URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

15. September 2016 ( *1 )

„REACH — Gebühr für die Registrierung eines Stoffes — Ermäßigung für Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen — Fehler bei der Angabe der Unternehmensgröße — Empfehlung 2003/361/EG — Entscheidung, mit der ein Verwaltungsentgelt erhoben wird — Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑587/14

Crosfield Italia Srl mit Sitz in Verona (Italien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Baldassarri,

Klägerin,

gegen

Europäische Chemikalienagentur (ECHA), zunächst vertreten durch M. Heikkilä, E. Bigi, J.-P. Trnka und E. Maurage, dann durch M. Heikkilä, J.-P. Trnka und E. Maurage als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt C. Garcia Molyneux,

Beklagte,

betreffend zum einen einen Antrag nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Entscheidung SME(2013) 4672 der ECHA vom 28. Mai 2014, mit der festgestellt wurde, dass die Klägerin nicht die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Gebühren für kleine Unternehmen erfüllt und ihr ein Verwaltungsentgelt auferlegt wurde, und zum anderen einen Antrag nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Rechnungen, welche die ECHA nach dem Erlass der Entscheidung SME(2013) 4672 gestellt hat,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen sowie der Richter F. Dehousse (Berichterstatter) und A. M. Collins,

Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 2015

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Am 9. und 29. September 2010 ließ die Klägerin, die Crosfield Italia Srl, mehrere Stoffe nach der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1) registrieren.

2

Im Registrierungsverfahren gab die Klägerin an, sie sei ein „kleines Unternehmen“ im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. 2003, L 124, S. 36). Aufgrund dieser Angabe konnte sie eine Ermäßigung der für eine Registrierung anfallenden Gebühren nach Art. 6 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1907/2006 in Anspruch nehmen. Nach Art. 74 Abs. 1 dieser Verordnung wurde die Gebühr in der Verordnung (EG) Nr. 340/2008 der Kommission vom 16. April 2008 über die an die Europäische Chemikalienagentur zu entrichtenden Gebühren und Entgelte gemäß der Verordnung Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 107, S. 6) festgesetzt. Anhang I der Verordnung Nr. 340/2008 enthält insbesondere die Beträge der Gebühren für die Anträge auf Registrierung nach Art. 6 der Verordnung Nr. 1907/2006 und die Ermäßigungen für Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen (im Folgenden: KMU). Im Übrigen sieht Art. 13 Abs. 4 der Verordnung Nr. 340/2008 vor, dass, wenn eine natürliche oder juristische Person, die eine Ermäßigung oder einen Gebührenverzicht in Anspruch nimmt, diesen Anspruch nicht belegen kann, die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) die Gebühr oder das Entgelt in voller Höhe sowie ein Verwaltungsentgelt erhebt. Diesbezüglich erließ der Verwaltungsrat der ECHA am 12. November 2010 den Beschluss MB/D/29/2010 über die Klassifizierung von Dienstleistungen, für die Entgelte erhoben werden (im Folgenden: Beschluss MB/D/29/2010). Gemäß Art. 2 und Tabelle 1 im Anhang dieses Beschlusses in der durch den Beschluss MB/21/2012/D des Verwaltungsrats der ECHA vom 12. Februar 2013 geänderten Fassung beträgt das Verwaltungsentgelt nach Art. 13 Abs. 4 der Verordnung Nr. 340/2008 für große Unternehmen 19900 Euro, für mittlere Unternehmen 13900 Euro und für kleine Unternehmen 7960 Euro.

3

Am 9. und 29. September 2010 stellte die ECHA zwei Rechnungen (Nrn. 10007578 und 10004921) in Höhe von jeweils 9300 Euro aus. Dieser Betrag entsprach gemäß Anhang I der Verordnung Nr. 340/2008 in der zum Zeitpunkt des Sachverhalts geltenden Fassung der von einem kleinen Unternehmen bei einer gemeinsamen Einreichung geschuldeten Gebühr für Stoffe im Mengenbereich über 1000 Tonnen.

4

Am 11. Februar 2013 wurde die Klägerin von der ECHA aufgefordert, eine Reihe von Dokumenten vorzulegen, um ihre Angaben, wonach sie ein kleines Unternehmen sei, zu überprüfen.

5

Am 28. Mai 2014 erließ die ECHA nach einem Austausch von Dokumenten und einem E‑Mail-Wechsel die Entscheidung SME(2013) 4672 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Darin vertrat sie die Ansicht, die Klägerin sei als großes Unternehmen anzusehen und müsse die entsprechende Gebühr entrichten. Unter diesen Umständen teilte die ECHA der Klägerin mit, sie werde ihr Rechnungen ausstellen, welche die Differenz zwischen den anfänglich gezahlten Gebühren und den letztlich geschuldeten Gebühren deckten, sowie eine Rechnung in Höhe von 19900 Euro zur Begleichung des Verwaltungsentgelts.

6

Am 4. August 2014 legte die Klägerin nach den Art. 91 und 92 der Verordnung Nr. 1907/2006 gegen die angefochtene Entscheidung bei der Widerspruchskammer der ECHA Widerspruch ein.

7

Am 8. Dezember 2014 entschied die Widerspruchskammer der ECHA, das bei ihr anhängige Verfahren bis zu einer Entscheidung des Gerichts in der vorliegenden Rechtssache auszusetzen.

Verfahren und Anträge der Parteien

8

Mit Klageschrift, die am 6. August 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Die Klage ist Teil mehrerer zusammenhängender Verfahren.

9

Im ersten dieser zusammenhängenden Verfahren erging das Nichtigkeitsurteil vom 2. Oktober 2014, Spraylat/ECHA (T‑177/12, EU:T:2014:849).

10

Am 8. Januar 2015 sind die Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 aufgefordert worden, zur eventuellen Bedeutung des Urteils vom 2. Oktober 2014, Spraylat/ECHA (T‑177/12, EU:T:2014:849), für den vorliegenden Rechtsstreit Stellung zu nehmen und eine Frage zu beantworten. Die Parteien sind dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen.

11

Das Gericht (Sechste Kammer) hat auf Vorschlag des Berichterstatters am 16. Oktober 2015 beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und die Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 seiner Verfahrensordnung aufgefordert, eine Frage zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen Aufforderungen fristgerecht nachgekommen.

12

Die Parteien haben in der Sitzung vom 16. Dezember 2015 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

13

Die Klägerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und damit für nichtig zu erklären, so dass diese Entscheidung keine Wirkungen entfalten kann, sowie die Rechnungen für nichtig zu erklären, die zur Erhebung der höheren Gebühren und für angeblich fällige Sanktionen gestellt wurden.

14

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihren Antrag auf Nichtigerklärung der in Durchführung der angefochtenen Entscheidung gestellten Rechnungen zurückgenommen, was zu Protokoll genommen worden ist.

15

Die ECHA beantragt,

die Klage abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

Zur Zuständigkeit des Gerichts

16

Die ECHA betont, die Widerspruchskammer sei für eine Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit, mit dem diese ebenfalls befasst worden sei, nicht zuständig, da die angefochtene Entscheidung nicht zu den Entscheidungen gehöre, gegen die bei dieser Widerspruch eingelegt werden könne.

17

Die Klägerin erklärt, die vorliegende Klage bedeute keinen Verzicht ihrerseits auf den Widerspruch, den sie bei der Widerspruchskammer der ECHA eingelegt habe. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auch angegeben, sie halte das Gericht für eine Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits für zuständig.

18

Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1907/2006 sieht vor, dass „[z]ur Anfechtung einer Entscheidung der Widerspruchskammer oder – im Fall nicht widerspruchsfähiger Entscheidungen – der [ECHA] nach Maßgabe des Artikels [263 AEUV] Klage beim Gericht … oder beim Gerichtshof erhoben werden [kann]“.

19

In diesem Zusammenhang bestimmt Art. 91 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1907/2006, dass „Entscheidungen der [ECHA] nach den Artikeln 9 und 20, Artikel 27 Abs. 6, Artikel 30 Absätze 2 und 3 und Artikel 51 [der Verordnung Nr. 1907/2006] [vor der Widerspruchskammer] mit einem Widerspruch anfechtbar [sind]“.

20

Die angefochtene Entscheidung wurde allerdings nicht aufgrund der in Art. 91 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1907/2006 genannten Bestimmungen, sondern gemäß Art. 13 Abs. 4 der Verordnung Nr. 340/2008 und gemäß den Art. 2 und 4 des Beschlusses MB/D/29/2010 getroffen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass weder die Verordnung Nr. 340/2008 noch der Beschluss MB/D/29/2010 in Anwendung der in Art. 91 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1907/2006 genannten Bestimmungen erlassen worden sind.

21

Zudem ist festzustellen, dass die Bestimmungen der Art. 9, 27, 30 und 51 der Verordnung Nr. 1907/2006, die in Art. 91 Abs. 1 dieser Verordnung genannt werden, Entscheidungen betreffen, die keinen Bezug zu der Gebühr aufweisen, welche die Registranten zu entrichten haben.

22

Was Art. 20 der Verordnung Nr. 1907/2006 betrifft, so zielt dieser auf die „Pflichten der [ECHA]“ ab. Abs. 5 dieses Artikels sieht vor, dass „[g]egen Entscheidungen der [ECHA] nach Absatz 2 [dieses] Artikels … Widerspruch nach den Artikeln 91, 92 und 93 [der Verordnung Nr. 1907/2006] eingelegt werden [kann]“. Abs. 2 dieses Artikels betrifft die „Vollständigkeitsprüfung“, welche die ECHA für jede Registrierung vornimmt, einschließlich der Entrichtung der Gebühr. Es ist jedoch festzustellen, dass diese Prüfung „keine Beurteilung der Qualität oder der Angemessenheit vorgelegter Daten oder Begründungen“ umfasst. Im Übrigen sieht Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 1907/2006 vor, dass die ECHA „die Registrierung ablehnt“, wenn das Registrierungsdossier „unvollständig“ ist und der Registrant es „nicht fristgerecht vervollständigt“. Abgesehen davon, dass die angefochtene Entscheidung nicht auf Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1907/2006 gestützt wird, wird mit ihr im vorliegenden Fall die Registrierung der fraglichen Stoffe jedoch nicht abgelehnt.

23

In Anbetracht dieser Umstände ist festzustellen, dass das Gericht für die Entscheidung über die vorliegende Klage zuständig ist, und dies ungeachtet des Widerspruchs gegen die angefochtene Entscheidung, den die Klägerin außerdem bei der Widerspruchskammer der ECHA eingelegt hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 16. September 2015, Calestep/ECHA, T‑89/13, EU:T:2015:711, Rn. 16 bis 22).

Zur Zulässigkeit bestimmter während des Verfahrens vorgetragener Angriffs- und Verteidigungsmittel

24

Im Rahmen ihrer Antwort auf die prozessleitenden Maßnahmen vom 8. Januar 2015 (vgl. oben, Rn. 10) hat die Klägerin angegeben, dass, wie das Gericht im Urteil vom 2. Oktober 2014, Spraylat/ECHA (T‑177/12, EU:T:2014:849), entschieden habe, der Beschluss MB/D/29/2010 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für rechtswidrig zu erklären sei.

25

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das eine Erweiterung eines bereits vorher – unmittelbar oder implizit – vorgetragenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels darstellt und einen engen Zusammenhang mit diesem aufweist, ist jedoch zulässig (vgl. Urteil vom 5. Oktober 2011, Romana Tabacchi/Kommission, T‑11/06, EU:T:2011:560, Rn. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Im vorliegenden Fall ist das von der Klägerin geltend gemachte Angriffs- und Verteidigungsmittel indessen ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel, und es wird nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt, die während des Verfahrens zutage getreten sind. Im Übrigen stellt dieses neue Angriffs- und Verteidigungsmittel keine Erweiterung eines bereits vorher vorgetragenen Angriffs- oder Verteidigungsmittel dar.

27

Daher ist das von der Klägerin in ihrer Antwort auf die prozessleitenden Maßnahmen vom 8. Januar 2015 (oben, Rn. 10) geltend gemachte, auf Nichtigerklärung des Beschlusses MB/D/29/2010 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerichtete Angriffs- und Verteidigungsmittel als unzulässig zu erachten.

Zur Begründetheit

28

Die Klägerin trägt zur Stützung ihrer Klage zwei Klagegründe vor. Mit dem ersten Klagegrund macht sie eine unzureichende Begründung der angefochtenen Entscheidung geltend. Den zweiten Klagegrund stützt sie im Wesentlichen auf eine fehlerhafte Beurteilung des Sachverhalts des vorliegenden Falles.

29

Im Rahmen ihres ersten Klagegrundes führt die Klägerin aus, in der angefochtenen Entscheidung würden nicht die Gründe angegeben, weshalb sie als großes Unternehmen einzustufen sei. Nur in dem Dokument „SME calculation report“ im Anhang des Schreibens der ECHA vom 19. November 2013 werde auf die Größe der Klägerin Bezug genommen. Aus diesem Dokument gehe hervor, dass die ECHA für die Feststellung der Größe der Klägerin nicht nur deren Umsatz berücksichtigt habe, sondern auch den Umsatz der Marchi Industriale SpA, der Esseco Group Srl (entsprechend der Beteiligung von Marchi Industriale an der Essemar SpA) und der Marfin Srl. Diese Berechnung entbehre, wie aus dem Vorbringen der Klägerin hervorgehe, jeglicher Grundlage. Die Klägerin betont insbesondere, die ECHA habe die mit einer E‑Mail vom 26. Februar 2013 mitgeteilten Klarstellungen nicht berücksichtigt. Auch habe die Klägerin in einem Schreiben vom 16. Dezember 2013 die Gründe angegeben, weshalb die Daten der Esseco Group nicht berücksichtigt werden könnten. Im Schreiben der ECHA vom 28. Mai 2014 würden lediglich die Parameter und Kriterien wiederholt, anhand derer ein Unternehmen als KMU eingestuft werden könne. Die Klägerin sei nicht in der Lage, die Gründe der ECHA für den Erlass der angefochtenen Entscheidung nachzuvollziehen. Die der angefochtenen Entscheidung beigefügten Dokumente gäben auch keinen Aufschluss hinsichtlich der Überlegungen der ECHA.

30

Die ECHA betont, dass die Klägerin im Rahmen ihres ersten Klagegrundes nicht erwähne, dass die angefochtene Entscheidung im Anhang ein mit „SME calculation report“ überschriebenes Dokument enthalte. In der angefochtenen Entscheidung werde sowohl ausdrücklich auf dieses Dokument als auch auf andere Anlagen verwiesen. Außerdem habe die Klägerin in ihrer an die ECHA gerichteten E‑Mail vom 26. Februar 2013 nur auf eine Reihe von Dokumenten hingewiesen. Es sei offensichtlich, dass die ECHA in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich auf die von der Klägerin am 26. Februar 2013 übersandten Dokumente Bezug nehme. Es sei auch offensichtlich, dass die Klägerin aufgrund des Textes der angefochtenen Entscheidung und ihrer Anlagen die Gründe der ECHA für die Berücksichtigung der Daten von Marchi Industriale und der Esseco Group habe verstehen können. Die ECHA fügt hinzu, nach der Rechtsprechung werde eine kurze Begründung als ausreichend angesehen, sofern die Behörde, die sie vornehme, der betreffenden Entscheidung Unterlagen beifüge, aufgrund derer die von ihr angestellten Überlegungen verdeutlicht werden könnten, oder wenn sie auf ein Dokument verweise, das sich bereits im Besitz des Adressaten dieser Entscheidung befinde. Im vorliegenden Fall enthalte die angefochtene Entscheidung genügend Informationen, damit die Klägerin verstehen könne, auf welcher Grundlage sie erlassen worden sei. Die ECHA bezieht sich insbesondere auf die in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen ausdrücklichen Hinweise auf die einschlägigen Bestimmungen und die berücksichtigten Unterlagen. Zu dem von der Klägerin genannten Schreiben vom 16. Dezember 2013 führt die ECHA näher aus, dass sie, obwohl es irrtümlich an die Widerspruchskammer gerichtet gewesen sei, auf die in diesem Schreiben enthaltenen Ausführungen geantwortet habe.

31

Zu beachten ist, dass die nach Art. 296 AEUV erforderliche Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein muss und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollfunktion ausüben kann. Was insbesondere die Begründung von Einzelentscheidungen angeht, hat die Pflicht zur Begründung solcher Entscheidungen neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht. Außerdem ist das Begründungserfordernis anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts des betreffenden Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 93 und 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Im Übrigen ist anzumerken, dass sowohl die Verordnung Nr. 1907/2006 in ihrem Art. 3 als auch die Verordnung Nr. 340/2008 in ihrem neunten Erwägungsgrund und in ihrem Art. 2 bei der Definition der KMU auf die Empfehlung 2003/361 verweisen.

33

Die Empfehlung 2003/361 enthält einen Anhang, dessen Titel I die „[v]on der Kommission angenommene Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen“ betrifft. Art. 2 dieses Titels hat die Überschrift „Mitarbeiterzahlen und finanzielle Schwellenwerte zur Definition der Unternehmensklassen“.

34

Im Fall eines eigenständigen Unternehmens, d. h. eines Unternehmens, das nicht als „Partnerunternehmen“ oder „verbundenes Unternehmen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 und 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 gilt, werden gemäß Art. 6 Abs. 1 dieses Anhangs die Daten einschließlich der Mitarbeiterzahl ausschließlich auf der Grundlage der Jahresabschlüsse dieses Unternehmens erstellt.

35

Im Fall eines Unternehmens, das Partnerunternehmen oder verbundene Unternehmen hat, werden gemäß Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 die Daten einschließlich der Mitarbeiterzahl auf der Grundlage der Jahresabschlüsse und sonstiger Daten des Unternehmens erstellt oder, sofern vorhanden, anhand der konsolidierten Jahresabschlüsse des Unternehmens bzw. der konsolidierten Jahresabschlüsse, in die das Unternehmen durch Konsolidierung eingeht. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 werden diesen Daten zum einen die Daten der Partnerunternehmen (die dem betroffenen Unternehmen unmittelbar vor- oder nachgeschaltet sind) proportional zum Anteil der Beteiligung am Kapital oder an den Stimmrechten hinzugerechnet, wobei der höhere dieser beiden Anteile zugrunde gelegt wird, und zum anderen 100 % der Daten derjenigen direkt oder indirekt mit dem betroffenen Unternehmen verbundenen Unternehmen, die in den konsolidierten Jahresabschlüssen noch nicht berücksichtigt wurden.

36

Gemäß Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 gehen bei der Anwendung von Art. 6 Abs. 2 dieses Anhangs die Daten der Partnerunternehmen des betroffenen Unternehmens aus den Jahresabschlüssen und sonstigen Daten, sofern vorhanden in konsolidierter Form, hervor, zu denen 100 % der Daten der mit diesen Partnerunternehmen verbundenen Unternehmen addiert werden, sofern ihre Daten noch nicht durch Konsolidierung erfasst wurden. Die Daten der mit den betroffenen Unternehmen verbundenen Unternehmen sind aus ihren Jahresabschlüssen und sonstigen Angeben, sofern vorhanden in konsolidierter Form, zu entnehmen. Gemäß Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 werden zu diesen Daten gegebenenfalls die Daten der Partnerunternehmen dieser verbundenen Unternehmen, die diesen unmittelbar vor- oder nachgeschaltet sind, anteilsmäßig hinzugerechnet, sofern sie in den konsolidierten Jahresabschlüssen nicht bereits anteilsmäßig so erfasst wurden, dass der entsprechende Wert mindestens dem Anteil der Beteiligung am Kapital oder an den Stimmrechten entspricht, wobei der höhere dieser beiden Anteile zugrunde gelegt wird.

37

Im vorliegenden Fall ist die ECHA in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen, dass die Klägerin 250 Mitarbeiter oder mehr beschäftigt, einen Jahresumsatz von über 50 Mio. Euro erzielt und sich ihre Jahresbilanz auf über 43 Mio. Euro beläuft. Aufgrund dessen war die ECHA der Ansicht, dass die Klägerin nicht als kleines Unternehmen angesehen werden könne.

38

Die Berechnung der ECHA wurde in einem der angefochtenen Entscheidung beigefügten Bericht im Einzelnen dargelegt. In diesem Bericht hat die ECHA die Daten der als „verbundene Unternehmen“ (Marchi Industriale) und der als „Partnerunternehmen“ (Marfin und Esseco Group) eingestuften Unternehmen übernommen und diese danach ganz oder teilweise den Daten der Klägerin hinzugerechnet. Was die als „Partnerunternehmen“ eingestuften Unternehmen anbelangt, hat die ECHA u. a. 49,9995 % der Daten der Esseco Group berücksichtigt. Die Klägerin hat sich in ihrem irrtümlich an die Widerspruchskammer gerichteten Schreiben vom 16. Dezember 2013, das nach dem Vortrag der ECHA im Verwaltungsverfahren berücksichtigt wurde, gegen die Berücksichtigung der Daten der Esseco Group gewandt.

39

Einleitend ist auf die Beziehungen hinzuweisen, welche die Klägerin zum Zeitpunkt der Ereignisse zu anderen Unternehmen unterhielt. Zuallererst war die Klägerin mit Marchi Industriale verbunden, da Letztere die Mehrheit ihres Stammkapitals hielt. Marchi Industriale war wiederum ein Partnerunternehmen von Marfin (die zwischen 25 % und 50 % ihres Grundkapitals hielt) und von Essemar (von der Marchi Industriale zwischen 25 % und 50 % des Grundkapitals hielt). Essemar war schließlich, der ECHA zufolge, mit der Esseco Group verbunden, da das letztgenannte Unternehmen offiziell die Mehrheit des Grundkapitals und damit der Stimmrechte der Aktionäre des erstgenannten Unternehmens hielt, was die Klägerin in der mündlichen Verhandlung anerkannt hat.

40

Was erstens die Berücksichtigung der Daten von Marchi Industriale und von Marfin anbelangt, konnte die Klägerin dem der angefochtenen Entscheidung beigefügten Bericht die Gründe für diesen Beschluss entnehmen, vor allem angesichts der einschlägigen Bestimmungen der Empfehlung 2003/361. Insbesondere geht aus diesen Bestimmungen und den Umständen des vorliegenden Falles klar hervor, dass die ECHA die Daten von Marchi Industriale in vollem Umfang berücksichtigt hat, da dieses Unternehmen mit der Klägerin verbunden war (in Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361), und die Daten von Marfin anteilsmäßig, da dieses Unternehmen ein Partnerunternehmen des mit der Klägerin verbundenen Unternehmens (Marchi Industriale) war (in Anwendung von Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 des Anhangs der Empfehlung 2003/361). Die Klägerin wendet sich im Übrigen nicht speziell gegen die Berücksichtigung der Daten dieser Unternehmen im Rahmen der vorliegenden Klage.

41

Was zweitens die Berücksichtigung der Daten der Esseco Group betrifft, welche die Klägerin im Verwaltungsverfahren gerügt hat und die insbesondere Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist, ist anzumerken, dass der Sachverhalt des vorliegenden Falles nicht unter die im Anhang der Empfehlung 2003/361 vorgesehenen Situationen fällt. Soweit im Anhang der Empfehlung 2003/361 vorgesehen ist, dass die Daten von Unternehmen berücksichtigt werden, die dem betroffenen Unternehmen nicht unmittelbar vor- oder nachgeschaltet sind, bezieht sich dies nämlich nur auf die mit den Partnerunternehmen des betroffenen Unternehmens verbundenen Unternehmen (Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs der Empfehlung 2003/361) und die Partnerunternehmen der mit dem betroffenen Unternehmen verbundenen Unternehmen (Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 des Anhangs der Empfehlung 2003/361). Im vorliegenden Fall war die Esseco Group jedoch ein Unternehmen, das mit einem Partnerunternehmen eines mit der Klägerin verbundenen Unternehmens verbunden war.

42

Im Übrigen geht aus den Umständen des vorliegenden Falles nicht hervor, dass die Klägerin ein Partnerunternehmen der Esseco Group war, wie jedoch die ECHA in dem der angefochtenen Entscheidung beigefügten Bericht ohne nähere Erklärung ausgeführt hat.

43

Schließlich wurden der Klägerin im Verwaltungsverfahren keine Angaben zur Rechtsgrundlage gemacht, die im vorliegenden Fall für die Verwendung der Daten der Esseco Group anwendbar wäre, wie die ECHA in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Die ECHA hat insbesondere verdeutlicht, dass der in ihren Schriftsätzen genannte Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 3 des Anhangs der Empfehlung 2003/361 im Verwaltungsverfahren nicht erwähnt wurde. Außerdem steht die Bezugnahme vor dem Gericht auf diese Rechtsgrundlage, welche die direkt oder indirekt mit dem betroffenen Unternehmen verbundenen Unternehmen betrifft, in Widerspruch mit der Einstufung als Partnerunternehmen, welche die ECHA in dem der angefochtenen Entscheidung beigefügten Bericht vorgenommen hat.

44

Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung es der Klägerin nicht erlaubt, ihr die Gründe für diese Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung der Daten der Esseco Group zu entnehmen, und dem Gericht nicht erlaubt, seine Kontrollfunktion auszuüben.

45

Daher ist dem ersten von der Klägerin zur Stützung ihrer Klage geltend gemachten Klagegrund stattzugeben und folglich die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, ohne dass der zweite Klagegrund zu prüfen wäre.

Kosten

46

Gemäß Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die ECHA unterlegen ist, die Klägerin jedoch keinen Kostenantrag gestellt hat, ist zu entscheiden, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Entscheidung SME(2013) 4672 der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) vom 28. Mai 2014 wird für nichtig erklärt.

 

2.

Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

 

Frimodt Nielsen

Dehousse

Collins

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. September 2016.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.