61998J0448

Urteil des Gerichtshofes vom 5. Dezember 2000. - Strafverfahren gegen Jean-Pierre Guimont. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de police de Belley - Frankreich. - Maßnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung - Rein interner Sachverhalt - Herstellung und Vermarktung von Emmentaler Käse ohne Rinde. - Rechtssache C-448/98.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-10663


Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


Freier Warenverkehr - Mengenmäßige Beschränkungen - Maßnahmen gleicher Wirkung - Nationale Regelung, die den Vertrieb eines Käses ohne Rinde unter der Bezeichnung "Emmentaler" verbietet - Anwendung auf aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Erzeugnisse - Unzulässigkeit - Kein Rechtfertigungsgrund

(EG-Vertrag, Artikel 30 [nach Änderung jetzt Artikel 28 EG])

Leitsätze


$$Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verwehrt es einem Mitgliedstaat, auf Erzeugnisse, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und vertrieben werden, eine innerstaatliche Vorschrift anzuwenden, die den Vertrieb eines Käses ohne Rinde unter der Bezeichnung "Emmentaler" in diesem Mitgliedstaat verbietet.

Soweit eine solche Vorschrift auf eingeführte Erzeugnisse angewandt wird, kann sie nämlich deren Vermarktung erschweren und daher den Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindern. Die Mitgliedstaaten können zwar, um die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutz zu gewährleisten, verlangen, dass die Betroffenen die Bezeichnung eines Lebensmittels ändern, wenn dieses Erzeugnis nach seiner Zusammensetzung oder Herstellungsweise so stark von den in der Gemeinschaft unter dieser Bezeichnung allgemein bekannten Waren abweicht, dass es nicht mehr der gleichen Kategorie zugerechnet werden kann. Bei einer geringfügigen Abweichung muss jedoch eine angemessene Etikettierung ausreichen, um den Käufer oder den Verbraucher mit den erforderlichen Informationen zu versorgen. Selbst bei der Annahme, dass der Unterschied in den Reifungsmethoden für Emmentaler mit Rinde und solchen ohne Rinde den Verbraucher täuschen könnte, wäre es ausreichend, die Bezeichnung "Emmentaler" beizubehalten und eine diesem Unterschied angemessene Information hinzuzufügen. Daher ist das Fehlen einer Rinde nicht als eine Eigenschaft anzusehen, die das Verbot der Bezeichnung "Emmentaler" rechtfertigt.

(vgl. Randnrn. 25-26, 30-31, 33-35 und Tenor)

Parteien


In der Rechtssache C-448/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunal de police Belley (Frankreich) in dem bei diesem anhängigen Strafverfahren gegen

Jean-Pierre Guimont

"vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 3 Buchstabe a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a EG) und der Artikel 30 ff. EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 ff. EG)

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodriguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann (Berichterstatter), M. Wathelet und V. Skouris sowie der Richter D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, P. Jann, L. Sevón und R. Schintgen,

Generalanwalt: A. Saggio

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- des Angeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt A. Lestourneaud, Thonon-les-Bains und Pays de Léman,

- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und C. Vasak, stellvertretende Sekretärin für auswärtige Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,

- der dänischen Regierung, vertreten durch Abteilungsleiter J. Molde, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Finanzen, als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra, Leiter der Abteilung Europarecht im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Stix-Hackl, Gesandte im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater H. van Lier und O. Couvert-Castéra, zum Juristischen Dienst entsandter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Angeklagten, der französischen Regierung, der dänischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 11. Januar 2000,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. März 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe


1 Das Tribunal de police Belley hat mit Urteil vom 24. November 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Dezember 1998, eine Frage nach der Auslegung von Artikel 3 Buchstabe a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a EG) und der Artikel 30 ff. EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 ff. EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Jean-Pierre Guimont (im Folgenden: Angeklagter) wegen Besitzes von Lebensmitteln, nämlich Emmentaler Käse, mit irreführender Etikettierung zum Zweck des Verkaufs bzw. wegen Verkaufs oder Anbietens dieser Lebensmittel zum Verkauf.

Die einschlägige nationale Regelung

3 Artikel 3 Absatz 1 des französischen Dekrets Nr. 84-1147 vom 7. Dezember 1984 zur Durchführung des Gesetzes vom 1. August 1905 über Betrug und Fälschungen im Zusammenhang mit Waren und Dienstleistungen (im Folgenden: Dekret 1984) lautet:

"Die Etikettierung und die Modalitäten ihrer Durchführung dürfen nicht so geartet sein, dass sie beim Käufer oder beim Verbraucher einen Irrtum über die Merkmale des Lebensmittels, insbesondere dessen Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Aufbewahrung, Ursprung oder Herkunft oder die Methode seiner Herstellung oder Gewinnung, hervorrufen."

4 Die "Merkmale des Lebensmittels" mit der Bezeichnung "Emmentaler" im Sinne der französischen Rechtsvorschriften sind in Artikel 6 und im Anhang des Dekrets Nr. 88-1206 vom 30. Dezember 1988 zur Durchführung des Gesetzes vom 1. August 1905 über Betrug und Fälschungen im Zusammenhang mit Waren und Dienstleistungen und des Gesetzes vom 2. Juli 1935 zur Organisation und Sanierung des Milchmarktes in Bezug auf Käse (JORF, vom 31. Dezember 1988, S. 16753; im Folgenden: Dekret 1988) festgelegt. Nach dieser Vorschrift sind "die im Anhang aufgezählten Bezeichnungen ... den Käsesorten vorbehalten, die den in diesem Anhang aufgeführten Vorschriften über die Herstellung und Zusammensetzung entsprechen". In diesem Anhang wird Emmentaler wie folgt beschrieben: "Hartkäse, gekocht, gepreßt, mit Oberflächen- oder Salzbadsalzung, Farbe: elfenbein bis blassgelb, mit kirsch- oder walnußgroßen Öffnungen, Rinde: hart und trocken, von goldgelber bis hellbrauner Farbe."

Sachverhalt und Ausgangsverfahren

5 Der Angeklagte wurde am 6. Januar 1998 mit Strafbefehl zur Zahlung von 260 Geldbußen in Höhe von je 20 FRF verurteilt, weil er ein Lebensmittel, nämlich Emmentaler Käse, mit irreführender Etikettierung zum Zweck des Verkaufs besessen, verkauft oder zum Kauf angeboten und sich damit einer Straftat nach Artikel 3 Absatz 1 des Dekrets 1984 schuldig gemacht habe.

6 In der Hauptverhandlung, in deren Verlauf das Tribunal de police Belley den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl prüfte, wurde festgestellt, dass am 5. März 1996 von der Direktion Wettbewerb, Verbraucherfragen und Betrugsbekämpfung des Departements Vaucluse eine Kontrolle bei einer Firma durchgeführt wurde, die auf den Schnitt und die Verpackung von in Plastikfolie vorverpacktem, insbesondere für den Großvertrieb bestimmtem Käse spezialisiert ist. Bei dieser Kontrolle wurden 260 Laibe Emmentaler entdeckt, die von der Firma "Laiterie d'Argis" stammten, deren technischer Leiter der Angeklagte ist.

7 Dabei stellte die Direktion Wettbewerb fest, dass die untersuchten Käselaibe keinerlei Rinde aufwiesen, was eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 6 und die Bestimmungen des Anhangs des Dekrets 1988 darstelle.

8 Der Angeklagte machte vor dem vorlegenden Gericht zu seiner Verteidigung geltend, Artikel 6 des Dekrets vom 30. Dezember 1988 verstoße gegen die Bestimmungen der Artikel 3 Buchstabe a und 30 ff. EG-Vertrag.

9 Die Bezeichnung "Emmentaler" sei eine allgemeine Warenbezeichnung, die in mehreren Staaten der Europäischen Union weit verbreitet sei, ohne dass daran die Bedingung des Vorhandenseins von Rinde geknüpft sei. Das Dekret vom 30. Dezember 1988, wonach nur die Käsesorten die Bezeichnung "Emmentaler" tragen dürften, die eine "harte und trockene Rinde von goldgelber bis hellbrauner Farbe" aufwiesen, führe eine mengenmäßige Beschränkung oder eine Maßnahme mit gleicher Wirkung im innergemeinschaftlichen Handel ein.

10 In seiner Vorlageentscheidung stellte das Tribunal de police Belley u. a. folgende Erwägungen an:

- Der Angeklagte könne sich nur strafbar gemacht haben, wenn das Dekret 1988 nicht gegen supranationales Recht verstoße.

- Der Angeklagte habe durch Urkunden nachgewiesen, dass Emmentaler in anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft ohne Rinde hergestellt oder vertrieben werde.

- Der Codex alimentarius der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation enthalte eine Vorschrift, die auf den Verzehr von Emmentaler ohne Rinde Bezug nehme.

- Die Verschiedenartigkeit der nationalen Regelungen und insbesondere der im Verhältnis zu den übrigen europäischen Regelungen einschränkende Standpunkt der französischen Regelung seien geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu beeinträchtigen, da in den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften kein Recht auf Schutz der allgemeinen Bezeichnung "Emmentaler" anerkannt sei.

- Diese Ungleichbehandlung erscheine aus keinem der Gründe gerechtfertigt, deren Anführung Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) zulasse.

11 Daher hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Artikel 3 Buchstabe a und 30 ff. des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in seiner geänderten Fassung dahin auszulegen, dass die französische Regelung, die sich aus dem Dekret Nr. 88-1206 vom 30. Dezember 1988 ergibt, wonach die Herstellung und der Vertrieb eines Käses ohne Rinde unter der Bezeichnung "Emmentaler" in Frankreich verboten ist, im innergemeinschaftlichen Handel eine mengenmäßige Beschränkung oder eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellt?

Vorbemerkungen

12 Artikel 3 EG-Vertrag bestimmt die Gebiete und die Ziele, auf die sich die Tätigkeit der Gemeinschaft erstreckt, und enthält damit die allgemeinen Grundsätze des Gemeinsamen Marktes, die in Verbindung mit den sie jeweils konkretisierenden Kapiteln des EG-Vertrages Anwendung finden (vgl. Urteil vom 14. Juli 1998 in der Rechtssache C-341/95, Bettati, Slg. 1998, I-4355 Randnr. 75). Das allgemeine Ziel des Artikels 3 Buchstabe a EG-Vertrag ist durch die Artikel 30 ff. EG-Vertrag konkretisiert worden. Daher erfordert die Bezugnahme auf Artikel 3 Buchstabe a EG-Vertrag in der Vorlagefrage keine andere Antwort als die, die zur Auslegung der Artikel 30 ff. EG-Vertrag zu geben sein wird.

13 Sodann ist das Vorbringen der französischen Regierung zu erörtern, Artikel 30 EG-Vertrag sei in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar.

14 Zum einen macht die französische Regierung geltend, die Unanwendbarkeit ergebe sich bereits daraus, dass die Vorschrift, deren Verletzung dem Angeklagten vorgeworfen werde, in der Praxis nicht auf eingeführte Erzeugnisse angewandt werde. Diese Vorschrift sei dazu bestimmt, ausschließlich Pflichten nationaler Erzeuger zu begründen, und berühre daher den innergemeinschaftlichen Handel in keiner Weise. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere dem Urteil vom 18. Februar 1987 in der Rechtssache 98/86 (Mathot, Slg. 1987, 809, Randnrn. 8 und 9), solle Artikel 30 EG-Vertrag nur den innergemeinschaftlichen Handel schützen.

15 Artikel 30 EG-Vertrag betrifft alle Regelungen der Mitgliedstaaten, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern (Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5). Diese Bestimmung soll hingegen nicht gewährleisten, dass Waren aus nationaler Produktion in jedem Fall genauso behandelt werden wie eingeführte Waren; eine Ungleichbehandlung von Waren, die nicht geeignet ist, die Einfuhr zu behindern oder den Absatz eingeführter Waren zu erschweren, fällt nicht unter das Verbot dieses Artikels (vgl. Urteil Mathot, Randnrn. 7 und 8).

16 Die französische Regierung bestreitet nicht, dass die nationale Vorschrift, um die es im Ausgangsverfahren geht, ihrem Wortlaut nach unterschiedslos auf französische und auf eingeführte Erzeugnisse anwendbar ist.

17 Diesem Vorbringen der französischen Regierung ist daher nicht zu folgen; dass eine Vorschrift in der Praxis nicht auf eingeführte Erzeugnisse angewandt wird, schließt für sich genommen nicht aus, dass sie möglicherweise Wirkungen entfaltet, die den innergemeinschaftlichen Handel mittelbar und potentiell behindern (vgl. dazu Urteil vom 22. Oktober 1998 in der Rechtssache C-184/96, Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-6197, Randnr. 17).

18 Zum anderen macht die französische Regierung, darin unterstützt von der dänischen Regierung, geltend, die fragliche Vorschrift bewirke im Ausgangsfall keine mittelbare oder potentielle Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes; der Sachverhalt, der dem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zugrunde liege, sei rein intern, da der Angeklagte französischer Staatsbürger sei und das fragliche Erzeugnis vollständig auf französischem Gebiet hergestellt werde.

19 Der Angeklagte, die deutsche, die niederländische und die österreichische Regierung sowie die Kommission führen aus, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes finde Artikel 30 EG-Vertrag nicht schon deshalb keine Anwendung, weil keines der Elemente des Sachverhalts, über den das nationale Gericht zu entscheiden habe, über die Grenzen eines einzelnen Mitgliedstaats hinausweise (vgl. Urteil vom 7. Mai 1997 in den Rechtssachen C-321/94 bis C-324/94, Pistre u. a., Slg. 1997, I-2343, Randnr. 44).

20 Das Urteil Pistre u. a. betraf jedoch einen Sachverhalt, in dem die fragliche nationale Vorschrift nicht unterschiedslos anwendbar war, sondern aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Waren unmittelbar diskriminierte.

21 Eine Vorschrift der im Ausgangsverfahren erörterten Art, die ihrem Wortlaut nach unterschiedslos auf nationale und auf eingeführte Erzeugnisse anwendbar ist und nach der den Erzeugern für die Vermarktung ihrer Erzeugnisse unter einer bestimmten Bezeichnung bestimmte Produktionsbedingungen vorgeschrieben werden, fällt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nur insoweit unter Artikel 30 EG-Vertrag, als sie auf Sachverhalte Anwendung findet, die einen Bezug zur Einfuhr von Waren im innergemeinschaftlichen Handel aufweisen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1982 in der Rechtssache 286/81, Oosthoeküs Uitgeversmaatschappij, Slg. 1982, 4575, Randnr. 9, und Urteil Mathot, Randnrn. 3 und 7 bis 9).

22 Das hat jedoch nicht zur Folge, dass die Frage, die dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorliegt, nicht zu beantworten wäre. Grundsätzlich ist es allein Sache der nationalen Gerichte, unter Berücksichtigung des jeweiligen Sachverhalts sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Der Gerichtshof kann das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur zurückweisen, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung oder Prüfung der Gültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht (vgl. Urteil vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C-281/98, Angonese, Slg. 2000, I-?, Randnr. 18).

23 Im vorliegenden Fall ist nicht offenkundig, dass die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts für das nationale Gericht nicht erforderlich wäre. Eine Antwort könnte ihm nämlich dann von Nutzen sein, wenn sein nationales Recht in einem Verfahren der vorliegenden Art vorschriebe, dass einem inländischen Erzeuger die gleichen Rechte zustehen, die dem Erzeuger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrechts zustuenden.

24 Daher ist zu prüfen, ob eine nationale Regelung wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung darstellt, die gegen Artikel 30 EG-Vertrag verstößt, soweit sie auf eingeführte Erzeugnisse Anwendung findet.

Zur Auslegung von Artikel 30 EG-Vertrag

25 Im Verfahren steht zu Recht außer Streit, dass eine nationale Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren fragliche eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne des Artikels 30 EG-Vertrag darstellt, soweit sie auf eingeführte Erzeugnisse Anwendung findet.

26 Eine nationale Rechtsvorschrift, die die Verwendung der gemeinhin üblichen Bezeichnung von Erzeugnissen, die aus anderen Mitgliedstaaten stammen und die dort rechtmäßig hergestellt und vermarktet wurden, bestimmten Bedingungen unterwirft und somit die Erzeuger gegebenenfalls zur Verwendung unbekannter oder von den Verbrauchern weniger geschätzter Bezeichnungen zwingt, schließt zwar die Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten stammender Erzeugnisse in den betreffenden Mitgliedstaat nicht absolut aus; sie kann aber deren Vermarktung erschweren und daher den Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindern (vgl. dazu Urteil vom 14. Juli 1988 in der Rechtssache 298/87, Smanor, Slg. 1988, 4489, Randnr. 12).

27 Eine solche Rechtsvorschrift kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes dennoch in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehen. Nach dieser Rechtsprechung kann eine in Ermangelung einer gemeinsamen oder harmonisierten Regelung erlassene nationale Regelung, die ohne Unterscheidung auf heimische wie auf solche Produkte Anwendung findet, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt wurden, mit dem EWG-Vertrag insoweit vereinbar sein, als sie notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen, u. a. der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes, gerecht zu werden (vgl. Urteil vom 20. Juni 1991 in der Rechtssache C-39/90, Denkavit, Slg. 1991, I-3069, Randnr. 18), als sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht und als dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken (vgl. insbesondere Urteil vom 26. Juni 1997 in der Rechtssache C-368/95, Familiapress, Slg. 1997, I-3689, Randnr. 19).

28 In diesem Zusammenhang ist mit der Kommission die Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. 1979, L 33, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 89/395/EWG des Rates vom 14. Juni 1989 (ABl. L 186, S. 17) heranzuziehen, deren Artikel 5 Absatz 1 in der entscheidungserheblichen Fassung bestimmte:

"Die Verkehrsbezeichnung eines Lebensmittels ist die Bezeichnung, die in den diesbezüglichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften vorgesehen ist, und, bei Fehlen einer solchen, die verkehrsübliche Bezeichnung in dem Mitgliedstaat, in dem die Abgabe an den Endverbraucher und an gemeinschaftliche Einrichtungen erfolgt, oder eine Beschreibung des Lebensmittels und erforderlichenfalls seiner Verwendung, die hinreichend genau ist, um es dem Käufer zu ermöglichen, die tatsächliche Art des Lebensmittels zu erkennen und es von ähnlichen Erzeugnissen zu unterscheiden, mit denen es verwechselt werden könnte."

29 Diese Bestimmung zeigt die Bedeutung einer korrekten Verwendung der Bezeichnungen von Lebensmitteln für den Verbraucherschutz auf, gibt den Mitgliedstaaten jedoch nicht die Befugnis, Vorschriften über die Bezeichnungen zu erlassen, die die Einfuhr von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und vermarktet wurden, beschränken, wenn diese Vorschriften nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen und dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken.

30 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes können die Mitgliedstaaten, um die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutz zu gewährleisten, zwar verlangen, dass die Betroffenen die Bezeichnung eines Lebensmittels ändern, wenn dieses Erzeugnis nach seiner Zusammensetzung oder Herstellungsweise so stark von den in der Gemeinschaft unter dieser Bezeichnung allgemein bekannten Waren abweicht, dass es nicht mehr der gleichen Kategorie zugerechnet werden kann (vgl. Urteil vom 12. September 2000 in der Rechtssache C-366/98, Geffroy, Slg. 2000, I-?, Randnr. 22).

31 Bei einer geringfügigen Abweichung muss jedoch eine angemessene Etikettierung ausreichen, um den Käufer oder den Verbraucher mit den erforderlichen Informationen zu versorgen (Urteil Geffroy, Randnr. 23).

32 Im vorliegenden Fall kann ein Käse ohne Rinde nach dem in Randnummer 10 erwähnten Codex alimentarius, der Hinweise für eine Definition der Eigenschaften dieses Erzeugnisses liefert, die Bezeichnung "Emmentaler" tragen, da er abgesehen von einer unterschiedlichen Behandlung bei der Reifung aus den gleichen Zutaten und nach derselben Methode wie Emmentaler mit Rinde hergestellt wird. Im Übrigen wird eine solche Unterart von Emmentaler in anderen Mitgliedstaaten als der Französischen Republik unstreitig rechtmäßig hergestellt und vertrieben.

33 Daher wäre es selbst bei der Annahme, dass der Unterschied in den Reifungsmethoden für Emmentaler mit Rinde und solchen ohne Rinde den Verbraucher täuschen könnte, ausreichend, die Bezeichnung "Emmentaler" beizubehalten und eine diesem Unterschied angemessene Information hinzuzufügen.

34 Daher ist das Fehlen einer Rinde nicht als eine Eigenschaft anzusehen, die das Verbot der Bezeichnung "Emmentaler" für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtfertigt, wo sie rechtmäßig hergestellt und unter dieser Bezeichnung vertrieben werden.

35 Deshalb ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 30 EG-Vertrag einem Mitgliedstaat verwehrt, auf Erzeugnisse, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und vertrieben werden, eine innerstaatliche Vorschrift anzuwenden, die den Vertrieb eines Käses ohne Rinde unter der Bezeichnung "Emmentaler" in diesem Mitgliedstaat verbietet.

Kostenentscheidung


Kosten

36 Die Auslagen der französischen, der dänischen, der deutschen, der niederländischen und der österreichischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Tribunal de police Belley mit Urteil vom 24. November 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verwehrt es einem Mitgliedstaat, auf Erzeugnisse, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und vertrieben werden, eine innerstaatliche Vorschrift anzuwenden, die den Vertrieb eines Käses ohne Rinde unter der Bezeichnung "Emmentaler" in diesem Mitgliedstaat verbietet.