URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

14. November 2013 ( *1 )

„Rechtsmittel — Zugang zu Dokumenten der Organe — Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 — Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich — Ausnahme, die sich auf den Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten bezieht — Umweltinformationen — Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 — Art. 6 Abs. 1 — Dokumente eines Vertragsverletzungsverfahrens im Stadium des Vorverfahrens — Verweigerung des Zugangs — Pflicht zur Vornahme einer konkreten und individuellen Prüfung des Inhalts der im Zugangsantrag angeführten Dokumente — Überwiegendes öffentliches Interesse“

In den verbundenen Rechtssachen C‑514/11 P und C‑605/11 P

betreffend zwei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 25. November 2011,

Liga para a Protecção da Natureza (LPN) mit Sitz in Lissabon (Portugal), vertreten durch P. Vinagre e Silva und L. Rossi, advogadas,

Republik Finnland, vertreten durch J. Heliskoski, M. Pere und J. Leppo als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerinnen,

unterstützt durch:

Republik Estland, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch P. Costa de Oliveira und D. Recchia als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

unterstützt durch:

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und A. Wiedmann als Bevollmächtigte,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

Königreich Dänemark, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und C. Thorning als Bevollmächtigte,

Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk und C. Meyer-Seitz als Bevollmächtigte,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2013,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2013

folgendes

Urteil

1

Mit ihren Rechtsmitteln beantragen die Liga para a Protecção da Natureza (im Folgenden: LPN) (C‑514/11 P) und die Republik Finnland (C‑605/11 P) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 9. September 2011, LPN/Kommission (T-29/08, Slg. 2011, II-6021, im Folgenden: angefochtenes Urteil), soweit das Gericht mit diesem Urteil die Klage von LPN auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 22. November 2007 (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat, in der diese die Weigerung bestätigte, Zugang zu Dokumenten der Akte eines gegen die Portugiesische Republik eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

2

Die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) legt die Grundsätze, die Bedingungen und die Einschränkungen des Rechts auf Zugang zu den Dokumenten dieser Organe nach Art. 255 EG fest.

3

Art. 4 („Ausnahmeregelung“) der Verordnung Nr. 1049/2001 bestimmt:

„(1)   Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

a)

der Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf:

die öffentliche Sicherheit,

die Verteidigung und militärische Belange,

die internationalen Beziehungen,

die Finanz-, Währungs- oder Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats;

b)

der Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen, insbesondere gemäß den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über den Schutz personenbezogener Daten.

(2)   Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums,

der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,

der Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(3)   Der Zugang zu einem Dokument, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, wird verweigert, wenn eine Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

Der Zugang zu einem Dokument mit Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des betreffenden Organs wird auch dann, wenn der Beschluss gefasst worden ist, verweigert, wenn die Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(5)   Ein Mitgliedstaat kann das Organ ersuchen, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.

(6)   Wenn nur Teile des angeforderten Dokuments einer der Ausnahmen unterliegen, werden die übrigen Teile des Dokuments freigegeben.

(7)   Die Ausnahmen gemäß den Absätzen 1 bis 3 gelten nur für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist. …“

4

Im 15. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft (ABl. L 264, S. 13) heißt es:

„Soweit in der Verordnung [Nr. 1049/2001] Ausnahmen vorgesehen sind, sollten diese vorbehaltlich speziellerer Bestimmungen der vorliegenden Verordnung über Anträge auf Umweltinformationen gelten. Die Gründe für die Verweigerung des Zugangs zu Umweltinformationen sollten eng ausgelegt werden, wobei das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe und ein etwaiger Bezug der beantragten Informationen zu Emissionen in die Umwelt zu berücksichtigen sind. …“

5

Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 in deren Titel II („Zugang zu Umweltinformationen“) bestimmt:

„Die Verordnung [Nr. 1049/2001] gilt für alle Anträge auf Zugang zu Umweltinformationen, die sich im Besitz von Organen und Einrichtungen der Gemeinschaft befinden, und zwar ohne Unterscheidung nach Staatsbürgerschaft, Nationalität oder Wohnsitz sowie bei juristischen Personen nach ihrem eingetragenen Sitz oder einem tatsächlichen Mittelpunkt ihrer Tätigkeit.“

6

Art. 6 der Verordnung Nr. 1367/2006 („Anwendung von Ausnahmeregelungen bei Anträgen auf Zugang zu Umweltinformationen“) sieht in seinem Abs. 1 vor:

„Artikel 4 Absatz 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung [Nr. 1049/2001], mit Ausnahme von Untersuchungen, insbesondere solchen, die mögliche Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht zum Gegenstand haben, wird dahin ausgelegt, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung besteht, wenn die angeforderten Informationen Emissionen in die Umwelt betreffen. Bei den übrigen Ausnahmen nach Artikel 4 der Verordnung [Nr. 1049/2001] sind die Gründe für die Verweigerung eng auszulegen, wobei das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe und ein etwaiger Bezug der beantragten Informationen zu Emissionen in die Umwelt zu berücksichtigen sind.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Handlungen

7

LPN ist eine Nichtregierungsorganisation, deren Ziel der Umweltschutz ist. Im April 2003 reichte sie bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde ein, mit der sie vortrug, dass das Projekt der Errichtung eines Staudamms am Fluss Sabor in Portugal gegen die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) verstoße. Auf diese Beschwerde hin leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Portugiesische Republik ein und nahm mit den portugiesischen Behörden Kontakt auf, um zu prüfen, inwieweit das Staudammprojekt möglicherweise gegen die Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 103, S. 1) und die Richtlinie 92/43 verstoße.

8

Im März 2007 beantragte LPN bei der Kommission, Zugang zu Informationen über die Bearbeitung ihrer Beschwerde zu erhalten und Dokumente, die von der „Arbeitsgruppe der Kommission“ erarbeitet worden waren, sowie diejenigen Dokumente einzusehen, die zwischen der Kommission und den portugiesischen Behörden ausgetauscht worden waren. Die Kommission lehnte diesen Antrag gestützt auf Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 mit Schreiben vom 22. Mai 2007 ab.

9

Nachdem LPN mit Schreiben vom 14. Juni 2007 ihren Antrag wiederholt hatte, bestätigte die Kommission mit der streitigen Entscheidung ihre Verweigerung des Zugangs zu den fraglichen Dokumenten. Sie stützte sich darauf, dass die angeforderten Dokumente sämtlich unter die in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme zum Schutz von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten fielen. Der Inhalt dieser Entscheidung wird im angefochtenen Urteil wie folgt zusammengefasst:

„20

Insbesondere wies die Kommission darauf hin, dass im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens zwischen der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat ein Klima gegenseitigen Vertrauens herrschen müsse, um es ihnen zu ermöglichen, mit dem Ziel einer gütlichen Beilegung der Meinungsverschiedenheit, ohne dass es zu einem Rechtsstreit vor dem Gerichtshof kommen müsse, einen Verhandlungs- und Kompromissprozess zu beginnen. Die Kommission wies außerdem darauf hin, dass zum einen die Verhandlungen zwischen der Kommission und den portugiesischen Behörden immer noch nicht abgeschlossen seien und dass es zum anderen mehrfach zu einem Meinungsaustausch sowie zu Treffen gekommen sei oder noch kommen solle, um die Auswirkungen des Staudammprojekts zu beurteilen. Daraus folgerte die Kommission, dass die Verbreitung der angeforderten Dokumente ihre Fähigkeit beeinträchtigen würde, den angeblichen Verstoß zu bearbeiten, da eine solche Bekanntgabe eine gütliche Beilegung der Meinungsverschiedenheit mit den portugiesischen Behörden vor Befassung des Gerichtshofs mit der Rechtssache in Frage stellen könne. Die Kommission war ferner der Ansicht, dass ein ‚beschränkter Zugang‘ im Sinne von Art. 4 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1049/2001 für die genannten Dokumente nicht möglich sei, da die geltend gemachte Ausnahme für die Dokumente insgesamt gelte.

21

In Bezug auf ein etwaiges ‚überwiegendes öffentliches Interesse‘ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 letzter Satz der Verordnung Nr. 1049/2001 war die Kommission der Ansicht, dass ein derartiges Interesse nicht gegeben sei. Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006, wonach ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung vermutet werde, wenn die angeforderten Informationen Emissionen in die Umwelt beträfen, gelte nicht für Untersuchungen, die sich, wie im vorliegenden Fall, auf mögliche Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht bezögen. Die Gefahr, dass ein schwerer Verstoß gegen die [Richtlinie 92/43] vorliege, begründe ein derartiges Interesse auch nicht, da allein der Gerichtshof für die Feststellung zuständig sei, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen habe. Die Verbreitung der angeforderten Dokumente bringe hierbei keine Klarheit, solange der Gerichtshof diese Frage nicht endgültig entschieden habe.“

10

Am 18. Januar 2008, dem Tag, an dem die Klage gegen die streitige Entscheidung erhoben wurde, gab die Generaldirektion „Umwelt“ der Kommission gegenüber LPN ihre Absicht kund, der Kommission vorzuschlagen, der Beschwerde in dem Vertragsverletzungsverfahren betreffend das Staudammprojekt nicht weiter nachzugehen.

11

Im Februar 2008 wiederholte LPN ihren Antrag auf Zugang zu den in der Akte des Vertragsverletzungsverfahrens enthaltenen Dokumenten.

12

Mit Schreiben vom 3. April 2008 ließ die Kommission LPN wissen, dass sie in ihrer Sitzung vom 28. Februar 2008 beschlossen habe, der das Staudammprojekt betreffenden Beschwerde nicht weiter nachzugehen. Was den Antrag auf Zugang zu Dokumenten angehe, sei die in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme nicht mehr anwendbar, so dass die angeforderten Dokumente LPN nunmehr übergeben werden könnten, vorausgesetzt, sie fielen nicht unter eine andere Ausnahme im Sinne dieser Verordnung.

13

Daraufhin konnte LPN die Akten der Kommission einsehen und Zugang zum Inhalt einiger Dokumente erhalten. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2008 (im Folgenden: Entscheidung vom 24. Oktober 2008) gewährte die Kommission außerdem vollständigen oder teilweisen Zugang zum Inhalt weiterer betroffener Dokumente, verweigerte jedoch weiterhin den Zugang zu bestimmten Dokumenten unter Berufung auf die Ausnahmen, die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 in Bezug auf den Schutz des Entscheidungsprozesses und in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieser Verordnung in Bezug auf den Schutz von Gerichtsverfahren vorgesehen sind.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

14

Mit Klageschrift vom 18. Januar 2008 beantragte LPN beim Gericht, die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären. Das Königreich Dänemark, die Republik Finnland und das Königreich Schweden wurden als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge von LPN zugelassen.

15

Die Kommission beantragte, festzustellen, dass die Klage gegenstandslos geworden sei, da der Zugang zu einem Teil der fraglichen Dokumente gewährt worden sei und die Weigerung, die übrigen Dokumente zu verbreiten, nicht mehr auf den gleichen Grund gestützt sei.

16

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht in Randnr. 57 dieses Urteils festgestellt, dass, soweit LPN im Lauf des Verfahrens Zugang zu den fraglichen Dokumenten gewährt worden sei, der Rechtsstreit gegenstandslos geworden und somit eine Erledigung der Hauptsache eingetreten sei. Hinsichtlich der noch nicht oder lediglich teilweise bekannt gegebenen Dokumente hat das Gericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die von LPN geltend gemachten Klagegründe eines Verstoßes gegen die Verordnung Nr. 1367/2006 und insbesondere gegen deren Art. 6 bzw. gegen Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 unbegründet seien.

17

In der gemeinsamen Prüfung dieser Klagegründe ist das Gericht in den Randnrn. 110 bis 112 des angefochtenen Urteils von dem Grundsatz ausgegangen, dass die Kommission verpflichtet sei, jedes beantragte Dokument konkret und individuell zu prüfen, um zu beurteilen, ob seine Verbreitung ein geschütztes Interesse tatsächlich beeinträchtigen könne, und dass diese Prüfung aus der Begründung der Entscheidung des betreffenden Organs hervorgehen müsse.

18

In den Randnrn. 126 ff. des angefochtenen Urteils hat das Gericht indes unter Berücksichtigung des Urteils vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat (C-39/05 P und C-52/05 P, Slg. 2008, I-4723, Randnr. 50), und in Analogie zu dem Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen (Urteil vom 29. Juni 2010, Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, C-139/07 P, Slg. 2010, I-5885, Randnrn. 54 bis 62) das Bestehen einer allgemeinen Vermutung angenommen, dass die Verbreitung der Dokumente der Verwaltungsakte eines Vertragsverletzungsverfahrens grundsätzlich den Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigen würde. Da sich das Vertragsverletzungsverfahren zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung im Stadium des Vorverfahrens befunden habe, habe die Kommission von dem Grundsatz ausgehen können, dass diese allgemeine Vermutung für sämtliche betroffenen Dokumente gelte.

19

Das Gericht hat sich hierzu auf den Umstand gestützt, dass die Kontrolle, die die Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens auszuüben habe, Teil einer administrativen Aufgabe sei, in deren Rahmen sie über ein weites Ermessen verfüge und in einen zweiseitigen Dialog mit dem betreffenden Mitgliedstaat trete. Es hat angenommen, dass die Person, die eine Beschwerde bei der Kommission eingereicht habe, nicht die Möglichkeit habe, die Unionsgerichte mit einer Klage gegen eine etwaige Einstellung des Verfahrens über diese Beschwerde zu befassen, und über keine verfahrensmäßigen Rechte verfüge, die es ihr erlaubten, von der Kommission zu verlangen, informiert und angehört zu werden.

20

Diese Vermutung schließe nicht das Recht für die Beteiligten aus, darzulegen, dass diese Vermutung für ein bestimmtes Dokument nicht gelte oder dass gemäß Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des Dokuments bestehe. Das Gericht hat jedoch festgestellt, dass weder LPN noch die als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten etwas vorgetragen hätten, was die Begründetheit der Beurteilung in Frage stellen könnte, dass sämtliche in Rede stehenden Dokumente unter die in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich vorgesehene Ausnahme fielen.

21

Das Gericht ist ferner in den Randnrn. 116, 117 und 122 des angefochtenen Urteils davon ausgegangen, dass die Verordnung Nr. 1367/2006 sich nicht auf die Möglichkeit der Kommission auswirke, von einer konkreten und individuellen Prüfung der beantragten Dokumente abzusehen.

22

In den Randnrn. 132 bis 139 des angefochtenen Urteils hat das Gericht entschieden, dass die Beurteilung der Kommission, wonach es im vorliegenden Fall an einem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Verbreitung der fraglichen Dokumente im Sinne von Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 fehle, weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft sei.

23

Insoweit hat das Gericht festgestellt, dass es nicht erforderlich sei, auf die Frage einzugehen, ob die betreffenden Dokumente Informationen enthielten, die sich tatsächlich auf „Emissionen“ in die Umwelt bezögen, da die Vermutung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 im vorliegenden Fall nicht eingreife. Aus dem gleichen Grund hat es auch angenommen, dass es nicht möglich sei, aus dieser Bestimmung ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von Art. 4 Abs. 2 a. E. abzuleiten.

24

Nach Auffassung des Gerichts konnte LPN sich auch nicht auf Art. 6 Abs. 1 Satz 2 berufen. Es ist nämlich davon ausgegangen, dass sich dieser Satz nur auf die Verpflichtung zur engen Auslegung der anderen als in Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 genannten Ausnahmen beziehe. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1367/2006 beziehe sich auch nicht auf ein „überwiegendes“ öffentliches Interesse im Sinne von Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001.

25

Schließlich hat das Gericht festgestellt, dass LPN und die als Streithelfer zugelassenen Mitgliedstaaten in der mündlichen Verhandlung auf seine Fragen weder in der Lage gewesen seien, ein etwaiges anderes überwiegendes öffentliches Interesse als dasjenige der angeblich erhöhten Transparenz in Umweltangelegenheiten namhaft zu machen, noch hätten erläutern können, ob und in welchem Umfang sich die angeforderten Informationen auf Emissionen in die Umwelt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 bezögen.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

26

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. Februar 2012 sind die Rechtsmittel zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

27

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. April 2012 ist die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden. Mit Beschluss vom 10. Juli 2012 hat der Präsident des Gerichtshofs die Republik Estland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Republik Finnland zugelassen und ihr gestattet, ihre Erklärungen im mündlichen Verfahren abzugeben.

28

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt LPN,

das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben, soweit das Gericht mit diesem ihren Antrag auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung abgewiesen und ihr ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission auferlegt hat;

die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie die Dokumente und Auszüge aus Dokumenten betrifft, zu denen der Zugang in der Entscheidung vom 24. Oktober 2008 weiterhin verweigert wurde;

der Kommission ihre eigenen Kosten sowie die LPN im ersten Rechtszug und im Rahmen des Rechtsmittels entstandenen Kosten aufzuerlegen.

29

Die Republik Finnland beantragt mit ihrem Rechtsmittel,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht mit diesem die Klage von LPN abgewiesen hat;

die streitige Entscheidung aufzuheben;

die Kommission zu verurteilen, ihr die durch die Prüfung des vorliegenden Rechtsmittels entstandenen Kosten zu erstatten.

30

Das Königreich Dänemark, die Republik Estland und das Königreich Schweden unterstützen die Anträge der Rechtsmittelführerinnen. Das Königreich Schweden beantragt außerdem, die Kommission zu verurteilen, ihm seine Kosten zu erstatten.

31

Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen.

32

Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die Anträge der Kommission.

Zu den Rechtsmitteln

33

Zur Begründung ihrer Rechtsmittel machen LPN und die Republik Finnland drei Hauptrechtsmittelgründe geltend. Diese Rechtsmittelgründe werden auf einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1367/2006 und Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützt.

34

LPN macht darüber hinaus einen vierten Rechtsmittelgrund dahin geltend, dass dem Gericht mehrere Rechtsfehler unterlaufen seien, als es ihr die Kosten auferlegt habe. LPN beantragt außerdem, den Tenor des angefochtenen Urteils zu berichtigen, der die streitige Entscheidung nicht ordnungsgemäß identifiziere.

Zum ersten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001

Vorbringen der Parteien

35

Der erste Rechtsmittelgrund von LPN und der Republik Finnland betrifft einen Rechtsfehler, den das Gericht begangen haben soll, als es Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 in dem Sinne ausgelegt habe, dass die Kommission berechtigt sei, die Verbreitung aller Dokumente zu einem nach Art. 226 EG eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren zu verweigern, ohne diese Dokumente konkret und individuell zu prüfen. Es sei nicht gerechtfertigt, zu vermuten, dass kein Dokument oder kein Teil eines Dokuments zu einem solchen Verfahren übermittelt werden könnte, ohne dass das von diesem Verfahren verfolgte Ziel gefährdet werde, das darin bestehe, den betreffenden Mitgliedstaat dazu anzuhalten, das Unionsrecht einzuhalten.

36

Die Erwägungen im Urteil Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau (Randnrn. 56 bis 59), wonach in Bezug auf die Verweigerung des Zugangs zu den Dokumenten zu Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen auf eine allgemeine Vermutung zurückgegriffen werden könne, könnten nicht auf die Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren übertragen werden. Insbesondere gebe es für das Vertragsverletzungsverfahren keine spezielle Regelung über die Vertraulichkeit und den Zugang zu Informationen. LPN fügt hinzu, sie verteidige nicht ihre persönlichen Interessen, sondern öffentliche Interessen. Ferner seien die Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren auch keine homogene Kategorie von Dokumenten.

37

Das Königreich Dänemark und das Königreich Schweden unterstützen diese Argumentation und heben u. a. hervor, dass die Gründe, die den Gerichtshof in früheren Rechtssachen (Urteile Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau und vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C-514/07 P, C-528/07 P und C-532/07 P, Slg. 2010, I-8533) dazu geführt hätten, das Bestehen einer allgemeinen Vermutung anzuerkennen, im vorliegenden Fall nicht entsprechend herangezogen werden könnten. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass Vertragsverletzungsverfahren in Bezug auf den materiellen Inhalt, den Umfang und die Sensibilität der Rechtssache wie auch in Bezug auf das berechtigte Interesse, davon zu erfahren, unterschiedlicher Natur seien. Das Königreich Schweden macht hilfsweise geltend, dass die Kommission jedenfalls hätte nachprüfen müssen, ob die Vermutung im vorliegenden Fall tatsächlich anwendbar sei.

38

Dagegen sind die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland der Ansicht, dass der erste Rechtsmittelgrund nicht begründet sei. Sie machen insbesondere geltend, dass das Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen nur eine Sonderform des Vertragsverletzungsverfahrens sei und dass das Vertragsverletzungsverfahren die Herstellung eines Dialogs zwischen der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat vorsehe, in dem Einzelne keine Verfahrensrechte hätten. Zudem solle das Vertragsverletzungsverfahren rasch und wirksam etwaige Verstöße gegen das Unionsrecht abstellen, insbesondere durch eine gütliche Streitbeilegung im Verlauf des Verwaltungsverfahrens. Wenn der Meinungsaustausch zwischen der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat verbreitet würde, würde der Willen vor allem der Mitgliedstaaten zu einer Kooperation in einem von Vertrauen geprägten Klima beeinträchtigt.

Würdigung durch den Gerichtshof

39

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügen die Rechtsmittelführerinnen, dass das Gericht die Befugnis der Kommission anerkannt habe, einen Antrag auf Zugang zu einer ganzen Reihe allgemein bezeichneter Dokumente der Verwaltungsakte über ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG im Stadium des zugehörigen Vorverfahrens abzulehnen, ohne jedes Dokument konkret und individuell zu prüfen, und sich hierfür auf eine allgemeine Vermutung zu stützen, dass die Verbreitung der betreffenden Dokumente den Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 beeinträchtigen würde.

40

Vorab ist daran zu erinnern, dass nach Art. 255 Abs. 1 und 2 EG jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat vorbehaltlich der Grundsätze und Bedingungen, die gemäß dem Verfahren des Art. 251 EG festgelegt werden, das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Unionsorgane hat. Die Verordnung Nr. 1049/2001 soll ausweislich ihres vierten Erwägungsgrundes und ihres Art. 1 der Öffentlichkeit das Recht auf größtmöglichen Zugang zu den Dokumenten der Organe gewähren. Aus dieser Verordnung, insbesondere aus ihrem elften Erwägungsgrund und ihrem Art. 4, der insoweit eine Ausnahmeregelung enthält, geht ebenfalls hervor, dass dieses Zugangsrecht Schranken aus Gründen des öffentlichen oder privaten Interesses unterliegt (vgl. Urteile Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 51, Schweden u. a./API und Kommission, Randnrn. 69 und 70, vom 28. Juni 2012, Kommission/Éditions Odile Jacob, C‑404/10 P, Randnr. 111, und Kommission/Agrofert Holding, C‑477/10 P, Randnr. 53).

41

Nach der von der Kommission angeführten Ausnahme, d. h. der Ausnahme in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001, verweigern die Organe den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung der Schutz von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung dieses Dokuments.

42

Daraus folgt, dass die in diesem Art. 4, insbesondere in seinem Abs. 2, vorgesehene Ausnahmeregelung auf einer Abwägung der in einer bestimmten Situation einander widerstreitenden Interessen beruht, nämlich zum einen der Interessen, die durch die Verbreitung der betreffenden Dokumente begünstigt würden, und zum anderen derjenigen, die durch diese Verbreitung gefährdet würden. Die Entscheidung, die über einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten getroffen wird, hängt davon ab, welchem Interesse im jeweiligen Fall der Vorrang einzuräumen ist.

43

In der vorliegenden Rechtssache steht fest, dass die Dokumente, auf die sich der Antrag von LPN bezog, tatsächlich im Zusammenhang mit einer Untersuchungstätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 standen.

44

Nach gefestigter Rechtsprechung genügt es als Rechtfertigung für die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument, dessen Verbreitung beantragt wurde, grundsätzlich nicht, dass dieses Dokument in Zusammenhang mit einer in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 erwähnten Tätigkeit steht. Das betroffene Organ muss auch erläutern, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das Interesse, das durch eine Ausnahme nach diesem Artikel geschützt wird, konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte (vgl. Urteile Schweden und Turco/Rat, Randnr. 49, Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 53, Schweden u. a./API und Kommission, Randnr. 72, Kommission/Éditions Odile Jacob, Randnr. 116, sowie Kommission/Agrofert Holding, Randnr. 57).

45

Der Gerichtshof hat jedoch anerkannt, dass es dem betreffenden Organ freisteht, sich hierbei auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten, da für Anträge auf Verbreitung von Dokumenten gleicher Art vergleichbare allgemeine Erwägungen gelten können (vgl. Urteil Schweden und Turco/Rat, Randnr. 50, Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 54, Schweden u. a./API und Kommission, Randnr. 74, Kommission/Éditions Odile Jacob, Randnr. 116, sowie Kommission/Agrofert Holding, Randnr. 57).

46

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 57 bis 62 seiner Schlussanträge ausführt, hat der Gerichtshof das Bestehen derartiger allgemeiner Vermutungen bereits in drei Fällen anerkannt, nämlich in Bezug auf die Dokumente der Verwaltungsakte eines Beihilfekontrollverfahrens (vgl. Urteil Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 61), die zwischen der Kommission und den Anmeldern oder Dritten im Rahmen eines Fusionskontrollverfahrens gewechselten Dokumente (vgl. Urteile Kommission/Éditions Odile Jacob, Randnr. 123, und Kommission/Agrofert Holding, Randnr. 64) und die von einem Organ im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens eingereichten Schriftsätze (vgl. Urteil Schweden u. a./API und Kommission, Randnr. 94).

47

Alle diese Rechtssachen waren dadurch gekennzeichnet, dass der fragliche Antrag auf Zugang nicht ein einziges Dokument, sondern eine ganze Reihe von Dokumenten betraf (vgl. Urteile Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 50, Schweden u. a./API und Kommission, Randnr. 9, Kommission/Éditions Odile Jacob, Randnr. 10, unter Anführung der Randnrn. 1 und 2 des mit einem Rechtsmittel angefochtenen Urteils des Gerichts, auf das dieses Urteil des Gerichtshofs ergangen ist, sowie Kommission/Agrofert Holding, Randnr. 7, unter Anführung von Randnr. 2 des mit einem Rechtsmittel angefochtenen Urteils des Gerichts, auf das dieses Urteil des Gerichtshofs ergangen ist).

48

In so gelagerten Situationen ermöglicht es die Anerkennung einer allgemeinen Vermutung, nach der die Verbreitung von Dokumenten einer bestimmten Art grundsätzlich den Schutz eines der in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten Interessen beeinträchtigen würde, dem jeweiligen Organ, einen allgemeinen Antrag entsprechend zu behandeln und zu bescheiden.

49

Eine so gelagerte Situation besteht im vorliegenden Fall. Denn wie in dem Fall des von der Betroffenen in der Rechtssache Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau eingereichten Antrags, der die gesamte Verwaltungsakte zu den Verfahren zur Kontrolle der ihr gewährten staatlichen Beihilfen betraf, beantragte LPN den Zugang zu einer allgemein bezeichneten Reihe von Dokumenten, die in den Akten des Vertragsverletzungsverfahrens enthalten sind, das wegen eines Projekts der Errichtung eines Staudamms gegen die Portugiesische Republik eingeleitet worden war.

50

Außerdem ist daran zu erinnern, dass dieser Antrag gestellt wurde, als sich das Vertragsverletzungsverfahren noch im Stadium des Vorverfahrens befand, und dass dieses Verfahren zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung weder von der Kommission eingestellt noch beim Gerichtshof anhängig gemacht worden war.

51

Daher ist zu prüfen, ob das Bestehen einer allgemeinen Vermutung anzuerkennen ist, wonach unter solchen Umständen die Verbreitung der Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren im Stadium des Vorverfahrens den Schutz des Zwecks einer Untersuchungstätigkeit beeinträchtigen würde.

52

Hierzu ist zunächst Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 heranzuziehen.

53

Nach Art. 3 dieser Verordnung gilt die Verordnung Nr. 1049/2001, und auch ihr Art. 4, grundsätzlich zwar für alle Anträge auf Zugang zu Umweltinformationen, die sich im Besitz von Organen und Einrichtungen der Gemeinschaft befinden. Art. 6 der Verordnung Nr. 1367/2006 fügt indes speziellere Regeln für solche Anträge auf Zugang hinzu, die den Zugang teils begünstigen, teils einschränken.

54

So bestimmt Art. 6 Abs. 1 Satz 1, der eine Regel zur Erleichterung des Zugangs zu Dokumenten, die Umweltinformationen enthalten, festschreibt, dass diese Regel nicht für „Untersuchungen, insbesondere solch[e], die mögliche Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht zum Gegenstand haben“, gilt.

55

Daraus folgt, dass das Vertragsverletzungsverfahren durch diese Rechtsetzung der Union als eine Verfahrensart eingestuft wird, die als solche Merkmale aufweist, die es verwehren, eine vollständige Transparenz in diesem Bereich zu gewähren, und die folglich innerhalb der Regelung des Zugangs zu Dokumenten eine Sonderstellung einnimmt.

56

Darüber hinaus weist das Vertragsverletzungsverfahren Merkmale auf, die mit denen eines Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen vergleichbar sind, Merkmale, die den Gerichtshof dazu veranlasst haben, im Urteil Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau insoweit das Bestehen einer allgemeinen Vermutung anzuerkennen.

57

In beiden Fällen handelt es sich nämlich um ein Verfahren gegen den Mitgliedstaat, der verantwortlich ist, sei es für die Gewährung der streitigen Beihilfe (vgl. Urteil Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 57) oder für die behauptete Verletzung des Unionsrechts.

58

Der Gerichtshof hat sich auch auf den Umstand gestützt, dass die Beteiligten mit Ausnahme des für die Gewährung der fraglichen Beihilfe verantwortlichen Mitgliedstaats in Beihilfenkontrollverfahren nicht über das Recht verfügen, die Dokumente der Verwaltungsakte der Kommission einzusehen, und dass, wenn diese Beteiligten in der Lage wären, auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1049/2001 den Zugang zu diesen Dokumenten zu erhalten, das System der Kontrolle staatlicher Beihilfen gefährdet wäre (vgl. Urteil Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnrn. 58 und 61).

59

Bei Vertragsverletzungsverfahren sieht das Unionsrecht, insbesondere Art. 226 EG, für einen Einzelnen auch nicht das Recht vor, die Akte einzusehen, selbst wenn das Verfahren durch seine Beschwerde in Gang gebracht worden ist. Die Kommission hat in ihren internen Verfahrensregeln über Maßnahmen zugunsten des Beschwerdeführers lediglich zugestanden, dass dieser über die Entscheidungen und den Vorschlag, das Verfahren einzustellen, unterrichtet wird (vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Europäischen Bürgerbeauftragten über die Beziehungen zum Beschwerdeführer bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht vom 20. März 2002 [KOM(2002) 141 endgültig], ABl. C 244, S. 5, Ziff. 7, 9 und 10).

60

Nach gefestigter Rechtsprechung verfügt ein Beschwerdeführer im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens außerdem nicht über das Recht, von der Kommission eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinne zu verlangen oder die Weigerung der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten, anzufechten (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 14. Februar 1989, Star Fruit/Kommission, 247/87, Slg. 1989, 291, Randnr. 11, vom 17. Mai 1990, Sonito u. a./Kommission, C-87/89, Slg. 1990, I-1981, Randnr. 6, sowie Beschluss vom14. Juli 2011, Ruipérez Aguirre und ATC Petition/Kommission, C‑111/11 P, Randnrn. 11 und 12). Darauf, ob der Beschwerdeführer zur Verteidigung eines persönlichen Interesses oder eines öffentlichen Interesses tätig wird, kommt es insoweit nicht an.

61

Wenn sie der Ansicht ist, ein Mitgliedstaat sei seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen, ist es nämlich Sache der Kommission, zu beurteilen, ob ein Einschreiten gegen diesen Staat zweckmäßig ist, die ihrer Ansicht nach von ihm verletzten Bestimmungen zu benennen und den Zeitpunkt für die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen ihn zu wählen (vgl. insbesondere Urteile vom 8. Dezember 2005, Kommission/Luxemburg, C-33/04, Slg. 2005, I-10629, Randnr. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 7. Oktober 2010, Kommission/Portugal, C‑154/09, Randnr. 51). Der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage wird im Übrigen durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission festgelegt (vgl. Urteil vom 8. Juli 2010, Kommission/Portugal, C-171/08, Slg. 2010, I-6817, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Zudem soll nach ständiger Rechtsprechung das Vorverfahren dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit geben, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und sich gegenüber den Rügen der Kommission wirksam zu verteidigen (vgl. u. a. Urteile vom 7. Juli 2005, Kommission/Österreich, C-147/03, Slg. 2005, I-5969, Randnr. 22, und vom 14. April 2011 Kommission/Rumänien, C-522/09, Slg. 2011, I-2963, Randnr. 15).

63

Eine Verbreitung der Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren während des zugehörigen Vorverfahrens könnte überdies die Natur und den Ablauf dieses Verfahrens verändern, da es sich unter diesen Umständen als noch schwieriger erweisen könnte, einen Verhandlungsprozess in Gang zu setzen und zu einem die gerügte Vertragsverletzung beendenden Einvernehmen zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat zu kommen, um so zu ermöglichen, dass das Unionsrecht beachtet und eine Klage vermieden wird.

64

Schließlich stellen, entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, die Dokumente zum Vorverfahren eines Vertragsverletzungsverfahrens für die Zwecke der Anwendung der erwähnten allgemeinen Vermutung eine einzige Kategorie von Dokumenten dar. Denn zum einen sieht die in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 aufgestellte Ausnahme zu Untersuchungen, die mögliche Verstöße gegen das Unionsrecht zum Gegenstand haben, keine Unterscheidung nach der Art des Dokuments, das zu der Akte solcher Untersuchungen gehört, oder des Verfassers der Dokumente vor. Zum anderen hat der Gerichtshof zu Dokumenten zu Beihilfekontrollverfahren entschieden, dass sämtliche Dokumente der Verwaltungsakte zu einem solchen Verfahren eine einzige Kategorie bilden, für die eine allgemeine Vermutung gilt, dass durch die Verbreitung dieser Dokumente der Schutz der Untersuchungstätigkeiten grundsätzlich beeinträchtigt würde (vgl. Urteil Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 61).

65

Nach alledem kann vermutet werden, dass die Verbreitung der Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren während des zugehörigen Vorverfahrens den Charakter dieses Verfahrens verändern und dessen Ablauf beeinträchtigen könnte und dass somit durch diese Verbreitung der Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 grundsätzlich beeinträchtigt würde.

66

Diese allgemeine Vermutung schließt nicht die Möglichkeit aus, darzulegen, dass die Vermutung für ein bestimmtes Dokument, um dessen Verbreitung ersucht wird, nicht gilt, oder dass gemäß Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des betreffenden Dokuments besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 62, Schweden u. a./API und Kommission, Randnr. 103, Kommission/Éditions Odile Jacob, Randnr. 126, und Kommission/Agrofert Holding, Randnr. 68).

67

Darüber hinaus ist die Kommission nicht verpflichtet, ihre Entscheidung auf die allgemeine Vermutung zu stützen. Sie kann jederzeit die vom Antrag auf Zugang erfassten Dokumente konkret prüfen und eine entsprechende Begründung geben. Stellt sie fest, dass das Vertragsverletzungsverfahren, auf das sich ein bestimmter Zugangsantrag bezieht, Merkmale aufweist, die eine vollständige oder teilweise Verbreitung der Dokumente der Akte zulassen, ist sie zu dieser Verbreitung zudem verpflichtet.

68

Das Erfordernis der Nachprüfung, ob die in Rede stehende allgemeine Vermutung tatsächlich anwendbar ist, kann dagegen nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass die Kommission alle im vorliegenden Fall beantragten Dokumente individuell prüfen müsste. Ein solches Erfordernis nähme der allgemeinen Vermutung ihre praktische Wirksamkeit, nämlich es der Kommission zu ermöglichen, auf einen allgemeinen Zugangsantrag allgemein zu antworten.

69

Zudem hat das Gericht in Randnr. 121 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass es nicht vorstellbar sei, dass die Kommission Zugang zu einem einzigen dieser Dokumente oder einem Teil ihres Inhalts hätte gewähren können, ohne damit die laufenden Verhandlungen mit den portugiesischen Behörden in Frage zu stellen. Diese Feststellung ist von den Rechtsmittelführerinnen nicht angegriffen worden, die im Übrigen keine Tatsachenverfälschung durch das Gericht geltend gemacht haben.

70

Demnach hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es die Befugnis der Kommission anerkannt hat, sich auf die allgemeine Vermutung zu stützen, dass der – auch nur teilweise – Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten eines Vertragsverletzungsverfahrens während des zugehörigen Vorverfahrens die Verwirklichung der Ziele dieses Verfahrens gefährden würde, um den Zugang zu diesen Dokumenten auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 zu verweigern.

71

Daher ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1367/2006

Vorbringen der Parteien

72

LPN und die Republik Finnland machen, unterstützt durch das Königreich Schweden, geltend, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, als es u. a. in Randnr. 136 des angefochtenen Urteils davon ausgegangen sei, dass Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1367/2006 auf die Ausnahme des Schutzes der Untersuchungstätigkeiten nicht anwendbar sei. Diese Bestimmung beziehe sich nämlich auf alle in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen, die nicht von der gesetzlichen Vermutung in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 erfasst seien. Dies ergebe sich aus dem Zweck der Verordnung Nr. 1367/2006, ihrem 15. Erwägungsgrund und aus Art. 4 Abs. 4 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten und im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. L 124, S. 1) genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, der ebenfalls eine enge Auslegung der Gründe für die Ablehnung von Anträgen auf Zugang zu Umweltinformationen vorsehe.

73

Nach Ansicht von LPN ist Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1367/2006 unvereinbar mit der Anerkennung einer allgemeinen Vermutung einer Beeinträchtigung im Fall einer Verbreitung von Dokumenten, weil diese Bestimmung eine enge Auslegung vorschreibe und es erforderlich mache, im konkreten Fall nachzuprüfen, ob die in den Dokumenten, deren Verbreitung beantragt werde, enthaltenen Informationen in Verbindung mit Emissionen in die Umwelt stünden oder nicht.

74

Schließlich macht LPN geltend, dass die in Randnr. 138 des angefochtenen Urteils enthaltene Behauptung, sie habe nicht erläutern können, ob und in welchem Umfang sich die angeforderten Informationen auf Emissionen in die Umwelt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 bezogen hätten, fehlerhaft sei. Sie sei nämlich außerstande gewesen, eine entsprechende Erklärung zu geben, da ihr der Inhalt der noch nicht verbreiteten Dokumente nicht bekannt gewesen sei.

75

Die Kommission macht geltend, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Ausschluss von Untersuchungen, die mögliche Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht zum Gegenstand hätten, von der in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 vorgesehenen gesetzlichen Vermutung offenkundig dem besonderen Charakter solcher Untersuchungen habe Rechnung tragen wollen. Daher müsse das eventuelle Bestehen eines überwiegenden öffentlichen Interesses an der Verbreitung von Dokumenten anhand der Verordnung Nr. 1049/2001 geprüft werden. Aus der Verordnung Nr. 1367/2006 lasse sich nicht ableiten, dass im Hinblick auf die Vermutung, wonach die Verbreitung der Dokumente den Zweck der Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigen würde, Vertragsverletzungsverfahren auf dem Gebiet der Umwelt anders als solche Verfahren auf anderen Gebieten zu behandeln seien.

76

Die Bundesrepublik Deutschland ist der Ansicht, dass Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1367/2006 keine Auswirkung darauf habe, wie die Verweigerung des Zugangs zu Umweltdokumenten in einem Vertragsverletzungsverfahren während des zugehörigen Vorverfahrens zu beurteilen sei. Diese Beurteilung richte sich nach der Verordnung Nr. 1049/2001. Die fragliche Bestimmung wiederhole nämlich nur das vom Gerichtshof herausgearbeitete Erfordernis einer engen Auslegung der Gründe für die Verweigerung und stelle einfach das Gebot der Berücksichtigung von Umweltinteressen bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen auf.

Würdigung durch den Gerichtshof

77

Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, indem es befunden habe, dass Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 es nicht ausschließe, dass die Kommission auf die allgemeine Vermutung zurückgreife, wonach durch die Verbreitung der Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren während des zugehörigen Vorverfahrens der Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 beeinträchtigt würde.

78

Zur Entscheidung über die Begründetheit dieses Rechtsmittelgrundes ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dieser Art. 6 Abs. 1 in Bezug auf Verfahren, die die Umwelt betreffen, die von der Kommission nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorzunehmende Prüfung verändert.

79

Art. 6 der Verordnung Nr. 1367/2006 ergänzt die Verordnung Nr. 1049/2001 um spezielle Regeln für Anträge auf Zugang zu Umweltinformationen.

80

Satz 1 von Art. 6 Abs. 1 bezieht sich auf Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 und sieht eine Vermutung dahin vor, dass ein überwiegendes Interesse an der Verbreitung besteht, wenn die angeforderten Informationen Emissionen in die Umwelt betreffen. Diese gesetzliche Vermutung bezieht sich auf den letzten Halbsatz von Art. 4 Abs. 2, wonach die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument dann ausgeschlossen ist, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des betreffenden Dokuments besteht. Diese gesetzliche Vermutung gilt jedoch nicht für „Untersuchungen, insbesondere solch[e], die mögliche Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht zum Gegenstand haben“.

81

Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1367/2006 bestimmt: „Bei den übrigen Ausnahmen nach Artikel 4 der [Verordnung Nr. 1049/2001] sind die Gründe für die Verweigerung eng auszulegen, wobei das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe und ein etwaiger Bezug der beantragten Informationen zu Emissionen in die Umwelt zu berücksichtigen sind.“

82

Wortlaut und Systematik von Art. 6 Abs. 1 ist zu entnehmen, dass die „übrigen Ausnahmen“ im Sinne des zweiten Satzes von Abs. 1 nicht den Schutz von Vertragsverletzungsverfahren umfassen.

83

Der erste Satz von Abs. 1 stellt nämlich eine Regel in Bezug auf die in Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 enthaltenen Ausnahmen auf. Der zweite Satz von Abs. 1 spricht nicht einfach von den „übrigen Ausnahmen“, sondern von den „übrigen Ausnahmen nach Artikel 4 der [Verordnung Nr. 1049/2001]“. Diese Bestimmung erfasst somit die in diesem Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 zweiter Gedankenstrich, Abs. 3 und Abs. 5 enthaltenen Ausnahmen. Da Vertragsverletzungsverfahren unter „Untersuchungstätigkeiten“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen, die von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 erfasst sind, sind solche Tätigkeiten nicht vom Begriff „übrige Ausnahmen“ in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 umfasst.

84

Diese Formulierung der beiden Sätze von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 und ihre Systematik bringen deutlich die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, Vertragsverletzungsverfahren vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung insgesamt auszuschließen.

85

Daher hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es davon ausging, dass Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 keine Auswirkung auf die Prüfung habe, die die Kommission nach der Verordnung Nr. 1049/2001 vornehmen muss, wenn Gegenstand eines Zugangsantrags Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren sind, das sich noch im Stadium des Vorverfahrens befindet.

86

Der zweite Rechtsmittelgrund ist folglich als unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001

Vorbringen der Parteien

87

Die Republik Finnland, deren Argumentation vom Königreich Dänemark und vom Königreich Schweden unterstützt wird, macht geltend, unabhängig von der Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 habe das Gericht Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 falsch ausgelegt, indem es sich nicht mit der Frage befasst habe, ob die Kommission nachgeprüft habe, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der fraglichen Dokumente bestehe. Gemäß dem Urteil Schweden und Turco/Rat (Randnrn. 44, 45 und 49) hätte das Gericht verlangen müssen, dass die Kommission unter Berücksichtigung des Interesses an einer größeren Transparenz das Interesse am Schutz von Untersuchungstätigkeiten gegen das öffentliche Interesse abwäge, von den betreffenden Dokumenten Kenntnis zu erlangen. Wenn ein Zugangsantrag ein Dokument betreffe, das in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1367/2006 falle, könnten der Erhalt von Umweltinformationen und die Bedeutung, die die Verfügbarkeit solcher Informationen für den Schutz der Umwelt und die menschliche Gesundheit habe, ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 darstellen.

88

Das Königreich Schweden fügt hinzu, das Gericht habe in den Randnrn. 138 und 139 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen, indem es der Person, die den Zugang zu Dokumenten beantrage, die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf das Bestehen eines überwiegenden öffentlichen Interesses auferlegt habe, wenn insbesondere der Umstand berücksichtigt werde, dass allein dem betreffenden Organ der Inhalt der Dokumente bekannt sei, deren Verbreitung beantragt werde.

89

Die Kommission macht geltend, das Gericht habe in Randnr. 139 des angefochtenen Urteils zu Recht die Rüge zurückgewiesen, dass es an einer ordnungsgemäßen Abwägung der widerstreitenden Interessen im Sinne von Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 fehle.

Würdigung durch den Gerichtshof

90

Mit dem dritten Rechtsmittelgrund rügt die Republik Finnland im Wesentlichen, dass sich das Gericht nicht mit der Frage befasst habe, ob die Kommission gemäß Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 nachgeprüft habe, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der fraglichen Dokumente bestehe.

91

Das Gericht hat in den Randnrn. 132 und 133 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass nach dem Wortlaut der streitigen Entscheidung im vorliegenden Fall ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne dieser Bestimmung fehle und dass diese Beurteilung eines Fehlens eines überwiegenden öffentlichen Interesses weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht fehlerhaft sei. LPN und die Republik Finnland machen im vorliegenden Fall kein konkretes Interesse an der Verbreitung der fraglichen Dokumente geltend, sondern führen lediglich die Bedeutung an, die die Verfügbarkeit von Umweltinformationen generell für den Schutz der Umwelt und die menschliche Gesundheit habe.

92

Das überwiegende öffentliche Interesse an der Verbreitung eines Dokuments muss sich zwar nicht notwendigerweise von den Grundsätzen unterscheiden, auf denen die Verordnung Nr. 1049/2001 aufbaut (vgl. in diesem Sinne Urteil Schweden und Turco/Rat, Randnrn. 74 und 75).

93

Derart allgemeine Erwägungen, wie sie hier angeführt werden, sind jedoch nicht geeignet, darzutun, dass der Transparenzgrundsatz im vorliegenden Fall eine besondere Dringlichkeit aufweist, die gegenüber den Gründen für die Verweigerung der Freigabe der fraglichen Dokumente schwerer hätte wiegen können (vgl. entsprechend Urteil Schweden u. a./API und Kommission, Randnr. 158).

94

Das Erfordernis, wonach der Antragsteller konkret Umstände anführen muss, die ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der betroffenen Dokumente rechtfertigen, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 62, Schweden u. a./API und Kommission, Randnr. 103, Kommission/Éditions Odile Jacob, Randnr. 126, und Kommission/Agrofert Holding, Randnr. 68).

95

Soweit LPN den Zugang zu diesen Dokumenten beantragt hat, um die Informationen vervollständigen zu können, über die die Kommission zu dem Projekt der Errichtung eines Staudamms, das Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahren ist, verfügt, und sich so aktiv an diesem Verfahren beteiligen zu können, vermag dieser Umstand nicht das Bestehen eines „überwiegenden öffentlichen Interesses“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 darzutun (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau, Randnr. 70, Kommission/Éditions Odile Jacob, Randnrn. 145 und 146, sowie Kommission/Agrofert Holding, Randnrn. 85 und 86), auch wenn LPN als Nichtregierungsorganisation entsprechend ihrem satzungsgemäßen Zweck tätig wird, der im Schutz der Umwelt besteht.

96

Auch wenn sich die Verordnung Nr. 1367/2006 nach ihrem zweiten Erwägungsgrund in ein Umweltaktionsprogramm der Gemeinschaft einfügt, in dem betont wird, wie wichtig es ist, angemessene Umweltinformationen bereitzustellen und effektive Möglichkeiten zur Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsverfahren in diesem Bereich vorzusehen, kann diese Beteiligung nicht geltend gemacht werden, um den Zugang zu den Dokumenten zu einem Vertragsverletzungsverfahren zu rechtfertigen. Denn nach Art. 9 dieser Verordnung ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung nur vorgesehen, wenn die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft Umweltpläne oder ‑programme vorbereiten, ändern oder prüfen. Vertragsverletzungsverfahren hingegen erfasst dieser Artikel nicht.

97

Nach alledem hat das Gericht es nicht unterlassen, sich mit der Frage zu befassen, ob die Kommission gemäß Art. 4 Abs. 2 a. E. der Verordnung Nr. 1049/2001 nachgeprüft hat, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der betreffenden Dokumente besteht.

98

Der dritte Rechtsmittelgrund ist daher ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund: Verurteilung der LPN zur Kostentragung

99

LPN macht geltend, dass die in den Randnrn. 141 bis 143 begründete Entscheidung des Gerichts, ihr die Kosten aufzuerlegen, in mehrerlei Hinsicht rechtsfehlerhaft sei.

100

Insoweit genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung Anträge, die die angebliche Rechtswidrigkeit der Kostenentscheidung des Gerichts betreffen, gemäß Art. 58 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs, wonach ein Rechtsmittel nur gegen die Kostenentscheidung oder gegen die Kostenfestsetzung unzulässig ist, als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn alle anderen Rechtsmittelgründe zurückgewiesen worden sind (vgl. u. a. Urteile vom 30. September 2003, Freistaat Sachsen u. a./Kommission, C-57/00 P und C-61/00 P, Slg. 2003, I-9975, Randnr. 124, vom 26. Mai 2005, Tralli/EZB, C-301/02 P, Slg. 2005, I-4071, Randnr. 88, und vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C-263/09 P, Slg. 2011, I-5853, Randnr. 78).

101

Da alle anderen Rechtsmittelgründe von LPN zurückgewiesen worden sind, ist der letzte, auf die Verteilung der Kosten bezogene Rechtsmittelgrund demnach für unzulässig zu erklären.

Zum weiteren Antrag von LPN, Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Urteils zu berichtigen

102

In ihrem Rechtsmittel beantragt LPN, Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Urteils zu berichtigen. Sie ist der Ansicht, das Gericht habe die streitige Entscheidung nicht ordnungsgemäß identifiziert, bei der es sich nicht um die Entscheidung vom 24. Oktober 2008, sondern um die Entscheidung vom 22. November 2007 handele. LPN schlägt vor, in Nr. 1 ausdrücklich klarzustellen, dass sie die Klage „gegen die Entscheidung der Kommission vom 22. November 2007“ gerichtet habe und dass mit der Entscheidung vom 24. November 2008 der Zugang zu den fraglichen Dokumenten „weiterhin verweigert wurde“.

103

Die Kommission hält diesen Antrag für unzulässig.

104

Nach Art. 113 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs in seiner zum Zeitpunkt der Einlegung des vorliegenden Rechtsmittels geltenden Fassung müssen die Rechtsmittelanträge die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts zum Gegenstand haben.

105

Der weitere Antrag von LPN zielt jedoch nicht auf eine auch nur teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils, d. h. von dessen Tenor (vgl. Urteil vom 15. November 2012, Al‑Aqsa/Rat und Niederlande/Al‑Aqsa, C‑539/10 P und C‑550/10 P, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung), sondern nur auf eine Änderung des Wortlauts dieses Tenors, die sich nicht auf dessen Inhalt und auch nicht auf die Entscheidung des Rechtsstreits im ersten Rechtszug auswirken würde. Aus dem angefochtenen Urteil, insbesondere dessen Randnrn. 18, 38 und 59, geht nämlich eindeutig hervor, dass sich die in Nr. 1 des Tenors dieses Urteils abgewiesene Klage gegen die Entscheidung vom 22. November 2007 richtete.

106

Soweit ein Urteil des Gerichts Schreibfehler oder offensichtliche Unrichtigkeiten enthält, ist es im Übrigen allein Sache des Gerichts, diese nach Art. 84 seiner Verfahrensordnung zu berichtigen.

107

Daher ist der weitere Antrag von LPN als unzulässig zurückzuweisen.

108

Nach alledem sind die Rechtsmittel von LPN und der Republik Finnland insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

109

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist.

110

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 138 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Verteilung der Kosten, wenn mehrere Parteien unterliegen. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

111

Da LPN und die Republik Finnland mit ihrem Vorbringen unterlegen sind und die Kommission beantragt hat, ihnen die Kosten aufzuerlegen, sind ihnen die Kosten zu gleichen Teilen aufzuerlegen.

112

Das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Estland und das Königreich Schweden tragen als Streithelfer ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

 

2.

Die Liga para a Protecção da Natureza (LPN) und die Republik Finnland tragen die Kosten zu gleichen Teilen.

 

3.

Das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Estland sowie das Königreich Schweden tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Portugiesisch.