URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

5. September 2012 ( *1 )

„Richtlinie 2004/38/EG — Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten — Art. 3 Abs. 2 — Verpflichtung, nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt ‚jedes … Familienangehörigen‘ zu erleichtern, dem ein Unionsbürger Unterhalt gewährt“

In der Rechtssache C-83/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 3. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Februar 2011, in dem Verfahren

Secretary of State for the Home Department

gegen

Muhammad Sazzadur Rahman,

Fazly Rabby Islam,

Mohibullah Rahman

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter K. Schiemann, E. Juhász, G. Arestis und M. Ilešič (Berichterstatter), der Richterin M. Berger sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Centre for Advice on Individual Rights in Europe (AIRE Centre), vertreten durch A. Weiss, N. Mole und S. Chaudary, Rechtsberater,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth als Bevollmächtigten im Beistand von R. Palmer, Barrister,

der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne als Bevollmächtigten,

der dänischen Regierung, vertreten durch C. Vang und V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte,

der deutschen Regierung, vertreten durch A. Wiedmann als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. D’Ascia, avvocato dello Stato,

der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. Bulterman als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Tufvesson und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. März 2012

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, mit Berichtigungen in ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2005, L 197, S. 34).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits des Secretary of State for the Home Department (im Folgenden: Secretary of State) gegen die bangladeschischen Staatsangehörigen Muhammad Sazzadur Rahman, Fazly Rabby Islam und Mohibullah Rahman wegen des von diesen gestellten Antrags auf Erteilung einer Erlaubnis zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich als Familienangehörige eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums (im Folgenden: EWR).

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2004/38

3

Der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 lautet:

„Um die Einheit der Familie im weiteren Sinne zu wahren und unbeschadet des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sollte die Lage derjenigen Personen, die nicht als Familienangehörige im Sinne dieser Richtlinie gelten und die daher kein automatisches Einreise- und Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat genießen, von dem Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage seiner eigenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften daraufhin geprüft werden, ob diesen Personen die Einreise und der Aufenthalt gestattet werden könnte, wobei ihrer Beziehung zu dem Unionsbürger sowie anderen Aspekten, wie ihre finanzielle oder physische Abhängigkeit von dem Unionsbürger, Rechnung zu tragen ist.“

4

Nach Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 bezeichnet der Ausdruck „Familienangehöriger“ im Sinne der Richtlinie:

„a)

den Ehegatten;

b)

den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger … eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist …;

c)

die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

d)

die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird“.

5

Art. 3 („Berechtigte“) der Richtlinie 2004/38 lautet:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

(2)   Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt der folgenden Personen:

a)

jedes nicht unter die Definition in Artikel 2 Nummer 2 fallenden Familienangehörigen ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, oder wenn schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen;

b)

des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist.

Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durch und begründet eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen.“

6

Art. 10 („Ausstellung der Aufenthaltskarte“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„(1)   Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, wird spätestens sechs Monate nach Einreichung des betreffenden Antrags eine ‚Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers‘ ausgestellt. Eine Bescheinigung über die Einreichung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte wird unverzüglich ausgestellt.

(2)   Für die Ausstellung der Aufenthaltskarte verlangen die Mitgliedstaaten die Vorlage folgender Dokumente:

e)

in den Fällen des Artikels 3 Absatz 2 Buchstabe a) ein durch die zuständige Behörde des Ursprungs- oder Herkunftslands ausgestelltes Dokument, aus dem hervorgeht, dass die Betroffenen vom Unionsbürger Unterhalt beziehen oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder der Nachweis schwerwiegender gesundheitlicher Gründe, die die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen;

…“

Nationales Recht

7

Die Richtlinie 2004/38 wurde im Vereinigten Königreich durch die Immigration (European Economic Area) Regulations 2006 (Verordnung von 2006 über die Einwanderung [Europäischer Wirtschaftsraum]) in der durch die Immigration (European Economic Area) Regulations 2009 (Verordnung von 2009 über die Einwanderung [Europäischer Wirtschaftsraum]) geänderten Fassung (im Folgenden: Einwanderungsverordnung) umgesetzt.

8

Regulation 7 („Familienangehöriger“) der Einwanderungsverordnung bestimmt:

„(1)

Vorbehaltlich von Paragraph (2) sind Familienangehörige im Sinne dieser Verordnung

(a)

der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner;

(b)

die Verwandten in gerader absteigender Linie des Betreffenden und seines Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners, die

(i)

das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder

(ii)

denen vom Betreffenden oder von seinem Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner Unterhalt gewährt wird;

(c)

die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Betreffenden und seines Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners, denen Unterhalt gewährt wird;

(d)

die Familienangehörigen im Sinne von Paragraph (3).

(3)

Vorbehaltlich von Paragraph (4) gilt ein Angehöriger der Familie im weiteren Sinne, dem eine Einreiseerlaubnis für Familienangehörige von EWR-Staatsangehörigen, eine Anmeldebescheinigung oder eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden ist, als Familienangehöriger des betreffenden EWR-Staatsangehörigen, solange er in Bezug auf diesen die Voraussetzungen gemäß Regulation 8(2), (3), (4) oder (5) weiter erfüllt und die Einreiseerlaubnis für Familienangehörige von EWR-Staatsangehörigen, die Bescheinigung oder die Aufenthaltskarte nicht ihre Gültigkeit verloren hat oder widerrufen worden ist.“

9

Regulation 8 („Angehöriger der Familie im weiteren Sinne“) der Einwanderungsverordnung bestimmt:

„(1)

In dieser Verordnung ist unter ‚Angehöriger der Familie im weiteren Sinne‘ eine Person zu verstehen, die nicht Familienangehöriger eines EWR-Staatsangehörigen im Sinne von Regulation 7(1)(a), (b) oder (c) ist und die die Voraussetzungen gemäß Paragraph (2), (3), (4) oder (5) erfüllt.

(2)

Eine Person erfüllt die Voraussetzungen gemäß diesem Paragraph, wenn sie Verwandter eines EWR-Staatsangehörigen oder seines Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners ist und

(a)

in einem EWR-Mitgliedstaat wohnt, in dem der EWR-Staatsangehörige ebenfalls wohnt, und von diesem Unterhalt bezieht oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebt,

(b)

die Voraussetzungen unter (a) erfüllte und den EWR-Staatsangehörigen in das Vereinigte Königreich begleitet oder ihm dorthin nachziehen möchte oder

(c)

die Voraussetzungen unter (a) erfüllte, dem EWR-Staatsangehörigen in das Vereinigte Königreich nachgezogen ist und von diesem dort weiter Unterhalt bezieht oder weiter mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebt.

(3)

Eine Person erfüllt die Voraussetzungen gemäß diesem Paragraph, wenn sie Verwandter eines EWR-Staatsangehörigen oder seines Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners ist und schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den EWR-Staatsangehörigen oder seinen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner zwingend erforderlich machen.

(6)

In dieser Verordnung ist unter ‚betreffender EWR-Staatsangehöriger‘ in Bezug auf einen Angehörigen der Familie im weiteren Sinne der EWR-Staatsangehörige zu verstehen, der selbst oder dessen Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner der Verwandte des Angehörigen der Familie im weiteren Sinne gemäß Paragraph (2), (3) oder (4) ist, oder der EWR-Staatsangehörige, der Partner des Angehörigen der Familie im weiteren Sinne gemäß Paragraph (5) ist.“

10

Regulation 17 („Ausstellung der Aufenthaltskarte“) der Einwanderungsverordnung bestimmt:

„…

(4)

Der Secretary of State kann einem nicht unter Regulation 7(3) fallenden Angehörigen der Familie im weiteren Sinne, der nicht EWR-Staatsangehöriger ist, eine Aufenthaltskarte ausstellen, wenn

(a)

derjenige, der in Bezug auf den Angehörigen der Familie im weiteren Sinne der betreffende EWR-Staatsangehörige ist, eine berechtigte Person ist oder gemäß Regulation 15 ein Recht auf Daueraufenthalt hat und

(b)

es dem Secretary of State in Anbetracht sämtlicher Umstände angebracht erscheint, die Aufenthaltskarte auszustellen.

(5)

Wird beim Secretary of State ein Antrag gemäß Paragraph (4) gestellt, führt er eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers durch und begründet im Fall der Ablehnung des Antrags seine Entscheidung, sofern dem keine Belange der nationalen Sicherheit entgegenstehen.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11

Mahbur Rahman, ein bangladeschischer Staatsangehöriger, heiratete am 31. Mai 2006 eine irische Staatsangehörige, die im Vereinigten Königreich arbeitet.

12

Daraufhin beantragten sein Bruder Muhammad Sazzadur Rahman, sein Halbbruder Fazly Rabby Islam und sein Neffe Mohibullah Rahman eine Einreiseerlaubnis für Familienangehörige von EWR-Staatsangehörigen, um als Personen, denen von den Eheleuten Rahman Unterhalt gewährt wird, ein Recht auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich zu haben. Diese Anträge wurden am 27. Juli 2006 vom Entry Clearance Officer in Bangladesch abgelehnt, da die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens nicht nachweisen konnten, dass ihnen von den Eheleuten Rahman in Bangladesch Unterhalt gewährt wurde.

13

Gegen diese ablehnende Entscheidung erhoben die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens beim Immigration Judge of the Asylum and Immigration Tribunal Klage. Dieses Gericht gab ihrer Klage am 19. Juni 2007 statt. Es entschied, dass sie sich auf Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 berufen könnten und ihre Einreise in das Vereinigte Königreich somit zu erleichtern sei. Folglich wurden den Rechtsmittelgegnern des Ausgangsverfahrens Einreiseerlaubnisse für Familienangehörige von EWR-Staatsangehörigen erteilt, und sie konnten den Eheleuten Rahman in das Vereinigte Königreich nachziehen.

14

Am 9. Januar 2008 beantragten die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens zur Bestätigung ihres Rechts auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich die Ausstellung von Aufenthaltskarten. Diese Anträge wurden vom Secretary of State mit Entscheidung vom 24. Dezember 2008 mit der Begründung abgelehnt, dass die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens weder nachgewiesen hätten, dass sie bei Frau Rahman, der betreffenden Unionsbürgerin, vor deren Ankunft im Vereinigten Königreich im selben EWR-Mitgliedstaat gewohnt hätten, noch, dass Frau Rahman ihnen weiterhin Unterhalt gewähre oder sie mit ihr im Vereinigten Königreich in häuslicher Gemeinschaft lebten.

15

Auf eine Klage gegen diese Entscheidung stellte der Immigration Judge of the Asylum and Immigration Tribunal am 6. April 2009 fest, dass den Rechtsmittelgegnern des Ausgangsverfahrens in der Tat „Unterhalt gewährt“ werde und in ihrem Fall somit eine Untersuchung gemäß Regulation 17(4) und (5) der Einwanderungsverordnung durchzuführen sei.

16

Der Secretary of State beantragte die Überprüfung dieser Entscheidung vor dem Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber). Die Überprüfung wurde mit Entscheidung vom 30. April 2009 angeordnet, und die Sache wurde an das genannte Gericht als Rechtsmittelgericht verwiesen.

17

Unter diesen Umständen hat das Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Verpflichtet Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 einen Mitgliedstaat zum Erlass von Rechtsvorschriften, um die Einreise in einen Mitgliedstaat bzw. den Aufenthalt dort für die Kategorie der Familienangehörigen im Sinne der genannten Bestimmung, die keine Unionsbürger sind, zu erleichtern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 10 Abs. 2 erfüllen können?

2.

Können sich die in Frage 1 bezeichneten Familienangehörigen auf die unmittelbare Geltung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 berufen, wenn sie keine der nach nationalen Rechtsvorschriften bestehenden Voraussetzungen erfüllen können?

3.

Gehören zur Kategorie der Familienangehörigen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 nur solche Personen, die sich in demselben Staat aufgehalten haben wie der Unionsbürger und dessen Ehegatte, bevor der Unionsbürger in den Aufnahmestaat eingereist ist?

4.

Muss die Abhängigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, auf die sich der Familienangehörige beruft, um in den Aufnahmestaat einreisen zu dürfen, kurz vor der Niederlassung des Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat bestanden haben?

5.

Darf ein Mitgliedstaat besondere Voraussetzungen hinsichtlich der Art oder Dauer der Abhängigkeit eines solchen Familienangehörigen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 vorsehen, um zu verhindern, dass eine solche Abhängigkeit nur vorgespiegelt oder unnötig herbeigeführt wird, um einem Ausländer die Einreise in sein Hoheitsgebiet oder den weiteren Aufenthalt dort zu ermöglichen?

6.

Muss die Abhängigkeit, auf die sich ein solcher Familienangehöriger beruft, um sich in dem Mitgliedstaat aufhalten zu dürfen, für eine gewisse Dauer oder auf unbestimmte Zeit im Aufnahmestaat fortbestehen, damit eine Aufenthaltskarte nach Art. 10 der Richtlinie 2004/38 ausgestellt oder verlängert werden kann, und, wenn ja, wie ist eine solche Abhängigkeit nachzuweisen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

18

Zur ersten und zur zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, ist zunächst festzustellen, dass die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 2004/38 nicht verpflichtet sind, Anträgen auf Einreise oder Aufenthalt von Personen, die nachweisen, dass sie Familienangehörige im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie sind, denen ein Unionsbürger „Unterhalt gewährt“, in allen Fällen stattzugeben.

19

Wie die Regierungen, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, und die Europäische Kommission geltend machen, geht nämlich sowohl aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 als auch aus deren allgemeiner Systematik hervor, dass der Unionsgesetzgeber eine Unterscheidung vorgenommen hat zwischen den Familienangehörigen eines Unionsbürgers im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38, die unter den Voraussetzungen der Richtlinie ein Recht auf Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat dieses Unionsbürgers und auf dortigen Aufenthalt haben, und den übrigen Familienangehörigen gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie, deren Einreise und Aufenthalt vom Aufnahmemitgliedstaat lediglich zu erleichtern sind.

20

Diese Auslegung findet eine Stütze im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38, wonach, „[u]m die Einheit der Familie im weiteren Sinne zu wahren … die Lage derjenigen Personen, die nicht als Familienangehörige im Sinne dieser Richtlinie gelten und die daher kein automatisches Einreise- und Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat genießen, von dem Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage seiner eigenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften daraufhin geprüft werden [sollte], ob diesen Personen die Einreise und der Aufenthalt gestattet werden könnte, wobei ihrer Beziehung zu dem Unionsbürger sowie anderen Aspekten, wie ihre finanzielle oder physische Abhängigkeit von dem Unionsbürger, Rechnung zu tragen ist“.

21

Somit verpflichtet Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 die Mitgliedstaaten zwar nicht dazu, Familienangehörigen im weiteren Sinne, denen von einem Unionsbürger Unterhalt gewährt wird, ein Recht auf Einreise und Aufenthalt zuzuerkennen, wohl aber – wie sich aus der Verwendung des Indikativ Präsens „erleichtert“ in dieser Bestimmung ergibt – dazu, Anträge auf Einreise und Aufenthalt von Personen, die zu einem Unionsbürger in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis stehen, gegenüber den Anträgen anderer Drittstaatsangehöriger in gewisser Weise bevorzugt zu behandeln.

22

Um diese Verpflichtung zu erfüllen, müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/38 vorsehen, dass Personen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie eine Entscheidung über ihren Antrag erhalten können, die auf einer eingehenden Untersuchung ihrer persönlichen Umstände beruht und im Fall der Ablehnung begründet wird.

23

Im Rahmen dieser Untersuchung der persönlichen Umstände des Antragstellers hat die zuständige Behörde, wie aus dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 hervorgeht, verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die je nach Fall maßgeblich sein können, z. B. den Grad der finanziellen oder physischen Abhängigkeit und den Grad der Verwandtschaft zwischen dem Familienangehörigen und dem Unionsbürger, den der Familienangehörige begleiten oder dem er nachziehen möchte.

24

Da die Richtlinie 2004/38 insofern keine genauere Regelung enthält und in ihrem Art. 3 Abs. 2 die Wendung „nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ verwendet wird, ist festzustellen, dass die einzelnen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Wahl der zu berücksichtigenden Faktoren einen großen Ermessensspielraum haben. Der Aufnahmemitgliedstaat hat allerdings dafür Sorge zu tragen, dass seine Rechtsvorschriften Kriterien enthalten, die sich mit der gewöhnlichen Bedeutung des Ausdrucks „erleichtert“ und der in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie in Bezug auf die Abhängigkeit verwendeten Begriffe vereinbaren lassen und die dieser Bestimmung nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen.

25

Schließlich ist festzustellen, dass, wie die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, zutreffend ausführen, der Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 zwar nicht so bestimmt ist, dass sich derjenige, der einen Antrag auf Einreise oder Aufenthalt stellt, unmittelbar auf diese Bestimmung berufen könnte, um Beurteilungskriterien geltend zu machen, die seiner Auffassung nach auf seinen Antrag anzuwenden sind; wer einen solchen Antrag stellt, hat aber das Recht, durch ein Gericht überprüfen zu lassen, ob sich die nationale Regelung und deren Anwendung in den Grenzen des von der Richtlinie definierten Ermessensspielraums halten (vgl. entsprechend Urteile vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a., C-72/95, Slg. 1996, I-5403, Randnr. 56, vom 7. September 2004, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, C-127/02, Slg. 2004, I-7405, Randnr. 66, sowie vom 26. Mai 2011, Stichting Natuur en Milieu u. a., C-165/09 bis C-167/09, Slg. 2011, I-4599, Randnrn. 100 bis 103).

26

Nach alledem ist auf die erste und die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist,

dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Anträgen auf Einreise oder Aufenthalt, die von nicht unter die Definition in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie fallenden Familienangehörigen eines Unionsbürgers gestellt werden, in allen Fällen stattzugeben, auch wenn die betreffenden Familienangehörigen gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie nachweisen, dass sie von dem Unionsbürger Unterhalt beziehen;

dass die Mitgliedstaaten allerdings verpflichtet sind, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Rechtsvorschriften Kriterien enthalten, die es den genannten Personen ermöglichen, eine Entscheidung über ihren Antrag auf Einreise und Aufenthalt zu erhalten, die auf einer eingehenden Untersuchung ihrer persönlichen Umstände beruht und im Fall der Ablehnung begründet wird;

– dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Wahl dieser Kriterien einen großen Ermessensspielraum haben, die Kriterien sich aber mit der gewöhnlichen Bedeutung des Ausdrucks „erleichtert“ und der in Art. 3 Abs. 2 in Bezug auf die Abhängigkeit verwendeten Begriffe vereinbaren lassen müssen und dieser Bestimmung nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen dürfen;

– dass jeder Antragsteller das Recht darauf hat, dass ein Gericht überprüft, ob die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und ihre Anwendung diese Bedingungen erfüllen.

Zur dritten und zur vierten Frage

27

Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die ebenfalls zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob zur Kategorie der Familienangehörigen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, denen ein Unionsbürger „Unterhalt gewährt“, nur gehört, wer sich in demselben Staat aufgehalten hat wie der Unionsbürger und von diesem kurz vor oder zum Zeitpunkt von dessen Niederlassung im Aufnahmemitgliedstaat Unterhalt bezogen hat.

28

Wie insbesondere das Centre for Advice on Individual Rights in Europe (AIRE Centre), die niederländische Regierung und die Kommission geltend machen, lässt der Wortlaut der Richtlinie 2004/38 nicht den Schluss zu, dass nicht unter die Definition in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie fallende Familienangehörige eines Unionsbürgers, die ihre Abhängigkeit von diesem Unionsbürger hinreichend nachgewiesen haben, allein deshalb vom Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen werden könnten, weil sie sich nicht in demselben Staat aufgehalten haben wie dieser Bürger.

29

Nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie erleichtern die Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt „jedes … Familienangehörigen …, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat …“.

30

Nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/38, der die Ausstellung der Aufenthaltskarte betrifft, können die Mitgliedstaaten von den Familienangehörigen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie ein „durch die zuständige Behörde des Ursprungs- oder Herkunftslands ausgestelltes Dokument, aus dem hervorgeht, dass die Betroffenen vom Unionsbürger Unterhalt beziehen“, verlangen.

31

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 91, 92 und 98 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass mit dem in den genannten Bestimmungen verwendeten Ausdruck „Herkunftsland“ das Land gemeint wäre, in dem sich der Unionsbürger vor seiner Niederlassung im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Vielmehr ergibt eine Zusammenschau der genannten Bestimmungen, dass bei einem Staatsangehörigen eines Drittlandes, der behauptet, dass ihm ein Unionsbürger „Unterhalt gewährt“, mit „Herkunftsland“ der Staat gemeint ist, in dem er sich aufgehalten hat, als er beantragt hat, den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen zu dürfen.

32

Was den Zeitpunkt angeht, zu dem sich der Antragsteller in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden muss, wenn bei ihm davon ausgegangen werden soll, dass ihm im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 „Unterhalt gewährt“ wird, ist festzustellen, dass diese Bestimmung nach dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie darauf abzielt, „die Einheit der Familie im weiteren Sinne zu wahren“, indem die Einreise und der Aufenthalt von Personen erleichtert werden, die nicht unter die Definition des Familienangehörigen eines Unionsbürgers in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 fallen, aber aufgrund besonderer tatsächlicher Umstände, z. B. einer finanziellen Abhängigkeit, der Zugehörigkeit zum Haushalt oder schwerwiegender gesundheitlicher Gründe, enge und stabile familiäre Beziehungen zu einem Unionsbürger haben.

33

Solche Beziehungen können allerdings auch bestehen, ohne dass der Familienangehörige des Unionsbürgers sich in demselben Staat aufgehalten hat wie der Unionsbürger und ohne dass ihm von diesem kurz vor oder zum Zeitpunkt von dessen Niederlassung im Aufnahmemitgliedstaat Unterhalt gewährt worden ist. Die Abhängigkeit muss jedoch zu dem Zeitpunkt, zu dem der betreffende Familienangehörige beantragt, dem Unionsbürger, der ihm Unterhalt gewährt, nachzuziehen, im Herkunftsstaat dieses Familienangehörigen bestehen.

34

Im Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht anhand der vorstehend genannten Auslegungskriterien zu prüfen, ob den Rechtsmittelgegnern des Ausgangsverfahrens zu dem Zeitpunkt, zu dem sie beantragt haben, dem Unionsbürger, nämlich Frau Rahman, in das Vereinigte Königreich nachziehen zu dürfen, in ihrem Herkunftsland, nämlich Bangladesch, von Frau Rahman Unterhalt gewährt worden ist. Nur wenn sie gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 den Nachweis für diese Abhängigkeit im Herkunftsland erbringen, hat der Aufnahmemitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie, wie er in den Randnrn. 22 bis 25 des vorliegenden Urteils ausgelegt worden ist, ihre Einreise und ihren Aufenthalt zu erleichtern.

35

Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass zur Kategorie der Familienangehörigen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, denen von einem Unionsbürger „Unterhalt gewährt“ wird, nur jemand gehört, bei dem die Abhängigkeit in seinem Herkunftsland besteht, und zwar zumindest zu dem Zeitpunkt, zu dem er beantragt, dem Unionsbürger nachziehen zu dürfen, der ihm Unterhalt gewährt.

Zur fünften Frage

36

Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat besondere Voraussetzungen hinsichtlich der Art oder Dauer der Abhängigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 vorsehen darf, um sich davon zu überzeugen, dass diese tatsächlich besteht und von Dauer ist und nicht allein mit dem Ziel herbeigeführt worden ist, in sein Hoheitsgebiet einreisen und sich dort aufhalten zu dürfen.

37

Hierzu ist festzustellen, dass die Mitgliedstaaten, wie aus der Antwort auf die erste und die zweite Vorlagefrage hervorgeht, hinsichtlich der Wahl der Faktoren, die bei der Prüfung der Anträge auf Einreise und Aufenthalt von Familienangehörigen eines Unionsbürgers im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 zu berücksichtigen sind, einen großen Ermessensspielraum haben.

38

Wie der Generalanwalt in Nr. 105 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können die Mitgliedstaaten, wenn sie von diesem Ermessensspielraum Gebrauch machen, in ihren Regelungen besondere Voraussetzungen hinsichtlich der Art und der Dauer der Abhängigkeit vorsehen, und zwar insbesondere, um sich davon zu überzeugen, dass die genannte Abhängigkeit tatsächlich besteht und von Dauer ist und nicht allein mit dem Ziel herbeigeführt worden ist, in den Aufnahmemitgliedstaat einreisen und sich dort aufhalten zu dürfen.

39

Allerdings müssen sich diese Voraussetzungen, wie in Randnr. 24 des vorliegenden Urteils ausgeführt, mit der gewöhnlichen Bedeutung der in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 in Bezug auf die Abhängigkeit verwendeten Begriffe vereinbaren lassen und dürfen dieser Bestimmung nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen.

40

Somit ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch machen, besondere Voraussetzungen hinsichtlich der Art und der Dauer der Abhängigkeit vorsehen können, sofern sich diese Voraussetzungen mit der gewöhnlichen Bedeutung der in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 in Bezug auf die Abhängigkeit verwendeten Begriffe vereinbaren lassen und dieser Bestimmung nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen.

Zur sechsten Frage

41

Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Ausstellung der Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 der Richtlinie 2004/38 davon abhängig gemacht werden darf, dass die Abhängigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie im Aufnahmemitgliedstaat fortbestanden hat.

42

Hierzu ist festzustellen, dass sich der Unionsgesetzgeber, was die Ausstellung der Aufenthaltskarte gemäß der Richtlinie 2004/38 angeht, im Wesentlichen darauf beschränkt hat, in Art. 10 der Richtlinie die Dokumente aufzuzählen, die vorzulegen sind, um eine solche Karte zu erhalten, die dann innerhalb von sechs Monaten nach Einreichung des Antrags auszustellen ist.

43

Hinsichtlich der Antragsteller gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 ist in Art. 10 der Richtlinie bestimmt, dass sie u. a. „ein durch die zuständige Behörde des Ursprungs- oder Herkunftslands ausgestelltes Dokument, aus dem hervorgeht, dass [sie] vom Unionsbürger [abhängig sind]“, vorzulegen haben.

44

Der Gesetzgeber hat weder in dieser Bestimmung noch in anderen Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 geregelt, ob nicht unter die Definition in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie fallenden Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die unter Vorlage eines in ihrem Herkunftsland ausgestellten Dokuments, aus dem hervorgeht, dass sie von dem Unionsbürger abhängig sind, die Ausstellung einer Aufenthaltskarte beantragen, diese Karte verweigert werden kann, weil sie nach ihrer Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat aufgehört haben, von dem Unionsbürger abhängig zu sein.

45

Somit ist auf die sechste Frage zu antworten, dass die Frage, ob die Ausstellung der Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 der Richtlinie 2004/38 davon abhängig gemacht werden kann, dass die Abhängigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie im Aufnahmemitgliedstaat fortbestanden hat, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen,

dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, Anträgen auf Einreise oder Aufenthalt, die von nicht unter die Definition in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie fallenden Familienangehörigen eines Unionsbürgers gestellt werden, in allen Fällen stattzugeben, auch wenn die betreffenden Familienangehörigen gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie nachweisen, dass sie von dem Unionsbürger Unterhalt beziehen;

dass die Mitgliedstaaten allerdings verpflichtet sind, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Rechtsvorschriften Kriterien enthalten, die es den genannten Personen ermöglichen, eine Entscheidung über ihren Antrag auf Einreise und Aufenthalt zu erhalten, die auf einer eingehenden Untersuchung ihrer persönlichen Umstände beruht und im Fall der Ablehnung begründet wird;

dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Wahl dieser Kriterien einen großen Ermessensspielraum haben, die Kriterien sich aber mit der gewöhnlichen Bedeutung des Ausdrucks „erleichtert“ und der in Art. 3 Abs. 2 in Bezug auf die Abhängigkeit verwendeten Begriffe vereinbaren lassen müssen und dieser Bestimmung nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen dürfen;

– dass jeder Antragsteller das Recht darauf hat, dass ein Gericht überprüft, ob die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und ihre Anwendung diese Bedingungen erfüllen.

 

2.

Zur Kategorie der Familienangehörigen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, denen von einem Unionsbürger „Unterhalt gewährt“ wird, gehört nur jemand, bei dem die Abhängigkeit in seinem Herkunftsland besteht, und zwar zumindest zu dem Zeitpunkt, zu dem er beantragt, dem Unionsbürger nachziehen zu dürfen, der ihm Unterhalt gewährt.

 

3.

Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch machen, besondere Voraussetzungen hinsichtlich der Art und der Dauer der Abhängigkeit vorsehen können, sofern sich diese Voraussetzungen mit der gewöhnlichen Bedeutung der in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 in Bezug auf die Abhängigkeit verwendeten Begriffe vereinbaren lassen und dieser Bestimmung nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen.

 

4.

Die Frage, ob die Ausstellung der Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 der Richtlinie 2004/38 davon abhängig gemacht werden kann, dass die Abhängigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie im Aufnahmemitgliedstaat fortbestanden hat, fällt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.