Rechtssache C-101/08

Audiolux SA u. a

gegen

Groupe Bruxelles Lambert SA (GBL) u. a.

und

Bertelsmann AG u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Cour de cassation [Luxemburg])

„Richtlinien 77/91/EWG, 79/279/EWG und 2004/25/EG – Allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts betreffend den Schutz von Minderheitsaktionären – Nichtbestehen – Gesellschaftsrecht – Übernahme der Kontrolle – Pflichtangebot – Empfehlung 77/534/EWG – Wohlverhaltensregeln“

Leitsätze des Urteils

Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Schutz der Minderheitsaktionäre

(Richtlinie 2004/25 des Europäischen Parlaments und des Rates, 8. Erwägungsgrund und Art. 3 § 1 Buchst. a; Richtlinien 77/91, Art. 20 und 42, und 79/279 des Rates, Anhang; Empfehlung der Kommission 77/534, Anhang)

Das Gemeinschaftsrecht enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, vermöge dessen die Minderheitsaktionäre dadurch geschützt sind, dass der Hauptaktionär, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt oder ausübt, verpflichtet ist, ihre Aktien zu den gleichen Bedingungen aufzukaufen wie denen, die beim Erwerb einer Beteiligung vereinbart wurden, mit der dem Hauptaktionär die Kontrolle verschafft oder seine Kontrolle verstärkt wird.

Der bloße Umstand, dass es im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht verschiedene Vorschriften zum Schutz von Minderheitsaktionären gibt, genügt nämlich für sich genommen noch nicht für den Nachweis der Existenz eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts, insbesondere wenn ihr Anwendungsbereich auf sehr genau festgelegte und bestimmte Rechte beschränkt ist. Für den Nachweis eines solchen Grundsatzes ist es erforderlich, festzustellen, ob solche Vorschriften schlüssige Indizien für die Existenz des gesuchten Grundsatzes bieten, da diese Vorschriften nur einen Indizwert haben, soweit sie zwingend formuliert sind.

Erstens sind aber die Art. 20 und 42 der Richtlinie 77/91 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, und Nr. 2 Buchst. a des Schemas C im Anhang der Richtlinie 79/279 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse auf ganz bestimmte Sachlagen anwendbar, die sich deutlich von der eines Hauptaktionärs unterscheiden, der eine Beteiligung erworben hat, mit der ihm zu besonderen Bedingungen die Kontrolle an einer Gesellschaft verschafft oder seine Kontrolle verstärkt wird; diese Bestimmungen beschränken sich im Wesentlichen darauf, sehr spezifische gesellschaftsrechtliche Fallkonstellationen zu regeln, indem sie der Gesellschaft bestimmte Verpflichtungen zum Schutz aller Aktionäre auferlegen. Ihnen fehlt somit der allgemeine übergreifende Charakter, der sonst allgemeinen Rechtsgrundsätzen naturgemäß innewohnt.

Zweitens ist, was den dritten allgemeinen Grundsatz und den ergänzenden Grundsatz Nr. 17 der Wohlverhaltensregeln in der Anlage zur Empfehlung 77/534 sowie die Richtlinie 2004/25 betreffend Übernahmeangebote angeht, weder in diesen Regeln noch in der Richtlinie ausdrücklich von der Existenz eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf den Schutz von Minderheitsaktionären die Rede. Zum einen haben die von den Wohlverhaltensregeln empfohlenen Grundsätze als Rechtsquelle denselben Wert wie die auf den Märkten gebräuchlichen Grundsätze, was unvereinbar mit der Hypothese ist, dass hinter dem dritten allgemeinen Grundsatz und dem ergänzenden Zusatz Nr. 17 der Wohlverhaltensregeln ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts steht. Zum anderen bringt keine dieser Bestimmungen der Wohlverhaltensregeln die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre uneingeschränkt und zwingend zum Ausdruck. Die Art. 1, 5 Abs. 1, 15 und 16 der Richtlinie 2004/25 sind auf spezielle Situationen anwendbar, so dass aus ihnen kein allgemeiner Grundsatz mit einem bestimmten Inhalt abgeleitet werden kann. Diesen Bestimmungen fehlt auch der allgemeine übergreifende Charakter, der allgemeinen Rechtsgrundsätzen naturgemäß innewohnt. Ferner ist zwar im achten Erwägungsgrund dieser Richtlinie von allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts die Rede, doch stellt dieser Erwägungsgrund nur auf Verfahrensgarantien ab und weist keinen Bezug zu einem Grundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären auf. Ebenso wenig kann aus der Verwendung der Begriffe „Allgemeine Grundsätze“ in Art. 3 dieser Richtlinie geschlossen werden, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber damit die in diesem Artikel genannten Grundsätze mit allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gleichzusetzen beabsichtigte. Wie aus der Wendung „zur Umsetzung dieser Richtlinie“ hervorgeht, handelt es sich nur um Leitprinzipien für die Umsetzung dieser Richtlinie durch die Mitgliedstaaten.

Außerdem kann die Behandlung, die darauf abzielt, den Hauptaktionär zum Vertragsabschluss mit allen Minderheitsaktionären zu denselben Bedingungen wie denen zu verpflichten, die beim Erwerb einer die Kontrolle verschaffenden oder verstärkenden Beteiligung vereinbart wurden, und die zu einem entsprechenden Recht aller Aktionäre führen soll, ihre Aktien an den Hauptaktionär zu verkaufen, nicht als spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich des Gesellschaftsrechts aufgefasst werden. Dieser Grundsatz kann nämlich für sich genommen weder eine besondere Pflicht des Hauptaktionärs zugunsten der anderen Aktionäre entstehen lassen noch die spezielle Situation definieren, an die eine solche Pflicht anknüpft. Er kann auch nicht die Auswahl zwischen verschiedenen denkbaren Mitteln des Schutzes der Minderheitsaktionäre bestimmen, wie sie in den Wohlverhaltensregeln in der Anlage zur Empfehlung 77/534 und in dieser Empfehlung selbst empfohlen werden. Eine solche Behandlung setzt gesetzgeberische Entscheidungen voraus, die auf der Abwägung der in Rede stehenden Interessen und im Vorhinein festgelegten klaren und detaillierten Regeln beruhen, und kann nicht aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitet werden. Die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts haben nämlich Verfassungsrang, während die besagte Behandlung durch eine Detailliertheit gekennzeichnet ist, die eine gesetzgeberische Ausarbeitung erforderlich macht, die auf Gemeinschaftsebene durch einen Rechtsakt des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts erfolgt. Diese Behandlung kann daher nicht als ein selbständiger allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts angesehen werden

(vgl. Randnrn. 34, 42-45, 50-51, 55, 57, 61-64 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

15. Oktober 2009(*)

„Richtlinien 77/91/EWG, 79/279/EWG und 2004/25/EG – Allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts betreffend den Schutz von Minderheitsaktionären – Nichtbestehen – Gesellschaftsrecht – Übernahme der Kontrolle – Pflichtangebot – Empfehlung 77/534/EWG – Wohlverhaltensregeln“

In der Rechtssache C‑101/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Luxemburg) mit Entscheidung vom 21. Februar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 5. März 2008, in dem Verfahren

Audiolux SA u. a.

gegen

Groupe Bruxelles Lambert SA (GBL) u. a.,

Bertelsmann AG u. a.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz (Berichterstatter),

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: N. Nanchev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Audiolux SA u. a., vertreten durch A. Elvinger und M. Elvinger, avocats,

–        der Groupe Bruxelles Lambert SA (GBL) u. a., vertreten durch J. Loesch, G. Loesch und P. Van Ommeslaghe, avocats,

–        der Bertelsmann AG u. a., vertreten durch G. Harles und P.‑E. Partsch, avocats,

–        der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.‑C. Gracia als Bevollmächtigte,

–        von Irland, vertreten durch D. O’Hagan, Solicitor, im Beistand von D. Barniville, SC, und A. O’Neill, BL,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Braun und O. Beynet als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 30. Juni 2009

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Frage, ob es im Gemeinschaftsrecht einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären gibt, vermöge dessen die Minderheitsaktionäre dadurch geschützt sind, dass der Hauptaktionär, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt oder ausübt, verpflichtet ist, ihre Aktien zu den gleichen Bedingungen aufzukaufen wie denen, die beim Erwerb einer Beteiligung an dieser Gesellschaft vereinbart wurden, mit der dem Hauptaktionär die Kontrolle verschafft oder seine Kontrolle verstärkt wird, sowie gegebenenfalls die Wirkungen eines solchen Grundsatzes in zeitlicher Hinsicht.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Minderheitsaktionären der Gesellschaft RTL Group (im Folgenden: RTL) und den Gesellschaften Groupe Bruxelles Lambert SA (GBL) (im Folgenden: GBL), Bertelsmann AG (im Folgenden: Bertelsmann) sowie RTL über zwischen GBL und Bertelsmann getroffene Vereinbarungen.

 Rechtlicher Rahmen

3        Der fünfte Erwägungsgrund der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. 1977, L 26, S. 1), lautet:

„Im Hinblick auf die in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) verfolgten Ziele ist es erforderlich, dass die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bei Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen die Beachtung der Grundsätze über die Gleichbehandlung der Aktionäre, die sich in denselben Verhältnissen befinden, und den Schutz der Gläubiger von Forderungen, die bereits vor der Entscheidung über die Herabsetzung bestanden, sicherstellen und für die harmonisierte Durchführung dieser Grundsätze Sorge tragen“.

4        Art. 20 Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten brauchen Artikel 19 [der den Erwerb eigener Aktien durch eine Gesellschaft bestimmten Bedingungen unterwirft] nicht anzuwenden

d)      auf Aktien, die auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung oder einer gerichtlichen Entscheidung zum Schutz der Minderheitsaktionäre, insbesondere im Falle der Verschmelzung, der Änderung des Gegenstands oder der Rechtsform der Gesellschaft, der Verlegung des Sitzes der Gesellschaft ins Ausland oder der Einführung von Beschränkungen der Übertragbarkeit von Aktien erworben werden;

f)      auf Aktien, die erworben werden, um Minderheitsaktionäre verbundener Gesellschaften zu entschädigen;

…“

5        Art. 42 der Richtlinie 77/91 bestimmt:

„Für die Anwendung dieser Richtlinie müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden.“

6        In Randnr. 6 der Empfehlung 77/534/EWG der Kommission vom 25. Juli 1977 betreffend europäische Wohlverhaltensregeln für Wertpapiertransaktionen (ABl. L 212, S. 37) heißt es:

„… durch Konsultation der betroffenen Kreise konnte die Kommission übrigens feststellen, dass hier ein weitgehender Konsens über diese Grundsätze besteht.“

7        Randnr. 11 Buchst. C dieser Empfehlung bestimmt:

Der dritte allgemeine Grundsatz betrifft die Gleichbehandlung und Chancengleichheit der Aktionäre.

Die Kommission hat es trotz gewisser Kritiken für notwendig gehalten, den Grundsatz der Gleichbehandlung beizubehalten, und hat seine Anwendung durch zwei ergänzende Grundsätze veranschaulicht, wobei das Schwergewicht auf einer konkreten Publizitätspflicht liegt.

Im ergänzenden Grundsatz Nr. 17 wird die Gleichbehandlung der sonstigen Aktionäre beim Transfer einer Kontrollbeteiligung erwähnt, andererseits aber zugegeben, dass diese Aktionäre auf andere Weise geschützt werden könnten, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Befugnisse des Hauptaktionärs gesetzlich begrenzt sind.

…“

8        Der erste und der dritte allgemeine Grundsatz der europäischen Wohlverhaltensregeln (im Folgenden: Wohlverhaltensregeln) in der Anlage zur Empfehlung 77/534 bestimmen:

„1.      Das Ziel dieser Wohlverhaltensregeln und die allgemeinen Grundsätze sind auch in denjenigen Fällen zu beachten, die nicht ausdrücklich von einem ergänzenden Grundsatz erfasst werden.

Jede Betätigung auf den Wertpapiermärkten setzt voraus, dass die in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geiste nach beachtet, und dass die Wohlverhaltensgrundsätze eingehalten werden, die auf diesen Märkten üblich oder in den vorliegenden Regeln empfohlen sind.

3.      Allen Besitzern von Wertpapieren gleicher Art, die von ein und derselben Gesellschaft begeben wurden, ist Gleichbehandlung zu gewährleisten; insbesondere ist bei jeder Handlung, die mittelbar oder unmittelbar die Übertragung einer Beteiligung zur Folge hat, die de jure oder de facto eine Kontrolle über eine Gesellschaft ermöglicht, deren Wertpapiere am Markt gehandelt werden, das Recht aller Aktionäre auf Gleichbehandlung zu berücksichtigen.“

9        Der ergänzende Grundsatz Nr. 17 der Wohlverhaltensregeln bestimmt:

„Jede Transaktion, die die Übertragung einer Kontrollbeteiligung im Sinne des allgemeinen Grundsatzes Nr. 3 zur Folge hat, darf nicht stillschweigend ohne Unterrichtung der anderen Aktionäre und der Aufsichtsbehörden vollzogen werden.

Es ist wünschenswert, dass die Möglichkeit, ihre Wertpapiere zu den gleichen Bedingungen zu veräußern, allen Aktionären der Gesellschaft, deren Kontrolle übertragen wurde, geboten wird, außer wenn sie anderweitig einen Schutz genießen, der als gleichwertig betrachtet werden kann.“

10      Gemäß Art. 4 Art. 2 der Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse (ABl. L 66, S. 21) müssen die Emittenten von zur amtlichen Notierung zugelassenen Wertpapieren die in Schema C im Anhang dieser Richtlinie aufgeführten Pflichten einhalten.

11      Der Anhang dieser Richtlinie enthält nämlich ein Schema C über die „Pflichten der Gesellschaft, deren Aktien zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen sind“. Darin heißt es in Nr. 2 Buchst. a: „Die Gesellschaft muss den Aktionären, die sich in denselben Verhältnissen befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen.“

12      Diese Bestimmung wurde in Art. 65 Art. 1 der Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen (ABl. L 184, S. 1), die Art. 111 Art. 1 die Richtlinie 79/279 aufgehoben hat, wieder aufgegriffen.

13      Art. 65 der Richtlinie 2001/34 wurde allerdings gemäß Art. 32 Nr. 5 der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34 (ABl. L 390, S. 38) mit Wirkung ab dem 20. Januar 2007 gestrichen. Art. 17 der Richtlinie 2004/109 („Informationspflichten der Emittenten von zum Handel an einem geregelten Markt zugelassenen Aktien“) bestimmt in Art. 1:

„Ein Emittent von Aktien, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, muss allen Aktionären, die sich in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen.“

14      In den Erwägungsgründen 8 und 10 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (ABl. L 142, S. 12) heißt es:

„(8)      Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere dem Anspruch auf rechtliches Gehör sollten die Entscheidungen einer Aufsichtsstelle gegebenenfalls von einem unabhängigen Gericht überprüft werden können. …

(10)      Die Verpflichtung, allen Wertpapierinhabern ein Angebot zu unterbreiten, sollte nicht für diejenigen Kontrollbeteiligungen gelten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie bereits bestehen.“

15      Diese Richtlinie findet gemäß Art. 1 Art. 1 Anwendung auf Übernahmeangebote in Bezug auf die Wertpapiere einer dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft, sofern deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind.

16      Art. 3 dieser Richtlinie („Allgemeine Grundsätze“) sieht in Art. 1 Buchst. a und Art. 2 Buchst. a vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen zur Umsetzung dieser Richtlinie sicher, dass die folgenden Grundsätze beachtet werden:

a)      Alle Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft, die der gleichen Gattung angehören, sind gleich zu behandeln; darüber hinaus müssen die anderen Inhaber von Wertpapieren geschützt werden, wenn eine Person die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt.

(2)      Um die Beachtung der in Absatz 1 aufgeführten Grundsätze sicherzustellen,

a)      sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindestanforderungen eingehalten werden …“

17      Art. 5 der Richtlinie 2004/25 („Schutz der Minderheitsaktionäre, Pflichtangebot und angemessener Preis“) sieht in Art. 1 und 4 vor:

„(1)      Hält eine natürliche oder juristische Person infolge ihres alleinigen Erwerbs oder des Erwerbs durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen Wertpapiere einer Gesellschaft im Sinne des Artikels 1 Absatz 1, die ihr bei Hinzuzählung zu etwaigen von ihr bereits mittels solcher Wertpapiere gehaltenen Beteiligungen und den Beteiligungen der gemeinsam mit ihr handelnden Personen unmittelbar oder mittelbar einen bestimmten, die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten dieser Gesellschaft verschaffen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Person zum Schutz der Minderheitsaktionäre dieser Gesellschaft zur Abgabe eines Angebots verpflichtet ist. Dieses Angebot wird unverzüglich allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere zu einem im Sinne des Absatzes 4 angemessenen Preis unterbreitet.

(4)      Als angemessener Preis gilt der höchste Preis, der vom Bieter oder einer mit ihm gemeinsam handelnden Person in einem von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraum von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten vor dem Angebot gemäß Absatz 1 für die gleichen Wertpapiere gezahlt worden ist. …“

18      Art. 16 dieser Richtlinie („Andienungsrecht“) sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Anschluss an ein an alle Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft gerichtetes Angebot für sämtliche Wertpapiere die Absätze 2 und 3 Anwendung finden.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Inhaber verbleibender Wertpapiere von dem Bieter verlangen kann, dass er seine Wertpapiere gemäß den Bedingungen des Artikels 15 Absatz 2 zu einem angemessenen Preis erwirbt.

(3)      Die Bestimmungen des Artikels 15 Absätze 3 bis 5 gelten entsprechend.“

19      In Art. 15 Art. 2 der Richtlinie, auf den Art. 16 Art. 2 verweist, wird der erforderliche Schwellenwert der Beteiligung auf 90 % des stimmberechtigten Kapitals festgelegt. Nach Art. 15 Art. 5, auf den Art. 16 Art. 3 der Richtlinie 2004/25 Bezug nimmt, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass eine angemessene Abfindung garantiert wird.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

20      Die Audiolux SA und die anderen Klägerinnen des Ausgangsverfahrens (im Folgenden zusammen: Audiolux) sind Minderheitsaktionäre von RTL, deren Aktien an den geregelten Börsen von Luxemburg, Brüssel und London notiert waren.

21      Wie aus der Akte hervorgeht, hielt GBL vor den Ereignissen, die Anlass zu dem Ausgangsrechtsstreit gegeben haben, 30 % der Aktien von RTL. Bertelsmann hielt einen Anteil von 80 % an der Bertelsmann Westdeutsche TV GmbH, die restlichen 20 % standen im Besitz der Westdeutsche Allgemeine Zeitungsverlagsgesellschaft E. Brost & J. Funke GmbH & Co. Die Bertelsmann Westdeutsche TV GmbH hielt 37 % der Aktien an RTL, die britische Gruppe Pearson Television einen Anteil von 22 % und den Rest, 11 % der Aktien, das breite Publikum, darunter Audiolux.

22      Im Zuge mehrerer Transaktionen, die in der ersten Hälfte des Jahres 2001 stattfanden, übertrug GBL ihren Anteil von 30 % am Kapital von RTL an Bertelsmann im Austausch gegen 25 % an deren Kapital.

23      Im weiteren Verlauf erwarb Bertelsmann im Dezember 2001 den Anteil von Pearson Television und betrieb RTL das „delisting“ ihrer Wertpapiere von der Londoner Börse, das am 31. Dezember 2002 wirksam wurde.

24      Die Übertragung des von GBL gehaltenen Anteils an Bertelsmann war Gegenstand eines Urteils des Tribunal d’arrondissement (Luxemburg) vom 8. Juli 2003, das die von Audiolux erhobenen Klagen mit der Begründung abwies, dass sie auf keinen im luxemburgischen Recht anerkannten Rechtsgrundsatz gestützt seien. Bei diesen Klagen ging es insbesondere um die Gültigkeit der Transaktionen, die zur Übertragung dieses Anteils führte, und um den Ersatz des Schadens, der durch die Nichteinhaltung der Verpflichtung verursacht worden sei, den Klägern anzubieten, ihre Aktien an RTL gegen Aktien von Bertelsmann zu den gleichen Bedingungen zu tauschen wie denen, die mit GBL vereinbart worden seien.

25      Nach diesem Urteil sieht das geltende luxemburgische Gesellschaftsrecht, wenn ein Großaktionär seine Aktien einem anderen Großaktionär überträgt, keinen Anspruch der Minderheitsaktionäre vor, ihre Aktien zu denselben Bedingungen zu übertragen. Auch das luxemburgische Börsenrecht könne nicht als Rechtsgrundlage für die zu prüfenden Forderungen dienen. Das Urteil stellt insbesondere fest, dass die Empfehlung 77/534 durch keine Bestimmung des luxemburgischen Rechts umgesetzt worden sei.

26      Das „delisting“ der Wertpapiere von RTL von der Londoner Börse war Gegenstand eines Urteils des Tribunal d’arrondissement vom 30. März 2004, mit dem die von Audiolux erhobenen Klagen abgewiesen wurden, die u. a. die Verpflichtung betrafen, die Wertpapiere von RTL breiter in der Öffentlichkeit zu streuen und sie nicht von der Notierung an der Londoner Börse zurückzuziehen.

27      Die Cour d’appel (Luxemburg) bestätigte nach Verbindung der beiden Rechtssachen diese Urteile, wobei sie in Bezug auf das Urteil vom 8. Juli 2003 ausführte, dass in dieser Rechtssache die Existenz eines allgemeinen Grundsatzes in Rede stehe, dem gemäß die Minderheitsaktionäre einer börsennotierten luxemburgischen Gesellschaft einen Anspruch auf Gleichbehandlung durch die Mehrheitsaktionäre bei der Übertragung eines bedeutenden Anteils an dieser Gesellschaft geltend machen könnten. In dieser Hinsicht vertrat die Cour d’appel die Auffassung, dass ein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz für Aktionäre im geltenden Recht nicht existiere und er nicht als Rechtsgrundlage für die Ansprüche der Berufungsklägerinnen dienen könne.

28      Die von Audiolux erhobene Kassationsbeschwerde richtet sich nur gegen die das Urteil vom 8. Juli 2003 bestätigenden Feststellungen dieses Urteils. Audiolux rügt darin die Verletzung eines allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre und verlangt, dass ihr dieselbe Behandlung gewährt werde, die GBL bei der Übertragung ihres Anteils an RTL auf Bertelsmann zuteil geworden sei und eine Kontrollprämie beinhaltet habe.

29      Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Gehen die Verweise auf die Gleichbehandlung von Aktionären und insbesondere auf den Schutz der Minderheitsaktionäre

a)      in den Art. 20 und 42 der Zweiten „gesellschaftsrechtlichen“ Richtlinie 77/91,

b)      im „dritten allgemeinen Grundsatz“ und im „ergänzenden Grundsatz Nr. 17“ der Empfehlung 77/534,

c)      im Schema C Nr. 2 Buchst. a des Anhangs der Richtlinie 79/279 und in der Richtlinie 2001/34,

d)      in Art. 3 Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/25 im Licht ihres achten Erwägungsgrundes

auf einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts zurück?

2.      Falls die erste Frage bejaht wird: Gilt dieser allgemeine Grundsatz nur im Verhältnis zwischen einer Gesellschaft und ihren Aktionären, oder ist er vielmehr, insbesondere bei einer Gesellschaft, deren Aktien an einer Wertpapierbörse notiert sind, auch im Verhältnis zwischen den Mehrheitsaktionären, die die Kontrolle über eine Gesellschaft ausüben oder erwerben, und den Minderheitsaktionären dieser Gesellschaft anzuwenden?

3.      Falls die beiden vorausgehenden Fragen bejaht werden: War dieser Grundsatz im Hinblick auf die zeitliche Entwicklung der in Frage 1 genannten Verweise im Verhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitsaktionären im Sinne der Frage 2 schon vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/25 und im vorliegenden Fall bereits vor dem streitgegenständlichen Sachverhalt aus dem ersten Halbjahr 2001 anzuwenden?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

30      Bertelsmann bestreitet die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, da der rechtliche und tatsächliche Rahmen der vorgelegten Fragen darin nicht hinreichend festgelegt worden sei.

31      Zwar ist eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts unzulässig, wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio, C‑217/05, Slg. 2006, I‑11987, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), doch ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die Vorlageentscheidung die Bestimmung der Tragweite der vorgelegten Fragen erlaubt und den Beteiligten tatsächlich die Möglichkeit gegeben hat, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs Erklärungen abzugeben, wie aus dem Inhalt der in diesem Verfahren abgegebenen Erklärungen ersichtlich ist. Daher verfügt der Gerichtshof über hinreichende Angaben zum rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits, um die betreffenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft auszulegen und die vorgelegten Fragen sachdienlich zu beantworten.

 Zur ersten und zur zweiten Frage

32      Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es im Gemeinschaftsrecht einen allgemeinen Rechtsgrundsatz betreffend die Gleichbehandlung von Aktionären gibt, vermöge dessen die Minderheitsaktionäre dadurch geschützt sind, dass der Hauptaktionär, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt oder ausübt, verpflichtet ist, ihre Aktien zu den gleichen Bedingungen aufzukaufen wie denen, die beim Erwerb einer Beteiligung an dieser Gesellschaft vereinbart wurden, mit der dem Hauptaktionär die Kontrolle verschafft oder seine Kontrolle verstärkt wird.

33      Insoweit nimmt das vorlegende Gericht Bezug auf mehrere Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, nämlich die Art. 20 und 42 der Richtlinie 77/91, den dritten allgemeinen Grundsatz und den ergänzenden Grundsatz Nr. 17 der Wohlverhaltensregeln, Schema C Nr. 2 Buchst. a des Anhangs der Richtlinie 79/279 und Art. 3 Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/25 im Licht des achten Erwägungsgrundes dieser Richtlinie.

34      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der bloße Umstand, dass es im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht verschiedene Vorschriften zum Schutz von Minderheitsaktionären gibt, für sich genommen noch nicht für den Nachweis der Existenz eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts genügt, insbesondere wenn ihr Anwendungsbereich auf sehr genau festgelegte und bestimmte Rechte beschränkt ist. Die Prüfung der vom vorlegenden Gericht genannten Vorschriften dient daher allein der Feststellung, ob diese Vorschriften schlüssige Indizien für die Existenz des gesuchten Grundsatzes bieten. Einen Indizwert haben diese Vorschriften nur, soweit sie zwingend formuliert sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. November 1999, Portugal/Rat, C‑149/96, Slg. 1999, I‑8395, Randnr. 86, sowie vom 12. Juli 2001, Jippes u. a., C‑189/01, Slg. 2001, I‑5689, Randnr. 74) und sich der genaue Inhalt des gesuchten Grundsatzes aus ihnen ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil Jippes u. a., Randnr. 73).

35      Erstens ist festzustellen, dass sich die oben genannten Vorschriften der Richtlinien 77/91 und 79/279 nur auf ganz bestimmte Situationen beziehen und keine Situation betreffen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht.

36      Mit den Bezugnahmen auf den Schutz von Minderheitsaktionären in Art. 20 der Richtlinie 77/91 wird nicht auf die Existenz eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts hingewiesen, sondern sollen lediglich, wie sich aus ihrem Wortlaut ergibt, die Ziele angegeben werden, die es den Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen erlauben, von der Anwendung von Art. 19 dieser Richtlinie abzusehen.

37      Auch die in Art. 42 der Richtlinie 77/91 genannte Verpflichtung, die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherzustellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden, gilt, wie sich aus dem vorangestellten Nebensatz „für die Anwendung dieser Richtlinie“ ergibt, nur im Rahmen dieser Richtlinie, d. h., wie in deren fünftem Erwägungsgrund ausgeführt wird, bei Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen. Somit ist diese Bestimmung auf Situationen anwendbar, die völlig verschieden sind von denen, auf die sich die Verpflichtung bezieht, die im Ausgangsverfahren nach dem von Audiolux behaupteten allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dem Hauptaktionär auferlegt sein soll.

38      Die Feststellung, dass die in dem erwähnten Art. 42 vorgesehene Regel der Gleichbehandlung der Aktionäre nach der Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht dazu bestimmt ist, außerhalb des Rahmens der Richtlinie 77/91 angewandt zu werden, wird durch den Zweck dieser Richtlinie gestützt.

39      Diese Richtlinie soll nämlich nur ein Mindestmaß des Schutzes für Aktionäre in allen Mitgliedstaaten sicherstellen (vgl. Urteile vom 12. März 1996, Pafitis u. a., C‑441/93, Slg. 1996, I‑1347, Randnr. 38, vom 19. November 1996, Siemens, C‑42/95, Slg. 1996, I‑6017, Randnr. 13, sowie vom 18. Dezember 2008, Kommission/Spanien, C‑338/06, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 23).

40      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass Art. 42 der Richtlinie 77/91 selbst im Rahmen dieser Richtlinie nicht als Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts angesehen werden kann. Der Gerichtshof hat nämlich eine weite Auslegung dieser Vorschrift mit der Begründung abgelehnt, dass diese zur Folge hätte, Art. 29 Art. 4 der betreffenden Richtlinie über die Voraussetzungen, unter denen das Bezugsrecht beschränkt werden kann, seine praktische Wirksamkeit zu nehmen (vgl. Urteil Kommission/Spanien, Randnrn. 32 und 33).

41      Zu Schema C Nr. 2 Buchst. a des Anhangs der Richtlinie 79/279, wonach die Gesellschaft den Aktionären, die sich in denselben Verhältnissen befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen muss, genügt die Feststellung, dass diese Bestimmung inzwischen aufgehoben und durch Art. 17 der Richtlinie 2001/34 ersetzt worden ist, die gemäß ihrem Titel nur auf die Informationspflicht gegenüber den Inhabern von Wertpapieren anwendbar ist.

42      Somit sind sowohl die Bestimmungen der Richtlinie 77/91 als auch die der Richtlinie 79/279, die vom vorlegenden Gericht angeführt werden, auf ganz bestimmte Sachlagen anwendbar, die sich deutlich von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unterscheiden. Wie die Generalanwältin in Nr. 84 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, beschränken sich diese Bestimmungen ferner im Wesentlichen darauf, sehr spezifische gesellschaftsrechtliche Fallkonstellationen zu regeln, indem sie der Gesellschaft bestimmte Verpflichtungen zum Schutz aller Aktionäre auferlegen. Ihnen fehlt somit der allgemeine übergreifende Charakter, der sonst allgemeinen Rechtsgrundsätzen naturgemäß innewohnt.

43      Zweitens ist, was den dritten allgemeinen Grundsatz und den ergänzenden Grundsatz Nr. 17 der Wohlverhaltensregeln und die Richtlinie 2004/25 betrifft, darauf hinzuweisen, dass weder in diesen Regeln noch in der Richtlinie ausdrücklich von der Existenz eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf den Schutz von Minderheitsaktionären die Rede ist.

44      In Bezug auf die Wohlverhaltensregeln ist zum einen hervorzuheben, dass in Art. 2 ihres ersten allgemeinen Grundsatzes zwischen den geltenden Rechtsvorschriften und den Wohlverhaltensgrundsätzen unterschieden wird. Insoweit stellt dieser erste Grundsatz die auf dem Markt gebräuchlichen und die von den Wohlverhaltensregeln empfohlenen Grundsätze auf eine Stufe. Hieraus ergibt sich, dass diese Grundsätze gemäß den Wohlverhaltensregeln als Rechtsquelle denselben Wert haben wie die auf den Märkten gebräuchlichen Grundsätze. Eine solche Feststellung in Bezug auf die Rechtsnatur dieser Grundsätze ist aber unvereinbar mit der Hypothese, dass hinter dem dritten allgemeinen Grundsatz und dem ergänzenden Zusatz Nr. 17 der Wohlverhaltensregeln ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts steht.

45      Zum anderen bringen weder der dritte allgemeine Grundsatz noch der ergänzende Grundsatz Nr. 17 die Pflicht zur Gleichbehandlung uneingeschränkt und zwingend zum Ausdruck. Insbesondere ist es gemäß Art. 2 des ergänzenden Grundsatzes Nr. 17 lediglich „wünschenswert“, allen Aktionären die Möglichkeit zu bieten, ihre Wertpapiere zu veräußern, und auch dies nur, soweit die Minderheitsaktionäre nicht anderweitig einen gleichwertigen Schutz genießen.

46      In Anbetracht der in Randnr. 34 dieses Urteils zitierten Rechtsprechung steht eine solche Formulierung aber der Möglichkeit entgegen, aus diesen Bestimmungen die Existenz eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf den Schutz von Minderheitsaktionären herzuleiten. Die in Randnr. 6 der Empfehlung 77/534 getroffene Feststellung, wonach in den betroffenen Kreisen ein weitgehender Konsens über die Grundsätze der Wohlverhaltensregeln bestehe, ist somit unerheblich.

47      Die Richtlinie 2004/25 verpflichtet in Art. 5 einen Aktionär, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erworben hat, ein Pflichtangebot abzugeben. In Art. 16 sieht sie ein Andienungsrecht vor.

48      Erstens jedoch weisen die auf das Pflichtangebot und das Andienungsrecht bezogenen Erwägungsgründe 2, 9 bis 11 und 24 der Richtlinie 2004/25 weder explizit noch implizit darauf hin, dass die von dieser Richtlinie aufgestellten Regeln aus einem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts hervorgingen. Außerdem nehmen diese Erwägungsgründe keinen Bezug auf die Wohlverhaltensregeln oder auf die Richtlinien 77/91 und 79/279, so dass die Richtlinie 2004/25 nicht als die Umsetzung eines mit den Wohlverhaltensregeln oder den genannten Richtlinien begonnenen Vorhabens angesehen werden kann.

49      Zweitens ist der Anwendungsbereich sowohl des Pflichtangebots als auch des Andienungsrechts gemäß Art. 1 der Richtlinie 2004/25 auf börsennotierte Gesellschaften beschränkt. Außerdem ist das Pflichtangebot gemäß Art. 5 Art. 1 der Richtlinie nur anwendbar, wenn eine Person aufgrund eines Erwerbs eine Beteiligung hält, die ihr die Kontrolle über diese Gesellschaft verschafft, und gilt das Andienungsrecht gemäß den Art. 15 und 16 dieser Richtlinie nur in Situationen, in denen ein Aktionär im Zuge eines öffentlichen Angebots mehr als 90 % des stimmberechtigten Kapitals erwirbt.

50      Somit sind diese Bestimmungen der Richtlinie 2004/25 auf spezielle Situationen anwendbar, so dass aus ihnen kein allgemeiner Grundsatz mit einem bestimmten Inhalt abgeleitet werden kann. Ihnen fehlt auch, wie bereits in Bezug auf die Bestimmungen der Richtlinien 77/91 und 79/279 in Randnr. 42 dieses Urteils festgestellt, der allgemeine übergreifende Charakter, der allgemeinen Rechtsgrundsätzen naturgemäß innewohnt.

51      Was insbesondere die Bestimmungen der Richtlinie 2004/25 angeht, auf die das vorlegende Gericht Bezug nimmt, ist festzustellen, dass im achten Erwägungsgrund dieser Richtlinie zwar von allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts die Rede ist, dieser Erwägungsgrund aber nur auf Verfahrensgarantien abstellt und keinen Bezug zu einem Grundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären aufweist. Ebenso wenig kann aus der Verwendung der Begriffe „Allgemeine Grundsätze“ in Art. 3 dieser Richtlinie geschlossen werden, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber damit die in diesem Artikel genannten Grundsätze mit allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gleichzusetzen beabsichtigte. Wie aus der Wendung „zur Umsetzung dieser Richtlinie“ hervorgeht, handelt es sich nur um Leitprinzipien für die Umsetzung dieser Richtlinie durch die Mitgliedstaaten.

52      Nach alledem ist festzustellen, dass die Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, auf die das vorlegende Gericht Bezug nimmt, keine schlüssigen Indizien für die Existenz eines allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung von Minderheitsaktionären bieten.

53      Außerdem ist noch zu prüfen, ob die von Audiolux geforderte Behandlung als spezielle Ausprägung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Bereich des Gesellschaftsrechts aufgefasst werden kann.

54      Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz besagt nach ständiger Rechtsprechung, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C‑127/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Im vorliegenden Fall soll mit der von Audiolux geforderten Behandlung eine Verpflichtung begründet werden, die nur den Aktionär trifft, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt oder seine Kontrolle verstärkt. Diese Pflicht zwänge ihn zum Vertragsabschluss mit allen Minderheitsaktionären zu denselben Bedingungen wie denen, die beim Erwerb einer die Kontrolle verschaffenden oder verstärkenden Beteiligung vereinbart wurden, und führte zu einem entsprechenden Recht aller Aktionäre, ihre Aktien an den Hauptaktionär zu verkaufen.

56      Es ist zu bestimmen, ob die in der vorstehenden Randnummer dargestellten Gesichtspunkte als Ausdruck des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes angesehen werden können.

57      Was die Begründung der Pflicht des Hauptaktionärs und die Festlegung der mit ihr verbundenen Bedingungen betrifft, ist festzustellen, dass der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz für sich genommen weder eine besondere Pflicht des Hauptaktionärs zugunsten der anderen Aktionäre entstehen lassen noch die spezielle Situation definieren kann, an die eine solche Pflicht anknüpft.

58      Für die Begründung einer dem Hauptaktionär obliegenden Pflicht sowie die Festlegung der Bedingungen, die diese Pflicht auslösen, wäre nämlich eine Entscheidung darüber erforderlich, ob die Minderheitsaktionäre in der besonderen Situation, in der ein Aktionär die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt oder verstärkt, einen besonderen Schutz benötigen, der dadurch verwirklicht werden muss, dass dem Hauptaktionär eine Pflicht auferlegt wird. Eine solche Entscheidung setzte die Abwägung sowohl der Interessen der Minderheitsaktionäre und des Mehrheitsaktionärs als auch der erheblichen Folgen auf dem Gebiet der Unternehmensakquisitionen voraus und bedürfte gemäß dem Grundsatz der Rechtssicherheit einer spezifischen Formulierung, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können (vgl. zu den Erfordernissen des Grundsatzes der Rechtssicherheit Urteil vom 10. März 2009, Heinrich, C‑345/06, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 44).

59      Auch sind selbst unter der Annahme, dass die Minderheitsaktionäre eines besonderen Schutzes bedürfen, verschiedene Mittel zur Sicherstellung dieses Schutzes denkbar, unter denen eine Auswahl getroffen werden müsste.

60      Die Wohlverhaltensregeln nehmen nämlich in ihrem ergänzenden Grundsatz Nr. 17 auf einen „gleichwertigen Schutz“ für die Minderheitsaktionäre Bezug, und in Randnr. 11 Buchst. C der Empfehlung 77/534 wird als Beispiel für einen solchen gleichwertigen Schutz die Begrenzung der Befugnisse des Hauptaktionärs genannt.

61      Daher kann der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz auch nicht die Auswahl zwischen verschiedenen denkbaren Mitteln des Schutzes der Minderheitsaktionäre bestimmen, wie sie in diesen Vorschriften des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts empfohlen werden.

62      Ein Grundsatz, wie er von Audiolux geltend gemacht wird, setzt gesetzgeberische Entscheidungen voraus, die auf der Abwägung der in Rede stehenden Interessen und im Vorhinein festgelegten klaren und detaillierten Regeln beruhen (vgl. entsprechend Urteile vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, Slg. 1970, 661, Randnrn. 18 bis 20, vom 5. März 1980, Ferwerda, 265/78, Slg. 1980, 617, Randnr. 9, sowie Beschluss vom 5. März 1999, Guérin automobiles/Kommission, C‑153/98 P, Slg. 1999, I‑1441, Randnrn. 14 und 15), und kann nicht aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz abgeleitet werden.

63      Die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts haben nämlich Verfassungsrang, während der von Audiolux geltend gemachte Grundsatz durch eine Detailliertheit gekennzeichnet ist, die eine gesetzgeberische Ausarbeitung erforderlich macht, die auf Gemeinschaftsebene durch einen Rechtsakt des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts erfolgt. Der von Audiolux befürwortete Grundsatz kann daher nicht als ein selbständiger allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts angesehen werden.

64      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz enthält, vermöge dessen die Minderheitsaktionäre dadurch geschützt sind, dass der Hauptaktionär, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt oder ausübt, verpflichtet ist, ihre Aktien zu den gleichen Bedingungen aufzukaufen wie denen, die beim Erwerb einer Beteiligung vereinbart wurden, mit der dem Hauptaktionär die Kontrolle verschafft oder seine Kontrolle verstärkt wird.

65      In Anbetracht dieser Antwort ist die dritte Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

66      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Das Gemeinschaftsrecht enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, vermöge dessen die Minderheitsaktionäre dadurch geschützt sind, dass der Hauptaktionär, der die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt oder ausübt, verpflichtet ist, ihre Aktien zu den gleichen Bedingungen aufzukaufen wie denen, die beim Erwerb einer Beteiligung vereinbart wurden, mit der dem Hauptaktionär die Kontrolle verschafft oder seine Kontrolle verstärkt wird.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.