchdrucker befallene Fichten. Zum einen sind von den Maßnahmen auch tote Fichten betroffen, die nicht vom Buchdrucker befallen sind. Zum anderen ist die Entfernung anderer Baumarten, wie etwa von Hainbuchen, Eichen, Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln, nicht ausgeschlossen. Wie die Republik Polen in der mündlichen Verhandlung auf eine Frage des Gerichtshofs bestätigt hat, befällt der Buchdrucker aber ausschließlich Nadelbäume, hauptsächlich Fichten, nicht aber Laubbäume.

178

Zwar muss, wie die Republik Polen in der mündlichen Verhandlung selbst hervorgehoben hat, bei der Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers, wenn die Erhaltungsziele gemäß der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie verwirklicht werden sollen, ein Ausgleich zwischen den Maßnahmen der aktiven und der passiven Waldbewirtschaftung gefunden werden. Wie der Generalanwalt in Nr. 158 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, findet sich ein solcher Ausgleich in der Entscheidung Nr. 51 aber an keiner Stelle. Der Einschlag von Fichten und die Entfernung toter und absterbender Bäume ist nach dieser Entscheidung nach oben allein durch den für die drei Forstbezirke festgelegten Hiebsatz begrenzt.

179

Viertens ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen und ist in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Anhangs von 2016 in der Wissenschaft nach wie vor Streit darüber bestand, wie die Ausbreitung des Buchdruckers am besten einzudämmen ist. Wie sich aus dem Maßnahmenkatalog ergibt, war Gegenstand des Streits u. a. die Frage, ob es überhaupt zweckmäßig ist, die Ausbreitung des Buchdruckers einzudämmen. In der Wissenschaft wird die Ansicht vertreten, dass die Ausbreitung des Buchdruckers Teil eines natürlichen Zyklus ist, der periodischen Schwankungen entspricht, die mit den grundlegenden Eigenschaften des Gebiets zusammenhängen, das durch die Ausweisung als GGB und als BSG erhalten werden soll. Nach der oben in Rn. 117 dargestellten Rechtsprechung durften die polnischen Behörden den Anhang von 2016 daher nicht erlassen. Es bestand wissenschaftlich keine Gewissheit darüber, dass sich die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung nicht dauerhaft nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirken.

180

Fünftens widerspricht sich die Republik Polen, wenn sie sich auf von anderen Mitgliedstaaten wie Österreich ergriffene Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers beruft. Nach ihren eigenen Angaben, die sie in der mündlichen Verhandlung wiederholt hat, ist das Waldgebiet Białowieża derart speziell und einzigartig, dass sich wissenschaftliche Studien zu anderen Ökosystemen nicht darauf übertragen lassen.

181

Was das Ökosystem des Waldes von Białowieża selbst angeht, hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung, ohne dass ihr die Republik Polen widersprochen hat, aber darauf hingewiesen, dass in dessen an das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska angrenzenden weißrussischem Teil, der sich über eine Fläche von 82000 ha erstreckt, es die zuständigen nationalen Behörden nicht für erforderlich erachtet haben, zur Eindämmung der Verbreitung des Buchdruckers sogenannte Sanitärhiebe vorzunehmen.

182

Als Zweites ist zur Einrichtung von Referenzzonen durch die Entscheidung Nr. 52 festzustellen, dass die Republik Polen selbst einräumt, dass damit nicht die Auswirkungen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska abgemildert werden sollen. Mit den Referenzzonen soll lediglich ermittelt werden, wie sich die Eigenschaften des Gebiets ohne Eingriffe von Menschenhand entwickeln (siehe oben, Rn. 146).

183

Mit den durch die Entscheidung Nr. 52 vorgesehenen Referenzzonen wird die Situation vor der Durchführung des Anhangs von 2016 also lediglich in bestimmten Teilen der Forstbezirke Białowieża und Browsk erhalten. Im restlichen Teil der Forstbezirke werden die schädlichen Auswirkungen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung hingegen in keiner Weise beschränkt. Vielmehr können diese, wie die Kommission zu Recht geltend macht, durch die Einrichtung der Referenzzonen, die sich auf 17000 ha erstrecken, was etwa der Hälfte der Fläche der beiden Forstbezirke entspricht, wegen der fehlenden Auswirkungen auf den Hiebsatz noch verstärkt werden. Denn die Referenzzonen führen zwangsläufig dazu, dass der Holzschlag in den anderen, nicht von der Bewirtschaftung ausgenommenen Teilen der Forstbezirke intensiviert wird.

184

Zu dem Vorbringen, von den Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung seien auch Naturschutzgebiete sowie Feucht- und Sumpfgebiete ausgenommen, ist festzustellen, dass dies, wie die Republik Polen geltend macht, bedeuten könnte, dass in den Lebensräumen 91D0 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln) keine Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durchgeführt werden. Es ist aber nicht vorgetragen worden, geschweige denn erwiesen, dass die gesamte Fläche dieser Lebensräume von den Maßnahmen ausgenommen würde. Außerdem finden sich diese Ausnahmen, obwohl sie vom Regionaldirektor für Umweltschutz von Białystok in seiner Stellungnahme vom 12. Februar 2016 zum Anhang von 2016 erwähnt werden, weder im Anhang von 2016 noch in den Entscheidungen Nrn. 51 und 52.

185

Als Drittes ist zu den Auswirkungen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auf die xylobionten Käfer festzustellen, dass die Republik Polen zwar geltend macht, dass „stehende, der Sonne ausgesetzte tote Kiefern“, die den Lebensraum des Goldstreifigen Prachtkäfers bilden, nicht entfernt würden, sie diese Behauptung aber nicht belegt. Die Behauptung steht in Widerspruch zu den Bestimmungen des Anhangs von 2016 und der Entscheidung Nr. 51, die ausdrücklich die Entnahme toter oder absterbender Bäume vorsehen, ohne die von der Republik Polen angeführte Beschränkung zu enthalten.

186

Im Übrigen ist festzustellen, dass die Gefahren, die die Republik Polen für den Boros schneideri, den Scharlachroten Plattkäfer, den Rothalsigen Düsterkäfer, den Pytho kolwensis und den Ungleichen Furchenwalzkäfer sieht (siehe oben, Rn. 101), nicht denen entsprechen, die von den polnischen Behörden im Bewirtschaftungsplan von 2015 identifiziert worden sind. Aus diesem geht hervor, dass die Entfernung absterbender Fichten und Kiefern eine Gefahr für diese Käfer bedeutet.

187

Als Viertes ist festzustellen, dass es nicht darauf ankommt, ob im Forstbezirk Białowieża Populationen bestimmter xylobionter Käfer wie etwa des Boros schneideri oder bestimmter Vögel wie etwa des Sperlingskauzes oder des Dreizehenspechts größer sind als im Nationalpark, in dem keine Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durchgeführt werden dürfen. Selbst unterstellt, dem wäre so, änderte dies aus den oben in den Rn. 164 bis 168 genannten Gründen nichts daran, dass die Maßnahmen das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches beeinträchtigen.

188

Als Fünftes ist, soweit die Republik Polen bestimmte Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung mit Gründen der öffentlichen Sicherheit oder dem Erfordernis, aus wirtschaftlichen und/oder sozialen Gründen die Ressourcen des Waldes zu nutzen, rechtfertigt und sich so auf Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie berufen sollte, festzustellen, dass es Hauptziel dieser Richtlinie ist, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen, so dass die Erhaltung der biologischen Vielfalt in bestimmten Fällen gemäß Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie die Fortführung oder auch die Förderung bestimmter Tätigkeiten des Menschen erfordern kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2012, Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a., C‑43/10, EU:C:2012:560, Rn. 137).

189

Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ist als Ausnahme von dem in deren Art. 6 Abs. 3 Satz 2 festgelegten Genehmigungskriterium aber eng auszulegen und kommt erst zur Anwendung, nachdem die Auswirkungen eines Plans oder Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie analysiert worden sind (vgl. u. a. Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

190

Denn nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie hat der Mitgliedstaat in dem Fall, dass ein Plan oder Projekt trotz negativer Ergebnisse der nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 dieser Richtlinie vorgenommenen Prüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art durchzuführen ist und eine Alternativlösung nicht vorhanden ist, alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist (vgl. u. a. Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 62).

191

Für die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ist es daher unerlässlich, dass die Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf die für das fragliche Gebiet festgelegten Erhaltungsziele bekannt sind, da andernfalls die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Ausnahmeregelung nicht geprüft werden können. Die Prüfung etwaiger zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses und der Frage, ob weniger nachteilige Alternativen bestehen, erfordert nämlich eine Abwägung mit den Gebietsbeeinträchtigungen, die mit dem Plan oder Projekt verbunden sind. Außerdem müssen die Gebietsbeeinträchtigungen genau ermittelt werden, um die Art etwaiger Ausgleichsmaßnahmen bestimmen zu können (vgl. u. a. Urteile vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, C‑404/09, EU:C:2011:768, Rn. 109, und vom 14. Januar 2016, Grüne Liga Sachsen u. a., C‑399/14, EU:C:2016:10, Rn. 57).

192

Im vorliegenden Fall ist bei den Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung in Bezug auf das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches keine angemessene Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie durchgeführt worden. Es wurden auch keine Alternativlösungen in Betracht gezogen. Die Republik Polen, die ohnehin keine Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen hat, kann sich deshalb nicht auf die Ausnahme gemäß Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie berufen.

193

Folglich ist der erste Klagegrund (Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie) begründet.

2.   Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie

a)   Vorbringen der Parteien

194

Nach Auffassung der Kommission hat die Republik Polen mit der Durchführung der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie verstoßen.

195

Sie meint, die Republik Polen sei ihrer Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie, für die in Anhang I der Habitatrichtlinie aufgeführten natürlichen Lebensräume und die in Anhang II der Habitatrichtlinie aufgeführten Tierarten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, nicht bereits dadurch nachgekommen, dass in den Bewirtschaftungsplan von 2015 Erhaltungsmaßnahmen für das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska aufgenommen worden seien, ohne dass die Möglichkeit bestehe, dass diese auch tatsächlich durchgeführt würden. Der Ausdruck „festlegen“ verlange, dass die Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden könnten. Dies gelte auch für Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie.

196

Die Durchführung von Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung, z. B. des Einschlags, sogenannter Sanitärhiebe oder der Aufforstung, stehe in Lebensräumen, in denen die Wahrung des Erhaltungszustands solche Tätigkeiten, die insoweit bereits aufgrund ihrer Art eine Gefahr darstellten, strikt ausschließe, ganz offensichtlich im Widerspruch zu den in Anhang 5 des Bewirtschaftungsplans von 2015 festgelegten Erhaltungsmaßnahmen, nämlich von Waldbewirtschaftungsmaßnahmen „alle Bestände einer Art, die zu mindestens 10 % aus Individuen bestehen, die hundert oder mehr Jahre alt sind“, auszunehmen, „tote Bäume zu belassen“ und „tote Fichten, die über hundert Jahre alt sind, bis zur vollständigen Zersetzung zu belassen“. Es sei vorgesehen, die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auch in Gebieten hundertjähriger Bestände und in Lebensräumen xylobionter Käfer, hauptsächlich des Boros schneideri und des Scharlachroten Plattkäfers, durchzuführen.

197

Außerdem stellten die Maßnahmen genau jene Gefahren dar, die in Anhang 3 des Bewirtschaftungsplans von 2015 für die natürlichen Lebensräume und die Lebensräume der Vogelarten und xylobionten Käfer identifiziert worden seien. Da den Gefahren durch Erhaltungsmaßnahmen zu begegnen sei, würden diese durch Maßnahmen, mit denen die Gefahren verwirklicht würden, in Frage gestellt, wenn ihnen nicht gänzlich ihre praktische Wirksamkeit genommen würde.

198

Die Durchführung der Entscheidung Nr. 51, die die Entfernung toter Bäume im gesamten Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska vorsehe, würde die im Bewirtschaftungsplan von 2015 identifizierten Gefahren noch verstärken und die Durchführung der darin festgelegten Erhaltungsmaßnahmen weiter erschweren.

199

Zudem könnten sich die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung in Polen und in ganz Europa negativ auf den Gesamterhaltungszustand bestimmter Arten xylobionter Käfer, insbesondere des Goldstreifigen Prachtkäfers und des Rothalsigen Düsterkäfers, auswirken. Das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska ist nämlich eines der letzten bzw. bedeutendsten Verbreitungsgebiete dieser Käfer in der Union.

200

Da Ziel der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie die Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der Lebensräume der geschützten Arten sei, und nicht nur die Verhinderung ihres Aussterbens, sei das Vorbringen, die Population einer bestimmten Art halte sich auf dem in dem Standard-Datenbogen von 2017 für das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska (Standard-Datenbogen von 2017) angegebenen Niveau, zurückzuweisen.

201

Die Republik Polen macht geltend, mit dem Anhang von 2016 werde die wirksame Durchführung der im Bewirtschaftungsplan von 2015 gemäß Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie festgelegten Erhaltungsmaßnahmen gewährleistet. Der Anhang von 2016 entspreche dem Bewirtschaftungsplan von 2015, weil er die Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der natürlichen Lebensräume oder Arten, für die das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska ausgewiesen worden sei, gewährleiste. Hierzu hätte die bloße Festsetzung der Erhaltungsmaßnahmen im Bewirtschaftungsplan von 2015 nicht ausgereicht.

202

Die im Bewirtschaftungsplan von 2015 für den Lebensraum 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald) festgelegten Erhaltungsmaßnahmen bestünden u. a. darin, die Baumartenzusammensetzung so anzupassen, dass sie dem natürlichen Lebensraum in Beständen, in denen Zitterpappeln, Birken, Kiefern und seltener Fichten vorherrschten, entspreche. Die Maßnahmen seien im WBP 2012‑2021 als Arbeiten der Reinigung, der Durchforstung und des Beschnitts aufgeführt. Mit der Durchführung solcher Erhaltungsmaßnahmen gehe zwangläufig die Entfernung von Holz einher.

203

Die Zurückweisung des Vorbringens, die Population einer bestimmten Art bleibe auf dem im Standard-Datenbogen von 2017 angegebenen Niveau, sei weder mit der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie noch mit den „Grundlagen des ökologischen Wissens“ und dem gesunden Menschenverstand zu vereinbaren. Denn wenn die Größe der Population einer jeden Art, die in einem Natura-2000-Gebiet geschützt ist, beständig über das im Standard-Datenbogen angegebene Niveau hinaus zunehmen müsste, würde das Ökosystem in dem betreffenden Gebiet auf unvorhersehbare Weise aus dem Gleichgewicht gebracht.

204

Die quantitativen Veränderungen, die bei einem Teil der Populationen der im Waldgebiet Białowieża geschützten Arten festgestellt worden seien, seien auf eine sprunghafte Zunahme des Nahrungsangebots zurückzuführen, die mit einer kurzzeitigen Störung zusammenhänge, nämlich der massiven Ausbreitung des Buchdruckers. Langfristig sei die natürliche Konsequenz dieser Situation ein schlagartiger Rückgang. Eine dauerhafte und räumlich begrenzte Kontrolle der Ausbreitung des Buchdruckers, nämlich die Beibehaltung seiner räumlichen Ausbreitung und eines hohen Anteils an Fichten in den Beständen, könne bei den Spechtpopulationen z. B. ein Faktor der Wahrung einer relativ stabilen Situation sein. Deren Größe halte sich nach dem Bewirtschaftungsplan von 2015 trotz der möglichen negativen Auswirkungen, die die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auf sie hätten, auf einem relativ hohen Niveau.

205

Bei den Populationen des Weißrücken- und des Dreizehenspechts sei an den Grenzen des Nationalparks keine sprunghafte quantitative Änderung festzustellen. Wegen des relativ geringen Anteils der Fichten am Baumbestand und andersartiger Waldlebensräume breite sich der Buchdrucker in diesem Gebiet nicht massiv aus. In Lebensräumen mit anderen Eigenschaften, die deshalb empfänglicher für eine massive Ausbreitung des Buchdruckers seien, könne das dynamische Gleichgewicht daher durch gezielte Maßnahmen der Waldbewirtschaftung aufrechterhalten werden.

206

Der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51 könnten auch keine schädigenden Auswirkungen auf den Erhaltungszustand bestimmter Arten xylobionter Käfer haben. Für Arten wie den Goldstreifigen Prachtkäfer und den Rothalsigen Düsterkäfer gehe die Hauptgefahr nämlich von der Begrenzung und der Beseitigung der Folgen von Bränden aus. Andere Arten wie der Boros schneideri und der Scharlachrote Plattkäfer fänden im Waldgebiet Białowieża günstige Entwicklungsbedingungen vor. Beim Boros schneideri gehe die langfristige Gefahr vom Fehlen der Erneuerung der Kiefern im Nationalpark von Białowieża aus.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

207

Nach Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, für jedes BSG die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die den ökologischen Erfordernissen der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten natürlichen Lebensraumtypen und der in Anhang II der Richtlinie aufgeführten Arten entsprechen, die in dem Gebiet vorkommen. Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung sind von dem betreffenden Mitgliedstaat als BSG auszuweisen (Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie).

208

Art. 4 der Vogelschutzrichtlinie sieht für die in ihrem Anhang I aufgeführten Arten und für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten eine besonders gezielte und verstärkte Schutzregelung vor, die dadurch gerechtfertigt ist, dass es sich um die Arten handelt, die am stärksten bedroht sind bzw. ein gemeinsames Erbe der Union darstellen. Die Mitgliedstaaten sind daher verpflichtet, die zur Erhaltung dieser Arten erforderlichen Maßnahmen zu erlassen (Urteil vom 13. Dezember 2007, Kommission/Irland, C‑418/04, EU:C:2007:780, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

209

Die Maßnahmen müssen geeignet sein, u. a. das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten sowie die Vermehrung, die Mauser und die Überwinterung der nicht in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten sicherzustellen. Sie dürfen sich nicht auf die Abwehr schädlicher Einflüsse des Menschen beschränken, sondern müssen je nach Sachlage auch positive Maßnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung des Gebietszustands einschließen (Urteil vom 13. Dezember 2007, Kommission/Irland, C‑418/04, EU:C:2007:780, Rn. 153 und 154 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

210

Im vorliegenden Fall dient der Bewirtschaftungsplan von 2015 dazu, gemäß den Vorschriften der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie die Erhaltungsmaßnahmen festzulegen, die für die Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands der durch die Richtlinien geschützten Lebensräume und Arten, die im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska vorkommen, nötig sind.

211

Die in Anhang 5 des Bewirtschaftungsplans von 2015 aufgeführten Maßnahmen bestehen zum einen darin, in den Lebensräumen 91D0 (Moorwälder) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln) „alle Baumbestände“ und in dem Lebensraum 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald) sowie in den Lebensräumen des Wespenbussards, des Sperlingskauzes, des Raufußkauzes, des Weißrückenspechts, des Dreizehenspechts, des Zwergschnäppers, des Halsbandschnäppers, des Boros schneideri, des Goldstreifigen Prachtkäfers, des Scharlachroten Plattkäfers und des Eremiten „alle Bestände einer Art, bei denen 10 % der Bäume hundert oder mehr Jahre alt sind“, von Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auszunehmen, zum anderen darin, zur Erhaltung der Lebensräume des Rothalsigen Düsterkäfers, des Pytho kolwensis und des Ungleichen Furchenwalzkäfers „tote Bäume in den bewirtschafteten Wäldern“ zu belassen, insbesondere „alle toten Fichten, die mehr als hundert Jahre alt sind, bis zur vollständigen Zersetzung“.

212

Mit diesen Erhaltungsmaßnahmen sollen also die in Anhang 3 des Bewirtschaftungsplans von 2015 für die genannten Lebensräume und Arten identifizierten potenziellen Gefahren abgewendet werden, nämlich die Durchführung von Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung, die Entfernung toter und/oder absterbender Bäume bzw. die Entfernung vom Buchdrucker befallener über hundert Jahre alter Fichten oder Kiefern (siehe oben, Rn. 166 bis 168).

213

Wie die Kommission zu Recht geltend macht und die Republik Polen auch einräumt, verlangen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie aber nicht nur, dass die Erhaltungsmaßnahmen festgelegt werden, die zur Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands der geschützten Lebensräume und Arten, die in dem betreffenden Gebiet vorkommen, nötig sind, sondern auch und vor allem, dass die Maßnahmen wirksam durchgeführt werden. Sonst hätten die genannten Vorschriften keine praktische Wirksamkeit.

214

Diese Auslegung findet eine Stütze in Art. 1 Abs. 1 Buchst. l der Habitatrichtlinie, in dem ein BSG als ein GGB, in dem Erhaltungsmaßnahmen „durchgeführt“ werden, definiert ist, ferner im achten Erwägungsgrund der Richtlinie, in dem es heißt, dass in jedem ausgewiesenen Gebiet entsprechend den einschlägigen Erhaltungszielen die erforderlichen Maßnahmen „durchzuführen“ sind.

215

Im vorliegenden Fall geht aus Abschnitt 4.2.4 der Verträglichkeitsprüfung von 2015 aber hervor, dass „seit der Ausarbeitung des [Bewirtschaftungsplans von 2015] … viel Zeit vergangen [ist], so dass die Vorschriften über die Bewertung des Erhaltungszustands und über die für die an die Fichte gebundenen Arten vorgesehenen Erhaltungsmaßnahmen teilweise überholt sind“. Der Bewirtschaftungsplan von 2015 ist von den polnischen Behörden also überhaupt nicht angewandt worden. Vielmehr nehmen der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51, auch wenn sie den Bewirtschaftungsplan von 2015 nicht förmlich abändern, den darin vorgesehenen Erhaltungsmaßnahmen ihre praktische Wirksamkeit, wie die Kommission zu Recht geltend macht.

216

Denn mit dem Anhang von 2016 und der Entscheidung Nr. 51, die hinsichtlich des Alters der Bäume oder der Baumbestände, auf die sich die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung beziehen, keine Beschränkungen enthalten, werden in den drei Forstbezirken des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska genau die Maßnahmen zugelassen, die durch den Bewirtschaftungsplan von 2015 im Wege einer Erhaltungsmaßnahme ausgeschlossen worden waren.

217

Der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51 lassen nämlich zum einen in den Lebensräumen 91D0 (Moorwälder) und 91E0 (Auenwälder mit Erlen, Eschen, Weiden und Pappeln) den Einschlag und die Entfernung aller Baumarten und in dem Lebensraum 9170 (subkontinentaler Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald) sowie in den Lebensräumen des Wespenbussards, des Sperlingskauzes, des Raufußkauzes, des Weißrückenspechts, des Dreizehenspechts, des Zwergschnäppers, des Halsbandschnäppers, des Boros schneideri, des Goldstreifigen Prachtkäfers, des Scharlachroten Plattkäfers und des Eremiten den Einschlag und die Entfernung von Bäumen in den Beständen einer Art, die zu mindestens 10 % aus hundertjährigen Individuen bestehen, zu, zum anderen in den bewirtschafteten Baumbeständen die Entfernung toter Bäume, die den Lebensraum des Rothalsigen Düsterkäfers, des Pytho kolwensis und des Ungleichen Furchenwalzkäfers bilden.

218

Folglich führt die Durchführung der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung zur Zerstörung eines Teils des Natura-2000-Gebiets Puszcza Białowieska. Die Maßnahmen können deshalb keine Maßnahmen zur Erhaltung dieses Gebiets im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie sein (vgl. entsprechend Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C‑387/15 und C‑388/15, EU:C:2016:583, Rn. 38).

219

Das Vorbringen der Republik Polen, die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung hätten keine schädlichen Auswirkungen auf die geschützten Arten xylobionter Käfer, ist deshalb zurückzuweisen. Im Übrigen entsprechen die Gefahren, die die Republik Polen für die Erhaltung dieser Arten in einem günstigen Erhaltungszustand sieht, nicht denen, die im Bewirtschaftungsplan von 2015 identifiziert worden sind. Sie können deshalb nicht maßgeblich sein.

220

Das Vorbringen zur Ausbreitung des Buchdruckers ist aus denselben Gründen wie den oben in den Rn. 173 bis 181 dargelegten zurückzuweisen. Nicht der Buchdrucker ist im Bewirtschaftungsplan von 2015 als potenzielle Gefahr für das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als solches identifiziert worden, sondern die Entfernung von ihm befallener hundertjähriger Fichten und Kiefern.

221

Demnach ist der zweite Klagegrund (Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie) begründet.

3.   Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie

a)   Vorbringen der Parteien

222

Die Kommission macht geltend, die Republik Polen habe mit der Durchführung der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie verstoßen. Die Maßnahmen seien nicht geeignet, die Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie genannten xylobionten Käfer, nämlich des Goldstreifigen Prachtkäfers, des Scharlachroten Plattkäfers, des Rothalsigen Düsterkäfers und des Pytho kolwensis, zu verhindern.

223

Nach Art. 12 der Habitatrichtlinie seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein strenges Schutzsystem einzuführen, das den Erlass kohärenter und koordinierter vorbeugender Maßnahmen erfordere, mit denen die Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der genannten Arten wirksam verhindert werden könne.

224

Alle Arten xylobionter Käfer, für die dieser strenge Schutz gelte, seien im Laufe ihres Lebenszyklus auf tote oder absterbende Bäume, stehend oder liegend, angewiesen. Verschiedene wissenschaftliche Studien belegten, dass tote Fichten für den Scharlachroten Plattkäfer ein wichtiger Lebensraum und ein wesentliches Element seines Lebenszyklus seien. Nach zwei bis drei Jahren des Verfalls würden die Fichten in den anschließenden Phasen der Zersetzung von anderen Arten xylobionter Käfer besiedelt, wie etwa dem Rothalsigen Düsterkäfer oder dem Pytho kolwensis. Die Intensivierung des Einschlags, hauptsächlich von Fichten, und die Entfernung des trockenen oder toten Holzes und vom Buchdrucker befallener absterbender Bäume führten zwangsläufig zum Tod der Individuen dieser Arten und zur Vernichtung ihrer Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.

225

Da die genannten Käfer wenig sichtbar im Baumstumpf und unter der Baumrinde lebten, sei es nicht möglich, wirksame Palliativmaßnahmen zu ergreifen, wie etwa den selektiven Einschlag. Die Beschädigung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten könne allein dadurch wirksam verhindert werden, dass nicht in die Lebensräume eingegriffen werde, in denen die Arten vorkämen.

226

Die in Art. 12 der Habitatrichtlinie enthaltenen Verbote seien absolut. Sie gälten unabhängig von der Zahl und der Verbreitung der Individuen der streng geschützten Arten. Die weite Verbreitung des Scharlachroten Plattkäfers könne deshalb die Intensivierung der Maßnahmen der Waldbewirtschaftung, mit denen unter Umständen gegen diese Verbote verstoßen werde, nicht rechtfertigen. Zudem sei der Rothalsige Düsterkäfer eine überaus seltene Art, von der in Polen lediglich vier Lebensräume bekannt seien, so dass der Verlust eines einzigen Lebensraums beachtliche schädliche Auswirkungen auf die Wahrung seines Erhaltungszustands in ganz Europa haben könnte. Der Goldstreifige Prachtkäfer komme in Polen nur im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska vor. Dieses Gebiet sei in Polen auch der Hauptlebensraum des Pytho kolwensis, der in der Europäischen Union sonst nur noch in Finnland und Schweden vorkomme.

227

Die Republik Polen macht geltend, alle im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska vorkommenden Arten xylobionter Käfer, wie der Goldstreifige Prachtkäfer, der Scharlachrote Plattkäfer, der Eremit, der Rothalsige Düsterkäfer und der Pytho kolwensis, seien im Laufe ihres Lebenszyklus auf tote oder absterbende Bäume angewiesen. Es sei unmöglich, ihr Vorkommen im Larvenstadium festzustellen, ohne diesen Lebensraum zu verletzen. Um einen angemessenen Erhaltungszustand zu gewährleisten, hätten die polnischen Behörden deshalb ein System der langfristigen Erhaltung des Fortbestands des Lebensraums dieser Arten eingerichtet, nämlich ein Netz von Inseln von Baumpflanzungen in den Naturschutzgebieten und von Schutzzonen um die geschützten Arten herum, in den Feuchtlebensräumen, in den Referenzzonen und in dem dauerhaften, natürlichen Teil von toten Bäumen in sämtlichen Baumbeständen des Waldes von Białowieża. Dass diese Maßnahmen wirksam seien, zeigten die Ergebnisse der 2016 vom Institut für Waldwissenschaft (Instytut Badawczy Leśnictwa) durchgeführten Bestandserhebung.

228

Die Bestandserhebung habe ergeben, dass der Scharlachrote Plattkäfer, für den die Fichte lediglich ein nachrangiger Lebensraum sei, im gesamten Waldgebiet Białowieża vorkomme, in dem tote und absterbende Bäume nicht den wesentlichen Lebensraum darstellten. Beim Boros schneideri habe die Erhebung ergeben, dass er die Kiefer bevorzuge und für ihn tote oder absterbende Fichten keinen wesentlichen Lebensraum darstellten und dass er im gesamten Waldgebiet Białowieża vorkomme. Hauptverbreitungsgebiet des Rothalsigen Düsterkäfers und des Ungleichen Furchenwalzkäfers sei der Nationalpark von Białowieża. Der Rothalsige Düsterkäfer komme im Bezirk von Białowieża auch in den Referenzzonen vor. Sein Verschwinden sei in erster Linie auf das Fehlen verkohlten Holzes zurückzuführen. Es sei nicht bekannt, dass der Pytho kolwensis außerhalb des Nationalparks vorkäme. Die Aktivität des Buchdruckers könnte aber negative Auswirkungen auf den Fortbestand seiner Lebensräume, nämlich toter, alter, eingeschlagener Fichten in Feuchtgebieten, haben. Beim Goldstreifigen Prachtkäfer sei das Verschwinden in Europa hauptsächlich auf das Fehlen alter, durch Brand abgestorbener Kiefern zurückzuführen. Wegen des Fehlens der Erneuerung der Kiefer im Nationalpark könne die Zukunft dieser Art nur in bewirtschafteten Wäldern sichergestellt werden, in denen künstlich mit Kiefer aufgeforstet worden sei.

229

Aus allen diesen Gründen hätten die im Anhang von 2016 vorgesehenen Maßnahmen keine signifikanten negativen Auswirkungen auf die Populationen der genannten Arten. Ihre Erhaltung hänge vom Fortbestand bestimmter Lebensräume ab, die durch Störungen wie Brände entstünden. Ohne solche Störungen könne der Lebensraum der Arten allein durch Maßnahmen des aktiven Schutzes erhalten werden.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

230

Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie haben die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchst. a genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen, das alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten und jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten verbietet.

231

Um dieser Verpflichtung nachzukommen, müssen die Mitgliedstaaten nicht nur einen vollständigen gesetzlichen Rahmen schaffen, sondern auch konkrete besondere Schutzmaßnahmen durchführen. Desgleichen setzt das strenge Schutzsystem den Erlass kohärenter und koordinierter vorbeugender Maßnahmen voraus. Ein solches strenges Schutzsystem muss also im Stande sein, tatsächlich absichtliche Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren und die Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der in Anhang IV Buchst. a der Habitatrichtlinie genannten Tierarten zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2011, Kommission/Frankreich, EU:C:2011:369, Rn. 19 bis 21).

232

Im vorliegenden Fall sehen sowohl der Anhang von 2016 als auch die Entscheidung Nr. 51 den Einschlag vom Buchdrucker befallener Fichten ohne Beschränkung hinsichtlich des Alters vor, so dass auch hundertjährige tote oder absterbende Bäume betroffen sind.

233

Aus dem Bewirtschaftungsplan von 2015 geht aber eindeutig hervor, dass tote oder absterbende Fichten, die unter Umständen vom Buchdrucker befallen sind, zumindest einen wesentlichen Lebensraum für xylobionte Käfer wie den Goldstreifigen Prachtkäfer, den Scharlachroten Plattkäfer, den Rothalsigen Düsterkäfer und den Pytho kolwensis darstellen, die in Anhang IV Buchst. a der Habitatrichtlinie genannt sind. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 168), ist im Bewirtschaftungsplan von 2015 gerade die Entfernung solcher Bäume als potenzielle Gefahr für diese Käferarten identifiziert worden.

234

Die Republik Polen kann mit ihrem Vorbringen, die Fichte sei nicht der Hauptlebensraum und auch kein wichtiger Lebensraum der genannten Käferarten, deshalb keinen Erfolg haben. Es steht in offenem Widerspruch zu den von den polnischen Behörden im Bewirtschaftungsplan von 2015 zum Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska getroffenen Feststellungen.

235

Nicht stichhaltig ist ferner das Vorbringen, bestimmte dieser Käferarten kämen im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska überhaupt nicht oder nur sehr selten vor. Denn die Käferarten sind im Bewirtschaftungsplan von 2015 ausdrücklich als Arten aufgeführt, die in den betreffenden drei Forstbezirken geschützt sind. Und die Behauptung, der Rothalsige Düsterkäfer komme nur in den Referenzzonen vor, ist in keiner Weise belegt.

236

Der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51 führen also zwangsläufig zur Tötung der oben in Rn. 233 genannten xylobionten Käfer und zur Beschädigung oder Vernichtung ihrer Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.

237

Dass die Käfer im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska häufig vorkommen, ist insoweit ohne Belang. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 231), sieht Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie ein strenges System des Schutzes der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der in Anhang IV Buchst. a der Habitatrichtlinie genannten Arten vor, unabhängig von der Größe der jeweiligen Populationen.

238

Der dritte Klagegrund (Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie) ist somit begründet.

4.   Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie

a)   Vorbringen der Parteien

239

Die Kommission macht geltend, die Republik Polen habe, indem sie die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durchgeführt habe, keine allgemeine Regelung gemäß Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie zum Schutz des Sperlingskauzes, des Raufußkauzes, des Weißrückenspechts und des Dreizehenspechts insbesondere vor der absichtlichen Zerstörung von Nestern und dem Stören im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska geschaffen. Diese Vogelarten seien in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie genannt.

240

Wie Art. 12 der Habitatrichtlinie schreibe auch Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie den Mitgliedstaaten vor, nicht nur einen vollständigen Rechtsrahmen zu schaffen, sondern auch konkrete, im Einzelnen festgelegte Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen, u. a. wirksame Durchsetzungsmaßnahmen. Dies ergebe sich aus der Verpflichtung, den Niedergang der in Art. 1 der Vogelschutzrichtlinie genannten Vogelarten einzudämmen. Es liege auf der Hand, dass in Lebensräumen, die für die Fortpflanzung und Erholung von wildlebenden Vogelarten, die im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska heimisch seien, von entscheidender Bedeutung seien, die erhebliche Heraufsetzung des Hiebsatzes die Gefahr der Zerstörung der Nester der Vögel und des absichtlichen Störens, u. a. während der Brutzeit, erhöhe.

241

Das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska sei das Hauptverbreitungsgebiet des Weißrücken- und des Dreizehenspechts in Polen. Absterbende und tote Bäume, insbesondere hundertjährige Fichten, seien die Haupternährungs- und Brutstätten dieser beiden Arten. Die Entfernung tausender vom Buchdrucker befallener Bäume bedeute eine absichtliche Zerstörung der Lebensräume dieser Arten und eine Störung großen Ausmaßes der entsprechenden Populationen. Die polnischen Behörden hätten nicht dargetan, dass die Intensivierung des Einschlags in ihrem Lebensräumen für den Weißrücken- und den Dreizehenspecht von Vorteil wäre. Das Gegenteil sei der Fall. Die Intensivierung des Einschlags in diesen Lebensräumen sei geeignet, den Rückgang der beiden Spechtarten zu beschleunigen. Außerdem gebe es keine Daten, die belegten, dass die Populationen der beiden Arten nach dem Ende der Ausbreitung des Buchdruckers wieder mehr oder weniger erstarkten. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass sich die Fichten in den vom Buchdrucker angegriffenen Gebieten selbst regenerierten, ohne dass hierzu Hilfe von Menschenhand erforderlich wäre.

242

Absterbende und tote Bäume seien auch wichtige Nistplätze des Sperlings- und des Raufußkauzes, die auf von Spechten gebaute Höhlen angewiesen seien. Durch die groß angelegte Beseitigung vom Buchdrucker befallener Fichten würden ihre Vermehrungsgebiete stark zerstört. Das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska sei aber einer der Hauptverbreitungsorte dieser Kauzarten. Es sei nicht bereits deshalb gerechtfertigt, Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung durchzuführen, durch die Sperlingskäuze gestört und ihre Nester zerstört werden könnten, weil die Populationsdichte dieser Art im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska höher sei als im Durchschnitt in Polen.

243

Nach den vorliegenden Informationen hätten die Entfernung und der Einschlag während der Brutzeit der betreffenden vier Arten stattgefunden. Der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51 ließen den Einschlag ohne zeitliche Begrenzung zu. Ein Verstoß gegen das Verbot der Störung der genannten Arten während der Brutzeit sei also nicht ausgeschlossen.

244

Die Republik Polen macht geltend, die Verträglichkeitsprüfung von 2015 habe ergeben, dass die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller wildlebenden Vogelarten getroffen worden seien, insbesondere das Verbot der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung ihrer Nester und Eier und der Entfernung ihrer Nester und ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung erheblich auf die Zielsetzung der Vogelschutzrichtlinie auswirkt.

245

In Anbetracht der Populationsdichte der betreffenden vier Vogelarten im Waldgebiet Białowieża, die im Rahmen der im Standard-Datenbogen von 2017 enthaltenen Daten festgestellt worden sei, sei bei keiner von ihnen das Vorkommen oder die Lebensweise bedroht. Zudem hätten sich die polnischen Behörden verpflichtet, jeweils mindestens 60 Paare von ihnen zu erhalten. In sämtlichen Natura-2000-Gebieten in Polen seien die Populationen des Weißrücken- und des Dreizehenspechts größer als im Standard-Datenbogen von 2017 angegeben. Insbesondere sei der Gesamtindex der Abundanz der Waldvogelpopulationen im Zeitraum 2000–2014 um 25 % gestiegen.

246

Der positive Einfluss der Ausbreitung des Buchdruckers auf das Überleben und die Vermehrung der Spechte könne nur vorübergehend sein, da die Ausbreitung des Buchdruckers langfristig zum Verschwinden der älteren Baumbestände führe, in denen Nadelbäume vorherrschten. Durch die stetige Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers könne bei den Spechtpopulationen eine relativ stabile Situation aufrechterhalten werden.

247

Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Populationen fleischfressender Tiere bei Nahrungsverknappung zusammenbrächen. Die Kommission habe aber keine wissenschaftlichen Daten geliefert, die das dargestellte Szenario der Umwandlung der Umwelt nach der Ausbreitung des Buchdruckers in Zweifel zögen. Es sei lediglich unmöglich, das Ausmaß der Umwandlung vorherzusehen, d. h., ob die Größe der Populationen der von der Ausbreitung einer bestimmten Insektenart profitierenden Arten lediglich auf den status quo zurückfallen werde oder ob die Spechtpopulationen, weil Nahrung wegfalle und der Buchdrucker keine anderen Bäume besiedeln könne, nach der Umwandlung kleiner sein werden als insbesondere im geltenden Standard-Datenbogen von 2017 angegeben und in den Zielen der Erhaltung des betreffenden Gebiets beschrieben.

248

Die Kommission verkenne, dass es sich bei den Prozessen, die in den Natura-2000-Gebieten abliefen, um langfristige Prozesse handele. Eine ständige Eindämmung der Ausbreitung des Buchdruckers, d. h. eine Begrenzung der räumlichen Verbreitung und die Aufrechterhaltung eines erhöhten Anteils von Fichten in den Beständen, könne eine Maßnahme des aktiven Schutzes sein, mit der bei den Spechtpopulationen langfristig eine relativ stabile Situation aufrechterhalten werden könne. Die Größe der betreffenden Populationen halte sich nach dem Bewirtschaftungsplan von 2015 trotz der möglichen negativen Auswirkungen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung auf einem relativ hohen Niveau, und Änderungen der Verbreitungsgebiete der Vogelarten, wie sie von Modellen zum Klimawandel vorhergesagt würden, würden über die Zeit verteilt. Mit den vorübergehenden Maßnahmen der Waldbewirtschaftung könne langfristig also einem späteren erheblichen Rückgang der Spechtpopulationen entgegengewirkt werden.

249

Beim Sperlingskauz gingen durch die Entfernung von Fichten auf 5 % des betreffenden Gebiets in Wirklichkeit keine Vermehrungsgebiete verloren. Diese Vogelart, die in von Spechten, im Allgemeinen dem stark verbreiteten Buntspecht (Dendrocopos major), gebauten Höhlen niste, bevorzuge bei der Vermehrung keine bestimmte Baumart. Sie sei häufig in geschädigten Lebensräumen anzutreffen. So sei ihre Populationsdichte im bewirtschafteten Teil des Waldes von Białowieża höher. Der Raufußkauz besetze oft die vom Schwarzspecht (Dryocopus martius) gebauten Höhlen. Auf die Populationsdichte des Sperlings- und des Raufußkauzes im Waldgebiet Białowieża habe die Entfernung von Fichten auf einer Fläche von 5 % des Gebiets mithin keine signifikanten Auswirkungen.

250

Nach finnischen Daten habe die Waldbewirtschaftung durch das Schaffen von Lichtungen, sofern der Einschlag langfristig nicht über 50 % hinausgehe, nicht nur keine negativen Auswirkungen auf den Sperlings- und den Raufußkauz, sondern führe wegen der besseren Zugänglichkeit der Nahrung zu einer Zunahme der Vermehrung. Außerdem vergrößerten sich die Populationen dieser Arten und breiteten sich auf neue Gebiete aus. Die sogenannten biozönotischen Bäume, u. a. hohle Bäume, würden ihrem biologischen Tod überlassen. Die potenziellen Nistorte des Sperlings- und des Raufußkauzes blieben also zugänglich, zumal der Bewirtschaftungsplan von 2015 Maßnahmen vorsehe, die darin bestünden, „bei Maßnahmen der Bewirtschaftung alle Kiefern und Tannen mit offen sichtbaren Höhlen zu erhalten, sofern keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht“.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

251

Nach Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Art. 1 der Richtlinie fallenden Vogelarten zu treffen. Dazu gehört insbesondere das Verbot der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und der Entfernung von Nestern und ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung erheblich auf die Zielsetzung der Richtlinie auswirkt (Art. 5 Buchst. b und d der Richtlinie).

252

Nach Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie sind die Mitgliedstaaten also verpflichtet, einen vollständigen und wirksamen Rechtsrahmen zu erlassen (Urteile vom 12. Juli 2007, Kommission/Österreich, C‑507/04, EU:C:2007:427, Rn. 103 und 339, und vom 26. Januar 2012, Kommission/Polen, C‑192/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:44, Rn. 25). Sie müssen wie bei der Habitatrichtlinie (Art. 12) konkrete, spezifische Schutzmaßnahmen ergreifen, mit denen gewährleistet wird, dass die genannten Verbote zum Schutz der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der unter die Vogelschutzrichtlinie fallenden Vögel tatsächlich beachtet werden. Die Verbote müssen ohne zeitliche Beschränkung gelten (Urteil vom 27. April 1988, Kommission/Frankreich, 252/85, EU:C:1988:202, Rn. 9).

253

Im vorliegenden Fall sehen der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51 u. a. den Einschlag vom Buchdrucker befallender Fichten und die Entfernung toter oder absterbender Bäume vor.

254

Aus dem Bewirtschaftungsplan von 2015 geht aber eindeutig hervor, dass hundertjährige Fichten, die vom Buchdrucker befallen sind, und tote oder absterbende Bäume für den Sperlingskauz, den Raufußkauz, den Weißrückenspecht und den Dreizehenspecht, die in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie genannt sind, zumindest einen wichtigen Lebensraum darstellen. Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 167 und 168), wurde im Bewirtschaftungsplan von 2015 gerade die Entfernung solcher Bäume als potenzielle Gefahr für diese Vogelarten identifiziert.

255

Mit dem Anhang von 2016 und der Entscheidung Nr. 51 lassen die polnischen Behörden im Rahmen der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung also eine Abweichung vom Schutz der genannten Vögel zu.

256

Weder der Anhang von 2016 noch die Entscheidung Nr. 51 enthalten aber eine Beschränkung hinsichtlich des Alters der Bäume, die Gegenstand der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung sind, oder hinsichtlich des Zeitraums, in dem die Maßnahmen im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska durchgeführt werden dürfen. Der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51 enthalten also keine konkrete Bestimmung, mit der die Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der betreffenden Vögel wirksam verhindert werden soll.

257

Entgegen dem Vorbringen der Republik Polen ändert daran auch die Verträglichkeitsprüfung von 2015 nichts. In deren Abschnitt 4.2.3 heißt es lediglich, dass „dafür Sorge zu tragen [ist], dass die Maßnahmen der Waldbewirtschaftung in der Brutzeit ausgesetzt werden“. Es wird dort aber nicht festgestellt, dass die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller wildlebenden Vogelarten getroffen worden wären.

258

Soweit sich die Republik Polen insoweit auf die im Bewirtschaftungsplan von 2015 für offen sichtbare Aushöhlungen in Kiefern und Tannen vorgesehenen Erhaltungsmaßnahmen beruft, kann es mit dem Hinweis sein Bewenden haben, dass sich, wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 215), aus Abschnitt 4.2.4 der Verträglichkeitsprüfung von 2015 ergibt, dass der Bewirtschaftungsplan von 2015 nach Auffassung der polnischen Behörden „überholt“ ist und damit von diesen nicht mehr angewandt wird. Die Republik Polen kann sich also nicht auf die Bestimmungen des Bewirtschaftungsplans von 2015 berufen, um zu rechtfertigen, dass die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung nicht zu einer Zerstörung oder Beschädigung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska geschützten Vogelarten führen.

259

Somit ist festzustellen, dass der Anhang von 2016 und die Entscheidung Nr. 51, deren Durchführung zwangsläufig zur Zerstörung oder Beschädigung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska geschützten Vogelarten führen würde, keine konkreten, spezifischen Schutzmaßnahmen enthalten, mit denen gewährleistet wäre, dass von ihrem Anwendungsbereich absichtliche Eingriffe in das Leben und den Lebensraum dieser Vögel ausgeschlossen sind und dass das Verbot der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und der Entfernung von Nestern sowie das Verbot ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, tatsächlich beachtet werden.

260

Das Vorbringen der Republik Polen ist nicht geeignet, diese Feststellungen zu entkräften.

261

Als Erstes ist festzustellen, dass das Vorbringen der Republik Polen, soweit es auf die Ausbreitung des Buchdruckers gestützt ist, aus den oben in den Rn. 173 bis 181 dargelegten Gründen zurückzuweisen ist.

262

Als Zweites ist zu dem Vorbringen der Republik Polen, die Populationen der betreffenden Vögel seien stabil geblieben, ja hätten sogar zugenommen, festzustellen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass dies nichts daran ändert, dass Art. 4 Abs. 4 der Vogelschutzrichtlinie verletzt ist, nach dem die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel zu vermeiden. Die Schutzpflichten bestehen nämlich schon, bevor eine Abnahme der Vogelzahl festgestellt worden ist oder bevor sich die Gefahr des Aussterbens einer geschützten Vogelart konkretisiert hat (Urteile vom 14. Januar 2016, Kommission/Bulgarien, C‑141/14, EU:C:2016:8, Rn. 76, und vom 24. November 2016, Kommission/Spanien, C‑461/14, EU:C:2016:895, Rn. 83).

263

Diese Erwägungen, die die allgemeine Regelung zum Schutz der Vögel gemäß Art. 4 Abs. 4 der Vogelschutzrichtlinie betreffen, gelten erst recht für den speziellen Schutz gemäß Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie.

264

Die Republik Polen hat im Übrigen lediglich geltend gemacht, dass bei den für natürliche Wälder typischen Vogelarten, nämlich dem Sperlingskauz, dem Raufußkauz, dem Weißrückenspecht und dem Dreizehenspecht, durch die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung weder das Vorkommen noch die Lebensweise gefährdet seien. Um darzutun, dass die Größe der Population des Weißrückenspechts nicht abgenommen habe, hat sie sich insbesondere auf die Daten zu den Jahren 2014 und 2015 berufen. Diese Daten betreffen aber die Zeit vor der Anwendung der Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung. Dass in anderen Natura-2000-Gebieten in Polen Populationen des Weißrücken- und des Dreizehenspechts vorkommen sollen, die größer sein sollen als die in dem für das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska geltenden Standard-Datenbogen von 2015 angegebenen, ändert nichts daran, dass die Maßnahmen der aktiven Waldbewirtschaftung die Stabilität der Populationen dieser beiden Spechtarten in diesem Gebiet gefährden.

265

Als Drittes ist schließlich festzustellen, dass das Vorbringen der Republik Polen, es bestehe nicht die Gefahr, dass der Lebensraum des Sperlings- und des Raufußkauzes durch den Einschlag von Fichten als solcher erheblich beeinträchtigt werde, nicht stichhaltig ist. Zum einen geht aus dem Bewirtschaftungsplan von 2015 eindeutig hervor, dass die Fichte der Hauptlebensraum dieser Vogelarten ist. Zum anderen sieht der Anhang von 2016 für den Forstbezirk Białowieża im Wesentlichen eine Verdreifachung des Hiebsatzes, insbesondere für Fichten, vor.

266

Mithin ist der vierte Klagegrund (Verstoß gegen Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie) begründet.

267

Der Klage der Kommission ist somit in vollem Umfang stattzugeben.

268

Nach alledem ist festzustellen, dass die Republik Polen

dadurch, dass sie einen Anhang zum Waldbewirtschaftungsplan für den Forstbezirk Białowieża erlassen hat, ohne sich zu vergewissern, dass er sich nicht nachteilig auf das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska (GGB und BSG) als solches auswirkt, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie,

dadurch, dass sie nicht die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen ergriffen hat, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Habitatrichtlinie sowie der Vogelarten nach Anhang I der Vogelschutzrichtlinie und der dort nicht aufgeführten regelmäßig auftretenden Zugvogelarten entsprechen, für die das Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska als GGB und BSG ausgewiesen wurde, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie,

dadurch, dass sie für den Goldstreifigen Prachtkäfer (Buprestis splendens), den Scharlachroten Plattkäfer (Cucujus cinnaberinus), den Rothalsigen Düsterkäfer (Phryganophilus ruficollis) und den Pytho kolwensis, xylobionte Käfer, die in Anhang IV der Habitatrichtlinie aufgeführt sind, keinen strengen Schutz sichergestellt hat, d. h. ihre absichtliche Tötung und Störung sowie die Beschädigung oder Vernichtung ihrer Fortpflanzungsstätten im Forstbezirk Białowieża nicht verboten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Habitatrichtlinie

und dadurch, dass sie nicht den Schutz der in Art. 1 der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten sichergestellt hat, insbesondere des Sperlingskauzes (Glaucidium passerinum), des Raufußkauzes (Aegolius funereus), des Weißrückenspechts (Dendrocopos leucotos) und des Dreizehenspechts (Picoides tridactylus), nämlich nicht sichergestellt hat, dass diese Vogelarten im Forstbezirk Białowieża nicht getötet, während der Brut- und Aufzuchtzeit nicht gestört und ihre Nester und Eier nicht absichtlich zerstört, beschädigt oder entfernt werden, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Buchst. b und d der Vogelschutzrichtlinie

verstoßen hat.

VI. Kosten

269

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Polen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Republik Polen hat

dadurch, dass sie einen Anhang zum Waldbewirtschaftungsplan für den Forstbezirk Białowieża erlassen hat, ohne sich zu vergewissern, dass er sich nicht nachteilig auf das Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung und besondere Schutzgebiet PLC200004 Puszcza Białowieska als solches auswirkt, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung,

dadurch, dass sie nicht die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen ergriffen hat, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung sowie der Vogelarten nach Anhang I der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung und der dort nicht aufgeführten regelmäßig auftretenden Zugvogelarten entsprechen, für die das Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung und besondere Schutzgebiet PLC200004 Puszcza Białowieska ausgewiesen wurde, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung und Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2009/147 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung,

dadurch, dass sie für den Goldstreifigen Prachtkäfer ( Buprestis splendens ), den Scharlachroten Plattkäfer ( Cucujus cinnaberinus ), den Rothalsigen Düsterkäfer ( Phryganophilus ruficollis ) und den Pytho kolwensis, xylobionte Käfer, die in Anhang IV der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung aufgeführt sind, keinen strengen Schutz sichergestellt hat, d. h. ihre absichtliche Tötung und Störung sowie die Beschädigung oder Vernichtung ihrer Fortpflanzungsstätten im Forstbezirk Białowieża nicht verboten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und d der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung

und dadurch, dass sie nicht den Schutz der in Art. 1 der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten sichergestellt hat, insbesondere des Sperlingskauzes ( Glaucidium passerinum ), des Raufußkauzes ( Aegolius funereus ), des Weißrückenspechts ( Dendrocopos leucotos ) und des Dreizehenspechts ( Picoides tridactylus ), nämlich nicht sichergestellt hat, dass diese Vogelarten im Forstbezirk Białowieża nicht getötet, während der Brut- und Aufzuchtzeit nicht gestört und ihre Nester und Eier nicht absichtlich zerstört, beschädigt oder entfernt werden, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Buchst. b und d der Richtlinie 2009/147 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung

verstoßen.

 

2.

Die Republik Polen trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.