Rechtssache C-144/10

Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)

gegen

JPMorgan Chase Bank NA, Frankfurt Branch

(Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts Berlin)

„Gerichtliche Zuständigkeit in Zivilsachen – Art. 22 Nr. 2 und Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Sitzstaats für Rechtsstreitigkeiten über die Gültigkeit von Beschlüssen der Organe von Gesellschaften – Umfang – Klage einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auf Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags wegen der angeblichen Ungültigkeit der den Vertragsschluss betreffenden Entscheidungen ihrer Organe – Rechtshängigkeit – Verpflichtung des später angerufenen Gerichts zur Aussetzung – Reichweite“

Leitsätze des Urteils

Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Ausschließliche Zuständigkeiten – Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet von Gesellschaften und juristischen Personen

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 22 Nr. 2)

Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er keine Anwendung auf einen Rechtsstreit findet, in dem eine Gesellschaft geltend macht, ein Vertrag könne ihr nicht entgegengehalten werden, weil ein Beschluss ihrer Organe, der zum Abschluss des Vertrags geführt habe, wegen Verstoßes gegen ihre Satzung ungültig sei.

Diese Bestimmung erfasst nur Rechtsstreitigkeiten, die in erster Linie die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung von Gesellschaften oder juristischen Personen oder die Gültigkeit von Beschlüssen ihrer Organe betreffen. Fragen, die die Gültigkeit eines Beschlusses von Gesellschaftsorganen einer der Parteien über den Abschluss eines Vertrags betreffen, sind im Rahmen eines Vertragsrechtsstreits als akzessorisch anzusehen. Der Gegenstand eines solchen Rechtsstreits weist nicht unbedingt einen besonders engen Zusammenhang mit dem Gerichtsstand des Sitzes der Partei auf, die sich auf die angebliche Ungültigkeit eines Beschlusses ihrer eigenen Organe beruft. Es würde somit einer geordneten Rechtspflege zuwiderlaufen, solche Rechtsstreitigkeiten der ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats zu unterstellen, in dem eine der Vertragsparteien ihren Sitz hat.

(vgl. Randnrn. 39, 41, 44, 47 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

12. Mai 2011(*)

„Gerichtliche Zuständigkeit in Zivilsachen – Art. 22 Nr. 2 und Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Sitzstaats für Rechtsstreitigkeiten über die Gültigkeit von Beschlüssen der Organe von Gesellschaften – Umfang – Klage einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auf Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags wegen der angeblichen Ungültigkeit der den Vertragsschluss betreffenden Entscheidungen ihrer Organe –Rechtshängigkeit – Verpflichtung des später angerufenen Gerichts zur Aussetzung – Reichweite“

In der Rechtssache C‑144/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Kammergericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. März 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 18. März 2010, in dem Verfahren

Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)

gegen

JPMorgan Chase Bank NA, Frankfurt Branch,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter D. Šváby, E. Juhász, G. Arestis und T. von Danwitz,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Anstalt des öffentlichen Rechts, vertreten durch Rechtsanwälte C. Stempfle und C. Volohonsky sowie durch T. Lord, Barrister,

–        der JPMorgan Chase Bank NA, Frankfurt Branch, vertreten durch Rechtsanwälte K. Saffenreuther und C. Schmitt,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte im Beistand von A. Henshaw, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A.‑M. Rouchaud‑Joët, S. Grünheid und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 22 Nr. 2 und Art. 27 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), Anstalt des öffentlichen Rechts (im Folgenden: BVG), und der JPMorgan Chase Bank NA (im Folgenden: JPM), Frankfurt Branch, betreffend einen Vertrag über ein Finanzderivat.

 Rechtlicher Rahmen

3        Im elften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:

„Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der … Vorschriften zu stärken …“

4        Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung ist in Zivil‑ und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.“

5        Art. 2 Abs. 1 der genannten Verordnung lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

6        Art. 22 Nrn. 1, 2 und 4 der Verordnung, der zu Kapitel II Abschnitt 6 gehört, bestimmt:

„Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig:

1.      für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist.

2.      für Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung darüber, wo der Sitz sich befindet, wendet das Gericht die Vorschriften seines Internationalen Privatrechts an;

4.      für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines Gemeinschaftsrechtsakts oder eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt.

…“

7        Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor:

„(1)      Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. …

(5)      Gerichtsstandsvereinbarungen und entsprechende Bestimmungen in Trust-Bedingungen haben keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften der Artikel 13, 17 und 21 zuwiderlaufen oder wenn die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 22 ausschließlich zuständig sind.“

8        Art. 25 dieser Verordnung lautet:

„Das Gericht eines Mitgliedstaats hat sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn es wegen einer Streitigkeit angerufen wird, für die das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund des Artikels 22 ausschließlich zuständig ist.“

9        Art. 27 der genannten Verordnung bestimmt:

„(1)      Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.

(2)      Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.“

10      Art. 33 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.“

11      Art. 35 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:

„Eine Entscheidung wird ferner nicht anerkannt, wenn die Vorschriften der Abschnitte 3, 4 und 6 des Kapitels II verletzt worden sind oder wenn ein Fall des Artikels 72 vorliegt.“

12      Art. 38 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind.“

13      Art. 60 Abs. 1 der genannten Verordnung sieht vor:

„Gesellschaften und juristische Personen haben für die Anwendung dieser Verordnung ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich

a)      ihr satzungsmäßiger Sitz,

b)      ihre Hauptverwaltung oder

c)      ihre Hauptniederlassung

befindet.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14      Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass JPM, eine amerikanische Investmentbank mit Sitz in New York (Vereinigte Staaten) und verschiedenen Niederlassungen und Tochtergesellschaften in Europa, u. a. in Deutschland und im Vereinigten Königreich, und BVG, eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit Sitz in Berlin (Deutschland), die im Land Berlin Dienstleistungen des öffentlichen Personennahverkehrs erbringt, am 19. Juli 2007 gemäß einer Handelsbestätigung („trade confirmation“) ein Geschäft mit der Bezeichnung „Independent Collateral Enhancement Transaction“ abschlossen, das u. a. einen Vertrag (im Folgenden: JPM‑Swap‑Vertrag) umfasste. Dieser Vertrag enthält eine Gerichtsstandvereinbarung, mit der die Zuständigkeit englischer Gerichte begründet wird.

15      Aus den Akten ergibt sich, dass sich BVG gemäß dem JPM‑Swap-Vertrag u. a. verpflichtet hat, an JPM Beträge von bis zu 220 Millionen USD zu zahlen, falls Zahlungen an bestimmte oder von bestimmten Drittgesellschaften eingestellt werden, und dass sie als Gegenleistung eine Prämie von etwa 7,8 Millionen USD erhalten hat.

 Das von JPM und ihrer britischen Tochtergesellschaft in England anhängig gemachte Verfahren

16      JPM trägt vor, dass seit September 2008 einige vom JPM‑Swap-Vertrag erfasste Drittgesellschaften ihre Zahlungen eingestellt hätten und dass sie BVG daher zur Zahlung der nach diesem Vertrag geschuldeten Beträge aufgefordert habe. Da BVG die Zahlung dieser Beträge verweigerte, verklagten die Londoner Niederlassung von JPM und deren britische Tochtergesellschaft BVG am 10. Oktober 2008 vor dem High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Commercial Court) (Vereinigtes Königreich) (im Folgenden: High Court), dem gemäß dem JPM‑Swap-Vertrag und somit grundsätzlich gemäß Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 zuständigen Gericht. Diese Klage hatte die Zahlung von rund 112 Millionen USD aufgrund der Zahlungsverpflichtungen von BVG aus dem JPM‑Swap-Vertrag oder von Schadensersatz in gleicher Höhe zum Gegenstand. Außerdem sollte das Gericht eine Reihe von „Declarations“ aussprechen, mit denen im Wesentlichen festgestellt werden sollte, dass BVG den JPM‑Swap-Vertrag aus freien Stücken geschlossen habe, ohne sich dabei auf von JPM oder ihrer britischen Tochtergesellschaft erbrachte Beratungsleistungen zu stützen, und dass der Vertrag daher wirksam und vollstreckbar sei.

17      BVG wandte gegen die Klage von JPM und ihrer Tochtergesellschaft ein, sie sei zur Zahlung nicht verpflichtet, da JPM sie in Bezug auf den JPM‑Swap-Vertrag fehlerhaft beraten habe. Weiter brachte sie zu ihrer Verteidigung vor, der JPM‑Swap-Vertrag sei unwirksam, weil sie bei seinem Abschluss ultra vires (außerhalb ihres Aufgaben- und Wirkungskreises) gehandelt habe und die Beschlüsse ihrer Organe, die zum Abschluss dieser Vereinbarung geführt hätten, deshalb nichtig seien.

18      BVG stellte auch einen Antrag, wonach sich der High Court zugunsten der deutschen Gerichte, die gemäß Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 ausschließlich zuständig seien, für unzuständig erklären sollte. Mit Urteil vom 7. September 2009 wies der High Court diesen Antrag zurück. Auf die Berufung von BVG bestätigte der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) diese Entscheidung mit Urteil vom 28. April 2010, ohne den Ausgang des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens abzuwarten. Einem Antrag auf Zulassung eines Rechtsmittels beim Supreme Court (Vereinigtes Königreich) wurde stattgegeben. Mit Entscheidung vom 21. Dezember 2010 reichte der Supreme Court im Rahmen dieses Rechtsmittelverfahrens ein Vorabentscheidungsersuchen ein, das am 7. Februar 2011 beim Gerichtshof einging und unter dem Aktenzeichen C‑54/11 im Register eingetragen wurde.

 Das von BVG in Deutschland anhängig gemachte Verfahren

19      Am 9. März 2009 reichte BVG beim Landgericht Berlin (Deutschland) Klage gegen die JPM-Niederlassung Frankfurt am Main ein und beantragte erstens, festzustellen, dass der JPM‑Swap-Vertrag unwirksam sei, weil BVG nach ihrer Satzung in Bezug auf den Vertragsgegenstand ultra vires gehandelt habe, zweitens und hilfsweise, JPM zu verurteilen, BVG als Ausgleich für ihren Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Beratung durch JPM von etwaigen Verpflichtungen aus dem JPM‑Swap-Vertrag freizustellen, und drittens, JPM zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen.

20      Im Rahmen dieses Rechtsstreits macht BVG u. a. geltend, dass das später angerufene Landgericht Berlin gemäß Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 ausschließlich zuständig sei, weshalb dieses Gericht das Verfahren ohne Rücksicht auf das in England anhängige Verfahren betreiben müsse und es nicht nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 aussetzen dürfe. Das Landgericht Berlin setzte jedoch mit Beschluss vom 26. Mai 2009 das Verfahren aus. BVG legte hiergegen sofortige Beschwerde beim Landgericht Berlin ein. Da dieses Gericht der sofortigen Beschwerde nicht abhalf, wurde die Rechtssache nach dem geltenden deutschen Verfahrensrecht von Amts wegen dem Kammergericht Berlin (Deutschland) vorgelegt.

21      Das Kammergericht Berlin ist ebenso wie das Landgericht Berlin der Auffassung, dass sowohl in Bezug auf das in England als auch in Bezug auf das in Deutschland anhängig gemachte Verfahren Rechtshängigkeit im Sinne von Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 vorliege. Daher hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Erstreckt sich der Anwendungsbereich von Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auch auf Rechtsstreitigkeiten, in denen eine Gesellschaft oder juristische Person ihrer Inanspruchnahme aus einem Rechtsgeschäft eine sich aus Satzungsverstößen ergebende Unwirksamkeit von Beschlüssen ihrer Organe, die zum Abschluss des Rechtsgeschäfts geführt haben, entgegenhält?

2.      Findet, sofern die Frage zu 1 bejaht wird, Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auch Anwendung auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, sofern die Wirksamkeit der Beschlüsse ihrer Organe von Zivilgerichten zu überprüfen ist?

3.      Ist, sofern die Frage zu 2 bejaht wird, das Gericht des in einem Rechtsstreit zuletzt angerufenen Mitgliedstaats nach Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 auch dann zur Aussetzung des Verfahrens verpflichtet, wenn gegenüber einer Gerichtsstandsvereinbarung geltend gemacht wird, diese sei aufgrund eines nach dem Statut einer Partei unwirksamen Beschlusses ihrer Organe ebenfalls unwirksam?

 Zu den Vorlagefragen

22      In der vorliegenden Rechtssache werden im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits zwischen BVG und JPM über den JPM‑Swap-Vertrag, in dem es um ein Finanzderivat geht, drei Fragen zur Auslegung von Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 gestellt. Während JPM, gestützt auf eine in diesem Vertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung, eine Klage bei den englischen Gerichten eingereicht hat, die im Wesentlichen auf die Erfüllung des genannten Vertrags gerichtet ist, hat BVG parallel dazu eine Klage bei den deutschen Gerichten eingereicht, mit der sie beantragt, die Unwirksamkeit des Vertrags festzustellen, insbesondere weil sie nach ihrer Satzung in Bezug auf den Vertragsgegenstand ultra vires gehandelt habe.

 Zur ersten Frage

23      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er auf einen Rechtsstreit Anwendung findet, in dem eine Gesellschaft geltend macht, ein Vertrag könne ihr nicht entgegengehalten werden, weil ein Beschluss ihrer Organe, der zu seinem Abschluss geführt habe, wegen Verstoßes gegen ihre Satzung ungültig sei.

24      Das vorlegende Gericht wirft diese Frage vor dem Hintergrund seiner Feststellung auf, dass BVG sich inzident bzw. als Vorfrage auf die Ungültigkeit ihrer eigenen Beschlüsse berufe. Sowohl in Bezug auf das Verfahren in England als auch in Bezug auf das Verfahren in Deutschland liege Rechtshängigkeit im Sinne von Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 vor, da diese Verfahren beide dieselbe Verbindlichkeit beträfen, die aus dem JPM‑Swap-Vertrag hergeleitet werde, dessen Wirksamkeit daher in beiden Verfahren zu prüfen sei.

25      Daher bilde der auf diese Verbindlichkeit gestützte vertragliche Anspruch den Gegenstand jedes dieser beiden Verfahren. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts betreffe die Anwendbarkeit des Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 im Rahmen einer „lediglich inzidenter erforderliche[n] Überprüfung der statuarischen Wirksamkeit von Organbeschlüssen“.

26      Hinsichtlich des Wortlauts des Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 besteht eine gewisse Abweichung zwischen den verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung. Nach einigen dieser Sprachfassungen ist nämlich das Gericht des Sitzes einer Gesellschaft oder einer anderen juristischen Person „im Bereich“ der Gültigkeit, Nichtigkeit oder Auflösung einer Gesellschaft oder der Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe ausschließlich zuständig. Dagegen sehen andere Fassungen eine solche Zuständigkeit vor, wenn ein Rechtsstreit eine solche Frage zum „Gegenstand“ hat.

27      Die zweite Formulierung legt im Gegensatz zur ersten nahe, dass nur ein Rechtsstreit, in dem in erster Linie die Gültigkeit einer Gesellschaft oder eines Beschlusses der Organe einer Gesellschaft geltend gemacht wird, von dieser Bestimmung der Verordnung Nr. 44/2001 erfasst ist.

28      Die verschiedenen sprachlichen Fassungen einer Unionsvorschrift müssen nach gefestigter Rechtsprechung jedoch einheitlich ausgelegt werden; falls die Fassungen voneinander abweichen, muss die Vorschrift daher anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. u. a. Urteil vom 29. April 2004, Plato Plastik Robert Frank, C‑341/01, Slg. 2004, I‑4883, Randnr. 64, und vom 29. April 2010, M u. a., C‑340/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 44).

29      Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 ist daher unter Berücksichtigung noch anderer Gesichtspunkte als seines Wortlauts auszulegen, insbesondere der allgemeinen Systematik und des Zwecks dieser Verordnung.

30      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehene Zuständigkeit, d. h. die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, die allgemeine Regel darstellt, und dass die genannte Verordnung besondere Zuständigkeitsregeln nur als Ausnahme von dieser Regel für abschließend aufgeführte Fälle vorsieht, in denen eine Person vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats – je nach Lage des Falles – verklagt werden kann oder muss (vgl. Urteil vom 13. Juli 2006, Reisch Montage, C‑103/05, Slg. 2006, I‑6827, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher hat der Gerichtshof die Bestimmungen des Art. 22 der Verordnung Nr. 44/2001 eng ausgelegt (Urteil vom 2. Oktober 2008, Hassett und Doherty, C‑372/07, Slg. 2008, I‑7403, Randnrn. 18 und 19). Er hat nämlich entschieden, dass die Bestimmungen des Art. 16 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32, im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen), die mit denen des Art. 22 der Verordnung Nr. 44/2001 im Wesentlichen identisch sind, als Ausnahme von den allgemeinen Zuständigkeitsregeln nicht weiter ausgelegt werden dürfen, als es ihr Ziel erfordert (vgl. Urteile vom 14. Dezember 1977, Sanders, 73/77, Slg. 1977, 2383, Randnrn. 17 und 18, vom 27. Januar 2000, Dansommer, C‑8/98, Slg. 2000, I‑393, Randnr. 21, und vom 18. Mai 2006, ČEZ, C‑343/04, Slg. 2006, I‑4557, Randnr. 26).

31      Dieser Ansatz ist auf den vorliegenden Zusammenhang zu übertragen, in dem sich die Frage der Anwendbarkeit des Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 stellt (vgl. in diesem Sinne Urteile Hassett und Doherty, Randnrn. 18 und 19, vom 23. April 2009, Draka NK Cables u. a., C‑167/08, Slg. 2009, I‑3477, Randnr. 20, und vom 10. September 2009, German Graphics Graphische Maschinen, C‑292/08, Slg. 2009, I‑8421, Randnr. 27).

32      Zwar haben nach Art. 23 Abs. 5 der Verordnung Nr. 44/2001 Gerichtsstandsvereinbarungen keine rechtliche Wirkung, wenn die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Art. 22 ausschließlich zuständig sind. Dieser Vorrang der Bestimmungen des Art. 22 rechtfertigt jedoch nicht ihre weite Auslegung. Im Gegenteil, eine enge Auslegung des Art. 22 Nr. 2, die nicht über das hinausgeht, was die mit dieser Bestimmung verfolgten Ziele erfordern, ist umso mehr geboten, als die darin aufgestellte Zuständigkeitsregel ausschließlich ist, so dass ihre Anwendung den Parteien eines Vertrags jegliche Freiheit nähme, einen anderen Gerichtsstand zu wählen.

33      Insoweit würde eine weite Auslegung des Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001, nach der dieser auf jeden Rechtsstreit Anwendung fände, in dem eine Frage aufgeworfen wird, die die Wirksamkeit von Beschlüssen der Organe einer Gesellschaft betrifft, einem der allgemeinen Ziele dieser Verordnung, das im elften Erwägungsgrund der Verordnung formuliert ist und in dem Bestreben besteht, ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften zu erreichen, sowie dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderlaufen.

34      Wenn nämlich jeder Rechtsstreit über einen Beschluss eines Gesellschaftsorgans unter Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 fiele, hieße das in der Praxis, dass Klagen gegen eine Gesellschaft – seien sie vertraglicher, deliktischer oder sonstiger Art – nahezu immer in die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats fielen, in dem diese Gesellschaft ihren Sitz hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Hassett und Doherty, Randnr. 23). Eine Gesellschaft brauchte sich nämlich lediglich vorab auf die angebliche Ungültigkeit von Beschlüssen ihrer Organe zu berufen, die zum Abschluss eines Vertrags oder zum Eintritt eines schädigenden Ereignisses geführt haben, um zu erreichen, dass die ausschließliche Zuständigkeit einseitig dem Gericht an ihrem Sitz zugewiesen wird.

35      Das oben genannte Ziel der Vorhersehbarkeit würde nicht erreicht, wenn die Anwendbarkeit einer Regel über die gerichtliche Zuständigkeit, die auf das Wesen des Rechtsstreits abstellt, in Ermangelung einer entsprechenden ausdrücklichen Bestimmung in der Verordnung Nr. 44/2001 von einer Vorfrage, die jederzeit von einer der Parteien aufgeworfen werden kann, abhängen könnte – mit der Begründung, dass das Wesen des Rechtsstreits dadurch geändert würde.

36      Zudem besteht ein weiteres Ziel der Zuständigkeitsregeln, die sich aus den Bestimmungen des Art. 22 der Verordnung Nr. 44/2001 ergeben, darin, den Gerichten eines Mitgliedstaats eine ausschließliche Zuständigkeit in besonderen Fällen zuzuweisen, in denen sie im Hinblick auf den betroffenen Bereich wegen des besonders engen Zusammenhangs zwischen diesen Rechtsstreitigkeiten und dem genannten Mitgliedstaat am besten in der Lage sind, über die darunter fallenden Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden.

37      Daher weist Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 die Zuständigkeit für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten, die die Gültigkeit von Beschlüssen der Organe einer Gesellschaft betreffen, den Gerichten am Sitz dieser Gesellschaft zu. Diese Gerichte sind nämlich am besten in der Lage, über Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, in denen es ausschließlich oder in erster Linie um eine solche Frage geht.

38      Bei einem Rechtsstreit vertraglicher Natur stehen jedoch Fragen der Wirksamkeit, der Auslegung oder der Wirkungen des Vertrags im Mittelpunkt und stellen seinen Gegenstand dar. Fragen, die die Gültigkeit des Beschlusses über den Abschluss dieses Vertrags betreffen, der vorher von den Gesellschaftsorganen einer der Parteien getroffen wurde, sind als akzessorisch anzusehen. Sie können zwar Bestandteil der Prüfung sein, die insoweit vorgenommen werden muss, stellen jedoch weder ihren einzigen noch auch nur ihren Hauptgegenstand dar.

39      Daher weist der Gegenstand eines solchen Rechtsstreits nicht unbedingt einen besonders engen Zusammenhang mit dem Gerichtsstand des Sitzes der Partei auf, die sich auf die angebliche Ungültigkeit eines Beschlusses ihrer eigenen Organe beruft. Es würde somit einer geordneten Rechtspflege zuwiderlaufen, solche Rechtsstreitigkeiten der ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats zu unterstellen, in dem eine der Vertragsparteien ihren Sitz hat.

40      Darüber hinaus stünde eine weite Auslegung des Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auch nicht im Einklang mit dem eigentlichen Ziel dieser Bestimmung, das lediglich darin besteht, die Zuständigkeit für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten, die das Bestehen von Gesellschaften und die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe betreffen, an einem Ort zu lokalisieren, um einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil Hassett und Doherty, Randnr. 20). Dieses Ziel beschränkt sich nämlich auf die Rechtsstreitigkeiten, die die genannten Fragen betreffen. Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 zielt somit nicht darauf ab, die Zuständigkeit für die Entscheidung aller Rechtsstreitigkeiten, die einen Vertrag betreffen, an dem eine juristische Person beteiligt ist, die sich zu ihrer Verteidigung auf die Unwirksamkeit der Beschlüsse ihrer Organe beruft, an einem Ort zu lokalisieren.

41      Wie in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt, sind Fragen, die die Gültigkeit eines Beschlusses von Gesellschaftsorganen einer der Parteien über den Abschluss eines Vertrags betreffen, im Rahmen eines Vertragsrechtsstreits als akzessorisch anzusehen. Ein solcher Rechtsstreit kann grundsätzlich nicht zu einander widersprechenden Entscheidungen von Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten führen, da parallel gestellte Anträge oder Gegenanträge, die auf denselben Vertrag gestützt werden, grundsätzlich einen von Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 erfassten Fall der Rechtshängigkeit darstellen und Entscheidungen, die vom zuständigen Gericht erlassen werden, gemäß Art. 33 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 in allen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden müssen.

42      Nach alledem würde eine weite Auslegung des Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001, nach der diese Bestimmung auf jeden Rechtsstreit Anwendung fände, in dem eine Frage aufgeworfen wird, die die Gültigkeit eines Beschlusses der Organe einer Gesellschaft betrifft, den Anwendungsbereich dieser Bestimmung über das ausdehnen, was die mit ihr verfolgten Ziele erfordern.

43      Im Jenard-Bericht zum Brüsseler Übereinkommen (ABl. 1979, C 59, S. 1), in dem die Bestimmungen dieses Übereinkommens kommentiert werden und dessen Ergebnisse für die Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 entsprechend zu berücksichtigen sind, wird bestätigt, dass eine enge Auslegung des Art. 16 Abs. 2 dieses Übereinkommens und somit des Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 sachgemäß ist. Nach diesem Bericht begründet Art. 16 Abs. 2 des Übereinkommens die ausschließliche Zuständigkeit, wenn sich die „Hauptklage“ auf die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung der betreffenden Gesellschaft oder juristischen Person oder der Beschlüsse ihrer Organe bezieht.

44      Daher ist die in Randnr. 26 des vorliegenden Urteils festgestellte Unstimmigkeit zwischen den Sprachfassungen des Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin aufzulösen, dass diese Bestimmung so ausgelegt wird, dass sie nur Rechtsstreitigkeiten erfasst, die in erster Linie die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung von Gesellschaften oder juristischen Personen oder die Gültigkeit von Beschlüssen ihrer Organe betreffen.

45      Diesem Ergebnis steht das im Vorlagebeschluss genannte Urteil vom 13. Juli 2006, GAT (C‑4/03, Slg. 2006, I‑6509), nicht entgegen, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass Art. 16 Nr. 4 des Brüsseler Übereinkommens – eine im Wesentlichen mit Art. 22 Nr. 4 der Verordnung Nr. 44/2001 identische Bestimmung – auf alle Rechtsstreitigkeiten Anwendung findet, in denen die Gültigkeit eines Patents in Frage gestellt wird, unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird, so dass den Gerichten des Staates, in dem das Patent eingetragen wurde, insoweit eine ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist.

46      Diese Rechtsprechung ist nämlich nicht auf Rechtsstreitigkeiten übertragbar, in denen es um eine Frage geht, die die Gültigkeit eines Beschlusses der Organe einer Gesellschaft betrifft. Da die Gültigkeit des betreffenden Patents insbesondere im Rahmen von Verletzungsklagen eine unverzichtbare Voraussetzung ist, liegt es im Interesse einer geordneten Rechtspflege, den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem die Hinterlegung oder Registrierung dieses Patents beantragt oder vorgenommen worden ist, eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung aller Rechtsstreitigkeiten zuzuweisen, in denen diese Gültigkeit angefochten wird, da diese Gerichte am besten in der Lage sind, über diese Frage zu entscheiden. Wie in den Randnrn. 37 bis 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gilt dies nicht für die Gerichte am Sitz einer Gesellschaft, die Partei eines Vertragsrechtsstreits ist und sich auf die Ungültigkeit des Beschlusses ihrer Organe über den Abschluss des Vertrags beruft.

47      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 22 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er keine Anwendung auf einen Rechtsstreit findet, in dem eine Gesellschaft geltend macht, ein Vertrag könne ihr nicht entgegengehalten werden, weil ein Beschluss ihrer Organe, der zum Abschluss des Vertrags geführt habe, wegen Verstoßes gegen ihre Satzung ungültig sei.

 Zur zweiten und zur dritten Frage

48      Angesichts der Antwort auf die erste Frage ist eine Beantwortung der zweiten und der dritten Frage nicht erforderlich.

 Kosten

49      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 22 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er keine Anwendung auf einen Rechtsstreit findet, in dem eine Gesellschaft geltend macht, ein Vertrag könne ihr nicht entgegengehalten werden, weil ein Beschluss ihrer Organe, der zum Abschluss des Vertrags geführt habe, wegen Verstoßes gegen ihre Satzung ungültig sei.

Unterschriften


*Verfahrenssprache: Deutsch.