61999C0095

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 30. November 2000. - Mervett Khalil (C-95/99), Issa Chaaban (C-96/99) und Hassan Osseili (C-97/99) gegen Bundesanstalt für Arbeit und Mohamad Nasser (C-98/99) gegen Landeshauptstadt Stuttgart und Meriem Addou (C-180/99) gegen Land Nordrhein-Westfalen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundessozialgericht - Deutschland. - Soziale Sicherheit - Artikel 51 EWG-Vertrag (später Artikel 51 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 42 EG) - Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Staatenlose - Flüchtlinge. - Verbundene Rechtssachen C-95/99 bis C-98/99 und C-180/99.

Sammlung der Rechtsprechung 2001 Seite I-07413


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Die Grundverordnung der Gemeinschaft auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, gilt ausdrücklich nicht nur für Gemeinschaftsangehörige, sondern auch für Staatenlose und Flüchtlinge. Die vorliegenden Rechtssachen werfen zwei Hauptfragen betreffend die Gültigkeit und Auslegung der Verordnung auf: War der Rat zur Einbeziehung der Staatenlosen und Flüchtlinge in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung befugt? Und, bejahendenfalls, ist sie auch auf Personen anwendbar, die unmittelbar aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat eingereist und innerhalb der Gemeinschaft nicht gewandert sind, sofern kein anderes innergemeinschaftliches grenzüberschreitendes Element vorliegt? Sollten die beiden Hauptfragen bejaht werden, wird der Gerichtshof außerdem gefragt, ob bestimmte Familienleistungen aufgrund der Verordnung zu gewähren sind.

Die Verordnung Nr. 1408/71 und ihre Rechtsgrundlage

2. Artikel 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 42 EG) bestimmte:

Der Rat beschließt einstimmig auf Vorschlag der Kommission die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen; zu diesem Zweck führt er insbesondere ein System ein, welches aus- und einwandernden Arbeitnehmern und deren anspruchsberechtigten Angehörigen Folgendes sichert:

a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen;

b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen."

3. Artikel 235 EG-Vertrag (jetzt Artikel 308 EG) sah vor:

Erscheint ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und sind in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften."

4. Die Verordnung Nr. 1408/71 (Nachfolgerin der Verordnung Nr. 3 aus 1958, von der noch die Rede sein wird) in ihrer ursprünglichen Fassung erfasste nur Arbeitnehmer: Ihr Titel lautete Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern". Diese ursprüngliche Fassung war insbesondere auf die Artikel 2, 7 und 51 EG-Vertrag gestützt (Artikel 2 und 7 nach Änderung jetzt Artikel 2 EG und 12 EG).

5. Artikel 2 Absatz 1 dieser Fassung der Verordnung lautete:

Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene."

6. Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde 1981 durch die Verordnung Nr. 1390/81 auf Selbständige und ihre Familienangehörigen erstreckt. Die Verordnung Nr. 1390/81 ist insbesondere auf die Artikel 2, 7, 51 und 235 EG-Vertrag gestützt. Erstaunlicherweise nimmt die Verordnung Nr. 1390/81 keine Änderung der Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 1408/71 vor, um diese Erstreckung zu erläutern; das geschah offensichtlich erst 1997, als die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 Titel, Begründungserwägungen, Inhaltsverzeichnis und Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 durch einen neuen aktualisierten Wortlaut ersetzte, der zahlreiche Änderungen aufnahm, die seit der Aktualisierung von 1983 vorgenommen worden waren (die sich nicht auf die Begründungserwägungen erstreckt hatte). Die Präambel in ihrer aktualisierten Fassung von 1997 verweist als Rechtsgrundlage insbesondere auf die Artikel 51 und 235.

7. Artikel 2 Absätze 1 und 2 der Verordnung in ihrer 1981 erweiterten und im maßgeblichen Zeitraum gültigen Fassung sieht vor:

(1) Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

(2) Diese Verordnung gilt ferner für Hinterbliebene von Arbeitnehmern oder Selbständigen, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten galten, und zwar ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit dieser Arbeitnehmer oder Selbständigen, wenn die Hinterbliebenen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen."

8. Artikel 1 Buchstabe a enthält eine weite Definition der Begriffe Arbeitnehmer" und Selbständiger" und erfasst letztlich alle Personen, die in irgendeiner Weise gegen eines der Risiken versichert sind, die von den Zweigen der sozialen Sicherheit erfasst werden, auf die die Verordnung anzuwenden ist. Die Verordnung erfasst demzufolge sowohl Personen, die Arbeitslosenunterstützung beziehen, als auch Personen, die einer Beschäftigung nachgehen.

9. Artikel 3 Absatz 1 bestimmt:

Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

10. Artikel 4 Absatz 1 sieht vor, dass die Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit gilt, die die dort aufgezählten Leistungsarten betreffen. Dazu gehören auch Familienleistungen", zu denen sowohl das Kindergeld als auch das Erziehungsgeld zählt, um die es in den Ausgangsverfahren geht.

Sachverhalt und Ausgangsverfahren

11. Die Rechtssachen C-95/99 (Khalil), C-97/99 (Osseili) und C-98/99 (Nasser) betreffen jeweils Eheleute, die aus dem Libanon stammende Palästinenser sind und in den achtziger Jahren als Bürgerkriegsfluechtlinge aus dem Libanon nach Deutschland eingereist sind. Sie leben seitdem ununterbrochen in Deutschland, wo ihnen die Anerkennung als politische Flüchtlinge versagt wurde. In dem maßgeblichen Zeitraum bestritt die Familie Khalil ihren Lebensunterhalt aus der dem Ehemann der Klägerin gezahlten Arbeitslosenhilfe und ergänzender Sozialhilfe, während in den Rechtssachen Osseili und Nasser der klagende Ehemann Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit hatte.

12. In der Rechtssache C-96/99 (Chaaban) geht es um Eheleute, die aus dem Libanon stammende Kurden sind und 1985 als Bürgerkriegsfluechtlinge aus dem Libanon nach Deutschland eingereist sind. Sie leben seitdem ununterbrochen in Deutschland, wo ihnen die Anerkennung als politische Flüchtlinge versagt wurde. Der klagende Ehemann war in dem maßgeblichen Zeitraum erwerbstätig.

13. Die Rechtssache C-180/99 (Addou) betrifft eine algerische Staatsangehörige, deren Ehemann in der maßgeblichen Zeit die marokkanische Staatsangehörigkeit besaß. Die Eheleute sind 1988 aus Algerien bzw. Marokko nach Deutschland eingereist und leben seitdem ununterbrochen dort. Die klagende Ehefrau beantragte erfolglos ihre Anerkennung als Asylberechtigte; ihr Ehemann wurde jedoch im Januar 1994 als Flüchtling anerkannt und wurde später deutscher Staatsangehöriger. Er war in dem maßgeblichen Zeitraum erwerbstätig.

14. Die ersten vier Rechtssachen (Khalil, Chaaban, Osseili und Nasser) betreffen einen Anspruch auf Kindergeld, die Rechtssache Addou einen Anspruch auf Erziehungsgeld. Ab 1. Januar 1994 wurden das nationale Recht, das diese Leistungen regelte, dahin geändert, dass der Anspruch bei Ausländern von dem Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhängig gemacht wurde; der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis reichte - anders als zuvor - nicht mehr aus.

15. Das Bundessozialgericht führt in den Vorlagebeschlüssen aus, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung bezweckt habe, den Kindergeld- oder Erziehungsgeldanspruch auf solche Ausländer zu begrenzen, von denen im Regelfall zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben würden; dies habe er allein bei denjenigen angenommen, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis seien. Die Aufenthaltsbefugnis sei nach der Systematik des Ausländergesetzes gegenüber der Aufenthaltsberechtigung und der Aufenthaltserlaubnis ein Aufenthaltstitel minderen Ranges. Sie sei vor allem für De-facto-Flüchtlinge geschaffen worden, also für Ausländer, deren Aufenthalt im Bundesgebiet nur aus humanitären Gründen, z. B. Bürgerkrieg im Heimatland, geduldet werde.

16. Den Klägern Khalil, Chaaban, Osseili und Nasser wurde das Kindergeld für ihre Kinder mit der Begründung versagt, dass sie nicht die Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis besäßen. Der Klägerin Addou wurde mit derselben Begründung das Erziehungsgeld für ihre Tochter versagt.

17. In allen Rechtssachen klagten die Kläger erfolglos gegen die ablehnenden Entscheidungen. Alle Fälle wurden von den Klägern weiterverfolgt und kamen schließlich vor das Bundessozialgericht. In den ersten vier Rechtssachen trugen die Kläger vor den nationalen Gerichten vor, dass entweder der Kläger (in den Rechtssachen Khalil, Osseili und Nasser) oder dessen Ehegatte (in der Rechtssache Chaaban) staatenlos und nach Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung beim Bezug von Leistungen, die dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfielen, Deutschen oder anderen Bürgern aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleichzustellen sei, so dass es auf den Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nicht ankomme. In der Rechtssache Addou entschied das Landessozialgericht, dass die Klägerin als Familienangehörige eines anerkannten Flüchtlings den Unionsbürgern gleichzustellen sei.

18. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts ist jedoch zweifelhaft, ob die Einbeziehung der Staatenlosen und Flüchtlinge in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Es hat daher die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. In allen Rechtssachen sind die beiden ersten Fragen des Bundessozialgerichts darauf gerichtet, ob zum einen die Verordnung Nr. 1408/71 auf Staatenlose oder Flüchtlinge und deren Familienangehörige anwendbar ist, wenn diese nach dem EG-Vertrag kein Recht auf Freizügigkeit haben, und zum anderen, bejahendenfalls, ob die Verordnung auch auf Personen anwendbar ist, die unmittelbar aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat eingereist und innerhalb der Gemeinschaft nicht gewandert sind. Bei Bejahung auch dieser Frage wird der Gerichtshof außerdem gefragt, ob eine Familienleistung zu gewähren ist, wenn ein Ehegatte Staatsangehöriger eines Drittstaats und Arbeitnehmer ist, während der andere Ehegatte Staatenloser und kein Arbeitnehmer ist (in der Rechtssache Chaaban), oder wenn ein Ehegatte Flüchtling und Arbeitnehmer ist, während der andere Ehegatte weder Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats noch Arbeitnehmer noch anerkannter Flüchtling ist (in der Rechtssache Addou).

Erörterung der ersten Frage

19. Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG), der erste Artikel in Titel III (Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) Kapitel 1 des EG-Vertrags, sah die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft vor. Ungeachtet vereinzelter, früherer Vorstellungen, wonach Artikel 48 nicht verlange, dass ein Arbeitnehmer Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats sein müsse, damit ihm das Recht auf Freizügigkeit zugute komme, entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass diese Bestimmung die Freizügigkeit nur für Gemeinschaftsangehörige (jetzt Unionsbürger) gewährleistet.

20. Der oben zitierte Artikel 51, der ebenfalls in Titel III Kapitel 1 enthalten ist, gibt dem Rat auf, die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie für die Zusammenrechnung und Übertragung von Leistungen notwendigen Maßnahmen zu beschließen.

21. Die Verordnung findet ihrem Wortlaut nach Anwendung auf Staatenlose und Flüchtlinge, die als solche - da sie keine Gemeinschaftsangehörigen sind - kein Recht auf Freizügigkeit nach dem EG-Vertrag besitzen. Es stellt sich daher die Frage, ob der Rat zur Einbeziehung dieser Personen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung befugt war.

22. Die Beantwortung der ersten Frage mag unnötig erscheinen, da die Antwort, die meines Erachtens auf die zweite Frage zu geben ist, es - wie sich herausstellen wird - dem vorlegenden Gericht erlaubt, die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. Nichtsdestotrotz wirft die erste Frage eine wichtige, neuartige Grundsatzfrage auf, über die der Gerichtshof meiner Ansicht nach entscheiden sollte.

Historischer Kontext des Artikels 51 und der Verordnung

23. Es ist hilfreich, das Problem zunächst in seinem historischen Kontext zu beleuchten.

24. Ausgangspunkt sind vielleicht das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnet wurde (im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention), und das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen, das am 28. September 1954 in New York unterzeichnet wurde (im Folgenden: New Yorker Übereinkommen). (Die Entstehung dieser beiden Übereinkünfte lässt sich bis in die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zurückverfolgen. Kurz nach ihrer Gründung setzte die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen eine Arbeitsgruppe ein, um das Problem der Staatenlosigkeit zu untersuchen. Später verabschiedete die Menschenrechtskommission eine Resolution dahin, dass die Vereinten Nationen die Rechtsstellung von Staatenlosen, insbesondere mit Bezug auf ihren rechtlichen und sozialen Schutz, frühzeitig prüfen möge. Das führte letztendlich zu einem Beschluss des Wirtschafts- und Sozialrats, einen Ausschuss für Flüchtlinge und Staatenlose einzusetzen, der 1950 seine Arbeit aufnahm. Auf Empfehlung dieses Ausschusses verabschiedete der Wirtschafts- und Sozialrat mehrere Resolutionen, mit denen die Völkerrechtskommission [International Law Commission] aufgefordert wurde, die notwendigen Entwürfe auszuarbeiten, um die Grundlage für eine internationale Vereinbarung über die Beseitigung von Staatenlosigkeit zu schaffen. Der Ausschuss selbst arbeitete den Entwurf für ein Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen aus.)

25. Die sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften unterzeichneten beide Übereinkünfte.

26. Die Genfer Flüchtlingskonvention bezweckte, frühere internationale Vereinbarungen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge zu revidieren und zusammenzufassen und den Anwendungsbereich dieser Regelungen sowie den dadurch gewährleisteten Schutz durch eine neue Vereinbarung zu erweitern". Grundlage der Konvention bildete der in der Satzung der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bestätigte Grundsatz, dass die Menschen ohne Unterschied die Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen sollen. Artikel 24 der Genfer Flüchtlingskonvention - Arbeitsrecht und soziale Sicherheit - bestimmt, soweit hier von Interesse:

1. Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, dieselbe Behandlung gewähren wie ihren Staatsangehörigen, wenn es sich um folgende Angelegenheiten handelt:

...

b) Soziale Sicherheit (gesetzliche Bestimmungen bezüglich der Arbeitsunfälle, der Berufskrankheiten, der Mutterschaft, der Krankheit, der Arbeitsunfähigkeit, des Alters und des Todes, der Arbeitslosigkeit, des Familienunterhalts sowie jedes anderen Wagnisses, das nach dem im betreffenden Land geltenden Recht durch ein System der sozialen Sicherheit gedeckt wird) ..."

27. Das New Yorker Übereinkommen, das ebenfalls auf dem Grundsatz beruhte, dass die Menschen ohne Unterschied die Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen sollen, sollte die Rechtsstellung der Staatenlosen regeln und verbessern. Artikel 24 - Arbeitsrecht und Soziale Sicherheit - gewährt Staatenlosen den gleichen Schutz, den Artikel 24 der Genfer Flüchtlingskonvention Flüchtlingen gewährt.

28. Außerdem bestimmt Artikel 7 der Genfer Flüchtlingskonvention:

Vorbehaltlich der in diesem Abkommen vorgesehenen günstigeren Bestimmungen wird jeder vertragschließende Staat den Flüchtlingen die Behandlung gewähren, die er Ausländern im Allgemeinen gewährt."

Artikel 7 des New Yorker Übereinkommens enthält eine entsprechende Bestimmung.

29. Am 11. Dezember 1953 - also zwischen der Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention und der des New Yorker Übereinkommens - unterzeichneten die sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten zwei Abkommen des Europarats, nämlich das Vorläufige Europäische Abkommen über die Systeme der Sozialen Sicherheit für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen und das Vorläufige Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen.

30. Die beiden Abkommen des Europarats beruhten auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Angehörigen aller Vertragsstaaten bei Anwendung der in jedem dieser Staaten geltenden Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit. Nach den Zusatzprotokollen, die von den sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten am selben Tag wie die beiden Abkommen unterzeichnet wurden, sollten die Vorschriften der Abkommen unter den gleichen Voraussetzungen auf die Flüchtlinge wie auf die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten Anwendung finden; der Begriff Flüchtling" wurde gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention definiert.

31. In der Zwischenzeit hatten die sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten am 18. April 1951 den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl unterzeichnet. Artikel 69 dieses Vertrages bestimmt, soweit hier von Interesse:

1. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, jede auf die Staatsangehörigkeit gegründete Beschränkung hinsichtlich der Beschäftigung anerkannter Kohle- und Stahlfacharbeiter, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, in der Kohle- und Stahlindustrie zu beseitigen, vorbehaltlich der Beschränkungen, die sich aus den grundlegenden Erfordernissen der Gesundheit und der öffentlichen Ordnung ergeben.

...

4. [Die Mitgliedstaaten] haben ferner jede Diskriminierung bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen zwischen inländischen und eingewanderten Arbeitern zu verbieten, unbeschadet besonderer Maßnahmen für die Grenzgänger; insbesondere haben sie untereinander alle etwa noch erforderlichen Vereinbarungen anzustreben, um zu erreichen, dass die Bestimmungen über die Sozialversicherung den Wechsel der Arbeitsplätze nicht behindern."

32. Am 9. Dezember 1957 unterzeichneten die sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl das Europäische Abkommen über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Die Präambel dieses Abkommens bekräftigt den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Angehörigen der vertragschließenden Parteien sowie der Staatenlosen und Flüchtlinge, die im Hoheitsgebiet einer vertragschließenden Partei wohnen, bei Anwendung der Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit. Der Begriff Flüchtling" wird gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, der Begriff Staatenloser" nicht definiert.

33. Das Abkommen sollte die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit koordinieren, indem es insbesondere (i) die Zusammenrechnung der Versicherungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Vertragsstaates als des Wohnsitzstaates erfuellt wurden, und (ii) die Zahlung von bestimmten Leistungen an Personen, die im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats wohnen, verlangte. Das Abkommen fand auf Arbeitnehmer und ihnen Gleichgestellte Anwendung, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Vertragsstaaten gelten oder galten und welche Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats wohnen, sowie auf ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen.

34. Nicht einmal ein Jahr später, am 25. September 1958, erließ der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Verordnung Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Diese Verordnung war auf die Artikel 51 und 227 Absatz 2 EWG-Vertrag gestützt.

35. Die ersten sechs Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 3 lauten:

[I]n der Erwägung, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl am 9. Dezember 1957 in Rom ein Europäisches Abkommen über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer unterzeichnet haben, das unter Mitwirkung des Internationalen Arbeitsamtes ausgearbeitet worden ist,

in der Erwägung, dass dieses Abkommen vor dem Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unterzeichnet wurde,

in der Erwägung, dass der genannte Vertrag die Organe der Gemeinschaft verpflichtet, unverzüglich Maßnahmen zur schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu treffen,

in der Erwägung, dass die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer wesentlich von einem System abhängt, welches in Bezug auf Wanderarbeitnehmer und ihre anspruchsberechtigten Angehörigen sicherstellt, dass für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen alle nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Zeiten zusammengerechnet und die Leistungen an Personen gezahlt werden, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen,

in der Erwägung, dass das genannte Abkommen den Zielen des Artikels 51 des Vertrages entspricht und seine Bestimmungen daher vorbehaltlich der erforderlichen Anpassungen in eine nach Maßgabe des genannten Artikels beschlossene Verordnung aufgenommen werden können,

in der Erwägung, dass nach einer Erklärung der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl das in der nachstehenden Verordnung vorgesehene System an die Stelle der in Artikel 69 § 4 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl genannten Vereinbarungen treten kann ..."

36. Die Verordnung Nr. 3 entspricht dem Europäischen Abkommen fast wörtlich: Mit den Worten des Generalanwalts Lagrange aus dem Jahr 1964 gibt die Verordnung Nr. 3, wie ihre Begründung kundtut, lediglich den Inhalt eines bereits unterzeichneten, aber noch nicht in Kraft getretenen Abkommens über die Soziale Sicherheit wieder". So heißt es in Artikel 4 Absatz 1:

Diese Verordnung findet auf Arbeitnehmer und ihnen Gleichgestellte Anwendung, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten und welche Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie auf ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen."

37. Um diesen Überblick über den historischen Kontext der maßgeblichen Rechtsvorschriften abzuschließen, soll darauf hingewiesen werden, dass Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 im Wesentlichen gleich lautet, vorbehaltlich der Begriffe Arbeitnehmer und ihnen Gleichgestellte", die in der ursprünglichen Fassung durch Arbeitnehmer" und später in der 1981 geänderten Fassung durch Arbeitnehmer und Selbständige" ersetzt wurden.

38. Die historische Verknüpfung wird in der Präambel der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich bestätigt, deren letzte Begründungserwägung lautet:

Diese Verordnung kann an die Stelle der in Artikel 69 Absatz 4 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl genannten Vereinbarungen treten."

39. Die Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 3 aus 1958 und später in die Verordnung Nr. 1408/71 spiegelte damit - wie die Kommission anmerkt - lediglich internationale Verpflichtungen (sowohl auf der Ebene der Vereinten Nationen als auch im Rahmen des Europarats) wider, die die sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten bereits eingegangen waren. Als Folge dieser Verpflichtungen stellte das nationale Recht Flüchtlinge und Staatenlose den eigenen Staatsangehörigen im Hinblick auf die soziale Sicherheit bereits gleich, während die Behandlung von ausländischen Staatsangehörigen von der Gegenseitigkeit oder bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen abhing. Im Europa der fünfziger Jahre, das mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges zu kämpfen hatte, herrschte unzweifelhaft die Meinung vor, dass es politisch und moralisch nicht tragbar wäre, wenn eine der allerersten Verordnungen der gerade entstandenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Personengruppe ausschließen würde, die durch frühere, für die ursprünglichen Mitgliedstaaten bindende Vereinbarungen und Abkommen ausdrücklich eingeschlossen und geschützt war.

Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum persönlichen Geltungsbereich der Verordnungen

40. Bevor ich mich der zentralen Frage zuwende, ob die Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 3 und der Verordnung Nr. 1408/71 mit Artikel 51 EG-Vertrag vereinbar ist, sollen die Fälle erörtert werden, in denen der Gerichtshof diese Einbeziehung, wenn auch stillschweigend, gebilligt zu haben scheint.

41. Der wichtigste Fall ist die Rechtssache Rzepa, in der der Gerichtshof über den Anspruch eines Flüchtlings (und früheren Arbeitnehmers) auf eine Leistung bei Invalidität nach der Verordnung Nr. 3 entschieden hat, ohne die Gültigkeit dieser Verordnung in Zweifel zu ziehen. Der Gerichtshof kann daher so verstanden werden, als habe er stillschweigend die Notwendigkeit einer Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit im Hinblick auf Staatenlose und Flüchtlinge anerkannt.

42. Es gibt ferner einige Fälle, in denen sich der Gerichtshof ausdrücklich auf die Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 bezogen hat, ohne die Rechtmäßigkeit dieser Einbeziehung in Frage zu stellen, was wiederum als stillschweigende Billigung aufgefasst werden kann.

43. Es ist auch anzumerken, dass in der Rechtssache Zaoui sowohl der Gerichtshof als auch Generalanwalt Da Cruz Vilaça wohl davon ausgegangen sind, dass sich der Kläger auf Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 hätte berufen können, wenn er Staatenloser gewesen wäre.

44. Auch wenn sich die Ausführungen des Gerichtshofes in diesen Fällen nicht auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnungen Nr. 3 aus 1958 und Nr. 1408/71 bezogen, zeigen sie doch, dass der Gerichtshof in Verfahren, die Fragen nach der Auslegung von Bestimmungen der Verordnungen über Flüchtlinge und Staatenlose betrafen, an deren Einbeziehung in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnungen keinen Anstoß nahm. Diese Ausführungen erhärten somit in gewissem Umfang die Auffassung, dass die Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen dem ersten Anschein nach nicht rechtswidrig ist.

Das Vorgehen des Gerichtshofes bei der Auslegung des Artikels 51

45. Das Bundessozialgericht legt in dem Vorlagebeschluss seine Ansicht dar, dass der Rat nach dem EG-Vertrag grundsätzlich nicht das Recht habe, den persönlichen Anwendungsbereich der von ihm erlassenen Verordnungen über den von der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage bestimmten und begrenzten Personenkreis hinaus auszuweiten. Nach Artikel 51 Satz 1 beschließe der Rat die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen". Er sei dem Wortlaut nach folglich auf den Erlass von Koordinierungsregeln für als Wanderarbeitnehmer tätige Unionsbürger beschränkt, da sie allein das Recht auf Freizügigkeit genössen.

46. Diese Auffassung lässt sich schwerlich damit in Einklang bringen, wie der Gerichtshof die Verordnungen versteht. Obwohl natürlich richtig ist, dass die Verordnung Nr. 3 aus 1958 und die Verordnung Nr. 1408/71 beide vornehmlich auf Artikel 51 EG-Vertrag gestützt waren, hat der Gerichtshof bei der Auslegung dieser Verordnungen diesen Artikel und damit den persönlichen Geltungsbereich der darauf gestützten Verordnungen durchweg weit aufgefasst. Wie die schwedische Regierung feststellt, entspricht es daher nunmehr ständiger Rechtsprechung, dass der in diesem Artikel und der Verordnung Nr. 1408/71 verwendete Arbeitnehmerbegriff nicht notwendig mit dem übereinstimmt, der in Artikel 48 verwendet wird. Die Entwicklung dieses Grundsatzes soll im Folgenden nachgezeichnet werden.

47. Der erste Hinweis lässt sich in den frühen Andeutungen des Gerichtshofes finden, dass die Ziele des Artikels 51 nicht auf die beiden dort genannten spezifischen Vorgaben beschränkt sind (nämlich (a) die Zusammenrechnung der Versicherungs- und Beschäftigungszeiten und (b) die Übertragung von Leistungen). In der Rechtssache Unger - dem ersten Verfahren zur Verordnung Nr. 3 - hat Generalanwalt Lagrange darauf hingewiesen, dass die Buchstaben a und b des Artikels 51, die durch ein insbesondere" eingeleitet würden, keine abschließende Aufzählung enthielten; der Gerichtshof hat von dem Hauptziel" des Artikels 51 gesprochen. In ähnlicher Weise hat der Gerichtshof in der Rechtssache Singer die Ziele" des Artikels 51 erwähnt. Das lässt sich so auffassen, dass auch andere Ziele auf der Grundlage von Artikel 51 und im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 1408/71 erreicht werden können. Es fällt auf, dass Artikel 51 in den zunächst vier Amtssprachen der Gemeinschaft - also Französisch, Deutsch, Italienisch und Niederländisch - einen Begriff mit der Bedeutung insbesondere" verwendet, was diese Auffassung eindeutig stützt.

48. In der Rechtssache Unger, die 1964 entschieden wurde, ist der Gerichtshof wohl davon ausgegangen, dass der Begriff Arbeitnehmer" im Sinne der Artikel 48 und 51 der gleiche ist, obwohl er entschieden hat, dass zu den Arbeitnehmern", denen die Verordnung Nr. 3 aus 1958 Schutz gewähren wollte, nicht nur diejenigen Personen gehören, die jeweils tatsächlich in einem Beschäftigungsverhältnis stehen". Ein Jahr später hat dann aber Generalanwalt Gand die Vorarbeit für die künftige Rechtsprechung geleistet, indem er in der Rechtssache Singer festgestellt hat, dass die Artikel 51 und 48 nicht notwendigerweise den gleichen Anwendungsbereich haben müssen.

49. Mit der Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist zunehmend deutlich geworden, dass Artikel 51 - und damit der persönliche Geltungsbereich der darauf gestützten Verordnungen - weiter als Artikel 48 ausgelegt werden musste. Im Urteil Singer hat es der Gerichtshof abgelehnt, Artikel 52 der Verordnung Nr. 3 - der nach seiner Auslegung auf eine frühere Arbeitnehmerin, die nicht Wanderarbeitnehmerin und zur maßgeblichen Zeit nicht beschäftigt war, aber freiwillige Versicherungsbeiträge in Erwartung der Wiederaufnahme einer Arbeit zahlte, auf einen Arbeitnehmer, der nicht Wanderarbeitnehmer war und auf seinem Weg zur Arbeit, bei dem er das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats durchquerte, einen Unfall erlitt, und auf einen Grenzgänger, der einen Unfall erlitt, der mit seinem Arbeitsverhältnis in keinem Zusammenhang stand, anwendbar war - für rechtswidrig zu erklären, weil der Rat bei seinem Erlass außerhalb seiner Zuständigkeit gehandelt und seine Befugnisse aus Artikel 51 EG-Vertrag überschritten habe. Generalanwalt Gand hat in Schlussanträgen, denen der Gerichtshof gefolgt ist und in denen vorgeschlagen wurde, dass Artikel 52 der Verordnung Nr. 3 auch Anwendung finden solle, wenn ein in einem Mitgliedstaat wohnender und beschäftigter Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat einen mit der Arbeit in keinem Zusammenhang stehenden Unfall habe, die vorherige Auslegung des Artikels 52 der Verordnung Nr. 3 durch den Gerichtshof so beschrieben, als folge sie aus der sehr weite[n] Auffassung [des Gerichtshofes] vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 3".

50. Der Gerichtshof ist in den sechziger und siebziger Jahren bei einer weiten Auslegung des Artikels 51 und des Geltungsbereichs der Verordnungen geblieben. So hat er im Urteil Vaassen entschieden, dass die Verordnung Nr. 3 auf die Witwe eines Arbeitnehmers, der nicht Wanderarbeitnehmer war, Anwendung finde, wobei die einzige internationale Anknüpfung darin bestand, dass die Witwe, die keine Arbeitnehmerin war, ihren Wohnsitz verlegt hatte; im Urteil De Cicco hat der Gerichtshof einen Handwerker einem Arbeitnehmer gleichgestellt und somit den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 3 ausgeweitet. Im Urteil De Cicco hat der Gerichtshof festgestellt, dass Artikel 4 der Verordnung Nr. 3, der ihren persönlichen Anwendungsbereich bestimmt, den Kreis der Personen, für welche die Verordnung gilt, weit [zieht] ... Insoweit kommt in [ihm] eine allgemeine Tendenz des Sozialrechts der Mitgliedstaaten zum Ausdruck, die dahin geht, die Sozialversicherung auf neue Personengruppen zu erstrecken, die den gleichen Risiken und Wechselfällen unterliegen."

51. Der Gerichtshof hat seine Feststellung aus dem Urteil De Cicco im Urteil Janssen - in dem er einen mithelfenden Familienangehörigen auf einem Bauernhof einem Arbeitnehmer gleichgestellt hat - und im Urteil Brack - in dem er die Verordnung Nr. 1408/71 (vor der Änderung von 1981, die ihren persönlichen Geltungsbereich auf Selbständige und ihre Familienangehörigen erstreckte) für auf eine Person anwendbar gehalten hat, die zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls (Krankheit) selbständiger Erwerbstätiger war - wiederholt. Generalanwalt Mayras hat in der Rechtssache Brack ausgeführt, dass sich am Vorabend des Beitritts [von 1973] in der gemeinschaftsrechtlichen Regelung und im britischen System - wie im Übrigen auch in den Systemen der sozialen Sicherheit in den meisten Mitgliedstaaten - eine parallele und konvergierende Entwicklung vollzogen [hatte]. Diese Entwicklung zeigt die Verallgemeinerung der Tendenz, den Schutz auf die ganze Bevölkerung zu erstrecken".

52. In der Rechtssache Eheleute F. hat der Gerichtshof entschieden, dass aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 folge, dass den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers, die nicht selbst Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung seien oder gewesen seien, die Sozialrechtsvorschriften ihres Wohnsitzlandes unter den gleichen Bedingungen zugute kommen müssten wie den Staatsangehörigen dieses Landes. Generalanwalt Trabucchi hatte ähnlich wie Generalanwalt Mayras festgestellt:

Wenn es unser Wunsch ist, dass das Gemeinschaftsrecht nicht nur eine starre Wirtschaftsregelung, sondern eine Rechtsordnung sei, die der Gesellschaft angepasst ist, die es lenken soll, und wenn wir möchten, dass ein Recht existiere, das mit dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit und den Erfordernissen der europäischen Integration nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Völker in Einklang steht, dann dürfen wir die ... Erwartung des [vorlegenden Gerichts, bei der Bewältigung einer Situation, die sein Gewissen bedrängt, Hilfe zu bekommen,] nicht enttäuschen."

53. Im Urteil Inzirillo hat der Gerichtshof entschieden, dass ein behinderter Minderjähriger auch nach Eintritt der Volljährigkeit der Verordnung unterfiel, obwohl er nicht arbeiten konnte; damit hat er die Verordnung Nr. 1408/71 und somit Artikel 51 erneut weit ausgelegt. Dieser Trend setzt sich fort: In den letzten Jahren hat der Gerichtshof entschieden, dass die Koordinierungsregeln in der Verordnung auch auf Personen anwendbar seien, die nicht innerhalb der Gemeinschaft gewandert seien, sofern ihre Situation ein grenzüberschreitendes Element aufweise, das der Koordinierung der Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit bedürfe, und daran festgehalten, dass der in Artikel 51 und der Verordnung Nr. 1408/71 verwendete Arbeitnehmerbegriff nicht notwendig mit dem übereinstimme, der in Artikel 48 verwendet werde.

54. Zum Abschluss dieses Überblicks sollen noch zwei Urteile erwähnt werden. Sie betreffen die Rechtsstellung von Gemeinschaftsangehörigen, die in Algerien gearbeitet hatten. In ihnen hat der Gerichtshof gebilligt, dass Algerien in der Zeit von seiner Unabhängigkeit am 1. Juli 1962 bis zum 18. Januar 1965 im geografischen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 3 (der im Anhang A der Verordnung festgelegt ist) verblieb, und somit akzeptiert, dass der Rat auf der Grundlage des Artikels 51 Recht setzen durfte, das das Gebiet eines Drittstaats dem eines Mitgliedstaats gleichstellt.

55. Schließlich soll im Zusammenhang mit dem jeweiligen Geltungsbereich der Artikel 48 und 51 darauf hingewiesen werden, dass die Verordnung Nr. 1408/71 auf Beamte anwendbar ist, die vom Geltungsbereich des Artikels 48 ausdrücklich ausgenommen sind.

56. Es ist daher meines Erachtens mehr als deutlich, dass Artikel 51 einen erheblich weiteren Geltungsbereich als Artikel 48 hat. Der Geltungsbereich der aufgrund von Artikel 51 erlassenen Verordnungen darf daher weiter als der Geltungsbereich von Artikel 48 sein: Dies wird durch das ständige Vorgehen des Gerichtshofes bei der Auslegung sowohl des Artikels 51 als auch der darauf gestützten Verordnungen hinreichend belegt.

Beantwortung der ersten Frage

57. Alle drei oben untersuchten Bereiche - der historische Kontext der Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnungen, die wiederholte stillschweigende Billigung dieser Einbeziehung durch den Gerichtshof und die durchgehend weite Auslegung des persönlichen Geltungsbereichs des Artikels 51 und der darauf gestützten Verordnungen durch den Gerichtshof - stützen übereinstimmend die Auffassung, dass der Rat zur Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der auf Artikel 51 gestützten Verordnungen befugt war.

58. Wie bereits ausgeführt, übernahm die Verordnung Nr. 3 aus historischer Sicht lediglich die bisherige Regelung: Die ursprünglichen Mitgliedstaaten waren bereits durch internationale Übereinkünfte und Abkommen des Europarats verpflichtet, Flüchtlingen und Staatenlosen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Wie die Kommission bemerkt, ergibt sich aus den Protokollen zu den Abkommen des Europarats, dass Flüchtlinge nur einbezogen werden sollten, soweit Staatsangehörige der Vertragsparteien Ansprüche aus den Abkommen geltend machen konnten, und dass sie nur im grenzüberschreitenden Verhältnis zwischen den Vertragsparteien anspruchsberechtigt sein sollten, nicht aber im Verhältnis zu ihrem Aufnahmeland, da die Abkommen auf rein interne Beziehungen einer Vertragspartei zu ihren im Inland tätigen Staatsangehörigen nicht anwendbar waren. Das Europäische Abkommen und später die Verordnungen Nr. 3 und Nr. 1408/71 spiegeln diesen Ansatz wider.

59. Außerdem sah die Verordnung Nr. 3, wie die spätere Verordnung Nr. 1408/71, keine eigenen Vorschriften für Flüchtlinge und Staatenlose vor, sondern stellte sie lediglich im Hinblick auf die Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats gleich, da sie bereits aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen gleichgestellt waren. Diese Gleichstellung kann als erforderlich angesehen werden, um das System kohärent zu machen, da die Mitgliedstaaten andernfalls zwei gesonderte Koordinierungsregelungen gehabt hätten, die eine für Gemeinschaftsangehörige, die andere für Flüchtlinge und Staatenlose. Wie das Vereinigte Königreich und die Kommission dargelegt haben, würden parallele Systeme unweigerlich einen großen Verwaltungsaufwand und praktische Probleme verursachen, was durch das einfache Hilfsmittel der Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der Gemeinschaftsverordnungen leicht zu vermeiden war.

60. Nach alledem kann die Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 als den Hauptzielen des Artikels 51 und der darauf gestützten Verordnungen akzessorisch und damit als rechtmäßig angesehen werden. Diese Einbeziehung war erforderlich, um in diesem Bereich eine wirksame Koordinierung zu erreichen, doch da ihr Geltungsbereich und ihre Wirkung äußerst beschränkt sind, kann sie zu Recht als dem Koordinierungsziel akzessorisch angesehen werden.

61. Außerdem darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass weder die Verordnung Nr. 3 noch die Verordnung Nr. 1408/71 den Personen, die ihrem Geltungsbereich unterfallen, eigenständige Ansprüche auf Sozialleistungen im Verhältnis zu ihrem Aufnahmeland verleiht: Im Allgemeinen bestimmen weiterhin nationale Regelungen den Erwerb und den Umfang dieser Ansprüche. Die Verordnungen stellen lediglich sicher, dass den Personen, die ihrem Geltungsbereich unterfallen, die Grundsätze der Zusammenrechnung und der Übertragung von Leistungen zugute kommen und dass keine negativen Auswirkungen entstehen, wenn diese Personen innerhalb der Gemeinschaft wandern oder ihre Situation ein sonstiges grenzüberschreitendes Element aufweist. Die Verordnungen koordinieren somit lediglich nationale Vorschriften, ohne gemeinschaftsrechtliche Ansprüche auf Sozialleistungen zu schaffen oder in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet einzugreifen.

62. Ein Rückgriff auf Artikel 235 ist nicht notwendig und für die Begründung der Rechtmäßigkeit der Einbeziehung von Flüchtlingen und Staatenlosen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 auch nicht hilfreich. Dieser Artikel war ausdrücklich eine der Rechtsgrundlagen für die Verordnung Nr. 1390/81, die den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 auf Selbständige und ihre Familienangehörigen erstreckte. Er kann nicht als Rechtsgrundlage für andere Aspekte der Verordnung Nr. 1408/71 angesehen werden, die bereits bestanden und über diese Erstreckung hinausgehen.

Erörterung der zweiten Frage

63. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung bei den ihm vorliegenden Sachverhalten, bei denen die Kläger nicht innerhalb der Gemeinschaft gewandert sind, zur Anwendung kommen kann.

64. Wie ausgeführt, sind die Kläger und ihre Ehegatten in allen Rechtssachen aus einem Drittstaat nach Deutschland eingereist. In keiner Rechtssache sind die Kläger oder ihre Ehegatten oder Kinder aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat gewandert. Während des maßgeblichen Zeitraums bezog der Kläger Khalil in Deutschland Arbeitslosenhilfe, während die Kläger Osseili, Nasser und Chaaban sowie der Ehemann Addou in Deutschland erwerbstätig waren.

65. Meines Erachtens ist die zweite Frage recht einfach zu beantworten, nämlich (wie die schwedische Regierung, das Vereinigte Königreich und die Kommission vorgeschlagen haben) verneinend. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht hervor, dass die zur Durchführung der Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ergangenen Verordnungen nicht auf Sachverhalte anwendbar sind, die mit keinem Element über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweisen oder - anders ausgedrückt - die keinerlei Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt. Wie das Vereinigte Königreich zu Recht bemerkt, entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass das erforderliche grenzüberschreitende Element nicht bereits darin liegt, dass Personen betroffen sind, die Staatsangehörige eines Drittstaats sind; meines Erachtens gilt nichts anderes, wenn Flüchtlinge oder Staatenlose betroffen sind.

66. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der spanischen Regierung vorgetragen, dass ein grenzüberschreitender Zusammenhang aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache Kulzer nicht länger erforderlich sei. Meines Erachtens beruht dies auf einem Missverständnis des Falles. Der damalige Kläger Kulzer war ein deutscher Staatsangehöriger, der in Deutschland wohnte; er hatte sein gesamtes Berufsleben in Deutschland bestritten und bezog ein deutsches Ruhegehalt. Seine Tochter war von Deutschland nach Frankreich gezogen, wo sie mit ihrer Mutter lebte, die sich vom Kläger Kulzer hatte scheiden lassen. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Kindergeld für seine Tochter wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht in Deutschland wohne. Der Gerichtshof hat unter Hinweis auf die fünfte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1408/71, wonach die Verordnung auch den Fall erfasst, dass Familienangehörige des Arbeitnehmers innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, entschieden, dass der Kläger in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung falle, wenn sein unterhaltsberechtigtes Kind mit seinem früheren Ehegatten innerhalb der Gemeinschaft zu- oder abgewandert sei.

67. Generalanwalt Fennelly hat in seinen Schlussanträgen denselben Gesichtspunkt zum Ausdruck gebracht, als er ausführte:

Im Urteil Entr'aide Médicale hat der Gerichtshof eine Definition des persönlichen Geltungsbereichs der Verordnung Nr. 3 gegeben, die mit geringfügigen Änderungen auch für den der Verordnung Nr. 1408/71 gilt: Die Verordnung Nr. 3 galt ,für alle Arbeitnehmer und ihnen Gleichgestellte, die sich in einem der in der Verordnung geregelten Rechtsverhältnisse mit internationaler Anknüpfung befinden, sowie für deren Hinterbliebene."

68. Abschließend hat er festgestellt, dass eine Person, die Leistungen der sozialen Sicherheit beansprucht, grundsätzlich auch dann in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen kann, wenn sie niemals in einem anderen als ihrem eigenen Mitgliedstaat gewohnt oder gearbeitet hat, sofern der Sachverhalt mit irgendeinem Element über die Grenzen dieses Mitgliedstaats hinausweist, wie dies etwa der Fall ist, wenn das Familienmitglied, für das Leistungen beansprucht werden, in einem anderen Mitgliedstaat wohnt".

69. Daher ist klar, dass das Urteil Kulzer an der gefestigten Rechtsprechung, die für die Anwendung der Verordnungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit ein grenzüberschreitendes Element verlangt, nichts geändert hat. Dementsprechend komme ich zu dem Ergebnis, dass die Verordnung Nr. 1408/71 nicht anwendbar ist, wenn ein Arbeitnehmer, der Flüchtling oder Staatenloser ist, und seine Familienangehörigen unmittelbar aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat eingereist und innerhalb der Gemeinschaft nicht gewandert sind und keine sonstige Anknüpfung an einen anderen Mitgliedstaat in Betracht kommt.

Dritte Frage (in den Rechtssachen Chaaban und Addou)

70. Mit seiner dritten Frage, die nur in den Rechtssachen Chaaban und Addou gestellt wurde, möchte das Bundessozialgericht wissen, ob eine Familienleistung zu gewähren ist, wenn ein Ehegatte Staatsangehöriger eines Drittstaats und Arbeitnehmer ist, während der andere Ehegatte Staatenloser und kein Arbeitnehmer ist, oder wenn ein Ehegatte Flüchtling und Arbeitnehmer ist, während der andere Ehegatte weder Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats noch Arbeitnehmer noch anerkannter Flüchtling ist.

71. Diese Fragen stellen sich nur dann, wenn die zweite Frage bejaht wird. Da meines Erachtens die zweite Frage offensichtlich zu verneinen ist, möchte ich die dritte Frage nicht beantworten.

Die Frage, die in der Rechtssache Addou nicht vorgelegt wurde

72. Schließlich sollte die mögliche Anwendung des im maßgeblichen Zeitraum geltenden Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko auf die Situation der Klägerin Addou nicht unerwähnt bleiben.

73. Das Bundessozialgericht stellt in dem Vorlagebeschluss fest, dass nach Artikel 41 Absatz 1 dieses Abkommens den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit und den mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorbehaltlich seiner nachfolgenden Absätze auch eine Behandlung gewährt werde, die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt seien, bewirke. Gemäß Artikel 41 Absatz 3 erhielten diese Arbeitnehmer ferner die Familienzulagen für ihre innerhalb der Gemeinschaft wohnenden Familienangehörigen. Der Gerichtshof habe hierzu entschieden, dass die Gleichstellungsregelungen des Kooperationsabkommens unmittelbar anwendbares Recht darstellten und es insoweit keines weiteren Rechtsaktes, etwa Beschlüssen des Kooperationsrates, bedürfe.

74. Das Bundessozialgericht habe auch keine Zweifel, dass es sich bei dem Erziehungsgeld um eine Familienzulage" im Sinne des Artikels 41 Absatz 3 handele und dass es auch unerheblich sei, dass der Anspruch auf Erziehungsgeld nicht von dem Arbeitnehmer selbst geltend gemacht werde, sondern von dessen nicht berufstätiger Ehefrau als Familienangehöriger. Da nach Artikel 41 des Abkommens nur der Arbeitnehmer selbst, nicht aber sein Familienangehöriger die marokkanische Staatsangehörigkeit besitzen müsse, stuende dem Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld nicht der Umstand entgegen, dass sie selbst die algerische Staatsangehörigkeit besitze.

75. Das Abkommen könne sich aber nicht auf solche Personen beziehen, die nicht als Arbeitnehmer nach Deutschland kämen, sondern als Flüchtling. Artikel 1 nenne das Ziel des Abkommens, eine globale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien zu fördern, um zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Marokkos beizutragen und die Vertiefung der Beziehungen zu erleichtern. Bei verständiger Würdigung der vertraglichen Ausgangslage von Marokko habe es einen Regelungsbedarf für die Frage, welche sozialen Rechte Personen einzuräumen seien, die nicht als Wanderarbeitnehmer, sondern als Flüchtling aus Marokko nach Europa kämen, von vornherein nicht geben können. Das Bundessozialgericht war der Auffassung, dass es sich bei dieser Vorschrift um einen acte clair" handele, und hat daher ausdrücklich davon abgesehen, den Gerichtshof zu bitten, auch darüber zu entscheiden.

76. Die Kommission bemerkt in ihren schriftlichen Erklärungen, dass diese Entscheidung bedauerlich sei, denn es sei ihrer Ansicht nach nicht ganz so offensichtlich, dass dieses Abkommen auf Flüchtlinge marokkanischer Staatsangehörigkeit nicht anwendbar sei.

77. Ich bin geneigt, der Kommission zuzustimmen, denn ich teile die Sicherheit des Bundessozialgerichts nicht, dass die Angelegenheit einen acte clair" darstellt. Da dieses Gericht jedoch keine entsprechende Entscheidung des Gerichtshofes eingeholt hat, gehe ich davon aus, dass der Gerichtshof hierzu nicht Stellung nehmen kann.

Ergebnis

78. Folglich sollten die erste und die zweite vom Bundessozialgericht vorgelegte Frage wie folgt beantwortet werden:

1. Die Verordnung Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ist auf Staatenlose und Flüchtlinge, die im Hoheitsgebiet eines der Mitgliedstaaten wohnen, und deren Familienangehörige, die Staatsangehörige eines Drittstaats sind, anwendbar, auch wenn diese Personen nach dem EG-Vertrag kein Recht auf Freizügigkeit haben.

2. Die Verordnung Nr. 1408/71 ist nicht anwendbar, wenn ein Arbeitnehmer, der Flüchtling oder Staatenloser ist, und seine Familienangehörigen unmittelbar aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat eingereist und innerhalb der Gemeinschaft nicht gewandert sind und keine sonstige Anknüpfung an einen anderen Mitgliedstaat in Betracht kommt.