URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

13. September 2017 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Art. 28 – Inhaftnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, zum Zwecke der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat – Frist für die Überstellung – Höchstdauer der Inhaftnahme – Berechnung – Annahme des Aufnahmegesuchs vor der Inhaftnahme – Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung“

In der Rechtssache C‑60/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Kammarrätt i Stockholm – Migrationsöverdomstolen (Verwaltungsgerichtshof Stockholm – Obergericht für Migrationsfragen, Schweden) mit Entscheidung vom 29. Januar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Februar 2016, in dem Verfahren

Mohammad Khir Amayry

gegen

Migrationsverket

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Herrn Khir Amayry, vertreten durch S. Stoeva, advokat,

des Migrationsverk, vertreten durch F. Beijer und F. Axling als Bevollmächtigte,

der schwedischen Regierung, vertreten durch L. Swedenborg, A. Falk, C. Meyer-Seitz, U. Persson und N. Otte Widgren als Bevollmächtigte,

der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman und B. Koopman als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Crane und M. Holt als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,

der Schweizer Regierung, vertreten durch C. Bichet als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und K. Simonsson als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. März 2017

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 28 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Mohammad Khir Amayry und dem Migrationsverk (Amt für Migration, Schweden) (im Folgenden: Amt) wegen dessen Entscheidung, Herrn Khir Amayry bis zu seiner Überstellung nach Italien gemäß der Dublin‑III-Verordnung in Haft zu nehmen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2013/33/EU

3

Art. 8 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96, im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), stellt klar:

„(1)   Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie ein Antragsteller im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes [(ABl. 2013, L 180, S. 60)] ist.

(3)   Ein Antragsteller darf nur in Haft genommen werden,

f)

wenn dies mit Artikel 28 der [Dublin‑III-Verordnung] in Einklang steht.

…“

4

Art. 9 („Garantien für in Haft befindliche Antragsteller“) Abs. 1 der Aufnahmerichtlinie lautet:

„Ein Antragsteller wird für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange in Haft genommen, wie die in Artikel 8 Absatz 3 genannten Gründe gegeben sind.

Die Verwaltungsverfahren in Bezug auf die in Artikel 8 Absatz 3 genannten Gründe für die Inhaftnahme werden mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt. Verzögerungen in den Verwaltungsverfahren, die nicht dem Antragsteller zuzurechnen sind, rechtfertigen keine Fortdauer der Haft.“

Dublin‑III-Verordnung

5

Im 20. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung heißt es:

„Die Inhaftnahme von Antragstellern sollte nach dem Grundsatz erfolgen, wonach eine Person nicht allein deshalb in Haft genommen werden darf, weil sie um internationalen Schutz nachsucht. Die Haft sollte so kurz wie möglich dauern und den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen. Insbesondere muss die Inhaftnahme von Antragstellern im Einklang mit Artikel 31 [des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge] stehen. Die in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren in Bezug auf eine in Haft genommene Person sollten vorrangig schnellstmöglich angewandt werden. Hinsichtlich der allgemeinen Garantien sowie der Bedingungen für die Inhaftnahme sollten die Mitgliedstaaten gegebenenfalls die Bestimmungen der [Aufnahmerichtlinie] auch auf Personen anwenden, die aufgrund dieser Verordnung in Haft genommen wurden.“

6

Art. 27 Abs. 3 und 4 dieser Verordnung bestimmt:

„(3)   Zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung sehen die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht Folgendes vor:

a)

dass die betroffene Person aufgrund des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung berechtigt ist, bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zu bleiben; oder

b)

dass die Überstellung automatisch ausgesetzt wird und diese Aussetzung innerhalb einer angemessenen Frist endet, innerhalb der ein Gericht, nach eingehender und gründlicher Prüfung, darüber entschieden hat, ob eine aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gewährt wird; oder

c)

die betreffende Person hat die Möglichkeit, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Die Mitgliedstaaten sorgen für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. Die Entscheidung, ob die Durchführung der Überstellungsentscheidung ausgesetzt wird, wird innerhalb einer angemessenen Frist getroffen, welche gleichwohl eine eingehende und gründliche Prüfung des Antrags auf Aussetzung ermöglicht. Die Entscheidung, die Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht auszusetzen, ist zu begründen.

(4)   Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen.“

7

Art. 28 der genannten Verordnung sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2)   Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3)   Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Befindet sich eine Person nach diesem Artikel in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten. Die Artikel 21, 23, 24 und 29 gelten weiterhin entsprechend.

(4)   Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, die Artikel 9, 10 und 11 der [Aufnahmerichtlinie].“

8

In Art. 29 Abs. 1 und 2 der Verordnung heißt es:

„(1)   Die Überstellung des Antragstellers … aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt …, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

(2)   Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.“

Schwedisches Recht

9

Nach Kapitel 1 § 8 des Utlänningslag (Ausländergesetz, SFS 2005, Nr. 716) ist das Gesetz so anzuwenden, dass die Freiheit des Ausländers nicht mehr als im jeweiligen Einzelfall erforderlich eingeschränkt wird.

10

Kapitel 1 § 9 dieses Gesetzes sieht vor, dass die Vorschriften über Zurück- und Ausweisungen entsprechend auch für Überstellungsentscheidungen gemäß der Dublin‑III-Verordnung gelten.

11

Nach Kapitel 1 § 10 des Gesetzes kann ein Ausländer, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, zum Zweck der Vorbereitung der Durchführung oder der Durchführung einer Entscheidung über eine Zurück- oder Ausweisung in Haft genommen werden.

12

In Kapitel 4 § 10 des Ausländergesetzes heißt es, dass ein Ausländer nicht länger als zwei Monate in Haft genommen werden darf, falls keine eine längere Haft rechtfertigenden schwerwiegenden Gründe vorliegen, und wird klargestellt, dass der Ausländer in den Fällen, in denen solche Gründe vorliegen, nicht länger als drei Monate in Haft genommen werden darf. Wenn die Durchführung der Überstellungsentscheidung wegen mangelnder Kooperation des Ausländers oder deshalb, weil die Beschaffung der erforderlichen Dokumente Zeit braucht, voraussichtlich länger dauern wird, beträgt die maximale Dauer zwölf Monate.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13

Herr Khir Amayry stellte am 19. Dezember 2014 in Schweden einen Antrag auf internationalen Schutz.

14

Da eine Abfrage im Eurodac-System ergab, dass Herr Khir Amayry am 6. Dezember 2014 nach Italien eingereist war und diesen Schutz am 17. Dezember 2014 bereits in Dänemark beantragt hatte, ersuchte das Amt die italienischen Behörden am 15. Januar 2015 um Aufnahme von Herrn Khir Amayry.

15

Am 18. März 2015 gaben die italienischen Behörden dem Aufnahmeersuchen statt.

16

Am 2. April 2015 lehnte das Amt den Antrag von Herrn Khir Amayry auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis einschließlich seines Antrags auf internationalen Schutz ab, beendete das Verfahren zur Ermittlung seiner Rechtsstellung und ordnete seine Überstellung nach Italien an. Zudem beschloss das Amt, Herrn Khir Amayry in Haft zu nehmen, da es der Ansicht war, dass eine erhebliche Fluchtgefahr bestehe.

17

Herr Khir Amayry erhob gegen diese Entscheidung des Amtes Klage beim Förvaltningsrätt i Stockholm – Migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Stockholm – Gericht für Migrationsfragen, Schweden). Im Zusammenhang mit dieser Klage beschloss das Amt, die Durchführung der Überstellungsentscheidung auszusetzen.

18

Der Förvaltningsrätt i Stockholm – Migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Stockholm – Gericht für Migrationsfragen) wies die Klage am 29. April 2015 mit der Begründung ab, dass sich Herr Khir Amayry im Fall einer Haftentlassung durch Flucht, Verbergen oder auf andere Weise der Durchführung der Überstellungsentscheidung entziehen würde. Gegen dieses Urteil legte Herr Khir Amayry beim vorlegenden Gericht ein Rechtsmittel ein.

19

Am 8. Mai 2015 wurde die Überstellungsentscheidung durchgeführt. Herr Khir Amayry kehrte anschließend nach Schweden zurück, wo er am 1. Juni 2015 erneut einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

20

Am 30. Juli 2015 wies das vorlegende Gericht das Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Förvaltningsrätt i Stockholm – Migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Stockholm – Gericht für Migrationsfragen) insoweit zurück, als es die Frage der Überstellung betraf, ließ es jedoch zu, soweit es die Frage der Inhaftnahme betraf.

21

Vor diesem Hintergrund hat der Kammarrätt i Stockholm – Migrationsöverdomstolen (Verwaltungsgerichtshof Stockholm – Gericht für Migrationsfragen, Schweden) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist die Sechswochenfrist des Art. 28 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung, wenn sich ein Asylbewerber zu dem Zeitpunkt, zu dem der zuständige Mitgliedstaat seiner Aufnahme zustimmt, nicht in Haft befindet, aber zu einem späteren Zeitpunkt in Haft genommen wird – weil erst dann eine erhebliche Fluchtgefahr angenommen wird –, ab dem Tag der Inhaftnahme oder ab einem anderen Zeitpunkt und gegebenenfalls ab welchem zu berechnen?

2.

Wird durch Art. 28 der Dublin‑III-Verordnung, wenn sich ein Asylbewerber zu dem Zeitpunkt, zu dem der zuständige Mitgliedstaat seiner Aufnahme zustimmt, nicht in Haft befindet, die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften ausgeschlossen, soweit sich danach, was Schweden betrifft, ein Ausländer zum Zweck der Durchführung der Überstellung nicht länger als zwei Monate in Haft befinden darf, falls keine eine längere Haftzeit rechtfertigenden schwerwiegenden Gründe vorliegen, und die Haft des Ausländers, wenn solche schwerwiegenden Gründe vorliegen, nicht länger als drei Monate bzw., wenn die Durchführung der Überstellungsentscheidung wegen mangelnder Kooperation des Ausländers oder deshalb, weil die Beschaffung der erforderlichen Dokumente Zeit braucht, voraussichtlich länger dauern wird, nicht länger als zwölf Monate dauern darf?

3.

Wenn ein Durchführungsverfahren neu beginnt, sobald ein Rechtsbehelf oder eine Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat (vgl. Art. 27 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung), beginnt dann eine neue Sechswochenfrist für die Durchführung der Überstellung oder findet eine Anrechnung beispielsweise der Tage statt, die die betreffende Person bereits in Haft verbracht hat, nachdem der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme oder Wiederaufnahme zugestimmt hat?

4.

Ist es von Bedeutung, dass der Asylbewerber, der einen Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung eingelegt hat, die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens (vgl. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c und Abs. 4 der Dublin‑III-Verordnung) nicht selbst beantragt hat?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

22

Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 28 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden – die vorsieht, dass in einer Situation, in der die Inhaftnahme einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person erfolgt, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, die Haft für grundsätzlich höchstens zwei Monate, wenn schwerwiegende Gründe vorliegen, die eine längere Haftzeit rechtfertigen, für höchstens drei Monate, und, wenn die Überstellung wegen mangelnder Kooperation der betroffenen Person oder weil die Beschaffung der erforderlichen Dokumente Zeit braucht voraussichtlich länger dauern wird, für höchstens zwölf Monate aufrechterhalten werden darf – entgegensteht.

23

Aus Art. 8 Abs. 1 der Aufnahmerichtlinie geht hervor, dass eine Person nicht allein deshalb in Haft genommen werden darf, weil sie internationalen Schutz beantragt hat.

24

Allerdings sieht Art. 8 Abs. 3 Buchst. f dieser Richtlinie die Möglichkeit vor, eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, gemäß Art. 28 der Dublin‑III-Verordnung in Haft zu nehmen.

25

Aus Art. 28 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung geht hervor, dass die Mitgliedstaaten eine Person zwar nicht allein deshalb in Haft nehmen, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt, aber unter bestimmten Voraussetzungen eine Person in Haft nehmen dürfen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht.

26

Diese Möglichkeit wird namentlich durch Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung beschränkt, der vorsieht, dass die Haft so kurz wie möglich und nicht länger zu sein hat, als es bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung durchgeführt wird.

27

Zur Konkretisierung dieses Grundsatzes sind in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 2 und 3 der Dublin‑III-Verordnung spezifische Fristen für die Stellung von Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchen und für die Durchführung der Überstellung festgelegt. Zudem geht aus Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 4 dieser Verordnung hervor, dass die betroffene Person nicht länger in Haft gehalten wird, wenn der ersuchende Mitgliedstaat diese Fristen nicht einhält.

28

Was die Frist für die Durchführung der Überstellung betrifft, die in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wo dem Aufnahmegesuch bereits vor der Inhaftnahme der betroffenen Person stattgegeben wurde, allein einschlägig ist, lässt sich anhand des bloßen Wortlauts von Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der genannten Verordnung nicht ermitteln, ob diese Bestimmung in allen Situationen Anwendung findet, in denen eine Person bis zu ihrer Überstellung in Haft genommen wird, oder nur dann, wenn eine Person bereits in Haft genommen worden ist und eines der beiden in dieser Bestimmung angeführten Ereignisse eintritt, d. h. zum einen die Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs und zum anderen das Ende der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer solchen Entscheidung.

29

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind jedoch bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki, C‑84/12, EU:C:2013:862, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die mit der Dublin‑III-Verordnung eingeführten Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren letztlich bezwecken, die Überstellung eines Drittstaatsangehörigen in den nach dieser Verordnung als für die Prüfung des von diesem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu ermöglichen.

31

Im Rahmen dieser Verfahren bezweckt die Möglichkeit, die betreffende Person unter bestimmten Voraussetzungen in Haft zu nehmen, wie Art. 28 Abs. 2 der genannten Verordnung klarstellt, die Sicherstellung von Überstellungsverfahren, indem vermieden wird, dass diese Person flieht und sich der Durchführung einer etwaigen Entscheidung über ihre Überstellung entzieht.

32

In diesem Zusammenhang zeigt die Wahl einer Frist für die Überstellung von sechs Wochen, wie sie Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung vorsieht, dass der Unionsgesetzgeber davon ausging, dass ein solcher Zeitraum erforderlich sein könnte, um die Überstellung einer in Haft genommenen Person durchzuführen.

33

Da aber keine der mit Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung eingeführten Fristen mit dem Zeitpunkt der Inhaftnahme beginnt, würde die Auffassung, dass diese Bestimmung in allen Situationen Anwendung findet, in denen eine Person bis zu ihrer Überstellung in Haft genommen wird, bedeuten, dass die Inhaftnahme zwingend sechs Wochen nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs endet, selbst wenn die Inhaftnahme erst nach dieser Annahme erfolgt ist.

34

Demnach wäre die Dauer der Haft zum Zweck der Durchführung der Überstellung in einer solchen Situation zwingend kürzer als sechs Wochen, und jegliche Inhaftnahme wäre sogar ausgeschlossen, sobald seit der genannten Annahme eine Frist von sechs Wochen verstrichen ist.

35

Unter diesen Umständen stünde einem Mitgliedstaat die Möglichkeit, eine Inhaftnahme der betreffenden Person einzuleiten, nur während eines kurzen Abschnitts der ihm mit Art. 29 Abs. 1 und 2 der Dublin‑III-Verordnung zur Durchführung der Überstellung eingeräumten Frist von sechs Monaten zu, und zwar selbst dann, wenn die Fluchtgefahr, die die Inhaftnahme rechtfertigen könnte, erst spät manifest wird.

36

Hinzu kommt, dass, obgleich Art. 29 Abs. 2 dieser Verordnung vorsieht, dass die Frist auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, wenn die betreffende Person flüchtig ist, eine Person, die während mindestens sechs Wochen flüchtig war, nicht mehr in Haft genommen werden könnte, wenn die zuständigen Behörden ihrer erneut habhaft werden könnten.

37

Vor diesem Hintergrund ist offensichtlich, dass die in Rn. 33 des vorliegenden Urteils in Erwägung gezogene Auslegung zum einen die Wirksamkeit der nach dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren merklich beschränken könnte und zum anderen die betroffenen Personen veranlassen könnte zu fliehen, um ihre Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat zu verhindern, was die Anwendung der Grundsätze und der Verfahren dieser Verordnung unmöglich machen würde (vgl. entsprechend Urteile vom 17. März 2016, Mirza, C‑695/15 PPU, EU:C:2016:188, Rn. 52, und vom 25. Januar 2017, Vilkas, C‑640/15, EU:C:2017:39, Rn. 37).

38

Außerdem wäre diese Auslegung nicht mit dem im 20. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers, die Inhaftnahme zu erlauben und zugleich die Haftdauer zu begrenzen, vereinbar, da sie eine Beschränkung oder den Ausschluss der Haft nicht entsprechend dem Zeitraum, in dem die betroffene Person in Haft war, sondern ausschließlich dem Zeitraum, der seit der Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme vergangen ist, zur Folge hätte.

39

Somit ist Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass die nach dieser Bestimmung vorgesehene Höchstfrist von sechs Wochen, innerhalb deren die Überstellung einer in Haft genommenen Personen erfolgen muss, nur in dem Fall gilt, dass sich die betroffene Person bereits in Haft befindet, wenn eines der beiden in dieser Bestimmung angeführten Ereignisse eintritt.

40

Folglich ist die Haftdauer, wenn die betroffene Person bis zu ihrer Überstellung in Haft genommen wird, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, gegebenenfalls erst von dem Zeitpunkt an durch eine der in Art. 28 Abs. 3 dieser Verordnung genau festgelegten Fristen begrenzt, zu dem die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gemäß Art. 27 Abs. 3 der Verordnung wegfällt.

41

Auch wenn in der Dublin‑III-Verordnung keine Höchstdauer für die Haft festgelegt ist, muss die Haft gleichwohl mit dem in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 dieser Verordnung festgelegten Grundsatz vereinbar sein, wonach die Haft so kurz wie möglich zu sein hat und nicht länger sein darf, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung durchgeführt wird.

42

Sodann muss die zuständige Behörde nach Art. 28 Abs. 4 der genannten Verordnung die Bestimmungen der Aufnahmerichtlinie beachten, die die Inhaftnahme der um internationalen Schutz nachsuchenden Personen begrenzen,, insbesondere Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie, aus dem u. a. hervorgeht, dass die Verwaltungsverfahren in Bezug auf die Gründe für die Inhaftnahme mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden.

43

Schließlich muss diese Behörde Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union berücksichtigen, da Art. 28 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung eine Einschränkung der Ausübung des Grundrechts auf Freiheit und Sicherheit vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Februar 2016, N., C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 49, und vom 15. März 2017, Al Chodor, C‑528/15, EU:C:2017:213, Rn. 36).

44

In diesem Zusammenhang ist es somit Sache der zuständigen Behörde unter der Kontrolle der nationalen Gerichte, das Überstellungsverfahren mit Sorgfalt durchzuführen und die Haft nicht über den für die Zwecke dieses Verfahrens erforderlichen Zeitraum hinaus zu verlängern, der unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen des genannten Verfahrens in jedem Einzelfall zu beurteilen ist (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Lanigan, C‑237/15 PPU, EU:C:2015:474, Rn. 58 und 59).

45

Außerdem kann die betroffene Person nicht für einen Zeitraum in Haft genommen werden, der die Dauer von sechs Wochen, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, erheblich überschreitet, da sich aus Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung ergibt, dass dieser Zeitraum – u. a. aufgrund dessen, dass es sich bei dem mit dieser Verordnung eingeführten Verfahren zur Überstellung zwischen den Mitgliedstaaten um ein vereinfachtes Verfahren handelt – grundsätzlich ausreichend ist, damit die zuständigen Behörden die Überstellung vornehmen können (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Lanigan, C‑237/15 PPU, EU:C:2015:474, Rn. 60).

46

Da der Umstand, dass die Inhaftnahme einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person erfolgt, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, nicht dazu führen kann, dass die Überstellung dieser Person besonders schwierig wird, übersteigt somit eine Haftdauer von drei bzw. zwölf Monaten, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, den Zeitraum, der bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung durchgeführt wird.

47

Hingegen kann in einer solchen Situation eine Haftdauer von zwei Monaten in Anbetracht des Beurteilungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten beim Erlass von Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts verfügen, nicht als zwangsläufig übermäßig lang angesehen werden, wobei die Angemessenheit dieser Dauer im Hinblick auf die Merkmale des Einzelfalls jedoch von der zuständigen Behörde unter der Kontrolle der nationalen Gerichte zu prüfen ist.

48

Allerdings darf in dem Fall, dass nach der Inhaftnahme die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung nach Art. 27 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung wegfällt, die Haft nach Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 dieser Verordnung nicht länger als sechs Wochen ab diesem Zeitpunkt aufrechterhalten werden.

49

Aus dem Vorstehenden folgt, dass Art. 28 der Dublin‑III-Verordnung im Licht von Art. 6 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen ist,

dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die vorsieht, dass in einer Situation, in der die Inhaftnahme einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person erfolgt, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, die Haft für höchstens zwei Monate aufrechterhalten werden darf, nicht entgegensteht, soweit zum einen die Haftdauer den für die Zwecke des Überstellungsverfahrens erforderlichen Zeitraum, der unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen dieses Verfahrens in jedem Einzelfall zu beurteilen ist, nicht übersteigt und zum anderen diese Haftdauer gegebenenfalls nicht länger ist als sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, und

dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es in einer solchen Situation erlaubt, die Haft während drei bzw. zwölf Monaten aufrechtzuerhalten, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, entgegensteht.

Zur dritten Frage

50

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 28 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass auf die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, die Tage anzurechnen sind, während deren die betreffende Person bereits in Haft war, nachdem ein Mitgliedstaat dem Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat.

51

Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt, dass die Überstellung einer Person, die sich nach Art. 28 dieser Verordnung in Haft befindet, aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Art. 27 Abs. 3 dieser Verordnung keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

52

Aus dem Wortlaut von Art. 28 der genannten Verordnung ergibt sich somit, dass diese Bestimmung zwei verschiedene Sechswochenfristen festlegt, dabei aber weder angibt, ob diese zusammenfallen müssen, noch, ob die zweite Frist in bestimmten Fällen zu verkürzen ist.

53

Diese Auslegung wird durch die Funktion bestätigt, die der Unionsgesetzgeber diesen Fristen zugewiesen hat.

54

Denn die in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Fristen bewirken zwar nach Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 4 dieser Verordnung, dass die Höchstdauer der Haft begrenzt wird, haben aber gleichwohl den Zweck, den Zeitraum zu bestimmen, innerhalb dessen die Überstellung zu erfolgen hat, und ersetzen somit in bestimmten Fällen die zu diesem Zweck mit Art. 29 Abs. 1 der genannten Verordnung eingeführten Grundsatzfristen.

55

Solange aber ein gegen eine Überstellungsentscheidung eingelegter Rechtsbehelf oder eine beantragte Überprüfung einer solchen Entscheidung aufschiebende Wirkung hat, ist es von vornherein unmöglich, die Überstellung vorzunehmen, weshalb die hierzu vorgesehene Frist in diesem Fall erst zu laufen beginnen kann, wenn grundsätzlich vereinbart ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben, also ab dem Zeitpunkt, zu dem die aufschiebende Wirkung endet (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Januar 2009, Petrosian, C‑19/08, EU:C:2009:41, Rn. 45).

56

In einer solchen Situation sieht sich jeder der beiden Mitgliedstaaten bei der Organisation der Überstellung mit den gleichen praktischen Schwierigkeiten konfrontiert, mit denen er sich konfrontiert gesehen hätte, wenn die Überstellung unmittelbar nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs hätte erfolgen können, und sollte folglich über die gleiche Frist von sechs Wochen verfügen, um die technischen Modalitäten der Überstellung zu regeln und die Überstellung durchzuführen (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Januar 2009, Petrosian, C‑19/08, EU:C:2009:41, Rn. 43 und 44).

57

Der Umstand, dass die betroffene Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung weggefallen ist, bereits in Haft genommen worden war, ist als solcher nicht geeignet, die Überstellung merklich zu erleichtern, da die betroffenen Mitgliedstaaten die technischen Modalitäten der Überstellung nicht regeln können, wenn diese weder grundsätzlich feststeht noch gar deren Zeitpunkt bekannt ist.

58

Außerdem könnte in dem Fall, in dem die betroffene Person erst nach mehreren Wochen in Haft den Rechtsbehelf eingelegt oder die Überprüfung beantragt hat, eine mögliche Verkürzung der zweiten in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Frist um die Tage, die die Person bereits in Haft war, der zuständigen Behörde in der Praxis jegliche Möglichkeit nehmen, die Überstellung durchzuführen, bevor sie die Haft beendet hat, und sie somit daran hindern, von der vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Möglichkeit, die betreffende Person zur Abwehr einer erheblichen Fluchtgefahr in Haft zu nehmen, wirksam Gebrauch zu machen.

59

Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 28 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass auf die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, die Tage, während deren die betreffende Person bereits in Haft war, nachdem ein Mitgliedstaat dem Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat, nicht anzurechnen sind.

Zur vierten Frage

60

Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 28 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, auch dann gilt, wenn die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht ausdrücklich von der betroffenen Person beantragt worden ist.

61

Aus Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung geht hervor, dass die zweite mit dieser Bestimmung eingeführte Frist für die Durchführung der Überstellung zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Art. 27 Abs. 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

62

Wie in Rn. 55 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, soll der zuständigen Behörde mit dieser Regelung eine ausreichende Frist zur Durchführung der Überstellung einer in Haft genommenen Person unter Berücksichtigung des Umstands gewährt werden, dass, wenn ein Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, der bzw. die in Bezug auf eine Überstellungsentscheidung eingelegt bzw. beantragt worden ist, aufschiebende Wirkung hat, die Überstellung erst erfolgen kann, wenn die aufschiebende Wirkung weggefallen ist.

63

Demnach ist der Umstand, dass einem Rechtsbehelf oder einer Überprüfung aufschiebende Wirkung zukommt, insoweit entscheidend, als er der Überstellung entgegensteht, ohne dass dem Vorliegen oder dem Nichtvorliegen eines vorherigen, von der betroffenen Person ausgehenden Antrags auf Aussetzung der Überstellungsentscheidung eine entscheidende Rolle zukäme.

64

Im Übrigen ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber auf den Wegfall der aufschiebenden Wirkung „gemäß Artikel 27 Absatz 3“ der Dublin‑III-Verordnung Bezug genommen hat, ohne eine Unterscheidung zwischen den Mitgliedstaaten vorzunehmen, die sich dazu entschieden haben, dem Rechtsbehelf oder der Überprüfung nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. a und b dieser Verordnung von Rechts wegen aufschiebende Wirkung beizumessen, und den Mitgliedstaaten, die sich dazu entschieden haben, die Gewährung dieser aufschiebenden Wirkung nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. c der genannten Verordnung vom Erlass einer dahin gehenden gerichtlichen Entscheidung auf Antrag der betroffenen Person abhängig zu machen.

65

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, dem Erfordernis der zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz den gerichtlichen Schutz der Personen zu opfern, die solche Anträge stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C‑63/15, EU:C:2016:409, Rn. 57).

66

Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten, die den gerichtlichen Schutz der Antragsteller ausbauen wollten, indem sie dem Rechtsbehelf oder der Überprüfung in Bezug auf eine Überstellungsentscheidung von Rechts wegen aufschiebende Wirkung beigemessen haben, nicht im Namen der Einhaltung des Erfordernisses einer zügigen Sachbehandlung in eine weniger günstige Lage versetzt werden dürfen als diejenigen Mitgliedstaaten, die dies nicht für notwendig erachtet haben. Dies wäre aber der Fall, stünde den erstgenannten Mitgliedstaaten keine ausreichende Frist zur Verfügung, um die Überstellung durchzuführen, wenn die betroffene Person in Haft ist und sich dazu entschieden hat, einen Rechtsbehelf einzulegen (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Januar 2009, Petrosian, C‑19/08, EU:C:2009:41, Rn. 49 und 50).

67

Art. 28 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung bezieht sich zwar nicht unmittelbar auf den in Art. 27 Abs. 4 dieser Verordnung vorgesehenen Fall, in dem die Aussetzung der Durchführung der Überstellung nicht kraft Gesetzes gilt oder auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht, sondern auf einer von der zuständigen Behörde erlassenen Entscheidung.

68

Jedoch befindet sich die betroffene Person in diesem Fall in einer Situation, die in jeder Hinsicht mit der Situation einer Person vergleichbar ist, deren Rechtsbehelf oder von ihr beantragter Überprüfung gemäß Art. 27 Abs. 3 der genannten Verordnung aufschiebende Wirkung zukommt.

69

Unter diesen Umständen ist zum einen offensichtlich, dass die Inhaftnahme auch hier bis zum Vorliegen des Ergebnisses des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung weiterhin erforderlich sein kann, und zum anderen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Haft länger als sechs Wochen aufrechtzuerhalten, nachdem eine endgültige Entscheidung über den Rechtsbehelf oder aufgrund der Überprüfung ergangen ist.

70

Außerdem müssten Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 und Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 der Dublin‑III-Verordnung – in denen allein die sich aus Art. 27 Abs. 3 dieser Verordnung ergebende aufschiebende Wirkung angeführt ist – aufgrund ihres ähnlichen Wortlauts und des Umstands, dass beide die Ermittlung des Zeitraums zum Gegenstand haben, innerhalb dessen die Überstellung erfolgen muss, normalerweise jeweils enger ausgelegt werden.

71

Eine solche Auslegung würde gemäß Art. 29 Abs. 1 der genannten Verordnung folglich bedeuten, dass, wenn die zuständige Behörde von der Möglichkeit nach Art. 27 Abs. 4 dieser Verordnung zugunsten einer Person Gebrauch macht, die nicht in Haft genommen worden ist, die Frist für die Durchführung der Überstellung gleichwohl ab der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat zu berechnen wäre. Diese Auslegung könnte dieser Vorschrift daher in der Praxis in weitem Maße ihre praktische Wirksamkeit nehmen, da sie nicht angewandt werden könnte, ohne dass die Gefahr bestünde, dass sie die Durchführung der Überstellung innerhalb der von der Dublin‑III-Verordnung vorgegebenen Fristen behindert.

72

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der genannten Auslegung auch nicht mit der Begründung der Vorzug gegeben werden kann, dass sie dazu beitragen würde, die Freiheit und die Sicherheit der betroffenen Person stärker zu schützen. Die gegenteilige Auslegung führt nämlich nicht dazu, dass die Möglichkeiten der Aufrechterhaltung der Haft erweitert würden, sondern gerade dazu, dass die Anwendung einer präzisen Grenze für die Höchstdauer der Haft in all den Fällen gewährleistet wird, in denen die Haft aufgrund der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung verlängert wurde.

73

Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 28 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen ist, dass die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, auch dann gilt, wenn die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht ausdrücklich von der betreffenden Person beantragt worden ist.

Kosten

74

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht von Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen,

dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die vorsieht, dass in einer Situation, in der die Inhaftnahme einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person erfolgt, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, die Haft für höchstens zwei Monate aufrechterhalten werden darf, nicht entgegensteht, soweit zum einen die Haftdauer den für die Zwecke des Überstellungsverfahrens erforderlichen Zeitraum, der unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen dieses Verfahrens in jedem Einzelfall zu beurteilen ist, nicht übersteigt und zum anderen diese Haftdauer gegebenenfalls nicht länger ist als sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, und

dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es in einer solchen Situation erlaubt, die Haft während drei bzw. zwölf Monaten aufrechtzuerhalten, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, entgegensteht.

 

2.

Art. 28 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass auf die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, die Tage, während deren die betreffende Person bereits in Haft war, nachdem ein Mitgliedstaat dem Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat, nicht anzurechnen sind.

 

3.

Art. 28 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, auch dann gilt, wenn die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht ausdrücklich von der betreffenden Person beantragt worden ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Schwedisch.