URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

12. Juli 2012 ( *1 )

„Freier Warenverkehr — Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung — Nationales Zertifizierungsverfahren — Vermutung der Konformität mit dem nationalen Recht — Anwendbarkeit von Art. 28 EG auf eine private Zertifizierungsstelle“

In der Rechtssache C-171/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. März 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2011, in dem Verfahren

Fra.bo SpA

gegen

Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) – Technisch-Wissenschaftlicher Verein

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin A. Prechal sowie der Richter K. Schiemann (Berichterstatter), L. Bay Larsen und E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Fra.bo SpA, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Saueracker und M. Becker,

der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) – Technisch-Wissenschaftlicher Verein, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Tellman und F.-E. Hufnagel,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und D. Hadroušek als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und B. Koopman als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Zavvos, G. Wilms, L. Malferrari und C. Hödlmayr als Bevollmächtigte,

der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch M. Schneider und X. Lewis als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. März 2012

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 28 EG, 81 EG und 86 Abs. 2 EG.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fra.bo SpA (im Folgenden: Fra.bo), einer auf die Herstellung und den Vertrieb von insbesondere für Gas- und Wasserleitungen bestimmten Kupferfittings spezialisierten Gesellschaft italienischen Rechts, und der deutschen Zertifizierungsstelle DVGW Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V. ‐ Technisch-Wissenschaftlicher Verein (im Folgenden: DVGW) wegen deren Entscheidung, das Zertifikat für die von Fra.Bo hergestellten und vertriebenen Kupferfittings zu entziehen oder nicht zu verlängern.

Deutsches Recht

3

Aus der Vorlageentscheidung und den Erklärungen der Beteiligten geht hervor, dass in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser vom 20. Juni 1980 (BGBl. 1980 I S. 750, im Folgenden: AVBWasserV) allgemeine Verkaufsbedingungen im Verhältnis zwischen Wasserversorgungsunternehmen und ihren Kunden festgelegt werden, von denen die Parteien frei abweichen können.

4

Zur maßgeblichen Zeit lautete § 12 Abs. 4 AVBWasserV wie folgt:

„Es dürfen nur Materialien und Geräte verwendet werden, die entsprechend den anerkannten Regeln der Technik beschaffen sind. Das Zeichen einer anerkannten Prüfstelle (zum Beispiel DIN-DVGW, DVGW- oder GS-Zeichen) bekundet, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.“

5

Durch die Verordnung vom 13. Januar 2010 (BGBl. 2010 I S. 10) wurde § 12 Abs. 4 AVBWasserV folgendermaßen geändert:

„Es dürfen nur Produkte und Geräte verwendet werden, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Die Einhaltung der Voraussetzungen des Satzes 1 wird vermutet, wenn eine CE-Kennzeichnung für den ausdrücklichen Einsatz im Trinkwasserbereich vorhanden ist. Sofern diese CE-Kennzeichnung nicht vorgeschrieben ist, wird dies auch vermutet, wenn das Produkt oder Gerät ein Zeichen eines akkreditierten Branchenzertifizierers trägt, insbesondere das DIN-DVGW-Zeichen oder DVGW-Zeichen. Produkte und Geräte, die

1.

in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum rechtmäßig hergestellt worden sind oder

2.

in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in der Türkei rechtmäßig hergestellt oder in den Verkehr gebracht worden sind

und die nicht den technischen Spezifikationen der Zeichen nach Satz 3 entsprechen, werden einschließlich der in den vorgenannten Staaten durchgeführten Prüfungen und Überwachungen als gleichwertig behandelt, wenn mit ihnen das in Deutschland geforderte Schutzniveau gleichermaßen dauerhaft erreicht wird.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

6

Aus der Vorlageentscheidung und den Erklärungen der Beteiligten geht hervor, dass Fra.bo eine in Italien ansässige Gesellschaft ist, die Kupferfittings herstellt und vertreibt. Bei Kupferfittings handelt es sich um Verbindungsstücke zwischen zwei Wasser- oder Gasrohrleitungsstücken, die zur Sicherstellung der Dichtigkeit an ihren Enden mit Dichtungsringen aus Elastomer versehen sind.

7

Bei dem DVGW handelt es sich um einen 1859 gegründeten privatrechtlichen Verein ohne Gewinnzweck, dessen satzungsmäßiges Ziel in der Förderung des Gas- und Wasserfachs besteht. Der DVGW ist in Deutschland als gemeinnützige Körperschaft anerkannt – ein Status, der nach den §§ 51 ff. der Abgabenordnung Körperschaften zuerkannt wird, deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Gemäß § 2 Abs. 2 seiner Satzung vertritt der DVGW nicht die Interessen der Hersteller aus diesem Fach.

8

Für das Wasserfach gibt es rund 350 vom DVGW erarbeitete Normen. Im Ausgangsrechtsstreit ist die technische Norm W 534 maßgeblich, die als Grundlage für eine freiwillige Zertifizierung von Produkten dient, die in Kontakt mit Trinkwasser kommen.

9

Fra.bo stellte Ende 1999 beim DVGW einen Antrag auf Zertifizierung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kupferfittings. Der DVGW beauftragte die Materialprüfungsanstalt Darmstadt mit der Durchführung der erforderlichen Prüfungen. Diese vergab zur Durchführung der genannten Prüfungen einen Unterauftrag an das in Italien ansässige Unternehmen Cerisie Laboratorio, das nicht vom DVGW, jedoch von den zuständigen italienischen Stellen zugelassen ist. Im November 2000 erteilte der DVGW Fra.bo ein auf fünf Jahre befristetes Zertifikat für das Wasserfach.

10

Nach Einwänden Dritter leitete der DVGW ein Nachprüfungsverfahren ein, wobei wiederum die Materialprüfungsanstalt Darmstadt mit der Durchführung der Prüfungen beauftragt wurde. Diese nahm anhand einer von dem italienischen Herstellerunternehmen übersandten Materialplatte einen „Ozontest“ vor, mit dem die Ozonbeständigkeit des Elastomer-Dichtungsrings des Kupferfittings geprüft werden sollte. Im Juni 2005 teilte der DVGW Fra.bo mit, das Fitting habe den Ozontest nicht bestanden, sie könne jedoch – wie nach seinen Regeln vorgesehen – binnen 3 Monaten einen positiven Prüfbericht vorlegen. Einen daraufhin von Cerisie Laboratorio erstellten Prüfbericht erkannte der DVGW indessen nicht an, weil dieses Unternehmen von ihm nicht als Prüfstelle zugelassen sei. Im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits greift der DVGW diesen Prüfbericht auch deshalb an, weil er inhaltlich unzureichend sei, da er weder genaue Angaben zu den Prüfanforderungen enthalte noch die Prüfbedingungen nenne, denen das Material unterworfen worden sei.

11

Zwischenzeitlich hatte der DVGW in einem formalisierten Verfahren, an dem sich Fra.bo nicht beteiligt hatte, die technische Norm W 534 durch die Einführung des 3000-Stunden-Tests geändert, mit dem eine längere Lebensdauer der zu zertifizierenden Erzeugnisse gewährleistet werden soll. Aus der Antwort des DVGW auf eine schriftliche Frage des Gerichtshofs geht hervor, dass der 3000-Stunden-Test darin besteht, dass der Elastomer-Dichtungsring des Kupferfittings für die Dauer von 3000 Stunden einer Temperatur von 110 Grad Celsius ausgesetzt wird. Nach den Regeln des DVGW sind die Inhaber von Konformitätszertifikaten verpflichtet, innerhalb von 3 Monaten nach Inkrafttreten der Änderung der entsprechenden Norm einen Antrag auf Zusatzzertifizierung zwecks Nachweises der Einhaltung der geänderten Anforderungen zu stellen. Fra.bo stellte keinen derartigen Antrag und unterzog ihre Kupferfittings nicht dem 3000-Stunden-Test.

12

Im Juni 2005 entzog der DVGW Fra.bo ihr Konformitätszertifikat mit der Begründung, sie habe ihm keinen positiven Prüfbericht zum 3000-Stunden-Test vorgelegt. Einen Antrag auf Verlängerung des Zertifikats lehnte der DVGW ferner mit der Begründung ab, ein zu verlängerndes Konformitätszertifikat gebe es nicht mehr.

13

Fra.bo erhob gegen den DVGW Klage beim Landgericht Köln und machte geltend, die Entziehung und/oder die Verweigerung einer Verlängerung des fraglichen Konformitätszertifikats widersprächen dem Unionsrecht. Der DVGW sei an die Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit, d. h. die Art. 28 ff. EG, gebunden, und durch die Entziehung des Zertifikats wie auch durch die Verweigerung seiner Verlängerung werde ihr der Zutritt zum deutschen Markt erheblich erschwert. Aufgrund der Konformitätsvermutung für vom DVGW zertifizierte Erzeugnisse gemäß § 12 Abs. 4 AVBWasserV sei es ihr nämlich ohne das genannte Zertifikat kaum möglich, ihre Erzeugnisse in Deutschland zu vertreiben. Des Weiteren sei der 3000-Stunden-Test sachlich nicht gerechtfertigt und der DVGW nicht berechtigt, Prüfberichte von Prüflabors, die von den entsprechenden Stellen anderer Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland, nicht aber von ihm selbst zugelassen seien, von vornherein unberücksichtigt zu lassen. Der DVGW sei zudem als Unternehmensvereinigung anzusehen, die mit der Erstellung der angegriffenen technischen Normen auch gegen Art. 81 EG verstoße.

14

Der DVGW vertritt die Auffassung, dass er als privatrechtlich organisierte Vereinigung nicht an die Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit gebunden sei und dass nur die Bundesrepublik Deutschland für einen etwaigen Verstoß gegen Art. 28 EG im Zusammenhang mit dem Erlass von § 12 Abs. 4 AVBWasserV haftbar zu machen sei. Der DVGW sei damit nicht daran gehindert, technische Normen, die über die anderer Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland hinausgingen, zu erstellen und bei seinen Zertifizierungstätigkeiten anzuwenden. Er habe auch die Freiheit, aus Qualitätsgründen nur die von ihm selbst zugelassenen Prüflabors zu berücksichtigen. Im Übrigen übe er als Normungsstelle keine wirtschaftliche Tätigkeit im kartellrechtlichen Sinne aus, so dass eine Anwendung von Art. 81 EG ausscheide.

15

Das Landgericht Köln hat die Klage von Fra.bo mit der Begründung abgewiesen, dass der DVGW die Anforderungen, die er an die Ausstellung eines Konformitätszertifikats stelle, frei regeln könne. Fra.bo hat gegen die Entscheidung dieses Gerichts Berufung bei dem vorlegenden Gericht eingelegt und begehrt, gestützt auf das gleiche Vorbringen, den DVGW zu verurteilen, das Zertifikat für die in Rede stehenden Fittings zu verlängern und Schadensersatz in Höhe von 1000000 Euro nebst Zinsen zu zahlen.

16

Da das Oberlandesgericht Düsseldorf Zweifel hinsichtlich der Anwendbarkeit der Bestimmungen über den freien Warenverkehr und über Unternehmenskartelle auf die Tätigkeiten des DVGW hat, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 28 EG, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 86 Abs. 2 EG, so auszulegen, dass privatrechtliche Einrichtungen, die zum Zwecke der Erstellung technischer Normen auf einem bestimmten Gebiet sowie zur Zertifizierung von Erzeugnissen anhand dieser technischen Normen gegründet worden sind, bei der Erstellung technischer Normen sowie bei dem Zertifizierungsprozess an die genannten Vorschriften dann gebunden sind, wenn der nationale Gesetzgeber die Erzeugnisse, die mit Zertifikaten versehen sind, ausdrücklich als gesetzeskonform ansieht und in der Praxis daher ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht mit diesem Zertifikat versehen sind, zumindest erheblich erschwert ist?

2.

Sollte die erste Frage zu verneinen sein:

Ist Art. 81 EG so auszulegen, dass die Tätigkeit einer unter 1. näher beschriebenen privatrechtlichen Einrichtung auf dem Gebiet der Erstellung technischer Normen und der Zertifizierung von Erzeugnissen anhand dieser technischen Normen als „wirtschaftlich“ anzusehen ist, wenn die Einrichtung durch Unternehmen beherrscht wird?

Sollte die vorige Teilfrage bejaht werden:

Ist Art. 81 EG so auszulegen, dass die Erstellung technischer Normen und die Zertifizierung anhand dieser Normen durch eine Unternehmensvereinigung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten geeignet ist, wenn ein in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestelltes und vertriebenes Erzeugnis deswegen im Einfuhrmitgliedstaat nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten vertrieben werden kann, weil es die Anforderungen der technischen Norm nicht erfüllt und ein Vertrieb ohne ein derartiges Zertifikat im Hinblick auf die überragende Marktdurchsetzung der technischen Norm und eine Rechtsvorschrift des nationalen Gesetzgebers, der zufolge ein Zertifikat der Unternehmensvereinigung die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen bekundet, kaum möglich ist, und wenn die technische Norm, wäre sie unmittelbar von dem nationalen Gesetzgeber erlassen worden, wegen Verstoßes gegen die Grundsätze über die Warenverkehrsfreiheit nicht anzuwenden wäre?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

17

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 28 EG dahin auszulegen ist, dass er auf die Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten einer privaten Einrichtung anzuwenden ist, wenn die Erzeugnisse, die von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, nach den nationalen Rechtsvorschriften als mit dem nationalen Recht konform angesehen werden und dadurch ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, erschwert wird.

18

Einleitend steht fest, dass es sich bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kupferfitting um ein „Bauprodukt“ im Sinne der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (ABl. 1989, L 40, S. 12) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/106) handelt, das weder Gegenstand einer harmonisierten Norm noch einer europäischen technischen Zulassung noch einer auf Unionsebene anerkannten nationalen technischen Spezifikation im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie ist.

19

Für Bauprodukte, die nicht unter Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 fallen, bestimmt Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten in ihrem Gebiet deren Inverkehrbringen gestatten dürfen, wenn diese Produkte nationalen Vorschriften, die im Einklang mit dem EG-Vertrag stehen, entsprechen, es sei denn, die europäischen technischen Spezifikationen bestimmen etwas anderes.

20

Nationale Vorschriften über das Inverkehrbringen eines nicht von harmonisierten oder auf Unionsebene anerkannten technischen Spezifikationen erfassten Bauprodukts müssen somit, worauf im Übrigen in der Richtlinie 89/106 hingewiesen wird, im Einklang mit den Verpflichtungen aus dem Vertrag, insbesondere dem in den Art. 28 EG und 30 EG aufgestellten Grundsatz des freien Warenverkehrs, stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2008, Kommission/Belgien, C-227/06, Randnr. 34).

21

Zunächst ist zu prüfen, ob Art. 28 EG, wie von der Klägerin des Ausgangsverfahrens geltend gemacht, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens auf die Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten einer privaten Einrichtung anwendbar ist.

22

Insoweit ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung jede Regelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen anzusehen und daher nach Art. 28 EG verboten ist (Urteile vom 11. Juli 1974, Dassonville, 8/74, Slg. 1974, 837, Randnr. 5, vom 5. Februar 2004, Kommission/Italien, C-270/02, Slg. 2004, I-1559, Randnr. 18, und Kommission/Belgien, Randnr. 40). So stellt es für den Importeur bereits dann eine Behinderung des freien Warenverkehrs dar, wenn er davon abgehalten wird, die fraglichen Produkte in dem betreffenden Mitgliedstaat in den Verkehr zu bringen oder zu vertreiben (Urteil vom 24. April 2008, Kommission/Luxemburg, C-286/07, Randnr. 27).

23

Ebenso hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat gegen die ihm nach den Art. 28 EG und 30 EG obliegenden Verpflichtungen verstößt, wenn er ohne triftige Rechtfertigung die Wirtschaftsteilnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und/oder vertriebene Bauprodukte in seinem Hoheitsgebiet vertreiben möchten, dazu veranlasst, nationale Konformitätszeichen zu erwerben (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Belgien), oder die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Zulassungsbescheinigungen nicht berücksichtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2005, Kommission/Portugal, C-432/03, Slg. 2005, I-9665).

24

Es ist unstreitig, dass der DVGW eine private Einrichtung ohne Gewinnzweck ist, deren Tätigkeiten nicht von der Bundesrepublik Deutschland finanziert werden. Außerdem ist unstreitig, dass dieser Mitgliedstaat keinen maßgebenden Einfluss auf die Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten des DVGW ausübt, obwohl ein Teil der Mitglieder dieses Vereins öffentliche Einrichtungen sind.

25

Der DVGW trägt vor, dass aufgrund seiner Rechtsnatur als privater Einrichtung Art. 28 EG daher auf ihn keine Anwendung finden könne. Die anderen Beteiligten meinen, dass private Einrichtungen unter bestimmten Umständen verpflichtet sein könnten, die durch Art. 28 EG gewährleistete Warenverkehrsfreiheit zu beachten.

26

Somit ist zu prüfen, ob die Tätigkeit einer privatrechtlichen Einrichtung wie des DVGW insbesondere unter Berücksichtigung des rechtlichen Kontexts, in dem sie ausgeübt wird, ebenso wie staatliche Maßnahmen Behinderungen des freien Warenverkehrs zur Folge hat.

27

Vorliegend ist erstens darauf hinzuweisen, dass der deutsche Gesetzgeber in § 12 Abs. 4 AVBWasserV die Vermutung aufgestellt hat, dass die vom DVGW zertifizierten Erzeugnisse dem nationalen Recht entsprechen.

28

Zweitens ist zwischen den Beteiligten des Ausgangsverfahrens unstreitig, dass der DVGW die einzige Einrichtung ist, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kupferfittings im Sinne von § 12 Abs. 4 AVBWasserV zertifizieren kann. In Bezug auf solche Erzeugnisse stellt der DVGW mit anderen Worten die einzige Möglichkeit dar, ein Konformitätszertifikat zu erhalten.

29

Zwar haben der DVGW und die deutsche Regierung darauf hingewiesen, dass es neben der Zertifizierung durch den DVGW noch ein anderes Verfahren gebe, das darin bestehe, dass ein Sachverständiger mit der Prüfung beauftragt werde, ob ein Produkt den anerkannten Regeln der Technik im Sinne von § 12 Abs. 4 AVBWasserV entspreche. Aus den Antworten auf die schriftlichen und mündlichen Fragen des Gerichtshofs geht jedoch hervor, dass dieses andere Verfahren zum einen wegen der administrativen Schwierigkeiten, die damit zusammenhängen, dass es keine spezifischen Verfahrensvorschriften für die Arbeit eines solchen Sachverständigen gibt, und zum anderen wegen der zusätzlichen Kosten, die durch die Einholung eines individuellen Gutachtens anfallen, wenig oder gar nicht praktikabel ist.

30

Drittens erschwert nach Ansicht des vorlegenden Gerichts in der Praxis das Fehlen einer Zertifizierung durch den DVGW den Vertrieb der betreffenden Erzeugnisse auf dem deutschen Markt erheblich. Auch wenn nämlich mit der AVBWasserV nur allgemeine Verkaufsbedingungen im Verhältnis zwischen Wasserversorgungsunternehmen und ihren Kunden festgelegt werden, von denen die Parteien frei abweichen können, geht aus den Akten hervor, dass in der Praxis fast alle deutschen Verbraucher nur solche Kupferfittings kaufen, die vom DVGW zertifiziert sind.

31

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass eine Einrichtung wie der DVGW insbesondere aufgrund ihrer Ermächtigung zur Zertifizierung von Erzeugnissen in Wirklichkeit über die Befugnis verfügt, den Zugang von Erzeugnissen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kupferfittings zum deutschen Markt zu regeln.

32

Demzufolge ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 28 EG dahin auszulegen ist, dass er auf die Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten einer privaten Einrichtung anzuwenden ist, wenn die Erzeugnisse, die von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, nach den nationalen Rechtsvorschriften als mit dem nationalen Recht konform angesehen werden und dadurch ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, erschwert wird.

Zur zweiten Frage

33

Die zweite Frage braucht, da das vorlegende Gericht sie nur für den Fall gestellt hat, dass die erste Frage verneint wird, nicht beantwortet zu werden.

Kosten

34

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 28 EG ist dahin auszulegen, dass er auf die Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten einer privaten Einrichtung anzuwenden ist, wenn die Erzeugnisse, die von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, nach den nationalen Rechtsvorschriften als mit dem nationalen Recht konform angesehen werden und dadurch ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, erschwert wird.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.