61998C0102

Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 7. Oktober 1999. - Ibrahim Kocak gegen Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken (C-102/98) und Ramazan Örs gegen Bundesknappschaft (C-211/98). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundessozialgericht - Deutschland. - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Beschlüsse des Assoziationsrates - Soziale Sicherheit - Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit - Unmittelbare Wirkung - Umfang - Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über die Bestimmung des Geburtsdatums im Hinblick auf die Vergabe einer Sozialversicherungsnummer und die Gewährung einer Altersrente. - Verbundene Rechtssachen C-102/98 und C-211/98.

Sammlung der Rechtsprechung 2000 Seite I-01287


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Der Gerichtshof hat dem Grundsatz der Gleichbehandlung(1) in Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates(2) (nachfolgend: Beschluß Nr. 3/80), der durch das Assoziationsabkommen zwischen der Gemeinschaft und der Türkei(3) (nachfolgend: Assoziationsabkommen) geschaffen wurde, bereits unmittelbare Wirkung zuerkannt. Damit stellt sich die Frage, ob es diesem Grundsatz widerspricht, wenn ein Mitgliedstaat mit Wirkung für den Leistungsanspruch die Möglichkeit, ein bei Eintritt in sein System sozialer Sicherheit erklärtes Geburtsdatum zu berichtigen, auf Schreibfehler sowie auf die Fälle beschränkt, in denen Unterlagen vorgelegt werden, die vor Abgabe der Erklärung ausgestellt wurden, ohne die Umstände zu berücksichtigen, unter denen in der Türkei die Geburten registriert werden.

Im wesentlichen dahin gehen die Fragen, die der Achte und der Dreizehnte Senat des deutschen Bundessozialgerichts dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt haben.

I. Der Sachverhalt in der Rechtssache C-102/98 (Kocak)

2 Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist türkischer Staatsangehöriger und arbeitete von 1956 bis 1962 versicherungspflichtig in der Türkei. Von April 1962 bis Dezember 1966 war er in der Bundesrepublik Deutschland im Bergbau erwerbstätig. Seit Mai 1970 lebt er ständig in diesem Mitgliedsstaat; bis zum Eintritt in den Vorruhestand am 1. Oktober 1986 war er als Produktionsarbeiter beschäftigt. Nach Auslaufen des Vorruhestandsgeldes bezog der Kläger seit Oktober 1991 Sozialhilfe.

3 Als er 1970 in die deutsche Sozialversicherung eintrat, gab er als Geburtsdatum den 20. Oktober 1933 an. Mit einem Urteil des türkischen Zivilgerichts in Düzce vom 3. Dezember 1985 wurde die Eintragung seines Geburtsjahres im türkischen Personenstandsregister in das Jahr 1926 geändert. Unter Berücksichtigung dieses Urteils vergab die Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein eine neue Versicherungsnummer mit dem berichtigten Geburtsdatum.

4 Im August 1991 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Im Februar 1992 teilte ihm die LVA mit, daß sie die türkische Gerichtsentscheidung, mit der sein Geburtsdatum berichtigt worden sei, nicht mit Wirkung für seinen Rentenanspruch in Deutschland anerkannt habe. Sie lehnte den Rentenantrag ab, da der Kläger 1933 geboren sei und das 65. Lebensjahr erst im Oktober 1998 vollende; ferner vergab sie eine andere Sozialversicherungsnummer, in der erneut 1933 als Geburtsjahr festgestellt wurde.

5 Die Widersprüche des Klägers gegen diese Bescheide wurden mit der Begründung zurückgewiesen, das von dem türkischen Gericht erlassene Urteil beruhe ausschließlich auf einem ärztlichen Gutachten und auf der Erklärung eines Zeugen. Unter diesen Umständen, heißt es in den Ausführungen der LVA, sei nicht nachgewiesen, daß der Antragsteller 1926 und nicht, wie er bei Eintritt in die deutsche Rentenversicherung erklärt habe, 1933 geboren sei.

6 Vor den Gerichten wurde seiner Klage in erster Instanz vom Sozialgericht Itzehoe stattgegeben, das die LVA verurteilte, dem Kläger Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres seit November 1991 zu gewähren. In der Berufungsinstanz hob das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht das Urteil auf und wies die Klage ab, unter anderem, weil die Umstände sowie die Beweismittel, die der Kläger in dem Verfahren vor dem türkischen Gericht vorgelegt habe, das die Berichtigung seines Geburtsdatums angeordnet habe, nicht schwerwiegend genug seien, um die Beweiskraft der ursprünglichen Eintragung im Personenstandsregister zu erschüttern. Der Kläger legte gegen diese Entscheidung Revision ein.

Der Rechtsstreit wurde teilweise durch Vergleich beigelegt. Er betrifft nunmehr die erklärte Weigerung des beklagten Sozialversicherungsträgers, eine neue Versicherungsnummer an den Kläger zu vergeben (Bescheid vom 17. Februar 1992), und die Versagung der Altersrente (Bescheid vom 1. Dezember 1993).

II. Die Vorabentscheidungsfrage in der Rechtssache C-102/98 (Kocak)

7 Der Dreizehnte Senat des Bundessozialgerichts, der über die Revision zu entscheiden hat, hat dem Gerichtshof die folgende Vorabentscheidungsfrage vorgelegt:

"Ist das Recht betreffend die Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (insbesondere Artikel 9 des Abkommens zur Gründung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963, Artikel 37 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen vom 23. November 1970, Artikel 10 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980(4) und Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980) dahin auszulegen, daß es dem Gesetzgeber eines Mitgliedstaates nicht gestattet ist, eine Regelung zu treffen, wonach für die Verwendung in der einem Versicherten zugeordneten Versicherungsnummer sowie für die Gewährung von Altersruhegeld auch bei türkischen Wanderarbeitnehmern - ohne Rücksicht auf Besonderheiten des türkischen Personenstandsregisters - grundsätzlich dasjenige Geburtsdatum maßgebend ist, das sich aus der ersten Angabe des Versicherten gegenüber dem Sozialversicherungsträger des betreffenden Mitgliedstaats oder gegenüber dem dortigen (insoweit im Verhältnis zum Sozialversicherungsträger meldepflichtigen) Arbeitgeber ergibt?"

III. Der Sachverhalt in der Rechtssache C-211/98 (Örs)

8 Der in der Türkei geborene Kläger lebt seit 1972 in Deutschland. Er ist bei der Bundesknappschaft, dem beklagten Sozialversicherungsträger, rentenversichert. Bei seinem Eintritt in die deutsche Rentenversicherung gab er an, am 1. Mai 1950 geboren zu sein. Mit Rücksicht darauf wurde die Versicherungsnummer 80 010550 O 016 an ihn vergeben.

Im Februar 1993 legte er der Beklagten ein Urteil des Landgerichts Balikesir/Türkei vom 9. November 1992 vor, mit dem sein im türkischen Personenstandsregister verzeichnetes Geburtsdatum auf den 1. Mai 1946 berichtigt wurde. Diesem Urteil fügte er eine Bescheinigung bei, daß er seinen Wehrdienst von Juli 1970 bis März 1972 absolviert habe. Er teilte zugleich mit, er habe in der Türkei keine Schule besucht.

9 Wie diesem Urteil, dessen Übersetzung vom Kläger beigebracht wurde, zu entnehmen ist, teilte das staatliche Krankenhaus Balikesir dem betreffenden Gericht mit, der Kläger sei 45 bis 46 Jahre alt. Außerdem erklärten die von ihm aufgebotenen Zeugen unter Eid, ihn gut zu kennen, weil sie in demselben Dorf gewohnt hätten; seine Eltern hätten vor ihrer Heirat jahrelang zusammengelebt; im Dorf hätten alle zusammengelebt und Kinder gehabt, bevor sie getraut worden seien; der Kläger sei schon 4 oder 5 Jahre alt gewesen, als seine Eltern geheiratet hätten. Einer der Zeugen sagte, daß seine Tochter Havva auch 1946 geboren, aber in das Personenstandsregister als 1948 geboren eingetragen worden sei. Der Staatsanwalt äußerte in seinem Schlußvortrag die Auffassung, der Kläger habe seine Behauptungen bewiesen. Deshalb gab dieses erstinstanzliche Gericht seinem Antrag auf Berichtigung seines Geburtsdatums statt.

10 Mit den Bescheiden vom 14. Juni 1993 und vom 14. September 1993 lehnte die Beklagte den Antrag auf Änderung des Geburtsdatums sowie der Versicherungsnummer ab.

Die Klage vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen blieb ohne Erfolg. In der Berufungsinstanz bestand der Kläger darauf, es gehe ihm nicht nur um die Änderung der Versicherungsnummer, sondern auch um die Änderung seines tatsächlichen Geburtsdatums, das entscheidende Bedeutung für seine Lebensarbeitszeit habe. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wies die Berufung zurück und führte aus, die Versicherungsnummer diene lediglich dazu, die Daten des Versicherten zwecks Anerkennung des Anspruchs auf Sozialleistungen zu ordnen; deshalb sei der Versicherungsträger nicht gehalten, das Geburtsdatum in der Versicherungsnummer aufgrund des vom türkischen Gericht erlassenen Urteils zu berichtigen. Was die Notwendigkeit, das in dieser Nummer angegebene tatsächliche Geburtsdatum zu ändern, betrifft, stützte es sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das für diesen Fall die Ansicht vertrete, das maßgebliche Geburtsdatum sei das im Zeitpunkt der Vergabe der Versicherungsnummer im Personenstandsregister eingetragene Geburtsdatum.

IV. Die Vorabentscheidungsfrage in der Rechtssache C-211/98 (Örs)

11 Der Achte Senat des Bundessozialgerichts, der über die Revision zu entscheiden hat, hat dem Gerichtshof die folgenden Vorabentscheidungsfragen vorgelegt:

"1. Besteht aufgrund des Rechts betreffend die Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei ein auf einen türkischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit?

2. Falls die Frage zu 1 bejaht wird, ist dieses Verbot so auszulegen, daß es einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der für Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und für die insoweit vergebene Versicherungsnummer dasjenige Geburtsdatum maßgebend ist, das in jenem Zeitpunkt urkundlich festgestellt war, als der türkische Arbeitnehmer erstmals einem nationalen Sozialleistungsträger gemeldet wurde?"

V. Das nationale Recht

12 Sofern sie mindestens 60 Monate versichert waren, haben Männer mit 65 und Frauen mit 60 Jahren Anspruch auf Altersruhegeld. Zu Beginn seines Arbeitslebens hat der Arbeitgeber der Krankenversicherung die persönlichen Daten des Arbeitnehmers zu übermitteln; anschließend vergibt die Rentenversicherung eine Versicherungsnummer, deren einer Bestandteil das Geburtsdatum ist.

13 Gemäß Artikel 1 Absatz 5 der Verordnung über die Vergabe und Zusammensetzung der Versicherungsnummer wird diese Nummer nur einmal vergeben und kann nicht geändert werden.

14 Wann das in der Versicherungsnummer enthaltene Geburtsdatum "unrichtig" ist, bestimmt sich nach § 33a des Sozialgesetzbuchs I (nachfolgend: SGB I): Diese am 1. Januar 1998 in Kraft getretene Vorschrift lautet:

"(1) Sind Rechte oder Pflichten davon abhängig, daß eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten ist, ist das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitts des Vierten Buches handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt.

(2) Von einem nach Absatz 1 maßgebenden Geburtsdatum darf nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, daß

a) ein Schreibfehler vorliegt oder

b) sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Absatz 1 ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten für Geburtsdaten, die Bestandteile der Versicherungsnummer oder eines anderen in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs verwendeten Kennzeichens sind, entsprechend."

15 Diese Vorschrift wurde erlassen, um die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen in Fällen zu verhindern, in denen aufgrund einer Änderung des Geburtsdatums ein vorzeitiger Bezug von Sozialleistungen beantragt werden könnte. Bei ihrer Formulierung wurde berücksichtigt, daß es ausländische Rechtsordnungen gibt, die die Möglichkeit vorsehen, das Geburtsdatum durch gerichtliche Entscheidung zu ändern; diese Änderung kann zu Vorteilen im deutschen Sozialversicherungsrecht führen; nach diesen ausländischen Rechtsordnungen hat die Änderung des Geburtsdatums keine Wirkung auf den Anspruch auf Sozialleistungen.

Die neue Regelung soll sicherstellen, daß eine unter diesen Umständen erlangte Berichtigung des Geburtsdatums sich auch auf das deutsche Sozialversicherungsrecht nicht auswirkt.

Der Erlaß einer besonderen Übergangsvorschrift wurde nicht für notwendig erachtet.

VI. Das Gemeinschaftsrecht, um dessen Auslegung ersucht wird

16 Artikel 9 des Assoziationsabkommens bestimmt:

"Die Vertragsparteien erkennen an, daß für den Anwendungsbereich des Abkommens unbeschadet der besonderen Bestimmungen, die möglicherweise auf Grund von Artikel 8 noch erlassen werden, dem in Artikel 7(5) des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft verankerten Grundsatz entsprechend jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist."

17 Artikel 37 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen(6) lautet:

"Jeder Mitgliedstaat sieht für die in der Gemeinschaft beschäftigten Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit eine Regelung vor, die in bezug auf die Arbeitsbedingungen und das Entgelt keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber Arbeitnehmern enthält, die Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten sind."

18 Artikel 10 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates (nachfolgend: Beschluß Nr. 1/80) bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft räumen den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt."

19 Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 seinerseits lautet:

"Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluß gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluß nichts anderes bestimmt."

VII. Das Vorabentscheidungsverfahren

20 Innerhalb der zu diesem Zweck von Artikel 20 EG-Satzung des Gerichtshofes eingeräumten Frist haben der Kläger Örs, die französische und die deutsche Regierung sowie die Kommission schriftliche Erklärungen abgegeben.

In der mündlichen Verhandlung vom 7. September 1999 sind ein Vertreter der von Herrn Kocak beklagten Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken, der Bevollmächtigte der deutschen Regierung und derjenige der Kommission erschienen, um ihre Erklärungen mündlich vorzutragen.

21 Der Kläger Örs vertritt die Auffassung, der beklagte Sozialversicherungsträger verfüge nicht über vernünftige Gründe dafür, die Berichtigung seines Geburtsdatums abzulehnen; wegen des unmittelbar anwendbaren Verbots der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dürfe er einen türkischen Staatsangehörigen, der in einem Mitgliedstaat lebe, nicht anders behandeln als einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats. Die Entscheidung des Gerichts, mit der die Eintragung im Personenstandsregister über das Geburtsjahr berichtigt worden sei, sei für die deutschen Sozialversicherungsträger verbindlich, es sei denn, daß Anhaltspunkte dafür bestuenden, daß dieses Urteil auf unrechtmäßige Weise zustande gekommen sei, was aber nicht behauptet werde.

22 Die Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß die Anträge auf Berichtigung des Geburtsdatums mit dem Ziel, den Zeitraum des Bezugs von Sozialleistungen auszuweiten oder den Zeitpunkt, in dem mit deren Auszahlung begonnen werden müsse, vorzuverlegen, anfänglich recht selten gewesen seien. Seit Ende der 80er Jahre häuften sie sich jedoch; bis 1998 hätten die Sozialversicherungsträger in Deutschland ungefähr 5 000 Anträge dieser Art von türkischen Staatsangehörigen erhalten. Die Kosten, die durch die Berichtigung dieser Geburtsdaten verursacht würden, wenn die Änderung Auswirkungen auf den Bezug von Sozialleistungen hätten, seien sehr hoch und zudem unvorgesehen; sie könnten das finanzielle Gleichgewicht des Systems ins Wanken bringen. Die neuen Rechtvorschriften kämen viele Jahre zu spät zur Anwendung und könnten ihren Zweck nicht erfuellen, wenn man Übergangsvorschriften erlassen hätte, wie es die Kommission befürworte.

23 Die deutsche Regierung ist der Ansicht, der Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit bedeute auch für den Fall, daß er auf türkische Arbeitnehmer anwendbar sei, nicht, daß die von den türkischen Behörden ausgestellten Auszüge aus dem Personenstandsregister für die Rentenversicherungsträger und Gerichte in Deutschland bindend seien. Zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten bestuenden beträchtliche Unterschiede hinsichtlich des Verfahrens zur Berichtigung des Geburtsdatums; weder gebe es auf diesem Gebiet eine Harmonisierung zwischen den Staaten der Gemeinschaft und der Türkei, noch hätten sie ein System zur gegenseitigen Anerkennung solcher Entscheidungen geschaffen; und nicht einmal in der Türkei hätten die gerichtlichen Entscheidungen, mit denen das Geburtsdatum berichtigt werde, Auswirkungen im Bereich der sozialen Sicherheit.(7)

Die Regelung in § 33a SGB I betreffe nicht nur türkische Staatsangehörige, sondern auch Deutsche, die in einem Drittstaat geboren seien, wie z. B. die rund 2,8 Millionen Spätaussiedler, die vor allem aus der früheren Sowjetunion nach Deutschland gekommen seien.

Die Vorschrift, mit der die Möglichkeit eingeschränkt werde, den Anspruch auf Leistungen der Sozialversicherung aufgrund der Berichtigung des Geburtsdatums zu verändern, sei erlassen worden, weil sie notwendig, billig und objektiv gerechtfertigt sei. Man habe nämlich festgestellt, daß die Versicherten unter Berufung auf eine nachträgliche Änderung ihres Geburtsdatums häufig beantragten, den Leistungsanspruch, wie z. B. der Waisenrente oder der Familienbeihilfen, zu verlängern oder die Auszahlung des Altersruhegeldes vorzuverlegen. Die Aufklärung jedes Einzelfalls erweise sich als langwierig und kostspielig, weil die Sozialversicherungsträger im Geburtsland des Antragstellers umfangreiche Ermittlungen durchführen müßten. Außerdem erlaube es die gegenwärtig bestehende Regelung zur Anerkennung einer Änderung des Geburtsdatums, Betrugsversuche mit dem Ziel, vorzeitig Altersruhegeld zu erhalten, weitgehend auszuschließen; in nahezu allen Fällen, in denen die Änderung des Geburtsdatums beantragt werde, liege nämlich das erklärte Geburtsdatum vor dem bei Eintritt in die Sozialversicherung angegebenen Datum. Dabei handele es sich nicht um vereinzelte Fälle, sondern um ein Massenphänomen.

Abschließend führt die deutsche Regierung aus, daß Urkunden, die vor dem Zeitpunkt der Angabe des Geburtsdatums bei Eintritt in die Sozialversicherung ausgestellt worden seien, als Beweismittel zugelassen seien; das gelte nicht nur für Personenstandsurkunden, sondern auch für jede andere Urkunde, die es ermögliche, das Geburtsdatum feszulegen, wie z. B. Urkunden, die im Zusammenhang mit der Schulzeit oder aus Anlaß der Ableistung des Wehrdienstes ausgestellt worden seien.

24 Die französische Regierung meint, den Eintragungen im Personenstandsregister eines Drittstaats könne nicht die gleiche Beweiskraft zugestanden werden wie denen im Personenstandsregister eines Mitgliedstaats. Ein Mitgliedstaat dürfe prüfen, ob die mit dem Antrag auf Änderung des Geburtsdatums vorgelegten Beweise unzureichend oder falsch seien, insbesondere angesichts der Leichtigkeit, mit der in einigen Staaten Entscheidungen erlassen würden, die zur Berichtigung oder Vervollständigung des Personenstandsregisters bestimmt seien und die den alleinigen Zweck verfolgten, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Staatsangehörigkeit, das Aufenthaltsrecht und das Recht zum Bezug von Sozialleistungen oder Altersruhegeld zu umgehen.

25 Die Kommission ist der Auffassung, die deutschen Rechtsvorschriften, die eine Berichtigung des Geburtsdatums mit Wirkung für das Recht auf Altersruhegeld versagten, wenn keine vor dem Eintritt des Arbeitnehmers in die deutsche Sozialversicherung ausgestellte Urkunde vorgelegt werde, stellten eine verdeckte Diskrimierung der türkischen Wanderarbeitnehmer dar, die sich tatsächlich und rechtlich in einer anderen Lage befänden als die deutschen Staatsangehörigen.

Zur Erklärung führt sie aus, in Deutschland verpflichte das Gesetz im Falle einer Geburt bestimmte Personen unter Androhung einer Geldbuße, innerhalb von einer Woche eine Erklärung für das Personenstandsregister abzugeben; das eingetragene Datum könne nur durch richterliche Entscheidung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit berichtigt werden, in dessen Rahmen das Gericht von Amts wegen die durchzuführenden Ermittlungen anordne, wobei es die Berichtigung nur dann bewillige, wenn es von der Unrichtigkeit der eingetragenen Daten überzeugt sei. Im Gegensatz dazu betrage die Frist zur Erklärung der Geburt in der Türkei einen Monat; sie scheine vor allem in ländlichen Gebieten nicht in allen Fällen eingehalten zu werden. Die Berichtigung der Eintragung sei nur einmal zulässig und zwar aufgrund richterlicher Entscheidung, die in einem als außerordentlich wohlwollend zu betrachtenden Verfahren erlassen werde, in dem keine sorgfältige Sachverhaltsermittlung von Amts wegen durchgeführt werde.

Die im Januar 1998 in Kraft getretene Vorschrift, mit deren Erlaß Betrugsversuche und der mit der Ermittlung von im Ausland stattfindenden Vorgängen verbundene Verwaltungsaufwand vermieden werden sollte, könne für die Zukunft gerechtfertigt werden; es sei aber zweifelhaft, ob - in Ermangelung von Übergangsbestimmungen - ihre Anwendung auf die Daten gerechtfertigt sei, die der türkische Arbeitnehmer im Zeitpunkt seines Eintritts in die deutsche Sozialversicherung gemacht habe, als eine andere Regelung gegolten habe.

In bezug auf die Tatsache, daß in der Türkei das für die Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung maßgebliche Geburtsdatum dasjenige sei, das im Zeitpunkt des Eintritts im Personenstandsregister eingetragen gewesen sei, weist die Kommission darauf hin, daß dies vor 1998 in Deutschland nicht gegolten habe und daß ein türkischer Arbeitnehmer nicht damit habe rechnen müssen, daß der deutsche Gesetzgeber rückwirkend und ohne Übergangsbestimmungen denselben Grundsatz einführen würde. Sie fügt hinzu, daß es in Fällen wie denen der Kläger, in denen die Berichtigung ihres Geburtsdatums allein auf einem ärztlichen Gutachten beruhe, gerechtfertigt sei, die Richtigkeit der türkischen Gerichtsentscheidung in Zweifel zu ziehen. Aus diesem Grund sei es Sache des Antragstellers, vor den deutschen Gerichten die Richtigkeit des nunmehr behaupteten Geburtsdatums durch Vorlage überzeugenderer Beweismittel nachzuweisen.

Nach alldem ist die Kommission der Ansicht, die streitige Vorschrift sei unverhältnismäßig, weil Übergangsbestimmungen fehlten, die die strukturellen Unterschiede zwischen den durch das Assoziationsabkommen verbundenen Staaten berücksichtigten.

VIII. Erörterung der Vorabentscheidungsfragen

26 Zur Beantwortung der vom Achten und vom Dreizehnten Senat des Bundessozialgerichts zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen werde ich zuerst prüfen, ob das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, das in den Rechtsvorschriften über die Assoziation zwischen der Türkei und der Gemeinschaft enthalten ist, auf die türkischen Arbeitnehmer unmittelbar anwendbar ist. Bejahendenfalls werde ich sehen, ob diese es in einem Mitgliedstaat geltend machen können, um zu verhindern, daß eine Vorschrift der Sozialversicherung auf sie angewandt wird, die die Berichtigung des Geburtsdatums, das der türkische Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Eintritts in die Sozialversicherung in diesem Staat angegeben hat, nur dann zuläßt, wenn er nachweist, daß ein Schreibfehler unterlaufen ist, oder wenn der Antragsteller eine Urkunde vorlegt, die vor dem Eintritt ausgestellt wurde und aus der sich ein anderes Geburtsdatum ergibt. Zum Schluß werde ich mich mit dem zeitlichen Anwendungsbereich des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Ausgangsverfahren beschäftigen.

A. Zur unmittelbaren Wirkung des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in den Rechtsvorschriften über die Assoziation zwischen der Gemeinschaft und der Türkei.

27 Sowohl Artikel 9 des Assoziationsabkommens als auch Artikel 37 des Zusatzprotokolls zum Abkommen, Artikel 10 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 und Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 verbieten die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Es wird jedoch nicht erforderlich sein, alle diese Bestimmungen auszulegen, um die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu beantworten.

28 Artikel 9 des Assoziationsabkommens, der in seinem Anwendungsbereich die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, ist eine Auffangvorschrift, die ebenso wie Artikel 6 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG) zur unabhängigen Anwendung allein auf die Sachverhalte bestimmt ist, für die das Abkommen und seine Ausführungsbestimmungen keine besonderen Regelungen gegen die Diskriminierung vorsehen.

29 Im Bereich der Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Türkei ist das Diskriminierungsverbot durch Artikel 37 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen konkretisiert worden.

30 Der zur Entwicklung der Assoziation erlassene Beschluß Nr. 1/80 nimmt dieses Verbot auf, wenn auch beschränkt auf das Entgelt und die übrigen Arbeitsbedingungen. Ich stimme mit der Kommission darin überein, daß die deutschen Regelungen über die Berichtigung der Versicherungsnummer oder die Gewährung von Sozialleistungen nicht als Vorschriften über Arbeitsbedingungen im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden können.

31. Der in Ausführung von Artikel 39 des Zusatzprotokolls erlassene Beschluß Nr. 3/80 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienmitglieder enthält in seinem Artikel 3 Absatz 1 den Grundsatz, daß jede Person, die in einem Mitgliedstaat wohnt und für die dieser Beschluß gilt, die gleichen Rechte und Pflichten hat wie die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten.

Nach seinem Artikel 2 ist der Beschlluß Nr. 3/80 auf beide Kläger des Ausgangsverfahrens anwendbar, weil es sich um Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit handelt, für die die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gelten.

32. Die beiden Ausgangsverfahren betreffen die Möglichkeit, das Geburtsdatum zu berichtigen, das in der Versicherungsnummer enthalten ist, die im Zeitpunkt des Eintritts in die deutsche Sozialversicherung vergeben wurde, und auf das sich die Sozialversicherungsträger zur Anerkennung des Anspruchs auf die verschiedenen Leistungen stützen. Die Bestimmung, auf die sich der Gerichtshof zur Beantwortung der Vorabentscheidungsfragen wird stützen müssen, ist deshalb Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten auf die türkischen Arbeitnehmer.(8)

33. Wie ich bereits am Anfang dieser Schlußanträge angedeutet habe, wurde ein Teil der Schwierigkeiten, die die von mir untersuchten Verfahren aufweisen, durch das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Sürül(9) behoben, in dem er festgestellt hat, daß Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 im Geltungsbereich dieses Beschlusses einen eindeutigen, unbedingten Grundsatz aufstellt, der ausreichend bestimmt ist, um von einem nationalen Gericht angewandt werden zu können, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des einzelnen zu regeln. Daraus, daß dieser Vorschrift somit unmittelbare Wirkung zuzuerkennen ist, folgt, daß sich die Bürger, für die sie gilt, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf sie berufen können.(10)

34. Die erste der vom Achten Senat des Bundessozialgerichts im Verfahren C-211/98 zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen ist folglich zu bejahen und dahin zu beantworten, daß Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 - demzufolge jede Person, die in einem Mitgliedstaat wohnt und für die dieser Beschluß gilt, die gleichen Rechte und Pflichten hat wie die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten - unmittelbare Wirkung hat.

B. Zur Gleichbehandlung der türkischen Arbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und zur Möglichkeit, das Geburtsdatum mit Wirkung für den Anspruch auf Sozialleistungen zu berichtigen.

35. Es ist nicht das erste Mal, daß ein nationales Gericht dem Gerichtshof die Frage vorlegt, ob die Sozialversicherungsträger und Gerichte eines Mitgliedstaats in Verfahren über sozialrechtliche Leistungsansprüche eines Wanderarbeitnehmers verpflichtet sind, von den zuständigen Behörden anderer Staaten ausgestellte Urkunden und ähnliche Schriftstücke über deren Personenstand zu beachten.

Der Gerichtshof nahm hierzu in dem Urteil in der Rechtssache Dafeki(11) Stellung, um eine Frage zu beantworten, die ihm vom Sozialgericht Hamburg zur Vorabentscheidung vorgelegt worden war.

36. Der Sachverhalt, der diesem Rechtsstreit zugrunde lag, ist ähnlich den Sachverhalten, die den Anlaß zu den beiden von mir untersuchten Verfahren gegeben haben.

Frau Dafeki, eine griechische Staatsangehörige, lebt seit 1966 in Deutschland und war dort bis 1987 als Arbeitnehmerin tätig. In ihren Ausweispapieren war als Geburtsdatum der 3. Dezember 1933 angegeben.

Am 4. April 1986 berichtigte das Gericht in Trikala (Griechenland) auf Antrag von Frau Dafeki dieses Datum gemäß dem besonderen Verfahren, das für den Fall der Zerstörung von staatlichen Archiven und Personenstandsbüchern im Krieg vorgesehen ist. Als Geburtsdatum von Frau Dafeki wurde dabei der 20. Februar 1929 festgestellt. Frau Dafeki wurde dann eine Geburtsurkunde ausgestellt, in der als Tag der Geburt das aus der genannten Berichtigung resultierende Datum bescheinigt wurde.

37. Im Dezember 1988 beantragte Frau Dafeki in Deutschland das für Frauen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, vorgesehene vorgezogene Altersruhegeld. Obwohl sie die übrigen Voraussetzungen zum Eintritt in den Vorruhestand erfuellte, wurde ihr Antrag abgelehnt. Der zuständige deutsche Träger begründete dies unter Hinweis auf die vor der Berichtigung ausgestellten Urkunden damit, daß Frau Dafeki bei Antragstellung nicht das erforderliche Alter erreicht habe.

38. Aus § 66 Personenstandsgesetz, der in diesem Verfahren einschlägig war, geht hervor, daß für in einem anderen Staat ausgestellte Personenstandsurkunden nicht wie für deutsche Personenstandsurkunden die Vermutung der Richtigkeit gilt; das angerufene Gericht prüfte daher die ihm vorgelegten Dokumente nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Im Rahmen dieser Prüfung hatte das Gericht insbesondere die von der Rechtsprechung aufgestellte Beweisregel zu berücksichtigen, nach der im Fall eines Widerspruchs zwischen mehreren nacheinander ausgestellten Dokumenten im allgemeinen, wenn keine anderen ausreichenden Beweise vorhanden sind, das dem Ereignis zeitlich am nächsten liegende vorgeht. Daher war im Fall von Frau Dafeki die erste Geburtsurkunde ausschlaggebend.

Da die Anwendung der Regelung durch die Gerichte zur Folge hatte, daß den in einem anderen anderen Staat ausgestellten Personenstandsurkunden von den deutschen Richtern eine geringere Beweiskraft beigemessen wurde als den von deutschen Behörden ausgestellten Urkunden, warf das Gericht, das diesen Rechtsstreit zu entscheiden hatte, die Frage auf, ob die Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und Artikel 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 42 EG) unvereinbar sei, weil sie eine verdeckte Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstelle. Diese Regelung wirke sich nämlich in der Praxis, obwohl sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers gelte, zum Nachteil der Arbeitnehmer aus, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten seien.

39. In dem Urteil des Gerichtshofes in dieser Rechtssache berücksichtigte er zum einen die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen hinsichtlich der Voraussetzungen und Verfahren für eine Entscheidung über die Berichtigung des Geburtsdatums und zum anderen die Tatsache, daß die Mitgliedstaaten bisher weder diesen Bereich harmonisiert noch ein System zur gegenseitigen Anerkennung solcher Entscheidungen geschaffen haben, wie es das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(12) für die in seinen Anwendungsbereich fallenden Entscheidungen vorsieht. Ob eine Personenstandsurkunde mit Erfolg angefochten werden könne, hänge, wie der Gerichtshof weiter befand, in hohem Maße davon ab, in welchem Verfahren und unter welchen Voraussetzungen eine solche Geburtsurkunde geändert werden könne; hier könnten zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bestehen.

Aus diesen Gründen, so führt er in Randnummer 18 wörtlich aus, sind die "Behörden und Gerichte eines Mitgliedstaats [...] nach Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet, nachträgliche Berichtigungen von Personenstandsurkunden durch die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats genauso zu behandeln wie derartige Berichtigungen durch die zuständigen Behörden des erstgenannten Mitgliedstaats".

40. Mit dieser Aussage ging der Gerichtshof auf die von der deutschen Regierung und der Kommission geäußerten Bedenken ein. Erstere trug vor, im Hinblick auf die Bestimmungen über die Führung der Personenstandsbücher und deren Berichtigung bestuenden beträchtliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. So könne z. B. in Griechenland die Berichtigung des Geburtsdatums durch Einzelrichterurteil aufgrund einer Bestätigung durch nur zwei Zeugen erlangt werden. Von dieser Möglichkeit hätten viele Wanderarbeitnehmer griechischer Staatsangehörigkeit Gebrauch gemacht. Der zuständige deutsche Sozialversicherungsträger habe in Hunderten von Fällen festgestellt, daß das bei der Arbeitsaufnahme angegebene Geburtsdatum erheblich von dem Datum abweiche, das bei der Stellung eines Rentenantrags genannt werde. In der Regel erfolge die Berichtigung zugunsten des Arbeitnehmers.

Die Kommission wies ebenfalls darauf hin, daß sich das Personenstandswesen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat stark unterscheide, da die verschiedensten kulturellen Verhältnisse sowie äußere Ereignisse wie Kriege und Gebietsabtretungen die jeweiligen Systeme sehr beeinflußt hätten. Es sei deshalb schwierig, von gleichartigen oder gleichwertigen Sach- und Rechtslagen auszugehen. Im übrigen verfüge die Gemeinschaft nicht über eine allgemeine Zuständigkeit zur Regelung des Personenstandsrechts oder für Fragen der Beweiskraft von Personenstandsurkunden.

41. In Randnummer 19 seines Urteils scheint der Gerichtshof aber einer anderen Auffassung zu folgen. Ich kann die Gedankenführung bis dahin mit der nachfolgenden nur dann in Einklang bringen, wenn ich den Gerichtshof wie folgt interpretiere:

- bis zur Randnummer 18, in der der Gerichtshof ausführt, das Gemeinschaftsrecht verpflichte einen Mitgliedstaat nicht, die von den eigenen Behörden vorgenommenen Berichtigungen des Personenstandsregisters und die aus anderen Mitgliedstaaten stammenden als gleichwertig zu behandeln, bezieht er sich auf die rein zivilrechtlichen Wirkungen dieser Berichtigungen, da die in dieser Rechtssache streitige Bestimmung eine Vorschrift aus dem Personenstandsgesetz war;

- ab der folgenden Randnummer argumentiert der Gerichtshof mit Blick auf die Unterlagen, die erforderlich sind, um die Ausübung einer der Grundfreiheiten zu gewährleisten, indem er erklärt: "Allerdings ist festzustellen, daß die Geltendmachung der Ansprüche, die sich aus der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ergeben, ohne die Vorlage von Personenstandsurkunden, die im allgemeinen vom Heimatstaat des Arbeitnehmers ausgestellt werden, nicht möglich ist. Folglich sind die Behörden und Gerichte eines Mitgliedstaats verpflichtet, von den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten ausgestellte Urkunden und ähnliche Schriftstücke über den Personenstand zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist."

Im Lichte dieser Feststellung folgert der Gerichtshof: "Demgemäß kann eine im nationalen Recht geltende generelle und abstrakte Beweisregel, nach der im Fall eines Widerspruchs zwischen mehreren nacheinander ausgestellten Urkunden die dem zu beweisenden Ereignis zeitlich am nächsten liegende vorgeht, wenn keine anderen ausreichenden Beweise vorhanden sind, die Weigerung, eine von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats vorgenommene Berichtigung zu berücksichtigen, nicht rechtfertigen."

42. Die Unterschiede zwischen der Lage von Frau Dafeki und derjenigen der Kläger springen ins Auge. Erstere war Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, während letztere Staatsangehörige eines Drittstaats sind. Die Urkunden, die Frau D. in Deutschland zum Beweis eines Geburtsdatums vorlegte, das von dem im Zeitpunkt des Eintritts in die Sozialversicherung angegebenen abwich, waren von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ausgestellt worden, während die von den Klägern beigebrachten Urkunden aus einem Drittstaat stammten.

43. Diese Unterschiede sind aber nicht entscheidend. Im Bereich der Freizügigkeit genießen nämlich sowohl die EU-Bürger, und zwar nach Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag - der auf Frau Dafeki angewendet wurde -, als auch die türkischen Staatsangehörigen, und zwar nach Artikel 37 des Zusatzprotokolls, das Recht auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaats. Außerdem verpflichten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71(13) in bezug auf die EU-Bürger und Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 in bezug auf die türkischen Staatsangehörigen - beide in übereinstimmendem Wortlaut - die Mitgliedstaaten, denen, die in einem Mitgliedstaat wohnen und für die die betreffende Regelung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten zu gewähren wie den Staatsangehörigen dieses Staates.

Der Gerichtshof hat dem Grundsatz der Gleichbehandlung sowohl in der Fassung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71(14) als auch in der Fassung von Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80(15) unmittelbare Wirkung zuerkannt. Folglich kann ein Mitgliedstaat diesem Grundsatz keine unterschiedliche Bedeutung nach Maßgabe dessen beimessen, ob der Begünstigte ein Arbeitnehmer und Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats oder ein Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit ist.

44. Es gibt jedoch einen Unterschied, der, wie mir scheint, sehr wohl entscheidend ist. Dieser liegt darin, daß die in den vorliegenden Verfahren streitige Vorschrift - im Gegensatz zu den in der Sache Dafeki anwendbaren Rechtsvorschriften, die den aus dem Ausland stammenden Urkunden eine geringere Beweiskraft als den in Deutschland ausgestellten zumaßen - keinen Unterschied nach dem Ursprung oder der Herkunft der Urkunden macht, die zur Untermauerung eines Antrags auf Berichtigung des Geburtsdatums beigebracht werden, der zum Zecke der Anerkennung des Anspruchs auf Sozialleistungen gestellt wird.

45. Ich stimme dem Urteil Dafeki zu, daß die Arbeitnehmer zur Geltendmachung des Anspruchs auf eine Sozialleistung, der sich aus der Ausübung der ihnen durch den Vertrag gewährleisteten Freizügigkeit ergibt, zwangsläufig bestimmte in den Personenstandsbüchern enthaltene Angaben belegen müssen. Das gleiche gilt auch für die türkischen Arbeitnehmer, die zuwandern, um unter dem Schutz des Assoziationsabkommens und der aufgrund seiner erlassenen Regelungen in den Mitgliedstaaten zu arbeiten.

46. Wie ich bereits ausgeführt habe, trat die streitige Bestimmung, § 33a SGB I, am 1. Januar 1998 in Kraft; sie wurde erlassen, um zu verhindern, daß ein Arbeitnehmer sein Geburtsdatum berichtigen läßt, um in der Folge seinen Anspruch auf Sozialleistungen in Deutschland zu verändern.

Um diesen Zweck zu erreichen, hat die Vorschrift die Bedingungen verschärft, unter denen die deutschen Sozialversicherungsträger das Geburtsdatum der Begünstigten berichtigen, das unbestreitbar das Datum ist, auf das sich die Systeme der sozialen Sicherheit stützen, um die Dauer des Anspruchs auf Familienbeihilfen oder Hinterbliebenenrente festzustellen, und das den Zeitpunkt bestimmt, in dem der Anspruch auf Altersruhegeld entsteht. Es erscheint mir symptomatisch, daß diejenigen Rechtsordnungen, die wie die griechische(16) oder die türkische offenbar mühelos die Änderung des Geburtsdatums erlauben, dieser Berichtigung keine Wirkung im Bereich der sozialrechtlichen Ansprüche zuerkennen.

Diese Verschärfung besteht darin, daß der Rentenberechtigte das Datum als Geburtsdatum gegen sich gelten lassen muß, das er selbst oder seine Familienangehörigen im Zeitpunkt des Eintritts in die deutsche Sozialversicherung angegeben haben und das in die Versicherungsnummer eingefügt wird, es sei denn, daß der zuständige Leistungsträger feststellt, daß ein Schreibfehler vorliegt oder sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt dieser Angabe ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt.

47. Es handelt sich um eine Vorschrift, die keinen Unterschied aus Gründen der Staatsangehörigkeit der Sozialversicherungsmitglieder macht und die deshalb keine unmittelbare Diskriminierung bewirkt.

Die Senate des Bundessozialgerichts, die die Vorabentscheidungsfragen vorgelegt haben, haben jedoch offenbar Zweifel, ob nicht eine verdeckte Diskriminierung vorliegt; die Kommission erklärt offen, sie liege vor.

48. Bekanntlich definiert der Gerichtshof als verdeckte Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit jede Form der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führt. Seit 1974 urteilt der Gerichtshof, daß solche Unterscheidungsmerkmale wie der Herkunftsort oder der Wohnsitz eines Arbeitnehmers in ihren tatsächlichen Auswirkungen je nach den Umständen auf eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit hinauslaufen können, die nach dem Vertrag verboten ist(17).

Zum Beispiel war der Gerichtshof der Auffassung, daß eine verdeckte Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Bereich der Freizügigkeit vorliege, wenn das Recht eines Mitgliedstaats es zur Voraussetzung des Zugangs eines Arbeitnehmers zu bestimmten sozialen(18) oder steuerlichen(19) Vergünstigungen machte, daß dieser dort wohnte, oder die Gewährung dieser Vergünstigungen von einer Mindestdauer der Berufstätigkeit auf seinem Staatsgebiet abhängig machten(20) oder bestimmten, daß die Dauer der Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren an ihren Universitäten von der der übrigen Professoren abweichen müßten(21); oder wenn ein Mitgliedstaat bei einem Auswahlverfahren(22) oder bei der Berechnung des Gehaltes und des Dienstalters(23) nur die in seiner eigenen Verwaltung geleisteten Dienste anerkannte; oder wenn er die Gewährung von Übergangsgeld an Schulabgänger davon abhängig machte, daß die Begünstigten ihre höhere Schulausbildung in einer Lehranstalt dieses Staates abgeschlossen hatten.(24)

In diesen Beispielen bestand die verdeckte Diskriminierung entweder darin, daß die im nationalen Recht für den Zugang zu einer Vergünstigung vorgesehenen Voraussetzungen von den Staatsangehörigen dieses Staates leichter als von den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten erfuellt werden konnten, oder darin, daß die von einem Mitgliedstaat aufgestellten, weniger vorteilhaften Arbeitsbedingungen im Ergebnis nahezu ausschließlich für Arbeitnehmer aus anderen Staaten der Europäische Union galten.

49. Die Kommission erklärt, die verdeckte Diskriminierung sei darin begründet, daß die streitige Bestimmung die Unterschiede zwischen den deutschen und den türkischen Regelungen über das Personenstandsregister nicht gebührend berücksichtige. Aus diesem Grund würden die türkischen Staatsangehörigen benachteiligt, da § 33a SGB I eine größere Anzahl von Türken als von Deutschen an der Berichtigung ihres Geburtsdatums hindere. Sie führt auch Unterschiede in tatsächlicher Hinsicht an und betont, in der Türkei sei die Verpflichtung zur Eintragung der Geburt innerhalb der Frist von einem Monat offensichtlich in den ländlichen Gebieten nicht in allen Fällen eingehalten worden.

50. Aus den Gründen, die ich bereits dargelegt habe, kann ich der Kommission nicht zustimmen. Sowohl Deutschland als auch die Türkei sind Mitglieder der Internationalen Kommission für das Zivilstandwesen (Commission internationale de l'état civil; nachfolgend: CIEC), einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der zwölf Staaten angehören, und die sich zum Ziel gesetzt hat, die Zuverlässigkeit der in die Personenstandsregister eingetragenen Daten zu gewährleisten.

Das im Rahmen der CIEC geschlossene Übereinkommen betreffend die Entscheidungen über die Berichtigung von Einträgen in Personenstandsbüchern (Zivilstandsregistern) vom 10. September 1964 (CIEC-9) ist von beiden Staaten ratifiziert worden und seit dem 24. August 1967 in der Türkei sowie seit dem 25. Juli 1969 in Deutschland in Kraft.(25)

Aus den Prozeßakten der beiden Rechtssachen geht auch nicht hervor, daß Deutschland heute - anders als es in der Rechtssache Dafeki der Fall war - den von den türkischen Arbeitnehmern beigebrachten und vom Standesamt in der Türkei ausgestellten Urkunden nicht den gleichen Wert zumessen würde wie den in Deutschland ausgestellten.

Darüber hinaus nehme ich an, daß die Erklärung über das Geburtsdatum im Zeitpunkt des Eintritts in die deutsche Sozialversicherung auf der Grundlage einer dieser in der Türkei ausgestellten Urkunden erfolgt, denen Deutschland den gleichen Wert beimißt wie den von seinen Standesämtern ausgegebenen Urkunden.(26)

51. Das Problem stellt sich, wenn ein Sozialversicherungsmitglied in Deutschland auf die Berichtigung des Geburtsdatums dringt - sei es seines eigenen, sei es desjenigen eines Begünstigten -, damit von dieser Berichtigung Wirkungen auf den Anspruch auf Sozialleistungen ausgehen.(27) Ich verstehe, daß die Staaten versuchen, diese Möglichkeit so weit wie möglich zu beschränken,(28) sowohl, um Betrugsversuche auf dem Gebiet des Erwerbs der Staatsangehörigkeit zu vermeiden, als auch wegen der beträchtlichen wirtschaftlichen Auswirkungen, die diese Praxis angesichts der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung für ihre jeweiligen Systeme der sozialen Sicherheit hat.

52. Es ist also die Frage, ob die streitige Bestimmung, nach der das Geburtsdatum nur dann berichtigt wird, wenn ein Schreibfehler vorliegt oder eine Urkunde beigebracht wird, aus der sich ein anderes Geburtsdatum ergibt und deren Original vor dem Zeitpunkt des Beitritts ausgestellt worden ist, eine Bedingung aufstellt, die deutsche Staatsangehörige leichter als türkische Staatsangehörige erfuellen können oder die, anders ausgedrückt, die türkischen gegenüber den deutschen Arbeitnehmern benachteiligt.

53. Ich meine, diese Fragen verneinen zu müssen, auch wenn die Kommission auf den Unterschieden beharrt, die im Zeitpunkt des Beitritts zur Sozialversicherung zwischen den türkischen Wanderarbeitnehmern - die Daten angäben, deren Richtigkeit zweifelhaft sei und eine Berichtigung erforderlich machen könne - und den deutschen Arbeitnehmern bestuenden, die über Daten verfügten, die auf im allgemeinen zuverlässigen Eintragungen beruhten und selten geändert zu werden brauchten.

54. Selbst wenn die im türkischen Personenstandsregister eingetragenen Daten so wenig zuverlässig wären, wie die Kommission offenbar annimmt, wäre dieser Mangel an Zuverlässigkeit ein ausreichender Grund für die Antragsteller, sich vor der beim Beitritt erforderlichen Angabe der persönlichen Daten selbst der Richtigkeit eines so wichtigen Datums wie des Geburtsdatums zu vergewissern.

55. Jedenfalls ist Deutschland bereit, das Geburtsdatum mit Wirkung auf den Anspruch auf Sozialleistungen zu berichtigen, wenn eine Urkunde beigebracht wird, deren Original vor dem Zeitpunkt des Beitritts ausgestellt worden ist und aus der sich ein anderes Geburtsdatum ergibt.

56. Die Kommission fügt hinzu, in den ländlichen Gebieten der Türkei werde die Verpflichtung, eine Geburt innerhalb eines Monats einzutragen, nicht immer erfuellt.(29)

Dieser Umstand ist jedoch weder eine ausschließliche Besonderheit der Türkei noch der ländlichen Gebiete. Denn in den meisten Staaten regeln die Vorschriften über die Personenstandsregister auch eingehend, wie Gesuche um die Eintragung von Geburten außerhalb der Frist zu behandeln. Solche Gesuche betreffen meistens Geburten nichtehelicher Kinder(30) und Geburten in den sogenannten Randgruppen der Gesellschaft.(31) Es handelt sich um Phänomene, die in allen Staaten bekannt sind.

57. Meiner Meinung nach wird jemand, der bis zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens an die Richtigkeit der Daten des Personenstandsregisters, in dem er eingetragen war, glaubte, dann über sein wahres Alter in Zweifel geraten, wenn er Umstände entdeckt, die er nicht kannte; diese Zweifel werden jedoch grundlegender Natur sein, wenn er auf Urkunden stößt, deren Daten denen des Registers widersprechen.(32) Das kann jedem unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit passieren. Der diskriminierende Charakter einer Vorschrift wie der in den Ausgangsverfahren streitigen ist vor allem deswegen zu verneinen, weil sie - abgesehen davon, daß sie gleiche Bedingungen für die Berichtigung des Geburtsdatums aufstellt - die Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit nicht in eine schwierigere Lage versetzt als die deutschen Staatsangehörigen, wenn sie Urkunden beibringen, aus denen sich ein anderes Geburtsdatum ergibt, z. B. solche, die im Zusammenhang mit der Schulzeit, dem Wehrdienst oder der Eheschließung ausgestellt worden sind, oder andere gleichwertige amtliche Urkunden, denen Deutschland selbstverständlich den gleichen Wert beimessen muß wie denen, die von seinen eigenen Behörden ausgestellt worden sind.(33)

58. Nach alledem komme ich zu dem Ergebnis, daß der für türkische Arbeitnehmer in Deutschland geltende Grundsatz der Gleichbehandlung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit diesen Mitgliedstaat weder daran hindert, festzulegen, daß für den Anspruch eines Arbeitnehmers auf Sozialleistungen das Geburtsdatum maßgeblich ist, das er im Zeitpunkt seines Beitritts zur Sozialversicherung angegeben hat, noch daran, die Möglichkeit der Berichtigung dieses Datums auf Schreibfehler sowie auf die Fälle zu beschränken, in denen der Antragsteller eine Urkunde beibringt, deren Original vor dem Zeitpunkt des Beitritts ausgestellt worden ist und aus der sich ein anderes Geburtsdatum ergibt.

Zumindest verpflichtet er ihn nicht dazu, die Mitgliedschaft in seinen Systemen der sozialer Sicherheit so zu organisieren, daß künftige Berichtigungen der Geburtsdaten türkischer Arbeitnehmer berücksichtigt werden, die vermutlich durch die unterschiedliche Art und Weise verursacht werden, in der in der Türkei und in Deutschland das Personenstandsregister geführt wird.

C. Zum Grundsatz der Gleichbehandlung der türkischen Arbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, zu den Berichtigungen der Versicherungsnummer des Klägers Kocak und zu dem vom Kläger Örs vor Inkraftreten des § 33a SGB I gestellten Antrag

59. Der Kläger Kocak erklärte zunächst, er sei 1933 geboren. Aufgrund des Urteils eines türkischen Gerichts beantragte und erlangte er 1985 in Deutschland die Berichtigung seines Geburtsjahrs, das in 1926 geändert wurde. Ihm wurde eine neue Versicherungsnummer ausgestellt, in der dieses Datum festgehalten wurde. Als er jedoch 1991 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres beantragte, wurde ihm die Anerkennung des türkischen Urteils verweigert und eine neue Versicherungsnummer an ihn vergeben, in der 1933 als Geburtsjahr erscheint.

Im Fall des Klägers Örs dagegen, der 1972 bei seinem Beitritt erklärt hatte, 1950 geboren zu sein, und der 1993 ein von einem türkischen Gericht erlassenes Urteil vorlegte, mit dem sein Geburtsjahr in 1946 geändert worden war, weigerte sich der deutsche Sozialversicherungsträger, dieses Urteil als gültig anzuerkennen.

60. Da § 33a SGB I noch nicht in Kraft war, als diese beiden Arbeitnehmer die Berichtigung ihres Geburtsdatums beantragten, besteht kein Zweifel daran, daß er auf sie nicht anwendbar ist und daß sie sich in derselben Lage befinden wie die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige der anderen Staaten der Europäische Union sind, nachdem der Gerichtshof Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80, der den Grundsatz der Gleichbehandlung der türkischen Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten aufgestellt hat, unmittelbare Wirkung zuerkannt hat.

61. In bezug auf die Gemeinschaftsbürger wurde in dem Urteil Dafeki bereits festgestellt, daß die Behörden und Gerichte eines Mitgliedstaats verpflichtet sind, von den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten ausgestellte Urkunden und ähnliche Schriftstücke über den Personenstand zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist.

Das Gleiche hat meines Erachtens für die Urkunden zu gelten, die von den zuständigen türkischen Behörden stammen.

62. Schließlich wird zu berücksichtigen sein, daß der Gerichtshof im Urteil Sürül(34) abgesehen davon, daß er Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 unmittelbare Wirkung zuerkannt hat, dessen zeitliche Wirkung beschränkt hat. Er hat nämlich erklärt, diese Bestimmung könne nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlaß des betreffenden Urteils (d. h. dem 4. Mai 1999) geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt hätten.

IX. Ergebnis

63. Aufgrund der vorausgehenden Erwägungen empfehle ich dem Gerichtshof, auf die in den Rechtssachen C-102/98 (Kocak) und C-211/98 (Örs) vom Dreizehnten und vom Achten Senat des Bundessozialgerichts zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1. Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienmitglieder, der den Grundsatz der Nichtdiskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit aufstellt, hat unmittelbare Wirkung; in zeitlicher Hinsicht hat er die Wirkungen, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 4. Mai 1999, Sürül, angegeben hat.

2. Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 hindert einen Mitgliedstaat nicht daran, festzulegen, daß für den Anspruch eines Versicherten auf Sozialleistungen das Geburtsdatum maßgeblich ist, das er in der Erklärung seines Beitritts zur Sozialversicherung dieses Staates angibt, noch daran, die Berichtigung dieses Datums auf Schreibfehler sowie auf die Fälle zu beschränken, in denen der Antragsteller eine Urkunde beibringt, deren Original vor dem Zeitpunkt des Beitritts ausgestellt worden ist und aus der sich ein anderes Geburtsdatum ergibt.

3. Unter Berücksichtigung des zeitlichen Anwendungsbereichs des Grundsatzes der Gleichbehandlung der türkischen Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten waren die Behörden und Gerichte eines Mitgliedstaats vor Inkraftreten nationaler Rechtsvorschriften der beschriebenen Art verpflichtet, von den zuständigen türkischen Behörden ausgestellte Urkunden und ähnliche Schriftstücke über den Personenstand zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt wurde.

(1) - Urteil vom 4. Mai 1999 in der Rechtssache C-262/96 (Sürül, Slg. 1999, I-0000).

(2) - Beschluß Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (ABl. 1983, C 110, S. 60).

(3) - Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 über den Abschluß des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685).

(4) - Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (unveröffentlicht).

(5) - Nach der Änderung durch Artikel G Nummer 8 des Vertrages über die Europäische Union Artikel 6, jetzt infolge der Änderung durch den Vertrag von Amsterdam Artikel 12 EG.

(6) - Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 über den Abschluß des Zusatzprotokolls und des Finanzprotokolls, die am 23. November 1970 unterzeichnet wurden und dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei als Anhänge beigefügt sind, und über die zu deren Inkrafttreten zu treffenden Maßnahmen (ABl. L 293, S. 1).

(7) - Die deutsche Regierung versichert, nach den ihr zur Verfügung stehenden Informationen unterscheide das türkische Recht, wenn es darum gehe, das maßgebliche Geburtsdatum zu bestimmen, zwischen der Unfallversicherung, bei der das Geburtsdatum zugrundegelegt werde, das im Zeitpunkt des Unfalls im Personenstandsregister eingetragen gewesen sei, und der Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung, bei der das Geburtsdatum zugrundegelegt werde, das im Zeitpunkt des Eintritts eingetragen gewesen sei.

(8) - Nach seinem Artikel 4 gilt dieser Beschluß für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungen betreffen: Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft; Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind; Leistungen bei Alter; Leistungen an Hinterbliebene; Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; Sterbegeld; Leistungen bei Arbeitslosigkeit; Familienleistungen. Dieser Beschluß gilt für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit.

(9) - Siehe oben, Fußnote 1, Randnr. 74.

(10) - Zu derselben Schlußfolgerung ist der Gerichtshof in bezug auf das Gleichbehandlungsgebot in Artikel 39 Absatz des 1 des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 26. April 1976, umgesetzt im Namen der Gemeinschaft durch die Verordnung (EWG) Nr. 2210/78 des Rates vom 26. September 1978 (ABl. L 263, S. 1) gelangt, vgl. Urteile vom 5. April 1995 in der Rechtssache C-103/94 (Krid, Slg. 1995, I-719, Randnrn. 21 bis 24) und vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-113/97 (Babahenini, Slg. 1998, I-183; Randnrn. 17 und 18); das gleiche gilt für das Gleichbehandlungsgebot in Artikel 41 Absatz 1 des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko vom 27. April 1976, umgesetzt im Namen der Gemeinschaft durch die Verordnung (EWG) Nr. 2211/78 des Rates vom 26. September 1978 (ABl. L 264, S. 1), vgl. Urteile vom 31. Januar 1991 in der Rechtssache C-18/90 (Kziber, Slg. 1991, I-199, Randnrn. 15 bis 23), vom 20. April 1994 in der Rechtssache C-58/93 (Yousfi, Slg. 1994, I-1353, Randnrn. 16 bis 19) und vom 3. Oktober 1996 in der Rechtssache C-126/95 (Hallouzi-Choho, Slg. 1996, I-4807, Randnrn. 19 und 20).

(11) - Urteil vom 2. Dezember 1997 in der Rechtssache C-336/94 (Dafeki, Slg. 1997, I-6761).

(12) - ABl. 1972, L 299, S. 32.

(13) - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung (ABl. L 230, S. 6).

(14) - Urteil vom 28. Juni 1978 in der Rechtssache 1/78 (Kenny, Slg. 1978, 1489, Randnr. 12).

(15) - Urteil Sürül, siehe oben, Fußnote 1, Randnr. 74.

(16) - Wie Generalanwalt La Pergola in seinen Schußanträgen in der Sache Dafeki bemerkt, erklärte die deutsche Regierung, daß die von der Betroffenen beantragte und erwirkte Änderung in der griechischen Rechtsordnung keine Geltung für den Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit habe, so daß die Anerkennung einer solchen Möglichkeit in Deutschland zu dem widersinnigen Ergebnis führen würde, daß einer ausländischen Urkunde eine größere Rechtswirkung beigemessen würde, als ihr in der Rechtsordnung des Herkunftsstaats zukomme.

(17) - Urteil vom 12. Februar 1974 in der Rechtssache 152/73 (Sotgiu, Slg. 1974, 153, Randnr. 11).

(18) - Urteil vom 8. Juni 1999 in der Rechtssache C-337/97 (Meeusen, Slg. 1999, I-0000).

(19) - Urteile vom 8. Mai 1990 in der Rechtssache 175/88 (Biehl, Slg. 1990, I-1779), vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93 (Schumacker, Slg. 1995, I-225) und vom 26. Oktober 1995 in der Rechtssache C-151/94 (Kommission/Luxemburg, Slg. 1995, I-3685).

(20) - Urteile vom 21. Juni 1988 in den Rechtssachen 39/86 (Lair, Slg. 1988, 3161) und 197/86 (Brown, Slg. 1988, 3205).

(21) - Urteile vom 2. August 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-259/91, C-331/91 und C-332/91 (Allué und andere, Slg. 1993, I-4309) und vom 20. Oktober 1993 in der Rechtssache C-272/92 (Spotti, Slg. 1992, I-5185).

(22) - Urteil vom 23. Februar 1994 in der Rechtssache C-419/92 (Scholz, Slg. 1994, I-505).

(23) - Urteil vom 12. März 1998 in der Rechtssache C-187/96 (Kommission/Griechische Republik, Slg. 1998, I-1095).

(24) - Urteil vom 12. September 1996 in der Rechtssache C-278/94 (Kommission/Königreich Belgien, Slg. 1996, I-4307).

(25) - Verzeichnis der Übereinkommen, Stand der Unterzeichnungen, Ratifikationen und Beitritte am 30.11.1998, herausgegeben vom Generalsekretariat der CIEC.

(26) - Sowohl Deutschland als auch die Türkei haben das Übereinkommen über den internationalen Austausch von Auskünften in Personenstandsangelegenheiten vom 4. September 1958 (CIEC-3) ratifiziert. Es ist seit dem 24. Dezember 1961 in Deutschland und seit dem 8. Oktober 1962 in der Türkei in Kraft.

(27) - Isabelle Guyon-Renard, La fraude en matière d'état civil dans les Etats membres de la CIEC, Revue critique de droit international privé 85 (1996), S. 541 ff., insbesondere S. 542, weist darauf hin, die Antworten der Mitgliedstaaten der CIEC auf die - von einem aus je einem Vertreter jedes Staates zusammengesetzten Unterausschuß erarbeiteten - Fragebögen hätten offenbart, daß acht dieser Staaten, unter denen sowohl Deutschland als auch die Türkei gewesen seien, die Existenz von Betrugsversuchen mit Hilfe von Geburtsurkunden eingeräumt hätten und daß die falschen Angaben vor allem das Geburtsdatum und die Identität beträfen. Sie fügt hinzu, daß die Betrugsversuche selten den Standesbeamten eines Mitgliedstaats der CIEC vorzuwerfen seien; allein Griechenland habe den Extremfall eines Bürgermeisters gemeldet, der seine eigene Sterbeurkunde ausgefertigt habe, um einem Strafprozeß zu entgehen.

(28) - Ebda., S. 546. Eine im Ausland verkündete richterliche Entscheidung, mit der das Geburtsdatum berichtigt wird, muß, damit sie in den Niederlanden und in Österreich anerkannt wird, von einem zuständigen Rechtsprechungsorgan erlassen worden sein, nachdem alle nötigen Unterlagen beschafft worden waren, und darf dem ordre public nicht widersprechen. In den Niederlanden wird außerdem verlangt, daß die Entscheidung sich auf konkrete Beweise gründen muß, wie z. B. ein Gutachten, das von einem zu diesem Zweck ernannten medizinischen Dienst erstellt wurde. Die Staatsanwaltschaft und/oder der Standesbeamte müssen gehört worden sein, und der Antragsteller, der die Beweislast trägt, muß vor dem Rechtsprechungsorgan, das die Entscheidung erläßt, erschienen sein. Auch dann ist die Verwaltung nicht verpflichtet, eine Entscheidung anzuerkennen, die gegenüber anderen bekannten Daten, wie z. B. denen der Familienmitglieder des Antragstellers, Widersprüche aufweist. Es ist nicht angegeben, ob die Anerkennung der Berichtigung in den Niederlanden Wirkungen auf den Anspruch auf Sozialleistungen hat.

(29) - Dies kann meiner Meinung nach nicht bedeuten, daß jemand als Neugeborener eingetragen wird, der schon sieben Jahre alt ist.

(30) - Luces Gil, Derecho Registral Civil, Bosch 1991; zitiert nach Linacero de la Fuente, Notas sobre el Registro Civil, Revista de Derecho Privado, 1998, S. 83 ff., insbesondere S. 96.

(31) - Linacero de Fuente (Fußnote 30), S. 102.

(32) - Es darf nicht vergessen werden, daß das Personenstandsregister das zur Feststellung der den Personenstand betreffenden Tatsachen und Eigenschaften bestimmte Mittel ist und daß seine Eintragungen den üblichen Beweis für den Personenstand darstellen. Gleichwohl sind auch diese Eintragungen in keinem Staat frei von Fehlern. Als Beispiel sei ein Irrtum genannt, der sich in Spanien ereignete, als eine Entbindung unter dem Datum 24. März 1970 anstelle des wahren Jahres, 1971, eingetragen wurde, was daraus geschlossen wurde, daß der Band seinen Vermerken über Eröffnung und Schließung zufolge den Zeitraum vom 30. Mai 1970 bis zum 17. März 1972 umfaßte (DGRN R 24 de marzo de 1986; RJA, 1986, 3025).

(33) - Wer in der Türkei die Ehe geschlossen hat, verfügt zu dem genannten Zweck über eine zusätzliche Urkunde, nämlich das internationale Familienstammbuch, das in dem Übereinkommen (CIEC-15) vom 12. September 1974 vorgesehen ist, das im Kreis der CIEC abgeschlossen wurde und seit dem 3. März 1984 in der Türkei in Kraft ist. In diesem Buch werden sowohl das Datum als auch der Ort der Geburt der Ehegatten festgestellt. Hingegen fehlt denen, die in Deutschland die Ehe geschlossen haben, eine solche Urkunde, weil dieser Staat das Übereinkommen noch nicht unterzeichnet hat.

(34) - Siehe oben, Fußnote 1, Randnr. 113.