Rechtssache C‑285/07

A.T.

gegen

Finanzamt Stuttgart-Körperschaften

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs)

„Richtlinie 90/434/EWG − Grenzüberschreitender Austausch von Anteilen − Steuerliche Neutralität − Voraussetzungen − Art. 43 EG und 56 EG − Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, nach denen die Fortführung des Buchwerts der eingebrachten Anteile für die erhaltenen neuen Anteile und damit die steuerliche Neutralität der Einbringung davon abhängt, dass dieser Buchwert in der Steuerbilanz der ausländischen erwerbenden Gesellschaft angesetzt wird − Vereinbarkeit“

Leitsätze des Urteils

Rechtsangleichung – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Richtlinie 90/434

(Richtlinie 90/434 des Rates, art. 8 Abs. 1 und 2)

Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der ein Austausch von Anteilen dazu führt, dass bei den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft der Einbringungsgewinn in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den ursprünglichen Anschaffungskosten der eingebrachten Anteile und ihrem Verkehrswert besteuert wird, sofern die erwerbende Gesellschaft nicht den historischen Buchwert der eingebrachten Anteile in ihrer eigenen Steuerbilanz ansetzt.

Der zwingende und eindeutige Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434 bringt nämlich keineswegs den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Ausdruck, den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum zu lassen, so dass sie die zugunsten der Gesellschafter der erworbenen Gesellschaft vorgesehene steuerliche Neutralität neben der Voraussetzung nach Art. 8 Abs. 2 von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen könnten. Zudem widerspräche ein solcher Umsetzungsspielraum dem Zweck der Richtlinie, der darin besteht, ein gemeinsames Steuersystem einzuführen, anstatt die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden nationalen Systeme auf Gemeinschaftsebene auszudehnen, da die Unterschiede zwischen diesen Systemen Wettbewerbsverzerrungen verursachen können.

Eine solche Steuerregelung, mit der verhindert werden soll, dass die Besteuerung eines Anteilstauschs auch noch nach dessen Vornahme im Ergebnis umgangen wird, und die bei Vorgängen des Austauschs von Anteilen, die unter die Richtlinie 90/434 fallen, die Gewährung der in dieser Richtlinie vorgesehenen steuerlichen Vorteile allein aus dem Grund generell ausschließt, dass die erwerbende Gesellschaft in ihrer Steuerbilanz nicht den historischen Buchwert der eingebrachten Anteile angesetzt hat, lässt sich im Übrigen nicht auf Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 stützen und kann somit nicht auf dieser Grundlage als mit dieser Richtlinie vereinbar angesehen werden. Die Mitgliedstaaten müssen nämlich bei den in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 genannten Vorgängen des Austauschs von Anteilen die in dieser Richtlinie vorgesehenen steuerlichen Vorteile gewähren, sofern diese Vorgänge nicht als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie haben. Die Mitgliedstaaten können nach diesem Artikel nur ausnahmsweise in besonderen Fällen die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen. Bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang einen solchen Beweggrund hat, können sich die zuständigen nationalen Behörden daher nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden; sie müssen vielmehr eine globale Untersuchung jedes Einzelfalls vornehmen.

In diesem Rahmen kann es einem Mitgliedstaat, soweit eine solche Steuerregelung auch eine Besteuerung in den Fällen ermöglichen soll, in denen sich das Steuersystem als lückenhaft erweist, nicht gestattet werden, solche Lücken, so sie bestehen sollten, einseitig zu schließen, da sonst die Verwirklichung des Zwecks der Richtlinie 90/434, der darin besteht, ein gemeinsames Steuersystem einzuführen, scheitern könnte. Somit rechtfertigt der Umstand, dass der Gesellschafter der erworbenen Gesellschaft nach dem anwendbaren Recht zur späteren Veräußerung der im Gegenzug erworbenen Anteile verpflichtet ist und dass der Börsenkurs der Anteile der übernehmenden Gesellschaft stark absank, es nicht, allein den Anteilstausch zum Anlass für eine Besteuerung zu nehmen, da eine Realisierung der stillen Reserven zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt ist.

(vgl. Randnrn. 26-27, 30-32, 34, 36, 39 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

11. Dezember 2008(*)

„Richtlinie 90/434/EWG − Grenzüberschreitender Austausch von Anteilen − Steuerliche Neutralität − Voraussetzungen − Art. 43 EG und 56 EG − Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, nach denen die Fortführung des Buchwerts der eingebrachten Anteile für die erhaltenen neuen Anteile und damit die steuerliche Neutralität der Einbringung davon abhängt, dass dieser Buchwert in der Steuerbilanz der ausländischen erwerbenden Gesellschaft angesetzt wird − Vereinbarkeit“

In der Rechtssache C‑285/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 7. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juni 2007, in dem Verfahren

A.T.

gegen

Finanzamt Stuttgart-Körperschaften,

Beteiligter:

Bundesministerium der Finanzen,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, E. Levits und J. J. Kasel,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von A.T., vertreten durch die Rechtsanwälte M. Schaden und H. Winkler sowie Professor W. Schön,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. November 2008

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1, im Folgenden: Richtlinie), sowie der Art. 43 EG und 56 EG.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A.T. und dem Finanzamt Stuttgart-Körperschaften (im Folgenden: Finanzamt) über dessen Entscheidung, im Rahmen eines grenzüberschreitenden Austauschs von Anteilen einen Einbringungsgewinn zu besteuern.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3        Ihrem ersten Erwägungsgrund zufolge besteht das Ziel der Richtlinie 90/434 darin, sicherzustellen, dass Umstrukturierungsvorgänge (wie Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen), die Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten betreffen, nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden.

4        Hierzu schafft die Richtlinie ein System, nach dem die genannten Vorgänge als solche nicht Anlass zu einer Besteuerung geben dürfen. Etwaige mit diesen Vorgängen zusammenhängende Wertzuwächse können grundsätzlich besteuert werden, aber nur zu dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich realisiert werden.

5        Die ersten vier Erwägungsgründe sowie der neunte Erwägungsgrund der Richtlinie 90/434 lauten:

„Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensanteilen und der Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, können notwendig sein, um binnenmarktähnliche Verhältnisse in der Gemeinschaft zu schaffen und damit die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten. Sie dürfen nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden. Demzufolge müssen wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen für diese Vorgänge geschaffen werden, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen.

Gegenwärtig werden diese Vorgänge im Vergleich zu entsprechenden Vorgängen bei Gesellschaften desselben Mitgliedstaats durch Bestimmungen steuerlicher Art benachteiligt. Diese Benachteiligung muss beseitigt werden.

Dieses Ziel lässt sich nicht dadurch erreichen, dass man die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden nationalen Systeme auf Gemeinschaftsebene ausdehnt, da die Unterschiede zwischen diesen Systemen Wettbewerbsverzerrungen verursachen können. Nur eine gemeinsame steuerliche Regelung kann deshalb eine befriedigende Lösung darstellen.

Die gemeinsame steuerliche Regelung muss eine Besteuerung anlässlich einer Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder eines Austauschs von Anteilen vermeiden, unter gleichzeitiger Wahrung der finanziellen Interessen des Staates der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft.

Wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensanteilen oder ein Austausch von Anteilen als Beweggrund die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung hat …, sollten die Mitgliedstaaten die Anwendung dieser Richtlinie versagen können …“

6        Art. 2 Buchst. d der Richtlinie definiert den „Austausch von Anteilen“ als den „Vorgang, durch den eine Gesellschaft am Gesellschaftskapital einer anderen Gesellschaft eine Beteiligung erwirbt, die ihr die Mehrheit der Stimmrechte verleiht, und zwar gegen Gewährung von Anteilen an der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der anderen Gesellschaft sowie gegebenenfalls einer baren Zuzahlung; Letztere darf 10 % des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts der gewährten Anteile nicht überschreiten“.

7        Nach Art. 2 Buchst. g und h der Richtlinie sind unter „erworbener Gesellschaft“ die „Gesellschaft, an der beim Austausch von Anteilen eine Beteil[ig]ung erworben wurde“, und unter „erwerbender Gesellschaft“ die „Gesellschaft, die beim Austausch von Anteilen eine Beteiligung erwirbt“, zu verstehen.

8        Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434, der in deren Titel II „Regeln für Fusionen, Spaltungen und den Austausch von Anteilen“ steht, sieht Folgendes vor:

„(1)      Die Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der übernehmenden oder erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft gegen Anteile an deren Gesellschaftskapital aufgrund der Fusion, der Spaltung oder des Austausches von Anteilen darf für sich allein keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns auslösen.

(2)      Die Mitgliedstaaten machen die Anwendung von Absatz 1 von der Voraussetzung abhängig, dass der Gesellschafter den erworbenen Anteilen keinen höheren steuerlichen Wert beimisst, als den Anteilen an der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft unmittelbar vor der Fusion, der Spaltung oder dem Austausch von Anteilen beigemessen war.

Die Anwendung des Absatzes 1 hindert die Mitgliedstaaten nicht, den Gewinn aus einer späteren Veräußerung der erworbenen Anteile in gleicher Weise zu besteuern wie den Gewinn aus einer Veräußerung der vor dem Erwerb vorhandenen Anteile.

Als ‚steuerlicher Wert‘ gilt der Wert, der der Ermittlung der Veräußerungsgewinne oder Veräußerungsverluste für die Besteuerung der Veräußerungsgewinne bei den Gesellschaftern zugrunde gelegt wird.“

9        Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie bestimmt u. a., dass ein Mitgliedstaat die Anwendung des Titels II der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen kann, wenn ein Austausch von Anteilen als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung hat.

 Deutsches Recht

10      § 23 Abs. 4 des Umwandlungssteuergesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3267, im Folgenden: UmwStG) in der geänderten Fassung regelt die Einbringung von Anteilen an einer EU-Kapitalgesellschaft, wie diese in ihren kennzeichnenden Merkmalen in Art. 3 der Richtlinie 90/434 definiert ist, in eine andere EU-Kapitalgesellschaft.

11      Danach gelten, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft bei einer solchen Einbringung aufgrund ihrer Beteiligung einschließlich der übernommenen Anteile nachweisbar unmittelbar die Mehrheit der Stimmrechte an der Gesellschaft hat, deren Anteile eingebracht werden, wie sich aus Art. 20 Abs. 1 Satz 2 UmwStG ergibt, für die Bewertung der Anteile, die die übernehmende Kapitalgesellschaft erhält, § 20 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 und 6 UmwStG und für die Bewertung der neuen Anteile, die der Einbringende von der übernehmenden Kapitalgesellschaft erhält, § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG entsprechend.

12      Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG darf die Kapitalgesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen mit seinem Buchwert oder mit einem höheren Wert ansetzen. Nach Satz 2 dieses Absatzes ist der Buchwertansatz auch zulässig, wenn in der Handelsbilanz das eingebrachte Betriebsvermögen nach handelsrechtlichen Vorschriften mit einem höheren Wert angesetzt werden muss.

13      § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG bestimmt, dass der Wert, mit dem die Kapitalgesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen ansetzt, für den Einbringenden als Veräußerungspreis und als Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile gilt. Mit dieser letzteren Regelung verlangt das Gesetz die sogenannte doppelte Buchwertverknüpfung, wonach dem Einbringenden nur dann die Fortführung des Buchwerts der eingebrachten Anteile ermöglicht wird, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft die eingebrachten Anteile ihrerseits mit dem Buchwert angesetzt hat. Eine Unterscheidung zwischen Inlands‑ und Auslandseinbringungen trifft das Gesetz insoweit nicht; beide Sachverhalte werden gleich behandelt.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14      Zur Unternehmensgruppe von A.T., einer inländischen Aktiengesellschaft, gehörte die C‑GmbH, an der A.T. 89,5 % der Anteile hielt.

15      Am 28. April 2000 brachte A.T. diese Beteiligung in eine französische Société anonyme, die G‑SA, ein und erhielt im Gegenzug dafür im Wege der Kapitalerhöhung neue Aktien an dieser Gesellschaft, die 1,47 % von deren Grundkapital entsprachen. Diese Aktien, deren Börsenkurs in der Folgezeit stark absank, mussten danach aufgrund börsenaufsichtsrechtlicher Verpflichtungen binnen fünf Jahren veräußert werden.

16      Da die von der Muttergesellschaft A.T. an der C‑GmbH gehaltenen Anteile nach ihrer Veräußerung in der Handels- und Steuerbilanz der G‑SA nicht mit ihrem bis dahin in der Steuerbilanz von A.T. festgelegten Buchwert, sondern mit ihrem im Einbringungsvertrag angesetzten Verkehrswert angesetzt wurden, verweigerte das Finanzamt unter Hinweis auf § 23 Abs. 4 Satz 1 und § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG und ein dazu ergangenes Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen A.T. im Rahmen ihrer steuerlichen Veranlagung für das Jahr 2000 die Fortführung der historischen Buchwerte der veräußerten Anteile an der C‑GmbH für die im Gegenzug erworbenen Aktien an der G‑SA. Das Finanzamt sah den Einbringungsvorgang infolgedessen als steuerpflichtig an und besteuerte dementsprechend einen Einbringungsgewinn in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den ursprünglichen Anschaffungskosten der Anteile an der C‑GmbH und ihrem Verkehrswert.

17      Die Klage von A.T. gegen die nach diesen Bestimmungen ergangenen Steuerbescheide hatte in der ersten Instanz Erfolg. Das Finanzamt hat daraufhin beim Bundesfinanzhof Revision eingelegt. Dieser führt aus, die Klage von A.T. sei nach dem Umwandlungssteuergesetz abzuweisen. Denn nach dem Umwandlungssteuergesetz hätten die Anteile an der C‑GmbH in der Bilanz der G‑SA mit ihrem Buchwert angesetzt werden müssen, was im Übrigen nach französischem Recht möglich gewesen wäre.

18      Der Bundesfinanzhof hat jedoch Zweifel, ob das Erfordernis der doppelten Buchwertverknüpfung bei grenzüberschreitenden Einbringungen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist; er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Steht Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434 der Steuerregelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach welcher bei Einbringung der Anteile an einer EU-Kapitalgesellschaft in eine andere EU-Kapitalgesellschaft dem Einbringenden nur dann die Fortführung der Buchwerte der eingebrachten Anteile ermöglicht wird, wenn die übernehmende Kapitalgesellschaft die eingebrachten Anteile ihrerseits mit den Buchwerten angesetzt hat (sogenannte doppelte Buchwertverknüpfung)?

2.      Falls dies zu verneinen sein sollte: Widerspricht die vorstehende Regelungslage Art. 43 EG und Art. 56 EG, obwohl die sogenannte doppelte Buchwertverknüpfung auch bei der Einbringung der Anteile an einer Kapitalgesellschaft in eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft verlangt wird?

 Zu den Vorlagefragen

19      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434 einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Austausch von Anteilen dazu führt, dass bei den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft der Einbringungsgewinn in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den ursprünglichen Anschaffungskosten der eingebrachten Anteile und ihrem Verkehrswert besteuert wird, sofern die erwerbende Gesellschaft nicht den historischen Buchwert der eingebrachten Anteile in ihrer eigenen Steuerbilanz ansetzt.

20      Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 90/434 die Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der erworbenen Gesellschaft gegen Anteile an deren Gesellschaftskapital aufgrund des Austauschs von Anteilen für sich allein keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns auslösen darf.

21      Durch dieses Gebot der steuerlichen Neutralität gegenüber den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft soll die Richtlinie, wie aus ihren Erwägungsgründen 1 und 4 hervorgeht, gewährleisten, dass ein Austausch von Anteilen, der Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betrifft, nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert wird.

22      Dieses Gebot der steuerlichen Neutralität gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 90/434 machen die Mitgliedstaaten die Anwendung von Abs. 1 dieses Artikels nämlich von der Voraussetzung abhängig, dass der Gesellschafter den erworbenen Anteilen keinen höheren steuerlichen Wert beimisst, als den Anteilen an der erworbenen Gesellschaft unmittelbar vor dem Austausch von Anteilen beigemessen war.

23      Wie jedoch aus der Vorlageentscheidung und insbesondere der ersten Vorlagefrage hervorgeht, wird dem Gesellschafter der erworbenen Gesellschaft nach der im Ausgangsverfahren streitigen deutschen Regelung für die erworbenen Anteile nur dann die Fortführung des Buchwerts der eingebrachten Anteile ermöglicht, wenn auch die erwerbende Gesellschaft den historischen Buchwert der eingebrachten Anteile ansetzt.

24      Die deutsche Regierung trägt hierzu vor, ein solches Erfordernis der doppelten Buchwertverknüpfung sei mit der Richtlinie 90/434 vereinbar, da diese durch ihr Schweigen zur Bewertung der eingebrachten Anteile in der Bilanz der erwerbenden Gesellschaft den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum lasse.

25      Einer solchen Auslegung der genannten Richtlinie kann nicht gefolgt werden.

26      Zunächst ist festzustellen, dass der zwingende und eindeutige Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434 keineswegs den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers zum Ausdruck bringt, den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum zu lassen, so dass sie die zugunsten der Gesellschafter der erworbenen Gesellschaft vorgesehene steuerliche Neutralität von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig machen könnten.

27      Zudem widerspräche ein solcher Umsetzungsspielraum dem Zweck der Richtlinie, der, wie sich bereits aus ihrem Titel und insbesondere aus ihrem dritten Erwägungsgrund ergibt, darin besteht, ein gemeinsames Steuersystem einzuführen, anstatt die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden nationalen Systeme auf Gemeinschaftsebene auszudehnen, da die Unterschiede zwischen diesen Systemen Wettbewerbsverzerrungen verursachen können.

28      Darüber hinaus liefe eine Regelung, nach der die in Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434 vorgesehene steuerliche Neutralität eines Austauschs von Anteilen, der Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betrifft, von der zusätzlichen Voraussetzung abhängt, dass die erwerbende Gesellschaft in ihrer Steuerbilanz den historischen Buchwert der eingebrachten Anteile ansetzt, dem Ziel dieser Richtlinie zuwider, das darin besteht, steuerliche Hindernisse für grenzüberschreitende Unternehmensumstrukturierungen zu beseitigen, indem sichergestellt wird, dass etwaige Wertzuwächse von Anteilen nicht vor ihrer tatsächlichen Realisierung besteuert werden (vgl. hierzu Urteil vom 5. Juli 2007, Kofoed, C-321/05, Slg. 2007, I‑5795, Randnr. 32).

29      Die deutsche Regierung macht jedoch geltend, die im Ausgangsverfahren streitige deutsche Regelung stehe im Einklang mit den Zielvorgaben der Richtlinie, die der Gewährung eines Steueraufschubs und nicht einer endgültigen Steuerbefreiung diene. Durch das Erfordernis der doppelten Buchwertverknüpfung beim grenzüberschreitenden Anteilstausch solle gerade verhindert werden, dass die – einmalige – Besteuerung durch den Transfer der Anteile über die Grenze umgangen werde, was im Ergebnis zu einer kompletten Nichtbesteuerung der Anteilsveräußerung sowohl bei der aufnehmenden ausländischen Körperschaft als auch bei der einbringenden inländischen Gesellschaft führen würde.

30      Soweit die deutsche Regierung damit geltend machen will, dass die im Ausgangsverfahren streitige deutsche Regelung erforderlich sei, um zu verhindern, dass eine Besteuerung auch noch nach dem Anteilstausch im Ergebnis umgangen werde, ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten bei den in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 90/434 genannten Vorgängen des Austauschs von Anteilen die in dieser Richtlinie vorgesehenen steuerlichen Vorteile gewähren müssen, sofern diese Vorgänge nicht als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie haben (Urteil vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem, C‑28/95, Slg. 1997, I‑4161, Randnr. 40).

31      Die Mitgliedstaaten können nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 nur ausnahmsweise in besonderen Fällen die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen (Urteil Kofoed, Randnr. 37). Bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang einen solchen Beweggrund hat, können sich die zuständigen nationalen Behörden nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden; sie müssen vielmehr eine globale Untersuchung jedes Einzelfalls vornehmen (Urteil Leur-Bloem, Randnr. 41).

32      Daher ist festzustellen, dass eine Steuerregelung eines Mitgliedstaats, die wie die im Ausgangsverfahren fragliche bei Vorgängen des Austauschs von Anteilen, die unter die Richtlinie 90/434 fallen, die Gewährung der in dieser Richtlinie vorgesehenen steuerlichen Vorteile allein aus dem Grund ausschließt, dass die erwerbende Gesellschaft in ihrer Steuerbilanz nicht den historischen Buchwert der eingebrachten Anteile angesetzt hat, sich nicht auf Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 stützen lässt und somit nicht auf dieser Grundlage als mit dieser Richtlinie vereinbar angesehen werden kann.

33      In diesem Zusammenhang ist im Übrigen hervorzuheben, dass A.T. in ihren Erklärungen, ohne dass ihr die deutsche Regierung in diesem Punkt widersprochen hätte, vorträgt, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anteilstausch nur deshalb vorgenommen worden sei, um die Anforderungen des US-Börsenrechts zu erfüllen und dass die G‑SA die von ihr erworbenen Anteile an der C‑GmbH bisher behalten habe.

34      Soweit die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung, wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, nicht nur dazu dient, Missbräuche zu verhindern, sondern auch eine Besteuerung in den Fällen ermöglichen soll, in denen sich das Steuersystem als lückenhaft erweist, ist festzustellen, dass die Verwirklichung des Zwecks der Richtlinie 90/434, der, wie oben in Randnr. 27 ausgeführt, darin besteht, ein gemeinsames Steuersystem einzuführen, scheitern könnte, wenn einem Mitgliedstaat gestattet würde, solche Lücken, so sie bestehen sollten, zu schließen.

35      Hierzu ist daran zu erinnern, dass die Richtlinie 90/434 nach ihrem vierten Erwägungsgrund selbst der Wahrung der finanziellen Interessen des Staates der erworbenen Gesellschaft dient. So hindert nach Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 90/434 die Anwendung des Abs. 1 dieses Artikels die Mitgliedstaaten nicht, den Gewinn aus einer späteren Veräußerung der erworbenen Anteile in gleicher Weise zu besteuern wie den Gewinn aus einer Veräußerung der vor dem Erwerb vorhandenen Anteile.

36      Wie von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vorgetragen, rechtfertigt jedoch der Umstand, dass im Ausgangsverfahren A.T. nach dem Börsenrecht zur späteren Veräußerung der erworbenen Anteile verpflichtet ist und dass der Börsenkurs der Anteile der G‑SA stark absank, es nicht, allein den Anteilstausch zum Anlass für eine Besteuerung zu nehmen, da eine Realisierung der stillen Reserven zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt ist.

37      Im Übrigen würde, wie die deutsche Regierung einräumt, unter dem Gesichtspunkt einer Besteuerung bei einer späteren Veräußerung der eingebrachten Anteile durch den Ansatz ihres historischen Buchwerts bei der erwerbenden Gesellschaft nicht der deutsche Fiskus, sondern bestenfalls der französische Fiskus begünstigt, so dass ein eigenes Interesse des deutschen Gesetzgebers an der Aufstellung eines solchen Erfordernisses noch weniger zu erkennen ist.

38      Ein wirkliches Interesse an dem Erfordernis der doppelten Fortführung des historischen Buchwerts der eingebrachten Anteile ist im Übrigen umso schwerer auszumachen, als, wie A.T. und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen jeweils vorgetragen haben und die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, das Umwandlungssteuergesetz inzwischen dahin geändert worden ist, dass dieses Erfordernis seit dem Jahr 2007 nicht mehr für den Austausch von Anteilen, der Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betrifft, gilt.

39      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434 einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Austausch von Anteilen dazu führt, dass bei den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft der Einbringungsgewinn in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den ursprünglichen Anschaffungskosten der eingebrachten Anteile und ihrem Verkehrswert besteuert wird, sofern die erwerbende Gesellschaft nicht den historischen Buchwert der eingebrachten Anteile in ihrer eigenen Steuerbilanz ansetzt.

40      Angesichts der Antwort auf die erste Vorlagefrage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

41      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der ein Austausch von Anteilen dazu führt, dass bei den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft der Einbringungsgewinn in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den ursprünglichen Anschaffungskosten der eingebrachten Anteile und ihrem Verkehrswert besteuert wird, sofern die erwerbende Gesellschaft nicht den historischen Buchwert der eingebrachten Anteile in ihrer eigenen Steuerbilanz ansetzt.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.