SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 31. Mai 2017 ( 1 )

Rechtssache C‑164/16

Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs

gegen

Mercedes-Benz Financial Services UK Ltd

(Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal [England & Wales] [Civil Division] [Rechtsmittelgericht (England und Wales) (Zivilabteilung), Vereinigtes Königreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 14 Abs. 2 Buchst. b – Lieferung von Gegenständen – Leasingvertrag mit Kaufoption gegen Zahlung eines erheblichen Betrags“

1. 

Der Leasingvertrag bereitet weiterhin Auslegungsschwierigkeiten im Hinblick auf die Bestimmungen über die Mehrwertsteuer. Wegen des gemischten Charakters dieses Vertrags ist es nicht immer offensichtlich, ob er als Lieferung von Gegenständen oder als Erbringung von Dienstleistungen einzustufen ist. Dies hat wiederum wesentliche Konsequenzen für die Steuerpflichtigen.

2. 

Zwar hat sich der Gerichtshof bereits mehrfach mit Leasingverträgen befasst, doch in keinem dieser Fälle hat er endgültig entschieden, wie Umsätze dieser Art unter mehrwertsteuerrechtlichen Gesichtspunkten einzuordnen sind. In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof die Gelegenheit haben, diese Frage genauer zu beleuchten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3.

Art. 14 der Richtlinie 2006/112/EG ( 2 ) bestimmt:

„(1)   Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

(2)   Neben dem in Abs. 1 genannten Umsatz gelten folgende Umsätze als Lieferung von Gegenständen:

b)

die Übergabe eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags, der die Vermietung eines Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Ratenverkauf eines Gegenstands vorsieht, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird;

…“

4.

Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“

Recht des Vereinigten Königreichs

5.

Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 wurde in Schedule 4 Paragraph (2)(b) des Anhangs 4 des Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz 1994) in Verbindung mit Section 5 dieses Gesetzes in das Recht des Vereinigten Königreichs umgesetzt.

6.

Gemäß Section 99 des Consumer Credit Act 1974 (Verbraucherkreditgesetz 1974) ist der Schuldner bis zur Fälligkeit seiner letzten Zahlung nach dem als „hire purchase agreement“ bezeichneten Vertrag, der diesem Gesetz unterliegt, berechtigt, den Vertrag durch Kündigung aufzulösen, nachdem er gegebenenfalls den nach Section 100 dieses Gesetzes berechneten Betrag entrichtet hat.

7.

Section 189 des Verbraucherkreditgesetzes 1974 definiert das „hire purchase agreement“ als einen Vertrag, kraft dessen Gegenstände gegen periodische Geldleistungen vermietet werden, wobei der Übergang des Eigentums am Vertragsgegenstand auf den Mieter von der Erfüllung der Vertragsbedingungen und dem Eintritt bestimmter Umstände abhängt, u. a. der Ausübung einer Kaufoption durch den Mieter.

Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

8.

Die Mercedes-Benz Financial Services UK Ltd (im Folgenden: MBFS) ist eine Tochtergesellschaft der Daimler AG mit Sitz im Vereinigten Königreich. Sie bietet Finanzprodukte in Bezug auf die Nutzung und den Erwerb von Kraftfahrzeugen an. Das Angebot umfasst drei verschiedene Standardverträge über die Nutzung von Fahrzeugen: Miete („leasing“), einen „Hire-purchase“-Vertrag sowie einen als „Agility“ bezeichneten gemischten Vertrag.

9.

Der Mietvertrag schließt den Erwerb des Fahrzeugs durch den Mieter nach dem Ablauf der Mietzeit aus. Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass dieser Vertrag als Erbringung von Dienstleistungen im Sinne der Bestimmungen über die Mehrwertsteuer einzustufen ist. Der „Hire-purchase“-Vertrag ist im Gegensatz dazu so konstruiert, dass die Summe der Raten grundsätzlich dem Preis des Fahrzeugs inklusive der Finanzierungskosten entspricht. Der Vertrag kann entweder gleichbleibende Raten oder eine erheblich höhere Schlussrate vorsehen (sogenanntes „balloon payment“), der Kunde ist aber grundsätzlich zur Zahlung aller Raten verpflichtet. Er kann sich von dieser Verpflichtung nur befreien, indem er den Vertrag kündigt, was ihm die oben angeführten Bestimmungen über den Verbraucherkredit ermöglichen. Der Vertrag enthält eine Option, mit deren Ausübung der Kunde das Fahrzeug am Ende der Mietzeit gegen Entrichtung einer symbolischen Schlusszahlung (üblicherweise 95 GBP) kaufen kann. Da die Summe der Raten aber dem Gesamtpreis des Fahrzeugs entspricht, macht es wirtschaftlich gesehen keinen Sinn, auf die Ausübung der Kaufoption für das vollständig abbezahlte Fahrzeug zu verzichten. Im Ausgangsverfahren besteht Einigkeit darüber, dass der „Hire-purchase“-Vertrag als Lieferung von Gegenständen im Sinne der Bestimmungen über die Mehrwertsteuer einzustufen ist.

10.

Der Streit im Ausgangsverfahren betrifft den Agility-Vertrag und seine mehrwertsteuerrechtliche Einordnung.

11.

Dieser Vertrag ist so konstruiert, dass dem Mieter nach dem Ablauf der Mietzeit die Kaufoption für das Fahrzeug unter der Bedingung offensteht, dass er den Schlussbetrag („optional purchase payment“) entrichtet, der dem voraussichtlichen mittleren Wert des Fahrzeugs zum Erwerbszeitpunkt entspricht (in den vom vorlegenden Gericht genannten Beispielen lag dieser zwischen 42 % und 48 % des ursprünglichen Preises). Die Summe der Raten entspricht dabei dem übrigen Teil des Fahrzeugpreises inklusive Finanzierungskosten. Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts nutzt etwa die Hälfte der Kunden die Kaufoption für das Fahrzeug.

12.

Nach Ansicht der Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (Steuerbehörde des Vereinigten Königreichs) betrifft der Agility-Vertrag die Lieferung von Gegenständen im Sinne der Bestimmungen über die Mehrwertsteuer. Die Behörde bestätigte diese Auffassung in ihrer Auslegung der Steuervorschriften vom 16. Dezember 2008. Am 23. Dezember 2008 legte MBFS gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel beim erstinstanzlichen Gericht ein, das von diesem Gericht am 17. Dezember 2012 abgewiesen wurde. Dieses Urteil wurde allerdings in der zweiten Instanz mit Urteil vom 2. Mai 2014 aufgehoben, gegen das wiederum die Steuerbehörde Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht einlegte.

13.

Unter diesen Umständen hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Rechtsmittelgericht [England und Wales] [Zivilabteilung], Vereinigtes Königreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Was bedeuten die Worte „eines Vertrags, … der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird“, in Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112?

2.

Verlangt unter den Umständen des vorliegenden Falles insbesondere das Wort „regelmäßig“ von einer Steuerbehörde, sich darauf zu beschränken, das Bestehen einer Kaufoption festzustellen, die bis zur Zahlung der letzten fälligen Rate ausgeübt werden kann?

3.

Oder verlangt das Wort „regelmäßig“ von der nationalen Behörde, weiter zu gehen und den wirtschaftlichen Zweck des Vertrags zu bestimmen?

4.

Falls Frage 3 bejaht wird:

a)

Sollte bei der Auslegung von Art. 14 Abs. 2 die Prüfung der Frage eine Rolle spielen, ob es wahrscheinlich ist, dass der Kunde ein solches Optionsrecht ausüben wird?

b)

Ist die Höhe des bei der Ausübung der Kaufoption zu zahlenden Preises für die Bestimmung des wirtschaftlichen Zwecks des Vertrags relevant?

14.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 21. März 2016 beim Gerichtshof eingegangen. MBFS, die Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Niederlande sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. MBFS, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission waren in der Verhandlung am 19. Januar 2017 vertreten.

15.

MBFS, die niederländische Regierung und die Kommission sind der Auffassung, dass Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 auf Verträge Anwendung finde, die eine Kaufoption für den Vertragsgegenstand enthielten, wenn die Ausübung dieser Option durch den Mieter sicher oder sehr wahrscheinlich erscheine. Die Regierung des Vereinigten Königreichs misst hingegen der Frage, ob die Übertragung des Eigentums am Vertragsgegenstand automatisch erfolgt oder einen optionalen Charakter hat, keine Bedeutung zu. Nach ihrer Auffassung kommt Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 immer zur Anwendung, wenn der Mieter infolge der Zahlung der letzten Rate Eigentümer des Vertragsgegenstands wird, selbst wenn die Zahlung dieser letzten Rate freiwillig erfolgt.

Würdigung

16.

Mit den Vorlagefragen, die einheitlich zu beantworten sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen klären, ob, und falls ja, unter welchen Umständen ein Mietvertrag mit einer Option für den Kauf des Mietgegenstands durch den Mieter nach dem Ablauf der Mietzeit als Lieferung von Gegenständen nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 einzustufen ist. Ich schlage vor, zu Beginn der Würdigung auf den Wortlaut dieser Bestimmung einzugehen.

Wortlautauslegung von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112

17.

Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 betrifft seinem Wortlaut nach Verträge, die die Übertragung der Befähigung bezwecken, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, die aber die Übertragung dieser Befähigung zeitlich hinausschieben, so dass sie nicht schon mit der Übergabe der Sache an den Erwerber erfolgt, sondern erst mit der vollständigen Kaufpreiszahlung durch den Erwerber.

18.

Derartige Verträge haben oft einen gemischten Charakter und weisen zugleich Merkmale von Miet- und Kaufverträgen auf. Diesen Charakter geben die Bezeichnungen dieser Verträge in manchen Sprachen zutreffend wieder: „hire purchase“ im Englischen oder „location vente“ im Französischen. Im Rahmen eines solchen Vertrags verpflichtet sich der Vermieter/Verkäufer dazu, die Sache dem Mieter/Käufer für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung zu stellen und anschließend, nach der Zahlung aller Raten durch den Mieter/Käufer, das Eigentum an dieser Sache auf ihn zu übertragen. Dem Mieter steht hingegen das Recht der ausschließlichen Nutzung der Sache zu. Zudem erwirbt er, optional oder automatisch, nach der Beendigung des Vertrags das Eigentum. Im Gegenzug ist er verpflichtet, alle im Vertrag vorgesehenen Raten zu bezahlen, die in ihrer Gesamtheit dem Preis für den Erwerb des Vertragsgegenstands entsprechen.

19.

Im Rahmen eines derartigen Vertrags erfolgt die Übertragung des Eigentums auf den Mieter/Käufer zwar zeitlich verzögert, aber doch „regelmäßig“, da sie für gewöhnlich mit der Vertragserfüllung einhergeht. Die Eigentumsübertragung kann nur an außerordentlichen Umständen scheitern, insbesondere wenn eine der Parteien den Vertrag kündigt. Das Recht zur Vertragskündigung kann sich entweder aus dem Vertrag selbst (z. B. wenn eine der Parteien ihren Verpflichtungen nicht nachkommt) oder aus den gesetzlichen Bestimmungen ergeben. Das Recht zur Vertragskündigung ändert aber nichts an der rechtlichen Einordnung dieses Vertrags im Hinblick auf Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112, da er „regelmäßig“ die Eigentumsübertragung zur Folge hat.

20.

Die Übertragung des Eigentums erfolgt bei Verträgen dieser Art für gewöhnlich mit der vollständigen Kaufpreiszahlung durch den Mieter/Käufer, wobei zusätzlich die Abgabe einer einseitigen Willenserklärung über die Ausübung der Kaufoption für den Vertragsgegenstand durch diesen erforderlich sein kann. In diesem Kontext ist der Begriff der „letzten fälligen Rate“ in Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 zu verstehen. Es geht also um die Entrichtung der letzten Zahlung, zu der der Mieter/Käufer aufgrund des Vertrags verpflichtet war.

21.

Am Rande (da dies die vorliegende Rechtssache nicht betrifft) sei erwähnt, dass Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 neben „Hire-purchase“-Verträgen auch Ratenkaufverträge erfasst, nach denen der Vertragsgegenstand dem Käufer vor der Zahlung des vollständigen Kaufpreises übergeben wird, das Eigentum aber erst nach der Erfüllung dieser Verpflichtung auf ihn übergeht. Diese Verträge weisen keine mietvertragstypischen Merkmale auf, ähneln in ihrer Funktionsweise aber den „Hire-purchase“-Verträgen.

Leasing

22.

„Hire-purchase“-Verträge zählen zu den Leasingverträgen im weiten Sinne. Der Begriff „Leasing“ ist nicht eindeutig bestimmt und kann sich auf Verträge von sehr unterschiedlichem Rechtscharakter beziehen. Ein charakteristisches Merkmal des Leasingverhältnisses ist aber, dass der Leasingvertrag aus der Sicht des Leasingnehmers für gewöhnlich an die Stelle des Eigentumserwerbs am Leasinggegenstand tritt – er erlaubt ihm, den Leasinggegenstand wie ein Eigentümer zu nutzen, ohne den gesamten Kaufpreis sofort entrichten zu müssen; die von dem Leasingnehmer (bzw. von mehreren aufeinanderfolgenden Leasingnehmern) während der Leasingzeit bezahlten Raten müssen hingegen grundsätzlich die Kosten des Erwerbs, der Amortisation und der Finanzierung des Leasinggegenstands durch den Leasinggeber abdecken.

23.

Die Übertragung des Eigentums am Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer nach der Beendigung des Leasingverhältnisses kann, muss aber nicht, Vertragsgegenstand sein. In den meisten Fällen enthalten Leasingverträge eine sogenannte Kaufoption. Es handelt sich dabei um eine einseitige Verpflichtung des Leasinggebers, das Eigentum an dem Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer zu übertragen, wenn der Leasingnehmer diese Option in Anspruch nimmt und die daran im Vertrag geknüpften Bedingungen erfüllt. Zu diesen Bedingungen zählt regelmäßig, dass ein bestimmter Betrag entrichtet werden muss, dessen Höhe sehr unterschiedlich ausfallen kann, von rein symbolischen Beträgen bis zu einem beträchtlichen Anteil am Wert des Leasinggegenstands.

24.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Leasing grundsätzlich eine Dienstleistung ( 3 ). Der Gerichtshof hat aber in den Urteilen Eon Aset Menidjmunt ( 4 ) und NLB Leasing ( 5 ) (durch Verweisung auf das erstgenannte Urteil) entschieden, dass das Leasing unter besonderen Umständen eine Lieferung von Gegenständen sein kann. Der Gerichtshof hat in diesen Urteilen im Wesentlichen entschieden, dass, „wenn der Leasingvertrag … vorsieht, dass das Eigentum [an dem Leasinggegenstand] am Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer übertragen wird oder dass der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums [an dem Leasinggegenstand] verfügt, insbesondere, dass die mit dem rechtlichen Eigentum [an dem Leasinggegenstand] verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht, der Umsatz … mit dem Erwerb eines Investitionsguts gleichzusetzen [ist]“ ( 6 ).

Internationaler Rechnungslegungsstandard zur Leasingbilanzierung

25.

Der Gerichtshof gelangt zu diesem Schluss unter Berufung auf die internationalen Rechnungslegungsstandards, die durch die Verordnung Nr. 1126/2008 ( 7 ) in das Unionsrecht aufgenommen wurden. Das Leasingverhältnis wurde im internationalen Rechnungslegungsstandard 17 (im Folgenden: IAS 17) beschrieben. Die Existenz einer Klausel, nach der vor dem Ende der Leasingzeit das Eigentum an dem Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer übertragen wird, oder der Umstand, dass die Summe der Raten grundsätzlich mit dem Marktwert des Leasinggegenstands übereinstimmt, entsprechen im Wesentlichen, wie die Kommission in ihren Erklärungen ausführt, zwei Kriterien, die gemäß Nr. 10 Buchst. a ( 8 ) und d ( 9 ) IAS 17 „für sich genommen oder in Kombination normalerweise zur Einstufung eines Leasingverhältnisses als Finanzierungsleasing führen würden“.

26.

Das Finanzierungsleasing (auch Kapitalleasing genannt) gilt als eine Form von Investition des Leasingnehmers in den Leasinggegenstand. Die Stellung des Leasingnehmers nähert sich dabei der Stellung eines Eigentümers an, der alle Früchte zieht und das ganze Risiko der Nutzung des Leasinggegenstands trägt. Man verwendet dafür bisweilen den Begriff „wirtschaftliches Eigentum“ ( 10 ). Finanzierungsleasing muss aber nicht zwingend den endgültigen Übergang des rechtlichen Eigentums auf den Leasingnehmer nach sich ziehen, insbesondere nicht in Fällen, in denen die Leasingzeit mit dem Zeitraum der wirtschaftlichen Verwendbarkeit des Leasinggegenstands übereinstimmt. Finanzierungsleasing tritt vielfach in Form von Dreiecksverhältnissen auf, in denen der Leasinggeber (für gewöhnlich ein Kreditinstitut oder ein spezialisiertes Leasingunternehmen) nur die Finanzierung sichert, der Leasinggegenstand hingegen unmittelbar vom Hersteller/Lieferer an den Leasingnehmer geliefert wird. In manchen Rechtssystemen wird nur das Finanzierungsleasing als „echtes“ Leasing eingestuft ( 11 ).

27.

Aus den oben angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs kann aber nach meiner Auffassung nicht der Schluss gezogen werden, dass jeder Leasingvertrag, der nach IAS 17 dem Finanzierungsleasing zuzuordnen ist, als Lieferung von Gegenständen gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. b einzustufen ist.

28.

Die internationalen Rechnungslegungsstandards dienen der Vereinheitlichung der Aufzeichnungen, damit diese möglichst genau die wirtschaftliche und finanzielle Lage eines Unternehmens widerspiegeln, selbst wenn sich die formelle Rechtslage anders darstellt. Der Gegenstand des Finanzierungsleasings wird dementsprechend zu den Aktiva des Unternehmens des Leasingnehmers gezählt, selbst wenn er das Eigentum daran nicht erworben hat und nicht erwerben wird. Paragraf 21 des IAS 17 behandelt ausdrücklich diesen Fall ( 12 ). Gemäß Paragraf 8 des IAS 17 wird ein Leasingverhältnis als Finanzierungsleasing eingestuft, wenn „alle Risiken und Chancen, die mit dem Eigentum verbunden sind“, auf den Leasingnehmer übertragen werden. Diese Begriffe haben im vorliegenden Kontext eine wirtschaftliche Bedeutung, da sie auf die möglichen Gewinne und Verluste hindeuten, die sich aus der Nutzung des Leasinggegenstands im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit ergeben können.

29.

Zudem beruht die Aufzeichnung eines bestimmten Umsatzes u. a. auf der Kenntnis des Unternehmens von dem tatsächlichen wirtschaftlichen Charakter dieses Umsatzes und seiner beabsichtigten Wirkung. Aus diesem Grund wird sogar in Paragraf 9 des IAS 17 eingestanden, dass „[d]ie Anwendung dieser Definitionen auf die unterschiedlichen Verhältnisse des Leasinggebers und Leasingnehmers dazu führen [kann], dass sie dasselbe Leasingverhältnis unterschiedlich einstufen“.

30.

Rechtlichen Regelungen liegt jedoch eine andere Logik zugrunde. Die zutreffende rechtliche Einordnung bestimmter vertraglicher Lösungen und die Möglichkeit einer Überprüfung dieser Einordnung durch einen Hoheitsträger (auf Verwaltungs- und Gerichtsebene), deren Ergebnis vorhersehbar ist, sind hierbei von größerer Bedeutung als das wirtschaftliche Ergebnis des betreffenden Umsatzes. Die rechtliche Einordnung erfordert eine objektive Bewertung des Umsatzes als konkreter rechtlicher Vorgang, wobei diese Bewertung soweit wie möglich von allen Teilnehmern des Rechtsverkehrs geteilt werden sollte.

31.

Die obigen Erwägungen führen mich zu dem Schluss, dass Leasingverträge aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann als Lieferung von Gegenständen für die Zwecke der Mehrwertsteuer einzustufen sind, wenn mit Sicherheit angenommen werden kann, dass der Leasinggegenstand regelmäßig spätestens mit dem Ablauf der Vertragszeit auf den Leasingnehmer übertragen wird. Die folgende Argumentation spricht für diese Auffassung.

Leasingverträge und Umsatzarten nach der Richtlinie 2006/112

32.

Die Richtlinie 2006/112 sieht in Art. 2 Abs. 1 zwei Hauptarten von besteuerten Umsätzen vor: die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen (sowie den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen und die Einfuhr von Gegenständen, die jedoch funktionell besondere Formen der Lieferung von Gegenständen darstellen). Die Lieferung von Gegenständen wird in Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie prinzipiell als „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“, definiert. Eine Definition der Erbringung von Dienstleistungen fehlt hingegen. Gemäß Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 gilt als Dienstleistung „jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist“. Grundsätzlich kann nach meiner Ansicht als Lieferung von Gegenständen nur ein Umsatz eingestuft werden, der tatsächlich die in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 genannte Definition erfüllt bzw. der Lieferung von Gegenständen in anderen Bestimmungen der Richtlinie ausdrücklich gleichgesetzt wurde. Zu diesen Bestimmungen zählt u. a. der in dieser Rechtssache angeführte Art. 14 Abs. 2 Buchst. b. Bei allen anderen Umsätzen handelt es sich um Erbringung von Dienstleistungen.

33.

Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 handelt nicht von der Übertragung des Eigentums, sondern von der Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Dadurch soll die Definition der Lieferung von Gegenständen von den verschiedenen Regelungen in den Mitgliedstaaten, die den Zeitpunkt und die Art und Weise der Übertragung des Eigentums infolge eines Kaufvertrags oder anderer rechtlicher Vorgänge betreffen, losgelöst werden. Unterschiedlich geregelt kann z. B. die Frage sein, ob das Eigentum schon mit dem Vertragsschluss übergeht oder erst mit der Übergabe der Sache, was sich auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht auswirkt. In jedem Fall aber erfordert die Erlangung der Befähigung durch den Käufer, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, dass irgendwann eine Übertragung des Eigentums bzw. eines anderen dinglichen Rechts erfolgt, das ähnliche Rechte wie das Eigentum gewährt.

34.

Der Gerichtshof hat zwar mehrfach entschieden, dass der Begriff der Lieferung von Gegenständen sich nicht nur auf die Eigentumsübertragung in den im anwendbaren nationalen Recht vorgesehenen Formen bezieht, sondern jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands umfasst, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer ( 13 ).

35.

Diese Urteile betreffen aber nur entweder den Zeitpunkt, zu dem die Lieferung der Gegenstände erfolgt ist (Rechtssache Shipping and Forwarding Enterprise Safe), oder die Person, die die Lieferung vorgenommen hat (Rechtssachen Auto Lease Holland und Fast Bunkering Klaipėda), oder schlussendlich die Frage, ob die Übertragung der Befähigung, über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, einen förmlichen Vertrag erfordert oder auch infolge tatsächlicher Umstände erfolgen kann, z. B. durch gutgläubigen Erwerb (Rechtssache Ewita‑K). Diese Rechtssachen betrafen allesamt Fälle, in denen die Eigentumsübertragung gemäß dem von den Parteien geschlossenen Vertrag bereits erfolgt war oder künftig erfolgen sollte und nur die genauen Umstände dieser Übertragung, die für die Feststellung der steuerlichen Verpflichtungen der beteiligten Wirtschaftsteilnehmer wesentlich waren, geklärt werden mussten.

36.

Nur in der Rechtssache Eon Aset Menidjmunt hat der Gerichtshof angenommen, dass eine Lieferung von Gegenständen vorliegen kann, wenn unklar oder zumindest dem dargelegten Sachverhalt nicht zu entnehmen war, ob der streitgegenständliche Leasingvertrag die Übertragung des Eigentums an dem Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer vorsah. Trotz dieser Unklarheit hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Leasen eines Gegenstands mit dem Erwerb eines Investitionsguts gleichzusetzen ist, wenn der Leasingvertrag die Übertragung des Eigentums an dem Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer vorsieht oder wenn der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums an dem Leasinggegenstand verfügt, insbesondere die mit dem rechtlichen Eigentum an dem Fahrzeug verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht. Ich denke, dass diese Entscheidung im Licht des Wortlauts und des Zwecks von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 präzisiert werden muss.

37.

Wie ich bereits dargelegt habe, dient die Definition der Lieferung von Gegenständen in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dazu, diesen Begriff von den formalrechtlichen Aspekten des Zeitpunkts und der Art und Weise der Übertragung des Eigentums in den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten loszulösen. Zur Feststellung der mehrwertsteuerpflichtigen Person und des Zeitpunkts der Entstehung der Steuerpflicht muss also nicht auf die formelle Eigentumsübertragung abgestellt werden, es genügt die Prüfung der Übertragung der tatsächlichen Befähigung, über einen Gegenstand zu verfügen.

38.

Dies ist nach meiner Ansicht aber nur unter der Voraussetzung möglich, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt die rechtliche und die tatsächliche Lage durch eine förmliche Übertragung des Eigentums (oder eines anderen entsprechenden Rechts) oder die Feststellung, dass dieses Recht aufgrund tatsächlicher Umstände übergegangen ist, in Übereinstimmung gebracht werden.

39.

Anders verhält es sich nur mit Gegenständen, die naturgemäß und zwingend dem Verbrauch unterliegen ( 14 ). In diesem Fall folgt aus dem Nutzungsrecht die Möglichkeit, den Gegenstand zu verbrauchen, es gleicht sich also so sehr dem Eigentumsrecht an, dass die Gewährung des Nutzungsrechts als Lieferung von Gegenständen im Sinne der Bestimmungen über die Mehrwertsteuer eingestuft werden kann.

40.

In Bezug auf Sachen hingegen, die nicht verbraucht werden und die von ihrem Nutzer, z. B. einem Leasingnehmer, nach dem Ablauf der Nutzungszeit grundsätzlich zurückgegeben werden müssen, kann nicht von der Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über die Sache zu verfügen, die Rede sein. Die Übergabe der Sache an den Leasingnehmer kann also nur dann als Lieferung von Gegenständen eingestuft werden, wenn mit Sicherheit angenommen werden kann, dass das Eigentum an dem Leasinggegenstand nach dem Ablauf der vereinbarten Leasingzeit regelmäßig auf ihn übertragen wird. In diesem Fall befindet sich der Leasingnehmer in einer Lage, die der des Eigentümers entspricht, wobei aber seine Berechtigung zur Verfügung über den Leasinggegenstand vorübergehend beschränkt ist.

41.

Für diese Auslegung spricht insbesondere Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112, in dem nicht von der Übertragung der Befähigung zur Verfügung über einen körperlichen Gegenstand die Rede ist, sondern ausdrücklich von der Übertragung des Eigentums. Dies deutet nach meiner Ansicht darauf hin, dass der Gesetzgeber dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung Verträge unterwerfen wollte, die eine Übertragung des Eigentums zur Folge haben, auch wenn diese Übertragung zeitlich verzögert nach der Übergabe der Sache an den (künftigen) Erwerber erfolgt. Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber lediglich entschieden, dass der gesamte Umsatz von Anfang an als Lieferung von Gegenständen einzustufen ist.

42.

Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 ist deswegen dahin auszulegen, dass er nur diejenigen Leasingverträge umfasst, bei denen mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass das Eigentum an dem Leasinggegenstand nach dem Ablauf der Vertragszeit regelmäßig auf den Leasingnehmer übergehen wird.

43.

Dies trifft vor allem auf „Hire-purchase“-Verträge zu, bei denen die Summe der Leasingraten, zu deren Zahlung der Leasingnehmer verpflichtet ist, den gesamten Preis des Leasinggegenstands ausmacht, an dem der Leasingnehmer kraft des Vertrags Eigentum erwirbt, sobald die letzte Rate bezahlt ist. Bei einem derart konstruierten Rechtsverhältnis besteht nur dann die Möglichkeit, dass der Leasingnehmer kein Eigentum am Leasinggegenstand erwirbt, wenn eine der Parteien den Vertrag nicht erfüllt oder kündigt. Dazu kann es aber bei Verträgen jeder Art kommen. Art. 90 der Richtlinie 2006/112 sieht für diesen Fall die Möglichkeit einer entsprechenden Berichtigung der Mehrwertsteuer vor.

44.

Ich gehe außerdem davon aus, dass, wenn die Summe der Leasingraten, die der Leasingnehmer zu entrichten verpflichtet ist, dem Gesamtpreis des Leasinggegenstands entspricht, und der Leasingnehmer infolgedessen nach der Bezahlung aller Raten das Eigentum an dem Leasinggegenstand ohne weitere Zahlungen oder gegen Zahlung eines symbolischen Betrags erwerben kann, die Übertragung des Eigentums am Leasinggegenstand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgen wird, da der Leasingnehmer andernfalls wirtschaftlich irrational handeln würde.

45.

Diese Annahme setzt allerdings voraus, dass der Leasingvertrag eine Kaufoption für den Leasinggegenstand enthält, die der Leasingnehmer ausüben kann, d. h., dass die Eigentumsübertragung ausschließlich vom Willen des Leasingnehmers abhängt. Nur unter dieser Voraussetzung kann man nämlich davon ausgehen, dass der Leasingnehmer rational handeln wird. Selbstverständlich sind besondere Fallgestaltungen denkbar – z. B. wenn es sich bei dem Leasinggegenstand um Spezialmaschinen oder Anlagen handelt, für die wenige Abnehmer vorhanden sind, und die Leasingzeit die gesamte Dauer der wirtschaftlich sinnvollen Nutzung des Leasinggegenstands umfasst –, in denen es nicht zur Eigentumsübertragung kommt, obwohl der Leasingnehmer mit den Leasingraten den vollen Preis des Leasinggegenstands bezahlt hat. Dies sind aber Ausnahmefälle, die unter mehrwertsteuerrechtlichen Gesichtspunkten auch als solche behandelt werden können.

46.

Dementsprechend sind die oben angeführten Urteile Eon Aset Menidjmunt ( 15 ) und NLB Leasing ( 16 ) dahin auszulegen, dass als Lieferung von Gegenständen grundsätzlich sowohl ein Vertrag gilt, nach dem die Übertragung des Eigentums am Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer schon kraft des Vertrags nach der Zahlung aller Raten erfolgt, zu deren Zahlung der Leasingnehmer verpflichtet ist, als auch ein Leasingvertrag, nach dem dem Leasingnehmer nach der Zahlung aller Raten, zu deren Zahlung er verpflichtet ist, die Möglichkeit offensteht, das Eigentum am Leasinggegenstand durch eine einseitige Willenserklärung unentgeltlich oder gegen Zahlung eines symbolischen Betrags zu erwerben. In diesem zweiten Fall können allerdings besondere Umstände des konkreten Vertragsverhältnisses dazu führen, dass es sich bei dem Umsatz um die Erbringung von Dienstleistungen handelt.

47.

Nach meiner Auffassung kann diese spezifische Vermutung, dass nach dem Ablauf der Leasingzeit das Eigentum an dem Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer übergehen wird, nicht auf andere Fälle erstreckt werden, die nach IAS 17 zum sogenannten Finanzierungsleasing gezählt werden. Mit Sicherheit gilt dies für die in Paragraf 10 Buchst. c ( 17 ) und e ( 18 ) genannten Fälle, die die Übertragung des Eigentums am Leasinggegenstand nach dem Ablauf der Leasingzeit überhaupt nicht vorsehen ( 19 ). Ähnlich verhält es sich mit den in Paragraf 11 des IAS 17 beschriebenen Fällen, von denen zwei (Buchst. a und b) nur den Übergang des Vertragsrisikos auf den Leasingnehmer betreffen, und der dritte (Buchst. c) den Eigentumsübergang ganz ausschließt, da er die Verlängerung des Leasingverhältnisses für einen weiteren Zeitabschnitt regelt.

48.

Ich teile auch nicht die von der Kommission in ihren Erklärungen in der vorliegenden Rechtssache vertretene Auffassung, wonach unter den in Paragraf 10 Buchst. b ( 20 ) des IAS 17 beschriebenen Umständen der Leasingvertrag als Lieferung von Gegenständen einzustufen sei. Die Entscheidung über den Erwerb des Eigentums am Leasinggegenstand muss nicht ausschließlich von seinem Preis abhängen, sie beruht vielmehr auf einer Prüfung des Bedarfs des Unternehmens und der Verwendbarkeit des Leasinggegenstands in seiner künftigen Tätigkeit oder der Möglichkeit, ihn zu einem vorteilhaften Preis zu verkaufen. Wenn die Ablösesumme einen bedeutenden Anteil am Gesamtpreis des Leasinggegenstands ausmacht, berechtigt nach meinem Dafürhalten nichts von vornherein zu der Annahme, dass der Leasingnehmer künftig die Option ausüben wird, und zwar selbst dann nicht, wenn diese Ablösesumme erheblich niedriger ist als der Marktwert des Leasinggegenstands zum Zeitpunkt der Beendigung des Leasingverhältnisses. Im Gegenteil, wenn z. B. die in Paragraf 10 Buchst. b und c des IAS 17 beschriebenen Umstände kombiniert auftreten, was unschwer vorstellbar ist, ist es nach meiner Ansicht eher wahrscheinlich, dass es nicht zur Eigentumsübertragung kommt.

49.

Die von mir vorgeschlagene Auslegung von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 ist mit dem Wortlaut dieser Bestimmung vereinbar. Ich erinnere daran, dass diese Bestimmung Verträge umfasst, die „regelmäßig die Klausel [enthalten], dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird“.

50.

Der Vertrag muss also, erstens, eine Klausel über den Eigentumsübergang enthalten. Diese Klausel kann entweder bestimmen, dass das Eigentum mit der Beendigung der Vertragszeit automatisch übergeht, oder eine Kaufoption für den Leasinggegenstand enthalten. Verträge, die keinen Eigentumsübergang vorsehen, werden hingegen von der oben genannten Bestimmung nicht erfasst.

51.

Zweitens muss die Eigentumsübertragung regelmäßig erfolgen. Als regelmäßig kann ein vom Vertrag vorgegebener Geschehensablauf gelten, also die gewöhnliche Vertragserfüllung. Als regelmäßig können auch Handlungen wie die Ausübung einer Kaufoption gelten, die zwar formell gesehen fakultativ sind, in der Praxis aber die einzige wirtschaftlich sinnvolle Handlungsweise darstellen. An der Regelmäßigkeit fehlt es hingegen, wenn der Leasingnehmer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine wirkliche Wahlmöglichkeit hat, da in diesem Fall das Eigentum „regelmäßig“ sowohl übertragen werden kann als auch nicht.

52.

Drittens schlussendlich muss die Eigentumsübertragung spätestens mit der Zahlung der letzten Rate erfolgen ( 21 ). Unter Rate ist nach meiner Auffassung jeder Betrag zu verstehen, den der Leasingnehmer nach dem Vertrag zu zahlen verpflichtet ist. Leasingverträge mit Kaufoption eröffnen mit der Zahlung der letzten Rate die Möglichkeit, diese Option auszuüben. Wenn aber die Summe der (Pflicht‑)Raten dem Gesamtpreis des Leasinggegenstands entspricht und die Ausübung der Option keine weiteren Zahlungen von erheblicher Höhe erfordert, ist zu vermuten, dass die Eröffnung der Möglichkeit zur Optionsausübung in der Praxis mit der Eigentumsübertragung gleichbedeutend ist. Genau auf diese Annahme stützt sich die Auslegung, die Verträge dieser Art dem Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 unterwirft.

53.

Wenn der Leasingnehmer hingegen tatsächlich entscheiden muss, ob er die Kaufoption ausübt, kann die Zahlung aller Pflichtraten nicht als ein Vorgang aufgefasst werden, der die Eigentumsübertragung zur Folge hat, da diese erst mit der Ausübung der Option durch den Leasingnehmer erfolgt. Kein Vertrag dieser Art kann also gewährleisten, dass die Eigentumsübertragung spätestens mit der Zahlung der letzten Rate erfolgt. Wenn der Begriff der letzten Rate dahin ausgelegt würde, dass er sich auf die Zahlung des Kaufpreises bezieht, führte dies zu der absurden Schlussfolgerung, dass alle Verträge, die eine Option zum Kauf des Leasinggegenstands nach dem Ablauf der Leasingzeit enthalten, dem Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 unterfallen, also als Lieferung von Gegenständen gelten.

54.

Die Anwendung von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 auf Leasingverträge, die solche Klauseln wie die in Nr. 45 der vorliegenden Schlussanträge genannten nicht enthalten, widerspräche daher nicht nur dem Wortlaut und dem Zweck dieser Bestimmung, sondern auch allgemeiner gefasst der Systematik und der Logik der Klassifizierung der verschiedenen Arten besteuerter Umsätze, die diese Richtlinie vornimmt. Als Lieferung von Gegenständen müssten dann nämlich Umsätze eingestuft werden, deren Hauptzweck die Nutzungsüberlassung einer Sache ist, also eine Dienstleistung par excellence, während die Übertragung des Eigentums an dieser Sache nur ein mögliches Zusatzelement darstellt.

55.

Wie bereits von mir erwähnt, tritt das Leasingverhältnis oft an die Stelle des Eigentums an der Sache, ist aber, anders als im Fall von „Hire-purchase“-Verträgen, nicht zwingend ein Mittel zur Erlangung des Eigentums. Wirtschaftsteilnehmer ziehen es manchmal vor, Produktionsmittel im Rahmen einer Dienstleistung zu nutzen, die von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer erbracht wird, statt das Eigentum an diesen Produktionsmitteln zu erwerben. Dies hat u. a. den Vorteil, dass auf den Erwerb eines Produktionsmittels, das Umsätze – und damit die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug – erst in der Zukunft generieren wird, nicht die gesamte Mehrwertsteuer im Voraus bezahlt werden muss. Ich halte es nicht für angezeigt, diese Vertragsfreiheit (außer selbstverständlich in Betrugs- und Missbrauchsfällen) dadurch einzuschränken, dass ein Rechtsverhältnis, das nach dem Willen der Parteien die Erbringung von Dienstleistungen betrifft, ohne besonderen Grund als Lieferung von Gegenständen eingestuft wird.

Ergebnis

56.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlage ich vor, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen des Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Rechtsmittelgericht [England und Wales] [Zivilabteilung], Vereinigtes Königreich) wie folgt beantwortet:

Art. 14 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein Leasingvertrag als Lieferung von Gegenständen im Sinne dieser Bestimmung gilt, wenn er die Übertragung des Eigentums am Leasinggegenstand auf den Leasingnehmer nach dem Ablauf der Leasingzeit kraft vertraglicher Vereinbarung vorsieht oder wenn er eine Klausel enthält, nach der das Eigentum am Leasinggegenstand im Wege einer einseitigen Willenserklärung des Leasingnehmers auf diesen übertragen wird, und die Summe der Raten, die der Leasingnehmer nach dem Vertrag unabhängig von dieser Willenserklärung zu zahlen verpflichtet ist, praktisch dem Kaufpreis des Leasinggegenstands inklusive Finanzierungskosten entspricht.


( 1 ) Originalsprache: Polnisch.

( 2 ) Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

( 3 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 17. Juli 1997, ARO Lease (C‑190/95, EU:C:1997:374, Rn. 11), und vom 21. Februar 2008, Part Service (C‑425/06, EU:C:2008:108, Rn. 61).

( 4 ) Urteil vom 16. Februar 2012 (C‑118/11, EU:C:2012:97).

( 5 ) Urteil vom 2. Juli 2015 (C‑209/14, EU:C:2015:440).

( 6 ) Urteile vom 16. Februar 2012, Eon Aset Menidjmunt (C‑118/11, EU:C:2012:97, Rn. 40), und vom 2. Juli 2015, NLB Leasing (C‑209/14, EU:C:2015:440, Rn. 30).

( 7 ) Verordnung der Kommission vom 3. November 2008 zur Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2008, L 320, S. 1).

( 8 ) Wonach „am Ende der Laufzeit des Leasingverhältnisses dem Leasingnehmer das Eigentum an dem Vermögenswert übertragen [wird]“.

( 9 ) Wonach „zu Beginn des Leasingverhältnisses der Barwert der Mindestleasingzahlungen im Wesentlichen mindestens dem beizulegenden Zeitwert des Leasinggegenstands [entspricht]“.

( 10 ) Vgl. Urteil vom 8. Februar 1990, Shipping and Forwarding Enterprise Safe (C‑320/88, EU:C:1990:61, Rn. 10).

( 11 ) Beispielsweise der „crédit-bail“ im französischen Recht oder der Leasingvertrag im polnischen Kodeks cywilny (Zivilgesetzbuch) (vgl. entsprechend Bénédicte, F., „Le crédit-bail financier en France“, Uniform Law Review, Nr. 1‑2/2011, S. 291 bis 332; Katner, W. J., „Leasing in the Polish civil code“, ebd., S. 401 bis 414). Vgl. auch von Bar, C., u. a. (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Sellier, München, 2009, S. 292, wo entsprechend der angelsächsischen Rechtstradition die Miete mit Kaufoption (Leasing) dem gewöhnlichen Mietvertrag (der manchmal als „true lease“ bezeichnet wird) gleichgestellt wird, wohingegen „Hire-purchase“-Verträge von dieser Kategorie ausgeschlossen werden.

(

12

)

„Transaktionen und andere Ereignisse werden entsprechend ihrem wirtschaftlichen Gehalt und den finanzwirtschaftlichen Gegebenheiten und nicht ausschließlich nach Maßgabe der rechtlichen Form bilanziert und dargestellt. Obwohl der Leasingnehmer gemäß der rechtlichen Gestaltung einer Leasingvereinbarung kein Eigentumsrecht an dem Leasinggegenstand erwirbt, besteht die wirtschaftliche Substanz und finanzwirtschaftliche Realität im Falle des Finanzierungs-Leasingverhältnisses darin, dass der Leasingnehmer den wirtschaftlichen Nutzen aus dem Gebrauch des Leasinggegenstands für den überwiegenden Teil seiner wirtschaftlichen Nutzungsdauer erwirbt und sich im Gegenzug verpflichtet, für dieses Recht einen Betrag zu zahlen, der zu Beginn des Leasingverhältnisses dem beizulegenden Zeitwert des Vermögenswerts und den damit verbundenen Finanzierungskosten annähernd entspricht.“

( 13 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 8. Februar 1990, Shipping and Forwarding Enterprise Safe (C‑320/88, EU:C:1990:61, Rn. 7), vom 6. Februar 2003, Auto Lease Holland (C‑185/01, EU:C:2003:73, Rn. 32), vom 16. Februar 2012, Eon Aset Menidjmunt (C‑118/11, EU:C:2012:97, Rn. 39), vom 18. Juli 2013, Ewita‑K (C‑78/12, EU:C:2013:486, Rn. 33), sowie vom 3. September 2015, Fast Bunkering Klaipėda (C‑526/13, EU:C:2015:536, Rn. 51).

( 14 ) Beispielsweise Treibstoffe, wie in den mit Urteilen vom 6. Februar 2003, Auto Lease Holland (C‑185/01, EU:C:2003:73), und vom 3. September 2015, Fast Bunkering Klaipėda (C‑526/13, EU:C:2015:536), abgeschlossenen Rechtssachen.

( 15 ) Urteil vom 16. Februar 2012 (C‑118/11, EU:C:2012:97, Rn. 40).

( 16 ) Urteil vom 2. Juli 2015 (C‑209/14, EU:C:2015:440, Rn. 30). Dieses Urteil betraf aber einen Fall, in dem der Gerichtshof selbst festgestellt hat, dass die tatsächlichen Umstände auf den Willen der Parteien zur Übertragung des Eigentums am Leasinggegenstand hindeuten (vgl. Rn. 31 des Urteils).

( 17 ) Wonach „die Laufzeit des Leasingverhältnisses den überwiegenden Teil der wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Vermögenswerts [umfasst], auch wenn das Eigentumsrecht nicht übertragen wird“.

( 18 ) Wonach „die Leasinggegenstände eine spezielle Beschaffenheit [haben], so dass sie ohne wesentliche Veränderungen nur vom Leasingnehmer genutzt werden können“.

( 19 ) Ich beziehe mich natürlich auf den Fall, dass diese Umstände isoliert und nicht gemeinsam mit den in Nr. 46 der vorliegenden Schlussanträge genannten Umständen auftreten.

( 20 ) Wonach „der Leasingnehmer die Kaufoption [hat], den Vermögenswert zu einem Preis zu erwerben, der erwartungsgemäß deutlich niedriger als der zum möglichen Optionsausübungszeitpunkt beizulegende Zeitwert des Vermögenswerts ist, so dass zu Beginn des Leasingverhältnisses hinreichend sicher ist, dass die Option ausgeübt wird“.

( 21 ) Schon die Verwendung des Begriffs „Rate“ (und ähnlicher Begriffe in den anderen Sprachfassungen der Richtlinie 2006/112, z. B. „instalment“ in der englischen Sprachfassung) – was im Kontext eines Mietvertrags, der eher den Begriff „Miete“ verwendet, ungewöhnlich ist – weist darauf hin, dass der Gesetzgeber Verträge im Sinn hatte, deren Ziel letztendlich die Eigentumsübertragung ist.