URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
18. Dezember 2014 ( *1 )
„Rechtsmittel — Kartelle — Europäischer Markt für Marineschläuche — Nachfolge rechtlicher Einheiten — Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung — Herabsetzung der Geldbuße durch das Gericht — Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“
In der Rechtssache C‑434/13 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 1. August 2013,
Europäische Kommission, vertreten durch S. Noë, V. Bottka und R. Sauer als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
andere Parteien des Verfahrens:
Parker Hannifin Manufacturing Srl, vormals Parker ITR Srl mit Sitz in Corsico (Italien),
Parker-Hannifin Corp. mit Sitz in Mayfield Heights (Vereinigte Staaten),
Prozessbevollmächtigte: F. Amato, F. Marchini Càmia und B. Amory, avocats,
Klägerinnen im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter S. Rodin und E. Levits sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) und des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2014,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. September 2014
folgendes
Urteil
1 |
Mit seinem Rechtsmittel beantragt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union Parker ITR und Parker Hannifin/Kommission (T‑146/09, EU:T:2013:258, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht die Entscheidung K(2009) 428 endg. der Kommission vom 28. Januar 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39406 – Marineschläuche) (im Folgenden: streitige Entscheidung) teilweise für nichtig erklärt und die Geldbuße, die mit dieser Entscheidung gegen die Parker ITR Srl (im Folgenden: Parker ITR) verhängt worden war, sowie den Betrag der Geldbuße, für den die Parker‑Hannifin Corp. (im Folgenden: Parker-Hannifin) gesamtschuldnerisch haftet, herabgesetzt hat. |
Rechtlicher Rahmen
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Die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) sieht in Art. 23 Abs. 2 vor: „Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig
… Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung darf 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen. …“ |
3 |
Zur gerichtlichen Nachprüfung einer nach dieser Bestimmung verhängten Geldbuße heißt es in Art. 31 dieser Verordnung: „Bei Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld festgesetzt hat, hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung. Er kann die festgesetzte Geldbuße oder das festgesetzte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen.“ |
4 |
Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) bestimmen in Ziff. 24: „Um der Dauer der Mitwirkung der einzelnen Unternehmen an der Zuwiderhandlung in voller Länge Rechnung zu tragen, wird der nach dem Umsatz ermittelte Wert … mit der Anzahl der Jahre multipliziert, die das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war. Zeiträume bis zu sechs Monaten werden mit einem halben, Zeiträume von mehr als sechs Monaten bis zu einem Jahr mit einem ganzen Jahr angerechnet.“ |
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Nach Ziff. 28 der Leitlinien von 2006 kann der Grundbetrag der Geldbuße erhöht werden, wenn die Kommission erschwerende Umstände feststellt, wie beispielsweise die Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes. |
Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtene Entscheidung
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Der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende Geschäftsbereich Marineschläuche wurde 1966 von der Pirelli Treg SpA, einer Gesellschaft des Pirelli-Konzerns, gegründet. Nach der Fusion von zwei Tochtergesellschaften innerhalb des Pirelli-Konzerns wurde er 1990 von der ITR SpA übernommen. |
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1993 wurde die ITR SpA von der Saiag SpA erworben. |
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2001 nahmen Parker-Hannifin, Dachgesellschaft der Parker-Hannifin-Gruppe, und die Saiag SpA Gespräche über eine mögliche Übernahme des Geschäftsbereichs Marineschläuche der ITR SpA durch Parker-Hannifin auf. Im Hinblick auf diesen Verkauf gründete die ITR SpA im Juni 2001 eine Tochtergesellschaft namens ITR Rubber Srl (im Folgenden: ITR Rubber). |
9 |
Am 5. Dezember 2001 vereinbarte die Parker-Hannifin Holding Srl, eine 100%ige Tochtergesellschaft von Parker-Hannifin, mit der ITR SpA, 100 % der Anteile von ITR Rubber zu übernehmen. |
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Der Vertrag sah u. a. vor, dass die Übertragung des Sektors Kautschukschläuche (einschließlich des Sektors Marineschläuche) von der ITR SpA auf ITR Rubber auf Verlangen der Parker-Hannifin Holding Srl erfolgen sollte. |
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Am 19. Dezember 2001 übertrug die ITR SpA ihren Geschäftsbereich Marineschläuche auf ITR Rubber. |
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Die Übertragung wurde am 1. Januar 2002 wirksam. |
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Am 31. Januar 2002 übernahm die Parker-Hannifin Holding Srl von der ITR SpA die Anteile an ITR Rubber. ITR Rubber wurde daraufhin Parker ITR. |
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2007 leitete die Kommission eine Untersuchung wegen Verstoßes gegen Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) auf dem Markt für Marineschläuche ein. |
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In Art. 1 der streitigen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass elf Gesellschaften, darunter Parker ITR und Parker-Hannifin, in verschiedenen Zeiträumen zwischen dem 1. April 1986 und dem 2. Mai 2007 im Marineschlauch-Sektor im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) unter Verstoß gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR-Abkommens eine einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung begangen hätten, die die Zuteilung ausgeschriebener Aufträge, die Festsetzung von Preisen, Quoten und Lieferbedingungen, die Aufteilung räumlicher Märkte und den Austausch vertraulicher Informationen über Preise, Liefermengen und Lieferausschreibungen umfasst habe. |
16 |
Zu den Rechtsmittelgegnerinnen stellte die Kommission in Art. 1 Buchst. i und j der streitigen Entscheidung fest, dass sie vom 1. April 1986 bis zum 2. Mai 2007 (Parker ITR) bzw. vom 31. Januar 2002 bis zum 2. Mai 2007 (Parker-Hannifin) an dem Kartell teilgenommen hätten. |
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Aus diesem Grund verhängte die Kommission in Art. 2 Abs. 1 Buchst. e der streitigen Entscheidung gegen Parker ITR eine Geldbuße in Höhe von 25610000 Euro, davon 8320000 Euro gesamtschuldnerisch mit Parker-Hannifin. |
Angefochtenes Urteil
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Parker ITR und Parker-Hannifin erhoben beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung, soweit diese sie betreffe, hilfsweise auf Herabsetzung der verhängten Geldbuße. Sie stützten ihre Klage auf neun Klagegründe. |
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht dem ersten Teil des ersten Klagegrundes stattgegeben, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit geltend gemacht wurde, und Art. 1 Buchst. i der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt, soweit darin die Verantwortlichkeit von Parker ITR für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2002 festgestellt wurde. Hierzu hat das Gericht in den Rn. 115 und 116 des angefochtenen Urteils ausgeführt:
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Zu dem fünften und dem sechsten Klagegrund, die die Erhöhung der gegen Parker ITR und Parker-Hannifin verhängten Geldbuße wegen der Anführerrolle, die Parker ITR vom Juni 1999 bis zum September 2001 gespielt haben soll, betrafen, hat das Gericht festgestellt, dass, „da dem ersten Klagegrund stattgegeben [worden sei]“, „folglich“ dem fünften und dem sechsten Klagegrund stattzugeben sei (Rn. 139 und 140, 145 und 146 sowie 253 und 254 des angefochtenen Urteils). |
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Die übrigen Klagegründe hat das Gericht zurückgewiesen. Was insbesondere den achten Klagegrund anbelangt, mit dem u. a. ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 bei der Berechnung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes für den Teil der Geldbuße gerügt wurde, für den Parker ITR allein haften sollte, hat das Gericht in den Rn. 227 und 228 des angefochtenen Urteils festgestellt:
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In Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hat das Gericht in den Rn. 246 bis 255 des angefochtenen Urteils die gegen Parker ITR verhängte Geldbuße neu berechnet und auf 6400000 Euro herabgesetzt. Den Betrag, für den Parker-Hannifin gesamtschuldnerisch haftet, hat das Gericht in Rn. 257 des angefochtenen Urteils auf 6300000 Euro herabgesetzt, da die gesamtschuldnerische Haftung dieser Gesellschaft für den Zeitraum vom 1. bis zum 31. Januar 2002 nicht angeordnet werden könne. |
Anträge der Parteien
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Die Kommission beantragt,
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Parker ITR und Parker-Hannifin beantragen,
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Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens
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Nachdem das mündliche Verfahren am 4. September 2014 im Anschluss an die Stellung der Schlussanträge des Generalanwalts geschlossen worden war, beantragten die Rechtsmittelgegnerinnen mit Schreiben vom 14. Oktober 2014, das am 20. Oktober 2014 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens. |
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Diesen Antrag stützten sie im Wesentlichen darauf, dass über die sich im Fall der Aufhebung des angefochtenen Urteils stellende Frage, wie bei der Berechnung der gegen Parker ITR verhängten Geldbuße die Obergrenze von 10 % nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 für den Zeitraum anzuwenden sei, in dem diese Gesellschaft nicht zur Parker-Hannifin-Gruppe gehört habe, kontradiktorisch verhandelt werden müsse. Erstens habe der Gerichtshof an dem Tag, an dem die Schlussanträge in der vorliegenden Rechtssache gestellt worden seien, ein für diese Frage entscheidendes Urteil (Urteil YKK u. a./Kommission, C‑408/12 P, EU:C:2014:2153) erlassen. Zweitens beruhe die Annahme des Generalanwalts, das Gericht habe die Begründetheit der von ihnen hierzu vorgebrachten Argumente geprüft, bevor es diese zurückgewiesen habe, auf einer ungenauen Lektüre des angefochtenen Urteils. Drittens hätten sie keine Gelegenheit gehabt, sich zu den Auswirkungen des Fehlens eines Anschlussrechtsmittels auf das vorliegende Verfahren zu äußern. |
27 |
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen kann, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist (Urteil Buono u. a./Kommission, C‑12/13 P und C‑13/13 P, EU:C:2014:2284, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
28 |
Im vorliegenden Fall hält sich der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts für ausreichend unterrichtet, um über das Rechtsmittel zu entscheiden, und ist der Auffassung, dass kein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist und das Urteil YKK u. a./Kommission (EU:C:2014:2153) keine neue Tatsache darstellt, die von entscheidender Bedeutung für seine Entscheidung ist. |
29 |
Darüber hinaus hat der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs seine Mitwirkung erforderlich ist. Die Schlussanträge des Generalanwalts oder ihre Begründung binden den Gerichtshof nicht (Urteil Buono u. a./Kommission, EU:C:2014:2284, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
30 |
Der Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens ist daher zurückzuweisen. |
Zum Rechtsmittel
31 |
Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe. |
Zum ersten Rechtsmittelgrund: fehlerhafte Anwendung der Rechtsprechung zum Kriterium der wirtschaftlichen Kontinuität
Vorbringen der Parteien
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Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht, als es in Rn. 116 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein am Kartell beteiligtes Unternehmen einen Teil seiner Aktivitäten auf einen unabhängigen Dritten übertrage und zwischen dem übertragenden Unternehmen und dem Unternehmen, auf das übertragen werde, keine strukturelle Verbindung bestehe, der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit nicht durch den Grundsatz der wirtschaftlichen Kontinuität in Frage gestellt werden könne, zwei unterschiedliche Vorgänge vermischt und die anwendbaren rechtlichen Kriterien verwechselt. Das Gericht habe nur den zweiten Vorgang als relevant erachtet, der den Verkauf einer Tochtergesellschaft durch eine Gruppe an eine andere, nämlich den Verkauf von ITR Rubber durch die Saiag-Gruppe an die Parker-Hannifin-Gruppe, betroffen habe. Dagegen habe es den ersten Vorgang ignoriert, der vor diesem Verkauf stattgefunden und darin bestanden habe, innerhalb einer Gruppe Tätigkeiten von einer Einheit auf eine andere, nämlich von der ITR SpA auf die ITR Rubber, die beide zur Saiag-Gruppe gehörten, zu übertragen. Diese Übertragung von Tätigkeiten sei unter den nach der Rechtsprechung für die Annahme eines Falles der wirtschaftlichen Kontinuität erforderlichen Bedingungen erfolgt, da die beiden betroffenen Einheiten im fraglichen Zeitpunkt der Kontrolle derselben Person unterstanden hätten und zwischen ihnen auf wirtschaftlicher und organisatorischer Ebene enge Bindungen bestanden hätten (vgl. u. a. Urteil ETI u. a., C‑280/06, EU:C:2007:775, Rn. 48 und 49). |
33 |
Um der übernehmenden Einrichtung die Verantwortlichkeit für eine von der veräußernden Einrichtung gesetzte Zuwiderhandlung zurechnen zu können, sei es nicht erforderlich, dass die strukturellen Verbindungen zwischen den beiden Einrichtungen während des gesamten Zuwiderhandlungszeitraums fortbestünden. Deshalb sei es unbeachtlich, dass im vorliegenden Fall ITR Rubber nicht in der Saiag-Gruppe verblieben sei und dass sie nur kurze Zeit nach ihrer Gründung an den Parker-Hannifin-Konzern verkauft worden sei. |
34 |
Die Kommission führt weiter aus, sie sei entgegen den Ausführungen des Gerichts in Rn. 116 des angefochtenen Urteils nicht verpflichtet gewesen, die Verantwortlichkeit für die Zuwiderhandlung den Muttergesellschaften Saiag SpA und ITR SpA zuzurechnen. Indem sie in der vorliegenden Sache die Verantwortlichkeit für die Zuwiderhandlung ITR Rubber als wirtschaftlicher Nachfolgerin dieser Gesellschaften zugerechnet habe, habe sie von dem Ermessen Gebrauch gemacht, das ihr nach der Rechtsprechung zustehe. |
35 |
Die Rechtsmittelgegnerinnen erwidern, der Gerichtshof habe entgegen dem Vorbringen der Kommission im Urteil ETI u. a. (EU:C:2007:775) keine mechanische Regel aufgestellt, nach der das bloße Bestehen einer strukturellen Verbindung zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber eines von einem Kartell betroffenen Geschäftsbereichs in der Vergangenheit automatisch zu einer Verantwortlichkeit des Erwerbers für die vom Veräußerer begangene Zuwiderhandlung führe. Der Gerichtshof habe restriktiver entschieden, dass dies nur dann möglich sei, wenn nachgewiesen werde, dass der Veräußerer und der Erwerber zu dem Zeitpunkt, zu dem sie strukturell verbunden gewesen seien, tatsächlich der Kontrolle derselben Person unterstanden und im Wesentlichen dieselben geschäftlichen Leitlinien angewandt hätten. |
36 |
Die Kommission habe in der streitigen Entscheidung aber gar nicht geprüft, ob diese Voraussetzungen in der kurzen Zeit, in der die ITR SpA und ITR Rubber strukturell verbunden gewesen seien, erfüllt gewesen seien. In der streitigen Entscheidung werde hierzu nur erwähnt, dass zum Zeitpunkt der Übertragung des Geschäftsbereichs Marineschläuche von der ITR SpA auf ITR Rubber Letztere zu „100 %“ von Ersterer „gehalten“ worden sei. Es werde nirgends auf die Rechtsprechung Bezug genommen, nach der vermutet werden könne, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf eine zu 100 % gehaltene Tochtergesellschaft ausübe. Im Übrigen wären in dem Fall, dass die streitige Entscheidung implizit auf diese Vermutung gestützt worden wäre, die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelgegnerinnen verletzt worden, denn in der Mitteilung der Beschwerdepunkte sei nicht klar darauf hingewiesen worden. |
37 |
Die Rechtsmittelgegnerinnen folgern daraus, dass das Gericht, da die Kommission in der streitigen Entscheidung nicht geprüft habe, ob die ITR SpA und ITR Rubber in dem kurzen Zeitraum, in dem sie strukturell verbunden gewesen seien, ein einziges Unternehmen dargestellt hätten, keinen Rechtsfehler begangen habe, als es entschieden habe, dass Parker ITR nicht allein auf der Grundlage einer solchen vergangenen strukturellen Verbindung für das Verhalten der ITR SpA haftbar gemacht werden könne. |
38 |
Überdies seien für den Fall, dass dem ersten Rechtsmittelgrund stattgegeben werden und der Gerichtshof zu der Auffassung gelangen sollte, dass der Betrag der Geldbuße neu zu berechnen sei, die Rn. 139 und 140, 145 und 146 sowie 253 und 254 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht ihrem fünften und ihrem sechsten Klagegrund stattgegeben und entschieden habe, dass der Betrag der gegen sie verhängten Geldbuße zu Unrecht wegen der Rolle als Anführerin der Zuwiderhandlung, die Parker ITR in der Zeit von Juni 1999 bis September 2001 gespielt haben solle, erhöht worden sei, rechtskräftig geworden, da die Kommission sie in ihrem Rechtsmittel nicht beanstandet habe. |
Würdigung durch den Gerichtshof
39 |
Nach ständiger Rechtsprechung betrifft das Wettbewerbsrecht der Union die Tätigkeit von Unternehmen; der Begriff des Unternehmens umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Verstößt eine solche Einrichtung gegen die Wettbewerbsregeln, hat sie nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung einzustehen (vgl. u. a. Urteil Versalis/Kommission, C‑511/11, EU:C:2013:386, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
40 |
Der Gerichtshof hat präzisiert, dass eine rechtliche oder organisatorische Änderung einer Einrichtung, die gegen Wettbewerbsregeln verstoßen hat, nicht zwingend zur Folge hat, dass ein neues, von der Haftung für wettbewerbswidrige Handlungen seines Vorgängers befreites Unternehmen entsteht, sofern die beiden Einrichtungen wirtschaftlich gesehen identisch sind. Könnten Unternehmen Sanktionen einfach dadurch entgehen, dass durch Umstrukturierungen, Übertragungen oder sonstige Änderungen rechtlicher oder organisatorischer Art ihre Identität geändert wird, würde nämlich das Ziel, gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstoßende Verhaltensweisen zu ahnden und ihrer Wiederholung durch abschreckende Sanktionen vorzubeugen, beeinträchtigt (Urteil ETI u. a., EU:C:2007:775, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
41 |
So hat der Gerichtshof entschieden, dass, wenn zwei Einrichtungen eine wirtschaftliche Einheit bilden, der bloße Umstand, dass die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hat, noch besteht, für sich allein nicht daran hindert, der Einrichtung, auf die sie ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten übertragen hat, eine Sanktion aufzuerlegen. Eine solche Ahndung ist insbesondere dann zulässig, wenn diese Einrichtungen der Kontrolle derselben Person unterstanden und sie somit in Anbetracht der zwischen ihnen auf wirtschaftlicher und organisatorischer Ebene bestehenden engen Bindungen im Wesentlichen dieselben geschäftlichen Leitlinien anwandten (Urteile ETI u. a., EU:C:2007:775, Rn. 48 und 49 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und Versalis/Kommission, EU:C:2013:386, Rn. 52). |
42 |
Im vorliegenden Fall betrifft der erste Rechtsmittelgrund die Frage, ob die Haftung von ITR Rubber für die mit der streitigen Entscheidung geahndete Zuwiderhandlung nach den Grundsätzen, die von der in den Rn. 40 und 41 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung aufgestellt wurden, für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2002 angenommen werden kann. |
43 |
Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht rechtsfehlerhaft entschieden, dass sie sich in der streitigen Entscheidung zu Unrecht auf diese Rechtsprechung berufen habe, da zwischen der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft keine strukturellen Verbindungen bestanden hätten. Demgegenüber vertreten die Rechtsmittelgegnerinnen die Auffassung, dass das Gericht diese Rechtsprechung korrekt angewandt habe, da die Kommission nicht nachgewiesen habe, dass zwischen den beiden betroffenen Einrichtungen tatsächliche Verbindungen bestanden hätten. |
– Zur Beurteilung des Vorliegens struktureller Verbindungen zwischen der übertragenden und der übernehmenden Einrichtung
44 |
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission ITR Rubber eine Zuwiderhandlung im Zeitraum vom 1. April 1986 bis zum 2. Mai 2007 vorgeworfen hat, wobei sie zwischen zwei verschiedenen Zeiträumen – vom 1. April 1986 bis zum 31. Dezember 2001 und ab Januar 2002 – unterschieden hat. |
45 |
Wie aus den Rn. 328 und 370 der streitigen Entscheidung hervorgeht, hielt die Kommission hinsichtlich des Zeitraums vom 1. April 1986 bis zum 31. Dezember 2001 zunächst fest, dass die ITR SpA am 1. Januar 2002 für ihr eigenes Verhalten und das Verhalten der im Dezember 1990 von ihr übernommenen Pirelli Treg SpA als ihrer Vorgängerin verantwortlich gewesen sei. Sodann habe die ITR SpA im Rahmen der internen Umgestaltung der Gruppe am 1. Januar 2002 ihren Geschäftsbereich Marineschläuche auf ihre 100%ige Tochtergesellschaft ITR Rubber übertragen. Zum Zeitpunkt dieser Übertragung hätten zwischen der ITR SpA und der ITR Rubber die wirtschaftlichen Beziehungen einer Muttergesellschaft und einer 100%igen Tochtergesellschaft bestanden, und beide Gesellschaften hätten demselben Konzern angehört. In einem solchen Fall könne nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Haftung für die frühere Zuwiderhandlung der übertragenden Gesellschaft auch dann auf den Erwerber übergehen, wenn die übertragende Gesellschaft rechtlich weiter bestehe. |
46 |
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass das Gericht zwei unterschiedliche Vorgänge einer gemeinsamen Beurteilung unterzogen hat, als es in Rn. 116 des angefochtenen Urteils verneint hat, dass der Grundsatz der wirtschaftlichen Kontinuität angewandt werden könne, wenn – wie im vorliegenden Fall – zwischen dem übertragenden Unternehmen (der Saiag SpA oder ihrer Tochtergesellschaft ITR SpA) und dem Unternehmen, auf das übertragen werde (Parker-Hannifin), keine strukturelle Verbindung bestehe. Das Gericht hat nicht berücksichtigt, dass die ITR SpA zunächst ihren Geschäftsbereich Marineschläuche auf eine ihrer Tochtergesellschaften übertragen hatte, bevor sie diese Tochtergesellschaft an Parker-Hannifin veräußerte. |
47 |
Was die Erwägungen betrifft, die es dazu veranlasst haben, die Übertragung von Tätigkeiten durch die ITR SpA auf ihre Tochtergesellschaft ITR Rubber im Rahmen seiner Begründung außer Betracht zu lassen, hat das Gericht in Rn. 115 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass diese Tochtergesellschaft nur sieben Monate innerhalb des Konzerns bestanden habe und nur kurz – einen Monat lang – Tätigkeiten im Zusammenhang mit Marineschläuchen ausgeübt habe, und ganz allgemein, dass sie allein mit dem Ziel gegründet worden sei, an ein drittes Unternehmen verkauft zu werden. Das Gericht hat daraus in Rn. 116 des angefochtenen Urteils abgeleitet, dass unter diesen Umständen die früheren Betreiber des fraglichen Geschäftsbereichs, nämlich die ITR SpA und ihre Muttergesellschaft Saiag Spa, für die Zuwiderhandlung vor dem 1. Januar 2002 hätten einstehen müssen. |
48 |
Um die Kohärenz der vom Gericht angeführten Begründung zu überprüfen, ist daher zu untersuchen, ob diese Erwägungen betreffend den Zeitpunkt, zu dem strukturelle Verbindungen zwischen der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft bestehen mussten, und den Zeitraum, in dem diese Verbindungen zwischen ihnen bestehen mussten, sowie dem mit der Übertragung von Tätigkeiten verfolgten Ziel für die Beurteilung, ob ein Fall wirtschaftlicher Kontinuität vorliegt, relevant sind. Zu prüfen ist auch, ob die Kommission im vorliegenden Fall verpflichtet war, die früheren Betreiber für die vor dieser Übertragung begangene Zuwiderhandlung haftbar zu machen. |
49 |
Was erstens den Zeitpunkt betrifft, zu dem strukturelle Verbindungen zwischen der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft bestehen mussten, und den Zeitraum, in dem diese Verbindungen zwischen ihnen bestehen mussten, damit eine wirtschaftliche Kontinuität angenommen werden kann, so hat der Gerichtshof diese sowohl in Fällen bejaht, in denen die Übertragung von Tätigkeiten während des Zeitraums der Zuwiderhandlung stattfand und während dieses Zeitraums strukturelle Verbindungen zwischen der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft bestanden (Urteil ETI u. a., EU:C:2007:775, Rn. 45 und 50), als auch in Fällen, in denen die Übertragung nach Beendigung der Zuwiderhandlung stattfand, sofern die strukturellen Verbindungen zwischen den beiden Einrichtungen zum Zeitpunkt dieser Übertragung bestanden (vgl. u. a. Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 59, 351, 356 und 357). In keinem Fall hielt es der Gerichtshof für erforderlich, dass diese Verbindungen bis zum Erlass der Entscheidung, mit der die Zuwiderhandlung geahndet wird, fortbestehen. |
50 |
Wie der Generalanwalt in Nr. 68 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ist daraus abzuleiten, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die im Hinblick auf die Feststellung einer wirtschaftlichen Kontinuität vorzunehmende Prüfung, ob die Tätigkeiten konzernintern oder aber zwischen selbständigen Unternehmen übertragen wurden, der Zeitpunkt der Übertragung selbst ist. |
51 |
Zu diesem Zeitpunkt müssen zwischen der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft zwar strukturelle Verbindungen bestehen, die nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit die Annahme zulassen, dass die beiden Einrichtungen ein einziges Unternehmen bilden, doch ist es angesichts des mit dem Grundsatz der wirtschaftlichen Kontinuität angestrebten Ziels nicht erforderlich, dass diese Verbindungen während des ganzen verbleibenden Zeitraums der Zuwiderhandlung oder bis zum Erlass der Entscheidung, mit der die Zuwiderhandlung geahndet wird, fortbestehen. Wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt, soll die Anwendung dieses Grundsatzes nämlich verhindern, dass die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften durch Umstrukturierungen oder Übertragungen, die die betroffenen Unternehmen berühren, beeinträchtigt wird. Außerdem gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass die Zuschreibung einer Haftung nicht von der Verwirklichung eines zufälligen und ungewissen Ereignisses abhängt, wie etwa einer weiteren von den betroffenen Unternehmen beschlossenen organisatorischen Änderung. |
52 |
Aus den gleichen Gründen ist es auch nicht erforderlich, dass die strukturellen Verbindungen, die die Feststellung einer wirtschaftlichen Kontinuität erlauben, über einen bestimmten Mindestzeitraum bestehen, der jedenfalls nur im Einzelfall und rückwirkend bestimmt werden könnte. |
53 |
Was zweitens die Berücksichtigung – im Hinblick auf die Feststellung einer wirtschaftlichen Kontinuität – des mit der Übertragung von Tätigkeiten verfolgten Ziels anbelangt, führt der Grundsatz der Rechtssicherheit auch dazu, dass der in Rn. 115 des angefochtenen Urteils angeführte Umstand, dass die übernehmende Einrichtung geschaffen worden sei und die Aktiva erhalten habe, um anschließend an einen unabhängigen Dritten veräußert zu werden, als unerheblich zurückzuweisen ist. Die Berücksichtigung des wirtschaftlichen Beweggrundes für die Schaffung einer Tochtergesellschaft als mehr oder weniger langfristig verfolgtes Ziel einer Übertragung dieser Tochtergesellschaft auf ein drittes Unternehmen würde nämlich in die Umsetzung des Grundsatzes der wirtschaftlichen Kontinuität subjektive Faktoren einbringen, die mit einer transparenten und vorhersehbaren Anwendung dieses Grundsatzes unvereinbar sind. |
54 |
Was drittens die Feststellung in Rn. 116 des angefochtenen Urteils angeht, wonach die Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falles die früheren Betreiber für die vor der Übertragung der Tätigkeiten begangene Zuwiderhandlung hätte haftbar machen müssen, so ist sie Teil einer fehlerhaften Begründung, mit der das Gericht von vornherein das Vorliegen einer wirtschaftlichen Kontinuität verneint hat. Nach ständiger Rechtsprechung hindert, wenn ein solcher Fall vorliegt, der bloße Umstand, dass die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hat, noch besteht, für sich allein nicht daran, der Einrichtung, auf die sie ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten übertragen hat, eine Sanktion aufzuerlegen (vgl. u. a. Urteil Versalis/Kommission, EU:C:2013:386, Rn. 52 bis 54). |
55 |
Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass das Gericht insofern einen Rechtsfehler begangen hat, als es in den Rn. 115 und 116 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Kontinuität zu verneinen sei, weil zwischen der übertragenden und der übernehmenden Einrichtung – die es als die Saiag SpA oder die ITR SpA und Parker-Hannifin identifiziert hatte – keine strukturellen Verbindungen bestünden, ohne die Verbindungen zu berücksichtigen, die zwischen der ITR SpA und ITR Rubber zum Zeitpunkt der zwischen diesen beiden Einrichtungen erfolgten Übertragung von Tätigkeiten bestanden. |
56 |
Ein solcher Fehler könnte allerdings unbeachtlich sein, wenn eine wirtschaftliche Kontinuität jedenfalls deshalb zu verneinen wäre, weil zwischen der ITR SpA und ITR Rubber keine tatsächlichen Verbindungen bestanden. Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Rechtsmittelgegnerinnen zu prüfen, wonach das Gericht zu Recht eine wirtschaftliche Kontinuität verneint habe, da die Kommission in der streitigen Entscheidung nicht geprüft habe, ob ITR Rubber tatsächlich der Kontrolle durch die ITR SpA unterstehe. |
– Zur Beurteilung des Vorliegens tatsächlicher Verbindungen zwischen der übertragenden und der übernehmenden Einrichtung
57 |
Die Kommission hat in Rn. 370 der streitigen Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass zwischen diesen beiden Gesellschaften zu dem Zeitpunkt, als die Tätigkeiten von der einen auf die andere übertragen worden seien, die wirtschaftlichen Beziehungen einer Muttergesellschaft und einer 100%igen Tochtergesellschaft bestanden und beide Gesellschaften demselben Konzern angehört hätten. |
58 |
Nach ständiger Rechtsprechung besteht aber in dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, eine widerlegbare Vermutung, dass diese Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübt. Bei einer solchen Sachlage kann die Kommission schon dann von der Anwendbarkeit dieser Vermutung ausgehen, wenn sie nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält (vgl. u. a. Urteile Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, EU:C:2009:536, Rn. 60, Eni/Kommission, C‑508/11 P, EU:C:2013:289, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 105 bis 111). |
59 |
Die Rechtsmittelgegnerinnen können nicht geltend machen, dass diese Rechtsprechung in der streitigen Entscheidung nicht erwähnt wird, da sich in deren Rn. 325 ein ausdrücklicher Verweis darauf findet. Ebenso wenig können sie im Rechtsmittelverfahren eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte geltend machen, die sie darauf stützen, dass diese Vermutung im Verwaltungsverfahren nicht erörtert worden sei. Da sie eine solche Verletzung nicht in ihrer Klageschrift geltend gemacht haben, in der sie sich darauf beschränkt haben, die Rechtmäßigkeit der Anwendung dieser Vermutung in ihrem Fall zu bestreiten, ist ein solches Vorbringen jedenfalls als unzulässig – weil neu – zurückzuweisen (vgl. u. a. Urteil Gascogne Sack Deutschland, C‑40/12 P, EU:C:2013:768, Rn. 51 und 52). |
60 |
Soweit die Rechtsmittelgegnerinnen geltend machen, der Gerichtshof habe im Urteil ETI u. a. (EU:C:2007:775, Rn. 50 und 51) das Bestehen einer strukturellen Verbindung zwischen zwei der fraglichen Einrichtungen (nämlich dass sie sich in der Hand derselben öffentlichen Einrichtung befunden hätten) festgestellt, es aber dem nationalen Gericht überlassen, zu prüfen, ob diese Einrichtungen „der Aufsicht“ dieser öffentlichen Einrichtung unterstanden hätten, genügt der Hinweis, dass es normal ist, dass der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, bei dem die Würdigung des Sachverhalts dem nationalen Gericht obliegt, diesem die Verantwortung überlässt, die Beziehungen zu prüfen, die zwischen den in dieser Rechtssache in Rede stehenden Einrichtungen – von denen zwei öffentliche Einrichtungen waren – bestanden. |
61 |
Im vorliegenden Fall geht es dagegen nur um zwei Handelsgesellschaften, von denen eine das gesamte Kapital der anderen hält, was der dem Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission (EU:C:2009:536) zugrunde liegenden Fallgestaltung entspricht. Entgegen der von den Rechtsmittelgegnerinnen vertretenen Auffassung durfte sich die Kommission daher auf die Vermutung stützen, dass die Muttergesellschaft ITR SpA einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft ITR Rubber ausübte. |
62 |
Diese Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses ist jedoch widerlegbar und kann durch die Vorlage ausreichender Beweise dafür, dass ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig auftritt, widerlegt werden. Dabei ist es Sache der betroffenen Einheiten, alle Gesichtspunkte zu den wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen der fraglichen Tochtergesellschaft und der Muttergesellschaft anzuführen, die sie als geeignet für den Nachweis ansehen, dass die Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten autonom bestimmt hat und sie daher keine wirtschaftliche Einheit darstellten (vgl. u. a. Urteil Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 56, 58 und 65 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
63 |
Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof übermittelten Akten hervor, dass die Rechtsmittelgegnerinnen in ihrer Klageschrift vorgetragen haben, dass die wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen der ITR SpA und ITR Rubber im Zeitraum von der Gründung von ITR Rubber am 27. Juni 2001 bis zu ihrer Übertragung an Parker-Hannifin am 31. Januar 2002 es der ITR SpA nicht ermöglicht hätten, einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft auszuüben. Sie haben insoweit geltend gemacht, dass ITR Rubber von ihrer Gründung an bis zum 1. Januar 2002 keine Geschäftstätigkeit ausgeübt habe. Seit dem am 5. Dezember 2001 erfolgten Abschluss des Vertrags zwischen der ITR SpA und Parker-Hannifin über die Übertragung und den Erwerb von ITR Rubber hätten sich die Beziehungen zwischen der ITR SpA und ITR Rubber nach diesem, dem Gericht vorgelegten Vertrag gerichtet, nach dem es der ITR SpA verwehrt gewesen sei, einen wie auch immer gearteten Einfluss auf ITR Rubber auszuüben. Die Kommission trat diesem Vorbringen jedoch entgegen. |
64 |
Da das Gericht eine wirtschaftliche Kontinuität von vornherein verneint hat, hat es weder das Vorbringen von Parker ITR und Parker-Hannifin noch die von ihnen vorgelegten Beweise und auch nicht die Einwände der Kommission geprüft. |
65 |
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass das Gericht dadurch einen Rechtsfehler begangen hat, dass es bei der Prüfung, ob die Kommission den Grundsatz der wirtschaftlichen Kontinuität richtig angewandt hatte, nicht die von den Parteien zum Vorliegen oder Fehlen tatsächlicher Verbindungen in Form eines bestimmenden Einflusses der ITR SpA auf ITR Rubber angeführten Gesichtspunkte untersucht hat. |
66 |
Daraus folgt, dass dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben und das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben ist, als das Gericht aus den in den Rn. 115 und 116 dieses Urteils genannten Gründen entschieden hat, dass Parker ITR für den Zuwiderhandlungszeitraum vor dem 1. Januar 2002 nicht haftbar gemacht werden könne. |
67 |
Zur Wahrung der Kohärenz und im Interesse der Rechtssicherheit ist das angefochtene Urteil entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelgegnerinnen auch insoweit aufzuheben, als das Gericht in den Rn. 139 und 140, 145 und 146 sowie 253 und 254 dieses Urteils als Folge und ohne jegliche Prüfung in der Sache die Erhöhung der in der streitigen Entscheidung verhängten Geldbuße wegen der Anführerrolle, die Parker ITR im Zeitraum Juni 1999 bis September 2001 im Kartell gespielt haben soll, für nichtig erklärt hat. |
Zum zweiten Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, das Gericht habe ultra petita entschieden und gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen
Vorbringen der Parteien
68 |
Die Kommission trägt vor, das Gericht habe dadurch, dass es den Betrag, in dessen Höhe Parker-Hannifin als Muttergesellschaft gesamtschuldnerisch für die gegen Parker ITR verhängte Geldbuße hafte, um 100000 Euro herabgesetzt habe, ultra petita entschieden. Parker-Hannifin habe im Rahmen ihrer Klage nämlich weder die tatsächliche Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung bestritten, die das Gericht im Übrigen in den Rn. 129 und 256 des angefochtenen Urteils bestätigt habe, noch den von der Kommission bei der Berechnung der Geldbuße angewandten Koeffizienten für die Dauer des Verstoßes beanstandet. |
69 |
Die in Rn. 257 des angefochtenen Urteils für diese Herabsetzung angeführte Begründung, dass „die gesamtschuldnerische Haftung von Parker-Hannifin für den Zeitraum vom 1. bis zum 31. Januar 2002 nicht angeordnet werden kann“, gehe ins Leere, da Parker-Hannifin in der streitigen Entscheidung für den fraglichen Zeitraum nicht haftbar gemacht worden sei. |
70 |
Soweit das Gericht darauf habe verweisen wollen, dass Parker ITR einen Monat länger an der Zuwiderhandlung, wie sie im angefochtenen Urteil festgestellt werde, beteiligt gewesen sei als Parker-Hannifin, könne dies keine Herabsetzung rechtfertigen. Denn angesichts der Rundungsmethode nach Ziff. 24 Satz 2 der Leitlinien von 2006, die auf alle Adressaten der streitigen Entscheidung angewandt worden seien und auf die das Gericht im angefochtenen Urteil Bezug genommen habe, könne ein Unterschied von einem Monat bei der Dauer der Zuwiderhandlung für die Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße nicht berücksichtigt werden. Das Gericht habe dadurch, dass es dennoch eine Herabsetzung aus diesem Grund vorgenommen habe, gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. |
71 |
Nach Ansicht der Kommission hätte das Gericht zumindest darlegen müssen, aus welchen Gründen es von der Rundungsmethode abgewichen sei. |
72 |
Die Rechtsmittelgegnerinnen machen geltend, dass das Gericht, da das angefochtene Urteil in einem Verfahren ergangen sei, das nur sie selbst betreffe, bei der Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfung nicht an die von der Kommission verwendete Methode für die Berechnung der Geldbuße gebunden gewesen sei. |
73 |
Das Gericht habe durch die Herabsetzung des Teils der Geldbuße von Parker ITR, für den Parker-Hannifin gesamtschuldnerisch hafte, zu Recht berücksichtigt, dass die Beteiligung von Parker-Hannifin (als Muttergesellschaft von Parker ITR) an der Zuwiderhandlung um einen Monat kürzer gewesen sei als die unmittelbare Beteiligung ihrer Tochtergesellschaft. Jeder andere Ansatz hätte eine Diskriminierung von Parker-Hannifin begründet. |
Würdigung durch den Gerichtshof
74 |
Was die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen der Kommission angeht, mit denen eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsvorschriften verhängt wird, so wird die Rechtmäßigkeitskontrolle durch die dem Unionsrichter in Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ergänzt. Diese Befugnis ermächtigt den Richter über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen (vgl. u. a. Urteil KME Germany u. a./Kommission, C‑389/10 P, EU:C:2011:816, Rn. 130 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
75 |
Der Unionsrichter hat, um den Erfordernissen einer unbeschränkten gerichtlichen Nachprüfung im Sinne von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hinsichtlich der Geldbuße zu genügen, bei der Ausübung der Befugnisse nach den Art. 261 AEUV und 263 AEUV jegliche Rechts- oder Sachrüge zu prüfen, mit der dargetan werden soll, dass die Höhe der Geldbuße der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung nicht angemessen ist (Urteil Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 200). |
76 |
Die Ausübung dieser Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung entspricht jedoch nicht einer Prüfung von Amts wegen, und das Verfahren ist ein streitiges. Es ist grundsätzlich Sache des Klägers, gegen die angefochtene Entscheidung Klagegründe vorzubringen und für diese Beweise beizubringen (vgl. u. a. Telefónica und Telefónica de España/Kommission, EU:C:2014:2062, Rn. 213 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
77 |
Darüber hinaus ist das Gericht, wie vom Generalanwalt in Nr. 113 seiner Schlussanträge ausgeführt, im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung durch bestimmte Pflichten gebunden. Dazu zählen die Begründungspflicht gemäß Art. 36 der Satzung des Gerichtshofs, der nach Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Gericht anwendbar ist, und der Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Ausübung einer Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung darf nämlich nicht dazu führen, dass Unternehmen, die an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften beteiligt waren, bei der Ermittlung der Höhe ihrer Geldbußen ungleich behandelt werden (Urteil Sarrió/Kommission, C‑291/98 P, EU:C:2000:631, Rn. 97). |
78 |
Im vorliegenden Fall hat die Kommission in der streitigen Entscheidung festgestellt, dass sich Parker ITR vom 1. April 1986 bis zum 2. Mai 2007 und Parker-Hannifin vom 31. Januar 2002 bis zum 2. Mai 2007 an dem Kartell beteiligt hätten. Deshalb hat sie gegen Parker ITR eine Geldbuße in Höhe von 25610000 Euro, davon 8320000 Euro gesamtschuldnerisch mit Parker-Hannifin, verhängt. Wie insbesondere aus Rn. 448 der streitigen Entscheidung hervorgeht, erklärt sich der Umstand, dass die gesamtschuldnerische Haftung von Parker-Hannifin nur für einen Teil des Gesamtbetrags der gegen Parker ITR verhängten Geldbuße festgestellt wurde, vor allem dadurch, dass gemäß Ziff. 24 Satz 1 der Leitlinien von 2006 ein Multiplikationsfaktor angewandt wurde, der sich nach der Anzahl der Jahre der Beteiligung an der Zuwiderhandlung richtet, die bei den beiden Gesellschaften unterschiedlich ist. |
79 |
In ihrer Klageschrift bestritten Parker ITR und Parker-Hannifin die ihnen in der streitigen Entscheidung angelastete Dauer der Zuwiderhandlung und beantragten beim Gericht, aus diesem Grund den Betrag der ihnen in dieser Entscheidung auferlegten Geldbuße herabzusetzen. |
80 |
Nach einer Prüfung der von Parker ITR und Parker-Hannifin geltend gemachten Klagegründe und vorgelegten Beweise hat das Gericht zunächst entschieden, dass für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2002 keine Zuwiderhandlung von Parker ITR festgestellt werden könne. Folglich hat es auch die Erhöhung der gegen Parker ITR und Parker-Hannifin verhängten Geldbuße für nichtig erklärt, die in der streitigen Entscheidung wegen der Anführerrolle, die Parker ITR von Juni 1999 bis September 2001 im Kartell gespielt haben soll, vorgenommen worden war. |
81 |
In Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hat das Gericht sodann die gegen Parker ITR verhängte Geldbuße auf einen Betrag von 6400000 Euro herabgesetzt, dessen Angemessenheit von der Kommission nicht bestritten wird. |
82 |
In diesem Stadium oblag es somit dem Gericht, gemäß dem Antrag von Parker-Hannifin neu zu berechnen, in welcher Höhe diese Gesellschaft für den neuen Betrag der gegen Parker ITR verhängten Geldbuße gesamtschuldnerisch haftbar zu machen ist. |
83 |
Hierfür stützte sich das Gericht in Rn. 257 des angefochtenen Urteils auf den mit der bei ihm erhobenen Klage nicht bestrittenen und im angefochtenen Urteil bestätigten Umstand, dass die Haftung von Parker-Hannifin in ihrer Eigenschaft als Muttergesellschaft für den Zeitraum vom 1. bis zum 31. Januar 2002 nicht angeordnet werden könne. Insofern kann dem Gericht entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht vorgeworfen werden, ultra petita entschieden zu haben. |
84 |
Allerdings hat das Gericht den Betrag, bis zu dem Parker-Hannifin gesamtschuldnerisch für die gegen Parker ITR verhängte Geldbuße haftet, auf 6300000 Euro festgesetzt, ohne sich auf irgendeinen anderen Gesichtspunkt zu beziehen, der als Begründung gelten könnte. |
85 |
Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das Gericht nicht die Gesichtspunkte dargelegt hat, die erforderlich sind, damit zum einen die Beteiligten erkennen können, aus welchen Gründen es den Betrag der Geldbuße, für den Parker-Hannifin haftet, auf diese Höhe festgesetzt hat, und zum anderen der Gerichtshof seine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Herabsetzung insbesondere im Hinblick auf die Wahrung des von der Kommission geltend gemachten Gleichbehandlungsgrundsatzes ausüben kann. |
86 |
Daher ist dem zweiten Rechtsmittelgrund der Kommission stattzugeben, soweit er einen Verstoß gegen die Begründungspflicht betrifft. |
87 |
Folglich ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht in Rn. 257 des angefochtenen Urteils den Betrag der gegen Parker ITR verhängten Geldbuße, für den Parker-Hannifin als Muttergesellschaft gesamtschuldnerisch haftet, ohne jegliche Begründung um 100000 Euro herabgesetzt hat. |
Zum Vorbringen der Rechtsmittelgegnerinnen betreffend einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003
Vorbringen der Parteien
88 |
In ihrer Rechtsmittelbeantwortung tragen die Rechtsmittelgegnerinnen vor, dass, sollte dem ersten Rechtsmittelgrund stattgegeben werden, der Teil der Geldbuße, für den Parker ITR allein verantwortlich gemacht werden könne, gemäß Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 10 % des Umsatzes, den sie im dem Erlass der streitigen Entscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielt habe, nicht übersteigen dürfe. |
89 |
In diesem Zusammenhang weisen sie darauf hin, dass Parker ITR und Parker‑Hannifin bis zum 31. Januar 2002 zwei verschiedene Unternehmen gewesen seien. Deshalb hätten sie vor dem Gericht mit ihrem achten Klagegrund geltend gemacht, dass für die Ermittlung der Obergrenze von 10 %, die für die Geldbuße gelte, für die Parker ITR allein verantwortlich sei, anders als es die Kommission in der streitigen Entscheidung getan habe, nur der Umsatz hätte berücksichtigt werden dürfen, der von Parker ITR 2008 erzielt worden sei und nicht der konsolidierte Umsatz der Parker-Hannifin-Gruppe für 2008. Generalanwalt Wathelet habe sich in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache YKK u. a./Kommission (EU:C:2014:66, Rn. 96 bis 145) in diesem Sinne geäußert. |
90 |
In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission geltend gemacht, dass dieses Vorbringen als unzulässig zurückzuweisen sei, da es nicht im Rahmen eines Anschlussrechtsmittels gemacht worden sei. Die Rechtsmittelgegnerinnen haben darauf erwidert, dass das Gericht im angefochtenen Urteil zu dieser Frage nicht Stellung genommen habe. |
Würdigung durch den Gerichtshof
91 |
Nach Art. 172 der am 1. November 2012 in Kraft getretenen Verfahrensordnung kann jede Partei der betreffenden Rechtssache vor dem Gericht, die ein Interesse an der Stattgabe oder der Zurückweisung des Rechtsmittels hat, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Rechtsmittelschrift eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen. Nach Art. 176 Abs. 1 der Verfahrensordnung können die in diesem Art. 172 bezeichneten Parteien zudem innerhalb der gleichen Frist, wie sie für die Einreichung der Rechtsmittelbeantwortung gilt, Anschlussrechtsmittel einlegen. Art. 176 Abs. 2 der Verfahrensordnung sieht insoweit vor, dass das Anschlussrechtsmittel mit gesondertem, von der Rechtsmittelbeantwortung getrenntem Schriftsatz einzulegen ist. |
92 |
Für die Feststellung, ob diese letztgenannte Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang anwendbar ist, ist vorab zu ermitteln, ob das Gericht im angefochtenen Urteil die von Parker ITR und Parker-Hannifin aufgeworfene Rechtsfrage geprüft und entschieden hat. |
93 |
Hierzu ist festzustellen, dass das Gericht in Rn. 227 des angefochtenen Urteils zunächst auf sein Urteil Tokai Carbon u. a./Kommission (EU:T:2005:220) verwiesen hat. Auf eben dieses Urteil hat sich das Gericht gestützt, um eine ähnliche Rechtsfrage in seinem Urteil YKK u. a./Kommission (T‑448/07, EU:T:2012:322, Rn. 193) zu entscheiden, das Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist, auf das die Rechtsmittelgegnerinnen in ihrer Rechtsmittelbeantwortung Bezug genommen haben. |
94 |
In Rn. 228 des angefochtenen Urteils hat das Gericht sodann den achten Klagegrund als unbegründet erachtet, soweit er sich auf die Zeit der Zuwiderhandlung nach dem 1. Januar 2002 bezog, was den Zeitraum vom 1. bis zum 31. Januar 2002 einschließt, in dem ITR Rubber noch nicht zur Parker-Hannifin-Gruppe gehörte. |
95 |
Die vom Gericht vorgenommene Würdigung spiegelt sich in der Berechnungsmethode wider, die es für die Neuberechnung der gegen Parker ITR verhängten Geldbuße herangezogen hat, sowie in Nr. 3 des Tenors des angefochtenen Urteils, in der es nicht zwischen der Zeit vom 1. bis zum 31. Januar 2002 und dem darauffolgenden Zeitraum unterschieden hat. |
96 |
Demnach hat das Gericht im Rahmen des achten Klagegrundes sehr wohl die von Parker ITR und Parker-Hannifin aufgeworfene Frage geprüft und entschieden, indem es ihr Vorbringen zurückgewiesen hat. |
97 |
Unter diesen Umständen ist das Vorbringen der Rechtsmittelgegnerinnen zur Anwendung von Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 als unzulässig zurückzuweisen, da sie gegen die vom Gericht vorgenommene Würdigung ihres achten Klagegrundes entgegen dem Erfordernis in Art. 176 Abs. 2 der Verfahrensordnung kein Anschlussrechtsmittel mit gesondertem, von der Rechtsmittelbeantwortung getrenntem Schriftsatz eingelegt haben. |
98 |
Aus allen vorstehenden Erwägungen, insbesondere in den Rn. 55, 66, 67 und 87 des vorliegenden Urteils, ergibt sich, dass die Nrn. 1 bis 3 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben sind. |
Zur Klage beim Gericht
99 |
Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann dieser im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit entweder selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen. |
100 |
Im vorliegenden Fall hält der Gerichtshof den Rechtsstreit noch nicht für entscheidungsreif, da, bevor festgestellt werden kann, ob die Kommission in der streitigen Entscheidung den Grundsatz der wirtschaftlichen Kontinuität auf die Rechtsmittelgegnerinnen anwenden durfte, zu prüfen ist, ob die von den Rechtsmittelgegnerinnen im Rahmen ihrer Klage angeführten Gesichtspunkte ausreichen, um die Vermutung zu widerlegen, dass die ITR SpA als Muttergesellschaft, die 100 % des Kapitals von ITR Rubber hielt, einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausgeübt hat. |
101 |
Somit ist die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit der Klage an das Gericht zurückverwiesen. |
Kosten
102 |
Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die durch das vorliegende Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten vorzubehalten. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.