URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

6. November 2012 ( *1 )

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Sozialpolitik — Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf — Richtlinie 2000/78/EG — Art. 2 und 6 Abs. 1 — Nationale Regelung, wonach Richter, Staatsanwälte und Notare bei Erreichen des 62. Lebensjahrs aus dem Berufsleben ausscheiden müssen — Legitime Ziele, die eine unterschiedliche Behandlung gegenüber Arbeitnehmern rechtfertigen, die noch nicht 62 Jahre alt sind — Verhältnismäßigkeit der Übergangszeit“

In der Rechtssache C-286/12

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 7. Juni 2012,

Europäische Kommission, vertreten durch J. Enegren und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter) sowie der Richter A. Borg Barthet, M. Ilešič, E. Levits und J.-J. Kasel,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin

aufgrund des Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. Juli 2012, die Rechtssache dem in den Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und 133 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 2012,

nach Anhörung der Generalanwältin

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16) verstoßen hat, dass es eine nationale Regelung erlassen hat, wonach Richter, Staatsanwälte und Notare bei Erreichen des 62. Lebensjahrs aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, was zu einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund des Alters führt, die nicht durch legitime Ziele gerechtfertigt und jedenfalls zur Erreichung der verfolgten Ziele weder erforderlich noch angemessen ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

2

Art. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

3

Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)   Im Sinne des Absatzes 1

a)

liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)

liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i)

diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ...

…“

4

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a)

die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

…“

Nationales Recht

5

Bis zum 31. Dezember 2011 erlaubte Art. 57 Abs. 2 des Gesetzes Nr. LXVII von 1997 über die rechtliche Stellung und die Dienstbezüge der Richter den Richtern, bis zum Alter von 70 Jahren im Dienst zu bleiben.

6

Das neue ungarische Grundgesetz, das am 25. April 2011 erlassen wurde und am 1. Januar 2012 in Kraft trat (im Folgenden: Grundgesetz), bestimmt in Art. 26 Abs. 2: „Mit Ausnahme des Präsidenten der Kúria können die Richter bis zum allgemeinen Ruhestandsalter im Amt bleiben.“

7

In diesem Zusammenhang bestimmt Art. 12 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen des Grundgesetzes (im Folgenden: Übergangsbestimmungen):

„Erreicht der Richter das allgemeine Alter für den Genuss der Ruhestandsbezüge im Sinne von Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes vor dem 1. Januar 2012, endet sein Dienst am 30. Juni 2012. Erreicht er das allgemeine Alter für den Genuss der Ruhestandsbezüge im Sinne von Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2012, endet sein Dienst am 31. Dezember 2012.“

8

Ebenso bestimmt Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes in Bezug auf die Staatsanwälte: „Mit Ausnahme des Generalstaatsanwalts können die Staatsanwälte bis zum allgemeinen Ruhestandsalter im Dienst bleiben.“

9

Hierzu sieht Art. 13 der Übergangsbestimmungen vor:

„Erreicht der Staatsanwalt das allgemeine Alter für den Genuss der Ruhestandsbezüge im Sinne von Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes vor dem 1. Januar 2012, endet sein Dienst am 30. Juni 2012. Erreicht er das allgemeine Alter für den Genuss der Ruhestandsbezüge im Sinne von Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2012, endet sein Dienst am 31. Dezember 2012.“

10

Somit wird zum einen im Sinne von Art. 90 Buchst. ha des Gesetzes Nr. CLXII von 2011 über die rechtliche Stellung und die Dienstbezüge der Richter (im Folgenden: Richtergesetz 2011), das am 1. Januar 2012 in Kraft trat, der Richter in den Ruhestand versetzt, „wenn er die für ihn geltende Altersgrenze für den Ruhestand erreicht hat, … ausgenommen hiervon ist der Präsident der Kúria“.

11

Zum anderen sieht Art. 34 Buchst. d des Gesetzes Nr. CLXIV von 2011 über die berufliche Laufbahn der Staatsanwälte und die rechtliche Stellung des Generalstaatsanwalts, der Staatsanwälte und der sonstigen Bediensteten der Staatsanwaltschaft vor, dass „der Dienst des Staatsanwalts endet, wenn er die für ihn geltende Altersgrenze für den Ruhestand erreicht hat“.

12

Außerdem wurde durch Art. 45 Abs. 4 des Gesetzes Nr. CCI von 2011 zur Änderung bestimmter Gesetze gemäß dem Grundgesetz Art. 22 Buchst. d des Gesetzes Nr. XLI von 1991 über die Notare mit Wirkung vom 1. Januar 2014 geändert. Der letztgenannte Artikel bestimmt jetzt: „Der Dienst der Notare endet an dem Tag, an dem sie die für sie geltende Altersgrenze für den Ruhestand erreichen.“

13

In seiner bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung bestimmte Art. 18 Abs. 1 des Gesetzes Nr. LXXXI von 1997 über die Leistungen der Sozialversicherung im Bereich der Renten (im Folgenden: Tny-Gesetz):

„Anspruch auf Altersrente aus der Sozialversicherung hat ab einem Alter von 62 Jahren jede Person, die mindestens 20 Dienstjahre vollendet hat.“

14

In ihrer am 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Fassung lautet diese Bestimmung nunmehr:

„Die Altersgrenze, die Anspruch auf Altersrente aus der Sozialversicherung eröffnet, wird wie folgt festgelegt:

a)

62 Jahre für alle vor dem 1. Januar 1952 geborenen Personen,

b)

62 Jahre plus 183 Tage für alle im Jahr 1952 geborenen Personen,

c)

63 Jahre für alle im Jahr 1953 geborenen Personen,

d)

63 Jahre plus 183 Tage für alle im Jahr 1954 geborenen Personen,

e)

64 Jahre für alle im Jahr 1955 geborenen Personen,

f)

64 Jahre plus 183 Tage für alle im Jahr 1956 geborenen Personen,

g)

65 Jahre für alle 1957 oder später geborenen Personen.“

15

Nach Art. 18 Abs. 2 hat Anspruch auf Rente zum vollen Satz, wer

„a)

das seinem Geburtsjahr entsprechende Rentenalter im Sinne von Abs. 1 erreicht hat … und

b)

seinen Dienst mindestens 20 Jahre lang versehen hat und

…“

16

Schließlich endet nach Art. 230 des Richtergesetzes 2011 bei Richtern, die vor dem 1. Januar 2013 die neu festgesetzte Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst erreicht haben, der Dienst derjenigen, die das 62. Lebensjahr vor dem 1. Januar 2012 erreichen, am 30. Juni 2012, während der Dienst derjenigen, die das 62. Lebensjahr zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2012 erreichen, am 31. Dezember 2012 endet.

17

Desgleichen enthält Art. 160 des Gesetzes Nr. CLXIV von 2011 über die berufliche Laufbahn der Staatsanwälte und die rechtliche Stellung des Generalstaatsanwalts, der Staatsanwälte und der sonstigen Bediensteten der Staatsanwaltschaft Bestimmungen, die im Kern denjenigen für Richter ähneln. Auf die Notare ist ab 1. Januar 2014 eine entsprechende Regelung wie für Richter und Staatsanwälte anwendbar, wie in Randnr. 12 des vorliegenden Urteils erwähnt.

Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

18

Am 17. Januar 2012 übersandte die Kommission Ungarn ein Mahnschreiben, in dem sie die Ansicht vertrat, dass dieser Mitgliedstaat durch den Erlass der nationalen Rechtsvorschriften über die Altersgrenze, die zur zwingenden Beendigung des Dienstes der Richter, Staatsanwälte und Notare führen, seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2000/78 verletzt habe. In seiner Antwort vom 17. Februar 2012 bestreitet dieser Mitgliedstaat die ihm zur Last gelegte Vertragsverletzung. Am 7. März 2012 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, mit der sie Ungarn aufforderte, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich seien, um seinen Pflichten binnen eines Monats nach Erhalt dieser Stellungnahme nachzukommen. Ungarn antwortete mit Schreiben vom 30. März 2012.

19

Da der Kommission diese Antwort unzureichend erschien, hat sie am 7. Juni 2012 die vorliegende Klage erhoben.

20

Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht worden ist, hat die Kommission einen Antrag auf Anwendung des beschleunigten Verfahrens im Sinne von Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gestellt, dem der Präsident des Gerichtshofs mit Beschluss vom 13. Juli 2012 stattgegeben hat.

21

Am 16. Juli 2012 hat der Alkotmánybíróság (Verfassungsgerichtshof) entschieden, rückwirkend einen Teil der von der Kommission beanstandeten ungarischen Regelung für nichtig zu erklären. Auf Ersuchen der Kanzlei des Gerichtshofs hat die Kommission am 25. Juli 2012 zu dieser Entscheidung Stellung genommen und sowohl ihre Klage als auch ihren Antrag auf beschleunigtes Verfahren aufrechterhalten. Ungarn hat daraufhin seine Klagebeantwortung am 14. August 2012 eingereicht und darin ebenfalls zu den Folgen der erwähnten Entscheidung für die vorliegende Rechtssache Stellung genommen.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

22

Die Kommission macht geltend, dass die streitigen Bestimmungen dadurch gegen die Art. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 verstießen, dass sie eine ungerechtfertigte Diskriminierung einführten und jedenfalls weder geeignet noch erforderlich seien, um die von Ungarn angeführten angeblich legitimen Ziele zu erreichen.

23

Ungarn macht vorab geltend, dass die vorliegende Rechtssache teilweise gegenstandslos geworden sei, da der Alkotmánybíróság mit seinem Urteil die Art. 90 Buchst. ha und 230 des Richtergesetzes 2011 rückwirkend für nichtig erklärt habe. Daher sei über den entsprechenden Teil der Klage nicht mehr zu entscheiden. Die Kommission ist dagegen der Ansicht, dass dieses Urteil keine Auswirkungen auf die Klage habe.

Zur Diskriminierung

24

Nach Ansicht der Kommission verstößt die fragliche ungarische Regelung dadurch gegen Art. 2 der Richtlinie 2000/78, dass sie eine diskriminierende Unterscheidung aufgrund des Alters zwischen den Richtern, Staatsanwälten und Notaren, die die in dieser Regelung festgesetzte Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hätten, und denjenigen vornehme, die im Dienst verbleiben könnten. Die Absenkung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden der Richter, Staatsanwälte und Notare aus dem Dienst von 70 auf 62 Jahre schaffe nämlich eine unterschiedliche Behandlung von Personen eines bestimmten Berufs aufgrund des Alters. Zwar stehe es Ungarn frei, die Altersgrenze für das Ausscheiden dieser Personen aus dem Dienst festzulegen, doch greife die neue Regelung tief in die Dauer des Dienstverhältnisses zwischen den Parteien und allgemein in die Ausübung der Berufstätigkeit der betroffenen Personen ein, indem sie deren künftige Teilnahme am aktiven Leben verhindere. Der Umstand, dass die Betroffenen in der Vergangenheit einer günstigeren Regelung unterlegen hätten, als sie für die anderen Beschäftigten des öffentlichen Sektors gegolten habe, schließe nicht aus, dass diese Regelung diskriminierend sei.

25

Ungarn entgegnet, dass im vorliegenden Fall keine Diskriminierung vorliege. Die Kommission habe nämlich die fragliche Regelung nur isoliert betrachtet, ohne deren allgemeinen Kontext zu beachten. Insbesondere solle mit der Senkung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst für die Personen, die den betreffenden Berufsgruppen angehörten, eine positive Diskriminierung beseitigt werden, die diesen Personen zugutegekommen sei, da allein sie, anders als die anderen Beschäftigten des öffentlichen Sektors, nicht nur bis zum 70. Lebensjahr hätten im Dienst bleiben können, sondern in zahlreichen Fällen die Möglichkeit gehabt hätten, ihre Dienstbezüge mit der Altersrente zu kombinieren, auf die sie von dem Zeitpunkt an, zu dem sie das Rentenalter erreicht hätten, Anspruch gehabt hätten. Daher solle die Reform ein Gleichgewicht innerhalb der allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen herstellen.

Zur Rechtfertigung der Diskriminierung

26

Die Kommission macht geltend, die angeführte unterschiedliche Behandlung sei nicht gemäß den in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 aufgestellten Voraussetzungen gerechtfertigt. Mit der streitigen nationalen Regelung werde nämlich kein legitimes Ziel verfolgt, und sie sei jedenfalls nicht verhältnismäßig. Die Beachtung dieser Voraussetzungen sei aber nicht nur bei der Festsetzung einer Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst geboten, sondern auch bei Änderungen dieser Altersgrenze.

27

Zum Vorliegen eines „legitimen Ziels“ im Sinne dieser Bestimmung macht die Kommission geltend, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung als geeignet angesehen werden könnten, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen. Zum einen ergebe sich jedoch kein Ziel dieser Art aus der fraglichen Regelung und lasse sich auch nicht aus deren allgemeinem Kontext ableiten. Ein solcher Mangel verstoße als solcher gegen die Richtlinie 2000/78, da er jede gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit dieser Regelung verhindere.

28

Zum anderen habe Ungarn im Verwaltungsverfahren im Kern zwei Ziele angeführt, denen die in Rede stehende Regelung dienen solle, nämlich in erster Linie die Vereinheitlichung der Bestimmungen über den Ruhestand für alle Personen und in zweiter Linie die Erleichterung des Zugangs junger Juristen zu den Gerichten zu dem Zweck, eine „ausgeglichene Altersstruktur“ zu schaffen.

29

Das erste dieser Ziele könne jedoch nicht als „legitim“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 betrachtet werden, da der Gerichtshof es ausgeschlossen habe, dass Ziele organisatorischer Art eine Diskriminierung rechtfertigen könnten. Das Argument Ungarns, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 21. Juli 2011, Fuchs und Köhler (C-159/10 und C-160/10, Slg. 2011, I-6919), einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen habe, wonach solche Ziele legitim seien, gehe fehl, da dieses Urteil auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sei. Darin habe der Gerichtshof nämlich nicht die Definition des Begriffs „legitimes Ziel“ im Sinne der erwähnten Bestimmung erweitert, sondern festgestellt, dass das Ziel, eine „ausgewogene Altersstruktur“ von jüngeren und älteren Beamten zu schaffen, ein „legitimes Ziel“ der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik darstellen könne. Unabhängig davon, dass dieses „legitime Ziel“„organisatorische“ Folgen insbesondere in Form einer Verbesserung der Effektivität der Rechtspflege haben könne, könnten diese Folgen als solche nicht als „legitime Ziele“ betrachtet werden.

30

In Bezug auf das zweite Ziel führt die Kommission aus, dass das Argument der Ersetzung älterer Richter durch jüngere Richter und der angeblich daraus entstehenden Verbesserung der Qualität der Rechtspflege nicht nur ein „reiner Allgemeinplatz“ sei, den der Gerichtshof im Urteil Fuchs und Köhler zurückgewiesen habe, sondern auch eine Form eines Vorurteils im Zusammenhang mit dem Alter. Die Richtlinie 2000/78 solle aber gerade den Einzelnen vor solchen Vorurteilen schützen.

31

Ungarn macht zur Rechtfertigung der Beschränkung geltend, der Umstand, dass die fragliche Regelung, die sowohl die Richter als auch die Staatsanwälte und die Notare betreffe, im Lauf ein und desselben Zeitraums in Kraft getreten sei, belege klar die Absicht des Gesetzgebers, in diesen Bereichen die Regelung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst zu vereinheitlichen, um in den betreffenden Berufen eine „ausgeglichenere Altersstruktur“ einzuführen. Diese Ziele seien im Übrigen „legitim“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, wie die Kommission selbst eingeräumt habe.

Zur Geeignetheit und Erforderlichkeit der fraglichen nationalen Regelung

32

Im Hinblick auf die beiden von Ungarn angeführten Ziele, denen die fragliche nationale Regelung dienen soll, vertritt die Kommission die Ansicht, selbst wenn sie als „legitime Ziele“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 betrachtet würden, sei die Regelung nicht geeignet, diese Ziele zu erreichen.

33

Erstens könne diese Regelung nicht zur Verfolgung des Ziels der Vereinheitlichung des Ruhestandsalters beitragen, da insbesondere zunächst das Dienstverhältnis der Richter und Staatsanwälte ende, sobald sie das Ruhestandsalter erreicht hätten, während die Tätigkeit der anderen Bediensteten des öffentlichen Sektors erst dann ende, wenn sie dieses Alter erreicht und die für den Bezug eines vollständigen Ruhegehalts notwendigen Dienstjahre vollendet hätten. Sodann blieben noch Ausnahmen wie die für den Präsidenten der Kúria, den Generalstaatsanwalt, die Verfassungsrichter oder die Staatsanwälte und die Staatsanwälte auf Probe. Schließlich hätten die Richter, die Staatsanwälte und die Notare – anders als die übrigen Berufsgruppen des öffentlichen Sektors – nicht die Möglichkeit, zu beantragen, ihr Amt „im dienstlichen Interesse“ zu behalten, nachdem sie das Ruhestandsalter erreicht hätten.

34

Was zweitens das Ziel angehe, den Eintritt junger Berufstätiger in die Justiz zu erleichtern, deuteten die Einzelheiten der Anwendung der in Rede stehenden Bestimmungen darauf hin, dass diese nicht so gestaltet seien, dass das angestrebte Ziel erreicht werde. Ferner hätten sie nicht die Übertragung von Erfahrungen der älteren Beamten auf die jüngeren Juristen, die in die betreffenden Berufe einträten, erlaubt. Eine kohärentere und nachhaltigere Vorgehensweise zur Erreichung des erwünschten Ziels hätte darin bestanden, die verbindliche Altersgrenze für die Beendigung der Tätigkeit schrittweise zu senken.

35

Hierauf entgegnet Ungarn, dass in Wirklichkeit dank dieser Bestimmungen und, parallel dazu, der Möglichkeiten der Ernennung jüngerer Juristen eine große Zahl höherrangiger Stellen für die Generation „mittleren Alters“ in den Gerichten und den Staatsanwaltschaften zugänglich werde. Obwohl sich die älteren Richter, Staatsanwälte und Notare gezwungen sähen, aus dem Dienst auszuscheiden, blieben viele auf ihren Posten. Ihre Anwesenheit und ihre Möglichkeit, höherrangige Stellen zu besetzen, gewährleisteten, dass sie die Erfahrung, die sie erworben hätten, auf ihre jüngeren Kollegen übertragen könnten.

36

Die Kommission ist ferner der Ansicht, dass eine so schnelle und radikale Senkung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst über das zur Erreichung der angeführten Ziele Erforderliche hinausgehe, wenn die schwerwiegenden Folgen berücksichtigt würden, die eine solche Änderung für die betroffenen Richter, Staatsanwälte und Notare haben könne. Diese sähen sich nämlich gezwungen, schnell aus dem Dienst auszuscheiden, ohne Zeit zu haben, ihre Vorkehrungen insbesondere finanzieller Art zu treffen, um die Verringerung ihrer Einkünfte bewältigen zu können.

37

Ungarn ist dagegen der Ansicht, dass die Übergangszeiten für die Betroffenen nicht erst bei Erlass der streitigen Regelung, sondern schon seit dem 20. Juni 2011 bekannt gewesen seien, als das ungarische Parlament das Gesetz Nr. LXXII von 2011 zur Änderung bestimmter Gesetze betreffend die rechtliche Stellung gemäß dem Grundgesetz verabschiedet habe. Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes Nr. LXXII von 2011 enthalte bereits die „Ankündigungsfristen, die auch später im Richtergesetz 2011 und den Übergangsbestimmungen übernommen worden seien“. Unter solchen Umständen hätten die Betroffenen Gelegenheit gehabt, schon im Juni 2011 die in der fraglichen Regelung vorgesehenen Übergangszeiten zur Kenntnis zu nehmen. Bei den Notaren träten die Bestimmungen zur Senkung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst erst am 1. Januar 2014 in Kraft, so dass sie über eine noch längere Vorbereitungszeit verfügten.

Zur Kohärenz der Regelung

38

Die Kommission macht geltend, es bestehe keine Kohärenz zwischen der fraglichen Regelung und der ungarischen Reform der allgemeinen Rentenregelung. Sie führt aus, dass „im Jahr 2012 das Dienstverhältnis der Richter, der Staatsanwälte und der Notare im Alter von 62 bis 70 Jahren zwingend beendet wird“, während „von 2014 bis 2022 die allgemeine Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand und damit die zwingende Altersgrenze [für das Ausscheiden aus dem Dienst], die auch auf die Richter, Staatsanwälte und Notare anwendbar ist, schrittweise von 62 auf 65 Jahre angehoben wird“. Daher werde die Kombination dieser beiden Reformen zu einer außerordentlich unausgewogenen Situation in Bezug auf die Einstellungen und die Beförderung der jungen Juristen führen, da in den Jahren 2012 und 2013 zu erwarten sei, dass der Staat massive Einstellungen von Personen auf die frei gewordenen Stellen vornehme, während sich ab dem Jahr 2014 – wegen der Erhöhung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst – dieser Einstellungsprozess erheblich verlangsamen dürfte.

39

Nach Ansicht Ungarns ist die von der Kommission gerügte Inkohärenz nur scheinbar. Eine Anhebung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst könne nämlich in praktisch allen Mitgliedstaaten beobachtet werden, was die innere Logik der fraglichen Regelung nicht in Frage stelle. Diese binde gerade diese Altersgrenze für die betreffenden Berufe an das Ruhestandsalter, damit die festgelegte Altersgrenze der wirtschaftlichen und der demografischen Entwicklung entspreche, der das Rentensystem und die Beschäftigungspolitik notwendigerweise folgen müssten. Die von den Mitgliedstaaten praktizierte Rentenpolitik beruhe daher auf der Erwägung, dass sich die Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst und das Alter, bei dessen Erreichung die Personen ihre Ruhestandsbezüge erhielten, stets gemeinsam entwickeln müssten, damit die bestmögliche Erreichung der angestrebten beschäftigungspolitischen Ziele gewährleistet werden könne.

Würdigung durch den Gerichtshof

Zum Gegenstand der Klage

40

Vorab ist das von Ungarn vorgetragene Argument zu prüfen, wonach ein Teil der Klage erledigt sei, da er durch die Wirkung des Urteils des Alkotmánybíróság gegenstandslos geworden sei.

41

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Situation zu beurteilen ist, in der sich der betreffende Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und später eingetretene Veränderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (vgl. u. a. Urteile vom 29. Januar 2004, Kommission/Österreich, C-209/02, Slg. 2004, I-1211, Randnr. 16, und vom 19. Juli 2012, Kommission/Italien, C-565/10, Randnr. 22).

42

Im vorliegenden Fall steht fest, dass sich die in Rede stehenden nationalen Bestimmungen bei Ablauf der von der Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist in Kraft befanden. Ferner haben die zuständigen nationalen Behörden, wie Ungarn selbst in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, auf der Grundlage dieser Bestimmungen individuelle Verwaltungsakte erlassen, um die Dienstverhältnisse der Betroffenen zu beenden.

43

Am 16. Juli 2012, d. h. nach Ablauf dieser Frist, die am 7. April 2012 endete, hat das Alkotmánybíróság das Urteil erlassen, mit dem es die Art. 90 Buchst. ha und 230 des Richtergesetzes 2011 für nichtig erklärt hat.

44

Ungarn trägt vor, da mit diesem Urteil die rückwirkende Nichtigerklärung der Art. 90 Buchst. ha und 230 ausgesprochen worden sei, könnten diese nicht mehr als zum Zeitpunkt des Ablaufs der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist in Kraft befindlich angesehen werden.

45

Hierzu ist jedoch festzustellen, dass nach der in Randnr. 41 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung der Zeitpunkt, zu dem der Gerichtshof das Vorliegen der Ungarn zur Last gelegten Vertragsverletzung zu beurteilen hat, der 7. April 2012 ist. Die Rückwirkung des Urteils des Alkotmánybíróság kann daher den Gegenstand der vorliegenden Klage nicht entfallen lassen, da die Nichtigerklärung der Art. 90 Buchst. ha und 230 des Richtergesetzes 2011 auf einem nach diesem Zeitpunkt eingetretenen Ereignis beruht und aus diesem Grund nicht berücksichtigt werden kann.

46

Jedenfalls ist festzustellen, dass zum einen das erwähnte Urteil keine Wirkung in Bezug auf Übergangsbestimmungen hat, die Regeln vorsehen, die den in den Art. 90 Buchst. ha und 230 des Richtergesetzes 2011 enthaltenen entsprechen. Da zum anderen die Nichtigerklärung der letztgenannten Bestimmungen die Gültigkeit der individuellen Verwaltungsakte, mit denen die Dienstverhältnisse der Betroffenen beendet wurden, nicht unmittelbar berührt hat, werden diese nicht automatisch wieder in ihre Ämter eingesetzt. Vielmehr sind diese Personen für ihre Wiedereinstellung gezwungen, Klagen auf Aufhebung dieser Verwaltungsakte zu erheben, deren Ausgang, wie Ungarn in der mündlichen Verhandlung selbst bestätigt hat, ungewiss ist.

47

Infolgedessen ist über die gesamte Klage zu entscheiden.

Zur Begründetheit der Klage

48

Zur Beurteilung der Begründetheit des Vorwurfs, den die Kommission gegen Ungarn erhebt, ist daran zu erinnern, dass nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 „‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘ [bedeutet], dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 [dieser Richtlinie] genannten Gründe geben darf“. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie stellt klar, dass eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Abs. 1 vorliegt, wenn eine Person aus einem der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person, die sich in einer vergleichbaren Situation befindet (vgl. Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a., C-447/09, Slg. 2011, I-8003, Randnr. 42).

49

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die fraglichen nationalen Bestimmungen vorsehen, dass die betroffenen Richter, Staatsanwälte und Notare automatisch aus ihrem Dienst ausscheiden, wenn sie das 62. Lebensjahr erreicht haben.

50

Die Personen, die diese Berufe ausüben und das 62. Lebensjahr erreicht haben, befinden sich in einer vergleichbaren Situation wie die jüngeren Personen, die dieselben Berufe ausüben. Die Erstgenannten sind jedoch wegen ihres Alters gezwungen, automatisch aus ihrem Dienst auszuscheiden (vgl. entsprechend Urteile Fuchs und Köhler, Randnr. 34, sowie Prigge u. a., Randnr. 44).

51

Die fraglichen Bestimmungen, nach denen das Erreichen des darin für den Eintritt in den Ruhestand festgesetzten Alters automatisch zur Auflösung des Dienstverhältnisses führt, lässt den Personen, die dieses Alter erreicht haben, unmittelbar eine weniger günstige Behandlung zuteil werden als allen anderen Erwerbstätigen. Solche Bestimmungen führen daher zu einer unmittelbar auf dem Alter beruhenden Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2007, Palacios de la Villa, C-411/05, Slg. 2007, I-8531, Randnr. 51).

52

Ungarn macht hierzu geltend, mit diesen Bestimmungen sei in Wirklichkeit eine Senkung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst vorgenommen worden, um eine positive Diskriminierung zu beenden, die den Richtern, Staatsanwälten und Notaren nach der zuvor geltenden Regelung dadurch zugutegekommen sei, dass sie im Unterschied zu den anderen Bediensteten des öffentlichen Sektors bis zur Vollendung des 70. Lebensjahrs im Dienst hätten bleiben können.

53

Ein solcher Umstand kann jedoch das Vorliegen einer unterschiedlichen Behandlung von Personen, die aus dem Dienst ausscheiden müssen, weil sie das 62. Lebensjahr erreicht haben, und denjenigen, die, da sie dieses Alter noch nicht erreicht haben, im Dienst bleiben können, nicht in Frage stellen. Die unterschiedliche Behandlung aufgrund des Alters beruht nämlich auf dem Vorhandensein einer Altersgrenze, nach deren Überschreiten die Betroffenen aus ihrem Dienst ausscheiden, unabhängig von dem für diese Grenze und erst recht dem für die zuvor geltende Grenze festgelegten Alter.

54

Daher ist festzustellen, dass die fraglichen Bestimmungen eine unmittelbar auf dem Kriterium des Alters beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 schaffen.

55

Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 stellen Ungleichbehandlungen wegen des Alters allerdings keine Diskriminierung dar, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. (Urteile Prigge u. a., Randnr. 77, sowie vom 5. Juli 2012, Hörnfeldt, C-141/11, Randnr. 21).

56

Daher ist zu prüfen, ob die fragliche Regelung durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und ob die zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel angemessen und erforderlich sind und damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren.

57

Erstens ist in Bezug auf die mit dieser Regelung verfolgten Ziele vorab festzustellen, dass der von der Kommission angeführte Umstand, dass aus dieser kein besonderes Ziel ausdrücklich hervorgehe, nicht ausschlaggebend ist.

58

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass eine nationale Regelung, die das angestrebte Ziel nicht genau angibt, automatisch von einer Rechtfertigung nach dieser Bestimmung ausgeschlossen ist. Fehlt es an einer solchen genauen Angabe, müssen allerdings andere aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtmäßigkeit sowie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüft werden können (vgl. Urteile Fuchs und Köhler, Randnr. 39, sowie Hörnfeldt, Randnr. 24).

59

Daher sind die Argumente zu prüfen, die Ungarn im Vorverfahren sowie in seinen Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, wonach mit der fraglichen Regelung im Kern zwei Ziele erreicht werden sollten, nämlich zum einen die Vereinheitlichung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst im Rahmen der zum öffentlichen Dienst gehörenden Berufe unter Gewährleistung der Finanzierbarkeit des Altersversorgungssystems, eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie der Verbesserung der Qualität und Effektivität der betreffenden Tätigkeiten der Justiz und zum anderen die Herstellung einer „ausgewogeneren Altersstruktur“, die den Zugang der jungen Juristen zu den Berufen des Richters, Staatsanwalts oder Notars erleichtert und ihnen ein schnelleres berufliches Fortkommen garantiert.

60

In Bezug auf die Legitimität dieser Ziele ist zweitens darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Ziele, die als „legitim“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 und damit als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung sind (vgl. Urteile vom 5. März 2009, Age Concern England, C-388/07, Slg. 2009, I-1569, Randnr. 46, vom 18. Juni 2009, Hütter, C-88/08, Slg. 2009, I-5325, Randnr. 41, sowie Prigge u. a., Randnr. 81).

61

In Bezug auf das Ziel der Vereinheitlichung der Altersgrenzen für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst im Rahmen der zum öffentlichen Dienst gehörenden Berufe ist der Feststellung der Generalanwältin in Nr. 63 ihrer Stellungnahme beizupflichten, dass dieses Ziel, da seine Verfolgung die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung für alle Personen eines bestimmten Sektors im Zusammenhang mit einem wesentlichen Gesichtspunkt ihres Dienstverhältnisses wie dem Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand gewährleistet, ein legitimes beschäftigungspolitisches Ziel darstellen kann.

62

Zum Ziel der Herstellung einer ausgewogeneren Altersstruktur, die den Zugang der jungen Juristen zu den Berufen des Richters, Staatsanwalts oder Notars erleichtern soll, genügt die Feststellung, dass der Gerichtshof bereits zum Ausdruck gebracht hat, dass das Ziel, eine ausgewogene Altersstruktur von jüngeren und älteren Beamten zu schaffen, um die Einstellung und Beförderung jüngerer Beamter zu begünstigen, die Personalplanung zu optimieren und damit etwaigen Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeit des Beschäftigten, seine Tätigkeit über eine bestimmte Altergrenze hinaus auszuüben, vorzubeugen, unter gleichzeitiger Bereitstellung einer leistungsfähigen Justizverwaltung, ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik darstellen kann (Urteil Fuchs und Köhler, Randnr. 50).

63

Zwar ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass die streitige Regelung durch legitime Ziele gerechtfertigt ist, doch ist abschließend noch zu prüfen, ob die in Rede stehende nationale Regelung ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Verwirklichung dieser beiden Ziele darstellt.

64

In Bezug auf das erstgenannte Ziel ist diese Regelung grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um das von Ungarn verfolgte Ziel der Vereinheitlichung zu verwirklichen, da sie gerade dazu dient, die Unterschiede bei den Altersgrenzen für das Ausscheiden aus dem Dienst für sämtliche Berufe, die zur Rechtspflege gehören, zu beseitigen oder zumindest erheblich zu verringern.

65

Es ist jedoch noch zu klären, ob diese Regelung auch ein zu diesem Zweck erforderliches Mittel darstellt.

66

Um zu prüfen, ob die in Rede stehende Regelung über das zur Erreichung dieses Ziels Erforderliche hinausgeht und die Interessen der Betroffenen übermäßig beeinträchtigt, ist sie in dem Regelungskontext zu betrachten, in den sie sich einfügt, wobei sowohl die Nachteile, die sie für die Betroffenen bewirken kann, als auch die Vorteile zu berücksichtigen sind, die sie für die Gesellschaft im Allgemeinen und die diese bildenden Individuen bedeutet (vgl. Urteil vom 12. Oktober 2010, Rosenbladt, C-45/09, Slg. 2010, I-9391, Randnr. 73).

67

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die von der erwähnten Regelung betroffenen Personenkategorien bis zu ihrem Inkrafttreten in den Genuss einer Ausnahme gelangten, die es ihnen erlaubte, bis zur Erreichung des 70. Lebensjahrs im Dienst zu bleiben, was bei diesen Personen die berechtigte Erwartung weckte, bis zu diesem Alter im Dienst bleiben zu können.

68

Die in Rede stehende Regelung nahm eine plötzliche und erhebliche Senkung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst vor, ohne Übergangsmaßnahmen vorzusehen, die geeignet gewesen wären, das berechtigte Vertrauen der Betroffenen zu schützen.

69

So sahen sich durch die Wirkung der fraglichen Regelung, die erst am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist, zum einen sämtliche Richter und Staatsanwälte, die vor diesem Zeitpunkt das 62. Lebensjahr erreicht hatten, gezwungen, am 30. Juni 2012 aus dem Dienst auszuscheiden, somit nach einem Zeitraum von sechs Monaten, und diejenigen, die dieses Alter zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2012 erreichen, werden am 31. Dezember 2012 aus dem Dienst ausscheiden, also nach einem Zeitraum, der ein Jahr nicht übersteigt und in den meisten Fällen kürzer ist. Zum anderen werden die Notare, die das 62. Lebensjahr vor dem 1. Januar 2014 erreichen, zu diesem Zeitpunkt, also spätestens zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der neuen Ruhestandsregelung, aus ihrem Dienst ausscheiden.

70

Unter diesen Bedingungen verlassen die Betroffenen automatisch und endgültig den Arbeitsmarkt, ohne Zeit gehabt zu haben, die Maßnahmen insbesondere wirtschaftlicher und finanzieller Art, die eine solche Situation erforderlich macht, unter Berücksichtigung des Umstands ergreifen zu können, dass zum einen ihr Ruhegehalt, wie in der mündlichen Verhandlung erläutert worden ist, um mindestens 30 % niedriger als ihre Dienstbezüge ist und zum anderen die Einstellung der Tätigkeit nicht den Beitragszeiten Rechnung trägt, so dass kein Anspruch auf ein Ruhegehalt zum vollen Satz gewährleistet ist.

71

Ungarn hat nichts vorgetragen, was den Schluss zuließe, dass keine weniger einschneidende Regelung es erlaubt hätte, das fragliche Ziel zu erreichen.

72

Zwar hat Ungarn vorgetragen, dass die Betroffenen die Möglichkeit gehabt hätten, ab 2011 die Änderungen ihrer Versorgungsregelung vorherzusehen, da Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes Nr. LXXII von 2011 zur Änderung bestimmter Gesetze betreffend die rechtliche Stellung gemäß dem Grundgesetz bereits die „Ankündigungsfristen“ enthalten habe, die auch in das Richtergesetz 2011 und in die Übergangsbestimmungen übernommen worden seien. Selbst wenn man jedoch unterstellt, dass diese Fristen ausreichend gewesen wären, um alle Nachteile für die Betroffenen zu vermeiden, hat Ungarn nicht klargestellt, dass die streitige Regelung es den Richtern, Staatsanwälten und Notaren erlaubt hätte, mit hinreichender Gewissheit die beabsichtigten Änderungen ihrer Ruhestandsregelung vorherzusehen und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

73

Ferner hat Ungarn auch nicht angegeben, aus welchen Gründen es einerseits das Ruhestandsalter um acht Jahre gesenkt hat, ohne eine zeitliche Staffelung dieser Änderung vorzusehen, während andererseits das Tny-Gesetz nicht nur vorsah, dass die Erhöhung des Ruhestandsalters um drei Jahre, nämlich von 62 auf 65 Jahre, vom Jahr 2014 an über acht Jahre hinweg vorgenommen werden sollte, sondern auch bereits am 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist, also vier Jahre vor seiner Anwendbarkeit.

74

Wie die Generalanwältin in Nr. 66 ihrer Stellungnahme ausführt, deuten diese Unterschiede zwischen der streitigen Regelung und dem Tny-Gesetz darauf hin, dass die Interessen derjenigen, die von der Absenkung der Altersgrenze betroffen sind, nicht in gleicher Weise berücksichtigt wurden wie die Interessen der übrigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst, bei denen die Altersgrenze angehoben worden ist.

75

Aus alledem ist zu schließen, dass die fragliche Regelung nicht erforderlich ist, um das von Ungarn angeführte Vereinheitlichungsziel zu erreichen.

76

Zum zweiten Ziel, der Herstellung einer ausgeglicheneren Altersstruktur, die den Zugang der jungen Juristen zu den Berufen des Richters, Staatsanwalts oder Notars erleichtern und ihnen ein schnelleres berufliches Fortkommen gewährleisten soll, ist zu bemerken, dass zwar, wie Ungarn ausführt, die Senkung der Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst zur Folge hat, dass zahlreiche Stellen frei werden, die mit jungen Juristen besetzt werden können, und dass die Rotation und die Erneuerung des Personals der betreffenden Berufe beschleunigt werden.

77

Solche kurzfristig offenkundig positiven Wirkungen können jedoch die Möglichkeit in Frage stellen, mittel- und langfristig zu einer wirklich ausgeglichenen „Altersstruktur“ zu gelangen.

78

Zwar wird nämlich im Lauf des Jahres 2012 die Erneuerung des Personals der betreffenden Berufe ganz erheblich dadurch beschleunigt, dass acht Altersstufen durch eine einzige, nämlich die von 2012, ersetzt werden, doch wird dieser Rotationsrhythmus im Jahr 2013 ebenso radikal gebremst, wenn nur eine Altersstufe ersetzt werden muss. Zudem wird dieser Rotationsrhythmus nach und nach in dem Maße langsamer, in dem die Altersgrenze für das zwingende Ausscheiden aus dem Dienst nach Art. 18 Abs. 1 des Tny-Gesetzes stufenweise von 62 auf 65 Jahre angehoben wird, was sogar zu einer Verschlechterung der Möglichkeiten des Zugangs junger Juristen zu den Justizberufen führen wird.

79

Somit ist die fragliche Regelung nicht geeignet, das Ziel der Herstellung einer ausgeglicheneren „Altersstruktur“ zu verfolgen.

80

Unter diesen Umständen wird mit der streitigen nationalen Regelung eine unterschiedliche Behandlung geschaffen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht wahrt, so dass der Klage der Kommission stattzugeben ist.

81

Nach alledem ist festzustellen, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 verstoßen hat, dass es eine nationale Regelung erlassen hat, wonach Richter, Staatsanwälte und Notare bei Erreichen des 62. Lebensjahrs aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, was zu einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund des Alters führt, die außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht.

Kosten

82

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung Ungarns beantragt hat und Ungarn mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Ungarn hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verstoßen, dass es eine nationale Regelung erlassen hat, wonach Richter, Staatsanwälte und Notare bei Erreichen des 62. Lebensjahrs aus dem Berufsleben ausscheiden müssen, was zu einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund des Alters führt, die außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht.

 

2.

Ungarn trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.