SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 24. November 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑387/14

Esaprojekt sp. z o.o.

gegen

Województwo Łódzkie

(Vorabentscheidungsersuchen der Krajowa Izba Odwoławcza [Nationale Beschwerdekammer, Polen])

„Richtlinie 2004/18/EG — Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Transparenz — Vorlage zusätzlicher Auskünfte durch den Bieter über Lieferungen, die er in dem ursprünglichen Angebot nicht angegeben hatte — Möglichkeit der Summierung der Erfahrung zweier Wirtschaftsteilnehmer — Möglichkeit, sich auf die Erfahrung als Mitglied einer Gemeinschaft von Unternehmen zu berufen — Möglichkeit der Zusammenfassung der Erfahrung aus mehreren Aufträgen — In erheblichem Maße falsche Erklärungen“

I – Einleitung

1.

Die vorliegende Rechtssache betrifft eine öffentliche Ausschreibung über die Lieferung von EDV-Systemen für Krankenhäuser in Polen. Zunächst wurde der Gesellschaft Komputer Konsultant sp. z o.o. (im Folgenden: KK) der Zuschlag erteilt. Dagegen legte die Esaprojekt sp. z o.o., die ebenfalls ein Angebot eingereicht hatte, einen Rechtsbehelf bei den nationalen Gerichten ein. Die Erteilung des Zuschlags wurde aufgehoben, weil die Erfahrung, auf die KK verwiesen hatte, ungenügend war. KK wurde aufgefordert, die Liste ihrer Erfahrungen zu erläutern. In ihrer ergänzten Liste nahm KK auf die noch nicht angeführte Erfahrung eines Dritten Bezug. KK wurde erneut der Zuschlag erteilt. Esaprojekt legte wiederum einen Rechtsbehelf ein, der zu dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen Anlass gegeben hat.

2.

Das nationale Gericht hat dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen vorgelegt, mit denen erstens die Voraussetzungen geklärt werden sollen, unter denen Bieter die Liste ihrer Erfahrungen ändern und sich auf die Erfahrung Dritter berufen können. Zweitens möchte das nationale Gericht geklärt wissen, unter welchen Voraussetzungen von einem Bieter übermittelte Informationen als „falsche Erklärungen“ im Sinne von Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18/EG ( 2 ) anzusehen sind. Drittens möchte das nationale Gericht wissen, ob es zwecks Erfüllung einer Verdingungsbedingung zulässig ist, sich auf die Erfahrung aus mehreren getrennten Aufträgen zusammen zu berufen, wenn diese Möglichkeit vom öffentlichen Auftraggeber nicht ausdrücklich vorgesehen wurde.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

3.

In Art. 2 der Richtlinie 2004/18 (im Folgenden auch nur: Richtlinie) ist für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge der Grundsatz der Transparenz und der Nichtdiskriminierung niedergelegt.

4.

Nach Art. 44 Abs. 1 erfolgt die Auftragsvergabe u. a. gemäß den in Art. 48 genannten Kriterien für die berufliche und technische Fachkunde bzw. Leistungsfähigkeit. Art. 44 Abs. 2 bestimmt, dass die gestellten Mindestanforderungen „mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein [müssen]“.

5.

Im Abschnitt mit der Überschrift „Eignungskriterien“ bestimmt Art. 45 in Abs. 2 Buchst. g, dass von der Teilnahme am Vergabeverfahren Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden können, „die sich bei der Erteilung von Auskünften, die gemäß diesem Abschnitt eingeholt werden können, in erheblichem Maße falscher Erklärungen schuldig gemacht oder diese Auskünfte nicht erteilt haben“, und in Bezug auf Art. 45 Abs. 2 allgemein, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts die Bedingungen für die Anwendung dieses Absatzes fest[legen]“.

6.

Art. 48 Abs. 2 regelt die Art und Weise, in der Erfahrung nachgewiesen werden kann, wozu nach Buchst. a insbesondere Listen über erbrachte Bauleistungen sowie über erbrachte wesentliche Lieferungen oder Dienstleistungen gehören.

7.

Nach Art. 48 Abs. 3 kann „[e]in Wirtschaftsteilnehmer … sich gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen [stützen]“. In solchen Fällen muss er dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nachweisen, „dass ihm für die Ausführung des Auftrags die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, indem er beispielsweise die Zusage dieser Unternehmen vorlegt, dass sie dem Wirtschaftsteilnehmer die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen“.

8.

Art. 51 („Zusätzliche Unterlagen und Auskünfte“) bestimmt, dass ein öffentlicher Auftraggeber „Wirtschaftsteilnehmer auffordern [kann], die in Anwendung der Artikel 45 bis 50 vorgelegten Bescheinigungen und Dokumente zu vervollständigen oder zu erläutern“.

B – Nationales Recht

9.

Art. 2 Nr. 13 der Ustawa Prawo zamówień publicznych (Gesetz über öffentliche Aufträge, im Folgenden: GöA) definiert den Begriff „öffentliche Aufträge“ als „entgeltliche Verträge zwischen dem Auftraggeber und dem Wirtschaftsteilnehmer über Dienstleistungen, Lieferungen oder Bauleistungen“.

10.

Art. 24 Abs. 2 Nr. 3 GöA regelt den Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern, die „falsche Auskünfte erteilt haben, die Einfluss auf das Ergebnis des durchgeführten Verfahrens haben oder haben können“.

11.

Nach Art. 26 GöA kann der öffentliche Auftraggeber Bieter auffordern, fehlende Informationen nachzureichen, Fehler zu korrigieren oder Erklärungen oder Unterlagen zu erläutern.

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

12.

Die vorliegende Rechtssache betrifft die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags für EDV-Systeme für öffentliche Krankenhäuser in der Region Łódź (Lodz, Polen). Bei dem hier in Rede stehenden Teil der Ausschreibung geht es um den Einkauf und die Lieferung eines integrierten Krankenhaussystems (HIS) für die Verwaltung des administrativen (grauen) und des medizinischen (weißen) Bereichs im Samodzielny Szpital Wojewódzki im. Mikołaja Kopernika (Selbständiges Nikolaus-Kopernikus-Woiwodschaftskrankenhaus).

13.

Nach den Verdingungsunterlagen konnten sich um die Vergabe des Auftrags Wirtschaftsteilnehmer bewerben, die u. a. die Ausführung von mindestens zwei Aufträgen mit (in Bezug auf jeden der angegebenen Aufträge) folgendem Gegenstand nachgewiesen haben: Lieferung, Installation, Konfiguration und Einführung eines integrierten Krankenhaussystems (HIS) im weißen und im grauen Bereich eines Krankenhauses mit mindestens 200 Betten und mit einem Auftragswert von mindestens 450000 PLN brutto.

14.

Zum Nachweis der Erfüllung der obigen Voraussetzung mussten die Wirtschaftsteilnehmer eine Erklärung abgeben und eine Liste der ausgeführten „bedeutenden Lieferungen“ von HIS im weißen und im grauen Bereich vorlegen.

15.

KK legte im Rahmen ihres Angebots eine Liste vor, die zwei Positionen enthielt, nämlich Lieferungen von HIS im weißen und im grauen Bereich für Krankenhäuser in i) Słupsk (im Folgenden: Słupsk-Lieferung) und ii) Nowy Sącz (im Folgenden: Nowy-Sącz-Lieferung). Beide Lieferungen waren durch ein Konsortium aus der Konsultant IT sp. z o.o. (im Folgenden: KIT) und KK ausgeführt worden.

16.

KK erhielt den Zuschlag für den Einkauf und die Lieferung des HIS. Gegen diese Entscheidung legte Esaprojekt einen Rechtsbehelf ein und machte im Wesentlichen geltend, dass die von KK aufgelisteten Aufträge die Anforderungen der Ausschreibung in Bezug auf die erforderliche Erfahrung im Bereich HIS nicht erfüllten.

17.

Dem Rechtsbehelf wurde stattgegeben. Dem Auftraggeber wurde aufgegeben, KK aufzufordern, gemäß Art. 26 Abs. 4 GöA den Gegenstand der angegebenen Aufträge zu erläutern, um nachzuweisen, dass die für die Teilnahme an dem Verfahren in Bezug auf Fachkunde und Erfahrung gestellten Anforderungen erfüllt sind.

18.

Im Rahmen der angeforderten Erläuterung stellte sich heraus, dass die Słupsk-Lieferung aufgrund von zwei Ausschreibungen und im Rahmen zweier getrennter Aufträge erfolgt war, von denen einer den weißen und der andere den grauen Bereich nicht umfasst hatte. Der öffentliche Auftraggeber stellte fest, dass die Słupsk-Lieferung die Voraussetzungen der oben in Nr. 13 der vorliegenden Schlussanträge genannten Verdingungsbedingungen nicht erfülle, weil sie nicht im Rahmen eines einzigen „öffentlichen Auftrags“ im Sinne der Definition in Art. 2 Nr. 13 GöA erbracht worden sei, sondern im Rahmen von zwei getrennten Aufträgen. Der öffentliche Auftraggeber forderte KK daher zur ergänzenden Vorlage von Unterlagen auf, die die Erfüllung der Verdingungsbedingungen bestätigten.

19.

Im Rahmen der Ergänzung der Unterlagen legte KK eine neue Liste über Lieferungen vor. Diese Liste enthielt erneut die Nowy-Sącz-Lieferung. Darüber hinaus wurden zwei neue Lieferungen ergänzt, die beide von einem Dritten, der Medinet Systemy Informatyczne sp. z o.o. (im Folgenden: Medinet), ausgeführt worden waren (im Folgenden: Medinet-Lieferungen). KK legte auch die Zusage von Medinet vor, die für die Durchführung des Auftrags erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen und bei der Ausführung des Auftrags als Berater und Konsultant mitzuwirken.

20.

Der öffentliche Auftraggeber akzeptierte das von KK vorgelegte geänderte Angebot. Esaprojekt legte bei der Krajowa Izba Odwoławcza (Nationale Beschwerdekammer, Polen) erneut einen Rechtsbehelf gegen das Województwo Łódzkie (Woiwodschaft Lodz) ein. Dieses Gericht hat unter diesen Umständen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Frage 1:

Lässt es Art. 51 in Verbindung mit dem in Art. 2 der Richtlinie 2004/18 aufgestellten Grundsatz der gleichen und nicht diskriminierenden Behandlung der Wirtschaftsteilnehmer und der Transparenz zu, dass ein Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen der Erläuterung oder Ergänzung der Unterlagen andere ausgeführte Aufträge (d. h. ausgeführte Lieferungen) angibt als die, die er in der Liste der Lieferungen angegeben hat, die dem Angebot beigefügt war; darf er insbesondere auf von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer ausgeführte Aufträge verweisen, wenn er im Angebot nicht erwähnt hat, dass er über dessen Kapazitäten verfügen kann?

Frage 2:

Ist Art. 51 der Richtlinie 2004/18 im Licht des Urteils des Gerichtshofs vom 10. Oktober 2013, Manova (C‑336/12, EU:C:2013:647), aus dem hervorgeht, dass „der Grundsatz der Gleichbehandlung dahin auszulegen ist, dass er es einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehrt, einen Bewerber nach Ablauf der Frist für die Abgabe von Bewerbungen für ein Vergabeverfahren aufzufordern, die Situation dieses Bewerbers beschreibende Unterlagen, wie die veröffentlichte Bilanz, zu übermitteln, wenn objektiv nachprüfbar ist, dass sie vor Ablauf der Bewerbungsfrist existierten, soweit in den Verdingungsunterlagen nicht ausdrücklich vorgeschrieben war, dass sie übermittelt werden müssen und andernfalls die Bewerbung ausgeschlossen wird“, in der Weise auszulegen, dass die Ergänzung von Unterlagen nur zulässig ist, wenn sie Unterlagen betrifft, die objektiv nachprüfbar schon vor dem Ablauf der Frist für die Einreichung von Angeboten oder Anträgen auf Teilnahme am Verfahren existierten, oder in der Weise, dass der Gerichtshof nur eine der Möglichkeiten aufgezeigt hat und die Ergänzung von Unterlagen auch in anderen Fällen zulässig ist, z. B. durch die Nachreichung von Unterlagen, die vor Ablauf dieser Frist nicht existierten, die jedoch in objektiver Weise die Erfüllung einer Teilnahmevoraussetzung bestätigen können?

Frage 3:

Wenn die Frage 2 dahin gehend beantwortet werden sollte, dass auch andere Unterlagen als die im Urteil Manova (C‑336/12) genannten ergänzt werden können, können dann Unterlagen ergänzt werden, die von dem Wirtschaftsteilnehmer, von unterbeauftragten Dritten oder von anderen Wirtschaftsteilnehmern stammen, auf deren Kapazitäten sich der Wirtschaftsteilnehmer stützt, wenn diese im Rahmen des Angebots nicht erwähnt wurden?

Frage 4:

Lässt Art. 44 in Verbindung mit Art. 48 Abs. 2 Buchst a sowie dem in Art. 2 der Richtlinie 2004/18 aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer eine Berufung auf die Kapazitäten eines anderen Wirtschaftsteilnehmers, von denen in Art. 48 Abs. 3 die Rede ist, in der Weise zu, dass das Wissen und die Erfahrung von zwei Wirtschaftsteilnehmern, die jeweils für sich nicht das vom öffentlichen Auftraggeber geforderte Wissen und die Erfahrung besitzen, summiert werden, wenn diese Erfahrung unteilbar ist (d. h., die Bedingung für die Teilnahme am Verfahren durch einen Wirtschaftsteilnehmer vollständig erfüllt sein muss) und die Ausführung des Auftrags unteilbar ist (ein Ganzes darstellt)?

Frage 5:

Lässt Art. 44 in Verbindung mit Art. 48 Abs. 2 Buchst. a sowie dem in Art. 2 der Richtlinie 2004/18 aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer eine Berufung auf die Erfahrung einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern in der Weise zu, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der einen Auftrag als Mitglied einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern ausgeführt hat, sich auf die Ausführung durch diese Gemeinschaft unabhängig davon berufen kann, wie sein Anteil an der Ausführung dieses Auftrags war, oder kann er sich nur auf die eigene, tatsächlich erworbene Erfahrung berufen, die er bei der Ausführung des jeweiligen Teils des Auftrags erworben hat, der ihm innerhalb der Gemeinschaft zugewiesen wurde?

Frage 6:

Kann Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18, wonach von der Teilnahme am Vergabeverfahren ein Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden kann, der sich bei der Erteilung von Auskünften in erheblichem Maße falscher Erklärungen schuldig gemacht oder Auskünfte nicht erteilt hat, dahin ausgelegt werden, dass vom Verfahren ein Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen wird, der falsche Auskünfte erteilt hat, die Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens hatten oder haben konnten, in der Annahme, dass die Schuld für die entsprechende Irreführung sich allein aus der Erteilung der falschen Auskünfte an den öffentlichen Auftraggeber ergibt, die Einfluss auf die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über den Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers (und die Ablehnung seines Angebots) haben, unabhängig davon, ob der Wirtschaftsteilnehmer vorsätzlich und zielgerichtet handelte oder ohne Vorsatz, aus Leichtfertigkeit, Fahrlässigkeit oder Nichtbeachtung der erforderlichen Sorgfalt? Kann nur bei einem Wirtschaftsteilnehmer, der falsche Angaben (die nicht mit den Tatsachen übereinstimmen) gemacht hat, angenommen werden, dass er „sich bei der Erteilung von Auskünften … in erheblichem Maße falscher Erklärungen schuldig gemacht oder … Auskünfte nicht erteilt“ hat, oder auch bei einem Wirtschaftsteilnehmer, der zwar zutreffende Angaben gemacht hat, dies aber in einer Weise, die darauf abzielte, dass der öffentliche Auftraggeber zu der Überzeugung gelangt, dass der Wirtschaftsteilnehmer die von ihm aufgestellten Anforderungen erfüllt, obwohl dies nicht zutrifft?

Frage 7:

Lässt Art. 44 in Verbindung mit Art. 48 Abs. 2 Buchst. a sowie dem in Art. 2 der Richtlinie 2004/18 aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer die Berufung eines Wirtschaftsteilnehmers auf seine Erfahrung in der Weise zu, dass der Wirtschaftsteilnehmer sich auf zwei oder mehr Verträge zusammen als einen Auftrag beruft, obwohl der Auftraggeber weder in der Bekanntmachung noch in den Verdingungsunterlagen diese Möglichkeit vorgesehen hat?

21.

Die polnische Regierung, die italienische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die polnische Regierung, die Kommission und das Województwo Łódzkie, der Beklagte des Ausgangsverfahrens, haben an der mündlichen Verhandlung am 21. September 2016 teilgenommen.

IV – Würdigung

A – Frage 1 (zusammen mit den Fragen 2 und 3)

22.

Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich ein Bieter im Licht der Art. 2 und 51 der Richtlinie nach Ablauf der Frist für die Einreichung der Angebote auf die Erfahrung eines Dritten berufen kann, auf die er in dem ursprünglichen Angebot nicht verwiesen hat.

23.

Mit der zweiten und der dritten Frage soll geklärt werden, ob ein Bieter unter Berücksichtigung des Urteils Manova ( 3 ) berechtigt ist, nach Ablauf der Ausschreibungsfrist Unterlagen zum Nachweis dessen vorzulegen, dass er sich auf die Erfahrung dieses Dritten (im vorliegenden Fall Medinet) stützen kann.

24.

In Bezug auf die erste Frage bin ich der Ansicht, dass das Nachreichen solcher Referenzen aus den im Folgenden genannten Gründen allgemein nicht zulässig ist. Damit erübrigt sich eine eingehende Erörterung der zweiten und der dritten Frage.

25.

Art. 51 der Richtlinie bestimmt, dass der öffentliche Auftraggeber Bieter auffordern kann, die vorgelegten Unterlagen „zu vervollständigen oder zu erläutern“. Bei diesen Wörtern – „zu vervollständigen oder zu erläutern“ – dürfte es sich um eher flexible Begriffe handeln. Nach ständiger Rechtsprechung ( 4 ) schließen allerdings der Grundsatz der Gleichbehandlung und die Verpflichtung zur Transparenz jede Verhandlung zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und einem Bewerber während eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags aus. Daraus folgt – als allgemeine Regel –, dass ein öffentlicher Auftraggeber, nach dessen Auffassung ein Angebot ungenau ist oder nicht den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen technischen Spezifikationen entspricht, den Bieter nicht zu einer Erläuterung auffordern oder auch nur den Eindruck erwecken darf, dass er eine Änderung des Angebots zulässt ( 5 ).

26.

Nichtsdestoweniger ist es nach der Richtlinie „nicht verwehrt, Angebote in einzelnen Punkten zu berichtigen oder zu ergänzen, insbesondere wegen einer offensichtlich gebotenen bloßen Klarstellung oder zur Behebung offensichtlicher sachlicher Fehler“, solange dies nicht auf ein neues Angebot hinausläuft ( 6 ). Von den Bietern ist eine gebührende Sorgfalt zu erwarten ( 7 ), wobei aber ein überzogener Formalismus zu vermeiden ist ( 8 ). Dies ist besonders wichtig, da sichergestellt werden muss, dass Ausschreibungsverfahren offen und wettbewerbsorientiert bleiben.

27.

Nach Ablauf der Einreichungsfrist können zusätzliche Unterlagen daher nur ausnahmsweise nachgereicht werden, dies ist aber auch nicht ausgeschlossen. Somit stellt sich die Frage, wo genau die Grenze zu ziehen ist.

28.

Meiner Ansicht nach lässt sich der vom Gerichtshof verfolgte Ansatz vielleicht am besten mit einer Metapher erfassen: Die Informationen und Unterlagen, die ein Bieter bei Ablauf der Einreichungsfrist vorlegt, stellen eine Momentaufnahme dar. Nur die Informationen und Unterlagen, die bereits in diesem Bild enthalten sind, dürfen von dem öffentlichen Auftraggeber berücksichtigt werden. Das hindert den öffentlichen Auftraggeber nicht daran, Einzelheiten der Aufnahme, die ein wenig verschwommen sind und einer stärkeren Bildauflösung bedürfen, um das jeweilige Detail klar zu erkennen, zu vergrößern. Aber die wesentliche Information muss, wenn auch in einer niedrigen Auflösung, bereits in der ursprünglichen Momentaufnahme enthalten gewesen sein.

29.

Dieser Logik folgend kann es einem Bieter meiner Ansicht nach grundsätzlich nicht gestattet werden, die Erfüllung der technischen und beruflichen Anforderungen einer Ausschreibung dadurch nachzuweisen, dass er auf die Erfahrung Dritter verweist, auf die er sich vor Ablauf der Einreichungsfrist nicht berufen hatte. Diese Information war in der ursprünglichen Aufnahme schlicht nicht enthalten gewesen.

30.

Eine derartige Berufung auf einen Dritten ist somit keine bloße Erläuterung oder Formalität. Sie bedeutet tatsächlich eine wesentliche Änderung des Angebots. Die Identität der Wirtschaftsteilnehmer, die die Arbeiten ausführen oder zumindest ihre Erfahrung dafür bereitstellen sollen, wird geändert. Dies ist eine substanzielle Änderung, die einen zentralen Teil des Verfahrens berührt ( 9 ). Darüber hinaus könnte eine solche Änderung, worauf die Kommission hingewiesen hat, dazu führen, dass der öffentliche Auftraggeber eine zusätzliche Bewertung durchführen muss und dass sogar die Auswahl der Bewerber, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden, davon beeinflusst wird.

31.

Allgemeiner ausgedrückt: Eine Gestattung derartiger Änderungen kann den Wettbewerbsprozess zweifellos beeinflussen. Der Bieter muss seine Entscheidung, ob er sich auf seine eigene Erfahrung stützt oder sich auf diejenige eines Dritten beruft, in einem bestimmten Zeitpunkt und auf der Grundlage der ihm zu dieser Zeit vorliegenden Informationen treffen. Einem Bieter in einem späteren Zeitpunkt eine zweite Chance für diese unternehmerische Entscheidung zu geben, könnte ihm sicher einen Vorteil verschaffen, der mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbaren wäre. So könnte z. B. die Kenntnis von der Zahl und der Identität der Mitbewerber oder von einer Verschlechterung der Marktlage den Bieter veranlassen, die Einbeziehung eines Partners mit einer größeren Erfahrung anzustreben, um die eigenen Chancen zu erhöhen ( 10 ).

32.

Für diese Schlussfolgerung spricht auch eine Analogie zu Rechtssachen, in denen es um eine Änderung der Zusammensetzung der Bietergemeinschaft nach Ablauf der Einreichungsfrist ging. In der kürzlich entschiedenen Rechtssache Højgaard war eine aus zwei Gesellschaften bestehende Bietergemeinschaft vorausgewählt worden und hatte ein Angebot für einen öffentlichen Auftrag eingereicht. Anschließend wurde sie jedoch vor der Auftragsvergabe aufgelöst. Eine der Gesellschaften, Aarsleff, strebte daraufhin an, als ein in der Vorauswahl ausgewählter Bieter in dem Verfahren die Stelle der Bietergemeinschaft einzunehmen. Diese Änderung wurde akzeptiert, und Aarsleff erhielt den Zuschlag. Die Auftragsvergabe wurde vor den nationalen Gerichten angefochten, und dem Gerichtshof wurde die Frage vorgelegt, ob eine Änderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist.

33.

In seinem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass die Regelung der Änderung der Zusammensetzung einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern allgemein in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt ( 11 ). Aarsleff musste allerdings, damit die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung sichergestellt ist, in der Lage gewesen sein, die für die Vorauswahl festgelegten Kriterien allein zu erfüllen ( 12 ).

34.

In gleicher Weise kann ein Bieter, der von einem Auftraggeber aufgefordert wird, Positionen aus der Liste der Erfahrungen herauszunehmen, sich selbstverständlich weiterhin auf die noch verbleibenden Positionen berufen. Er kann in die Liste aber keine neue Erfahrung eines Dritten aufnehmen ( 13 ).

35.

Ich schlage daher vor, die erste Frage des nationalen Gerichts dahin gehend zu beantworten, dass es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht gestattet ist, sich nach Ablauf der Einreichungsfrist erstmals auf die Erfahrung eines Dritten zu stützen. Damit erledigen sich im Wesentlichen die zweite und die dritte Frage des nationalen Gerichts (über die Anforderungen, die für die Vorlage des Nachweises über die Erfahrung des Dritten gelten). Wenn sich ein Wirtschaftsteilnehmer sowieso nicht auf einen Dritten berufen kann, ist es für ihn sinnlos, Zusagen eines Dritten oder Nachweise über dessen Erfahrung vorzulegen.

36.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die ersten drei Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 51 der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit den in Art. 2 dieser Richtlinie aufgestellten Grundsätzen der gleichen und nicht diskriminierenden Behandlung der Wirtschaftsteilnehmer und der Transparenz lässt es nicht zu, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen der Erläuterung oder Ergänzung der Unterlagen auf von Dritten ausgeführte Aufträge, die er in der seinem Angebot beigefügten Liste der Lieferungen nicht angegeben hatte, beruft oder eine Zusage eines solchen Dritten, seine Mittel dem Bieter zur Verfügung zu stellen, vorlegt.

B – Frage 4

37.

Die vierte Frage betrifft den Umstand, dass im Ausgangsverfahren, wie oben in Nr. 13 der vorliegenden Schlussanträge dargestellt, die Bieter nach den Verdingungsunterlagen den Nachweis der Ausführung von „mindestens zwei Aufträgen“ jeweils im weißen und im grauen Bereich zu erbringen hatten. Von KK wurden, nachdem sie vom öffentlichen Auftraggeber zur Erläuterung aufgefordert worden war, die beiden Medinet-Lieferungen und die Nowy-Sącz-Lieferung aufgelistet.

38.

Vor diesem Hintergrund möchte das nationale Gericht im Wesentlichen wissen, ob es nach den Art. 44 und 48 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie und dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 2 der Richtlinie zulässig ist, zur Erfüllung der Anforderung einer Ausführung von „mindestens zwei Aufträgen“ auf die Erfahrung aus den beiden Medinet-Lieferungen und der Nowy-Sącz-Lieferung zu verweisen.

39.

Der Wortlaut der Richtlinie macht deutlich, dass die Wirtschaftsteilnehmer sich in öffentlichen Vergabeverfahren grundsätzlich auf die Fähigkeiten anderer Unternehmen stützen dürfen ( 14 ). Dieser Grundsatz steht auch im Einklang mit dem Ziel, den Bereich des öffentlichen Auftragswesens einem möglichst umfassenden Wettbewerb zu öffnen ( 15 ), und ist vom Gerichtshof wiederholt bestätigt worden ( 16 ). Die Kapazitäten, auf die sich ein Wirtschaftsteilnehmer stützt, können daher zwischen mehreren Akteuren „fragmentiert“ oder „aufgeteilt“ sein, wobei dem Wirtschaftsteilnehmer natürlich die zur Ausführung des Auftrags erforderlichen Mittel der betreffenden anderen Unternehmen zur Verfügung stehen müssen ( 17 ).

40.

Um „Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit“ ( 18 ) zu gewährleisten, kann die Möglichkeit, sich auf Dritte zu stützen, jedoch in Ausnahmefällen beschränkt werden. So verhält es sich im Fall von „Arbeiten..., die aufgrund ihrer Besonderheiten eine bestimmte Kapazität erfordern, die sich durch die Zusammenfassung kleinerer Kapazitäten mehrerer Wirtschaftsteilnehmer möglicherweise nicht erlangen lässt“. Voraussetzung ist, dass das entsprechende Erfordernis „mit dem fraglichen Auftragsgegenstand zusammenhängt und ihm angemessen ist“ ( 19 ).

41.

Im vorliegenden Fall sind nach den Verdingungsbedingungen „mindestens zwei Aufträge“ auf einem bestimmten Gebiet (HIS) erforderlich. Wie oben erörtert, ist es möglich, dies als eine Mindestvoraussetzung festzulegen und die Berufung auf einen Dritten auszuschließen, sofern dies „mit dem fraglichen Auftragsgegenstand zusammenhängt und ihm angemessen ist“.

42.

Ob dies der Fall ist oder nicht, ist eine Tatfrage, die vom nationalen Gericht zu entscheiden ist.

43.

Das nationale Gericht geht allerdings davon aus, dass es einen qualitativen Unterschied gibt zwischen Verdingungsbedingungen, die eine summierte und wiederholte Erfahrung auf einem Gebiet verlangen, und solchen, die Erfahrung auf einer Reihe separater Gebiete verlangen.

44.

Ich stimme dem zu, dass es intuitiv einen solchen Unterschied gibt. Erfahrung auf verschiedenen Gebieten miteinander zu verbinden, ist nicht immer möglich – sektorenübergreifende Erfahrung oder umfassende Erfahrung mit integrierten Systemen kann gegebenenfalls unersetzlich sein. Solche interdisziplinären Verbindungen dürften indessen weniger problematisch sein als die bloße Zusammenrechnung von Jahren an Erfahrung oder von einzelnen Aufträgen. Ein Unternehmen, das einen zweiten Auftrag auf demselben Gebiet ausführt, macht dies vor dem Hintergrund seiner früheren Erfahrung und möglicherweise mit einem neuen und anderen Verständnis ( 20 ).

45.

Letztlich bleibt es jedoch in beiden Fällen bei derselben Rechtsregel. In welchem Umfang die Erfahrung eines Wirtschaftsteilnehmers, der zwei Aufträge ausgeführt hat, durch zwei Wirtschaftsteilnehmer ersetzt werden kann, von denen jeder einen Auftrag ausgeführt hat, ist eine Tatfrage, die vom nationalen Gericht zu entscheiden ist.

46.

Das vorlegende Gericht stellt in seiner Frage ausdrücklich fest, dass die relevante Erfahrung und Auftragsausführung „unteilbar ist“. Das bedeutet, dass das nationale Gericht bereits zu dem Schluss gekommen ist, dass a) die Möglichkeit einer Berufung auf zusammengerechnete Erfahrung ausgeschlossen wurde und dass b) der Ausschluss „mit dem fraglichen Auftragsgegenstand zusammenhängt und ihm angemessen ist“. Soweit dies tatsächlich der Fall ist, kann der öffentliche Auftraggeber nach den vom nationalen Gericht genannten Bestimmungen der Richtlinie eine Berufung auf Kapazitäten eines anderen Wirtschaftsteilnehmers durch eine Summierung des Wissens und der Erfahrung zweier Wirtschaftsteilnehmer ausschließen.

47.

Nach alledem schlage ich vor, die vierte Frage des nationalen Gerichts wie folgt zu beantworten:

Art. 44 der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit deren Art. 48 Abs. 2 Buchst. a und dem Gleichbehandlungsgrundsatz in deren Art. 2 erlauben es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht, sich im Sinne von Art. 48 Abs. 3 dieser Richtlinie auf das Wissen und die Erfahrung eines anderen Wirtschaftsteilnehmers zu berufen, wenn eine solche Berufung von dem öffentlichen Auftraggeber ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Ein derartiger Ausschluss muss jedoch mit dem fraglichen Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein.

C – Frage 5

48.

Mit seiner fünften Frage möchte das nationale Gericht die Voraussetzungen geklärt wissen, unter denen ein Wirtschaftsteilnehmer sich auf die frühere Erfahrung einer Gemeinschaft von Unternehmen, deren Mitglied er war, stützen kann. Diese Frage bezieht sich auf den Umstand, dass im Ausgangsverfahren sowohl die Nowy-Sącz- als auch die Słupsk-Lieferung von einem Konsortium aus zwei Unternehmen, KK und KIT, ausgeführt wurden. Ich verstehe das so, dass das nationale Gericht wissen möchte, ob KK sich für ihr Angebot ohne Weiteres auf diese Erfahrung stützen kann oder ob es darauf ankommt, welche Rolle KK bei dieser Lieferung gespielt hat ( 21 ).

49.

Meines Erachtens kommt es tatsächlich entscheidend auf die spezifische Rolle und die damit verbundene Erfahrung eines Mitglieds eines Konsortiums an.

50.

Die Art. 44 und 48 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie regeln die Bewertung der Angebote u. a. auf der Grundlage der Erfahrung, die im Wege der Liste der in den letzten Jahren erbrachten Bauleistungen und durchgeführten Lieferungen nachzuweisen ist. Selbst die Erfahrung zu haben, die für die Ausführung eines Auftrags notwendig ist, ist offensichtlich nicht dasselbe, wie jemanden zu kennen, der sie hat. Ebenso kann Erfahrung nicht einfach dadurch erworben werden, dass man formal Vertragspartei ist oder einem Konsortium angehört.

51.

Das vorlegende Gericht veranschaulicht diesen Punkt recht gut am Beispiel eines Konsortiums, das eine Autobahn baut und sich aus drei Unternehmen zusammensetzt: einer Bank (die die Investition finanziert), einem Bauunternehmen (das die eigentlichen Bauarbeiten durchführt) und einer Dienstleistungsfirma (die sich um die Verwaltung, die rechtliche Seite und die Buchhaltung kümmert). Es ist offensichtlich, dass die Finanzierung dieser Investition der Bank nicht die Erfahrung vermittelt, die für den Bau einer Autobahn notwendig ist.

52.

Letztlich hängen die spezifische Rolle jedes Unternehmens und die von ihm erlangte Erfahrung aber von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kann z. B. sein, dass die Bank bei der Finanzierung federführend war, dass aber die Dienstleistungsfirma an diesem Teil der Investition eng beteiligt war und dadurch ein gewisses Maß an Erfahrung auf diesem Gebiet erlangt hat. Dieses Maß an Erfahrung kann bei einer anderen Ausschreibung für ein anderes Projekt völlig angemessen und ausreichend sein oder auch nicht. Das ist eine Tatfrage.

53.

Auch die genaue Rolle, die KK bei der Nowy-Sącz-Lieferung (und bei der Słupsk-Lieferung ( 22 )) gespielt hat, und inwieweit dies der in den Verdingungsunterlagen verlangten Erfahrung entspricht, ist eine Tatfrage, die das nationale Gericht klären muss.

54.

Schließlich beziehen sich die obigen Ausführungen auf eine Situation, in der ein Wirtschaftsteilnehmer frühere Lieferungen, die von einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern erbracht wurden, speziell als eigene Erfahrungen präsentiert. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer auf die Fähigkeiten eines Dritten stützt, wie z. B. in Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehen und oben in Nr. 39 im Einzelnen erläutert.

55.

Nach alledem schlage ich vor, die fünfte Frage des nationalen Gerichts wie folgt zu beantworten:

Die Art. 44 und 48 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 sind dahin auszulegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der einen Auftrag als Mitglied einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern ausgeführt hat, sich als eigene Erfahrung nur auf die Erfahrung berufen kann, die er selbst bei der Ausführung dieses Auftrags erworben hat. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, dass sich der Wirtschaftsteilnehmer unter den in der Richtlinie geregelten Voraussetzungen auf die Fähigkeiten Dritter stützen kann.

D – Frage 7

56.

Die siebte Frage betrifft die Tatsache, dass sich die Słupsk-Lieferung im Ausgangsverfahren aus zwei getrennten Aufträgen zusammensetzte, die komplementäre Erfahrungen (im weißen bzw. im grauen Bereich) vermittelten, während nach der Ausschreibung und den Verdingungsunterlagen zwei Aufträge erforderlich waren, die jeweils sowohl den weißen als auch den grauen Bereich umfassten ( 23 ).

57.

Vor diesem Hintergrund ersucht das nationale Gericht um Klärung der Voraussetzungen, unter denen es zulässig ist, sich auf ein im Rahmen von zwei getrennten Aufträgen erworbenes Wissen zusammen zu berufen, um eine Voraussetzung, die nicht ausdrücklich als teilbar bezeichnet wurde, zu erfüllen.

58.

Aus den nachstehend dargelegten Gründen bin ich der Auffassung, dass die Frage dahin zu beantworten ist, dass die Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich berechtigt sein sollten, „fragmentierte“ Erfahrungen in dieser Weise zusammenzuführen. Ein vollständiger Ausschluss dieser Möglichkeit durch den öffentlichen Auftraggeber sollte die Ausnahme bleiben.

59.

U. a. aus den oben zu den Fragen 4 und 5 vorgeschlagenen Antworten folgt, dass die Richtlinie keine genaue Bestimmung darüber enthält, wie und von wem relevante Erfahrung erworben werden muss. Vorbehaltlich bestimmter Bedingungen ist es demnach z. B. generell möglich, dass ein Wirtschaftsteilnehmer sich auf die Erfahrung beruft, die erworben wurde: a) von ihm im Rahmen eines von ihm allein unterzeichneten Vertrags, b) im Rahmen von Verträgen, die von einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern unterzeichnet wurden, der er angehörte, oder c) von Dritten.

60.

Die entscheidende Frage ist, ob die gesamte Erfahrung, auf die sich der Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich berufen kann, sei es seine eigene oder die eines Dritten, ausreichend ist, um den Auftrag auszuführen.

61.

Folglich sollte die Tatsache, dass diese Erfahrung formal durch zwei oder mehr getrennte Aufträge und nicht durch einen einzigen Auftrag erworben wurde, normalerweise unerheblich sein. Wenn die zusammengefasste Erfahrung ausreicht, um den Auftrag auszuführen, sollte dies genügen.

62.

Die Ausschreibungsanforderungen lassen sich nämlich dadurch erfüllen, dass die Kapazitäten oder die Erfahrung verschiedener Wirtschaftsteilnehmer zusammengeführt werden. Umso unlogischer wäre es, grundsätzlich die Möglichkeit auszuschließen, Kapazitäten und Erfahrung, die derselbe Wirtschaftsteilnehmer durch verschiedene Aufträge erlangt hat, zusammenzufassen.

63.

Die Möglichkeit, die Erfahrung verschiedener Wirtschaftsteilnehmer zu summieren, kann in Fällen eingeschränkt werden, wenn diese Anforderung „mit dem fraglichen Auftragsgegenstand zusammenhängt und ihm angemessen ist“ ( 24 ). Meines Erachtens können diese Überlegungen und diese Einschränkungen bei einer Fragmentierung von Erfahrung über verschiedene von ein und demselben Wirtschaftsteilnehmer ausgeführte Aufträge entsprechend angewandt werden. So kann ein Auftraggeber z. B. grundsätzlich festlegen, dass bestimmte Anforderungen an die Erfahrung nur durch eine Bezugnahme auf einzelne Aufträge, von denen jeder einzelne eine Erfahrung auf unterschiedlichen Gebieten vermittelt, erfüllt werden können. Eine solche Anforderung muss indessen auch notwendig und angemessen sein und mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen.

64.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu entscheiden, ob die in dem konkreten fraglichen Vergabeverfahren verlangte Erfahrung diese Voraussetzungen erfüllt. Insoweit sind allerdings folgende allgemeine Gesichtspunkte hervorzuheben.

65.

Erstens sollten Vergabeverfahren grundsätzlich dem Wettbewerb offenstehen ( 25 ). Daraus folgt, dass der Ausschluss der Berufung auf die Erfahrung eines Dritten die Ausnahme darstellt. Das sollte auch für den Ausschluss von „fragmentierter“ Erfahrung gelten. Enthalten die Ausschreibung oder die Verdingungsunterlagen keinen derartigen Ausschluss, kann er demnach nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Erforderlich ist eine eindeutige Anordnung.

66.

Das nationale Gericht nimmt zweitens speziell auf Art. 2 der Richtlinie Bezug, in dem der Gleichbehandlungsgrundsatz festgelegt ist. Meines Erachtens ergeben sich aus diesem Grundsatz keine Bedenken dagegen, sich auf zusammengefasste Erfahrung aus verschiedenen Aufträgen zu berufen, soweit entweder a) jeder Wirtschaftsteilnehmer, der ein Angebot vorlegt, grundsätzlich die Möglichkeit hat, sich zusammen auf solche Aufträge zu berufen, oder b) keiner der Wirtschaftsteilnehmer diese Möglichkeit hat (weil der Auftraggeber eine solche Möglichkeit ausgeschlossen hat).

67.

Drittens obliegt es, soweit eine Berufung auf zusammengefasste Erfahrung nicht ausgeschlossen wurde, dem Auftraggeber – vorbehaltlich einer Überprüfung durch die nationalen Gerichte –, zu entscheiden, ob die summierte Erfahrung aus zwei oder mehr Aufträgen im konkreten Fall ausreicht, um die in den Verdingungsunterlagen niedergelegten Anforderungen zu erfüllen. Auch wenn die Erfahrung aus zwei oder mehr Aufträgen grundsätzlich summiert werden kann, kann es nämlich sein, dass in einem bestimmten Fall die Gesamterfahrung einfach nicht ausreichend ist. Bei dieser Bewertung müssen alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt werden, darunter etwa das Verhältnis zwischen den verschiedenen Aufträgen ( 26 ) und die speziellen Anforderungen ( 27 ).

68.

Nach alledem schlage ich vor, die siebte Frage des nationalen Gerichts wie folgt zu beantworten:

Die Art. 44 und 48 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 2 dieser Richtlinie erlauben es einem Wirtschaftsteilnehmer, sich auf zwei oder mehr Verträge zusammen als einen öffentlichen Auftrag zu berufen, sofern diese zusammenfassende Berufung vom Auftraggeber nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Ein derartiger Ausschluss muss mit dem fraglichen Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein.

E – Frage 6

69.

Mit seiner sechsten Frage möchte das nationale Gericht geklärt wissen, ob ein Bieter ausgeschlossen werden kann, weil er sich (bei der Erteilung oder Nichterteilung von Auskünften) nach Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie „in erheblichem Maße falscher Erklärungen schuldig gemacht“ hat, ohne dass es auf die entsprechende Gesinnung ankommt. Außerdem möchte das nationale Gericht wissen, ob nach dieser Bestimmung ein Bieter ausgeschlossen werden kann, der die in den Verdingungsunterlagen genannten Voraussetzungen tatsächlich nicht erfüllt, der aber formal zutreffende Informationen in kreativer Weise so präsentiert hat, dass der Eindruck erweckt wird, als seien die Voraussetzungen erfüllt.

70.

Nach dem Wortlaut von Art. 45 Abs. 2 Buchst. g hat der Mitgliedstaat die Möglichkeit ( 28 ), den Bieter in bestimmten Fällen von falschen Erklärungen auszuschließen. Eine solche falsche Erklärung kann z. B. vorliegen, wenn Auskünfte, die – etwa zum Nachweis seiner Fähigkeiten – „eingeholt werden können“ bzw., etwa nach der englischen Sprachfassung, erforderlich sind, erteilt oder nicht erteilt werden.

71.

Nach der normalen Wortbedeutung betrifft Art. 45 Abs. 2 Buchst. g somit Sachverhalte, in denen ein Wirtschaftsteilnehmer bestimmte Auskünfte erteilt oder nicht erteilt, wodurch beim Auftraggeber ein unrichtiger Eindruck über seine Fähigkeiten erweckt wird.

72.

Nicht jede falsche Erklärung ist ein Grund für einen Ausschluss. Die Verwendung der Worte „in erheblichem Maße“ bedeutet, dass die bloße Erteilung unrichtiger Auskünfte für Art. 45 Abs. 2 Buchst. g nicht ausreicht, dass vielmehr ein gewisses Maß an Erheblichkeit notwendig ist.

73.

Es ist indessen nicht klar, wie diese Erheblichkeit zu ermitteln ist. Ein Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen erhöht nur die entsprechende Unklarheit. In einigen Sprachfassungen bezieht sich das Wort, mit dem die Schwere oder die Erheblichkeit bezeichnet wird, auf den Ausdruck „schuldig“ ( 29 ), was man ohne Weiteres dahin verstehen könnte, dass eine bestimmte Gesinnung oder ein gewisser Grad an Fahrlässigkeit notwendig ist. In anderen Sprachfassungen bezieht sich das Wort, mit der die Schwere oder die Erheblichkeit bezeichnet wird, auf die falsche Erklärung, was bedeutet, dass es um die tatsächliche Handlung als solche und/oder ihre Konsequenzen geht ( 30 ).

74.

Der letzte Unterabsatz von Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie ist insoweit aufschlussreich. Danach ist es Sache der Mitgliedstaaten, in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften „die Bedingungen für die Anwendung“ von Art. 45 Abs. 2 festzulegen. Art. 45 Abs. 2 Buchst. g kann somit dahin verstanden werden, dass er Mindestkriterien für die Feststellung einer falschen Erklärung nennt, die schwerwiegend genug ist, damit ein Mitgliedstaat einen Bieter ausschließen kann. Damit wird jedoch keine vollständige Harmonisierung des Begriffs angestrebt ( 31 ). Diese Lesart entspricht auch einer engen Auslegung der Ausschlussgründe und der Notwendigkeit, den Fall eines jeden Wirtschaftsteilnehmers individuell zu prüfen.

75.

Worauf hat sich das Mindestmaß an Erheblichkeit zu beziehen? Aus den folgenden Gründen sollte sich die „Erheblichkeit“ meines Erachtens auf die (objektiven) Konsequenzen der Erteilung oder Nichterteilung von Auskünften unabhängig von der (subjektiven) Gesinnung oder Absicht der betreffenden Person beziehen.

76.

Meines Erachtens unterfallen Art. 45 Abs. 2 Buchst. g ausschließlich Handlungen oder Unterlassungen, durch die der betreffende Wirtschaftsteilnehmer einen Wettbewerbsvorteil erhält, der zur Folge hat, dass er im Vergabeverfahren verbleibt, während er sonst ausscheiden müsste ( 32 ). Anders ausgedrückt: Eine falsche Erklärung (sei es bei der Erteilung von Auskünften oder durch deren Nichterteilung), die keinen Einfluss auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens haben kann, ist kein Grund, der den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers rechtfertigen würde. Ich bezeichne dies im Folgenden als „Ergebnis-Kriterium“.

77.

Diese Auslegung wird durch Sprachfassungen gestützt, in denen die Erheblichkeit der betreffenden falschen Erklärung betont wird. Sie kann als mit Sprachfassungen, in denen die Erheblichkeit der „Schuld“ hervorgehoben wird, vereinbar angesehen werden. Sie spiegelt auch das Ziel der Offenheit für den Wettbewerb wider und steht im Einklang mit einer engen Auslegung der Ausschlussgründe. Einen Bieter auszuschließen, der – sei es aufgrund des niedrigsten Preises oder des günstigsten Angebots ( 33 ) – für die Ausführung eines Auftrags am besten geeignet ist, würde dem Ziel der Richtlinie widersprechen, sicherzustellen, dass Aufträge auf der Grundlage objektiver Kriterien erteilt werden, um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu erhalten ( 34 ).

78.

Das „Ergebnis-Kriterium“ ist somit eine unabdingbare Voraussetzung für einen Ausschluss wegen einer falschen Erklärung.

79.

Ich bin darüber hinaus der Auffassung, dass Art. 45 Abs. 2 Buchst. g theoretisch in jedem Fall einschlägig ist, in dem das Ergebnis-Kriterium erfüllt ist. Wenn die Erteilung oder Nichterteilung einer bestimmten Auskunft das Ergebnis beeinflussen kann, ist sie nämlich für sich genommen erheblich. Insoweit könnte unter bestimmten Umständen auch ein „offensichtlicher“ oder „geringfügiger“ Fehler oder ein „bloßes Büroversehen“ die unvorhergesehene Folge haben, dass das Ergebnis des Ausschreibungsverfahrens wesentlich beeinflusst wird. Solche Fehler mögen in keiner Weise gewollt sein. Sie sind jedoch aus der Sicht eines Mitbewerbers, dem dadurch der Zuschlag entgeht oder der in anderer Weise einen wesentlichen Wettbewerbsnachteil erleidet, eindeutig keine geringfügigen oder unerheblichen Fehler.

80.

Ich bin daher der Ansicht, dass die Erfüllung des Ergebnis-Kriteriums für sich genommen ausreicht, um einen Ausschluss wegen falscher Erklärungen zu erlauben, ohne dass weitere Kriterien erfüllt sein müssen. Für diese Auslegung des Begriffs der falschen Erklärungen nach Art. 45 Abs. 2 Buchst. g, also frei von subjektiven Merkmalen hinsichtlich einer Absicht auf Seiten des Bieters, lassen sich drei weitere Gründe anführen.

81.

Erstens: In Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie wird auf die Gesinnung im Allgemeinen oder speziell auf direkten bzw. bedingten Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht einmal Bezug genommen – und schon gar nicht versucht, diese Begriffe zu konkretisieren. Unter diesen Umständen wäre es nicht angemessen, den Geltungsbereich von Art. 45 Abs. 2 Buchst. g auf der Grundlage solcher komplexer Begriffe zu definieren, für die es tatsächlich kaum Anknüpfungspunkte gibt. Bereits diese Tatsache spricht für ein objektives Verständnis der Bestimmung, wie es hier vorgeschlagen wird. Darüber hinaus sind in Art. 45 Abs. 2 lediglich die grundlegenden Voraussetzungen niedergelegt, unter denen nach dem Unionsrecht die Möglichkeit zum Ausschluss eines Bieters besteht. In diesem Zusammenhang verweist diese Bestimmung für die genaue Regelung der Bedingungen für die Anwendung ausdrücklich auf das innerstaatliche Recht, wobei dann im innerstaatlichen Recht z. B. die Kriterien von Fahrlässigkeit und Vorsatz berücksichtigt werden könnten.

82.

Zweitens – und hier geht es um einen praktischen Gesichtspunkt: Ist es wirklich vertretbar, einer Behörde im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags, in dem oft großer Zeitdruck herrscht und womöglich mehrere umfangreiche Angebote zu behandeln sind, aufzugeben, die Absicht eines Unternehmens zu untersuchen und festzustellen? Es ist offensichtlich, dass ein solcher Vorschlag nicht durchführbar wäre.

83.

Drittens: Selbst wenn eine Behörde in der Lage wäre, die Absicht eines Unternehmens festzustellen, inwieweit wäre diese Feststellung von Nutzen? Die Wirtschaftsteilnehmer, die an einem Vergabeverfahren teilnehmen, trifft ganz allgemein eine Sorgfaltspflicht ( 35 ). Bei einem professionellen Anbieter ist schlicht vorauszusetzen, dass er seine Sorgfaltspflichten kennt und danach handelt. Dies bedeutet, dass neben Vorsatz auch verschiedene Formen von Fahrlässigkeit in Betracht kämen. Sollte es sich tatsächlich so verhalten, dann wäre die Gesinnung sowieso kein wirkliches Unterscheidungskriterium.

84.

Das Ergebnis-Kriterium ist daher eine unabdingbare und zudem für sich genommen auch hinreichende Voraussetzung für die Anwendung von Art. 45 Abs. 2 Buchst. g. Allerdings bedeutet das nur, dass der Mitgliedstaat die Möglichkeit erhält, einen Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen. Gemäß Art. 45 Abs. 2 letzter Unterabsatz sind die ins Einzelne gehenden Voraussetzungen, unter denen Wirtschaftsteilnehmer in der Praxis auszuschließen sind, auf nationaler Ebene festzulegen.

85.

Zu Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie möchte das nationale Gericht schließlich noch ausdrücklich wissen, ob diese Bestimmung auch dann anwendbar ist, wenn zutreffende Angaben in einer irreführenden Art und Weise präsentiert werden, also in einer Weise, die den Eindruck erweckt, als ob die Ausschreibungsanforderungen erfüllt wären, während dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Die Frage des nationalen Gerichts zielt auf den Fall ab, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Anforderungen der Ausschreibung nicht erfüllt.

86.

Bei dieser Sachlage würde der Wirtschaftsteilnehmer normalerweise schlicht deswegen ausgeschlossen, weil er die Verdingungsbedingungen nicht erfüllt. Ein solcher Bieter kann nur dann im Verfahren verbleiben, wenn das Angebot so abgeändert wird, dass es die Anforderungen wirklich erfüllt. Dies ist auch das einzige Szenario, in dem ein Ausschluss aufgrund von Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie überhaupt in Betracht zu ziehen wäre.

87.

Wie ich bei der Prüfung der Frage 1 dargelegt habe, gibt es klare Grenzen für die Zulässigkeit von nachträglichen Änderungen nach Ablauf der Frist zur Einreichung von Angeboten. Diese Grenzen können durchaus überschritten sein, wenn eine Änderung wie im vorliegenden Fall einen wesentlichen Unterschied zur Folge hat (nämlich den Unterschied zwischen der Nichterfüllung der Verdingungsbedingungen vor der Änderung und der Erfüllung dieser Bedingungen nach der Änderung).

88.

Geht man indessen davon aus, dass solche Änderungen theoretisch möglich sind, bedeutet dies, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer dennoch wegen falscher Erklärungen in seinem ursprünglichen Angebot ausgeschlossen werden kann?

89.

Nach meiner Auffassung ist diese Frage zu bejahen; es besteht die Möglichkeit, einen solchen Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen, und zwar aus folgenden Gründen: a) Er hat ursprünglich nicht die nach Art. 48 Abs. 2 Buchst. a erforderlichen Auskünfte erteilt (was ein Fall der in Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie genannten falschen Erklärungen darstellt), und b) diese Unterlassung war wesentlich, und zwar in dem Sinne, dass sie Einfluss auf das Ergebnis der Ausschreibung haben konnte (Ergebnis-Kriterium).

90.

Das Problem besteht also weniger darin, dass der Wirtschaftsteilnehmer eine Art „grenzwertiger Vermarktung“ seiner tatsächlichen Erfahrung vorgenommen haben dürfte. Vielmehr handelt es sich darum, dass der Wirtschaftsteilnehmer – wie immer er seine Erfahrung ausgeschmückt hat – die nach Art. 48 Abs. 2 Buchst. a erforderliche Auskunft nicht erteilt hat und dass die nachträgliche Erteilung der Auskunft das Ergebnis des Vergabeverfahrens geändert hat.

91.

Nach alledem schlage ich vor, die sechste Frage des nationalen Gerichts wie folgt zu beantworten:

Ein Wirtschaftsteilnehmer kann einer in erheblichem Maße falschen Erklärung nach Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18 nur dann für schuldig befunden werden, wenn die mutmaßlich falsche Erklärung die Entscheidung des Auftraggebers in der Weise beeinflusst, dass er in dem Vergabeverfahren verbleibt, während dies sonst nicht der Fall wäre. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt die Erteilung oder Nichterteilung einer gemäß Kapitel VII Abschnitt 2 der Richtlinie 2004/18 erforderlichen Auskunft voraus. Die Anwendung von Art. 45 Abs. 2 Buchst. g dieser Richtlinie ist nicht von der Erteilung einer tatsächlich falschen Auskunft oder einer bestimmten Gesinnung des Wirtschaftsteilnehmers abhängig.

V – Ergebnis

92.

Es wird vorgeschlagen, die von der Krajowa Izba Odwoławcza (Nationale Beschwerdekammer, Polen) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Fragen 1 bis 3:

Art. 51 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (Richtlinie 2004/18) in Verbindung mit den in Art. 2 dieser Richtlinie aufgestellten Grundsätzen der gleichen und nicht diskriminierenden Behandlung der Wirtschaftsteilnehmer und der Transparenz lässt es nicht zu, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen der Erläuterung oder Ergänzung der Unterlagen auf von Dritten ausgeführte Aufträge, die er in der seinem Angebot beigefügten Liste der Lieferungen nicht angegeben hatte, beruft oder eine Zusage eines solchen Dritten, seine Mittel dem Bieter zur Verfügung zu stellen, vorlegt.

Frage 4:

Art. 44 der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit deren Art. 48 Abs. 2 Buchst. a und dem Gleichbehandlungsgrundsatz in deren Art. 2 erlauben es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht, sich im Sinne von Art. 48 Abs. 3 dieser Richtlinie auf das Wissen und die Erfahrung eines anderen Wirtschaftsteilnehmers zu berufen, wenn eine solche Berufung von dem öffentlichen Auftraggeber ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Ein derartiger Ausschluss muss jedoch mit dem fraglichen Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein.

Frage 5:

Die Art. 44 und 48 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 sind dahin auszulegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der einen Auftrag als Mitglied einer Gemeinschaft von Wirtschaftsteilnehmern ausgeführt hat, sich als eigene Erfahrung nur auf die Erfahrung berufen kann, die er selbst bei der Ausführung dieses Auftrags erworben hat. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, dass sich der Wirtschaftsteilnehmer unter den in der Richtlinie geregelten Voraussetzungen auf die Fähigkeiten Dritter stützen kann.

Frage 6:

Ein Wirtschaftsteilnehmer kann einer in erheblichem Maße falschen Erklärung nach Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18 nur dann für schuldig befunden werden, wenn die mutmaßlich falsche Erklärung die Entscheidung des Auftraggebers in der Weise beeinflusst, dass er in dem Vergabeverfahren verbleibt, während dies sonst nicht der Fall wäre. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt die Erteilung oder Nichterteilung einer gemäß Kapitel VII Abschnitt 2 der Richtlinie 2004/18 erforderlichen Auskunft voraus. Die Anwendung von Art. 45 Abs. 2 Buchst. g dieser Richtlinie ist nicht von der Erteilung einer tatsächlich falschen Auskunft oder einer bestimmten Gesinnung des Wirtschaftsteilnehmers abhängig.

Frage 7:

Die Art. 44 und 48 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 2 dieser Richtlinie erlauben es einem Wirtschaftsteilnehmer, sich auf zwei oder mehr Verträge zusammen als einen öffentlichen Auftrag zu berufen, sofern diese zusammenfassende Berufung vom Auftraggeber nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Ein derartiger Ausschluss muss mit dem fraglichen Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114).

( 3 ) Urteil vom 10. Oktober 2013 (C‑336/12, EU:C:2013:647).

( 4 ) Vgl. Urteile vom 29. März 2012, SAG ELV Slovensko u. a. (C‑599/10, EU:C:2012:191, Rn. 36), vom 10. Oktober 2013, Manova (C‑336/12, EU:C:2013:647, Rn. 31), und vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz (C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 62).

( 5 ) Urteil vom 29. März 2012, SAG ELV Slovensko u. a. (C‑599/10, EU:C:2012:191, Rn. 41).

( 6 ) Vgl. Urteile vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz (C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 63 und 64), vom 29. März 2012, SAG ELV Slovensko u. a. (C‑599/10, EU:C:2012:191, Rn. 40), und vom 10. Oktober 2013, Manova (C‑336/12, EU:C:2013:647, Rn. 32 bis 36).

( 7 ) Urteil vom 29. März 2012, SAG ELV Slovensko u. a. (C‑599/10, EU:C:2012:191, Rn. 38).

( 8 ) Urteil vom 6. November 2014, Cartiera dell’Adda (C‑42/13, EU:C:2014:2345, Rn. 45).

( 9 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 6. November 2014, Cartiera dell’Adda (C‑42/13, EU:C:2014:2345, Rn. 45), in dem Änderungen in Bezug auf die Identität der als technischer Leiter bezeichneten Person nicht als bloße Formalität angesehen wurden und die daher den Ausschluss des Bieters rechtfertigten.

( 10 ) Vgl. entsprechend Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache MT Højgaard und Züblin (C‑396/14, EU:C:2015:774, Nrn. 80 ff.).

( 11 ) Urteil vom 24. Mai 2016, MT Højgaard und Züblin (C‑396/14, EU:C:2016:347, Rn. 35).

( 12 ) Vgl. auch Urteil vom 23. Januar 2003, Makedoniko Metro and Michaniki (C‑57/01, EU:C:2003:47). In jener Rechtssache wollte eine Bietergemeinschaft nach Einreichung der Angebote ihre Zusammensetzung erweitern, was nach dem nationalen Recht nicht zulässig war. Der Gerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, dass dieses Verbot mit der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. 1992, L 209, S. 1) (der Vorgängerrichtlinie der Richtlinie 2004/18) vereinbar ist.

( 13 ) Ich schließe nicht aus, dass sich der Bieter auf seine eigene sonstige Erfahrung stützen kann, was vorliegend jedoch nicht relevant ist.

( 14 ) Vgl. beispielsweise Art. 4 Abs. 2 (Konsortien), Art. 25 (Unteraufträge) und Art. 48 Abs. 3 (Stützen auf Dritte) der Richtlinie.

( 15 ) Vgl. Urteil vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino (C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Vgl. beispielsweise Urteile vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino (C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 30 bis 32), vom 2. Dezember 1999, Holst Italia SpA (C‑176/98, EU:C:1999:593, Rn. 26 und 27), und vom 18. März 2004, Siemens und ARGE Telekom (C‑314/01, EU:C:2004:159, Rn. 43).

( 17 ) Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie.

( 18 ) Vgl. Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie.

( 19 ) Urteil vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino (C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 35), in Anlehnung an den Wortlaut von Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie.

( 20 ) Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wenn ich einen Rechtsanwalt mit neun Jahren Berufserfahrung im Steuer-, im Gesellschafts- und im Handelsrecht suche, könnte ich mich für drei Rechtsanwälte entscheiden, die jeweils einzeln neun Jahre Berufungserfahrung im Steuerrecht, im Gesellschaftsrecht bzw. im Handelsrecht haben. Ich würde aber wohl eher zögern, drei Rechtsanwälte mit einer Berufserfahrung von je drei Jahren in allen drei Gebieten zusammen zu beauftragen. Keinesfalls würde ich neun Rechtsanwälte mit jeweils einem Jahr Berufserfahrung wählen.

( 21 ) Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht klar hervor, dass sich KK nicht auf die Erfahrung von KIT als Erfahrung eines „anderen Unternehmens“ im Sinne von Art. 48 Abs. 3 der Richtlinie stützen will, sondern dass sie die im Konsortium gewonnene Erfahrung vielmehr als eigene präsentiert.

( 22 ) In der mündlichen Verhandlung hat das Województwo Łódzkie bestätigt, dass KK sich nicht mehr ausdrücklich auf die Słupsk-Lieferung beruft.

( 23 ) Soweit KK sich nicht mehr auf die Słupsk-Lieferung stützt, könnte diese Frage möglicherweise als hypothetisch betrachtet werden. Da sich aber aus dem Vorabentscheidungsersuchen nicht eindeutig ergibt, ob sich KK weiterhin auf die Słupsk-Lieferung beruft, gilt für die Frage die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit.

( 24 ) Siehe oben, Nr. 40.

( 25 ) Siehe oben, Nr. 25.

( 26 ) Die zwischen den Aufträgen gegebenenfalls bestehenden formalen Verbindungen sowie Parallelen in Bezug auf Leistungsumfang, Kunden oder Zeitraum der Ausführung usw.

( 27 ) Integrierte Natur der verlangten Dienstleistung, Lieferzeitraum und sich daraus ergebende Mindestkapazitätsanforderungen usw.

( 28 ) „… kann jeder Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden …“ (Hervorhebung nur hier).

( 29 ) In der französischen, der italienischen, der spanischen bzw. der niederländischen Sprachfassung: „gravement coupable“, „gravamente colpevole“, „gravamente culpable“, „in ernstige mate schuldig“.

( 30 ) So heißt es in der englischen, der deutschen bzw. der tschechischen Sprachfassung: „guilty of serious misrepresentation“, „in erheblichem Maße falscher Erklärungen schuldig“, „který se dopustil vážného zkreslení“. In anderen Sprachfassungen, insbesondere in der slowakischen, fehlt jeglicher Bezug auf die Schwere, und zwar sowohl hinsichtlich der Gesinnung als auch hinsichtlich der Folgen der Handlung: „bol uznaný vinným zo skresľovanie skutočností“.

( 31 ) Vgl. auch Art. 45 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie, wonach Wirtschaftsteilnehmer, die „eine schwere Verfehlung begangen haben“, ausgeschlossen werden können. Wie von der Kommission angemerkt, bezieht sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung dieser Bestimmung auf die Rolle der Mitgliedstaaten bei der Definition dieses Begriffs, aber auch auf die Notwendigkeit eines Mindestmaßes an Schwere als Voraussetzung für die Anwendung der Bestimmung.

( 32 ) Die die Vorauswahl oder die Auftragsvergabe wesentlich beeinflussen.

( 33 ) Vgl. Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie.

( 34 ) Vgl. beispielsweise den 46. Erwägungsgrund der Richtlinie.

( 35 ) Vgl. Urteil vom 29. März 2012, SAG ELV Slovensko u. a. (C‑599/10, EU:C:2012:191, Rn. 38).