SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTONIO TIZZANO

vom 24. November 2005 1(1)

Rechtssache C‑98/03

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Wild lebende Tiere und Pflanzen“





I –    Einleitung

1.     Die Kommission hat mit der vorliegenden Klage, die sie am 28. Februar 2003 gemäß Artikel 226 EG beim Gerichtshof erhoben hat, beantragt, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 6 Absätze 3 und 4, 12, 13 und 16 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen(2) (im Folgenden: Richtlinie oder Habitatrichtlinie) verstoßen hat.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Das einschlägige Gemeinschaftsrecht

2.     Das Hauptziel der Habitatrichtlinie besteht nach Artikel 2 Absatz 1 darin, „zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen“.

3.     Zu diesem Zweck bestimmt Artikel 2 Absatz 2:

„Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wild lebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

…“

4.     Nach Artikel 3 wird „ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhang II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.“

5.     Artikel 6 Absätze 2 bis 4 legt das Erhaltungssystem für die Schutzgebiete fest.

6.     Nach Artikel 6 Absatz 2 treffen „[d]ie Mitgliedstaaten … die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten“.

7.     Die nachfolgenden Absätze 3 und 4, die hier von größerem Interesse sind, regeln die Genehmigung von Plänen und Projekten, indem sie bestimmen:

„(3)      Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4)      Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.“

8.     Was den Schutz der Tierarten angeht, sieht Artikel 12 der Richtlinie vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen; dieses verbietet:

a)      alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten;

b)      jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten;

c)      jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur;

d)      jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.

(2)      Für diese Arten verbieten die Mitgliedstaaten Besitz, Transport, Handel oder Austausch und Angebot zum Verkauf oder Austausch von aus der Natur entnommenen Exemplaren; vor Beginn der Anwendbarkeit dieser Richtlinie rechtmäßig entnommene Exemplare sind hiervon ausgenommen.

(3)      Die Verbote nach Absatz 1 Buchstaben a) und b) sowie nach Absatz 2 gelten für alle Lebensstadien der Tiere im Sinne dieses Artikels …“

9.     In Bezug auf den Schutz der Pflanzenarten bestimmt Artikel 13 der Richtlinie:

„(1)      Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um ein striktes Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe b) angegebenen Pflanzenarten aufzubauen, das Folgendes verbietet:

a)      absichtliches Pflücken, Sammeln, Abschneiden, Ausgraben oder Vernichten von Exemplaren solcher Pflanzen in deren Verbreitungsräumen in der Natur;

b)      Besitz, Transport, Handel oder Austausch und Angebot zum Verkauf oder zum Austausch von aus der Natur entnommenen Exemplaren solcher Pflanzen; vor Beginn der Anwendbarkeit dieser Richtlinie rechtmäßig entnommene Exemplare sind hiervon ausgenommen.

2.      Die Verbote nach Absatz 1 Buchstaben a) und b) gelten für alle Lebensstadien der Pflanzen im Sinne dieses Artikels.“

10.   Artikel 16 der Richtlinie lautet jedoch:

„(1)      Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, können die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Artikel 12, 13 und 14 sowie des Artikels 15 Buchstaben a) und b) im folgenden Sinne abweichen:

a)      zum Schutz der wild lebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;

b)      zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;

c)      im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt;

d)      zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzucht, einschließlich der künstlichen Vermehrung von Pflanzen;

e)      um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV zu erlauben …“

B –    Das einschlägige nationale Recht

11.   Die Bundesrepublik Deutschland setzte die Habitatrichtlinie mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (im Folgenden: BNatSchG aF) vom 30. April 1998(3) um.

12.   Das BNatSchG aF wurde später durch das in Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften vom 25. März 2002(4) enthaltene neue Bundesnaturschutzgesetz (im Folgenden: neues Gesetz) ersetzt, dessen Vorschriften, was die vorliegende Rechtssache angeht, nahezu vollständig mit den einschlägigen Vorschriften des alten Gesetzes übereinstimmen(5).

13.   Soweit hier von Interesse, bedeutet nach § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstaben a bis c des neuen Gesetzes (§ 19a Absatz 2 Nummer 8 BNatSchG aF) der Begriff „Projekte“:

„a)      Vorhaben und Maßnahmen innerhalb eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebiets, sofern sie einer behördlichen Entscheidung oder einer Anzeige an eine Behörde bedürfen oder von einer Behörde durchgeführt werden,

b)      Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des § 18, sofern sie einer behördlichen Entscheidung oder einer Anzeige an eine Behörde bedürfen oder von einer Behörde durchgeführt werden und

c)      nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlagen sowie Gewässerbenutzungen, die nach dem Wasserhaushaltsgesetz einer Erlaubnis oder Bewilligung bedürfen,

soweit sie, einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen, geeignet sind, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen …“

14.   § 18 (§ 8 BNatSchG aF), auf den § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe b verweist, definiert den Begriff „Eingriffe in Natur und Landschaft“ wie folgt:

„(1)      Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.

(2)      Die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung ist nicht als Eingriff anzusehen, soweit dabei die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt werden. Die den in § 5 Abs. 4 bis 6 genannten Anforderungen sowie den Regeln der guten fachlichen Praxis, die sich aus dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft und § 17 Abs. 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes ergeben, entsprechende land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung widerspricht in der Regel nicht den in Satz 1 genannten Zielen und Grundsätzen.“

15.   In Bezug auf stoffliche Belastungen bestimmt § 36 des neuen Gesetzes (§ 19e BNatSchG aF):

„Ist zu erwarten, dass von einer nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftigen Anlage Emissionen ausgehen, die, auch im Zusammenwirken mit anderen Anlagen oder Maßnahmen, im Einwirkungsbereich dieser Anlage ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen, und können die Beeinträchtigungen nicht entsprechend § 19 Abs. 2 ausgeglichen werden, steht dies der Genehmigung der Anlage entgegen, soweit nicht die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 erfüllt sind. § 34 Abs. 1 und 5 gilt entsprechend. Die Entscheidungen ergehen im Benehmen mit den für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden.“

16.   Schließlich sieht § 43 Absatz 4 des neuen Gesetzes (§ 20f Absatz 3 BNatSchG aF) Ausnahmen von den zum Zweck des Naturschutzes festgelegten Verboten vor, indem er bestimmt:

„Die Verbote des § 42 Abs. 1 und 2 gelten nicht für den Fall, dass die Handlungen bei der guten fachlichen Praxis und den in § 5 Abs. 4 bis 6 genannten Anforderungen entsprechenden land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung und bei der Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse oder bei der Ausführung eines nach § 19 zugelassenen Eingriffs, bei der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer nach § 30 zugelassenen Maßnahme vorgenommen werden, soweit hierbei Tiere, einschließlich ihrer Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten und Pflanzen der besonders geschützten Arten nicht absichtlich beeinträchtigt werden. Weitergehende Schutzvorschriften der Länder bleiben unberührt.“

17.   Die Habitatrichtlinie wurde in Deutschland ferner durch eine Reihe sektorieller Gesetze umgesetzt. Im vorliegenden Fall ist es angebracht, das Pflanzenschutzgesetz vom 14. Mai 1998(6) zu erwähnen, dessen § 6 Absatz 1 bestimmt:

„Bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist nach guter fachlicher Praxis zu verfahren. Pflanzenschutzmittel dürfen nicht angewandt werden, soweit der Anwender damit rechnen muss, dass ihre Anwendung im Einzelfall schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf Grundwasser oder sonstige erhebliche schädliche Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, hat. Die zuständige Behörde kann Maßnahmen anordnen, die zur Erfüllung der in den Sätzen 1 und 2 genannten Anforderungen erforderlich sind.“

III – Sachverhalt und Verfahren

18.   Nachdem die Kommission die ihr von der Bundesrepublik Deutschland übermittelten nationalen Umsetzungsvorschriften geprüft hatte, äußerte sie Zweifel an deren Vereinbarkeit mit der Habitatrichtlinie und sandte Deutschland deshalb am 10. April 2000 ein Mahnschreiben im Sinne von Artikel 226 EG.

19.   Diesem Schreiben folgte am 25. Juli 2001 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der Deutschland aufgefordert wurde, binnen zwei Monaten seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen.

20.   Da die Kommission die Erklärungen und Antworten der deutschen Regierung für unzureichend hielt, hat sie mit am 28. Februar 2003 erhobener Klage beantragt, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland, indem sie

–       für bestimmte Projekte außerhalb besonderer Schutzgebiete im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie, die nach Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, nicht die Pflicht zur Durchführung einer solchen Prüfung vorsieht, unabhängig davon, ob die Projekte ein besonderes Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten,

–       Emissionen in ein besonderes Schutzgebiet unabhängig davon zulässt, ob sie dieses erheblich beeinträchtigen könnten,

–       bestimmte nicht absichtliche Beeinträchtigungen von geschützten Tieren aus dem Geltungsbereich der Artenschutzbestimmungen ausnimmt,

–       bei bestimmten mit dem Gebietsschutz zu vereinbarenden Handlungen nicht die Einhaltung der Ausnahmetatbestände des Artikels 16 der Richtlinie sicherstellt,

–       Bestimmungen über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln besitzt, die den Artenschutz nicht ausreichend berücksichtigen,

–       fischereirechtliche Fangvorschriften nicht notifiziert hat und/oder diese keine ausreichenden Fangverbote enthalten,

gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absätze 3 und 4 sowie den Artikeln 12, 13 und 16 der Habitatrichtlinie verstoßen hat.

21.   Deutschland und die Kommission haben beim Gerichtshof Schriftsätze eingereicht.

22.   Die deutsche Regierung und die Kommission haben außerdem an der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2005 teilgenommen.

IV – Beurteilung

 Zur Zulässigkeit

23.   Die deutsche Regierung verneint die Zulässigkeit der Klage mit der Begründung, dass die Kommission die Auswirkungen der wesentlichen Änderungen, die während des Vorverfahrens sowohl im BNatSchG aF als auch in anderen besonderen nationalen Vorschriften vorgenommen worden seien, nicht hinreichend berücksichtigt habe. Diese Änderungen hätten die Kommission veranlassen müssen, die Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit der Habitatrichtlinie anders zu beurteilen.

24.   Es sei gleich gesagt, dass ich das Vorbringen der deutschen Behörden nicht für geeignet halte, um die Zulässigkeit der vorliegenden Klage zu verneinen. Die Frage, ob die Kommission bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der deutschen Regelung bestimmte Gesetzesänderungen berücksichtigt hat, betrifft nämlich die Sache selbst und damit die Begründetheit der Klage und nicht deren Zulässigkeit.

25.   Sodann sei darauf hingewiesen, dass mit dem Erlass des neuen Gesetzes und der übrigen von der deutschen Regierung angeführten Rechtstexte keine der Vorschriften, die die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme beanstandet hat, inhaltlich geändert wurde. Mit anderen Worten, die vorliegende Klage betrifft Vorschriften, die im Wesentlichen unverändert geblieben sind(7).

26.   Auch wenn man davon ausginge, dass diese Änderungen irgendeine Auswirkung auf bestimmte von der Kommission beanstandete Vorschriften hatten, könnten sie jedoch keinesfalls zur Unzulässigkeit der vorliegenden Klage führen. Bekanntlich ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes „das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen …, die bei Ablauf der Frist besteht, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und [können] später eingetretene Veränderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden“(8). Bei Ablauf der Frist von zwei Monaten, die in der am 25. Juli 2001 an Deutschland gesandten mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, waren die von der deutschen Regierung angeführten Gesetzesänderungen aber noch nicht in Kraft getreten. Wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, wurden diese Änderungen nämlich erst im März 2002 erlassen.

27.   Ich meine daher, dass die Einwände, die die deutsche Regierung insoweit erhoben hat, zurückzuweisen sind.

28.   Der Kommission könnte auch nicht vorgeworfen werden – wenn man die Frage von Amts wegen prüfte, da Deutschland diesen Punkt nicht gerügt hat –, dass sie sich in ihrer Klage auf andere Vorwürfe als die im Vorverfahren formulierten gestützt habe, weil sie sich in der Klageschrift auf Vorschriften des neuen Gesetzes bezogen habe, die bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, noch nicht in Kraft waren. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes verlangt nämlich die Feststellung der Zulässigkeit einer Vertragsverletzungsklage keine „völlige Übereinstimmung zwischen den nationalen Vorschriften, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme angeführt werden, und den Vorschriften …, die in der Klageschrift genannt werden“(9). Nach Auffassung des Gerichtshofes „genügt es, dass die Regelung, die mit den im vorprozessualen Verfahren beanstandeten Rechtsvorschriften eingeführt wurde, durch die neuen Maßnahmen, die der Mitgliedstaat nach der mit Gründen versehenen Stellungnahme erlassen hat und die mit der Klage angegriffen werden, insgesamt aufrechterhalten worden ist“(10). Dieser Voraussetzung wird, wie bereits festgestellt, im vorliegenden Fall in vollem Umfang genügt.

29.   Nachdem dies klargestellt ist, komme ich nun zur analytischen Prüfung der von der Kommission erhobenen Vorwürfe.

 Zur ersten Rüge

30.   Die Kommission beanstandet zunächst, dass Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie nicht vollständig umgesetzt worden sei, weil die Definition des Begriffes „Projekte“ in § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstaben b und c des neuen Gesetzes (§ 19a Absatz 2 Nummer 8 BNatSchG aF), die für Projekte außerhalb besonderer Schutzgebiete gelte, zu eng sei und bestimmte für die Schutzgebiete potenziell schädliche Tätigkeiten und Eingriffe von der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung ausnehme.

31.   Erstens erfassten die in § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe b als „Eingriffe in Natur und Landschaft“ beschriebenen Projekte nur diejenigen Eingriffe, die im Sinne von § 18 Absatz 1 (früher § 8 Absatz 1), auf den die Vorschrift verweise, in „Veränderungen“ der Gestalt oder Nutzung von „Grundflächen“ bestünden, ohne dass andere Tätigkeiten oder Maßnahmen, die keine derartigen Veränderungen hervorriefen, berücksichtigt würden. Sodann nehme § 18 Absatz 2 (früher § 8 Absatz 7) von diesem Begriff ausdrücklich die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung aus, soweit dabei die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt würden. Diese Voraussetzung sei jedoch zu allgemein gefasst, um ein angemessenes Schutzniveau für die geschützten Gebiete zu gewährleisten.

32.   Zweitens würden nur diejenigen Anlagen und Gewässerbenutzungen, die nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz einer Genehmigung oder dem Wasserhaushaltsgesetz einer Erlaubnis oder Bewilligung bedürften, als „Projekte“ eingestuft (§ 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstabe c). Anlagen und Gewässerbenutzungen, die nicht solchen Verfahren unterlägen, seien damit von der in Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung ausgenommen, ohne dass es darauf ankomme, ob sie die Schutzgebiete erheblich beeinträchtigen könnten.

33.   Die deutsche Regierung wendet zunächst ein, dass die von der Kommission vertretene Auslegung des Begriffes „Projekte“ zu weit sei, weil sie keinerlei Beschränkung der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung der betreffenden Anlagen zulasse. Dieser Begriff sei unter Berücksichtigung der genauen Definition in der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten(11) auszulegen.

34.   Außerdem erfassten die in § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstaben b und c vorgesehenen Kategorien von „Projekten“ in der Praxis alle Fälle von Eingriffen außerhalb besonderer Schutzgebiete, bei denen die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung derartiger Gebiete bestehe. Eingriffe, die nicht in diese Kategorien fielen, unterlägen gleichwohl den strengen Umweltbestimmungen, was einen angemessenen und wirksamen Schutz der besonderen Schutzgebiete gewährleiste.

35.   Es sei gleich gesagt, dass ich das Vorbringen der deutschen Regierung nicht für überzeugend halte.

36.   Der in den fraglichen nationalen Vorschriften gewählte Ansatz steht meines Erachtens sowohl zum Wortlaut als auch zum Geist des Artikels 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie im Widerspruch. Aus dem, was in § 10 Absatz 1 Nummer 11 Buchstaben b und c in Verbindung mit § 18 Absätze 1 und 2 des neuen Gesetzes bestimmt ist, ergibt sich nämlich – und dies bestreitet die deutsche Regierung auch nicht –, dass bestimmte Maßnahmen und Tätigkeiten vom Begriff „Projekte“ und damit von der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung ausgenommen sind, und zwar nach Maßgabe von Faktoren wie der Art des Eingriffs (d. h. danach, ob sie Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des Grundwasserspiegels hervorrufen), des Tätigkeitsbereichs (Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft) und des Umstands, dass sie nicht bestimmter Genehmigung, Erlaubnisse oder Bewilligungen bedürfen.

37.   Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie sieht aber vor, dass „Pläne oder Projekte, … die ein solches Gebiet … einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, … eine Prüfung auf Verträglichkeit … für dieses Gebiet [erfordern]“(12). Es handelt sich somit um eine weitreichende Verpflichtung, die alle Maßnahmen und Tätigkeiten betrifft, die einzeln oder zusammen mit anderen potenziell schädlich für besondere Schutzgebiete sind, und die nur eine einzige Ausnahme von ihrer Anwendbarkeit zulässt, und zwar genau dann, wenn keine Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung derartiger Gebiete besteht.

38.   Meines Erachtens kann daher ganz offenkundig nicht, wie jedoch in der deutschen Regelung geschehen, abstrakt und allgemein angenommen werden, dass im Voraus bestimmte Kategorien von Tätigkeiten oder Eingriffen niemals solche Wirkungen entfalten. Die Wirkung eines Projekts ist nämlich ein relativer Faktor, der von der Natur und den Merkmalen sowohl des fraglichen Projekts als auch des Gebietes und der betroffenen Art abhängt, und ist deshalb Fall für Fall zu prüfen. So können kleinere natürliche Lebensräume, in denen seltene und besonders empfindliche Arten vorkommen, viel stärker auf bestimmte externe Tätigkeiten reagieren als andere Schutzgebiete, die weniger „sensibel“ sind. Diese Auslegung steht meiner Ansicht nach auch in vollem Einklang mit der Priorität, die die Richtlinie der Erhaltung der Schutzgebiete und dem Schutz der gefährdeten Arten einräumt.

39.   Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass mit Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie nationale Vorschriften nicht vereinbar sind, die „[Pläne und Projekte] aufgrund des geringen Umfangs der veranschlagten Kosten oder aufgrund der in Rede stehenden besonderen Tätigkeitsbereiche allgemein von der Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung ausnähmen“(13). Diese Feststellung gilt meines Erachtens erst recht für eine nationale Regelung wie die vorliegende, die von vornherein ganze Kategorien von Tätigkeiten und Eingriffen von der Verpflichtung zur vorherigen Verträglichkeitsprüfung ausnimmt.

40.   Derartige Lücken in den Umsetzungsvorschriften können meiner Auffassung nach nicht durch den von der deutschen Regierung angeführten Umstand ausgeglichen werden, dass bei nicht der Verträglichkeitsprüfung unterliegenden Projekten nach § 18 des neuen Gesetzes gleichwohl die Grundsätze und Regeln im Umweltbereich sowie des Naturschutzes und der Landschaftspflege beachtet werden müssen, was es erlaube, den Anforderungen, die in Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Habitatrichtlinie bezüglich der Erhaltung der Gebiete und der Verträglichkeitsprüfung aufgestellt worden seien, zumindest mittelbar zu genügen. Der Verweis auf allgemeine Normen oder die „gute fachliche Praxis“ kann nämlich meiner Ansicht nach nicht den notwendigen Grad an Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit gewährleisten, der nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes bei der Umsetzung von Richtlinien erforderlich ist(14). Das gilt umso mehr, als die Genauigkeit der Umsetzung im vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung ist, da es sich um nach der allgemeinen Systematik der Habitatrichtlinie grundlegende Verfahrensvorschriften handelt, die speziell den Schutz bestimmter Gebiete regeln (die besonderen Schutzgebiete mit der Bezeichnung „Natura 2000“) und zu diesem Zweck der Verträglichkeitsprüfung eine zentrale Rolle zuweisen.

41.   Ich halte daher die Beanstandungen der Kommission im Zusammenhang mit Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie für begründet.

 Zur zweiten Rüge

42.   Mit ihrer zweiten Rüge beanstandet die Kommission, dass Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie auch bezüglich der Prüfung der Auswirkungen von Luftschadstoffen auf die Schutzgebiete nicht vollständig umgesetzt worden sei.

43.   Das Problem entstehe dadurch, dass nach § 36 des neuen Gesetzes (§ 19e BNatSchG aF) eine emittierende Anlage nur dann nicht genehmigungsfähig sei, wenn zu erwarten sei, dass sie ein besonderes Schutzgebiet in ihrem „Einwirkungsbereich“, so wie dieser in der Ersten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz – TA Luft(15) festgelegt sei, besonders beeinträchtige. Die Auswirkungen auf besondere Schutzgebiete außerhalb des „Einwirkungsbereichs“ würden somit entgegen Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie nicht berücksichtigt.

44.   Die deutsche Regierung wendet ein, dass bei der Prüfung der schädlichen Auswirkungen von Schadstoffen in einem bestimmten „Einwirkungsbereich“ explizit alle relevanten lokalen Gegebenheiten berücksichtigt würden. In der Praxis könnten Emissionen, die geeignet seien, Schutzgüter im Sinne der Habitatrichtlinie zu schädigen, nicht genehmigt werden.

45.   Ich meine, dass hier die im Rahmen der Prüfung der ersten Rüge dargelegten Erwägungen ohne weiteres entsprechend herangezogen werden können. Auch in diesem Fall beschränkt nämlich die deutsche Regelung von vornherein die Berücksichtigung der Auswirkungen bestimmter Tätigkeiten auf die Schutzgebiete anhand eines Unterscheidungsmerkmals (die Lage eines Schutzgebiets innerhalb oder außerhalb eines „Einwirkungsbereichs“), das in Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Richtlinie nicht vorgesehen ist.

46.   Die vorliegende Rüge greift daher meines Erachtens durch.

 Zur dritten Rüge

47.   Mit dieser Rüge beanstandet die Kommission, dass Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d nicht ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden sei, weil dieses nur absichtliche Beschädigungen der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten bestimmter geschützter Tierarten untersage. Im Einzelnen kritisiert die Kommission, dass die nationalen Vorschriften (§ 43 Absatz 4 des neuen Gesetzes, § 20f Absatz 3 BNatSchG aF), die der Umsetzung des genannten Artikels der Richtlinie dienten, eine Ausnahme von den Verboten im Bereich des Schutzes der Tierarten zugunsten von Tätigkeiten vorsähen, die unbeabsichtigte Beschädigungen der Nist-, Brut- oder Zufluchtstätten der geschützten Arten verursachten. Das Schutzsystem nach Artikel 12 lasse jedoch keine derartige Ausnahme zu.

48.   Deutschland weist diese Auslegung des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe d zurück, weil sie zu streng sei und damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.

49.   Meines Erachtens wird die von der Kommission vertretene Auslegung vor allem durch den Wortlaut der betreffenden Bestimmung gestützt. Anders als die übrigen Verbote in Artikel 12 Absatz 1, die ausdrücklich nur für „absichtliche“ Handlungen gelten (Buchstaben a, b und c), betrifft das Verbot bezüglich der Fortpflanzungs- und Ruhestätten (Buchstabe d) jede Form der Vernichtung oder Beschädigung, ohne dass danach unterschieden wird, ob diese Gebiete absichtlich beschädigt werden oder nicht.

50.   Einen verstärkten Schutz dieser Gebiete halte ich jedoch auch aufgrund des Zweckes der Habitatrichtlinie für gerechtfertigt, deren „Hauptziel … es [ist], die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern“(16). Der Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten ist meiner Ansicht nach von entscheidender Bedeutung nicht nur für die Erhaltung, sondern auch für das Überleben der gefährdeten Tierarten.

51.   Die fragliche deutsche Regelung gewährleistet diesen Schutz jedoch nicht, da sie, wie die deutsche Regierung selbst einräumt, erlaubt, von dem in Artikel 12 der Richtlinie vorgesehenen Schutzsystem für die Tierarten Tätigkeiten auszunehmen, die unbeabsichtigte Beschädigungen der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der geschützten Arten verursachen können(17).

52.   Die Bundesrepublik Deutschland hat deshalb meines Erachtens gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie verstoßen.

 Zur vierten Rüge

53.   Die Kommission macht geltend, dass auch Artikel 16 Absatz 1 nicht ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden sei, weil die genauen Voraussetzungen, von denen diese Bestimmung die Zulassung von Ausnahmen von den verschiedenen in der Richtlinie vorgesehenen Verboten abhängig mache, nicht beachtet würden. Insbesondere fehle in § 43 Absatz 4 des neuen Gesetzes (§ 20f Absatz 3 BNatSchG aF) ein klarer Verweis auf derartige Voraussetzungen.

54.   Es sei gleich gesagt, dass ich die von der Kommission vorgebrachte Kritik auch in diesem Fall für begründet halte. § 43 Absatz 4 des nationalen Gesetzes regelt zwar die Ausnahmen von den im Bereich des Tier- und Pflanzenschutzes geltenden Verboten, enthält aber keine Bezugnahme auf Artikel 16 der Richtlinie oder die in diesem Artikel erschöpfend genannten Kategorien zulässiger Ausnahmen. Vielmehr erlaubt die fragliche Vorschrift offenkundig zusätzliche Ausnahmen oder zumindest Ausnahmen, die viel allgemeiner gefasst sind als die insoweit in der Richtlinie vorgesehenen(18). So sieht die nationale Vorschrift vor, dass „[d]ie Verbote … nicht für den Fall [gelten], dass die Handlungen bei der … land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung … vorgenommen werden“, während Artikel 16 Buchstabe b der Richtlinie Ausnahmen in diesen Tätigkeitsbereichen nur „zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum“ zulässt.

55.   § 43 Absatz 4 des neuen Gesetzes (§ 20f Absatz 3 BNatSchG aF) stellt folglich entgegen den Anforderungen der ständigen Rechtsprechung, auf die ich bereits hingewiesen habe (siehe oben, Nr. 40), keine hinreichend klare und bestimmte Umsetzung der genannten Bestimmung der Richtlinie dar.

56.   Auch die vierte Rüge greift daher meines Erachtens durch.

 Zur fünften Rüge

57.   Mit der fünften Rüge beanstandet die Kommission, dass § 6 Absatz 1 Pflanzenschutzgesetz, der ihr von Deutschland als Umsetzungsmaßnahme übermittelt wurde, den Schutz der Tier- und Pflanzenarten im Sinne der Artikel 12 und 13 der Richtlinie im Zusammenhang mit der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nicht ausreichend berücksichtige.

58.   Die deutsche Regierung wendet im Wesentlichen ein, dass diese Erzeugnisse von ihrer Zulassung an Kontrollen in Bezug auf mögliche schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und den Naturhaushalt unterlägen, was es ermögliche, den Zielen der Habitatrichtlinie zu genügen.

59.   Ich stimme jedoch der Kommission darin zu, dass die fragliche Vorschrift bei der Nennung der Fälle, in denen die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln untersagt ist, nicht nur nicht auf die Habitatrichtlinie hinweist, sondern vor allem nicht klar und spezifisch die in den Artikeln 12 und 13 enthaltenen Verbote der Schädigung der geschützten Arten vorsieht. Die genauen Verpflichtungen, die insoweit in der Richtlinie vorgeschrieben werden, können daher nicht als erfüllt angesehen werden.

60.   Ich halte die Vorwürfe der Kommission deshalb für begründet.

 Zur sechsten Rüge

61.   Die Kommission macht schließlich einen Verstoß gegen die Artikel 12 und 16 der Richtlinie geltend, weil a) Deutschland die einschlägigen Fischereivorschriften für acht Bundesländer nicht notifiziert habe(19) und b) die Vorschriften in drei anderen Bundesländern(20) keine Fangverbote enthielten, die den Anforderungen der Richtlinie genügten.

62.   Die deutsche Regierung räumt zwar ein, dass eine Reihe von Fischereivorschriften der Bundesländer, z. B. die Regelung Bremens, nicht vollständig mit der Richtlinie im Einklang stehe, macht aber geltend, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, solche Vorschriften zu notifizieren, weil diese das Bundesrecht und das Gemeinschaftsrecht beachten müssten.

63.   Insoweit kann ich nur erneut (siehe oben, Nr. 40) daran erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die Bestimmungen einer Richtlinie „mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden [müssen], die notwendig sind, um den Erfordernissen der Rechtssicherheit zu genügen“(21). Dies gilt nach der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn es sich um eine Regelung wie die vorliegende handelt, die „die Verwaltung des gemeinsamen Erbes den Mitgliedstaaten für ihr jeweiliges Hoheitsgebiet anvertraut“(22).

64.   Auch wenn man annähme, dass die Fischereivorschriften der Bundesländer mit dem Bundesrecht und dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehen, kann deshalb die Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nicht als klare und bestimmte Form der Umsetzung der Richtlinie angesehen werden. Im Gegenteil, der Normkonflikt, der von der deutschen Regierung selbst für einige Bundesländer eingeräumt wird, führt meiner Ansicht nach eher zu Unklarheiten, die die wirksame Einhaltung der Fangverbote ungewiss machen.

65.   Meines Erachtens bestehen daher keine Zweifel daran, dass Deutschland gegen die Verpflichtungen verstoßen hat, die ihm nach den Artikeln 12 und 16 in Bezug auf die Fischereiregelung obliegen.

66.   Damit komme ich zu dem Ergebnis, dass die Klage der Kommission bezüglich aller von ihr erhobenen Rügen begründet ist und ihr folglich stattzugeben ist.

V –    Kosten

67.   Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

VI – Ergebnis

68.   Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen verstoßen, dass sie die Artikel 6 Absätze 3 und 4, 12, 13 und 16 dieser Richtlinie nicht vollständig und ordnungsgemäß umgesetzt hat.

2.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.


1 – Originalsprache: Italienisch.


2– ABl. L 206, S. 7.


3 – BGB1. 1998 I S. 823.


4 – BGB1. 2002 I S. 1193.


5 – Soweit diese Vorschriften übereinstimmen, haben sich die Parteien in ihren Schriftsätzen sowohl auf die Vorschriften des neuen Gesetzes als auch auf die des BNatSchG bezogen. Auch ich werde im Rahmen der Prüfung der Klage auf diese Weise vorgehen.


6 – BGB1. 1998 I S. 971.


7 – Tatsächlich bezieht sich die Kommission in ihrer Klage auf Vorschriften des neuen Gesetzes nur insoweit, als sie mit denen des früheren Gesetzes übereinstimmen.


8 – Urteile vom 25. November 1998 in der Rechtssache C‑214/96 (Kommission/Spanien, Slg. 1998, I‑7661, Randnr. 25), vom 25. Mai 2000 in der Rechtssache C‑384/97 (Kommission/Griechenland, Slg. 2000, I‑3823, Randnr. 35) und vom 9. September 2004 in der Rechtssache C‑417/02 (Kommission/Griechenland, Slg. 2004, I‑7973, Randnr. 22).


9 – Urteil vom 22. September 2005 in der Rechtssache C‑221/03 (Kommission/Belgien, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 39).


10 – Urteil Kommission/Belgien (Randnr. 39 und die dort zitierte Rechtsprechung).


11 – Nach Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) sind „Projekt“ a) die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen und b) sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen.


12 – Hervorhebung von mir.


13 – Urteil vom 6. April 2000 in der Rechtssache C‑256/98 (Frankreich/Kommission, Slg. 2000, I‑2487, Randnr. 39) bezüglich einer französischen Regelung, die Projekte, deren Gesamtkosten weniger als 12 Millionen FRF betrugen oder die Strom, Gas oder Telekommunikationsnetze betrafen, nicht der Verträglichkeitsprüfung unterwarf.


14 – Vgl. u. a. Urteile vom 8. Juli 1987 in der Rechtssache 262/85 (Kommission/Italien, Slg. 1987, 3073, Randnr. 9), vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache C‑59/89 (Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I‑2607, Randnrn. 18 und 24), vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache C‑38/99 (Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I‑10941, Randnr. 53) und vom 17. Mai 2001 in der Rechtssache C‑159/99 (Kommission/Italien, Slg. 2001, I‑4007, Randnr. 32).


15 – GMBl. 1986, S. 95.


16 – Dritte Begründungserwägung der Habitatrichtlinie.


17 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2005 in der Rechtssache C‑6/04 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2005, II‑0000), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass „das Vereinigte Königreich eingeräumt hat, dass die in Gibraltar geltenden Rechtsvorschriften Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie deshalb nicht genügen, weil sie nur die vorsätzliche Beschädigung oder Zerstörung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der in Frage stehenden Tierarten verbieten“, und dass „[d]ieser Teil der Rüge … daher als begründet anzusehen [ist]“ (Randnr. 79).


18 – Zur Notwendigkeit einer restriktiven Auslegung des Artikels 16 der Richtlinie vgl. Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich (Randnrn. 111 und 112).


19 – Es handelt sich um die Bundesländer Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt.


20 – Insbesondere gehöre in Bayern nach der Verordnung vom 4. November 1997 zur Ausführung des Fischereigesetzes (GVB1. 1997, S. 404, geändert durch Verordnung vom 3. Dezember 1998, GVBl. 1998, S. 982) der Coregonus oxyrhynchus nicht zu den ganzjährig geschützten Arten; in Brandenburg seien nach der Fischereiordnung vom 14. November 1997 (GVB1. II/97, S. 867, geändert durch Verordnung vom 22. Dezember 1998, GVBl. II/99, S. 25) der Coregonus oxyrhynchus und der Unio crassus nicht geschützt; in Bremen schließlich nenne die Binnenfischereiverordnung vom 10. März 1992 (GB1. 1992, S. 51) in der Liste der Fangverbote keine der drei Arten (Acipenser sturio, Coregonus oxyrhynchus und Unio crassus), die in diesem Bundesland zu schützen seien, sondern erlaube ausdrücklich den Fang des Acipenser sturio und des Coregonus oxyrhynchus.


21 – Urteil vom 17. Mai 2001 in der Rechtssache C‑159/99 (Kommission/Italien, Slg. 2001, I‑4007, Randnr. 32 und die dort zitierte Rechtsprechung).


22 – Urteile vom 8. Juli 1987 in der Rechtssache 262/85 (Kommission/Italien, Slg. 1987, 3073, Randnr. 9) und vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache C‑38/99 (Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I‑10941, Randnr. 53). Speziell zur Habitatrichtlinie vgl. zuletzt Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich (Randnrn. 25 und 26).