SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE

vom 14. September 2017 ( 1 )

Rechtssache C‑372/16

Soha Sahyouni

gegen

Raja Mamisch

(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts München [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 – Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts – Anwendungsbereich – Art. 1 – Anerkennung einer in einem Drittstaat durch eine geistliche Stelle eingetragenen privaten Ehescheidung – Art. 10 – Ausschluss des anzuwendenden ausländischen Rechts – Wegen der Geschlechtszugehörigkeit der Ehegatten diskriminierender Zugang zur Ehescheidung – Abstrakte Prüfung des diskriminierenden Charakters – Keine Auswirkung der etwaigen Einwilligung des diskriminierten Ehegatten“

I. Einleitung

1.

Das Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts München (Deutschland) betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts ( 2 ), ein Rechtsakt, dessen Bestimmungen noch nicht Gegenstand einer materiell-rechtlichen Untersuchung durch den Gerichtshof waren.

2.

Das vorliegende Ersuchen knüpft an ein vorhergehendes an, das von demselben Gericht im Rahmen desselben Ausgangsrechtsstreits, der ein Gerichtsverfahren über die Anerkennung einer durch eine geistliche Stelle in Syrien getroffenen Entscheidung über eine Ehescheidung in Deutschland betrifft, gestellt worden war. Dieses erste Vorabentscheidungsersuchen führte zu dem Beschluss vom 12. Mai 2016 in der Rechtssache Sahyouni (C‑281/15) ( 3 ), im dem sich der Gerichtshof für die Entscheidung für offensichtlich unzuständig erklärte ( 4 ).

3.

Das vorlegende Gericht wendet sich erneut an den Gerichtshof, um ihm mehrere Fragen zur Verordnung Nr. 1259/2010 zu stellen. Vor ihrer Prüfung wird festzustellen sein, ob der Gerichtshof tatsächlich – obwohl die Anerkennung einer in einem Drittstaat ausgesprochenen Ehescheidung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht vom Anwendungsbereich dieser Verordnung umfasst ist – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, dass die maßgeblichen deutschen Rechtsvorschriften diesen Unionsrechtsakt für auf solche Situationen anwendbar erklären, für ihre Beantwortung zuständig ist.

4.

Mit der ersten Frage wird der Gerichtshof ersucht, darüber zu befinden, ob die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1259/2010 die als „privat“ eingestuften Ehescheidungen umfassen, soweit diese nicht auf einer konstitutiven Entscheidung eines Gerichts oder einer anderen Behörde, sondern auf einer einseitigen oder einverständlichen Willenserklärung der Ehegatten, gegebenenfalls unter Mitwirkung rein deklaratorischer Art einer ausländischen Behörde, beruhen.

5.

Die hilfsweise gestellten anderen Fragen betreffen Art. 10 dieser Verordnung, der es gestattet, anstelle des grundsätzlich anzuwendenden Rechts das Recht des Staates des angerufenen Gerichts anzuwenden, wenn das grundsätzlich anzuwendende Recht zu einer Diskriminierung zwischen den Ehegatten aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit führt. Insoweit wird der Gerichtshof zunächst gefragt, ob die Beurteilung des Vorliegens einer solchen diskriminierenden Wirkung abstrakt oder konkret zu erfolgen hat. Für den Fall, dass entschieden würde, dass diese Beurteilung im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist, wird der Gerichtshof sodann zu bestimmen haben, ob die etwaige Einwilligung des diskriminierten Ehegatten in die Ehescheidung dennoch gestattet, das diskriminierende ausländische Recht anzuwenden.

II. Rechtlicher Rahmen

A.  Unionsrecht

6.

Die Verordnung Nr. 1259/2010 ist nur in den Mitgliedstaaten anwendbar, die an der sich aus diesem Rechtsakt ergebenden verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts teilnehmen ( 5 ).

7.

Nach ihrem neunten Erwägungsgrund „sollte [die Verordnung Nr. 1259/2010] einen klaren, umfassenden Rechtsrahmen im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts in den teilnehmenden Mitgliedstaaten vorgeben, den Bürgern in Bezug auf Rechtssicherheit, Berechenbarkeit und Flexibilität sachgerechte Lösungen garantieren und Fälle verhindern, in denen ein Ehegatte alles daran setzt, die Scheidung zuerst einzureichen, um sicherzugehen, dass sich das Verfahren nach einer Rechtsordnung richtet, die seine Interessen seiner Ansicht nach besser schützt“.

8.

Laut dem zehnten Erwägungsgrund dieser Verordnung „[sollten d]er sachliche Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung … mit der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 [des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ( 6 )] im Einklang stehen“. Außerdem „sollte [die Verordnung Nr. 1259/2010] nur für die Auflösung oder die Lockerung des Ehebandes gelten“ und „[sollte d]as nach den Kollisionsnormen dieser Verordnung bestimmte Recht … für die Gründe der Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes gelten“.

9.

Der 24. Erwägungsgrund dieser Verordnung sieht vor, dass „[i]n bestimmten Situationen, in denen das anzuwendende Recht eine Ehescheidung nicht zulässt oder einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zu einem Scheidungs- oder Trennungsverfahren gewährt, … jedoch das Recht des angerufenen Gerichts maßgebend sein [sollte]. Der Ordre-public-Vorbehalt sollte hiervon jedoch unberührt bleiben“.

10.

Die Verordnung Nr. 1259/2010 gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 „für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen“.

11.

Nach Art. 4 („Universelle Anwendung“) dieser Verordnung „[ist d]as nach dieser Verordnung bezeichnete Recht … auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines teilnehmenden Mitgliedstaats ist“.

12.

Art. 8 dieser Verordnung bestimmt das in Ermangelung einer Rechtswahl gemäß Art. 5 anzuwendende Recht, indem es als Anknüpfungspunkte der Reihe nach unter gewissen Voraussetzungen den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts oder anderenfalls den letzten gewöhnlichen Aufenthalt oder anderenfalls ihre gemeinsame Staatsangehörigkeit oder anderenfalls den Sitz des angerufenen Gerichts heranzieht.

13.

In Art. 10 („Anwendung des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts“) der Verordnung Nr. 1259/2010 heißt es, dass, „[wenn] das nach Artikel 5 oder Artikel 8 anzuwendende Recht eine Ehescheidung nicht vor[sieht] oder … es einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes [gewährt], … das Recht des Staates des angerufenen Gerichts anzuwenden [ist]“.

14.

Art. 12 („Öffentliche Ordnung [Ordre public]“) dieser Verordnung sieht vor, dass „[d]ie Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts … nur versagt werden [kann], wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (Ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist“.

B.  Deutsches Recht

1.  FamFG

15.

Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ( 7 ) (im Folgenden: FamFG) bestimmt in seinem § 107 („Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen“) Folgendes:

„(1)   Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe … dem Ehebande nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden … worden ist, werden nur anerkannt, wenn die Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen. …

(6)   Stellt die Landesjustizverwaltung fest, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen, kann ein Ehegatte, der den Antrag nicht gestellt hat, beim Oberlandesgericht die Entscheidung beantragen. …

(7)   Zuständig ist ein Zivilsenat des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Landesjustizverwaltung ihren Sitz hat. …“

16.

§ 109 („Anerkennungshindernisse“) des FamFG sieht in seinem Abs. 1 Nr. 4 vor, dass „[d]ie Anerkennung einer ausländischen Entscheidung … ausgeschlossen [ist], … wenn die[se] Anerkennung … zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist“. Nach § 109 Abs. 5 findet eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der ausländischen Entscheidung nicht statt.

2.  EGBGB

17.

In seiner bis zum 28. Januar 2013 geltenden Fassung hatte Art. 17 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (im Folgenden: EGBGB) folgenden Wortlaut: „Die Scheidung unterliegt dem Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Kann die Ehe hiernach nicht geschieden werden, so unterliegt die Scheidung dem deutschen Recht, wenn der die Scheidung begehrende Ehegatte in diesem Zeitpunkt Deutscher ist oder dies bei der Eheschließung war.“

18.

Infolge der Änderungen, die durch ein Gesetz vom 23. Januar 2013 ( 8 ) eingeführt wurden, wurde die angeführte Kollisionsnorm geändert, so dass Art. 17 Abs. 1 EGBGB nunmehr bestimmt, dass „[v]ermögensrechtliche Scheidungsfolgen, die nicht von anderen Vorschriften dieses Abschnitts erfasst sind, … dem nach der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 auf die Scheidung anzuwendenden Recht [unterliegen]“.

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

19.

Wie im Beschluss des Gerichtshofs vom 12. Mai 2016 in der Rechtssache Sahyouni (C‑281/15) ( 9 ) festgestellt, schlossen Herr Raja Mamisch und Frau Soha Sahyouni am 27. Mai 1999 im Bezirk des islamrechtlichen Gerichts von Homs (Syrien) die Ehe. Beide besitzen die syrische Staatsangehörigkeit, seit ihrer Geburt, sowie die deutsche Staatsangehörigkeit, die Herr Mamisch durch Einbürgerung und Frau Sahyouni nach ihrer Eheschließung erwarb. Nachdem sie bis zum Jahr 2003 in Deutschland gelebt hatten, zogen sie nach Syrien um und lebten dann abwechselnd in Deutschland, in Kuwait und im Libanon. Derzeit leben sie mit unterschiedlichen Wohnsitzen wieder in Deutschland.

20.

Am 19. Mai 2013 erklärte Herr Mamisch, sich von seiner Ehefrau scheiden zu wollen, indem sein Bevollmächtigter vor dem geistlichen Schariagericht in Latakia (Syrien) die Scheidungsformel aussprach. Am 20. Mai 2013 stellte dieses Gericht die Scheidung der Ehegatten fest.

21.

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Frau Sahyouni am 12. September 2013 eine eigenhändig unterzeichnete Erklärung über den Empfang der ihr nach den religiösen Vorschriften zustehenden Leistungen, nämlich insgesamt 20000 US-Dollar (USD) (ungefähr 15000 Euro ( 10 )), mit folgendem Wortlaut abgab: „… Ich habe alle mir aus dem Ehevertrag und aufgrund der auf einseitigem Wunsch vorgenommenen Scheidung zustehenden Leistungen erhalten und somit befreie ich ihn von allen mir aus dem Ehevertrag und dem von dem Scharia-Gericht Latakia erlassenen Scheidungsbeschluss Nr. 1276 vom 20. Mai 2013 zustehenden Verpflichtungen …“.

22.

Herr Mamisch beantragte am 30. Oktober 2013 die Anerkennung der in Syrien ausgesprochenen Ehescheidung. Der Präsident des Oberlandesgerichts München gab diesem Antrag mit Entscheidung vom 5. November 2013 statt und stellte fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Ehescheidung vorlägen.

23.

Am 18. Februar 2014 beantragte Frau Sahyouni, diese Entscheidung aufzuheben und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der fraglichen Ehescheidung nicht erfüllt seien.

24.

Mit Entscheidung vom 8. April 2014 wies der Präsident des Oberlandesgerichts München den Antrag von Frau Sahyouni zurück. In der Begründung seiner Entscheidung führte dieses Gericht aus, dass sich seiner Ansicht nach die Anerkennung der fraglichen Scheidung nach der Verordnung Nr. 1259/2010 richte, die auch auf Privatscheidungen anwendbar sei. Mangels wirksamer Rechtswahl und mangels gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten im Jahr vor der Scheidung habe sich das anzuwendende Recht nach Art. 8 Buchst. c dieser Verordnung zu bestimmen. Wenn beide Ehegatten eine doppelte Staatsangehörigkeit besäßen, komme es auf die effektive Staatsangehörigkeit im Sinne des deutschen Rechts an ( 11 ), die zum Zeitpunkt der fraglichen Scheidung die syrische Staatsangehörigkeit gewesen sei. Schließlich stehe der Ordre public im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1259/2010 der Anerkennung der in Syrien ausgesprochenen Entscheidung nicht entgegen, da die Ehefrau im Nachhinein die Form der fraglichen Ehescheidung anerkannt habe, indem sie erklärt habe, die anschließenden Leistungen anzunehmen und dass trotz einer möglichen Diskriminierung unter diesen Umständen Art. 10 dieser Verordnung dem auch nicht entgegenstehe.

25.

Frau Sahyouni erhob gegen diese ablehnende Entscheidung Klage. Mit Beschluss vom 2. Juni 2015 setzte das Oberlandesgericht München das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof verschiedene Vorlagefragen zur Auslegung der Verordnung Nr. 1259/2010 vor.

26.

In der Rechtssache Sahyouni, C‑281/15, erklärte sich der Gerichtshof mit Beschluss vom 12. Mai 2016 ( 12 ) für die Beantwortung dieser Fragen für offensichtlich unzuständig, u. a. mit der Begründung, dass die Verordnung Nr. 1259/2010 für die Anerkennung einer bereits in einem Drittstaat ergangenen Ehescheidung nicht gelte und dass das vorlegende Gericht keinen Anhaltspunkt dafür geliefert habe, dass die Bestimmungen dieser Verordnung vom nationalen Recht unmittelbar und unbedingt für anwendbar auf solche Sachverhalte erklärt worden seien. Er stellte jedoch fest, dass es dem vorlegenden Gericht unbenommen bleibe, ein neues Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, wenn es dem Gerichtshof Anhaltspunkte zu liefern vermöge, die ihm eine Entscheidung ermöglichten.

27.

Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 29. Juni 2016, der beim Gerichtshof am 6. Juli 2016 eingegangen ist, ein weiteres Mal beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

28.

Im vorliegenden Verfahren haben die deutsche, die belgische, die französische, die ungarische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. In der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2017 haben Herr Mamisch, die deutsche und die ungarische Regierung sowie die Kommission mündliche Ausführungen gemacht.

IV. Würdigung

29.

Unter Berücksichtigung der hierzu erhobenen Einwände ist vor der Prüfung der dem Gerichtshof gestellten Fragen zu untersuchen, ob dieser im vorliegenden Verfahren für ihre Beantwortung, anders als zum vorigen Vorabentscheidungsersuchen des vorlegenden Gerichts im Rahmen desselben Ausgangsrechtsstreits festgestellt worden war, zuständig ist.

A.  Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

30.

Vorab weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof meines Erachtens ausreichend unterrichtet ist, um im Einklang mit seiner Rechtsprechung, wonach sich seine Zuständigkeit darauf gründen kann, dass das nationale Recht die Unionsrechtsbestimmungen, um deren Auslegung ersucht wird, auf den Ausgangsrechtsstreit für anwendbar erklärt, über die ihm im vorliegenden Verfahren vorgelegten Fragen entscheiden zu können.

1.  Zu den Erkenntnissen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs

31.

Zunächst kann nach ständiger Rechtsprechung die Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts, die es in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt, nur in Ausnahmefällen widerlegt werden ( 13 ). Die Zurückweisung eines Vorabentscheidungsersuchens ist u. a. gerechtfertigt, wenn es auf der Hand liegt, dass das Unionsrecht auf den konkreten Sachverhalt weder unmittelbar noch mittelbar angewandt werden kann ( 14 ).

32.

Im vorliegenden Fall fällt, wie der Gerichtshof im Beschluss vom 12. Mai 2016, Sahyouni (C‑281/15) ( 15 ), festgestellt hat, das Ausgangsverfahren nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts, da weder die Verordnung Nr. 1259/2010 noch die Verordnung Nr. 2201/2003 oder ein anderer Unionsrechtsakt in einem solchen Rechtsstreit anwendbar sind, der einen Antrag auf Anerkennung einer Ehescheidung, die von einer geistlichen Stelle in einem Drittstaat ausgesprochen wurde, in einem Mitgliedstaat zum Gegenstand hat.

33.

Was insbesondere die Verordnung Nr. 1259/2010 betrifft ( 16 ), deren Bestimmungen ausdrücklich Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens in dieser Rechtssache waren, hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass diese nur die Kollisionsnormen für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in den teilnehmenden Mitgliedstaaten ( 17 ) festlegt, aber nicht die Anerkennung einer bereits ausgesprochenen Ehescheidung in einem Mitgliedstaat regelt ( 18 ).

34.

Daher wird nach den im Urteil Dzodzi ( 19 ) aufgestellten und in der späteren Rechtsprechung ( 20 ) präzisierten Grundsätzen der Gerichtshof für die Entscheidung über die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen nur zuständig sein, obwohl dieser Rechtsstreit nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, wenn dieses Gericht die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1259/2010 nach dem Recht des Mitgliedstaats seines Sitzes unter den Umständen des bei diesem Gericht anhängigen Rechtsstreits hinreichend nachgewiesen hat.

35.

Insoweit weise ich darauf hin ( 21 ), dass sich der Gerichtshof für die Beantwortung der an ihn gerichteten Vorabentscheidungsfragen für zuständig erklären kann, selbst wenn die Unionsrechtsbestimmungen, um deren Auslegung ersucht wird, auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar sind, falls diese Bestimmungen vom nationalen Recht für unmittelbar und unbedingt anwendbar erklärt worden sind. Wenn sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung von Sachverhalten, die nicht in den Geltungsbereich des betreffenden Unionsrechtsakts fallen, nach den in diesem Rechtsakt getroffenen Regelungen richten, besteht somit ein klares Interesse der Union daran, dass die aus diesem Rechtsakt übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern. Der Gerichtshof hat daher zu prüfen, ob hinreichend genaue Angaben vorliegen, um diese Verweisung auf das Unionsrecht in Anbetracht der insoweit mit dem Vorabentscheidungsersuchen gelieferten Informationen feststellen zu können ( 22 ).

36.

Nach dieser Rechtsprechung kann der Gerichtshof auch, selbst wenn die Regelung zur Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht die Bestimmungen des Unionsrechts, die Gegenstand der Vorlagefragen sind, nicht wörtlich übernommen hat, für eine Entscheidung im Wege der Vorabentscheidung zuständig sein, wenn in der Vorlageentscheidung eingeräumt wird, dass jede Auslegung dieser Bestimmungen durch den Gerichtshof für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens bindend sei ( 23 ). Entscheidend ist, dass das vorlegende Gericht davon ausgeht, dass die Begriffe des nationalen Rechts genauso auszulegen sind wie die entsprechenden Begriffe des Unionsrechts und dass es insoweit an die Auslegung dieser Begriffe durch den Gerichtshof gebunden ist ( 24 ).

37.

Entsprechend den Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist es Sache des vorlegenden Gerichts, anzugeben, inwieweit der bei ihm anhängige Rechtsstreit einen Anknüpfungspunkt bezüglich der im Vorabentscheidungsersuchen angeführten Vorschriften des Unionsrechts aufweist, der die Auslegung, um die ersucht wird, für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erforderlich macht ( 25 ). Im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens es ist nämlich allein Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten und nicht des Gerichtshofs, das Ziel und den Inhalt des auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Rechts sowie die Art und Weise zu bestimmen, wie dieses umzusetzen ist, so dass der Gerichtshof an den insoweit geäußerten Standpunkt des vorlegenden Gerichts gebunden ist ( 26 ).

38.

Insbesondere hat, wenn das Unionsrecht durch die Bestimmungen des nationalen Rechts für anwendbar erklärt wird, allein das nationale Gericht die genaue Tragweite dieser Verweisung auf das Unionsrecht zu beurteilen. Ist es der Auffassung, dass der Inhalt von unionsrechtlichen Bestimmungen aufgrund dieser unmittelbaren und unbedingten Verweisung auf einen nicht von diesen Bestimmungen umfassten Sachverhalt anwendbar ist, der dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit zugrunde liegt, kann es dem Gerichtshof unter den Voraussetzungen von Art. 267 AEUV eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegen ( 27 ). Der Gerichtshof vergewissert sich jedoch im Allgemeinen, dass die unionsrechtlichen Vorschriften, wie sie von ihm ausgelegt werden, für anwendbar erklärt worden sind, ohne dass das nationale Gericht davon abweichen könnte ( 28 ) und ohne dass eine solche Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften im Widerspruch zum ausdrücklichen Willen des Unionsgesetzgebers steht ( 29 ).

39.

Zur Bestätigung, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats tatsächlich die nicht vom betreffenden Unionsrechtsakt umfassten Sachverhalte genauso behandeln wollten wie die durch das Unionsrecht geregelten Sachverhalte, berücksichtigt der Gerichtshof nicht nur den Inhalt der nationalen Bestimmungen, sondern auch zusätzliche Informationen wie die Präambel sowie die Begründung der einschlägigen Rechtsvorschriften ( 30 ). Insoweit berücksichtigt der Gerichtshof sowohl die Vorlageentscheidung ( 31 ) als auch sämtliche bei ihm eingereichten Erklärungen und insbesondere den Standpunkt der Regierung des Mitgliedstaats, dessen Rechtsordnung betroffen ist, selbst wenn die endgültige Beurteilung des Inhalts des nationalen Rechts dem vorlegenden Gericht vorbehalten bleibt ( 32 ).

40.

Im Licht dieser Erkenntnisse ist zu beurteilen, ob der Gerichtshof über hinreichende Informationen verfügt, um sich in der vorliegenden Rechtssache, im Unterschied zu seinen Feststellungen zum im Rahmen desselben Ausgangsrechtsstreits vorgelegten vorhergehenden Vorabentscheidungsersuchen, für zuständig erklären zu können ( 33 ).

2.  Zum Vorliegen einer hinreichenden Anknüpfung an das Unionsrecht

41.

Die belgische und die ungarische Regierung vertreten die Auffassung, dass der Gerichtshof nicht zuständig sei, da sich aus der Vorlageentscheidung nicht ergebe, dass die deutsche Rechtsordnung unmittelbar und unbedingt auf die Verordnung Nr. 1259/2010 verweise, wenn die Anerkennung einer im Ausland erfolgten Privatscheidung in Deutschland beantragt werde. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission die ursprünglich in diesem Sinne geäußerte Ansicht im Hinblick auf die Ausführungen der deutschen Regierung im vorliegenden Verfahren nuanciert.

42.

Sowohl Herr Mamisch als auch die deutsche, die französische und die portugiesische Regierung sind ihrerseits der Ansicht, dass das deutsche Recht diese Verordnung auf einen Rechtsstreit wie den des Ausgangsverfahrens für anwendbar erkläre und dass nach der oben angeführten Rechtsprechung der Gerichtshof daher für die Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts zuständig sei. Auch ich bin dieser Auffassung.

43.

Zwar gibt das vorlegende Gericht nicht an, welche Vorschrift des deutschen Rechts seines Erachtens zu einer notwendigen Anwendung der Verordnung Nr. 1259/2010 bei der „Anerkennung“ einer im Ausland vorgenommenen Privatscheidung führt, was in der Praxis eine Kontrolle der Gültigkeit dieser Ehescheidung im Hinblick auf das Recht impliziert, von dem festgestellt wurde, dass es die Letztere regelt, damit sie ihre Wirkungen in Deutschland zeitigen kann ( 34 ). Allerdings steht fest, dass das vorlegende Gericht allein für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist ( 35 ). Es weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass das deutsche Recht die Kollisionsnormen dieser Verordnung im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits im Sinne der angeführten Rechtsprechung ( 36 ) für anwendbar erklärt. Außerdem wird dieser Hinweis durch die Angaben der deutschen Regierung in der vorliegenden Rechtssache zum nationalen rechtlichen Rahmen klar bestätigt.

44.

In der Begründung seines Beschlusses weist das vorlegende Gericht auf einen Unterschied hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Ehescheidungen in Deutschland zwischen denjenigen, die unter Mitwirkung konstitutiver Art eines Gerichts oder einer anderen staatlichen Behörde ausgesprochen würden, und denjenigen, die als „Privatscheidungen“ eingestuft würden, die auf einer einseitigen oder einverständlichen Willenserklärung der Parteien beruhten, selbst wenn sie möglicherweise unter Mitwirkung einer ausländischen Behörde, aber nur deklaratorischer Art, z. B. durch Registrierung der Ehescheidung, erfolgt seien, hin ( 37 ).

45.

Es legt dar, dass nach der deutschen Rechtspraxis die Verfahrensvorschriften in § 107 FamFG ( 38 ) auf die Anerkennung beider Kategorien von Ehescheidungen anwendbar seien. Hingegen sei hinsichtlich der materiell-rechtlichen Vorschriften nach verbreiteter Ansicht, auch wenn diese nicht einhellig sei, die Prüfung der Privatscheidungen, deren Anerkennung beantragt werde, von den deutschen Gerichten nicht anhand der Erfordernisse von § 109 FamFG ( 39 ), wie das bei den von einer Behörde ausgesprochenen Ehescheidungen der Fall sei, sondern nach den Vorschriften der Verordnung Nr. 1259/2010 vorzunehmen ( 40 ).

46.

Laut dem vorlegenden Gericht ist diese Auffassung zutreffend, da es nicht nachvollziehbar wäre, eine Ehescheidung von Drittstaatsangehörigen in Deutschland nach anderen Vorschriften zu beurteilen als die Anerkennung einer schon im Ausland ausgesprochenen Scheidung. Wenn außerdem die Anwendung der Verordnung Nr. 1259/2010 auf Privatscheidungen ausgeschlossen wäre, bestünde im deutschen Recht eine vom deutschen Gesetzgeber nicht beabsichtigte Regelungslücke, der im Jahr 2013 die frühere Kollisionsnorm, u. a. für die Anerkennung von im Ausland erfolgten Privatscheidungen ( 41 ), in Art. 17 Abs. 1 EGBGB ( 42 ), aufgehoben habe, da dieser Gesetzgeber sie gerade wegen der Geltung dieser Verordnung für obsolet gehalten habe.

47.

Insoweit legt die deutsche Regierung dar, dass die Anerkennung von Ehescheidungen in Deutschland, die auf einer konstitutiven Entscheidung eines Gerichts oder einer anderen staatlichen Behörde beruhten, keiner Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Ehescheidung unterlägen ( 43 ), sondern sich auf eine verfahrensrechtliche Prüfung ( 44 ) der Beachtung der Erfordernisse nach § 109 FamFG ( 45 ) beschränke. Hingegen erfolge die Anerkennung von Privatscheidungen ( 46 ) in Deutschland erst nach einer Kontrolle ihrer Gültigkeit ( 47 ), die im Hinblick auf die Bestimmungen des materiellen Rechts des nach den einschlägigen Kollisionsnormen, nämlich nunmehr derjenigen der Verordnung Nr. 1259/2010, bestimmten Staates ( 48 ) durchzuführen sei.

48.

Diese Regierung bringt vor, dass der deutsche Gesetzgeber tatsächlich die Kollisionsnorm des früheren Art. 17 Abs. 1 EGBGB aufgehoben habe, da er davon ausgegangen sei, dass mit Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1259/2010 das auf Ehescheidungen anwendbare Recht aufgrund der universellen Wirkung nach ihrem Art. 4 ausschließlich nach den Bestimmungen dieser Verordnung zu bestimmen sei. Wie außerdem die in den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung angeführten parlamentarischen Vorarbeiten klar darlegten ( 49 ), sei der nationale Gesetzgeber von dem Grundsatz ausgegangen, dass die Verordnung Nr. 1259/2010 auch für private Ehescheidungen gelte. Vor diesem Hintergrund gebe es somit im deutschen Recht keine autonome Kollisionsnorm mehr, um das auf eine Ehescheidung wie die im Ausgangsverfahren fragliche anwendbare Recht zu bestimmen.

49.

Unmittelbar aufgrund der bewussten Aufhebung der deutschen Kollisionsnorm, die es erlaubte, das auf die Beurteilung der Gültigkeit von im Ausland erfolgten Privatscheidungen anwendbare Recht zu bestimmen ( 50 ), wurde somit zum einen die Anwendung der Verordnung Nr. 1259/2010 für diese Art von Verfahren im deutschen Recht erforderlich, gemäß der Absicht des nationalen Gesetzgebers sowie nach einer offenbar verbreiteten Praxis der nationalen Gerichte ( 51 ), und ist zum anderen die verbindliche Auslegung der Bestimmungen dieser Verordnung durch den Gerichtshof nach Ansicht des vorlegenden Gerichts für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit unverzichtbar.

50.

Außerdem weise ich darauf hin, dass die Aussage des deutschen Gesetzgebers zum sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht offensichtlich im Widerspruch zum ausdrücklichen Willen des Unionsgesetzgebers steht, wie es in anderen Rechtssachen der Fall war ( 52 ). Selbst wenn diese Aussage meines Erachtens in Wahrheit unbegründet ist ( 53 ), ist dieser Fehler für die Beurteilung der Zuständigkeit des Gerichtshofs ohne Belang, da es für diese Beurteilung genügt, dass eine Verweisung auf das Unionsrecht durch das nationale Recht unter den oben angeführten Bedingungen vorliegt.

51.

Nach alledem liegt es keineswegs auf der Hand ( 54 ), dass die Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung ersucht wird, im Rahmen des vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits nicht, im vorliegenden Fall mittelbar ( 55 ), angewandt werden können. Da die von der angeführten Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen ( 56 ) meines Erachtens erfüllt sind, bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof im vorliegenden Verfahren zuständig ist.

B.  Zur etwaigen Einbeziehung von privaten Ehescheidungen in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1259/2010 (erste Frage)

52.

Mit seiner ersten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Ehescheidungen, bei denen keine konstitutive Entscheidung durch eine Behörde – Gericht oder andere staatliche Einrichtung – ausgesprochen wurde, in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1259/2010 fallen.

53.

Zunächst weise ich darauf hin, dass man hinsichtlich der Relevanz dieser Vorlagefrage Zweifel haben kann, da die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1259/2010 aus den oben angeführten Gründen ( 57 ) auf den Ausgangsrechtsstreit nur durch die unmittelbare Verweisung auf diese Verordnung, die das deutsche Recht zur Bestimmung des anwendbaren Rechts im Rahmen von Gerichtsverfahren betreffend die Anerkennung von im Ausland erfolgten Privatscheidungen vornimmt, anwendbar sind. Man könnte daher davon ausgehen, dass die vom Gerichtshof erbetene Stellungahme zum Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht erforderlich ist, um diesen Rechtsstreit zu entscheiden, da das deutsche Recht vorschreibt, dass solche Verfahren jedenfalls von dieser Verordnung geregelt sind.

54.

Dennoch besteht meines Erachtens ein tatsächliches Interesse an einer Beantwortung der Vorlagefrage durch den Gerichtshof, um nach der angeführten Rechtsprechung ( 58 ) sicherzustellen, dass der Begriff „Ehescheidung“ im Sinne der Verordnung Nr. 1259/2010 eindeutig ausgelegt und daher in den Rechtsordnungen aller teilnehmenden Mitgliedstaaten einheitlich angewandt wird. Im vorliegenden Fall wären die deutschen Behörden, falls der Gerichtshof die Frage verneinen sollte, wie ich zu empfehlen beabsichtige, konkret veranlasst, die nationalen Rechtsvorschriften soweit erforderlich anzupassen, wie es die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat.

55.

Die Frage der etwaigen Abdeckung solcher Trennungen privater Art durch diese Verordnung wird im vorliegenden Fall im Hinblick auf ein muslimisch inspiriertes Rechtssystem, das syrische, aufgeworfen, das gestattet, dass die ehelichen Bindungen durch eine Willenserklärung des Ehegatten, gefolgt von einer schlichten Eintragung oder einer lediglich deklaratorischen Entscheidung durch eine geistliche Stelle, aufgelöst werden. Diese Frage stellt sich jedoch allgemeiner im Hinblick auf alle bestehenden Arten von Ehescheidungen, die ohne die konstitutive Mitwirkung einer Behörde erlangt werden, unabhängig davon, ob sie aufgrund einer einseitigen oder einer gemeinsamen Willenserklärung der Parteien erfolgen.

56.

In ihren Erklärungen vertreten Herr Mamisch sowie die deutsche und die französische Regierung die Ansicht, dass die Privatscheidungen, zumindest unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, unter die Vorschriften der Verordnung Nr. 1259/2010 zu fallen hätten ( 59 ). Hingegen vertreten die belgische, die ungarische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission das Gegenteil, was aus den folgenden Gründen auch meine Meinung ist.

57.

Zunächst kann man feststellen, dass der Wortlaut der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1259/2010, und insbesondere ihres Art. 1, der den Anwendungsbereich dieser Verordnung betrifft, keine nützlichen Hinweise für die Beantwortung der Vorlagefrage gibt, da der Begriff „Ehescheidung“ darin nicht definiert wird.

58.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus dem Erfordernis der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, dass, wenn ein Unionsrechtsakt für die Definition eines bestimmten Begriffs nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, wie es hier der Fall ist, dieser Begriff eine autonome Auslegung erhalten muss, die der Gerichtshof unter Berücksichtigung der allgemeinen Systematik, der Ziele und der Entstehungsgeschichte der fraglichen Regelung ermittelt ( 60 ).

59.

Zur allgemeinen Systematik der Verordnung Nr. 1259/2010 bringen Herr Mamisch und die deutsche Regierung vor, dass der Ausschluss von Privatscheidungen aus ihrem sachlichen Anwendungsbereich nicht aus der systematischen Gesamtschau der Regelungen dieser Verordnung folge. Ich teile ihre Analyse nicht.

60.

Diese Art von Ehescheidungen ist zwar im Unterschied zu einer anderen Form der Auflösung des Ehebandes, nämlich der Ungültigerklärung der Ehe ( 61 ), nicht ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen. Allerdings räumen zahlreiche Bestimmungen der Verordnung Nr. 1259/2010 dem Tätigwerden eines „Gerichts“, wie es in ihrem Art. 3 Nr. 2 weit definiert wird ( 62 ), und dem Vorliegen eines „Verfahrens“ zur Auflösung oder Lockerung des Ehebandes ( 63 ) zentrale Bedeutung ein. Das deutet meines Erachtens darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber die „Ehescheidungen“ im Sinne dieser Verordnung nur im Kontext von Entscheidungen erfassen wollte, die von in dem Bereich zuständigen öffentlichen Behörden getroffen werden ( 64 ).

61.

Insoweit ist es nicht ausschlaggebend, dass dieser Gesetzgeber in Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 Bestimmungen aufgenommen hat, die dem angerufenen Gericht gestatten, ein ausländisches Recht unangewendet zu lassen, das diskriminierend ist, da es einen Zugang zur Ehescheidung vorsieht, der zwischen den Ehegatten nach ihrer Geschlechtszugehörigkeit unterscheidet ( 65 ). Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass ein solches Recht im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Ehescheidung anwendbar ist und nicht einer privaten, wie es hier der Fall ist.

62.

Zu den von der Verordnung Nr. 1259/2010 verfolgten Zielen bringen die deutsche und die französische Regierung vor, dass der Anwendungsbereich dieser Verordnung weit zu verstehen sei, da dieses Rechtsinstrument aufgrund seines universellen Charakters jede nach den potenziell anzuwendenden Sachrechten denkbare Konstellation der Ehescheidung erfassen solle. Zwar ist nach Art. 4 dieser Verordnung das Recht jeder Rechtsordnung – und nicht nur das Recht der teilnehmenden Mitgliedstaaten – anzuwenden ( 66 ) und kennen manche Rechtsordnungen von nicht der Union angehörenden Staaten verschiedene Formen der Privatscheidung. Ich bin jedoch der Ansicht, dass diese Erwägungen, was den Umfang der von der Verordnung Nr. 1259/2010 umfassten Arten von Ehescheidungen betrifft, unter Berücksichtigung nicht nur der vorstehenden Ausführungen, sondern auch zusätzlicher Elemente im Zusammenhang mit ihrer Entstehung, nicht ausschlaggebend sind.

63.

Wie die belgische, die ungarische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission bin ich der Ansicht, dass der Inhalt der Verordnung Nr. 2201/2003 im Rahmen der Auslegung der Verordnung Nr. 1259/2010 im Hinblick auf die engen Verbindungen, die historisch zwischen diesen beiden Rechtsakten bestehen ( 67 ), berücksichtigt werden sollte, selbst wenn der eine die gerichtlichen Zuständigkeitskonflikte und der andere das Kollisionsrecht betrifft. Nach dem zehnten Erwägungsgrund Satz 1 der Verordnung Nr. 1259/2010 „[sollten d]er sachliche Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung … mit der Verordnung … Nr. 2201/2003 im Einklang stehen“, und andere Bestimmungen der ersteren Verordnung nehmen ausdrücklich auf die Letztere Bezug ( 68 ).

64.

Alle Beteiligten, die hier schriftliche Erklärungen eingereicht haben, anerkennen jedoch, dass der Begriff „Ehescheidung“ in der Verordnung Nr. 2201/2003 Privatscheidungen nicht erfasst, zumal diese nur die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten ( 69 ) sowie die Anerkennung und die Vollstreckung der von den Letzteren erlassenen Entscheidungen, u. a. im Bereich der Ehescheidung ( 70 ), regelt. Der gleichlautende Begriff in der Verordnung Nr. 1259/2010 müsste meines Erachtens entsprechend ausgelegt werden, um die vom Unionsgesetzgeber gewollte Kohärenz mit diesem verwandten Rechtsakt sicherzustellen, so dass die Entscheidungen der nicht staatlichen Einrichtungen vom Anwendungsbereich dieser beiden Instrumente nicht erfasst sein können.

65.

Eine Einsichtnahme in die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1259/2010 liefert in der vorliegenden Rechtssache unmittelbar keine schlüssigen Anhaltspunkte, da ich keine Hinweise darauf gefunden habe, dass die Frage der Privatscheidungen speziell behandelt worden wäre. Dieses Schweigen lässt jedoch meines Erachtens erkennen, dass, wie sowohl die ungarische Regierung als auch die Kommission vorbringen, der Unionsgesetzgeber beim Erlass dieser Verordnung nur die Situationen vor Auge hatte, in denen die Ehescheidung von einem staatlichen Gericht oder einer anderen Behörde ausgesprochen wird. Es ist nämlich unstreitig, dass, wie im Übrigen das deutsche Parlament darlegte ( 71 ), zum damaligen Zeitpunkt in den Rechtsordnungen der im Bereich des anzuwendenden Rechts in Ehesachen an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten ( 72 ) nur öffentliche Organe Entscheidungen, die in dem Bereich rechtliche Bedeutung hatten, erlassen konnten ( 73 ).

66.

Da die etwaige Einbeziehung von privaten Ehescheidungen offenbar in den dem Erlass der Verordnung Nr. 1259/2010 vorangehenden Verhandlungen nicht erörtert wurde und aufgrund der anderen vorstehend dargelegten Erwägungen ( 74 ) bin ich der Ansicht, dass der Gerichtshof nicht in einem Sinne entscheiden kann, der diese Art von Ehescheidung in den Anwendungsbereich dieser Verordnung einbezöge. Die Entscheidung, eine solche Einbeziehung vorzunehmen, ist allein Sache des Unionsgesetzgebers, wenn er es nach einer förmlichen Erörterung und einer eingehenden Würdigung der konkreten Auswirkungen, die dieses Vorgehen im Hinblick auf die verschiedenen Rechtsordnungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten ( 75 ) und unter Berücksichtigung der Besonderheiten der verschiedenen möglichen Formen von Privatscheidungen haben könnte, für angezeigt hält.

67.

Folglich bin ich der Ansicht, dass die Verordnung Nr. 1259/2010 dahin auszulegen ist, dass die privaten Ehescheidungen, nämlich diejenigen, die ohne die Mitwirkung konstitutiver Art eines Gerichts oder einer anderen staatlichen Behörde ausgesprochen wurden, nicht in ihren Anwendungsbereich fallen.

C.  Zu den Anwendungsmodalitäten von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 im Fall des ungleichen Zugangs zur Ehescheidung (zweite und dritte Frage)

68.

Die folgenden Fragen werden bloß hilfsweise gestellt und sind daher auch nur hilfsweise zu prüfen. Sowohl die zweite Frage, die in zwei Teile gegliedert ist, als auch die dritte Frage, die ausdrücklich mit dem zweiten Teil der zweiten Frage in Verbindung steht, betreffen die Auslegung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010, der gestattet, ausnahmsweise das Recht des Staates des angerufenen Gerichts anzuwenden, wenn das nach anderen Bestimmungen dieser Verordnung grundsätzlich anzuwendende ausländische Recht entweder keine Ehescheidung erlaubt ( 76 ) oder vorsieht, dass sich der Zugang zur Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ehescheidung wie im Ausgangsrechtsstreit aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit der Ehegatten unterscheidet ( 77 ).

69.

Diese beiden Fragen betreffen die Anwendungsmodalitäten dieses Art. 10 zum einen unter dem Blickwinkel der Art und Weise – abstrakt oder konkret –, auf die die von diesem ausländischen Recht verursachte Diskriminierung zu prüfen ist, und zum anderen unter dem Blickwinkel der Bedeutung, die einer etwaigen Einwilligung des diskriminierten Ehegatten in die ungleichberechtigte Ehescheidung beizumessen ist.

1.  Zur abstrakten Prüfung des diskriminierenden Charakters des Zugangs zur Ehescheidung in Anwendung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010

70.

Die zweite Vorlagefrage wird nur für den Fall gestellt, dass der Gerichtshof die erste Frage bejaht und daher entscheidet, dass die Privatscheidungen, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1259/2010 fallen. In Anbetracht der von mir vorgeschlagenen Verneinung der vorigen Frage bin ich der Ansicht, dass die zweite Frage nicht zu beantworten sein wird ( 78 ). Der Vollständigkeit halber werde ich jedoch Ausführungen zu diesem Thema machen.

71.

Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 dahin auszulegen ist, dass die von ihm vorgesehene Anwendung des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts zu erfolgen habe, wenn das ausländische Recht, das nach den Art. 5 oder 8 dieser Verordnung anwendbar wäre ( 79 ), abstrakt – im Hinblick auf den Inhalt dieses letzteren Rechts – zu einer Diskriminierung zwischen den Ehegatten führt, unabhängig davon, ob es konkret – im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls – diskriminiert oder nicht ( 80 ).

72.

Die deutsche Regierung schlägt vor, diesen Art. 10 dahin auszulegen, dass bei der Prüfung der Wirksamkeit einer im Ausland ausgesprochenen Privatscheidung nur dann das Recht des Gerichts, das die Prüfung vornehme, anzuwenden sei, wenn es im konkreten Fall durch das ausländische anzuwendende Recht zu einer Diskriminierung eines der Ehepartner komme. Herr Mamisch teilt diesen Standpunkt.

73.

Die französische, die ungarische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission sind hingegen der Auffassung, es genüge, dass die Prüfung des diskriminierenden Charakters des ausländischen Rechts für die Anwendung dieses Art. 10 abstrakt erfolge, ohne auf die Besonderheiten der Lage der betreffenden Personen abzustellen, was aus den unten dargelegten Gründen auch meine Meinung ist.

74.

Erstens bin ich der Ansicht, dass eine solche Auslegung dem Wortlaut sowohl von Art. 10 als auch des 24. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 1259/2010 entspricht.

75.

Zwar enthält dieser Art. 10 keine ausdrücklichen Hinweise darauf, wie zu beurteilen ist, ob das ausländische Recht, das grundsätzlich anzuwenden wäre, einen der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit benachteiligt. Allerdings deutet nichts in diesem Artikel darauf hin, dass das Recht des Staates des angerufenen Gerichts ein Recht, das einen ungleichen Zugang zur Ehescheidung vorsieht, nur verdrängen könnte, wenn das letztere Recht diskriminierende Wirkungen im Einzelfall hat, wie es das vorlegende Gericht annimmt. Wie die französische Regierung ausführt, geht im Gegenteil aus seinem Wortlaut hervor, dass es ausreicht, dass das anzuwendende ausländische Recht seinem Inhalt nach diskriminierend ist, damit es das Gericht eines teilnehmenden Mitgliedstaats unangewendet lassen kann.

76.

Ich bin der Meinung, dass die vom vorlegenden Gericht sowie von Herrn Mamisch und der deutschen Regierung vertretene Auffassung auch nicht durch den Inhalt des 24. Erwägungsgrundes dieser Verordnung untermauert wird. Es ist möglich, dass der Wortlaut dieses Erwägungsgrundes in seiner deutschen Fassung irreführend ist, da auf den einleitenden Ausdruck „in bestimmten Situationen“ dort unmittelbar die Worte „in denen das anzuwendende Recht … keinen gleichberechtigten Zugang zu einem Scheidungs- oder Trennungsverfahren gewährt“ folgen ( 81 ). Aus den von mir hervorgehobenen Bindewörtern könnte der Schluss gezogen werden, dass die konkreten Auswirkungen dieses Rechts im Hinblick auf die spezifische Situation der in Rede stehenden Ehegatten zu prüfen sei ( 82 ).

77.

Die Formulierung in anderen Sprachfassungen weist jedoch eine solche Mehrdeutigkeit nicht auf ( 83 ). In Anbetracht der Letzteren sowie unter Berücksichtigung der Vorarbeiten der Verordnung Nr. 1259/2010 ( 84 ) bin ich der Ansicht, dass die Verwendung dieses einleitenden Ausdrucks nur auf die Situationen verweist, die in Art. 10 beschrieben werden, um die von diesem umfassten Fälle zu definieren, wie die Kommission vorbringt, und dass er nicht als Wille des Gesetzgebers verstanden werden kann, die Anwendung dieser Bestimmung nur auf die Trennungen zu beschränken, bei denen die betreffende Diskriminierung konkret erfolgt ist.

78.

Nach ständiger Rechtsprechung kann jedenfalls die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen sprachlichen Fassungen beanspruchen. Die Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung und damit Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts schließt nämlich aus, sie in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Textes des Unionsrechts voneinander ab, muss daher die Tragweite der fraglichen Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung beurteilt werden, zu der sie gehört ( 85 ).

79.

Zweitens wird die Auslegung, die ich dem Gerichtshof vorschlage, meines Erachtens durch die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 1259/2010 bestätigt. Insbesondere ist Art. 10 dieser Verordnung im Licht ihres Art. 12, wonach die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts versagt werden kann, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (Ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar wäre, sowie im Licht ihres 25. Erwägungsgrundes, der den Inhalt dieses Art. 12 betrifft ( 86 ), auszulegen.

80.

Insoweit bringen Herr Mamisch und die deutsche Regierung vor, dass Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 als Ausnahme gegenüber den Regeln zur Bestimmung des grundsätzlich anzuwendenden Rechts und spezielle Ausprägung des oben angeführten allgemeinen Ordre-public-Vorbehalts, eng auszulegen sei; daraus folge, dass zumindest bei der Prüfung der Wirksamkeit einer bereits im Ausland vorgenommenen Ehescheidung das Vorliegen einer Diskriminierung im Einzelfall zu untersuchen sei ( 87 ).

81.

Ich halte es wie die ungarische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission für unangemessen, eine enge Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 mittels einer „teleologischen Reduktion“, wie es das vorlegende Gericht bezeichnet, vorzunehmen, die zu der Anforderung führen würde, dass das ausländische Recht nicht nur aufgrund seines Inhalts, sondern auch im Hinblick auf seine konkreten Auswirkungen diskriminierend ist.

82.

Ein Vergleich sowohl des Wortlauts als auch des Geistes dieser Bestimmungen zeigt, dass Art. 10 nicht als bloße Ausprägung des Ordre-public-Vorbehalts nach Art. 12 dieser Verordnung angesehen werden kann ( 88 ), selbst wenn diese Bestimmungen komplementär sind ( 89 ). Art. 10 ist nämlich weiter formuliert, da er gestattet, das ausländische Recht in seiner Gesamtheit zu verdrängen und nicht nur „einer Vorschrift“ allein entgegenzustehen, die als mit der öffentlichen Ordnung (Ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts unvereinbar angesehen würde, wie es Art. 12 vorsieht. Außerdem enthält Art.10, anders als Art. 12, der den nationalen Gerichten die Freiheit lässt, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung (Ordre public) nach Ermessen zu beurteilen, keinen solchen Beurteilungsspielraum ( 90 ), sondern soll quasi automatisch angewandt werden, wenn das angerufene Gericht feststellt, dass die danach vorgesehenen Bedingungen tatsächlich erfüllt sind ( 91 ).

83.

Die Präambel der Verordnung Nr. 1259/2010 untermauert diese Analyse, da nach dem 25. Erwägungsgrund das angerufene Gericht von der Ausnahme nach Art. 12 Gebrauch machen kann, um „die Anwendung einer Bestimmung des ausländischen Rechts zu versagen, wenn ihre Anwendung in einem konkreten Fall mit der öffentlichen Ordnung (Ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar wäre“ ( 92 ), also im Hinblick auf die konkreten Auswirkungen dieses Rechts im Einzelfall, während es im 24. Erwägungsgrund keinen entsprechenden Ausdruck gibt, der sich auf Art. 10 bezieht ( 93 ).

84.

Drittens und vor allem entspricht die von mir vertretene Ansicht meines Erachtens vollkommen dem besonderen Zweck der Bestimmung, um deren Auslegung gebeten wurde. Meiner Meinung nach soll Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 ein so grundlegendes Recht schützen, nämlich das Recht auf Ehescheidung unter gleichberechtigten Voraussetzungen für Männer und Frauen, dass es nicht möglich sein kann, es zu beschränken, nicht einmal nach dem auf die Trennung grundsätzlich anzuwendenden Recht, unabhängig davon, ob dieses Recht durch den Willen der betroffenen Personen oder durch andere Bestimmungen dieser Verordnung bestimmt wurde ( 94 ). Das Recht auf eine Behandlung, die frei von jeder Diskriminierung, insbesondere wegen des Geschlechts, ist, stellt tatsächlich, wie die portugiesische Regierung vorträgt, eines der in den Verträgen und in Art. 21 der Charta niedergelegten Grundrechte dar ( 95 ).

85.

In Anbetracht des 30. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 1259/2010 ( 96 ) und der Vorarbeiten zum Erlass dieser Verordnung ( 97 ) teile ich die Ansicht der ungarischen Regierung und der Kommission, wonach der Unionsgesetzgeber die Diskriminierung nach ihrem Art. 10, nämlich die wegen der Geschlechtszugehörigkeit der Ehegatten, als eine so schwerwiegende Frage angesehen hat, dass sie den absoluten Ausschluss des gesamten ansonsten anwendbaren Rechts ohne Möglichkeit der Ausnahme im Einzelfall zur Folge hat ( 98 ). Dieser Zweck würde nicht erreicht, wenn es gestattet wäre, dass ein diskriminierendes ausländisches Recht im Hoheitsgebiet eines teilnehmenden Mitgliedstaats Wirkungen entfaltete, weil der abstrakt diskriminierte Ehegatte konkret nicht benachteiligt gewesen sein soll.

86.

Viertens wäre meines Erachtens in einem solchen Fall die Verwirklichung der mit der Regelung, zu der Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 gehört, verfolgten Ziele beeinträchtigt. Aus den Erwägungsgründen 9, 21, 22 und 29 geht nämlich hervor, dass diese Verordnung die Ziele verfolgt, die Kollisionsnormen für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes zu vereinheitlichen, um die Rechtssicherheit, eine bessere Berechenbarkeit und eine größere Flexibilität sicherzustellen, wobei die Gefahr des „forum shopping“ in internationalen Verfahren zur Trennung verhindert und daher die Freizügigkeit in der Europäischen Union erleichtert wird ( 99 ). Wenn jedoch das Greifen der Ausnahme nach diesem Art. 10 von einer konkreten Beurteilung durch die zuständigen nationalen Richter abhinge, würden die angeführten allgemeinen Ziele nicht erreicht, wenn das schließlich anzuwendende Recht nach einer kasuistischen Analyse und nicht auf systematische und daher sichere und berechenbare Weise bestimmt würde.

87.

Schließlich entspricht die von mir vorgeschlagene Auslegung funktionellen Erwägungen. Insoweit erinnere ich daran, dass es normalerweise der Gegenstand der Verordnung Nr. 1259/2010 ist, das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht in Situationen zu bestimmen, die einen Auslandsbezug aufweisen, wenn ein Gericht eines der teilnehmenden Mitgliedstaaten mit einem Antrag auf Ehescheidung befasst wird ( 100 ), und nicht mit einem Antrag auf Anerkennung einer bereits ergangenen Ehescheidung, wie es sich im vorliegenden Fall aus der Umsetzung deutscher Rechtsvorschriften ergibt. Wie die französische Regierung ausführt, ist im Rahmen der normalen Anwendung dieses Rechtsinstruments die Ehescheidung zwangsläufig noch nicht ausgesprochen oder festgestellt und es ist daher meist schwierig oder unmöglich, zu diesem frühen Zeitpunkt festzustellen, ob die Anwendung des nach den Art. 5 oder 8 dieser Verordnung anzuwendenden Rechts eine auf der Geschlechtszugehörigkeit eines Ehegatten beruhende konkrete diskriminierende Wirkung hinsichtlich des Zugangs zur Ehescheidung hat.

88.

Es ist meiner Ansicht nach nicht möglich, zur Lösung dieses Problems dem vom vorlegenden Gericht und der deutschen Regierung vorgeschlagenen Weg zu folgen, wonach ein spezifischer Ansatz „zumindest“ herangezogen werden könne, wenn das Gericht wie im Ausgangsrechtsstreit mit der Prüfung der Wirksamkeit einer bereits im Ausland ausgesprochenen Ehescheidung befasst sei und es daher die konkrete Situation rückblickend betrachten könne. Meines Erachtens kann unter Berücksichtigung des Erfordernisses, diese Unionsrechtsbestimmung objektiv, allgemein und einheitlich auszulegen ( 101 ), nicht zugelassen werden, dass die Auslegung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 davon abhängig gemacht wird, ob das Verfahren einen Antrag auf Ehescheidung betrifft, den Normalfall der Anwendung dieser Verordnung, in dem es genügte, dass eine abstrakte Diskriminierung vorliegt, oder die Anerkennung einer Ehescheidung, einen Anwendungsfall dieser Verordnung, der sich aus dem deutschen Recht ergibt, in dem es erforderlich wäre, dass eine konkrete Diskriminierung festgestellt wird.

89.

Im Ergebnis ist meines Erachtens auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 dahin auszulegen ist, dass das Rechts des Staates des angerufenen Gerichts anzuwenden ist, sofern das ausländische Recht, das nach den Art. 5 oder 8 dieser Verordnung anwendbar wäre, abstrakt – im Hinblick auf seinen Inhalt – zu einer Diskriminierung führt, und nicht nur, wenn das letztere Recht konkret – im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls – eine Diskriminierung verursacht.

2.  Zur fehlenden Auswirkung der etwaigen Einwilligung des diskriminierten Ehegatten für die Anwendung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010

90.

Die dritte Frage wird nur für den Fall gestellt, dass der Gerichtshof in Beantwortung der zweiten Frage entscheiden sollte, dass der zweite darin genannte Weg zu wählen ist, nämlich, dass das ausnahmsweise Eingreifen der lex fori nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 voraussetzt, dass die Anwendung des grundsätzlich bezeichneten ausländischen Rechts für einen der Ehegatten im Einzelfall diskriminierend ist. Da ich eine gegenteilige Antwort auf die zweite Frage vorschlage, bin ich der Meinung, dass der Gerichtshof über die dritte Frage nicht zu entscheiden braucht. Ich werde jedoch hilfsweise einige diesbezügliche Bemerkungen machen.

91.

Mit seiner letzten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, darüber zu befinden, ob der Umstand, dass der diskriminierte Ehegatte in die Ehescheidung eingewilligt hat, einschließlich in Form der Entgegennahme von Ausgleichsleistungen, es erlaubt, in diesem Fall Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 nicht anzuwenden. Dieses Gericht weist darauf hin, dass es bei einer ordnungsgemäß festgestellten Einwilligung des theoretisch benachteiligten Ehegatten ( 102 ) geneigt wäre, diese Regel nicht anzuwenden, mit der Folge, dass das nach Art. 5 oder Art. 8 dieser Verordnung zu bestimmende Recht anwendbar bliebe. Unter Hinweis auf die einschlägige deutsche Rechtsprechung fügt es hinzu, dass bei Anwendung syrischen Rechts dieses im Einzelfall anhand des deutschen Ordre public zu würdigen wäre.

92.

Die deutsche Regierung teilt diese Analyse, da sie der Auffassung ist, dass im Einzelfall keine Diskriminierung im Sinne dieses Art. 10 vorliegen könnte, wenn der Ehepartner, der durch das nach den anderen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1259/2010 anzuwendende Recht abstrakt diskriminiert werde, seine Einwilligung in die Ehescheidung erklärt habe, soweit diese Einwilligung freiwillig erfolge und zweifelsfrei feststellbar sei, was das vorlegende Gericht im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls zu prüfen habe ( 103 ). Herr Mamisch hat in der mündlichen Verhandlung eine ähnliche Ansicht geäußert ( 104 ).

93.

Hingegen vertreten die französische, die ungarische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission die gegenteilige Ansicht, was aus den folgenden Gründen auch meine Meinung ist.

94.

Erstens weise ich wie die Kommission darauf hin, dass der Wortlaut von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 keinen Vorbehalt enthält, der es den Gerichten der teilnehmenden Mitgliedstaaten erlauben würde, die von dieser Bestimmung geregelte Ausnahme nicht anzuwenden, wenn die Anwendung des grundsätzlich anwendbaren ausländischen Rechts, das gegebenenfalls an sich diskriminierend ist, in der Praxis zu keinem Nachteil des diskriminierten Ehegatten führe.

95.

Außerdem ergibt sich aus dem Wortlaut dieses Art. 10, ebenso wie aus dem 24. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1259/2010, dass der Diskriminierungsaspekt, der die ausnahmsweise Anwendung der lex fori rechtfertigt, ein Fehlen des „gleichberechtigten Zugang[s] zur Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes“ ( 105 ) ist. Die französische Regierung hebt zu Recht hervor, dass zwischen der Billigung eines Ehegatten der Folgen eines Scheidungsverfahrens zum einen und seinem Einverständnis mit der Ehescheidung als solcher zum anderen zu unterscheiden sei ( 106 ). Ich bin der Ansicht, dass nur der letztere Fall dem Ausdruck entspricht, der in den oben angeführten Bestimmungen verwendet wird. Diese Analyse wird meines Erachtens dadurch untermauert, dass diese Verordnung nur die Auflösung der Ehe als solche umfassen soll, wobei sie die rechtlichen Fragen, die sich nicht am Anfang, sondern eher während oder am Ende eines Scheidungsverfahrens stellen, wie die vermögensrechtlichen Folgen der Ehe oder die Unterhaltspflichten, ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich ausschließt ( 107 ).

96.

Daher beruht die dritte Vorlagefrage meiner Meinung nach auf einer falschen Prämisse, da sie das „Einvernehmen des diskriminierten Ehegatten mit der Ehescheidung – auch in der Form der gebilligten Entgegennahme von Ausgleichsleistungen“ anführt ( 108 ). Diese Formulierung stellt nämlich, meines Erachtens zu Unrecht, die tatsächliche Billigung einer der Wirkungen der Ehescheidung ( 109 ) mit der unterstellten Billigung der Ehescheidung als solcher ( 110 ) gleich, obwohl die beiden angeführten Ereignisse in ganz unterschiedlichen Phasen des Scheidungsverfahrens erfolgten ( 111 ).

97.

Insoweit lässt im Ausgangsrechtsstreit der Umstand, dass Frau Sahyouni Widerspruch gegen die Entscheidung einlegte, mit der die in Syrien ausgesprochene Ehescheidung in Deutschland anerkannt wurde ( 112 ), meines Erachtens erkennen, dass trotz des Schreibens, mit dem sie erklärte, die von ihrem Ehemann gezahlten Ausgleichsleistungen anzunehmen, sie nicht in diese Ehescheidung selbst einwilligen wollte.

98.

Zwar ist es grundsätzlich allein Sache des mit diesem Rechtsstreit befassten Gerichts, die Tatsachen zu beurteilen, die das Vorliegen und die Tragweite einer etwaigen Einwilligung einer Partei darstellen. Allerdings halte ich es für erforderlich, diesem Gericht die Umstände zu erläutern, die es bei der Anwendung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010, zu der es veranlasst sein könnte, berücksichtigen sollte ( 113 ).

99.

Jedenfalls kann, selbst wenn dieses Gericht von der Einwilligung des diskriminierten Ehegatten in die Ehescheidung ausgeht, eine solche Feststellung nicht dazu führen, die in diesem Artikel vorgesehene Rechtsregel auszuschließen.

100.

Zweitens steht der Ansatz des vorlegenden Gerichts in seiner letzten Vorlagefrage nämlich nicht im Einklang mit den Zielen der Verordnung Nr. 1259/2010 und insbesondere ihres Art. 10.

101.

Zu diesem Thema bringt die Kommission in ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen vor, dass die Norm in diesem Art. 10 zugunsten des diskriminierten Ehegatten eine Schutzfunktion habe, weil dieser (oder diese) die schwächere Partei sei; diese Funktion würde unterminiert, wenn diese Norm fakultativen Charakter hätte. Es bestünde nämlich die Gefahr, dass sich die schwächere Partei damit einverstanden erkläre, auf die Anwendung des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts zu verzichten, vielleicht sogar ohne zu wissen, dass dieses Recht für sie günstiger sei ( 114 ).

102.

Aus den Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1259/2010 geht hervor, dass der Grundsatz der Parteiautonomie, der von diesem Rechtsinstrument aufgestellt wird, durch die Einführung von speziellen Garantien eingeschränkt wurde, um sowohl die Einhaltung der „gemeinsamen Werte der Europäischen Union“ ( 115 ) durchzusetzen als auch den schwächeren Ehepartner zu schützen ( 116 ). Der Ausnahmebestimmung in ihrem Art. 10 würde jedoch die praktische Wirksamkeit genommen und die oben angeführten Ziele würden daher nicht erreicht, wenn der diskriminierte Ehegatte auf den Vorteil daraus verzichten könnte, indem er entweder aufgrund eines durch seinen Ehegatten ausgeübten Drucks, seines persönlichen Willens, sich aus einer Konfliktsituation zu begeben, oder aus schlichter Unkenntnis seiner Rechte in eine ungleichberechtigte Ehescheidung einwilligte.

103.

Drittens bestätigt eine Untersuchung des Systems, zu dem Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 gehört, die von mir vorgeschlagene sowohl wörtliche als auch teleologische Auslegung. Dieser Artikel stellt nämlich den Vorrang der in ihm enthaltenen Anforderungen sowohl an das von den Ehegatten gewählte Recht nach Art. 5 dieser Verordnung als auch an das in Ermangelung einer Rechtswahl durch diese anzuwendende Recht nach ihrem Art. 8 sicher. Wie die Kommission ausgeführt hat, findet Art. 10 bei Vorliegen der objektiven Voraussetzungen Anwendung und erlaubt es, dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts Vorrang einzuräumen, selbst wenn die Parteien das diskriminierende Recht ausdrücklich gewählt haben. Folglich wurde die von diesem Artikel vorgesehene Regel, die auf der Beachtung von als grundlegend angesehenen Werten beruht, mit zwingendem Charakter ausgestattet und daher durch den Willen des Unionsgesetzgebers außerhalb des Bereichs gestellt, in dem die Betroffenen frei über ihre Rechte verfügen können ( 117 ).

104.

Wenn sich demzufolge herausstellt, dass der Ehegatte, der aufgrund des Geschlechts – durch das nach Art. 5 oder Art. 8 der Verordnung Nr. 1259/2010 anwendbare Recht – diskriminiert wird, in die Ehescheidung eingewilligt hat, bin ich der Ansicht, dass diese Einwilligung nicht dazu führen kann, das Eingreifen des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts nach Art. 10 dieser Verordnung auszuschließen, wenn die von dem letzteren Artikel vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind. Mit anderen Worten wäre meines Erachtens die dritte Vorlagefrage für den Fall, dass der Gerichtshof über diese hilfsweise gestellte Frage entscheiden sollte, zu verneinen.

V. Ergebnis

105.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Oberlandesgericht München zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1.

Die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, insbesondere Art. 1, sind dahin auszulegen, dass ohne konstitutive Entscheidung durch ein Gericht oder eine andere staatliche Behörde ausgesprochene Ehescheidungen, wie eine Ehescheidung durch einseitige Erklärung eines Ehegatten, die von einem geistlichen Gericht eingetragen wurde, nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.

2.

Hilfsweise, für den Fall, dass der Gerichtshof entscheiden sollte, dass solche privaten Ehescheidungen in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1259/2010 fallen, wäre ihr Art. 10 dahin auszulegen, dass zum einen das Recht des Staates des angerufenen Gerichts anzuwenden ist, wenn das nach den Art. 5 oder 8 dieser Verordnung bezeichnete ausländische Recht abstrakt zu einer Diskriminierung wegen der Geschlechtszugehörigkeit der Ehegatten führt, und zum anderen der Umstand, dass der diskriminierte Ehegatte möglicherweise in die Ehescheidung eingewilligt hat, für die Anwendbarkeit dieses Artikels unerheblich ist.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2010, L 343, S. 10. Dieser Rechtsakt wird üblicherweise als „Rom-III-Verordnung“ bezeichnet.

( 3 ) EU:C:2016:343.

( 4 ) Die wesentlichen Gründe dieser Entscheidung werden in Nr. 26 der vorliegenden Schlussanträge zusammengefasst.

( 5 ) Diese am 30. Dezember 2010 in Kraft getretene Verordnung gilt seit dem 21. Juni 2012 in den Mitgliedstaaten, die an dieser Zusammenarbeit von Anfang an teilnahmen, darunter die Bundesrepublik Deutschland. Bislang ist sie in Belgien, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Ungarn, Malta, Österreich, Portugal, Rumänien und Slowenien anwendbar. Sie wird außerdem ab dem 11. Februar 2018 in Estland anwendbar sein (vgl. Beschluss [EU] 2016/1366 der Kommission vom 10. August 2016 zur Bestätigung der Teilnahme Estlands an der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. 2016, L 216, S. 23).

( 6 ) ABl. 2003, L 338, S. 1.

( 7 ) Der Text in deutscher und englischer Sprache ist unter folgender Internetadresse zugänglich: http://www.gesetze-im-internet.de/famfg/index.html.

( 8 ) Nämlich das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 23. Januar 2013 (BGBl. I 2013 S. 101), das am 29. Januar 2013 in Kraft getreten ist.

( 9 ) EU:C:2016:343, Rn. 9 bis 14.

( 10 ) Zu einem Wechselkurs von ungefähr 0,75 Euro für einen 1 USD am 12. September 2013.

( 11 ) Insbesondere im Sinne von Art. 5 Abs. 1 EGBGB.

( 12 ) EU:C:2016:343, Rn. 18 bis 33.

( 13 ) Vgl. u. a. Urteile vom 31. Januar 2017, Lounani (C‑573/14, EU:C:2017:71, Rn. 56), und vom 14. Juni 2017, Menini und Rampanelli (C‑75/16, EU:C:2017:457, Rn. 28).

( 14 ) Vgl. u. a. Beschluss vom 16. April 2008, Club Náutico de Gran Canaria (C‑186/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:227, Rn. 19), und Urteil vom 7. Juli 2011, Agafiţei u. a. (C‑310/10, EU:C:2011:467, Rn. 28).

( 15 ) EU:C:2016:343.

( 16 ) Vgl. Rn. 19 des Beschlusses vom 12. Mai 2016, Sahyouni (C‑281/15, EU:C:2016:343).

( 17 ) Die in Fn. 5 der vorliegenden Schlussanträge aufgeführt sind.

( 18 ) Zur Verordnung Nr. 2201/2003 hat der Gerichtshof daran erinnert, dass sich ihr Anwendungsbereich auf die Anerkennung von Entscheidungen der Gerichte der anderen Mitgliedstaaten beschränkt (vgl. Rn. 20 bis 22 des Beschlusses vom 12. Mai 2016, Sahyouni,C‑281/15, EU:C:2016:343).

( 19 ) Urteil vom 18. Oktober 1990 (C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 36 und 37).

( 20 ) Vgl. u. a. die in den Rn. 24 bis 29 des Beschlusses vom 12. Mai 2016, Sahyouni (C‑281/15, EU:C:2016:343), angeführten Entscheidungen.

( 21 ) Vgl. auch die Schlussanträge, die ich in der Rechtssache Europamur Alimentación (C‑295/16, EU:C:2017:506, Nrn. 43 und 44) vorgelegt habe.

( 22 ) Vgl. u. a. Urteile vom 18. Oktober 2012, Nolan (C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 45 ff.), vom 7. November 2013, Romeo (C‑313/12, EU:C:2013:718, Rn. 21 ff.); Beschluss vom 12. Mai 2016, Sahyouni (C‑281/15, EU:C:2016:343, Rn. 27 ff.), Urteile vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 53 ff.), sowie vom 5. April 2017, Borta (C‑298/15, EU:C:2017:266, Rn. 33 und 34).

( 23 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Januar 2003, BIAO (C‑306/99, EU:C:2003:3, Rn. 90 ff.).

( 24 ) Urteil vom 14. März 2013, Allianz Hungária Biztosító u. a. (C‑32/11, EU:C:2013:160, Rn. 23).

( 25 ) Vgl. u. a. Beschluss vom 30. Januar 2014, C. (C‑122/13, EU:C:2014:59, Rn. 15), sowie Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 54 und 55).

( 26 ) Vgl. u. a. Beschluss vom 30. Juni 2011, Wamo (C‑288/10, EU:C:2011:443, Rn. 26 ff.); Urteile vom 13. Juni 2013, Kostov (C‑62/12, EU:C:2013:391, Rn. 24 und 25), vom 21. September 2016, Etablissements Fr. Colruyt (C‑221/15, EU:C:2016:704, Rn. 15), sowie vom 4. Mai 2017, HanseYachts (C‑29/16, EU:C:2017:343, Rn. 34).

( 27 ) Vgl. Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi (C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 41 und 42), sowie vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem (C‑28/95, EU:C:1997:369, Rn. 33).

( 28 ) Vgl. u. a. Urteile vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem (C‑28/95, EU:C:1997:369, Rn. 28 ff.), vom 18. Oktober 2012, Nolan (C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 51), sowie vom 7. November 2013, Romeo (C‑313/12, EU:C:2013:718, Rn. 33); Beschlüsse vom 3. September 2015, Orrego Arias (C‑456/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:550, Rn. 23 bis 25), und vom 28. Juni 2016, Italsempione – Spedizioni Internazionali (C‑450/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:508, Rn. 22 und 23).

( 29 ) Daher hat sich der Gerichtshof im Urteil vom 18. Oktober 2012, Nolan (C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 53 bis 57), mit der Begründung für unzuständig erklärt, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens „in [dem betreffenden] Unionsrechtsakt ausdrücklich eine Ausnahme von seinem Geltungsbereich vorgesehen [war]“ und dass „nicht davon ausgegangen werden [kann], dass ein Interesse der Union daran besteht, dass die Vorschriften eines vom Unionsgesetzgeber erlassenen Rechtsakts in einem Bereich, den der Unionsgesetzgeber vom Geltungsbereich dieses Rechtsakts ausgenommen hat, einheitlich ausgelegt werden“.

( 30 ) Vgl. u. a. Urteil vom 14. März 2013, Allianz Hungária Biztosító u. a. (C‑32/11, EU:C:2013:160, Rn. 21).

( 31 ) U. a. Urteil vom 21. Juli 2016, VM Remonts u. a. (C‑542/14, EU:C:2016:578, Rn. 18).

( 32 ) Vgl. u. a. Urteile vom 7. November 2013, Romeo (C‑313/12, EU:C:2013:718, Rn. 25), vom 14. Januar 2016, Ostas celtnieks (C‑234/14, EU:C:2016:6, Rn. 19 bis 21), sowie vom 5. April 2017, Borta (C‑298/15, EU:C:2017:266, Rn. 32).

( 33 ) In Rn. 30 des Beschlusses vom 12. Mai 2016, Sahyouni (C‑281/15, EU:C:2016:343), hatte der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich das vorlegende Gericht in diesem Ersuchen auf die Feststellung beschränkt hatte, dass der „Präsident des Oberlandesgerichts München … ausgeführt [hat], die Anerkennungsfähigkeit der verfahrensgegenständlichen Entscheidung richte sich nach der … Verordnung [Nr. 1259/2010]; sie sei auch auf sogenannte Privatscheidungen anwendbar“.

( 34 ) Ich weise darauf hin, dass der Ausdruck „Anerkennung“, der insoweit in der Vorlageentscheidung verwendet wird, im Sinne des deutschen Rechts dahin zu verstehen ist, dass er die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer im Ausland erfolgten Privatscheidung betrifft – wobei diese Analyse erfordert, zuvor eine Kollisionsfrage zu entscheiden, um die auf diese Ehescheidung anwendbare rechtliche Regelung zu bestimmen –, und nicht dahin, dass er dieselbe Bedeutung wie der in der Verordnung Nr. 2201/2003 verwendete Begriff, hat, bei dem es sich um die Übernahme einer von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Entscheidung in die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats handelt.

( 35 ) Vgl. Nrn. 37 und 38 der vorliegenden Schlussanträge.

( 36 ) Vgl. Nrn. 34 bis 36 der vorliegenden Schlussanträge.

( 37 ) In der Vorlageentscheidung wird ausgeführt, dass das syrische Recht eine solche Einwilligung und auch eine deklaratorische Genehmigung durch einen Richter kenne, und auf die Art. 85 ff. des syrischen Gesetzes Nr. 59 vom 17. September 1953 in der durch das Gesetz Nr. 34 vom 31. Dezember 1975 über das Personalstatut geänderten Fassung, abgedruckt bei Bergmann, A., Ferid, M., und Henrich, D., Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Verlag für Standesamtswesen, Frankfurt, 1981, Bd. 17, Teil „Syrien“, S. 11 ff., verwiesen.

( 38 ) Vgl. Nr. 15 der vorliegenden Schlussanträge.

( 39 ) Vgl. Nr. 16 der vorliegenden Schlussanträge.

( 40 ) Das vorlegende Gericht legt dar, dass es die überwiegende Auffassung teile, wobei es darauf hinweist, dass ein Teil der deutschen Lehre und Rechtsprechung der Meinung sei, die Verordnung Nr. 1259/2010 sei nur anwendbar, wenn ein Gericht eines teilnehmenden Mitgliedstaats selbst über einen Scheidungsantrag entscheide, und nicht im Rahmen eines Verfahrens auf Anerkennung einer schon im Ausland ergangenen Ehescheidung.

( 41 ) Vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs (Deutschland) vom 28. Mai 2008 (XII ZR 61/06, Rn. 36), zugänglich unter folgender Internetadresse: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=44298&pos=0&anz=1.

( 42 ) Vgl. Nrn. 17 und 18 der vorliegenden Schlussanträge.

( 43 ) Eine sogenannte „révision au fond“ (Nachprüfung in der Sache) werde in diesem Fall für unnötig angesehen, da ein ausländisches Gericht oder eine ausländische Behörde eine Ehescheidung erst nach Prüfung der hierfür erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen ausspreche.

( 44 ) Diese Form der Behandlung staatlicher ausländischer Ehescheidungen wird als verfahrensrechtliche Anerkennung bezeichnet.

( 45 ) Die deutschen Gerichte nähmen keine Prüfung vor, die über die Anerkennungshindernisse nach dieser Bestimmung, zu denen ein Verstoß gegen den deutschen Ordre public gehöre, hinausginge.

( 46 ) Wie in Nr. 4 der vorliegenden Schlussanträge definiert.

( 47 ) Ein strengerer Prüfungsmaßstab, der über die Prüfung bestimmter Ablehnungsgründe hinausgehe, sei aus der Sicht des deutschen Rechts gegenüber solchen Ehescheidungen gerechtfertigt, da keine Richtigkeitsgewähr bestehe, die derjenigen entspreche, die sich aus der konstitutiven Mitwirkung einer Behörde ergebe.

( 48 ) Diese Form der Behandlung privater ausländischer Ehescheidungen wird als kollisionsrechtliche Anerkennung bezeichnet, selbst wenn die Verwendung des Begriffs „Anerkennung“ meiner Ansicht nach etwas irreführend ist (vgl. auch Fn. 34 der vorliegenden Schlussanträge).

( 49 ) Nach der Begründung zum Entwurf des Gesetzes vom 23. Januar 2013, das in Nr. 18 der vorliegenden Schlussanträge angeführt wird, „[wird d]ie …Verordnung [Nr. 1259/2010] … verbindlich nur vom Gerichtshof der Europäischen Union ausgelegt. Die Beantwortung von Zweifelsfragen liegt deshalb in dessen primärer Verantwortung. Gleichwohl sollen nachfolgend einige Punkte hervorgehoben werden, die für eine Auslegung des Rechtsakts aus deutscher Sicht Bedeutung erlangen könnten: Die … Verordnung [Nr. 1259/2010] findet auch auf sogenannte Privatscheidungen Anwendung. Sie regelt diesen weiten Anwendungsbereich zwar nicht ausdrücklich im Text, will aber nach Erwägungsgrund 9 einen umfassenden Rahmen für das Recht vorgeben, das auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwenden ist. Bei der Formulierung der Regelungsgegenstände, die nach Artikel 1 Absatz 2 von der … Verordnung nicht erfasst werden sollen, ist die Privatscheidung nicht aufgenommen worden. Bei der Festlegung der universellen Anwendung des Rechtsakts in Artikel 4 sind keine Einschränkungen im Hinblick auf Rechtsordnungen gemacht worden, die die Privatscheidung zulassen. Die … Verordnung [Nr. 1259/2010] stellt an einigen Stellen im Text nur deshalb auf den ‚Normalfall‘ der Scheidung und Trennung durch Gericht ab, weil die Privatscheidung in den Rechtsordnungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten – soweit ersichtlich – nicht bekannt ist“ (vgl. Bundestag Drucksache Nr. 17/11049 vom 17. Oktober 2012, S. 8, zugänglich unter folgender Internetadresse: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/110/1711049.pdf).

( 50 ) Selbst wenn einige Autoren Lösungen vorschlagen, um die durch diese Aufhebung nach dem vorlegenden Gericht entstandene „Regelungslücke“, zu schließen (nämlich eine analoge Anwendung entweder der früheren Fassung der Art. 14 und 17 EGBGB oder der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1259/2010), ergeben sich daraus jedoch meines Erachtens beträchtliche Rechtsunsicherheiten im deutschen Recht (vgl. u. a. Helms, T., „Reform des internationalen Scheidungsrechts durch die Rom‑III-Verordnung“, FamRZ, 2011, Nr. 22, S. 1765 ff., sowie Pika, M., und Weller, M.‑P., „Privatscheidungen zwischen Europäischem Kollisions- und Zivilprozessrecht“, IPRax, 2017, Nr. 1, S. 65 ff.).

( 51 ) Ich weise darauf hin, dass es sich dabei somit um eine in der Rechtsprechung entwickelte Rechtsregel handelt und nicht bloß um eine vermutete schlichte Praxis einer Verwaltungsbehörde, wie diejenige, die dazu führte, dass der Gerichtshof im Beschluss vom 28. Juni 2016, Italsempione – Spedizioni Internazionali (C‑450/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:508, Rn. 22 und 23), sich mit der Begründung für unzuständig erklärte, dass „die Beschreibung einer nationalen Praxis der Wettbewerbsbehörde (Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato) nicht als unmittelbare und unbedingte Verweisung auf das Unionsrecht angesehen werden kann“.

( 52 ) Das war u. a. in der in Fn. 29 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtssache der Fall.

( 53 ) Aus den Gründen, die ich in den Nrn. 52 ff. der vorliegenden Schlussanträge darlegen werde.

( 54 ) Nach der in Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung.

( 55 ) Es sei daran erinnert, dass feststeht, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1259/2010 nicht unmittelbar auf den vorliegenden Fall anwendbar sind (vgl. Nrn. 32 und 33 der vorliegenden Schlussanträge).

( 56 ) Vgl. Nrn. 34 ff. der vorliegenden Schlussanträge.

( 57 ) Vgl. Nrn. 32 ff. der vorliegenden Schlussanträge.

( 58 ) Vgl. Nr. 35 der vorliegenden Schlussanträge.

( 59 ) Diese Ansicht wird auch von einem Teil der deutschen Lehre vertreten, der aber nicht zu überwiegen scheint (vgl. u. a. Wiese, V., „Article 1 [Rome III], Scope“, in Rome Regulations, Commentary, herausgegeben von G.‑P. Calliess, Kluwer Law International, Alphen aan den Rijn, 2. Aufl., 2015, S. 861, Rn. 12, sowie Kommentar zu Art. 1 der Verordnung Nr. 1259/2010 von Corneloup, S., in Droit européen du divorce, Travaux du Centre de recherche sur le droit des marchés et des investissements internationaux, Bd. 39, LexisNexis, Paris, 2013, S. 497 bis 499, Rn. 9 und 10).

( 60 ) Vgl. u. a. Urteile vom 9. November 2016, Wathelet (C‑149/15, EU:C:2016:840, Rn. 28), sowie vom 9. März 2017, Pula Parking (C‑551/15, EU:C:2017:193, Rn. 42).

( 61 ) Vgl. Art. 1 Abs. 2 Buchst. c und zehnter Erwägungsgrund Satz 2 dieser Verordnung.

( 62 ) Nämlich „alle Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten, die für Rechtssachen zuständig sind, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen“. Nach ihrem 13. Erwägungsgrund „[sollte es f]ür die Anwendung [der] Verordnung [Nr. 1259/2010] … unerheblich sein, welches Gericht angerufen wird“.

( 63 ) Vgl. u. a. Art. 1 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2 und 3, Art. 8 und Art. 13 sowie Art. 18 Abs. 1 dieser Verordnung.

( 64 ) Nach Ansicht einiger Autoren „werden sowohl die Gerichte im engeren Sinn als auch die Verwaltungsbehörden und sogar die Notare veranlasst sein, die neuen Vorschriften anzuwenden, die gleichzeitig unterschiedliche Scheidungsformen umfassen, die von einem gerichtlichen Verfahren bis zu einer bloß beglaubigten privaten Willenserklärung oder gar einer rein privaten Ehescheidung reichen. Es kommt auf den Gegenstand des Verfahrens und nicht auf seine Modalitäten an. Rein geistliche Verfahren sind jedoch von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen, da die religiöse Einrichtung in diesem Fall nicht im Namen des teilnehmenden Mitgliedstaats handelt, es sei denn, sie wurde von diesem geschaffen“ (vgl. Hammje, P., „Le nouveau règlement [no 1259/2010]“, Revue critique de droit international privé, 2011, S. 291 ff., Rn. 7).

( 65 ) Da dieser Art. 10 den Gegenstand der anderen dem Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache vorgelegten Fragen bildet, werde ich dazu weiter gehende Ausführungen machen (vgl. Nrn. 68 ff. der vorliegenden Schlussanträge).

( 66 ) Vorbehaltlich der Ausnahmen in den Art. 10 und 12 der Verordnung Nr. 1259/2010 (zu den in diesen Artikeln vorgesehenen Mechanismen vgl. Nrn. 79 ff. der vorliegenden Schlussanträge).

( 67 ) Ich erinnere daran, dass die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1259/2010 ursprünglich in Form einer Neufassung dieser Verordnung begonnen worden waren (vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung [EG] Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich, KOM[2006] 399).

( 68 ) Vgl. den 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1259/2010 („Soweit zweckmäßig, sollte ein Gericht als gemäß der Verordnung … Nr. 2201/2003 angerufen gelten“) und ihren Art. 2 (wonach die Verordnung Nr. 1259/2010 „die Anwendung der Verordnung … Nr. 2201/2003 unberührt [lässt]“).

( 69 ) Wie in Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 definiert („alle Behörden der Mitgliedstaaten, die für Rechtssachen zuständig sind, die gemäß Artikel 1 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen“), was der Definition in Art. 3 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1259/2010 entspricht (angeführt in Fn. 62 der vorliegenden Schlussanträge). Insoweit weise ich darauf hin, dass im Rahmen der laufenden Arbeiten zur Neufassung der Verordnung Nr. 2201/2003, die vor allem ihre Bestimmungen über die elterliche Verantwortung betrifft, vorgesehen ist, den Begriff „Gericht“ eines Mitgliedstaats im Sinne dieser Verordnung klarzustellen, so dass er künftig deutlicher auf „[eine] Justiz- oder Verwaltungsbehörde“ eines Mitgliedstaats hinweist (vgl. die Änderungen von Art. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003, die von der die Kommission in ihrem Vorschlag für eine Verordnung des Rates vom 30. Juni 2016, COM[2016] 411 final, S. 37, angeführt werden).

( 70 ) Vgl. u. a. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a, Art. 2 Nrn. 1 und 4, Art. 19 Abs. 2 und 3 sowie Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003.

( 71 ) Vgl. den letzten Satz des Auszugs aus dem in Fn. 49 der vorliegenden Schlussanträge angeführten parlamentarischen Dokument.

( 72 ) Die Mitgliedstaaten, die ursprünglich an dieser Verstärkten Zusammenarbeit teilnahmen, werden im sechsten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1259/2010 aufgelistet.

( 73 ) Die Fälle der Privatscheidungen, wie der des Ausgangsverfahrens, und die Fälle der nichtgerichtlichen Ehescheidungen, bei denen eine andere Behörde an die Stelle des Gerichts tritt, dürfen nicht verwechselt werden (zu diesem Thema vgl. die Beiträge von Bernand, Y., und Ferrand, F., in La rupture du mariage en droit comparé, herausgegeben von F. Ferrand und H. Fulchiron, Bd. 19 der Sammlung Droit comparé et européen, Société de législation comparée, Paris, 2015, S. 49 und S. 76 bis 78).

( 74 ) In den Nrn. 59 bis 64 der vorliegenden Schlussanträge.

( 75 ) Es ist umso größere Vorsicht geboten, als in den teilnehmenden Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Ansätze hinsichtlich der Rezeption ausländischer Entscheidungen, die in einer Verstoßung bestehen, festgestellt wurden (vgl. den Beitrag von Bidaud-Garon, C., in La rupture du mariage en droit comparé, angeführt in Fn. 73 der vorliegenden Schlussanträge, S. 244 und 245).

( 76 ) Dieser erste Fall wird in der Praxis selten vorkommen, da wenige Staaten die Ehescheidung verbieten (vgl. die von Devers, A., und Farge, M., „Le nouveau droit international privé du divorce – À propos du règlement Rome III sur la loi applicable au divorce“, Droit de la famille, 2012, Nr. 6, Studie 13, Rn. 28, angeführten), und er ist nicht Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, er ist aber dennoch bei der Auslegung dieses Art. 10 in der vorliegenden Rechtssache zu bedenken.

( 77 ) Das vorlegende Gericht weist unter Bezugnahme auf die Art. 85 und 105 des oben angeführten syrischen Gesetzes (Fn. 37 der vorliegenden Schlussanträge) darauf hin, dass, sofern das syrische Recht im vorliegenden Fall anwendbar sei, dieses der Ehefrau keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung gewähre, da es zwar neben der einvernehmlichen Scheidung eine gerichtliche Ehescheidung auf Betreiben der Ehefrau kenne, diese Ehescheidung jedoch ausdrücklich an einen gerichtlichen Ausspruch und an andere Voraussetzungen – nämlich Krankheit oder Erkrankung des Mannes – anknüpfe, während es das uneingeschränkte Recht des Mannes eröffne, sich einseitig von seiner Frau zu scheiden.

( 78 ) Die belgische Regierung hat die zweite und die dritte Vorlagefrage aufgrund der von ihr vorgeschlagenen Antwort auf die erste Frage daher nicht analysiert.

( 79 ) Ich erinnere daran, dass das nach der Verordnung Nr. 1259/2010 bezeichnete Recht auch dann anzuwenden ist, wenn es das Recht eines an der Verstärkten Zusammenarbeit nicht teilnehmenden Mitgliedstaats oder das eines Drittstaats ist.

( 80 ) Diese Frage unterscheidet sich von derjenigen, ob die Beurteilung des diskriminierenden Charakters des ausländischen Rechts in formeller Weise zu erfolgen hat, indem sie auf eine strikte Gleichheit der Rechte der Ehegatten gegenüber dem Zugang zur Ehescheidung gerichtet ist, oder vielmehr der Substanz nach, indem sie auf eine bloße Äquivalenz dieser Rechte gerichtet ist.

( 81 ) „In bestimmten Situationen, in denen das anzuwendende Recht …“ (Hervorhebung nur hier). Eine entsprechende Formulierung enthält u. a. die dänische Sprachfassung: „I visse situationer, hvor den valgte lov …“ (Hervorhebung nur hier).

( 82 ) Zu dieser Frage vgl. Lein, E., „Article 10 [Rome III], Application of the Law to the Forum“, in Rome Regulations, Commentary, angeführt in Fn. 59, Rn. 11 und Fn. 24.

( 83 ) Vgl. u. a. die spanische Fassung: „En algunas situaciones es oportuno, … por ejemplo cuando la ley aplicable …“, die englische Fassung: „In certain situations, such as where the applicable law …“, die französische Fassung: „Dans certaines situations, … comme lorsque la loi applicable …“, die portugiesische Fassung: „Em certas situações, … quando a lei aplicável …“ und die schwedische Fassung: „I vissa situationer, till exempel när tillämplig lag …“ (Hervorhebung nur hier).

( 84 ) Ursprünglich stand Art. 10 dieser Verordnung unmittelbar in Verbindung mit den Vorschriften zur Bestimmung des grundsätzlich auf die Ehescheidung oder die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts und insbesondere mit der Regel in ihrem Art. 8 (betreffend das in Ermangelung einer Rechtswahl anzuwendende Recht), wobei der derzeitige Art. 9 (betreffend die Umwandlung einer Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in eine Ehescheidung) in der ursprünglichen Fassung nicht enthalten war. Ebenso folgte der 24. Erwägungsgrund dieser Verordnung (der sich auf diesen Art. 10 bezieht) unmittelbar auf den derzeitigen 21. Erwägungsgrund (der sich auf diesen Art. 8 bezieht), und meines Erachtens ist der Ausdruck „In bestimmten Situationen“ an seinem Anfang im Licht dieser früheren Stellung wie eine Grenzlinie gegenüber den Grundsätzen zu verstehen, die damals davor angeführt waren, wobei diese Analyse durch den Ausdruck „jedoch“, der in diesem 24. Erwägungsgrund beibehalten wurde, untermauert wird (vgl. Erwägungsgründe 19 und 20 sowie die Art. 4 und 5 des von der Kommission am 24. März 2010 vorgelegten Verordnungsvorschlags KOM[2010] 105 endgültig, revidiert am 16. April 2010; Lein, E., angeführt in Fn. 82, Rn. 11 a. E.).

( 85 ) Vgl. u. a. Urteile vom 15. März 2017, Al Chodor (C‑528/15, EU:C:2017:213, Rn. 30 bis 32), vom 26. April 2017, Popescu (C‑632/15, EU:C:2017:303, Rn. 35), sowie vom 8. Juni 2017, Sharda Europe (C‑293/16, EU:C:2017:430, Rn. 21).

( 86 ) Nach diesem 25. Erwägungsgrund „[sollte a]us Gründen des öffentlichen Interesses … den Gerichten der teilnehmenden Mitgliedstaaten in Ausnahmefällen die Möglichkeit gegeben werden, die Anwendung einer Bestimmung des ausländischen Rechts zu versagen, wenn ihre Anwendung in einem konkreten Fall mit der öffentlichen Ordnung (Ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar wäre. Die Gerichte sollten jedoch den Ordre-public-Vorbehalt nicht mit dem Ziel anwenden dürfen, eine Bestimmung des Rechts eines anderen Staates auszuschließen, wenn dies gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union [im Folgenden: Charta] und insbesondere gegen deren Artikel 21 verstoßen würde, der jede Form der Diskriminierung untersagt“.

( 87 ) Die deutsche Regierung macht geltend, dass in diesem besonderen Rahmen kein Bedürfnis bestehe, abweichend vom ausländischen Scheidungsstatut vollständig die lex fori anzuwenden, wie es dieser Art. 10 vorsehe, der für den Regelfall einer Ehescheidung, die konstitutiv durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werde, formuliert sei, wenn sich die abstrakte Diskriminierung durch das ausländische Scheidungsstatut im konkreten Einzelfall nicht ausgewirkt habe.

( 88 ) Wobei diese beiden Bestimmungen voneinander durch eine andere, nämlich Art. 11 über den Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung auf die Regeln des Internationalen Privatrechts des Staates, dessen Recht bezeichnet ist, getrennt sind.

( 89 ) Der Ordre-public-Vorbehalt nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1259/2010 könnte greifen, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung ihres Art. 10 nicht erfüllt sind (insbesondere wenn die in Rede stehende Diskriminierung sich auf ein anderes Kriterium als das Geschlecht der Ehegatten gründet).

( 90 ) In diesem Sinne vgl. Devers, A., und Farge, M., angeführt in Fn. 76, Rn. 28.

( 91 ) Diese Art und Weise der abstrakten Anwendung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 bedeutet jedoch nicht, dass den nationalen Richtern die Befugnis entzogen ist, oder sie vielmehr von der Pflicht befreit sind, zu prüfen, dass das nach anderen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1259/2010 bezeichnete Recht tatsächlich seinem Inhalt nach diskriminierend ist. Daher kann nicht angenommen werden, dass auf der Grundlage dieses Artikels die muslimisch inspirierten Rechtsordnungen in der Regel auszuschließen sind (zu diesem Thema vgl. Möller, L.‑M., „No Fear of Talâq: Reconsideration of Muslim Divorce Laws in Light of the Rome III Regulation“, Journal of Private International Law, 2014, Bd. 10, Nr. 3, S. 461 bis 487).

( 92 ) Hervorhebung nur hier.

( 93 ) In diesem Sinne vgl. Lein, E., angeführt in Fn. 82, Rn. 25 und von der Autorin zitierte Lehre. Der letzte Satz in diesem 24. Erwägungsgrund („Der Ordre-public-Vorbehalt sollte hiervon jedoch unberührt bleiben“) verstärkt in meinen Augen die Unterscheidung zwischen der Regel in Art. 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 und dem Ordre-public-Vorbehalt in ihrem Art. 12.

( 94 ) Aus der Begründung für den allerersten Vorschlag, der zum Erlass dieses Art. 10 führte, geht hervor, dass es das ursprüngliche Ziel des Gesetzgebers war, „die Probleme zu lösen, vor denen bestimmte ausländische Frauen stehen, die die Trennung oder Ehescheidung in einem der Mitgliedstaaten beantragen“, indem ihnen der Zugang dazu trotz der Anwendbarkeit des Rechts des Staates, dessen Staatsangehörigkeit sie haben, gestattet wird (vgl. Änderungsanträge 25 und 30 im Bericht des Europäischen Parlaments vom 21. Oktober 2008, A6‑2008/361, über den Vorschlag für eine Verordnung KOM[2006] 399, angeführt in Fn. 67).

( 95 ) Werte, die im Übrigen anderen europäischen Staaten gemein sind, da der Grundsatz der Gleichberechtigung der Ehegatten hinsichtlich der Auflösung der Ehe in Art. 5 des Protokolls Nr. 7 im Anhang der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, das im Europarat am 22. November 1984 unterzeichnet wurde, proklamiert wurde.

( 96 ) Nach ihrem 30. Erwägungsgrund „wahrt [die Verordnung Nr. 1259/2010] die Grundrechte und achtet die Grundsätze, die mit der Charta … anerkannt wurden, namentlich Artikel 21, wonach jede Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts … verboten ist. Bei der Anwendung dieser Verordnung sollten die Gerichte der teilnehmenden Mitgliedstaaten diese Rechte und Grundsätze achten“.

( 97 ) Vgl. Verordnungsvorschlag KOM(2010) 105 endgültig, Nrn. 5.3 und 6 der Begründung (insbesondere Erläuterung der Art. 2, 3 und 5), Erwägungsgründe 14, 20 und 24 sowie Art. 3 Abs. 1 und Art. 5. Insbesondere wird ausdrücklich in der Erläuterung zu Art. 2 dieses Vorschlags angeführt, dass, „[u]m zu verhindern, dass in Scheidungs- oder Trennungssachen ein ausländisches Recht zur Anwendung gelangt, das mit den gemeinsamen Werten der Europäischen Union unvereinbar ist, … Schutzklauseln eingefügt [wurden]“ (Hervorhebung nur hier).

( 98 ) Zu den Bedenken insbesondere der skandinavischen Mitgliedstaaten bei der Entstehungsgeschichte dieses Artikels und den Folgen für seine Auslegung vgl. Möller, L.‑M., angeführt in Fn. 91, S. 467 bis 470.

( 99 ) Vgl. auch Verordnungsvorschlag KOM(2010) 105 endgültig, Nrn. 2 und 5.3 der Begründung, wo darauf hingewiesen wird, dass die Vereinfachung sowohl den Ehegatten als auch den Rechtsanwendern zugutekommen werde.

( 100 ) Zwar kann die vollständige Ersetzung eines diskriminierenden ausländischen Rechts durch das Recht des Staates des angerufenen Gerichts nach Art. 10 dieser Verordnung problematisch sein, da sie zur Folge haben könnte, die Anerkennung einer in einem teilnehmenden Mitgliedstaat ausgesprochenen Ehescheidung in einem Drittstaat, mit dem die Parteien engere Verbindungen haben, zu verhindern (zu diesem Thema vgl. u. a. Lein, E., angeführt in Fn. 82, Rn. 27 und die zitierte Lehre). Die Kommission weist jedoch zu Recht darauf hin, dass die Lösung dieser Problematik in den Händen des Gesetzgebers liegt und nicht unter Umgehung des klaren Wortlauts dieses Art. 10 durch eine Anknüpfung des Letzteren an Art. 12 dieser Verordnung behoben werden kann.

( 101 ) Dies setzt voraus, dass die Auslegung des Gerichtshofs unabhängig von den Umständen des Ausgangsrechtsstreits, den Besonderheiten der betrachteten rechtlichen Situation oder den Eigenheiten des Rechts des Mitgliedstaats gilt, in dem das angerufene Gericht seinen Sitz hat. Insoweit erinnere ich daran, dass nach dem neunten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1259/2010 diese in ihrem Anwendungsbereich „einen klaren, umfassenden Rechtsrahmen … vorgeben“ sollte und dass ihr Kapitel II, in dem dieser Art. 10 enthalten ist, die Überschrift „Einheitliche Vorschriften zur Bestimmung des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts“ trägt (Hervorhebung nur hier).

( 102 ) Laut dem vorlegenden Gericht könnte eine Einwilligung der Ehefrau in die bewirkte Scheidung hier in der unterschriftlich bestätigten Entgegennahme von Geldleistungen durch die Betroffene verbunden mit der Erklärung erkannt werden, den Ehemann von seinen Pflichten aus dem Ehevertrag zu befreien.

( 103 ) An einer hinreichenden Freiwilligkeit dürfte es aus Sicht der deutschen Regierung fehlen, wenn der vom anzuwendenden Recht bevorzugte Ehepartner unter Ausnutzung seiner starken Stellung Zwang auf den anderen Ehepartner ausübe, die Ausgleichsleistung entgegenzunehmen, oder wenn der abstrakt diskriminierte Ehepartner seine Einwilligung erklärt habe, ohne sich der Tragweite seiner Entscheidung vollständig bewusst zu sein oder auf der Grundlage unzureichender Informationen entscheide, was das angerufene Gericht zu prüfen habe.

( 104 ) Herr Mamisch hat geltend gemacht, dass die Anwendung dieses Art. 10 nicht zulasten der Person, der Schutz gegen die Diskriminierungen gewährt werde, erfolgen dürfe, was der Fall sei, wenn eine Verstoßung nicht anerkannt werden könne, obwohl die betreffende Ehefrau eine solche Trennung freiwillig angenommen habe, weil sie erneut heiraten wolle.

( 105 ) Hervorhebung nur hier.

( 106 ) Die französische Regierung schließt daraus, dass der Umstand, dass der diskriminierte Ehegatte die Entgegennahme einer Ausgleichsleistung gebilligt habe, nicht geeignet sei, dessen Bereitschaft zum Einverständnis mit der Ehescheidung und damit das Vorliegen eines Scheidungsverfahrens zu belegen, das den Grundsatz der Gleichbehandlung der Ehegatten im Sinne dieses Art. 10 achte.

( 107 ) Vgl. Art. 1 Abs. 2 Buchst. e und g dieser Verordnung sowie zehnter Erwägungsgrund.

( 108 ) Hervorhebung nur hier.

( 109 ) Im vorliegenden Fall die Leistung einer Ausgleichszahlung am 12. September 2013.

( 110 ) Im vorliegenden Fall eine am 19. und 20. Mai 2013 erfolgte Ehescheidung durch eine Verstoßung, die vom Ehemann ausgesprochen und sodann durch eine geistliche Stelle eingetragen wurde.

( 111 ) Die Gleichsetzung durch das vorlegende Gericht lässt sich vielleicht durch die Tatsache erklären, dass nach den deutschen Kollisionsnormen für eine solche Geldleistung das auf die Ehescheidung selbst – und nicht auf ihre Rechtswirkungen – anwendbare Recht maßgebend sein könnte, wenn sie als eine Ausgleichsleistung und nicht als ein Unterhalt der Ehefrau nach der Ehescheidung eingestuft würde (vgl. in diesem Sinne Möller, L.‑M., angeführt in Fn. 91, S. 476 und Fn. 53).

( 112 ) Entscheidung angeführt in Nr. 22 der vorliegenden Schlussanträge.

( 113 ) Wobei der Gerichtshof dafür zuständig ist, auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen Erklärungen dem vorlegenden Gericht Hinweise zu geben, die ihm die Entscheidung ermöglichen (vgl. u. a. Urteil vom 5. Juni 2014, I, C‑255/13, EU:C:2014:1291, Rn. 55).

( 114 ) Insoweit zieht die Kommission eine Analogie zu anderen Bereichen des Unionsrechts (insbesondere zum Verbraucherschutz), in denen solche Normen unabdingbar seien, gerade um zu vermeiden, dass die schwächere Partei, von der vermutet werden dürfe, dass sie von der stärkeren Partei unter Druck gesetzt werden könne, auf ihre garantierten Rechte verzichte und auf diese Weise den Schutz verliere, den ihr das Unionsrecht gewähren wolle.

( 115 ) Vgl. auch Nrn. 84 ff. der vorliegenden Schlussanträge.

( 116 ) Vgl. u. a. Verordnungsvorschlag KOM(2010) 105 endgültig (Nrn. 2.2, 2.3 a. E., 5.3 sowie Nr. 6 [insbesondere Erläuterung der Art. 2, 3 und 5] der Begründung; Erwägungsgründe 14, 20 und 24; Art. 3 Abs. 1 und Art. 5) sowie Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 29. April 2010 (ABl. 2011, C 44, S. 167, Nrn. 3.3 und 3.4).

( 117 ) Unter dem gleichen Blickwinkel betont das Urteil des EGMR vom 22. März 2012, Konstantin Markin/Russland (ECLI:CE:ECHR:2012:0322JUD003007806, § 150), dass „im Hinblick auf die grundlegende Bedeutung, die das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts hat, ein Verzicht auf das Recht, nicht auf diese Weise diskriminiert zu werden, nicht akzeptiert werden kann, würde er doch bedeutenden öffentlichen Interessen zuwiderlaufen“.