URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

21. Juni 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Freier Warenverkehr — Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen — Art. 35 AEUV — Unternehmen, das seinen Sitz im niederländischen Sprachgebiet des Königreichs Belgien hat — Regelung, die unter Androhung absoluter Nichtigkeit vorschreibt, dass Rechnungen in niederländischer Sprache abzufassen sind — Konzessionsvertrag mit grenzüberschreitendem Charakter — Beschränkung — Rechtfertigung — Unverhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑15/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank van koophandel te Gent (Handelsgericht Gent, Belgien) mit Entscheidung vom 18. Dezember 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Januar 2015, in dem Verfahren

New Valmar BVBA

gegen

Global Pharmacies Partner Health Srl

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, A. Arabadjiev und F. Biltgen sowie der Richter J. Malenovský, J.‑C. Bonichot, C. Vajda, S. Rodin und E. Regan (Berichterstatter),

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der New Valmar BVBA, vertreten durch P. Devos, advocaat,

der belgischen Regierung, vertreten durch J. Van Holm und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von H. De Bauw und B. Martel, advocaten,

der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriaučiūnas und R. Dzikovič als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Manhaeve, M. van Beek und G. Wilms als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. April 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der New Valmar BVBA und der Global Pharmacies Partner Health Srl (im Folgenden: GPPH) wegen mehrerer unbezahlter Rechnungen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 226 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112) führt die Angaben auf, die Rechnungen zwingend enthalten müssen.

4

Art. 248a dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können zu Kontrollzwecken und bei Rechnungen, die sich auf Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen in ihrem Gebiet beziehen oder die in ihrem Gebiet ansässige Steuerpflichtige erhalten haben, von bestimmten Steuerpflichtigen oder in bestimmten Fällen Übersetzungen in ihre Amtssprachen verlangen. Die Mitgliedstaaten dürfen allerdings nicht eine allgemeine Verpflichtung zur Übersetzung von Rechnungen auferlegen.“

Belgisches Recht

5

In Art. 4 des Grondwet (Verfassung) in der koordinierten Fassung vom 17. Februar 1994 (Belgisch Staatsblad vom 17. Februar 1994, S. 4054) heißt es:

„Belgien umfasst vier Sprachgebiete: das deutsche Sprachgebiet, das französische Sprachgebiet, das niederländische Sprachgebiet und das zweisprachige Gebiet Brüssel-Hauptstadt.

Jede Gemeinde des Königreichs gehört einem dieser Sprachgebiete an.

…“

6

Art. 129 § 1 Nr. 3 der Verfassung bestimmt:

„Die Parlamente der Französischen und der Flämischen Gemeinschaft regeln, jedes für seinen Bereich, durch Dekret und unter Ausschluss des föderalen Gesetzgebers den Gebrauch der Sprachen für:

3.

die sozialen Beziehungen zwischen den Arbeitgebern und ihrem Personal sowie die durch Gesetz und Verordnungen vorgeschriebenen Handlungen und Dokumente der Unternehmen.“

7

Art. 52 § 1 Abs. 1 der Wetten op het gebruik van de talen in bestuurzaken (Gesetze über den Sprachengebrauch in Verwaltungsangelegenheiten), koordiniert durch den Königlichen Erlass vom 18. Juli 1966 (Belgisch Staatsblad vom 2. August 1966, S. 7798) (im Folgenden: Gesetz über den Sprachengebrauch), sieht vor:

„Für die durch das Gesetz und die Verordnungen vorgeschriebenen Urkunden und Papiere … bedienen sich private Industrie-, Handels- oder Finanzbetriebe der Sprache des Gebietes, in dem ihr Sitz liegt beziehungsweise in dem ihre verschiedenen Betriebssitze liegen.“

8

Das Decreet tot regeling van het gebruik van de talen voor de sociale betrekkingen tussen de werkgevers en de werknemers, alsmede van de door de wet en de verordeningen voorgeschreven akten en bescheiden van de ondernemingen (Dekret zur Regelung des Gebrauchs der Sprachen für die sozialen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und die durch Gesetz und Verordnung vorgeschriebenen Urkunden und Papiere der Unternehmen) der Vlaamse Gemeenschap (Flämische Gemeinschaft, Belgien) vom 19. Juli 1973 (Belgisch Staatsblad vom 6. September 1973, S. 10089; im Folgenden: Dekret über den Sprachengebrauch) wurde auf der Grundlage von Art. 129 § 1 Nr. 3 der Verfassung erlassen.

9

Art. 1 dieses Dekrets bestimmt:

„Das vorliegende Dekret ist auf natürliche und juristische Personen anwendbar, die einen Betriebssitz im niederländischen Sprachgebiet haben. Es regelt den Gebrauch der Sprachen für die sozialen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie in den durch die Gesetze und Verordnungen vorgeschriebenen Urkunden und Papieren der Unternehmen.

…“

10

Art. 2 dieses Dekrets bestimmt, dass „[d]ie für die sozialen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und für die gesetzlich vorgeschriebenen Urkunden und Papiere der Unternehmen zu gebrauchende Sprache … das Niederländische [ist]“.

11

Art. 10 des Dekrets lautet:

„Dokumente und Handlungen, die gegen die Bestimmungen dieses Dekrets verstoßen, sind nichtig. Die Nichtigkeit wird durch das Gericht von Amts wegen festgestellt.

Die Ersetzung der betreffenden Dokumente wird im Urteil von Amts wegen angeordnet.

Heilung der Nichtigkeit tritt erst ab dem Tag der Ersetzung ein, d. h. bei Schriftstücken ab dem Tag, an dem die Dokumente, durch die sie ersetzt werden, bei der Kanzlei des Arbeitsgerichts eingehen.

…“

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

12

Am 12. November 2010 schlossen New Valmar, eine Gesellschaft belgischen Rechts mit Sitz in Evergem (Belgien), und GPPH, eine Gesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Mailand (Italien), einen Vertrag, mit dem GPPH in Italien als ausschließliche Konzessionsinhaberin von New Valmar für den Vertrieb von Kinderartikeln eingesetzt wurde. Dieser Vertrag war bis zum 31. Dezember 2014 befristet.

13

Art. 18 dieses Konzessionsvertrags sah vor, dass dieser italienischem Recht unterlag und die Gerichte von Gent (Belgien) für Entscheidungen über etwaige Streitigkeiten zwischen den Parteien zuständig waren.

14

Mit Einschreiben vom 29. Dezember 2011 kündigte New Valmar den Konzessionsvertrag vorzeitig zum 1. Juni 2012.

15

Am 30. März 2012 erhob New Valmar bei der Rechtbank van koophandel te Gent (Handelsgericht Gent, Belgien) Klage gegen GPPH auf Zahlung von etwa 234192 Euro zur Begleichung mehrerer offener Rechnungen.

16

GPPH beantragte mit einer Widerklage, New Valmar zur Zahlung eines Betrags von 1467448 Euro als Schadensersatz wegen rechtswidriger Kündigung des zwischen ihnen geschlossenen Konzessionsvertrags zu verurteilen.

17

Gegen die Forderung von New Valmar wandte GPPH die Nichtigkeit der im Ausgangsverfahren fraglichen Rechnungen ein und führte zur Begründung aus, dass es sich bei diesen Rechnungen um „durch das Gesetz und die Verordnungen vorgeschriebene Urkunden und Papiere“ im Sinne des Gesetzes über den Sprachengebrauch und des Dekrets über den Sprachengebrauch (im Folgenden zusammen: im Ausgangsverfahren fragliche Regelung) handele, die gegen die in dieser Regelung enthaltenen zwingenden Rechtsvorschriften verstießen, da mit Ausnahme der New Valmar betreffenden Angaben sowie der Mehrwertsteuer- und Bankdaten alle Angaben auf diesen Rechnungen, einschließlich der allgemeinen Geschäftsbedingungen, in einer anderen Sprache als der niederländischen, nämlich in italienischer Sprache abgefasst worden seien, obgleich New Valmar ihren Sitz im niederländischen Sprachgebiet des Königreichs Belgien habe.

18

New Valmar übermittelte GPPH am 14. Januar 2014 im laufenden Verfahren eine Übersetzung dieser Rechnungen in die niederländische Sprache. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht jedoch hervor, dass diese Rechnungen nach der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung nach wie vor nichtig sind.

19

New Valmar stellt nicht in Abrede, dass die betreffenden Rechnungen gegen die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung verstoßen. Sie macht jedoch geltend, dass diese Regelung u. a. gegen die unionsrechtlichen Vorschriften über den freien Warenverkehr, insbesondere gegen Art. 26 Abs. 2 sowie die Art. 34 und 35 AEUV, verstoße.

20

Das vorlegende Gericht fragt sich in Anbetracht des Urteils vom 16. April 2013, Las (C‑202/11, EU:C:2013:239), ob die mit der Androhung der Nichtigkeit verbundene Verpflichtung der Unternehmen mit Sitz im niederländischen Sprachgebiet des Königreichs Belgien, ihre Rechnungen in niederländischer Sprache abzufassen, ein Hemmnis für den internationalen Handel darstellen kann, ob dieses etwaige Hemmnis durch ein oder mehrere Ziele des Allgemeininteresses wie die Förderung des Gebrauchs einer Amtssprache oder die Gewährleistung der Wirksamkeit von Verwaltungskontrollen gerechtfertigt sein kann, und ob dieses etwaige Hemmnis in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen steht.

21

Unter diesen Umständen hat die Rechtbank van koophandel te Gent (Handelsgericht Gent) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 45 AEUV dahin auszulegen, dass er der Regelung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats, wie hier der Flämischen Gemeinschaft im Föderalstaat Belgien, entgegensteht, die jedem Unternehmen, das seinen Betriebssitz im Hoheitsgebiet dieser Einheit hat, gemäß Art. 52 des Gesetzes über den Sprachengebrauch in Verbindung mit Art. 10 des Dekrets über den Sprachengebrauch in Bezug auf Rechnungen mit grenzüberschreitendem Charakter unter Androhung der vom Gericht von Amts wegen festzustellenden Nichtigkeit die Verpflichtung auferlegt, diese Rechnungen ausschließlich in der Amtssprache der föderalen Einheit abzufassen?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit und zur Tragweite der Frage

22

Erstens geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag ausdrücklich vorsah, dass er italienischem Recht unterlag. Die Vorlagefrage beruht jedoch auf der Prämisse, dass im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits trotz der Anwendung italienischen Rechts als Vertragsstatut die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung anwendbar ist.

23

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund dessen, dass nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat (vgl. u. a. Urteil vom 18. Februar 2016, Finanmadrid EFC, C‑49/14, EU:C:2016:98, Rn. 27), die Vorlagefrage auf der Grundlage dieser Prämisse zu beantworten ist; die Prüfung der Richtigkeit dieser Prämisse – insbesondere, wie der Generalanwalt in den Nrn. 25 bis 28 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, unter Berücksichtigung der Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6) – ist indessen Sache des vorlegenden Gerichts.

24

Zweitens hat die belgische Regierung sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung den Gebrauch der niederländischen Sprache entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts in der Vorlageentscheidung nicht für alle Rechnungsangaben vorschreibe, sondern nur für die Angaben, die nach den Vorschriften über die Mehrwertsteuer gesetzlich vorgeschrieben seien. Es sei jedoch einfach, eine Übersetzung der zuletzt genannten Angaben in alle Sprachen der Europäischen Union zu erhalten, da diese Angaben in Art. 226 der Richtlinie 2006/112 aufgeführt seien.

25

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen hat. Daher muss die Prüfung des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens – ungeachtet der Kritik der belgischen Regierung an der vom vorlegenden Gericht vorgenommenen Auslegung des nationalen Rechts – in Ansehung der von diesem Gericht vorgenommenen Auslegung dieses Rechts erfolgen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 29. Oktober 2009, Pontin, C‑63/08, EU:C:2009:666, Rn. 38).

26

Im vorliegenden Fall ist bei der Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts somit die Prämisse zugrunde zu legen, dass sämtliche Rechnungsangaben gemäß der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung in niederländischer Sprache abgefasst sein müssen.

27

Drittens führt die belgische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen mangels jeglichen Zusammenhangs zwischen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation und der Arbeitnehmerfreizügigkeit unzulässig sei, jedenfalls aber keiner Beantwortung bedürfe, da es sich auf die Auslegung von Art. 45 AEUV beziehe.

28

Insoweit genügt der Hinweis, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Es ist nämlich Aufgabe des Gerichtshofs, alle Bestimmungen des Unionsrechts auszulegen, die die nationalen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den dem Gerichtshof von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind (vgl. u. a. Urteil vom 17. Dezember 2015, Szemerey, C‑330/14, EU:C:2015:826, Rn. 30).

29

Auch wenn das vorlegende Gericht seine Frage formal auf die Auslegung von Art. 45 AEUV beschränkt hat, hindert dies demnach den Gerichtshof nicht daran, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. entsprechend u. a. Urteil vom 17. Dezember 2015, Szemerey, C‑330/14, EU:C:2015:826, Rn. 31).

30

Im vorliegenden Fall geht aus den Gründen der Vorlageentscheidung ungeachtet der Erwähnung von Art. 45 AEUV in der Vorlagefrage klar hervor, dass das vorlegende Gericht feststellen möchte, ob die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung mit den Vorschriften des AEU-Vertrags zum freien Warenverkehr vereinbar ist, da dieses Gericht insoweit ausdrücklich erwähnt, dass sich New Valmar im Ausgangsverfahren auf Art. 26 Abs. 2 sowie auf die Art. 34 und 35 AEUV berufen habe.

31

Da es im Ausgangsverfahren nicht um die Einfuhr von Waren nach, sondern um die Ausfuhr von Waren aus Belgien in einen anderen Mitgliedstaat, nämlich Italien, geht, ist festzustellen, dass ausschließlich Art. 35 AEUV anwendbar ist, der mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung verbietet.

32

Die belgische Regierung vertritt hingegen die Auffassung, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung nicht anhand des Primärrechts der Union, sondern ausschließlich anhand der Richtlinie 2006/112 zu prüfen sei, da diese eine vollständige Harmonisierung im betreffenden Bereich herbeigeführt habe. Art. 248a dieser Richtlinie erlaube es den Mitgliedstaaten nämlich, in ihren Rechtsvorschriften vorzuschreiben, dass in einem grenzüberschreitenden Kontext ausgestellte Rechnungen in einer anderen Sprache als der desjenigen Mitgliedstaats abzufassen seien, für den die Dienstleistungen oder Waren bestimmt seien. Indem diese Vorschrift den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffne, in Bezug auf in ihrem Hoheitsgebiet erfolgende Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen eine Übersetzung der Rechnungen in ihre Amtssprache zu verlangen, führe sie im Übrigen dazu, dass die Rechnungen im Allgemeinen in der Amtssprache des Mitgliedstaats abgefasst würden, in dem das die Rechnung ausstellende Unternehmen seinen Sitz habe.

33

Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Mehrwertsteuersystem der Union die nationalen Rechtsvorschriften nur schritt- und teilweise harmonisiert (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 26. Februar 2015, VDP Dental Laboratory u. a., C‑144/13, C‑154/13 und C‑160/13, EU:C:2015:116, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 45 bis 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sieht weder Art. 226 der Richtlinie 2006/112, der die Rechnungsangaben betrifft, noch Art. 248a dieser Richtlinie, der den Bestimmungsmitgliedstaaten erlaubt, in bestimmten Fällen die Übersetzung einer Rechnung über eine Lieferung mit grenzüberschreitendem Charakter in eine ihrer Amtssprachen zu verlangen, für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, den Unternehmen mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet die Pflicht aufzuerlegen, sämtliche Rechnungen in ihrer Amtssprache oder in der Amtssprache des betreffenden Hoheitsgebiets abzufassen.

35

Nach alledem ist die Vorlagefrage dahin umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht damit wissen möchte, ob Art. 35 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats wie der Flämischen Gemeinschaft des Königreichs Belgien entgegensteht, die jedes Unternehmen, das seinen Betriebssitz im Hoheitsgebiet dieser Einheit hat, unter Androhung der vom Gericht von Amts wegen festzustellenden Nichtigkeit verpflichtet, sämtliche Angaben auf Rechnungen bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte ausschließlich in der Amtssprache dieser Einheit abzufassen.

Zum Vorliegen einer Beschränkung nach Art. 35 AEUV

36

Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer geltende nationale Maßnahme, die tatsächlich die Ausfuhren, d. h., wenn die Waren den Markt des Ausfuhrmitgliedstaats verlassen, stärker betrifft als den Absatz der Waren auf dem inländischen Markt, unter das Verbot des Art. 35 AEUV fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2008, Gysbrechts und Santurel Inter, C‑205/07, EU:C:2008:730, Rn. 40 bis 43).

37

Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass der AEU-Vertrag jede auch noch so unbedeutende Beschränkung einer der in ihm vorgesehenen Grundfreiheiten verbietet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, EU:C:2008:178, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die von Unternehmen mit Betriebssitz im niederländischen Sprachgebiet des Königreichs Belgien ausgestellten Rechnungen, einschließlich derjenigen bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte, nach der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung unter Androhung der vom Gericht von Amts wegen festzustellenden Nichtigkeit zwingend in niederländischer Sprache abzufassen sind, da nur diese Sprache verbindlich ist.

39

Nach Ansicht der belgischen Regierung kann eine solche Regelung nicht als eine Beschränkung des freien Warenverkehrs angesehen werden, da Rechnungen, auf die allein sich die Regelung beziehe, lediglich die Forderung bestätigten, die sich aus einem zwischen den betreffenden Parteien geschlossenen Vertrag ergebe. Anders als die Regelung, die in der Rechtssache in Rede gestanden habe, in der das Urteil vom 16. April 2013, Las (C‑202/11, EU:C:2013:239), ergangen sei, beeinträchtige eine solche Regelung jedoch nicht die Freiheit der Parteien, einen solchen Vertrag in der Sprache ihrer Wahl abzufassen, und beeinträchtige somit nicht den Austausch der Willenserklärung zwischen diesen Parteien. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung sich auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten auswirke.

40

Indem eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit vorenthält, eine Sprache, die sie alle beherrschen, für die Abfassung ihrer Rechnungen frei zu wählen, und indem sie ihnen hierzu eine Sprache vorschreibt, die nicht zwingend derjenigen entspricht, deren Verwendung sie für ihre vertraglichen Beziehungen vereinbart haben, kann eine solche Regelung jedoch die Gefahr des Bestreitens und der Nichtzahlung der Rechnungen erhöhen, da die Empfänger dieser Rechnungen dazu verleitet sein könnten, sich auf ihr tatsächliches oder vorgebliches Unvermögen zu berufen, den Inhalt dieser Rechnungen zu verstehen, um deren Zahlung zu verweigern.

41

Umgekehrt könnte der Empfänger einer in einer anderen als der niederländischen Sprache abgefassten Rechnung in Anbetracht der absoluten Nichtigkeit einer solchen Rechnung dazu verleitet sein, deren Gültigkeit allein aus diesem Grund zu bestreiten, und zwar selbst dann, wenn diese Rechnung in einer Sprache abgefasst worden wäre, die er versteht. Eine solche Nichtigkeit könnte außerdem für den Rechnungsaussteller zu erheblichen Unannehmlichkeiten führen, so u. a. zum Verlust von Verzugszinsen, da aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht, dass diese Zinsen bei Nichtvorliegen einer anderslautenden vertraglichen Bestimmung grundsätzlich erst von dem Zeitpunkt an anfallen, zu dem eine neue, in niederländischer Sprache abgefasste Rechnung ausgestellt wird.

42

Folglich hat eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche – auch wenn sie die Sprache betrifft, in der die Rechnungsangaben abzufassen sind, und nicht den Inhalt der zugrunde liegenden Vertragsbeziehung – aufgrund der Rechtsunsicherheit, die sie erzeugt, beschränkende Wirkungen auf den Handel, die davon abhalten könnten, vertragliche Beziehungen mit einem im niederländischen Sprachgebiet des Königreichs Belgien ansässigen Unternehmen einzugehen oder fortzusetzen.

43

Wenn eine solche Regelung unterschiedslos für alle Rechnungen gilt, die von einem Unternehmen ausgestellt werden, das seinen Betriebssitz in dem betreffenden Sprachgebiet hat, kann sie zwar sowohl den Binnenhandel eines Mitgliedstaats als auch den grenzüberschreitenden Handel beeinträchtigen, gleichwohl ist es aber wahrscheinlicher, dass sie Letzteren beeinträchtigt, wie der Generalanwalt in den Nrn. 61 bis 68 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, da die Wahrscheinlichkeit geringer ist, dass ein in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien ansässiger Käufer in der Lage sein wird, die niederländische Sprache zu verstehen, als ein Käufer, der im Königreich Belgien ansässig ist, wo diese Sprache eine der Amtssprachen ist.

44

In Anbetracht des in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Vorbringens der belgischen Regierung zur Tragweite der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung ist klarzustellen, dass der beschränkende Charakter einer solchen Regelung in keiner Weise in Frage gestellt würde, sollte sich erweisen, dass, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, ausschließlich die in Art. 226 der Richtlinie 2006/112 aufgeführten Pflichtangaben in niederländischer Sprache abzufassen sind, da auch in diesem Fall die in Rn. 42 des vorliegenden Urteils festgestellte Rechtsunsicherheit erzeugt würde.

45

Im Übrigen können die beschränkenden Wirkungen, die sich aus dieser Regelung ergeben, nicht in dem Sinne als zu ungewiss oder zu mittelbar angesehen werden, dass diese Regelung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs – u. a. in den Urteilen vom 7. März 1990, Krantz (C‑69/88, EU:C:1990:97, Rn. 10 und 11), und vom 13. Oktober 1993, CMC Motorradcenter (C‑93/92, EU:C:1993:838, Rn. 10 bis 12) – nicht als Beschränkung im Sinne von Art. 35 AEUV angesehen werden könnte.

46

Wie sich aus den Rn. 40 bis 43 des vorliegenden Urteils ergibt, kann eine solche Regelung nämlich eine Auswirkung – mag diese auch noch so unbedeutend sein – auf die Vertragsbeziehungen haben, zumal es, wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt wurde, nicht selten vorkommt, dass diese Beziehungen sich nur durch das Erstellen einer Rechnung konkretisieren. Wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hängt diese Auswirkung nicht von einem künftigen hypothetischen Ereignis ab, sondern von der Ausübung der Warenverkehrsfreiheit (vgl. entsprechend u. a. Urteil vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, EU:C:2008:178, Rn. 51).

47

Daraus folgt, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche eine Beschränkung nach Art. 35 AEUV darstellt.

Zum Vorliegen einer Rechtfertigung

48

Nach gefestigter Rechtsprechung kann eine nationale Maßnahme, die die Ausübung der garantierten Grundfreiheiten einschränkt, nur dann zugelassen werden, wenn sie ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt, geeignet ist, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 1. Oktober 2015, Trijber und Harmsen, C‑340/14 et C‑341/14, EU:C:2015:641, Rn. 70).

49

Im vorliegenden Fall macht die belgische Regierung geltend, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung zum einen bezwecke, den Gebrauch der Amtssprache des betreffenden Sprachgebiets zu fördern, und zum anderen, die Wirksamkeit der von den für die Mehrwertsteuer zuständigen Stellen durchgeführten Kontrollen zu gewährleisten.

50

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel der Förderung des Gebrauchs einer der Amtssprachen eines Mitgliedstaats ein berechtigtes Ziel ist, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der nach dem Unionsrecht bestehenden Verpflichtungen zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. November 1989, Groener, C‑379/87, EU:C:1989:599, Rn. 19, vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn, C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 85, und vom 16. April 2013, Las, C‑202/11, EU:C:2013:239, Rn. 25 bis 27).

51

Zudem hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu wahren, ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel ist, das eine Beschränkung der im Vertrag anerkannten Grundfreiheiten rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 20. Februar 1979, Rewe-Zentral, 120/78, EU:C:1979:42, Rn. 8, und vom 15. Mai 1997, Futura Participations und Singer, C‑250/95, EU:C:1997:239, Rn. 31).

52

Es ist festzustellen, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche zur Erreichung dieser beiden Ziele geeignet ist, da sie zum einen ermöglicht, den allgemeinen Gebrauch der niederländischen Sprache bei der Abfassung offizieller Dokumente wie Rechnungen zu wahren, und zum anderen die Überprüfung solcher Dokumente durch die zuständigen nationalen Behörden erleichtern kann.

53

Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche muss jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Zielen stehen, um den Anforderungen des Unionsrechts zu entsprechen.

54

Im vorliegenden Fall würde aber, wie der Generalanwalt in den Nrn. 90 bis 92 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Regelung eines Mitgliedstaats, die für die Abfassung von Rechnungen bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte nicht nur die Verwendung der Amtssprache dieses Mitgliedstaats vorschriebe, sondern darüber hinaus auch eine verbindliche Fassung solcher Rechnungen in einer anderen, allen Vertragsparteien geläufigen Sprache zuließe, den freien Warenverkehr weniger beeinträchtigen als die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung und wäre dennoch geeignet, die Erreichung der mit dieser Regelung verfolgten Ziele zu gewährleisten (vgl. entsprechend Urteil vom 16. April 2013, Las, C‑202/11, EU:C:2013:239, Rn. 32).

55

Was das Ziel betrifft, die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu gewährleisten, hat die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung selbst darauf hingewiesen, dass die Steuerverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug nach einem Verwaltungsrundscheiben vom 23. Januar 2013 nicht allein aus dem Grund verweigern dürfe, dass die gesetzlichen Angaben auf einer Rechnung in einer anderen Sprache als der niederländischen abgefasst worden seien, was vermuten lässt, dass der Gebrauch einer solchen anderen Sprache die Erreichung dieses Ziels nicht hindert.

56

Nach alledem ist festzustellen, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche über das hinausgeht, was zur Erreichung der in den Rn. 49 bis 51 des vorliegenden Urteils genannten Ziele erforderlich ist, und daher nicht als verhältnismäßig angesehen werden kann.

57

Demnach ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 35 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats wie der Flämischen Gemeinschaft des Königreichs Belgien entgegensteht, die jedes Unternehmen, das seinen Betriebssitz im Hoheitsgebiet dieser Einheit hat, unter Androhung der vom Gericht von Amts wegen festzustellenden Nichtigkeit verpflichtet, sämtliche Angaben auf Rechnungen bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte ausschließlich in der Amtssprache dieser Einheit abzufassen.

Kosten

58

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 35 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats wie der Flämischen Gemeinschaft des Königreichs Belgien entgegensteht, die jedes Unternehmen, das seinen Betriebssitz im Hoheitsgebiet dieser Einheit hat, unter Androhung der vom Gericht von Amts wegen festzustellenden Nichtigkeit verpflichtet, sämtliche Angaben auf Rechnungen bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte ausschließlich in der Amtssprache dieser Einheit abzufassen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.