Rechtssache C‑361/13

Europäische Kommission

gegen

Slowakische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Verordnung (EG) Nr. 883/2004 — Art. 7 — Leistung bei Alter — Weihnachtsgratifikation — Wohnortklausel“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 16. September 2015

  1. Gerichtliches Verfahren — Klageschrift — Formerfordernisse — Ermittlung des Streitgegenstands — Kurze Darstellung der Klagegründe — Eindeutige Formulierung der Anträge des Klägers

    (Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 120 Buchst. c)

  2. Vertragsverletzungsklage — Nachweis der Vertragsverletzung — Obliegenheit der Kommission — Vermutungen — Unzulässigkeit — Vortrag von Tatsachen, die die Vertragsverletzung erkennen lassen

    (Art. 258 AEUV)

  3. Soziale Sicherheit — Wandererwerbstätige — Unionsregelung — Sachlicher Geltungsbereich — Erfasste und ausgeschlossene Leistungen — Unterscheidungskriterien

    (Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

  4. Soziale Sicherheit — Wandererwerbstätige — Unionsregelung — Sachlicher Geltungsbereich — Leistungen bei Alter — Gewährung einer Weihnachtsgratifikation an die Bezieher mehrerer Arten von Renten und nicht nur an die Bezieher einer Alters- oder Ruhestandsrente — Für die Feststellung der wesentlichen Merkmale einer Leistung bei Alter unzureichender Charakter — Ausschluss

    (Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1 Buchst. d)

  1.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 21)

  2.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 44)

  3.  Die Unterscheidung zwischen Leistungen, die in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit fallen, und Leistungen, die davon ausgenommen sind, hängt nicht davon ab, ob eine Leistung nach den nationalen Rechtsvorschriften eine Leistung der sozialen Sicherheit darstellt, sondern in erster Linie von den Wesensmerkmalen der jeweiligen Leistung, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung.

    Eine Leistung kann dann als eine Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden, wenn sie den Begünstigten aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestandmerkmals ohne jede im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit gewährt wird und wenn sie sich auf eines der in Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht.

    (vgl. Rn. 46, 47)

  4.  Die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit genannten Leistungen bei Alter zeichnen sich im Wesentlichen dadurch aus, dass sie den Lebensunterhalt für Personen sicherstellen sollen, die bei Erreichen eines bestimmten Alters ihre Beschäftigung aufgeben und nicht mehr verpflichtet sind, sich der Arbeitsverwaltung zur Verfügung zu stellen.

    Eine Weihnachtsgratifikation, die nicht ausschließlich an Bezieher einer Altersrente, einer Frührente oder einer Altersrente des Militär- und Polizeikorps gezahlt wird, sondern deren Kreis der Begünstigten auch die Bezieher anderer Renten, wie z. B. einer Invalidenrente, einer Sozialrente einer Witwen-/Witwerrente oder einer Waisenrente umfasst und deren Zweck nicht allein von der Art der Rente abhängt, deren Ergänzung sie dient, kann nicht als Leistung bei Alter im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden.

    Dies ist u. a. der Fall, wenn die in Form der Weihnachtsgratifikation gezahlte Zulage, deren Gewährung nicht von einer im Ermessen liegenden individuellen Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit des Antragstellers durch die zuständigen Behörden abhängt, die Zielsetzung aufweist, die schwierige soziale Situation der Leistungsbezieher mit geringem Einkommen in einer Zeit abzumildern, in der sie persönlich die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen ihres geringen Einkommens spüren können, wobei sich diese Zielsetzung auch aus dem Umstand ergibt, dass die Bezieher mehrerer gesetzlicher Renten die Weihnachtsgratifikation nur einmal erhalten und auch nur dann, wenn die Summe der Renten den festgelegten Schwellenwert nicht übersteigt.

    (vgl. Rn. 52, 55, 57, 60, 61)


Rechtssache C‑361/13

Europäische Kommission

gegen

Slowakische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Verordnung (EG) Nr. 883/2004 — Art. 7 — Leistung bei Alter — Weihnachtsgratifikation — Wohnortklausel“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 16. September 2015

  1. Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Ermittlung des Streitgegenstands – Kurze Darstellung der Klagegründe – Eindeutige Formulierung der Anträge des Klägers

    (Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 120 Buchst. c)

  2. Vertragsverletzungsklage – Nachweis der Vertragsverletzung – Obliegenheit der Kommission – Vermutungen – Unzulässigkeit – Vortrag von Tatsachen, die die Vertragsverletzung erkennen lassen

    (Art. 258 AEUV)

  3. Soziale Sicherheit – Wandererwerbstätige – Unionsregelung – Sachlicher Geltungsbereich – Erfasste und ausgeschlossene Leistungen – Unterscheidungskriterien

    (Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

  4. Soziale Sicherheit – Wandererwerbstätige – Unionsregelung – Sachlicher Geltungsbereich – Leistungen bei Alter – Gewährung einer Weihnachtsgratifikation an die Bezieher mehrerer Arten von Renten und nicht nur an die Bezieher einer Alters- oder Ruhestandsrente – Für die Feststellung der wesentlichen Merkmale einer Leistung bei Alter unzureichender Charakter – Ausschluss

    (Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1 Buchst. d)

  1.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 21)

  2.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 44)

  3.  Die Unterscheidung zwischen Leistungen, die in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit fallen, und Leistungen, die davon ausgenommen sind, hängt nicht davon ab, ob eine Leistung nach den nationalen Rechtsvorschriften eine Leistung der sozialen Sicherheit darstellt, sondern in erster Linie von den Wesensmerkmalen der jeweiligen Leistung, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung.

    Eine Leistung kann dann als eine Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden, wenn sie den Begünstigten aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestandmerkmals ohne jede im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit gewährt wird und wenn sie sich auf eines der in Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht.

    (vgl. Rn. 46, 47)

  4.  Die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit genannten Leistungen bei Alter zeichnen sich im Wesentlichen dadurch aus, dass sie den Lebensunterhalt für Personen sicherstellen sollen, die bei Erreichen eines bestimmten Alters ihre Beschäftigung aufgeben und nicht mehr verpflichtet sind, sich der Arbeitsverwaltung zur Verfügung zu stellen.

    Eine Weihnachtsgratifikation, die nicht ausschließlich an Bezieher einer Altersrente, einer Frührente oder einer Altersrente des Militär- und Polizeikorps gezahlt wird, sondern deren Kreis der Begünstigten auch die Bezieher anderer Renten, wie z. B. einer Invalidenrente, einer Sozialrente einer Witwen-/Witwerrente oder einer Waisenrente umfasst und deren Zweck nicht allein von der Art der Rente abhängt, deren Ergänzung sie dient, kann nicht als Leistung bei Alter im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden.

    Dies ist u. a. der Fall, wenn die in Form der Weihnachtsgratifikation gezahlte Zulage, deren Gewährung nicht von einer im Ermessen liegenden individuellen Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit des Antragstellers durch die zuständigen Behörden abhängt, die Zielsetzung aufweist, die schwierige soziale Situation der Leistungsbezieher mit geringem Einkommen in einer Zeit abzumildern, in der sie persönlich die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen ihres geringen Einkommens spüren können, wobei sich diese Zielsetzung auch aus dem Umstand ergibt, dass die Bezieher mehrerer gesetzlicher Renten die Weihnachtsgratifikation nur einmal erhalten und auch nur dann, wenn die Summe der Renten den festgelegten Schwellenwert nicht übersteigt.

    (vgl. Rn. 52, 55, 57, 60, 61)