SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 25. Februar 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑559/14

Rudolfs Meroni

(Vorabentscheidungsersuchen des Augstākās tiesas Senāts [Senat des Obersten Gerichtshofs, Lettland])

„Vorabentscheidungsersuchen — Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Verordnung (EG) Nr. 44/2001 — Art. 34 Nr. 1 — Gründe für die Versagung der Anerkennung und der Vollstreckbarerklärung einstweiliger und sichernder Maßnahmen — Öffentliche Ordnung (ordre public)“

I – Einleitung

1.

Nach der Rechtssache West Tankers ( 2 ), in deren Mittelpunkt eine „antisuit injunction“ stand, sieht sich der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache erneut mit einer verfahrensrechtlichen Besonderheit des angloamerikanischen Rechtskreises konfrontiert.

2.

Diesmal geht es um eine sogenannte „freezing injunction“ ( 3 ). Hierbei handelt es sich um ein gerichtliches Verfügungsverbot des einstweiligen Rechtsschutzes, mit dem verhindert werden soll, dass durch Veräußerung Vermögensgegenstände des Schuldners einem späteren Zugriff des Gläubigers entzogen werden.

3.

Im vorliegenden Fall richtet sich das Einfrieren der Vermögenswerte aber nicht nur gegen den Beklagten des Hauptsacheverfahrens. Das Verfügungsverbot betrifft vielmehr auch Dritte, die zum Beklagtenvermögen in enger Beziehung stehen. Unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung (ordre public) hält dies das vorlegende Gericht, das über die Vollstreckbarerklärung des Verfügungsverbots in der Republik Lettland zu entscheiden hat, für problematisch.

4.

Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof somit eine weitere Gelegenheit, im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 ( 4 ) den Rechtsbegriff der öffentlichen Ordnung (ordre public) zu konkretisieren. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob und, wenn ja, inwiefern die Berührung von Rechten Dritter bei der Vollstreckbarerklärung als Versagungsgrund Berücksichtigung finden muss.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

5.

Der unionsrechtliche Rahmen dieses Falles wird durch die Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt.

6.

Der 18. Erwägungsgrund dieser Verordnung lautet:

„Zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte muss der Schuldner […] gegen die Vollstreckbarerklärung [einer Entscheidung] einen Rechtsbehelf im Wege eines Verfahrens mit beiderseitigem rechtlichen Gehör einlegen können, wenn er der Ansicht ist, dass einer der Gründe für die Versagung der Vollstreckung vorliegt. [...]“

7.

Art. 32 der genannten Verordnung definiert den „Begriff der Entscheidung“ ( 5 ) wie folgt:

„Unter ‚Entscheidung’ im Sinne dieser Verordnung ist jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung zu verstehen, ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten.“

8.

Nach Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 wird „[e]ine Entscheidung […] nicht anerkannt, wenn […] die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde“. Gleiches gilt nach Art. 34 Nr. 2 der genannten Verordnung, wenn „dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte“.

9.

Art. 38 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind.“

10.

Art. 41 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:

„Sobald die in Artikel 53 vorgesehenen Förmlichkeiten[ ( 6 )] erfüllt sind, wird die Entscheidung unverzüglich für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung nach den Artikeln 34 und 35 erfolgt. Der Schuldner erhält in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit, eine Erklärung abzugeben.“

11.

Nach Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 werden die „Vollstreckbarerklärung und, soweit dies noch nicht geschehen ist, die Entscheidung […] dem Schuldner zugestellt“.

12.

Art. 43 der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor, dass „[g]egen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung […] jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen“ kann.

13.

Nach Art. 45 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 44/2001 darf die „Vollstreckbarerklärung [….] von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 43 […] befassten Gericht nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden“.

B – Lettisches Recht

14.

Nach Art. 92 der Verfassung der Republik Lettland muss jedermann seine Rechte und berechtigten Interessen vor einem unparteiischen Gericht geltend machen können.

15.

Art. 105 der lettischen Verfassung sieht vor, dass das Recht auf Eigentum nur auf der Grundlage eines Gesetzes eingeschränkt werden darf.

III – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

16.

Dem Vorabentscheidungsersuchen liegt ein Rechtsstreit über die Vollstreckbarerklärung eines 2013 erlassenen Verfügungsverbots des High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Commercial Court) (Vereinigtes Königreich), in der Republik Lettland zugrunde.

17.

Mit diesem Verfügungsverbot wird u. a. Herrn A. L. untersagt, über Vermögenswerte zu verfügen, die seinem Vermögen unmittelbar oder mittelbar zuzurechnen sind. Das Verbot erstreckt sich auf seine Beteiligungen an der lettischen Gesellschaft VB. An dieser Gesellschaft ist Herr A. L. unmittelbar mit nur einer Aktie beteiligt. Er ist dem vorlegenden Gericht zufolge darüber hinaus aber auch „wirtschaftlicher Eigentümer“ ( 7 ) von Anteilen an zumindest einer weiteren Gesellschaft (im Folgenden: Y), die ihrerseits in erheblichem Umfang an VB beteiligt ist.

18.

Herr Meroni gehört zur Geschäftsleitung von Y. Aufgrund einer Beschlagnahme, die die lettische Generalstaatsanwaltschaft im Jahr 2007 angeordnet hat, fungiert er außerdem als Sachwalter ( 8 ) derjenigen Beteiligungen an Y, deren wirtschaftlicher Eigentümer Herr A. L. ist.

19.

Das fragliche Verfügungsverbot gilt gemäß seinem Abschnitt 6 „für sämtliche Beteiligungen [an VB], unabhängig davon, ob sie auf den Namen [von A. L.] lauten“. Gegen das Verbot können Rechtsbehelfe nach englischem Recht eingelegt werden. Auch nicht am englischen Verfahren Beteiligte können, wenn ihnen das Verfügungsverbot zugestellt worden ist, seine Abänderung oder Aufhebung beantragen ( 9 ), müssen dem Verbot ansonsten nach Bekanntgabe aber Folge leisten ( 10 ). Bei Vermögenswerten außerhalb von England und Wales sind solche Dritte dadurch allerdings nicht daran gehindert, weiterhin Verpflichtungen vertraglicher Natur oder anderer Art zu erfüllen und staatliche Anordnungen zu beachten ( 11 ). Nach Abschnitt 22 („Parteien, denen diese Anordnung zuzustellen ist“) ist das Verfügungsverbot neben den Beklagten auch den „in Abschnitt 7 aufgeführten […] Gesellschaften“ zuzustellen, mithin auch an VB. Ohne vorherige Zustellung soll eine „Vollstreckung im Ausland“ aber nur möglich sein, „soweit dies an dem jeweiligen Gerichtsstand zulässig ist“ ( 12 ).

20.

Die Gesellschaften VB und Y waren am Verfahren vor dem High Court of Justice, in dessen Rahmen das Verfügungsverbot gegen Herrn A. L. erging, nicht beteiligt. Von einer Zustellung des Verbots an sie ist dem vorlegenden Gericht nichts bekannt ( 13 ). Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht ferner nicht klar hervor, ob Herrn A. L. im Vorfeld der Entscheidung des englischen Gerichts rechtliches Gehör gewährt wurde. Auf eine vorherige Anhörung deutet indessen hin, dass das Verfügungsverbot „unbeschadet des Vorbingens von Herrn [L. erging], dass er an den [fraglichen] Vermögenswerten […] weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt sei“ ( 14 ).

21.

Erstinstanzlich war das Verfügungsverbot im Jahr 2013 in der Republik Lettland gegen Herrn A. L. für vollstreckbar erklärt und diese Vollstreckbarerklärung in der Rechtsmittelinstanz aufrechterhalten worden, soweit das Verbot Herrn A. L. untersagt, über seine unmittelbar oder mittelbar gehaltenen Aktien an VB zu verfügen, ihren Wert zu mindern oder andere Personen mit der Vornahme solcher Handlungen zu betrauen.

22.

Der weitere Rechtsbehelf von Herrn Meroni, der gegenwärtig vor dem vorlegenden Gericht anhängig ist, richtet sich gegen diese lettische Vollstreckbarerklärung. Das Verfügungsverbot behindere die Gesellschafterin Y, ihre Stimmrechte in Bezug auf VB wahrzunehmen. Betroffen sei insoweit das grundrechtlich geschützte Recht am Eigentum, zumal die Gesellschaft im englischen Verfahren nicht gehört worden sei. Dies verstoße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.

23.

In Anbetracht dessen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass im Rahmen eines Verfahrens über die Anerkennung einer ausländischen gerichtlichen Entscheidung die Verletzung der Rechte von Personen, die nicht am Ausgangsverfahren beteiligt sind, einen Grund für die Anwendung der Ordre-public-Klausel des Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 und die Versagung der Anerkennung der ausländischen Entscheidung darstellen kann, soweit sie Personen betrifft, die nicht am Ausgangsverfahren beteiligt sind?

2.

Sollte die erste Frage bejaht werden: Ist Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass es der dort niedergelegte Grundsatz des fairen Verfahrens zulässt, in einem Verfahren über die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen die Vermögensrechte einer Person, die nicht an dem Verfahren beteiligt war, einzuschränken, wenn vorgesehen ist, dass jede Person, die von der Entscheidung über die vorläufigen Sicherungsmaßnahmen betroffen ist, jederzeit bei dem Gericht die Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung beantragen kann, und den Klägern die Zustellung der Entscheidung an die beteiligten Personen überlassen bleibt?

IV – Rechtliche Würdigung

A – Vorbemerkung

24.

Entsprechend der Aufgabenverteilung zwischen Gerichtshof und vorlegendem Gericht entziehen sich Vorgänge des nationalen Verfahrens der Zuständigkeit des Gerichtshofs, und es obliegt grundsätzlich dem nationalen Gericht, die Entscheidungserheblichkeit seiner Vorlagefragen einzuschätzen. Zwei verfahrensrechtliche Besonderheiten sind zum Verständnis der vorliegenden Rechtssache allerdings erwähnenswert, zumal sie für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen von Belang sein können.

25.

Erstens tritt dem vom vorlegenden Gericht unterbreiteten Sachverhalt zufolge Herr Meroni offenbar in eigenem Namen im lettischen Verfahren auf. Originär eigene Vermögensrechte von Herrn Meroni sind allem Anschein nach vom fraglichen Verfügungsverbot aber nicht betroffen, sondern primär diejenigen von Herrn A. L., dessen Vermögen er verwaltet. Insofern scheint Herr Meroni jedoch als „Inhaber der Rechte, deren wirtschaftlicher Eigentümer [A. L.]“ ( 15 ) ist, zu gelten, so dass auch für ihn von einer Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen auszugehen ist.

26.

Zweitens lässt sich dem Vorabentscheidungsersuchen nicht eindeutig entnehmen, wann genau das fragliche Verfügungsverbot an Herrn A. L. oder an Herrn Meroni zugestellt worden ist. Die dem Gerichtshof unterbreiteten Angaben deuten indessen darauf hin, dass eine solche Zustellung, von der die Wirksamkeit des Verbots abhängt, jedenfalls erfolgt ist. Zum einen ordnet schon das Verfügungsverbot selbst in seinem Abschnitt 22 die Zustellung an den Beklagten an. Zum anderen ist vorinstanzlich in der Republik Lettland bereits über die Vollstreckbarerklärung des Verfügungsverbots entschieden worden, und spätestens in diesem Stadium des Verfahrens hätte nach Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 eine Zustellung an Herrn A. L., für dessen Vermögen Herr Meroni als Sachwalter auftritt, vorgenommen werden müssen. Auch insofern sind die Vorlagefragen daher in Bezug auf Herrn Meroni nicht als entscheidungsunerheblich oder gar als hypothetisch anzusehen.

B – Zu den Vorlagefragen

27.

Das vorlegende Gericht fragt mit seiner ersten Vorlagefrage nach der Auslegung von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 und mit seiner zweiten, die es für den Fall stellt, dass die erste Frage bejaht wird, nach Art. 47 der Charta der Grundrechte.

28.

Beide Fragen können jedoch gemeinsam geprüft werden, da ein Grundrechtsverstoß im Sinne der Charta einen Ordre-public-Verstoß im Sinne von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 nach sich zöge ( 16 ).

29.

Mit seinen Vorlagefragen möchte das vorlegende Gericht demnach im Wesentlichen wissen, ob ein Verfügungsverbot eines Gerichts eines Mitgliedstaats, das als Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes ohne vorherige Anhörung aller Personen, deren Rechte vom Verfügungsverbot betroffen sein können, ergangen ist, gegen den ordre public des Vollstreckungsstaats bzw. gegen Art 47 der Charta der Grundrechte verstoßen kann, wenn jede Person, die von der Entscheidung betroffen ist, jederzeit bei dem Gericht des Ursprungsstaats die Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung beantragen kann.

30.

Vorab ist allerdings zu prüfen, ob es sich bei dem fraglichen Verfügungsverbot überhaupt um eine „Entscheidung“ im Sinne von Art. 32 der Verordnung Nr. 44/2001 handelt ( 17 ), da sich nur dann die Anerkennung und Vollstreckung des Verfügungsverbots, das eine Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes ist, nach der fraglichen Verordnung beurteilt.

31.

Der Gerichtshof hat im Urteil Denilauler ( 18 ), das vor dem Hintergrund des EuGVÜ erging, für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes den Entscheidungsbegriff trotz der weitgefassten Begriffsdefinition restriktiv ausgelegt und die Vollstreckbarkeit einer französischen Sicherungspfändung in Deutschland verneint, nachdem die französische Entscheidung sowohl ohne Anhörung des deutschen Vollstreckungsschuldners ergangen war als auch ohne vorherige Zustellung an ihn vollzogen werden sollte ( 19 ). Auf den vorliegenden Fall angewandt, bestehen insofern aber keine Bedenken. Denn wie oben ausgeführt, ist zumindest von einer Zustellung des Verfügungsverbots an Herrn A. L. bzw. seinen Sachwalter und womöglich auch von einer vorherigen Anhörung im englischen Verfahren auszugehen. Folglich ist das fragliche Verfügungsverbot selbst nach dem strengen Wertungsmaßstab des Urteils Denilauler eine „Entscheidung“. Ob nach den Maßstäben der Verordnung Nr. 44/2001 nunmehr weniger hohe Anforderungen an den Entscheidungsbegriff zu stellen sind als nach dem EuGVÜ, das dem Urteil Denilauler zugrunde lag, kann daher dahingestellt bleiben. Der Vollständigkeit halber ist aber darauf hinzuweisen, dass im Kontext der Verordnung Nr. 44/2001 einiges für eine anerkennungsfreundlichere Herangehensweise spräche ( 20 ). War nach dem EuGVÜ nämlich noch pauschal die Anerkennung zu versagen, wenn dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß oder nicht rechtzeitig zugestellt worden war, kann nach der Verordnung Nr. 44/2001 trotz Zustellungsmangel von einem Versagungsgrund dann nicht mehr die Rede sein, wenn der Betreffende im Ursprungsstaat der Entscheidung keinen Rechtsbehelf gegen sie einlegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte ( 21 ). Übertragen auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bedeutet dies, dass, wenn im Ursprungsstaat (wie im vorliegenden Verfahren) der Rechtsweg gegen die zu vollstreckende Maßnahme eröffnet ist, es folgerichtig wäre, sie nach der Verordnung Nr. 44/2001 schon dann für anerkennungsfähig zu erachten, sofern der Beklagte trotz der ihm gebotenen Möglichkeit den nationalen Rechtsbehelf nicht einlegt.

32.

Da demnach ein Verfügungsverbot wie dass im Ausgangsverfahren in Rede stehende nach der Verordnung Nr. 44/2001 grundsätzlich für vollstreckbar erklärt werden kann, ist im Folgenden zu klären, ob im vorliegenden Fall dieser Vollstreckbarerklärung Ordre-public-Erwägungen entgegenstehen.

1. Die Ordre-public-Klausel in der Rechtsprechung des Gerichtshofs

33.

Der Gerichtshof hat die auf dem ordre public beruhenden Anerkennungs- und Vollstreckungshindernisse eng ausgelegt ( 22 ). Die dahin gehende Rechtsprechung habe ich bereits an anderer Stelle erörtert ( 23 ) und beschränke mich, um Wiederholungen zu vermeiden, im Folgenden auf eine summarische Darstellung der wesentlichen Grundgedanken.

a) Allgemeine Grundsätze

34.

Zwar können die Mitgliedstaaten grundsätzlich selbst festlegen, welche Anforderungen sich nach ihren innerstaatlichen Anschauungen für den Begriff des ordre public ergeben. Allerdings wacht der Gerichtshof über die Grenzen, innerhalb deren sich das Gericht eines Mitgliedstaats auf diesen Begriff stützen darf ( 24 ).

35.

Die Anerkennung einer Gerichtsentscheidung darf nicht bereits deshalb versagt werden, weil die vom Gericht des Ursprungsstaats angewandten Rechtsvorschriften von denen abweichen, die das Gericht des Anerkennungsstaats im Fall seiner eigenen Befassung mit dem Rechtsstreit angewandt hätte ( 25 ). Eine Anwendung der Ordre-public-Klausel des Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung im Vollstreckungsstaat gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung dieses Staates stünde. Damit das in den Art. 36 und 45 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 normierte Verbot, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in der Sache nachzuprüfen, gewahrt bleibt, muss es sich dabei um eine offensichtliche Verletzung einer in der betreffenden Rechtsordnung als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines als grundlegend anerkannten Rechts handeln ( 26 ).

b) Ordre public und Verfahrensgarantien

36.

Am 16. Juli 2015 hat der Gerichtshof diesen Ansatz im Urteil Diageo Brands ( 27 ) erneut bestätigt und sich darüber hinaus zu der Frage geäußert, inwiefern der Umstand, dass eine Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts offensichtlich gegen das Unionsrecht verstößt und unter Verletzung von Verfahrensgarantien ergangen ist, nach Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 einen Grund darstellt, ihr die Anerkennung zu versagen.

37.

Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass bei Unionsrechtsverstößen die Ordre-public-Klausel nur insofern eingreifen kann, als der Rechtsfehler bedeuten würde, dass die Anerkennung der betreffenden Entscheidung im Vollstreckungsstaat die offensichtliche Verletzung einer in der Unionsrechtsordnung und somit in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats wesentlichen Rechtsnorm zur Folge haben würde ( 28 ). Zur Verletzung von Verfahrensgarantien hat der Gerichtshof ferner ausgeführt, dass die Betroffenen im Vorfeld einer Vollstreckbarerklärung „– unter der Voraussetzung, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die das Einlegen der Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat zu sehr erschweren oder unmöglich machen – [… im Ursprungsmitgliedstaat der zu vollstreckenden Entscheidung] von allen gegebenen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen [haben], um im Vorhinein zu verhindern, dass es [im Vollstreckungsstaat] zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kommt“ ( 29 ). Damit hat der Gerichtshof im Einklang mit Art. 34 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dem von der Vollstreckung Bedrohten eine schwere Bürde auferlegt: Der Schuldner darf nicht tatenlos abwarten und darauf vertrauen, sich gegebenenfalls erst im Rahmen seines Rechtsbehelfs im Vollstreckbarkeitsverfahren auf Verfahrensmängel im Ursprungsstaat berufen zu können. Er muss vielmehr von sich aus aktiv werden, wenn er von der fraglichen Entscheidung Kenntnis erlangt hat, und sie mit den ihm zu Gebote stehenden Rechtsbehelfen im Ursprungsmitgliedstaat anfechten ( 30 ).

38.

Das Urteil Diageo Brands liegt insoweit auf der gleichen Linie wie die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 25. Februar 2014 ( 31 ), die interessanterweise wie der vorliegende Fall einen Bezug zu Lettland aufweist.

39.

In dieser Rechtssache hatte der EGMR im Licht von Art. 6 EMRK ( 32 ) und dem Recht auf ein faires Verfahren zu beurteilen, ob Mängel bei der Verfahrenseinleitung in Zypern nach Erlass eines Versäumnisurteils dessen Vollstreckbarerklärung in Lettland entgegengehalten werden dürfen. Art. 34 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 verneint ein solches Vollstreckbarkeitshindernis, falls der Beklagte – wie im vom EGMR zu entscheidenden Fall ‐ gegen die fragliche Entscheidung „keinen Rechtsbehelf eingelegt [hat], obwohl er die Möglichkeit dazu hatte“. Der EGMR hält dies auch aus Sicht der EMRK für unbedenklich, betont allerdings, dass der bei ihm Beschwerde führende Beklagte Anlageberater, also geschäftlich nicht unerfahren, gewesen sei. Auch wenn das zu vollstreckende Urteil keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalte, hätte er sich daher in zumutbarer Weise über die in Zypern verfügbaren Rechtsbehelfe informieren und dort den Rechtsweg beschreiten können, nachdem er Kenntnis vom zu vollstreckenden Urteil erlangt habe. Einen Beweis für das Fehlen oder die Unwirksamkeit möglicher Rechtsbehelfe habe er nicht erbracht.

40.

In dieser Sache ist das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen, da sie nach dem Urteil vom 25. Februar 2014 an die Große Kammer des EGMR verwiesen wurde, deren Entscheidung noch nicht ergangen ist. Momentan ist aber auf der Grundlage des bereits ergangenen Urteils davon auszugehen, dass einem geschäftlich nicht unerfahrenen Schuldner erhebliche Mitwirkungspflichten obliegen, wenn es um die Wahrung seiner materiellen und prozessualen Rechte geht; kommt er diesen Pflichten nicht nach, geht seine Berufung auf Art. 6 EMRK ins Leere.

2. Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall

41.

Neben der zunächst zu erörternden Frage, ob für den vorliegenden Fall im Licht der Rechtsprechung von einem Ordre-public-Verstoß ausgegangen werden kann, ist, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, auch zu prüfen, wer einen vermeintlichen Ordre-public-Verstoß im Rechtsstreit über die Vollstreckbarerklärung rügen kann und ob mit solchen Rügen auch vermeintliche Rechte Dritter geltend gemacht werden können.

a) Zum Vorliegen eines Ordre-public-Verstoßes im Ausgangsverfahren

42.

Im Ausgangsverfahren rügt der Kläger, dass mit der Vollstreckbarerklärung in „Eigentumsrechte Dritter“ ( 33 ) eingegriffen werde. Mit dem Begriff des „Dritten“ meint er in erster Linie die Gesellschaft Y, da Herr A. L. an dieser Gesellschaft, deren Rechte vom Verfügungsverbot betroffen seien, „nur wirtschaftliche Interessen“ ( 34 ) habe und nicht der eigentliche Anteilseigner sei.

43.

Das Verfügungsverbot richtet sich allerdings ad personam an Herrn A. L. und erfasst nur reflexhaft die von ihm wirtschaftlich kontrollierten Gesellschaften und Vermögenswerte. Letztlich weist es Herrn A. L. an, alles zu unterlassen, was in Bezug auf VB zu einer mittelbaren oder unmittelbaren Vermögensschmälerung führen könnte, und die Leitungsorgane der von ihm kontrollierten Gesellschaften entsprechend zu instruieren ( 35 ).

44.

Inwieweit dieses Verbot zu Grundwertungen des materiellen lettischen Rechts oder des Verfahrensrechts in Widerspruch stünde, ist auf Anhieb nicht ersichtlich, zumal die lettische Rechtsordnung, wie das vorlegende Gericht einräumt, im einstweiligen Rechtsschutz durchaus Entscheidungen ohne vorherige Anhörung des Schuldners zulässt ( 36 ).

45.

Abgesehen davon sieht das hier in Rede stehende englische Verfügungsverbot für seine Vollstreckung im Ausland, insbesondere soweit es um in England nicht verfahrensbeteiligte Dritte geht, keine irreversibel einschneidenden Maßnahmen vor. Rechtswirkungen auf im Ausland ansässige Dritte ‐ also die von A. L. kontrollierten Gesellschaften ‐ beansprucht das Verfügungsverbot vielmehr nur nach Maßgabe enger Voraussetzungen: Erstens soll es ohne vorherige Zustellung nur Rechtswirkungen entfalten, wenn das ausländische Recht dies zulässt ( 37 ); zweitens soll jedermann, dem das Verfügungsverbot zugestellt wird, dessen gerichtliche Aufhebung oder Abänderung beantragen können ( 38 ), und drittens soll die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen im Ausland ( 39 ) ungeachtet des Verfügungsverbots weiterhin möglich bleiben.

46.

Das fragliche Verfügungsverbot zeichnet sich demnach zum einen dadurch aus, dass es auf verfahrensrechtliche Besonderheiten des Vollstreckungsstaats (wie etwa Zustellungserfordernisse) Rücksicht nimmt, und lässt zum anderen den Betroffenen auch nach Zustellung einen beträchtlichen materiellen Spielraum. Wäre etwa die Gesellschaft Y aufgrund von Stimmbindungsverträgen gehalten, unter bestimmten Voraussetzungen ihr Stimmrecht in der Aktionärsversammlung von VB in im Voraus festgelegter Weise auszuüben, würde das Verfügungsverbot, das eingegangene vertragliche Verpflichtungen ja unberührt lässt, dem allem Anschein nach nicht entgegenstehen.

47.

Eine materielle Knebelung verfahrensunbeteiligter Dritter durch das Verfügungsverbot, die unter Ordre-public-Gesichtspunkten relevant werden könnte, scheint in Anbetracht dessen nicht gegeben, im Gegenteil: Soweit sich ein nicht verfahrensbeteiligter Dritter wie etwa die Gesellschaft Y dem Verfügungsverbot unterworfen sehen kann, ist dies im Wesentlichen die Folge dessen, dass erstens Herr A. L. sein „wirtschaftlicher Eigentümer“ ist, dass zweitens das nationale Recht des Vollstreckungsstaats diese Rechtsstellung anzuerkennen scheint ( 40 ) und dass drittens das nationale Recht des Ursprungsstaats ein dahin gehendes Verfügungsverbot zulässt. Ein in einem solchen Verbot bestehender etwaiger Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen verfahrensunbeteiligter Unternehmen erfolgt also allemal nicht willkürlich, sondern auf gesetzlicher Grundlage.

48.

Soweit die im Verfügungsverbot genannten Dritten außerdem gegebenenfalls Rechtsbehelfe gegen das Verfügungsverbot einlegen können und es sich bei den Dritten zudem um Kapitalgesellschaften, also nicht um geschäftlich gänzlich Unerfahrene, handelt, sind auch verfahrensrechtlich keine Anhaltspunkte für einen Ordre-public-Verstoß ersichtlich. Dies gilt jedenfalls insofern, als für die Geltendmachung der Rechtsbehelfe in England keine unüberwindbaren Hindernisse drohen, wovon mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte ( 41 ) im Sinne des wechselseitigen Vertrauens in die Rechtspflege der Mitgliedstaaten auszugehen ist.

49.

Vielmehr lässt sich dem oben angeführten Urteil Diageo Brand das Gebot der Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs im Ursprungsstaat entnehmen, bevor der Ordre-public-Einwand im Vollstreckungsstaat überhaupt erhoben werden kann. Diese Prämisse steht auch mit der jüngeren Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK in Einklang, der inhaltlich Art. 47 der Charta entspricht. Überträgt man diese Urteile auf das vorliegende Verfahren, wird man, da der Rechtsweg im Ursprungsmitgliedstaat noch nicht erschöpft ist, von keinem Ordre-public-Verstoß ausgehen können.

50.

Ob das Verfügungsverbot, wie Herr Meroni weiter rügt, inhaltlich zu unbestimmt ist, um in Lettland Gegenstand von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu sein, hat der Gerichtshof schließlich im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen. Dies ist nämlich keine Frage, die im Rahmen von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 auf der Ebene der Vollstreckbarerklärung zu prüfen ist.

51.

Vielmehr handelt es sich dabei um eine Frage des Zwangsvollstreckungsrechts, das weiterhin den Mitgliedstaaten vorbehalten ist. Im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen geht es dagegen lediglich um die der Zwangsvollstreckung vorgeschaltete Frage der Vollstreckbarerklärung. Mit anderen Worten: Dass eine Entscheidung für vollstreckbar erklärt wird, muss noch nicht zwingend bedeuten, dass sie mit den gleichen Instrumentarien der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann, die im Ursprungsstaat zu Gebote stünden. Entscheidend für die Frage, ob eine Vollstreckbarerklärung in Frage kommt, ist vielmehr, ob es sich im Ursprungsstaat um eine vollstreckbare Entscheidung handelt ( 42 ), wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist. Wenn es um die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen geht, können auf einer der Vollstreckbarerklärung nachgeschalteten Ebene, wie der Gerichtshof u. a. im Urteil Prism Investments ( 43 ) anerkannt hat, aber weitere (nationale) Rechtsbehelfe eingelegt und Einwendungen vorgebracht werden ‐ wie möglicherweise die von Herrn Meroni ins Feld geführten.

52.

Ein Verstoß gegen grundlegende rechtliche Wertungen der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats, die zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen führen könnten, wenn das Verfügungsverbot für vollstreckbar erklärt würde, ist nach alledem aus der Perspektive des Unionsrechts in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht ersichtlich, und ein Ordre-public-Verstoß ist demzufolge zu verneinen.

b) Zur Geltendmachung von Rechten Dritter im Verfahren über die Vollstreckbarkeitserklärung

53.

Selbst wenn ein solcher Ordre-public-Verstoß in Bezug auf Rechte Dritter – hier: die Gesellschaft Y ‐ zu bejahen wäre, könnte Herr Meroni, der dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge im lettischen Verfahren die Rechtsposition von Herrn A. L. wahrnimmt, einen derartigen Verstoß aber nicht mit einem Rechtsbehelf rügen, der sich gegen die Vollstreckbarerklärung des Verfügungsverbots gegenüber Herrn A. L. richtet.

54.

Aus der Systematik der Verordnung Nr. 44/2001 ergibt sich nämlich, dass das mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung befasste Gericht nicht von Amts wegen die fragliche Entscheidung auf Ordre-public-Konformität untersucht, sondern dass es der potenzielle Vollstreckungsschuldner ist, der zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte – so der 18. Erwägungsgrund der Verordnung – Einwände gegen die Vollstreckbarerklärung geltend machen kann. Es wäre vor diesem Hintergrund systemwidrig, wenn der Schuldner sich in diesem Zusammenhang auch auf Rechtspositionen Dritter berufen könnte, zumal wenn Letztere selbst keinen Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung eingelegt haben oder die fragliche Entscheidung ihnen noch nicht einmal zugestellt wurde.

55.

In die gleiche Richtung deutete bereits das Urteil Draka NK Cables u. a. ( 44 ) des Gerichtshofs, das es einem verfahrensfremden Gläubiger des Vollstreckungsschuldners verwehrte, sich (etwa mit dem Ziel, die Vollstreckung durch konkurrierende Gläubiger zu vereiteln) im Verfahren über die Vollstreckbarkeit der Entscheidung zu beteiligen: Die vom Gerichtshof geforderte Beschränkung des Streitstoffs auf die Verfahrensbeteiligten würde umgangen, wenn man diesen zubilligte, vermeintliche Rechte Dritter im Verfahren nach den Art. 43 ff. der Verordnung Nr. 44/2001 geltend zu machen.

56.

Soweit Herr Meroni sein Verfahren nicht namens der Gesellschaft Y führt, wofür keine Anhaltspunkte vorliegen, ist es ihm also verwehrt, deren Interessen als „Rechte Dritter“ in das Vollstreckbarkeitsverfahren einzuführen. Demnach wären die Ordre-public-Rügen von Herrn Meroni, selbst wenn sie begründet wären, im Ausgangsverfahren unbeachtlich, da mit ihnen Rechte am Verfahren nicht beteiligter Dritter geltend gemacht werden.

V – Ergebnis

57.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

Ein von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassenes Verfügungsverbot, das als Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes ohne vorherige Anhörung aller Personen ergangen ist, deren Rechte vom Verfügungsverbot betroffen sein können, verstößt jedenfalls dann nicht gegen Art 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 oder gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wenn jede Person, die von der Entscheidung betroffen ist, jederzeit bei dem Gericht des Ursprungsstaats die Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung beantragen kann.

Mit Rechtsbehelfen gegen die Vollstreckbarerklärung können nur eigene Rechte des Rechtsmittelführers und nicht Rechte Dritter geltend gemacht werden.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Urteil Allianz (C‑185/07, EU:C:2009:69).

( 3 ) Früher auch „Mareva injunction“ genannt; vgl. hierzu bereits das Urteil Gambazzi (C‑394/07, EU:C:2009:219, Rn. 11).

( 4 ) Verordnung des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, in der hier anwendbaren Fassung, zuletzt geändert durch die Verordnung [EG] Nr. 1103/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 [ABl. L 304, S. 80]).

( 5 ) Diese Definition entspricht im Wesentlichen der von Art. 25 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) (im Folgenden: EuGVÜ).

( 6 ) Vorzulegen ist u. a. eine Ausfertigung der zu vollstreckenden Entscheidung.

( 7 ) Das vorlegende Gericht präzisiert nicht näher, was unter der Rechtsstellung als „wirtschaftlicher Eigentümer“ zu verstehen und ob damit etwa ein Treuhandverhältnis oder nur die tatsächlicher Möglichkeit der eigentümerähnlichen Einflussnahme gemeint ist.

( 8 ) In Rn. 3 des Vorabentscheidungsersuchens wird er als „Inhaber der im Strafverfahren […] beschlagnahmten Vermögenswerte von [A. L.]“ bezeichnet, in Rn. 9 der schriftlichen Erklärungen des Vereinigten Königreichs als „bailee of property of [A. L.]“.

( 9 ) So Abschnitt 13 des Verfügungsverbots.

( 10 ) So Abschnitt 15 des Verfügungsverbots unter der Rubrik „Andere Parteien als Kläger und Beklagte“. Im Fall der Zuwiderhandlung drohen wegen „contempt of court“ empfindliche Sanktionen.

( 11 ) So Abschnitt 20 des Verfügungsverbots.

( 12 ) So Abschnitt 21 des Verfügungsverbots.

( 13 ) Vgl. Rn. 10.2.5 des Vorabentscheidungsersuchens.

( 14 ) So Abschnitt 1 des Verfügungsverbots.

( 15 ) Vgl. hierzu Rn. 3 und 8 des Vorabentscheidungsersuchens.

( 16 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Krombach (C-7/98, EU:C:2000:164, Rn. 38 und 39) und Gambazzi (C-394/07, EU:C:2009:219, Rn. 28) sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2046, Nr. 74).

( 17 ) Vgl. zur früheren Rechtslage und zu Art. 25 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) meine Schlussanträge in der Rechtssache Gambazzi (C‑394/07, EU:C:2008:748, Nrn. 20 bis 30).

( 18 ) Urteil Denilauler (125/79, EU:C:1980:130, Rn. 2, 7, 8, 17 und 18).

( 19 ) Bemerkenswerterweise weichen die Rn. 17 und 18 der (als Verfahrenssprache eigentlich maßgeblichen) deutschen Urteilsfassung insofern vom französischen Text ab, als Letzterer die Entscheidungsqualität bei kumulativem Fehlen von Ladung und Zustellung abspricht (so auch der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens), während die deutsche Urteilsfassung die Lesart nahelegt, dass bereits bei Fehlen von Ladung oder Zustellung die Entscheidungsqualität entfalle. Die zurückhaltende Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs (vgl. etwa den Beschluss vom 21. Dezember 2006, Az. IX ZB 150/05, veröffentlicht u. a. in der RIW 2007, S. 217), nach der im Ursprungsstaat ein kontradiktorisches Verfahren vorausgegangen sein muss, damit ausländische Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in Deutschland anerkannt werden, beruht womöglich u. a. auch auf dieser sprachlichen Divergenz.

( 20 ) Vgl. hierzu Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Brüssel I-VO, 3. Aufl. 2011, Art. 32, Rn. 12a.

( 21 ) Vgl. hierzu das Urteil ASML (C‑283/05, EU:C:2006:787, Rn. 18 bis 21).

( 22 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Hoffmann (145/86, EU:C:1988:61, Rn. 21), Hendrikman und Feyen (C-78/95, EU:C:1996:380, Rn. 23), Krombach (C-7/98, EU:C:2000:164, Rn. 21), Renault (C-38/98, EU:C:2000:225, Rn. 26), Apostolides (C-420/07, EU:C:2009:271, Rn. 55) und Trade Agency (C-619/10, EU:C:2012:531, Rn. 49).

( 23 ) Schlussanträge in der Rechtssache flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2046, Nrn. 71 ff.).

( 24 ) Vgl. Urteile Krombach (C-7/98, EU:C:2000:164, Rn. 23), Renault (C-38/98, EU:C:2000:225, Rn. 28), Apostolides (C-420/07, EU:C:2009:271, Rn. 57), Trade Agency (C-619/10, EU:C:2012:531, Rn. 49) und flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 47).

( 25 ) Vgl. Urteile Krombach (C-7/98, EU:C:2000:164, Rn. 36), Renault (C-38/98, EU:C:2000:225, Rn. 29), Apostolides (C-420/07, EU:C:2009:271, Rn. 58), Trade Agency (C-619/10, EU:C:2012:531, Rn. 50) und flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 48).

( 26 ) Vgl. Urteile Krombach (C-7/98, EU:C:2000:164, Rn. 37), Renault (C-38/98, EU:C:2000:225, Rn. 29), Gambazzi (C-394/07, EU:C:2009:219, Rn. 27), Apostolides (C-420/07, EU:C:2009:271, Rn. 59), Trade Agency (C-619/10, EU:C:2012:531, Rn. 51) und flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 49).

( 27 ) Urteil Diageo Brands (C‑681/13, EU:C:2015:471).

( 28 ) Urteil Diageo Brands (C‑681/13, EU:C:2015:471, Rn. 50).

( 29 ) Urteil Diageo Brands (C‑681/13, EU:C:2015:471, Rn. 64).

( 30 ) Vgl. hierzu das Urteil Apostolides (C‑420/07, EU:C:2009:271, Rn. 80).

( 31 ) EGMR, Urteil Avotiņš v. Lettland (ECLI:CE:ECHR:2014:0225JUD001750207, insbesondere Rn. 51 ff.).

( 32 ) Diese Vorschrift entspricht Art. 47 der Charta der Grundrechte. In Anbetracht von deren Art. 52 Abs. 3 ist daher die Auslegung von Art. 6 EMRK für die von Art. 47 von Interesse; vgl. hierzu meine Schlussanträge in der Rechtssache Schindler Holding u. a./Kommission (C‑501/11 P, EU:C:2013:248, Nrn. 21 bis 24).

( 33 ) So Rn. 8 des Vorabentscheidungsersuchens.

( 34 ) So Rn. 8 des Vorabentscheidungsersuchens.

( 35 ) So Abschnitt 9 des Verfügungsverbots.

( 36 ) Vgl. Rn. 10.2.4 des Vorabentscheidungsersuchens.

( 37 ) So Abschnitt 21 des Verfügungsverbots.

( 38 ) So Abschnitt 13 des Verfügungsverbots.

( 39 ) So Abschnitt 20 des Verfügungsverbots.

( 40 ) Rn. 8 des Vorabentscheidungsersuchens spricht ausdrücklich von der Inhaberschaft an Rechten, „deren wirtschaftlicher Eigentümer [Herr A. L. ist], an der niederländischen Gesellschaft [Y]“.

( 41 ) Der unsubstantiierte Einwand von Herrn Meroni in den Rn. 21 ff. seiner schriftlichen Erklärungen, der Ermessensspielraum der englischen Gerichte sei zu groß, greift in dieser Hinsicht zu kurz.

( 42 ) Urteil Coursier (C‑267/97, EU:C:1999:213, Rn. 23).

( 43 ) Urteil Prism Investments (C‑139/10, EU:C:2011:653, Rn. 40).

( 44 ) Urteil Draka NK Cables u. a. (C‑167/08, EU:C:2009:263, Rn. 29 bis 31).