Verbundene Rechtssachen C-435/02 und C-103/03
Axel Springer AG
gegen
Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG und Hans-Jürgen Weske
(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Essen [Deutschland] und des Landgerichts Hagen [Deutschland])
„Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung – Gesellschaftsrecht – Richtlinie 90/605/EWG zur Änderung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG – Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) – Gesellschaft mit der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, bei der alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Form
einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben – GmbH & Co. KG – Offenlegung der Jahresabschlüsse – Möglichkeit für Dritte, diese Unterlagen einzusehen – Begriff des Dritten – Einbeziehung u. a. der Konkurrenten – Gültigkeit – Rechtsgrundlage – Grundsätze der freien Berufsausübung, der Pressefreiheit und der Gleichbehandlung“
Leitsätze des Beschlusses
1. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Gesellschaften – Richtlinie 90/605 – Jahresabschluss und konsolidierter Abschluss
bestimmter Gesellschaftsformen – Jedem Dritten eröffnete Möglichkeit, den Jahresabschluss und den Lagebericht der Gesellschaften
einzusehen – Wahl der Rechtsgrundlage – Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz
2 Buchstabe g EG) – Gültigkeit
(EG-Vertrag, Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g [nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG]; Richtlinie 90/605 des
Rates)
2. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Gesellschaften – Richtlinie 90/605 – Jahresabschluss und konsolidierter Abschluss
bestimmter Gesellschaftsformen – Jedem Dritten eröffnete Möglichkeit, den Jahresabschluss und den Lagebericht der Gesellschaften
einzusehen – Keine Verletzung der Berufsausübungsfreiheit und der Meinungsfreiheit im Hinblick auf Presse-, Verlags- oder
Rundfunkgesellschaften
(EG-Vertrag, Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g [nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG]; Richtlinie 90/605 des
Rates)
3. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Gesellschaften – Richtlinie 90/605 – Jahresabschluss und konsolidierter Abschluss
bestimmter Gesellschaftsformen – Verpflichtungen zur Offenlegung des Jahresabschlusses, die nur einer Gruppe von Kommanditgesellschaften
auferlegt werden – Kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
(Richtlinie 90/605 des Rates)
1. Die Richtlinie 90/605 zur Änderung der Richtlinien 78/660 und 83/349 über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss
hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs konnte, soweit sich aus ihr ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss
und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse
belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel
44 Absatz 2 Buchstabe g EG) erlassen werden, dem zufolge der Rat und die Kommission auf die Aufhebung der Beschränkungen der
Niederlassungsfreiheit hinwirken, indem sie, soweit erforderlich, die Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mitgliedstaaten
den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu
gestalten.
In dieser Vorschrift, die dem Gemeinschaftsgesetzgeber weitreichende Befugnisse verleiht, ist nämlich vom Ziel des Schutzes
der Interessen Dritter ganz allgemein die Rede, ohne dass insoweit einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen würden,
so dass sich der Begriff des Dritten im Sinne dieses Artikels auf alle Dritten bezieht. Folglich ist dieser Begriff weit auszulegen
und erfasst u. a. die Konkurrenten der betreffenden Gesellschaften
(vgl. Randnrn. 34-35, Tenor 1)
2. Die Richtlinie 90/605 zur Änderung der Richtlinien 78/660 und 83/349 über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss
hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs, soweit sich aus ihr ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und
den Lagebericht von Unternehmen, die eine der von ihr erfassten Gesellschaftsformen haben und ihre Tätigkeit im Presse- oder
Verlagswesen oder im Rundfunkbereich ausüben, einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen,
ist mit den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der freien Berufsausübung und der Meinungsfreiheit vereinbar.
Die Ausübung dieser Rechte kann nämlich Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden
Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren
Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. Die von der Richtlinie 90/605 aufgestellten Offenlegungsvorschriften
entsprechen jedoch diesen Zielen, da sie das zweifache, dem Gemeinwohl dienende Ziel des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g
EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) verfolgen, Dritte vor den finanziellen Risiken zu schützen,
die mit Gesellschaftsformen verbunden sind, die ihnen eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten, und hinsichtlich
des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen
für miteinander im Wettbewerb stehende Gesellschaften herzustellen. Im Übrigen stellen sie keinen unverhältnismäßigen, nicht
tragbaren Eingriff dar, der die fraglichen Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet, da sie nicht geeignet sind, die Wettbewerbsstellung
der betreffenden Gesellschaften zu ändern.
(vgl. Randnrn. 36, 48, 50, 52-53, 58-59, Tenor 2)
3. Die Richtlinie 90/605 zur Änderung der Richtlinien 78/660 und 83/349 über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss
hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs ist mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar, soweit sie Kommanditgesellschaften,
bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben, Verpflichtungen
zur Offenlegung des Jahresabschlusses auferlegt, im Gegensatz zu den Kommanditgesellschaften, bei denen mindestens ein unbeschränkt
haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist und die diesen Verpflichtungen nicht unterliegen.
Die von der Richtlinie 90/605 vorgenommene Unterscheidung beruht nämlich auf der Erwägung, dass die Gesellschaften der ersten
Gruppe Dritten eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten, was bei den Kommanditgesellschaften der zweiten
Gruppe nicht der Fall ist. Diese Unterscheidung ist daher aus Gründen des Schutzes der Interessen Dritter, eines wesentlichen
Zieles der Richtlinie, objektiv gerechtfertigt.
(vgl. Randnrn. 60, 67, 69, 73, Tenor 3)
-
BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
23. September 2004(1)
„Artikel 104 § 3 der Verfahrensordnung – Gesellschaftsrecht – Richtlinie 90/605/EWG zur Änderung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG – Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) – Gesellschaft mit der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, bei der alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Form
einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben – GmbH & Co. KG – Offenlegung der Jahresabschlüsse – Möglichkeit für Dritte, diese Unterlagen einzusehen – Begriff des Dritten – Einbeziehung u. a. der Konkurrenten – Gültigkeit – Rechtsgrundlage – Grundsätze der freien Berufsausübung, der Pressefreiheit und der Gleichbehandlung“
In den verbundenen Rechtssachen C-435/02 und C-103/03
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG
eingereicht vom Landgericht Essen (Deutschland) und vom Landgericht Hagen (Deutschland) mit Beschlüssen vom 25. November 2002 und 11. Februar 2003, eingegangen am 2. Dezember 2002 und 5. März 2003, in den Verfahren
Axel Springer AG
gegen
Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen KG (C-435/02),und
Axel Springer AG gegenHans-Jürgen Weske (C-103/03),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), der Richter J.‑P. Puissochet und R. Schintgen
sowie der Richterinnen F. Macken und N. Colneric,
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: R. Grass,
nach Mitteilung an die vorlegenden Gerichte, dass der Gerichtshof gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch mit
Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden beabsichtigt,nach Aufforderung der Beteiligten im Sinne von Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes zur Einreichung etwaiger Stellungnahmen,nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
- 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Gültigkeit der Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung
der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs
(ABl. L 317, S. 60).
- 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten der Axel Springer AG (im Folgenden: Springer) gegen die Zeitungsverlag
Niederrhein GmbH & Co. Essen KG (im Folgenden: Zeitungsverlag Niederrhein) (C‑435/02) und gegen Herrn Weske, den Geschäftsführer
der Radio Ennepe-Ruhr-Kreis mbH & Co. KG (im Folgenden: Radio Ennepe) (C‑103/03), wegen Anträgen von Springer auf Einsicht
in die Jahresabschlüsse des Zeitungsverlags Niederrhein und von Radio Ennepe.
-
- Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
- 3
Nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) wirken der Rat der
Europäischen Union und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit
hin, indem sie, soweit erforderlich, die Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im
Sinne des Artikels 58 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 48 Absatz 2 EG) im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben
sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten.
- 4
Die Richtlinie 90/605 erging zur Änderung des Anwendungsbereichs u. a. der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25.
Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter
Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11, im Folgenden: Vierte Gesellschaftsrichtlinie).
- 5
Die Vierte Gesellschaftsrichtlinie schreibt Maßnahmen zur Koordinierung der nationalen Vorschriften über den Jahresabschluss
von Kapitalgesellschaften vor. Sie gilt in Deutschland für Gesellschaften folgender Rechtsformen: Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft
auf Aktien und Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
- 6
Die Artikel 1 und 2 der Richtlinie 90/605 erstrecken die Anwendung der durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen
Koordinierungsmaßnahmen u. a. auf bestimmte Formen von Personengesellschaften, darunter in Deutschland die Kommanditgesellschaft,
sofern alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter dieser Gesellschaften Kapitalgesellschaften sind, die eine der in der vorstehenden
Randnummer dieses Urteils genannten Rechtsformen haben.
- 7
Die Richtlinie 90/605 erstreckt somit in Deutschland die Anwendung der durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen
Koordinierungsmaßnahmen u. a. auf Gesellschaften mit der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, bei denen alle unbeschränkt
haftenden Gesellschafter die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haben (im Folgenden: GmbH & Co. KG).
- 8
Diese Gesellschaftsform unterliegt daher u. a. Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Gesellschaftsrichtlinie in der Fassung des
Artikels 38 Absatz 3 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe
g des Vertrages über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193, S. 1), der bestimmt:
„Der ordnungsgemäß gebilligte Jahresabschluss und der Lagebericht sowie der Bericht der mit der Abschlussprüfung beauftragten
Person sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen
Verfahren offen zu legen.
Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates können jedoch den Lagebericht von der genannten Offenlegung freistellen. In diesem
Fall ist der Lagebericht am Sitz der Gesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Einsichtnahme für jedermann bereitzuhalten.
Eine vollständige oder teilweise Ausfertigung dieses Berichts muss auf bloßen Antrag erhältlich sein. Das dafür berechnete
Entgelt darf die Verwaltungskosten nicht übersteigen.“
- 9
Artikel 3 Absätze 1 bis 3 der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen,
die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter
sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S. 8, im Folgenden: Erste Gesellschaftsrichtlinie),
lautet:
„(1) In jedem Mitgliedstaat wird entweder bei einem zentralen Register oder bei einem Handels- oder Gesellschaftsregister
für jede der dort eingetragenen Gesellschaften eine Akte angelegt.
(2) Alle Urkunden und Angaben, die nach Artikel 2 der Offenlegung unterliegen, sind in dieser Akte zu hinterlegen oder in
das Register einzutragen; der Gegenstand der Eintragungen in das Register muss in jedem Fall aus der Akte ersichtlich sein.
(3) Vollständige oder auszugsweise Abschriften der in Artikel 2 bezeichneten Urkunden oder Angaben sind auf schriftliches
Verlangen zuzusenden. Die Gebühren für die Erteilung dieser Abschriften dürfen die Verwaltungskosten nicht übersteigen.
…“
- 10
Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f der Ersten Gesellschaftsrichtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung hinsichtlich der Gesellschaften
mindestens auf folgende Urkunden und Angaben erstreckt:
...
f) die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung für jedes Geschäftsjahr …“
Nationale Regelung
- 11
Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 22. April 1999 in der Rechtssache C‑272/97 (Kommission/Deutschland, Slg. 1999, I‑2175)
festgestellt, dass die Richtlinie 90/605 nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist in deutsches Recht umgesetzt worden war.
- 12
Das deutsche Recht, insbesondere das Handelsgesetzbuch (HGB), wurde seitdem geändert, damit sich die durch die Vierte Gesellschaftsrichtlinie
vorgeschriebenen Koordinierungsmaßnahmen nun u. a. auf die GmbH & Co. KG erstrecken (§ 264a HGB).
- 13
Die neue Regelung sieht außerdem vor, dass Verletzungen der vorgeschriebenen Verpflichtungen zu Ordnungsgeldern von mindestens
2 500 Euro und höchstens 25 000 Euro führen, die vom Amtsgericht, dem in Deutschland für die Führung des Handelsregisters
zuständigen Gericht, festgesetzt werden.
- 14
Diese Ordnungsgelder können jedoch nur auf einen beim Amtsgericht gestellten Antrag hin festgesetzt werden. Der Kreis der
Personen, die einen solchen Antrag stellen können, ist hingegen nicht beschränkt, so dass jeder dazu berechtigt ist (§§ 335a
und 335b HGB).
Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfragen
- 15
Springer beantragte bei den örtlich zuständigen Amtsgerichten, den Zeitungsverlag Niederrhein, ein im Presse- und Verlagswesen
tätiges Unternehmen, und Radio Ennepe, ein im Rundfunkbereich tätiges Unternehmen, mittels Festsetzung von Zwangsgeldern zur
Vorlage ihrer Jahresabschlüsse anzuhalten, damit Springer sie einsehen konnte.
- 16
Die angerufenen Gerichte gaben diesen Anträgen mit Verfügungen statt, mit denen die beantragten Anordnungen getroffen und
den Geschäftsführern der Gesellschaften, Herrn Glandt und Herrn Weske, Ordnungsgelder in Höhe von 5 000 Euro für den Fall
angedroht wurden, dass die Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist eingereicht würden.
- 17
Da die Jahresabschlüsse nicht fristgemäß eingereicht wurden, wurden durch Beschlüsse die Ordnungsgelder festgesetzt.
- 18
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Glandt sowie Herr Weske legten daraufhin Beschwerden gegen diese Beschlüsse bei den
vorlegenden Gerichten ein.
- 19
Diese sind der Auffassung, dass die bei ihnen anhängigen Rechtssachen Zweifel an der Gültigkeit der Richtlinie 90/605 aufwerfen.
- 20
In der Rechtssache C‑435/02 hat das Landgericht Essen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
- 1.
- Ist die Richtlinie 90/605/EWG in Verbindung mit Artikel 47 der Richtlinie 78/660/EWG insoweit mit dem Gemeinschaftsgrundrecht
der Berufsfreiheit vereinbar, als dadurch die Kommanditgesellschaften, deren persönlich haftender Gesellschafter eine Gesellschaft
mit beschränkter Haftung ist, verpflichtet werden, den Jahresabschluss und den Lagebericht insbesondere ohne Beschränkung
des Kreises der zur Einsichtnahme berechtigten Personen offen zu legen?
- 2.
- Ist die Richtlinie 90/605/EWG in Verbindung mit Artikel 47 der Richtlinie 78/660/EWG insoweit mit den Gemeinschaftsgrundrechten
der Presse- und Rundfunkfreiheit vereinbar, als dadurch die Kommanditgesellschaften, deren persönlich haftender Gesellschafter
eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist und die im Bereich des Presse- und Verlagswesens bzw. im Rundfunkbereich tätig
sind, verpflichtet werden, den Jahresabschluss und den Lagebericht insbesondere ohne Beschränkung des Kreises der zur Einsichtnahme
berechtigten Personen offen zu legen?
- 3.
- Ist die Richtlinie 90/605/EWG insoweit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, als sie zu einer Benachteiligung der
Kommanditgesellschaften, deren Komplementär eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, gegenüber Kommanditgesellschaften,
deren Komplementär eine natürliche Person ist, führt, obwohl die Gläubiger der GmbH & Co. KG durch die Offenlegungspflicht
der GmbH besser geschützt werden als Gläubiger einer Kommanditgesellschaft, deren Komplementär als natürliche Person keinen
Offenlegungspflichten unterliegt?
- 21
In der Rechtssache C‑103/03 hat das Landgericht Hagen ebenfalls das Verfahren ausgesetzt und dieselben drei Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt, denen es folgende erste Frage vorangestellt hat:
Konnte sich die Europäische Gemeinschaft zum Erlass der KapCoRiLi (Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur
Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich
ihres Anwendungsbereichs) auf Artikel 54 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag stützen, obwohl diese
Richtlinie Einsichtsrechte auch für nicht schutzbedürftige Dritte gewährt?
- 22
Wegen ihres Zusammenhangs werden die Rechtssachen C‑435/02 und C‑103/03 zu gemeinsamer Entscheidung durch Beschluss verbunden.
Zu den Vorabentscheidungsfragen
- 23
Da die Antwort auf die erste in der Rechtssache C‑103/03 vorgelegte Frage klar aus dem Urteil vom 4. Dezember 1997 in der
Rechtssache C‑97/96 (Daihatsu Deutschland, Slg. 1997, I‑6843) abgeleitet werden kann und die Beantwortung der übrigen in der
Rechtssache C‑103/03 sowie der in der Rechtssache C‑435/02 vorgelegten Fragen keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, hat
der Gerichtshof die vorlegenden Gerichte gemäß Artikel 104 § 3 seiner Verfahrensordnung darüber unterrichtet, dass er beabsichtigt,
durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, und den in Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes bezeichneten Beteiligten
Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern.
- 24
In der Rechtssache C‑435/02 hat der Rat daraufhin erklärt, dass er keine Einwände dagegen habe, dass der Gerichtshof durch
mit Gründen versehenen Beschluss entscheide. Dagegen haben in den Rechtssachen C‑435/02 und C‑103/03 der Zeitungsverlag Niederrhein
und Herr Weske Einwände erhoben und sich dabei auf das Vorbringen in ihren schriftlichen Erklärungen bezogen. Dies hat den
Gerichtshof jedoch nicht veranlasst, von dem beabsichtigten Verfahrensweg abzuweichen.
Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑103/03
- 25
Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑103/03 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie
90/605, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten
Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage
des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages erlassen werden konnte.
- 26
Herr Weske macht geltend, dass der Kreis der nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages zu schützenden Dritten sowohl
die Personen einschließe, die eine Rechtsbeziehung zu der Gesellschaft hätten, als auch diejenigen, die eine solche Beziehung
erst begründen wollten, und damit auch potenzielle Gesellschafter, Beschäftigte oder Gläubiger.
- 27
Diese Vorschrift erlaube jedoch nicht, dass der Kreis der Dritten so definiert werde, dass er jedermann unabhängig von seiner
Stellung einschließe. Die im Urteil Daihatsu Deutschland vertretene weite Auslegung dieses Begriffes des Dritten sei daher
nicht frei von Bedenken.
- 28
Hierzu ist festzustellen, dass, wie der Rat und die Kommission vortragen, die Antwort auf diese Frage klar aus dem Urteil
Daihatsu Deutschland abgeleitet werden kann.
- 29
Nach den Randnummern 19 und 20 des genannten Urteils ist nämlich in Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages selbst vom
Ziel des Schutzes der Interessen Dritter ganz allgemein die Rede, ohne dass insoweit einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen
würden, so dass der Begriff der Dritten im Sinne dieses Artikels nicht auf die Gläubiger der Gesellschaft beschränkt werden
kann.
- 30
In Randnummer 21 des Urteils Daihatsu Deutschland hat der Gerichtshof ferner festgestellt, dass das Ziel, die Beschränkungen
der Niederlassungsfreiheit aufzuheben, das dem Rat und der Kommission durch Artikel 54 Absätze 1 und 2 des Vertrages in sehr
weit gefassten Wendungen aufgegeben ist, nicht durch Artikel 54 Absatz 3 des Vertrages eingeschränkt wird, da dieser, wie
die Verwendung des Wortes „insbesondere“ in Artikel 54 Absatz 3 belegt, lediglich eine nicht abschließende Liste von Maßnahmen
enthält, die zur Verwirklichung dieses Zieles zu ergreifen sind.
- 31
Weiter hat der Gerichtshof in Randnummer 22 des genannten Urteils erklärt, dass die Bestimmungen des Artikels 3 der Ersten
Gesellschaftsrichtlinie, die die Führung eines öffentlichen Registers, in das alle offen zu legenden Urkunden und Angaben
einzutragen sind, sowie für jedermann die Möglichkeit vorsehen, Abschriften der Jahresabschlüsse zugesandt zu bekommen, das
in der vierten Begründungserwägung dieser Richtlinie zum Ausdruck gebrachte Bestreben bestätigen, diese Informationen jedem
Dritten zugänglich zu machen, der die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft nicht hinreichend kennt oder
kennen kann.
- 32
In derselben Randnummer hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass dieses Bestreben auch in den Begründungserwägungen der Vierten
Gesellschaftsrichtlinie Ausdruck findet, in denen auf das Erfordernis hingewiesen wird, hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden
finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende
Gesellschaften herzustellen (siehe insbesondere die dritte Begründungserwägung).
- 33
Aus dem Urteil Daihatsu Deutschland ergibt sich somit klar, dass die durch Artikel 3 der Ersten Gesellschaftsrichtlinie vorgeschriebenen
Offenlegungspflichten, auf die sich Artikel 47 Absatz 1 der Vierten Gesellschaftsrichtlinie bezieht und die durch die Richtlinie
90/605 auf bestimmte Formen von Personengesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende erstreckt werden,
bedeuten, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von der Richtlinie erfassten Gesellschaftsformen
einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen.
- 34
Aus den Randnummern 21 und 22 des genannten Urteils geht ferner klar hervor, dass ein Gemeinschaftsrechtsakt, der derartige
Offenlegungspflichten vorsieht, auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages erlassen werden konnte,
da in dieser Vorschrift, die dem Gemeinschaftsgesetzgeber weitreichende Befugnisse verleiht, vom Ziel des Schutzes der Interessen
Dritter ganz allgemein die Rede ist, ohne dass insoweit einzelne Gruppen unterschieden oder ausgeschlossen würden, so dass
sich der Begriff des Dritten im Sinne dieses Artikels auf alle Dritten bezieht. Folglich ist dieser Begriff weit auszulegen
und erfasst u. a. die Konkurrenten der betreffenden Gesellschaften.
- 35
Somit ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑103/03 zu antworten, dass die Richtlinie 90/605, soweit sich daraus ergibt,
dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen,
ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe
g des Vertrages erlassen werden konnte.
Zu den ersten beiden Fragen in der Rechtssache C‑435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C‑103/03
- 36
Mit den ersten beiden Fragen in der Rechtssache C‑435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C‑103/03,
die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 90/605, soweit sich
daraus ergibt, dass jeder die Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht von Unternehmen, die eine der von ihr
erfassten Gesellschaftsformen haben und ihre Tätigkeit wie im vorliegenden Fall im Presse- oder Verlagswesen oder im Rundfunkbereich
ausüben, einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges Recht oder Interesse belegen zu müssen, mit den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen
Grundsätzen der Berufs- und der Pressefreiheit vereinbar ist.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
- 37
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske machen geltend, dass die Richtlinie 90/605 in Verbindung mit Artikel 47 der
Vierten Gesellschaftsrichtlinie ein legitimes Gemeinwohlziel verfolge, da die durch sie vorgeschriebenen Offenlegungspflichten
dem Schutz der Gesellschafter, der Beschäftigten und der Gläubiger der Gesellschaft dienten.
- 38
Die Einbeziehung aller interessierten Personen einschließlich der Konkurrenten in den Kreis der zur Einsicht in die betreffenden
Unterlagen Berechtigten sei jedoch insbesondere im Hinblick auf das berechtigte Interesse der Gesellschaft an der Geheimhaltung
bestimmter Daten eine unangemessene Belastung. Die Richtlinie 90/605 sei daher mit dem Gemeinschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit
unvereinbar und folglich ungültig.
- 39
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske tragen ferner vor, dass die Freiheit der Meinungsäußerung als durch das Gemeinschaftsrecht
garantiertes Grundrecht die gesamte Betätigung der Presse- und der Rundfunkunternehmen schütze.
- 40
Da die Richtlinie 90/605 und die Vierte Gesellschaftsrichtlinie keinen besonderen Schutz für Presse- und Rundfunkunternehmen
enthielten, indem sie Ausnahmen von den in ihnen vorgesehenen Offenlegungspflichten bestimmten, seien sie unvereinbar mit
der Meinungsfreiheit.
- 41
Die belgische Regierung macht geltend, dass die durch die Richtlinie 90/506 vorgeschriebene Verpflichtung zur Offenlegung
des Jahresabschlusses dadurch gerechtfertigt sei, dass Dritte im Fall der von der Richtlinie erfassten Gesellschaften nur
begrenzt auf den Gesellschafter Rückgriff nehmen könnten, da dieser eine juristische Person mit beschränkter Haftung sei.
- 42
Die Kommission bezieht sich auf die ersten drei Begründungserwägungen der Vierten Gesellschaftsrichtlinie, aus denen insbesondere
hervorgehe, dass die Vorschriften über die Offenlegung des Jahresabschlusses und des Lageberichts notwendig seien, weil die
Gesellschaftsformen, für die diese Vorschriften gälten, Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen böten,
und dass es erforderlich sei, hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft
gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen herzustellen.
- 43
Die Einbeziehung u. a. der Konkurrenten in den Kreis der zur Einsichtnahme in die fraglichen Dokumente berechtigten Personen
sei ein erforderliches und angemessenes Mittel zur Erreichung des sowohl in diesen Begründungserwägungen als auch in Artikel
54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil Daihatsu Deutschland genannten Zieles,
nämlich des Schutzes nicht nur der Gesellschafter, sondern auch Dritter.
- 44
Die Kommission trägt ferner vor, dass die Frage bezüglich des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Berufsfreiheit
im vorliegenden Fall die Frage bezüglich des allgemeinen Grundsatzes der Pressefreiheit umfasse.
- 45
Der Rat macht geltend, dass die Richtlinie 90/605 keinen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstelle, der das
Recht auf freie Berufsausübung in seinem Wesensgehalt antaste.
- 46
Außerdem verstoße die durch die Richtlinie 90/605 vorgeschriebene Offenlegungspflicht in keiner Weise gegen die Pressefreiheit,
wie sie insbesondere in Artikel 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert
sei, da sie in keiner Weise den Inhalt der Informationen oder Ideen berühre, die von einer unter die Richtlinie fallenden
Gesellschaft mitgeteilt würden.
Antwort des Gerichtshofes
- 47
Zunächst ist festzustellen, dass die Frage, ob die Offenlegungspflichten, die den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden
Personengesellschaften auferlegt sind, mit der Freiheit der Meinungsäußerung vereinbar sind, in der Frage nach der Vereinbarkeit
dieser Verpflichtungen mit der freien Berufsausübung aufgeht. Die betreffenden Verpflichtungen gelten nämlich für alle Unternehmen
mit einer bestimmten Gesellschaftsform unabhängig von der Art ihrer Tätigkeiten. Sie weisen zudem keinen hinreichend direkten
und speziellen Zusammenhang mit einer Tätigkeit auf, die unter die Freiheit der Meinungsäußerung fällt. Es handelt sich im
Wesentlichen um eine Regelung, die die betreffenden Gesellschaften unabhängig von der ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit
berührt.
- 48
Der Gerichtshof hat entschieden, dass sowohl das Eigentumsrecht als auch die freie Berufsausübung zu den allgemeinen Grundsätzen
des Gemeinschaftsrechts gehören. Nach dieser Rechtsprechung kann aber die Ausübung dieser Rechte Beschränkungen unterworfen
werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick
auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt
antastet (vgl. Urteile vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C‑280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I‑4973, Randnr. 78, und
vom 10. Juli 2003 in den Rechtssachen C‑20/00 und C‑64/00, Booker Aquaculture und Hydro Seafood, Slg. 2003, I‑7411, Randnr. 68,
und die dort zitierte Rechtsprechung).
- 49
Unter diesen Voraussetzungen erscheint selbst dann, wenn die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Offenlegungspflichten
eine hinreichend direkte und bedeutsame Auswirkung auf die freie Berufsausübung haben sollten, die Beschränkung, zu der sie
führen, insbesondere die Beschränkung des Rechts eines Unternehmens, bestimmte potenziell sensible Daten geheim zu halten,
auf jeden Fall eindeutig gerechtfertigt.
- 50
Nach den ersten drei Begründungserwägungen der Vierten Gesellschaftsrichtlinie verfolgen nämlich die Offenlegungsvorschriften,
die die Richtlinie für bestimmte Formen von Kapitalgesellschaften vorsieht, das zweifache, dem Gemeinwohl dienende Ziel des
Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages, Dritte vor den finanziellen Risiken zu schützen, die mit Gesellschaftsformen
verbunden sind, die ihnen eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten, und hinsichtlich des Umfangs der zu
veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander im
Wettbewerb stehende Gesellschaften herzustellen.
- 51
Die Richtlinie 90/605 soll nach ihren ersten fünf Begründungserwägungen speziell einer Praxis begegnen, die darin besteht,
dass die rechtliche Regelung dadurch umgangen wird, dass eine beträchtliche und weiter steigende Zahl von Gesellschaften in
Form von Personengesellschaften errichtet wird, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform von Kapitalgesellschaften
haben, um sich der Wirkung der für diese Gesellschaften geltenden Offenlegungsvorschriften zu entziehen, d. h. einer Praxis,
die somit dem oben genannten Ziel der Vierten Gesellschaftsrichtlinie zuwiderläuft, Dritte vor den finanziellen Risiken der
Gesellschaftsformen zu schützen, die ihnen eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten.
- 52
Folglich entsprechen die durch die Richtlinie 90/605 vorgeschriebenen Maßnahmen tatsächlich den Zielen des Artikels 54 Absatz
3 Buchstabe g des Vertrages und damit im Sinne der in Randnummer 48 dieses Beschlusses zitierten Rechtsprechung dem Gemeinwohl
dienenden Zielen der Gemeinschaft.
- 53
Der Nachteil, zu dem die durch diese Offenlegungsvorschriften auferlegten Verpflichtungen führen könnten, erscheint im Übrigen
begrenzt. Es erscheint nämlich zweifelhaft, ob diese Vorschriften geeignet sind, die Wettbewerbsstellung der betreffenden
Gesellschaften zu ändern, anders als dies in der dem Urteil Deutschland/Rat vom 5. Oktober 1994 (Randnr. 81) zugrunde liegenden
Rechtssache der Fall war.
- 54
Diese Beurteilung wird durch die Vorschriften der Vierten Gesellschaftsrichtlinie, insbesondere die Artikel 11, 27 und 44
bis 47, bestätigt, die die Möglichkeit vorsehen, die Informationen, die im Jahresabschluss und im Jahresbericht von Gesellschaften,
die die Grenzen bestimmter Größenmerkmale nicht überschreiten, enthalten sein müssen, und die Offenlegung der Abschlüsse dieser
Gesellschaften zu beschränken. Darüber hinaus soll Artikel 45 dieser Richtlinie insbesondere verhindern, dass den betreffenden
Unternehmen durch die Offenlegung bestimmter Daten ein erheblicher Nachteil zugefügt wird.
- 55
Ferner können nach Artikel 46 der Richtlinie die Angaben, die im Lagebericht enthalten sein müssen, allgemein gehalten sein,
so dass es entgegen dem Vorbringen des Zeitungsverlags Niederrhein und von Herrn Weske nicht erforderlich ist, bestimmte sensible
Daten, aus denen z. B. die Berechnungsgrundlage der Preise hervorgehen kann, detailliert mitzuteilen.
- 56
Im Übrigen werden durch die Offenlegung des Jahresabschlusses von Kapitalgesellschaften, die die einzigen unbeschränkt haftenden
Gesellschafter einer von der Richtlinie 90/605 erfassten Personengesellschaft wie derjenigen sind, die wie in den Ausgangsverfahren
die Form einer GmbH & Co. KG hat, im vorliegenden Fall also des Jahresabschlusses von Gesellschaften mit beschränkter Haftung,
nur Angaben über die Lage der betreffenden Gesellschafter und keine Angaben über die Lage der Personengesellschaft mitgeteilt.
Sie macht daher die Veröffentlichung des Jahresabschlusses der letztgenannten Gesellschaft nicht überflüssig.
- 57
Zudem können nach dem durch Artikel 1 Nummer 4 der Richtlinie 90/605 in die Vierte Gesellschaftsrichtlinie eingefügten Artikel
57a Personengesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden GmbH & Co. KGs von den Offenlegungspflichten
befreit werden, wenn ihre Abschlüsse zusammen mit denen eines ihrer unbeschränkt haftenden Gesellschafter offen gelegt werden
müssen oder in die konsolidierten Abschlüsse einer Gruppe von Gesellschaften einbezogen sind.
- 58
Unter diesen Voraussetzungen stellt die Verpflichtung im Bereich der Offenlegung des Jahresabschlusses und des Lageberichts,
die Personengesellschaften wie denjenigen auferlegt ist, die die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Rechtsform einer
GmbH & Co. KG haben, keinen unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff dar, der die freie Berufsausübung in ihrem Wesensgehalt
antastet.
- 59
Nach alledem ist auf die ersten beiden Fragen in der Rechtssache C‑435/02 sowie die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache
C‑103/03 zu antworten, dass die Prüfung dieser Fragen am Maßstab der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der freien
Berufsausübung und der Freiheit der Meinungsäußerung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen
könnte.
Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑435/02 und zur vierten Frage in der Rechtssache C‑103/03
- 60
Mit der dritten Frage in der Rechtssache C‑435/02 und der vierten Frage in der Rechtssache C‑103/03 möchten die vorlegenden
Gerichte im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 90/605 mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist, soweit sie
Kommanditgesellschaften, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter
Haftung haben, Verpflichtungen zur Offenlegung des Jahresabschlusses auferlegt. Diese Gesellschaften seien gegenüber Kommanditgesellschaften
benachteiligt, bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei und die diesen Verpflichtungen
nicht unterlägen, obwohl die Gläubiger von Gesellschaften mit der erstgenannten Gesellschaftsform besser geschützt seien als
die Gläubiger von Gesellschaften mit der letztgenannten Form, da die Gesellschafter bei der erstgenannten Form als Gesellschaften
mit beschränkter Haftung derartigen Offenlegungspflichten unterlägen, natürliche Personen jedoch nicht.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
- 61
Der Zeitungsverlag Niederrhein und Herr Weske machen geltend, dass die Offenlegungsvorschriften eine gravierende Ungleichbehandlung
der Kommanditgesellschaften, bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei, und
der Kommanditgesellschaften darstellten, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter Gesellschaften mit beschränkter
Haftung seien, wie die GmbH & Co. KG, und dass den letztgenannten Kommanditgesellschaften durch diese Situation erhebliche
Nachteile entstünden.
- 62
Der Rat trägt vor, dass aus den ersten drei Begründungserwägungen der Richtlinie 90/605 hervorgehe, dass diese eine Lücke
schließen solle, die sich aus den Vorschriften der Vierten Gesellschaftsrichtlinie ergebe und die nach Ansicht des Gesetzgebers
im Widerspruch zu Sinn und Zweck Letzterer stehe, da eine ständig steigende Zahl von Gesellschaften wie die in den Ausgangsverfahren
in Rede stehenden Kommanditgesellschaften nicht den Offenlegungspflichten unterliege, obwohl ihre Gläubiger nur gegen unbeschränkt
haftende Gesellschafter mit der Rechtsform von Gesellschaften mit beschränkter Haftung vorgehen könnten, die Dritten eine
Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen böten.
- 63
Im Hinblick auf Dritte bestehe ein grundlegender Unterschied zwischen solchen Kommanditgesellschaften und Kommanditgesellschaften,
bei denen mindestens ein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person sei, die für die Schulden der Gesellschaft
mit ihrem gesamten Vermögen hafte.
- 64
Dass Kommanditgesellschaften wie der GmbH & Co. KG, bei denen alle unbeschränkt haftenden Gesellschafter die Rechtsform einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung hätten, Offenlegungspflichten auferlegt würden, anderen Kommanditgesellschaften aber
nicht, sei daher objektiv gerechtfertigt.
- 65
Die Kommission verweist auf denselben objektiven Unterschied zwischen den verschiedenen Kommanditgesellschaften und schließt
daraus, dass die Richtlinie 90/605 keine Diskriminierung darstelle.
Antwort des Gerichtshofes
- 66
Zunächst ist daran zu erinnern, dass der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung, der zu den wesentlichen Grundsätzen des
Gemeinschaftsrechts gehört, verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte
nicht gleich behandelt werden dürfen, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist. (vgl. u. a. Urteil
vom 9. September 2004 in der Rechtssache C‑304/01, Spanien/Kommission, Slg. 2004, I‑0000, Randnr. 31).
- 67
Wie aus Randnummer 51 dieses Beschlusses hervorgeht, beruht der Unterschied, den die Richtlinie 90/605 zwischen den von ihr
erfassten Kommanditgesellschaften wie der GmbH & Co. KG und den Kommanditgesellschaften macht, zu deren unbeschränkt haftenden
Gesellschaftern mindestens eine natürliche Person außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie gehört, auf der Erwägung,
dass die erste Gruppe dieser Gesellschaften mittelbar dieselben Risiken für Dritte birgt wie die von der Vierten Gesellschaftsrichtlinie
erfassten Kapitalgesellschaften, indem diese Gesellschaften Dritten eine Sicherheit nur durch ein Gesellschaftsvermögen bieten,
was bei der zweiten Gruppe von Kommanditgesellschaften nicht der Fall ist.
- 68
Die Richtlinie 90/605 folgt derselben Logik wie die Vierte Gesellschaftsrichtlinie, deren Umgehung sie verhindern soll und
zu der sie insoweit rein akzessorisch ist. In diesem Sinne ergänzt die Richtlinie 90/605 die Vierte Gesellschaftsrichtlinie,
damit der Vorteil der Beschränkung der Haftung, den einige Gesellschaftsformen genießen, mit einer angemessenen Offenlegung
zum Schutz der Interessen Dritter einhergeht.
- 69
Der Unterschied, den die Richtlinie 90/605 zwischen den beiden in Randnummer 67 dieses Beschlusses genannten Gruppen von Kommanditgesellschaften
zur Festlegung des Anwendungsbereichs der Vierten Gesellschaftsrichtlinie und der durch diese Richtlinie auferlegten Offenlegungspflichten
macht, ist daher aus Gründen des Schutzes der Interessen Dritter, eines wesentlichen Zieles der Richtlinie 90/605 und der
Vierten Gesellschaftsrichtlinie, objektiv gerechtfertigt.
- 70
Diese Beurteilung wird nicht durch den von den vorlegenden Gerichten angeführten Umstand in Frage gestellt, dass die Gläubiger
der von der Richtlinie 90/605 erfassten Kommanditgesellschaften bereits dadurch geschützt seien, dass die Gesellschafter als
Gesellschaften mit beschränkter Haftung den in der Vierten Gesellschaftsrichtlinie vorgesehenen Offenlegungspflichten unterlägen,
während diese Verpflichtungen nicht für natürliche Personen gälten.
- 71
Wie bereits in Randnummer 56 dieses Beschlusses festgestellt worden ist, liefert die Offenlegung des Jahresabschlusses von
Kapitalgesellschaften, die die einzigen unbeschränkt haftenden Gesellschafter einer von der Richtlinie 90/605 erfassten Personengesellschaft
wie derjenigen sind, die wie in den Ausgangsverfahren die Form einer GmbH & Co. KG hat, im vorliegenden Fall also des Jahresabschlusses
von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, nur Angaben über die Lage der betreffenden Gesellschafter und keine Angaben über
die Lage der Personengesellschaft.
- 72
Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Richtlinie 90/605 gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt.
- 73
Unter diesen Voraussetzungen ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑435/02 und die vierte Frage in der Rechtssache
C‑103/03 zu antworten, dass ihre Prüfung am Maßstab des Grundsatzes der Gleichbehandlung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit
der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
Kosten
- 74
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen
Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe
von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
-
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
- 1.
- Die Richtlinie 90/605/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG über den Jahresabschluss
bzw. den konsolidierten Abschluss hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs konnte, soweit sich daraus ergibt, dass jeder die
Möglichkeit hat, den Jahresabschluss und den Lagebericht der von ihr erfassten Gesellschaftsformen einzusehen, ohne ein schutzbedürftiges
Recht oder Interesse belegen zu müssen, wirksam auf der Grundlage des Artikels 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages (nach
Änderung jetzt Artikel 44 Absatz 2 Buchstabe g EG) erlassen werden.
- 2.
- Die Prüfung der ersten beiden Fragen in der Rechtssache C‑435/02 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache
C‑103/03 am Maßstab der allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der freien Berufsausübung und der Freiheit der Meinungsäußerung
hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
- 3.
- Die Prüfung der dritten Frage in der Rechtssache C‑435/02 und der vierten Frage in der Rechtssache C‑103/03 am Maßstab des
Grundsatzes der Gleichbehandlung hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 90/605 beeinträchtigen könnte.
Unterschriften.
- 1 –
- Verfahrenssprache: Deutsch.