61997C0001

Schlussanträge des Generalanwalts Fennelly vom 28. Mai 1998. - Mehmet Birden gegen Stadtgemeinde Bremen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - Deutschland. - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates - Anwendungsbereich - Türkischer Arbeitnehmer, mit dem ein befristeter Arbeitsvertrag im Rahmen eines Programms geschlossen wurde, das aus öffentlichen Mitteln finanziert wird und bezweckt, Sozialhilfeempfängern die Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. - Rechtssache C-1/97.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-07747


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Gehört ein türkischer Arbeitnehmer, der im Rahmen eines besonderen, aus öffentlichen Mitteln geförderten Programms für gemeinnützige und zusätzliche Arbeit beschäftigt ist, durch das den Betroffenen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ermöglicht und ihre Aussichten, eine andere Arbeit zu finden, verbessert werden sollen, dem regulären Arbeitsmarkt des dieses Programm finanzierenden Mitgliedstaats an? Dies ist im wesentlichen die Frage, die in einem Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen aufgeworfen wird. Der Fall macht insbesondere die Berücksichtigung der vor relativ kurzer Zeit ergangenen Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache Günaydin(1) erforderlich.

2 Die Vertragsparteien (die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft) des Assoziierungsabkommens mit der Türkei(2) vereinbarten, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft leiten zu lassen, "um untereinander die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen"(3). Dies bedeutet natürlich nicht, daß türkische Staatsangehörige Freizuegigkeit in der Gemeinschaft genießen, sondern nur, daß sie bestimmte Rechte in dem Mitgliedstaat, der sie aufgenommen hat, erwerben können(4).

3 In der dritten Begründungserwägung der Präambel des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation(5) (im folgenden: Beschluß) heisst es, daß im "sozialen Bereich ... eine bessere Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen gegenüber der mit Beschluß Nr. 2/76 des Assoziationsrates" eingeführten notwendig sei(6). Abschnitt 1 des Kapitels II behandelt Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer. In Artikel 6 des Beschlusses, der in diesem Kapitel steht, heisst es, soweit hier erheblich:

"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört[(7)], in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemässer Beschäftigung[(8)] Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

..."

4 Ebenfalls in diesem Abschnitt des Beschlusses bestimmt Artikel 8 Absatz 1, daß türkischen Arbeitnehmern Vorrang eingeräumt werden soll, wenn Mitgliedstaaten zur Besetzung einer Stelle, die nicht "durch die auf dem Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten verfügbaren Arbeitskräfte" besetzt werden kann, die Einstellung von Arbeitnehmern gestatten, die nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft sind. Artikel 8 Absatz 2 lautet:

"Die Arbeitsämter der Mitgliedstaaten bemühen sich, die bei ihnen eingetragenen offenen Stellen, die nicht durch dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats angehörende Arbeitskräfte aus der Gemeinschaft besetzt werden konnten, mit regulär als Arbeitslose gemeldeten türkischen Arbeitnehmern zu besetzen, die im Hoheitsgebiet des genannten Mitgliedstaats ihren ordnungsgemässen Wohnsitz haben."

Auch in den Artikeln 7 und 10 des Beschlusses werden türkische Arbeitnehmer, die dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehören, erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit dem Recht von Familienangehörigen auf Beschäftigung bzw. dem Diskriminierungsverbot, während Artikel 11 entsprechende Rechte für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten vorsieht, die dem regulären Arbeitsmarkt der Türkei angehören.

5 Nach § 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) umfasst die Sozialhilfe Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen. Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. § 19 BSHG bestimmt, soweit hier erheblich:

"(1) Für Hilfesuchende, insbesondere für junge Menschen, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsgelegenheiten können auch Kosten übernommen werden. Die Arbeitsgelegenheiten sollen in der Regel von vorübergehender Dauer und für eine bessere Eingliederung des Hilfesuchenden in das Arbeitsleben geeignet sein.

(2) Wird für den Hilfesuchenden Gelegenheit zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit geschaffen, kann ihm entweder das übliche Arbeitsentgelt oder Hilfe zum Lebensunterhalt zuzueglich einer angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt werden; zusätzlich ist nur die Arbeit, die sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet würde. Von dem Erfordernis der Zusätzlichkeit kann im Einzelfall abgesehen werden, wenn dadurch die Eingliederung in das Arbeitsleben besser gefördert wird oder dies nach den besonderen Verhältnissen des Leistungsberechtigten und seiner Familie geboten ist.

(3) Wird im Falle des Absatzes 2 Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, so wird kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts und kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung begründet. Die Vorschriften über den Arbeitsschutz finden jedoch Anwendung."

Nach § 25 BSHG in der bis zum 1. August 1996 geltenden Fassung hatte keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wer sich weigerte, zumutbare Arbeit zu leisten oder eine zumutbare Arbeitsgelegenheit anzunehmen.

6 Mehmet Birden (im folgenden: Kläger) ist türkischer Staatsangehöriger. Er zog 1990 nach Deutschland um und heiratete im Januar 1992 eine Deutsche. Er erhielt deshalb eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 29. Juni 1995 sowie eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis. Er fand keine Arbeit und lebte schließlich von Sozialhilfe. Am 3. Januar 1994 wurde der Kläger durch Vertrag für ein Jahr als angelernter Haushandwerker beim Kulturzentrum Lagerhaus Bremen-Ostertor e.V. eingestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch einen am 2. Januar 1995 auf ein weiteres Jahr abgeschlossenen Vertrag bis Ende 1995 verlängert. Der Kläger hatte 38,5 Stunden pro Woche zu arbeiten. Seine Vergütung entsprach den Bezuegen der Vergütungsgruppe 2a MTL II Stufe 1 entsprechend dem Manteltarifvertrag der Länder der Bundesrepublik Deutschland. Nach Abzug der Lohnsteuer, des Solidaritätszuschlags sowie der Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung betrug seine Nettovergütung DM 2 155,70 monatlich. Der Kläger erhielt während des Bestehens dieser Vertragsverhältnisse keine Hilfe zum Lebensunterhalt.

7 Die fraglichen Verträge wurden vom Sozialamt der Freien Hansestadt Bremen im Rahmen eines als "Werkstatt Bremen" bezeichneten Programms geschlossen und finanziert. Die Werkstatt Bremen bezweckt gemäß § 19 Absatz 2 BSHG, Sozialhilfeempfängern, die keinen Anspruch auf Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit haben, für einen Zeitraum bis zu zwei Jahren Arbeit zu verschaffen, um ihnen den Erst- oder Wiedereinstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu eröffnen. Die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge erschließt den Teilnehmern den Rechtsanspruch, danach Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe nach dem Arbeitsförderungsgesetz zu beziehen. Die Werkstatt Bremen kann bis zu 100 % der Personalkosten finanzieren. Arbeitsplätze können auch von der Werkstatt Bremen und Arbeitgebern zusammen finanziert werden.(9) Die Arbeitgeber sind in der Regel öffentliche oder gemeinnützige Einrichtungen; die letzteren können wohl auch von Vereinigungen von Privatpersonen gebildet werden(10).

8 Die Ehe des Klägers wurde am 10. Juni 1995 geschieden. Sein am 14. Juni 1995 bei der Ausländerbehörde der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der Stadtgemeinde Bremen (im folgenden: Beklagte), gestellter Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis über den 29. Juni 1995 hinaus wurde durch Bescheid vom 15. August 1995 wegen der Scheidung abgelehnt. Der Kläger habe nach deutschem Recht(11) kein Recht, in Deutschland zu bleiben. Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses sei nicht anwendbar, da er nicht dem regulären Arbeitsmarkt angehöre. Anfang 1996 bot ihm das Kulturzentrum einen weiteren Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit mit einer Arbeitszeit von zwölf Stunden ausserhalb des Programms "Werkstatt Bremen" an. Er konnte diesen Vertrag nicht abschließen, da er keine Aufenthaltserlaubnis besaß. Der Widerspruch des Klägers wurde am 28. März 1996 aus denselben Gründen zurückgewiesen wie sein ursprünglicher Antrag.

9 Am 9. April 1996 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen auf Aufhebung der Bescheide vom 15. August 1995 und 28. März 1996 und auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gemäß Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses. Die Beklagte trug vor, zeitlich begrenzte Verträge nach § 19 BSHG stuenden nur Sozialhilfeempfängern offen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe geltend machen könnten und erhebliche Qualifikationsdefizite aufwiesen. Solche Arbeitsverhältnisse seien deshalb mit denen des regulären Arbeitsmarkts nicht vergleichbar.

10 Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts liegt der für die Prüfung der Ansprüche des Klägers entscheidungserhebliche Zeitpunkt im Sommer 1995 (14. Juni, 29. Juni oder 15. August); jedenfalls sieht das Gericht das Angebot eines Arbeitsplatzes zu Beginn des Jahres 1996 nicht als erheblich an. Es hat das Verfahren ausgesetzt und gemäß Artikel 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im folgenden: Vertrag) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Gehört ein türkischer Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation an, wenn er eine von diesem Mitgliedstaat mit öffentlichen Mitteln besonders geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt, die dazu dient, ihm den Erst- oder Wiedereinstieg in das Arbeitsleben zu eröffnen, und zu der aufgrund des nationalen Förderungszwecks nur ein begrenzter Personenkreis Zugang hat (hier: gemäß § 19 Absatz 2 Bundessozialhilfegesetz)?

11 Der Kläger, die Bundesrepublik Deutschland, die Griechische Republik und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben schriftliche Erklärungen eingereicht und mündliche Ausführungen gemacht. Auch die Französische Republik hat schriftliche Erklärungen eingereicht.

12 Der Kläger wiederholt sein Vorbringen vor dem vorlegenden Gericht, daß eine Person dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses angehöre, wenn sie durch die Ausübung einer entgeltlichen abgabenpflichtigen Beschäftigung rechtmässig am Wirtschaftsleben teilnehme. Der "reguläre" Charakter einer solchen Teilnahme am Arbeitsmarkt setze nur voraus, daß die Beschäftigung weder illegal noch fiktiv sei. Unerheblich sei, ob die Beschäftigung von der öffentlichen Hand finanziert werde, um den Wiedereinstieg einer begrenzten Anzahl von Sozialhilfeempfängern in das Arbeitsleben zu ermöglichen.

13 Frankreich vertritt die Auffassung, die Beschäftigung des Klägers sei eine Hilfsbeschäftigung nichtkommerzieller Art, die, da sie Aufgaben betreffe, die im öffentlichen Interesse lägen und mit öffentlichen Geldern für soziale Zwecke finanziert würden, keine Teilnahme am regulären Arbeitsmarkt darstelle. Frankreich verweist auf die Ausführungen im Urteil Bozkurt, daß die Ordnungsmässigkeit einer Beschäftigung "anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaats zu prüfen ist, die die Voraussetzungen regeln, unter denen der türkische Staatsangehörige in das nationale Hoheitsgebiet gelangt ist und dort eine Beschäftigung ausübt"(12); § 19 Absatz 3 BSHG zeige, daß nach deutschem Recht kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts oder der Kranken- und Altersversicherung vorliege(13). In Frankreich würden vergleichbare Programme, obwohl es dabei zum Abschluß von Arbeitsverträgen komme, richtiger als Ausbildungsprogramme bezeichnet.

14 Die Bundesrepublik Deutschland trägt vor, soziale Beschäftigungsprogramme, die der Eingliederung einer beschränkten Personengruppe in den Arbeitsmarkt dienen sollten, verliehen dem Betroffenen nicht den Status eines Arbeitnehmers nach dem Gemeinschaftsrecht.(14) Die wirkliche Frage sei jedoch nicht die, ob der Kläger Arbeitnehmer sei, sondern ob er dem regulären Arbeitsmarkt angehöre. Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses setze begrifflich voraus, daß es sich um den "allgemeinen" Arbeitsmarkt handele, zu dem alle normalen Arbeitnehmer freien Zugang hätten. Ungeachtet des Status des Klägers nach deutschem Arbeitsrecht und ungeachtet des Versuchs, die Arbeitsplätze nach dem Programm soweit wie möglich normaler "Arbeit" anzugleichen, habe seine Beschäftigung im wesentlichen sozialen und "künstlichen" Charakter gehabt. Im Urteil Bozkurt heisse es, daß die Stellung des türkischen Arbeitnehmers anhand der nationalen Rechtsvorschriften über die Voraussetzungen für die Beschäftigung zu prüfen sei und daß seine Position auf dem Arbeitsmarkt im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 gesichert und nicht nur vorläufig sein müsse.(15) Diese Voraussetzung werde durch einen zeitlich begrenzten Arbeitsvertrag nicht erfuellt. Darüber hinaus habe die Tätigkeit des Klägers nur zusätzliche Arbeit betroffen, für die auf dem Markt keine Nachfrage bestanden habe, die sonst nicht verrichtet worden wäre und die deshalb aus öffentlichen Mitteln habe vergütet werden müssen. Sein Arbeitgeber habe nicht im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern gestanden, da sich neben dem allgemeinen Arbeitsmarkt kein paralleler Arbeitsmarkt entwickeln dürfe.

15 Griechenland führt aus, es sei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Aufnahmemitgliedstaat ursprünglich beabsichtigt habe, einen türkischen Arbeitnehmer in seinen Arbeitsmarkt einzugliedern.(16) Die Beschäftigung nach dem BSHG habe nicht bezweckt, die direkte Eingliederung des Klägers in den deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sondern habe nur sicherstellen sollen, daß er nicht von Sozialhilfe abhängig sei, und ihn schließlich in den normalen Arbeitsmarkt integrieren sollen. Griechenland hat in der mündlichen Verhandlung weiter vorgetragen, daß die Arbeit des Klägers keinen wirklichen wirtschaftlichen Wert gehabt habe, daß sie ungesichert und nur vorläufig, da zeitlich befristet, gewesen sei und daß sie nicht die vom Gerichtshof im Urteil Günaydin(17) aufgestellten Kriterien für ein normales Arbeitsverhältnis im Unterschied zu einem öffentlich finanzierten Ausbildungsprogramm erfuelle.

16 Die Kommission schlägt für die Anwendung des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses die Prüfung von drei Voraussetzungen vor. Eine davon sei Gegenstand der Vorlagefrage und werde vom Kläger nicht erfuellt. Hinsichtlich der ersten Voraussetzung, der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers, plädiert die Kommission für eine grösstmögliche Analogie zu Artikel 48 des Vertrages(18) und für eine enge Auslegung des Urteils Bettray aufgrund der besonderen Umstände jenes Falles (ein Drogenabhängiger, der an einem Arbeitsprogramm teilnahm, das speziell für Personen bestimmt war, die nicht in der Lage waren, eine normale Tätigkeit auszuüben). Der Kläger habe die allgemeinen Voraussetzungen des Artikels 48 - Weisungsabhängigkeit und Vergütung durch einen Arbeitgeber - erfuellt, seine Arbeit habe einen gewissen Wert gehabt und sei nicht ganz unbedeutend gewesen.

17 Auch die dritte Voraussetzung, das in Artikel 6 Absatz 1 nach den Gedankenstrichen genannte Erfordernis, daß der türkische Staatsangehörige während eines der drei genannten Zeiträume ordnungsgemäß beschäftigt gewesen sein müsse, sei im vorliegenden Fall erfuellt.

18 Nicht erfuellt ist jedoch nach Auffassung der Kommission die zweite und wichtigste Voraussetzung des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses, die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt. Hierfür reiche eine rechtmässige Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt nicht aus, da dies bereits durch die Voraussetzung der ordnungsgemässen Beschäftigung mitumfasst werde. Dieses Erfordernis müsse deshalb dahin verstanden werden, daß es eine echte wirtschaftliche Tätigkeit im Gegensatz zu einer künstlich geschaffenen Arbeitsmöglichkeit bezeichne, die aus sozialen Gründen vollkommen von der öffentlichen Hand finanziert werde und keinem wirtschaftlichen Wettbewerb unterliege. Die Kommission weist darauf hin, daß diese Voraussetzung im Beschluß Nr. 2/76 nicht enthalten gewesen sei und auch nicht in die kürzlich mit den mittel- und osteuropäischen Ländern geschlossenen Assoziierungsabkommen aufgenommen worden sei, die im übrigen begrenztere Freizuegigkeitsregelungen für Arbeitnehmer vorsähen als das Abkommen und der Beschluß.

Prüfung

19 Es ist zweckmässig, vorab den allgemeinen Ansatz des Gerichtshofes bei der Auslegung und Anwendung des Artikels 6 des Beschlusses darzulegen. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten habe und daß türkische Staatsangehörige, die seine Voraussetzungen erfuellen, sich deshalb unmittelbar auf die Rechte berufen könnten, die ihnen die einzelnen Gedankenstriche der Bestimmung verleihen.(19)

20 Unter Berücksichtigung der Feststellung in der dritten Begründungserwägung der Präambel, Zweck des Beschlusses sei eine bessere Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich, bilden die Vorschriften des Kapitels II Abschnitt 1 des Beschlusses, zu denen Artikel 6 gehört, einen weiteren durch die Artikel 48, 49 und 50 EG-Vertrag geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer. Der Gerichtshof hat es daher für unabdingbar erachtet, daß auf die türkischen Arbeitnehmer, denen der Beschluß ein Recht einräumt, soweit wie möglich die im Rahmen der genannten Vertragsvorschriften geltenden Grundsätze übertragen werden.(20) Der Beschluß lässt jedoch die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für ihre erste Beschäftigung zu erlassen; er regelt in seinem Artikel 6 lediglich die Stellung der türkischen Arbeitnehmer, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats eingegliedert sind.(21)

21 Ich wende mich nun den Voraussetzungen zu, die ein türkischer Staatsangehöriger erfuellen muß, um Rechte aus Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses herleiten zu können. Bei blosser Lektüre des Textes handelt es sich um drei Voraussetzungen, die im wesentlichen diejenigen sind, die die Kommission vorgeschlagen hat.(22) Erstens muß der türkische Staatsangehörige "Arbeitnehmer" sein. Zweitens muß er nach der englischen Fassung ordnungsgemäß auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats registriert sein. Nach der französischen, der deutschen und der italienischen Fassung des Beschlusses muß er dem regulären, nach der dänischen und der niederländischen Fassung dem legalen Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehören. Drittens muß er während einer der drei möglichen Zeiträume, von denen jeder bestimmte Rechte des Zugangs zu weiterer Beschäftigung eröffnet, ordnungsgemäß beschäftigt sein. Im vorliegenden Fall beruft sich der Kläger auf eine ordnungsgemässe Beschäftigung während eines Jahres, wodurch er einen Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber erwerben würde, sofern die umstrittene zweite Voraussetzung erfuellt ist.

22 Alle drei sprachlich unterschiedlichen Voraussetzungen stehen in einem Zusammenhang mit Arbeit oder Beschäftigung. Es überrascht deshalb nicht, daß der Gerichtshof in der Praxis gelegentlich die Erfuellung von mehr als einer dieser Voraussetzungen zugleich festgestellt oder eine von ihnen im Lichte einer anderen ausgelegt hat. So hat der Gerichtshof im Urteil Sevince festgestellt, daß die Ordnungsmässigkeit der Beschäftigung "eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt voraus[setzt]"(23), was teilweise eine Wiederholung der zweiten Voraussetzung ist(24). Der Gerichtshof war wahrscheinlich der Ansicht, daß es in dieser Rechtssache um eine Frage der ordnungsgemässen Beschäftigung gehe, da er festzustellen hatte, ob Zeiten der Beschäftigung, in denen die Position des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt ungesichert und nur vorläufig war, für den Erwerb von Ansprüchen gemäß Artikel 6 Absatz 1 mitzählten. Die Voraussetzung einer gesicherten und nicht nur vorläufigen Position ist nicht erfuellt, wenn der türkische Staatsangehörige lediglich eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis bis zur endgültigen Entscheidung über die ursprüngliche Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis besitzt(25) oder wenn er seine Aufenthaltserlaubnis erschlichen hat(26).

23 Die Gründe, anhand deren der Gerichtshof darüber entscheidet, ob ein türkischer Staatsangehöriger Arbeitnehmer ist, werden oft, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, auch für die Erfuellung der zweiten und der dritten Voraussetzung ausreichen. So war in den Rechtssachen Günaydin und Ertanir unstreitig, daß die fraglichen türkischen Staatsangehörigen Arbeitnehmer waren; der Gerichtshof verwandte jedoch bei der Prüfung der zweiten Voraussetzung des Artikels 6 Absatz 1 - Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkts eines Mitgliedstaats - ein Kriterium, das dem in den Rechtssachen Lawrie-Blum(27) und Le Manoir(28) für die Definition des Arbeitnehmers im Sinne des Artikels 48 des Vertrages entwickelten Kriterium sehr ähnlich ist, und führte aus: "[Es] ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis steht, aufgrund dessen er für eine andere Person nach deren Weisung eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält."(29)

24 Gleichwohl hat meines Erachtens jede der drei Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses unterschiedliche Merkmale, die ich nun allgemein skizzieren möchte, bevor ich mich konkret dem vorliegenden Fall zuwende. Allgemein gesagt soll die Prüfung anhand von Artikel 48 des Vertrages der Feststellung dienen, ob ein türkischer Staatsangehöriger Arbeitnehmer ist. Dies steht im Einklang mit dem Erfordernis, daß der Beschluß nach Artikel 12 des Abkommens soweit wie möglich im Lichte der Vertragsvorschriften über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer ausgelegt werden muß. Dies schließt natürlich auch die Frage ein, welche Wirkungen nach Artikel 48 entschiedene Fälle wie die Rechtssache Bettray(30) im Zusammenhang mit dem Beschluß haben.

25 Die Rechtssache Bettray betraf einen Drogenabhängigen, der an einem Beschäftigungsprogramm nach dem niederländischen Gesetz über die soziale Arbeitsbeschaffung teilnahm, das für Personen vorgesehen war, "die infolge von Umständen, die in ihrer Person begründet liegen, für längere Zeit nicht in der Lage [waren], eine Tätigkeit unter normalen Umständen auszuüben"(31). Der Gerichtshof hat ausgeführt, daß es "für die Frage, ob jemand als Arbeitnehmer anzusehen ist, ... keine Rolle [spielt], wie hoch seine Produktivität ist und woher die Mittel für seine Entlohnung stammen"(32). Wenn jedoch Unternehmen oder Arbeitsorganisationen nur geschaffen worden sind, um derartige Tätigkeiten als "ein Mittel der Rehabilitation oder der Wiedereingliederung" der betroffenen Personen zu organisieren, wenn die Arbeit "auf die körperlichen und geistigen Möglichkeiten des einzelnen zugeschnitten" ist, um den Betroffenen früher oder später wieder in die Lage zu versetzen, einer gewöhnlichen Beschäftigung nachzugehen, und wenn diese Personen nicht "nach ihrer Befähigung zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit ausgesucht" worden sind, so liegt keine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit vor.(33) Da das Kriterium der Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt im Urteil Günaydin weitestgehend der Definition des Arbeitnehmers dem Gemeinschaftsrecht entspricht und der Gerichtshof dieses Kriterium in jenem Fall im Hinblick auf die berufliche Bildung und auf Programme zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt angewandt hat, halte ich es für zweckmässiger, die konkrete Anwendung des Urteils Bettray später bei Erörterung der Rechtssache Günaydin im Zusammenhang mit der zweiten Voraussetzung zu untersuchen.

26 Wenn wir kurz auf die dritte Voraussetzung der ordnungsgemässen Beschäftigung blicken - und davon ausgehen, daß die zweite im vorliegenden Fall entscheidende Voraussetzung erfuellt ist -, so scheint diese zusätzlich nur zu besagen, daß die Beschäftigung in einem der genannten Zeiträume nicht rechtswidrig gewesen sein darf, daß sie also nicht strafbar war, nicht den Bedingungen zuwiderlief, unter denen die Aufenthaltserlaubnis gewährt wurde, oder anderweit gegen die Gesetze verstieß.(34) Es deutet nichts darauf hin, daß der Kläger diese Voraussetzung nicht erfuellt.

27 In der vorliegenden Rechtssache konzentriert sich der Streit auf die zweite Voraussetzung des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses, daß der Arbeitnehmer "dem regulären [legalen] Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört" (bzw. ordnungsgemäß auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats registriert ist)(35). Einige Tatbestandsmerkmale dieser Voraussetzung sind bereits in der Rechtsprechung herausgearbeitet worden. Natürlich wird immer das nationale Gericht anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofes und der in der jeweiligen Vorabentscheidung vorgenommenen Auslegung festzustellen haben, ob diese Voraussetzung im Einzelfall erfuellt ist. Erstens ist zu prüfen, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats lokalisiert werden kann oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweist.(36) Wie wir gesehen haben, muß die Position des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt ausserdem gesichert und nicht nur vorläufig sein, insbesondere hinsichtlich seiner Aufenthaltserlaubnis in dem fraglichen Mitgliedstaat vor Erwerb eines sich akzessorisch aus Artikel 6 Absatz 1 ergebenden Aufenthaltsrechts.(37) Keine dieser Voraussetzungen ist im vorliegenden Fall problematisch. Der zeitlich begrenzte Charakter des Vertrages des Klägers deutet meines Erachtens nicht darauf hin, daß seine Position auf dem Arbeitsmarkt unsicher oder nur vorläufig war. Wie in der Rechtsprechung herausgearbeitet worden ist, betrifft diese Voraussetzung die Position des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, wobei es weniger um die Natur eines bestimmten Arbeitsvertrags als vielmehr um Schwierigkeiten mit der Aufenthaltserlaubnis geht.

28 Insbesondere aufgrund einer möglichen Auslegung der französischen und der deutschen Fassung des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses ist die Auffassung vertreten worden, daß das Erfordernis, daß der Arbeitnehmer dem "regulären"(38) Arbeitsmarkt angehören muß, dahin zu verstehen sei, daß es sich um einen "normalen" oder "allgemeinen" im Gegensatz zu einem "künstlichen" Arbeitsmarkt handeln müsse; ob ein gegebener Arbeitsplatz ein normaler Arbeitsplatz sei, bestimme sich danach, ob er aus öffentlichen Mitteln finanziert werde, ob er im wesentlichen soziale Zwecke wie die Eingliederung von Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt verfolge, ob die fraglichen Aufgaben im öffentlichen Interesse verrichtete unbedeutende oder zusätzliche Aufgaben seien, die normalerweise nach den die freie Marktwirtschaft kennzeichnenden Grundsätzen von Angebot und Nachfrage nicht verrichtet würden, ob der Arbeitsplatz aus dem Bereich des normalen Wettbewerbs zwischen Unternehmen und zwischen Arbeitnehmern herausgenommen und ob er befristeter Natur sei.

29 Der Gerichtshof hat einige dieser Einzelmerkmale, die ich im folgenden erörtern werde, zu einem Kriterium zusammengefasst, das er im Urteil Günaydin verwendet hat, wo er vom Vorliegen eines "normalen Arbeitsverhältnisses"(39) gesprochen hat. Ich werde noch erläutern, warum ich nicht der Meinung bin, daß ein normales Arbeitsverhältnis automatisch mit dem behaupteten normalen Arbeitsmarkt gleichgesetzt werden kann. Wichtig ist jedoch die Beantwortung der Frage, warum dieses Kriterium entwickelt wurde. Unter Berücksichtigung der Struktur des Beschlusses und der Rechtsprechung ist das wesentliche Merkmal der Voraussetzung, daß der Arbeitnehmer "dem regulären [legalen] Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört" (bzw. ordnungsgemäß auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats registriert ist), daß er beschäftigt ist oder für eine Beschäftigung zur Verfügung steht und daß er die nach nationalem Recht erforderlichen Formalitäten erfuellt hat.(40)

30 Das Erfordernis, daß der türkische Arbeitnehmer diese Formalitäten erfuellt hat, findet Ausdruck in dem ausdrücklichen Erfordernis der "registration" in der englischen Fassung des Artikels 6 Absatz 1 und führt auch zu einer überzeugenden alternativen Auslegung des Wortes "regulär", das in anderen sprachlichen Fassungen benutzt wird. Eine Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses im Lichte des Artikels 8 zeigt, daß das Erfordernis der Registrierung Teil einer allgemeinen Regelung ist, die der Überwachung und Koordinierung der Arbeitsangebote und der verfügbaren Arbeitskräfte dient. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Verweisung in Artikel 6 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich auf das Recht der türkischen Arbeitnehmer, sich nach drei Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung - vorbehaltlich der Gemeinschaftspräferenz - auf ein "bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes" Stellenangebot zu bewerben. Auch die Anwendung des in Artikel 10 verankerten Verbots der Diskriminierung hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der sonstigen Arbeitsbedingungen wird durch die Registrierung der türkischen Arbeitnehmer erleichtert. Artikel 6 Absatz 2 des Beschlusses bestimmt, daß ein unverschuldet arbeitsloser türkischer Arbeitnehmer, dessen Zeiten der Arbeitslosigkeit "von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind", zumindest eine Zeitlang weiter dem regulären (legalen) Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört (bzw. ordnungsgemäß auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats registriert bleibt), da Artikel 6 Absatz 2 die Aufrechterhaltung von Rechten ermöglicht, die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworben wurden. Eine Auslegung des Begriffes "régulier" in der französischen Fassung in dem Sinne, daß er sich auf die Erfuellung von in Gesetzen oder Verordnungen vorgeschriebenen Formalitäten bezieht, findet eine Stütze in der Benutzung desselben Begriffes im Rahmen der dritten Voraussetzung "emploi régulier", im Englischen mit "legal employment" und im Deutschen mit "ordnungsgemässe Beschäftigung" wiedergegeben. Die französische Fassung von Artikel 8 des Beschlusses enthält auch den Ausdruck "chômage régulier". Welcher Unterschied auch immer zwischen Arbeitnehmern auf "regulären" Arbeitsplätzen des freien Arbeitsmarkts und solchen auf anderen Arbeitsplätzen gemacht werden kann, für Arbeitslose lässt sich ein solcher Unterschied nicht machen. Zudem bedeuten die Hinweise auf den legalen Arbeitsmarkt in der dänischen und der niederländischen Fassung von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses, daß es bei dieser Voraussetzung um formale gesetzliche Erfordernisse und nicht um die "Gesetze" des Marktes geht.

31 Diese Erwägungen spiegeln sich auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofes wider. Im Urteil Bozkurt heisst es, daß Artikel 6 Absatz 2 des Beschlusses notwendig die fortbestehende Arbeitsfähigkeit voraussetze(41) und daß in Fällen dauernder Arbeitsunfähigkeit (wie in jenem Fall) der Arbeitnehmer dem Arbeitsmarkt vollständig entzogen sei und kein sachlich begründetes Interesse daran bestehe, ihm ein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und ein damit verbundenes Aufenthaltsrecht garantieren(42). Artikel 6 des Beschlusses beziehe sich nicht auf die Lage eines türkischen Staatsangehörigen, der den Arbeitsmarkt endgültig verlassen habe(43), ob wegen vollständiger und dauernder Arbeitsunfähigkeit oder aus anderen Gründen wie Erreichung des Rentenalters.

32 Im Urteil Tetik hat der Gerichtshof festgestellt, daß, wenn ein türkischer Arbeitnehmer, der vier Jahre lang eine Beschäftigung ausgeuebt habe, seine Arbeit freiwillig aufgebe, um in demselben Mitgliedstaat eine andere Beschäftigung zu suchen, daraus nicht ohne weiteres folge, daß er den Arbeitsmarkt dieses Staates endgültig verlassen habe, sofern er dort weiterhin dem regulären Arbeitsmarkt im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 angehöre(44). Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt:

"In einer Situation ..., in der es dem türkischen Arbeitnehmer nicht gelingt, unmittelbar nach Aufgabe seiner vorherigen Beschäftigung ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, ist diese Voraussetzung grundsätzlich nur dann weiterhin gegeben, wenn der Betroffene alle Formalitäten erfuellt, die im betreffenden Mitgliedstaat gegebenenfalls vorgeschrieben sind, z. B. indem er sich als Arbeitssuchender meldet und der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaats während des dort vorgeschriebenen Zeitraums zur Verfügung steht.

Mit diesem Erfordernis lässt sich im übrigen gewährleisten, daß der türkische Staatsangehörige innerhalb des angemessenen Zeitraums, der ihm zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses einzuräumen ist, sein Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht mißbraucht, sondern tatsächlich eine neue Beschäftigung sucht."(45)

33 Aus diesem Urteil und aus der systematischen Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 ergibt sich, daß die Voraussetzung, daß der türkische Arbeitnehmer als dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörend registriert sein muß, miteinander zusammenhängende formelle und materielle Merkmale enthält. Der Arbeitnehmer muß alle Formalitäten der Registrierung als Beschäftigter oder (während eines angemessenen Zeitraums) als Arbeitsloser erfuellen, und er muß, wenn er nicht beschäftigt ist, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und Arbeit suchen.

34 Dies führt mich zu der Rechtssache Günaydin. In seinem Urteil in dieser Rechtssache hat der Gerichtshof Voraussetzungen aufgestellt, die teilweise für den ganz anders gelagerten Sachverhalt in der vorliegenden Rechtssache offensichtlich von grösserer Bedeutung sind als für das in jenem Fall schließlich erzielte Ergebnis. Die Rechtssache Günaydin betraf die Verweigerung einer Daueraufenthaltserlaubnis für einen türkischen Arbeitnehmer, dem die Einreise nach Deutschland zum Studium und später der Verbleib ausschließlich zur Ausbildung und zum Erwerb einer Berufserfahrung im Werk einer deutschen Firma gestattet worden waren. Während seiner vierjährigen Beschäftigung wurde er ein wertvoller Mitarbeiter, für den kein Ersatz gefunden werden konnte.

35 Generalanwalt Elmer hat sich dafür ausgesprochen, zwischen Beschäftigung einerseits und Ausbildung theoretischer oder praktischer Natur andererseits zu unterscheiden und diejenigen, die eine Tätigkeit im Rahmen einer solchen Ausbildung ausüben, nicht als dem Arbeitsmarkt angehörend anzusehen.(46) Die Voraussetzung der Registrierung als dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörend sei weit genug, um Arbeit einzuschließen, die Ausbildungselemente enthalte. Generalanwalt Elmer schlug vor, unselbständige Erwerbstätigkeit nur dann nicht unter diesen Begriff fallen zu lassen, wenn es sich um eine praktische Tätigkeit handele, die Teil eines eigenen Ausbildungsgangs sei.(47) Er führte aus, alles weise darauf hin, daß Herr Günaydin eine ganz normale Arbeit verrichtet und nicht z. B. in einer Ausbildung im Rahmen einer Lehre gestanden habe, da er nach Maßgabe der allgemeinen Bedingungen des Arbeitsmarkts eingestellt worden sei, ein normales Gehalt bezogen und keine staatliche Ausbildungsförderung erhalten habe und für eine Reihe von Jahren eingestellt worden sei.(48)

36 Ich habe bereits ausgeführt, daß der Gerichtshof im Urteil Günaydin zur Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitnehmer dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, das Kriterium angewandt hat, ob der Betreffende "in einem Arbeitsverhältnis steht, aufgrund dessen er für eine andere Person nach deren Weisung eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung enthält"(49). Im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Berufsausbildung(50) und der Zugehörigkeit eines türkischen Arbeitnehmers zum Arbeitsmarkt hat der Gerichtshof ausgeführt:

"Gleichwohl ist in einem Fall, wie er im Ausgangsverfahren vorliegt, der türkische Arbeitnehmer, der nach Abschluß seiner Berufsausbildung einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgeht, nur um sich mit einer Führungsaufgabe in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers vertraut zu machen und sich auf sie vorzubereiten, als in einem normalen Arbeitsverhältnis stehend anzusehen, wenn für ihn bei der Ausübung der tatsächlichen und echten wirtschaftlichen Tätigkeit, die er für seinen Arbeitgeber nach dessen Weisung leistet, die gleichen Arbeits- und Vergütungsbedingungen gelten wie für Arbeitnehmer, die in dem betreffenden Unternehmen gleiche oder gleichartige wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, und sich seine Situation somit objektiv nicht von derjenigen dieser Arbeitnehmer unterscheidet."(51)

37 Der blosse Umstand, daß die Beschäftigung nur bezweckt, den Arbeitnehmer für eine Arbeit an anderer Stelle in dem Unternehmen zu qualifizieren, nimmt dieser also nicht den Charakter eines "Arbeitsverhältnisses". Der Gerichtshof schränkt gleichwohl die einfache Übertragung der gemeinschaftsrechtlichen Definition des Arbeitnehmers auf die zweite Voraussetzung des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses insofern ein, als er die Höhe der Vergütung und die Arbeitsbedingungen als wichtiges Merkmal für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ansieht. Die Höhe der Vergütung war vom Gerichtshof in der Rechtssache Lawrie-Blum(52) im Zusammenhang mit Artikel 48 für unerheblich erklärt worden. Diese Abweichung erklärt sich aus dem Umstand, daß der Gerichtshof anders als in jenem Fall in der Rechtssache Günaydin offensichtlich davon ausging, daß eine Tätigkeit im Rahmen einer "besonderen Berufsausbildung", aufgrund deren die sie ausübende Person als Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts hätte angesehen werden können, nicht zur Folge hat, daß diese Person im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses dem regulären (legalen) Arbeitsmarkt angehört (bzw. ordnungsgemäß auf dem Arbeitsmarkt registriert ist).(53)

38 Weiter ist darauf hinzuweisen, daß die vom Gerichtshof in der Rechtssache Günaydin entwickelte Konzeption eines "normalen Arbeitsverhältnisses" keineswegs von dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der fraglichen Arbeit abhängt, ausser insoweit, als dieser sich in der dafür gezahlten Vergütung widerspiegelt. Es wird nicht versucht, zwischen Aufgaben, die aufgrund des freien Spiels von Angebot und Nachfrage verrichtet werden, und solchen, deren Verrichtung einem öffentlichen Interesse entspricht, zu unterscheiden. Der von der Kommission und den Mitgliedstaaten, die Erklärungen eingereicht haben, befürwortete Ansatz, über das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit und eines Arbeitsverhältnisses bei einem bestimmten Arbeitgeber, das durch Weisungsabhängigkeit und Vergütung gekennzeichnet ist und das in jedem Einzelfall nachgewiesen werden kann, hinaus auf die Bestandsfähigkeit dieses Verhältnisses unter den Bedingungen des freien Marktes auf dem angenommenen normalen Arbeitsmarkt abzustellen, wäre hoffnungslos unpraktikabel. Dabei würde verkannt, daß neben den öffentlichen und wohltätigen Bemühungen als solchen viele scheinbar marktorientierte wirtschaftliche Tätigkeiten von öffentlichen Subventionen oder Verträgen, der Zurverfügungstellung der Infrastruktur durch die öffentliche Hand, öffentlicher Zurverfügungstellung ausgebildeter Arbeitskräfte und so weiter abhängen, so daß die "normalen" Marktbedingungen in diesem weiteren Sinne im Zusammenhang mit einem Einzelfall nicht leicht zu ermitteln sind. Jedenfalls scheint diese Auffassung nicht der dänischen, der englischen und der niederländischen Fassung des Beschlusses zu entsprechen.

39 Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Günaydin weiter ausgeführt:

"Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfuellt ist und ob der Arbeitnehmer insbesondere nicht aufgrund einer nationalen Sonderregelung eingestellt worden ist, die eigens auf seine Eingliederung in das Berufsleben abzielt, und ob er als Gegenleistung für seine Leistungen eine Vergütung in einer Höhe erhält, wie sie üblicherweise von dem betreffenden Arbeitgeber oder in der fraglichen Branche an Personen, die gleiche oder gleichartige wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, gezahlt wird und die nicht im Rahmen eines Sonderprogramms für die Eingliederung des Betroffenen in das Erwerbsleben überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird."(54)

40 Die Bezugnahme auf eine "nationale Sonderregelung" misst dem Status eines Arbeitsplatzes nach nationalem Arbeitsrecht eine gewisse Bedeutung bei(55). Die Verweisung auf den Zweck der Maßnahme, "die eigens auf ... Eingliederung in das Berufsleben abzielte", und auf die Vergütung, "die nicht im Rahmen eines Sonderprogamms für die Eingliederung des Betroffenen in das Erwerbsleben überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird", scheint in keinem Zusammenhang mit dem Sachverhalt in der Rechtssache Günaydin zu stehen. Niemand hat vorgetragen, daß Herr Günaydin nach derartigen Vorschriften oder im Rahmen eines solchen Programms beschäftigt gewesen sei.

41 Der Gerichtshof hat im Tenor seines Urteils in der Rechtssache Günaydin entschieden, daß Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses so auszulegen ist, "daß ein türkischer Staatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über drei Jahre lang rechtmässig eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeuebt hat und dessen berufliche Situation sich objektiv nicht von der anderer von demselben Arbeitgeber oder in der betreffenden Branche beschäftigter Arbeitnehmer unterscheidet, die gleiche oder gleichartige Tätigkeiten ausüben, im Sinne dieser Bestimmung dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört und dort ordnungsgemäß beschäftigt ist".

42 Das Hauptmerkmal des in der Rechtssache Günaydin angewandten Kriteriums ist somit, daß Gegenstand des fraglichen Arbeitsverhältnisses eine "tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit" sein muß. Der Gerichtshof hat dasselbe Kriterium in der Rechtssache Bettray angewandt. Danach hat er in jenem Fall Personen, die endgültig nicht zu einer Arbeit unter normalen Bedingungen fähig waren und die nach dem Gesetz über die soziale Arbeitsbeschaffung beschäftigt wurden, als Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts ausgeschlossen. In jenem Fall war wie im vorliegenden das Beschäftigungsprogramm von der öffentlichen Hand finanziert worden (in der Rechtssache Bettray hat der Gerichtshof jedoch festgestellt, daß dies normalerweise unerheblich sei).

43 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die vom Kläger im Kulturzentrum verrichtete Arbeit eine "tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit" darstellt, wobei es zu berücksichtigen haben wird, ob die Arbeit hauptsächlich Rehabilitationszwecken diente wie in der Rechtssache Bettray und ob sie sich lediglich in eine besondere Berufsausbildung einfügte. Keines der vom Gerichtshof in Randnummer 34 seines Urteils in der Rechtssache Günaydin angegebenen Merkmale sollte allein entscheidend sein; auch sollten diese nicht unbedingt als abschließend angesehen werden. Auch wenn die Tatsache der öffentlichen Finanzierung ein wichtiges Merkmal ist, sollte das nationale Gericht deshalb auch berücksichtigen, ob die verrichtete Arbeit dem Arbeitgeber einen tatsächlichen Gewinn bringt und, wie der Gerichtshof im Urteil Günaydin ausgeführt hat, ob die Vergütungs- und sonstigen Bedingungen einschließlich des Abzugs von Sozialabgaben und anderen Beiträgen dieselben oder ähnlich sind wie die, die von Arbeitnehmern verlangt werden, die in derselben Branche beschäftigt sind. Daß die Teilnehmer am Programm "Werkstatt Bremen" aus einem begrenzten Personenkreis kommen, halte ich nicht für erheblich, sofern die objektiven Merkmale ihrer Arbeit denen der Tätigkeit anderer Arbeitnehmer gleichen(56). Ich halte es für wichtig, daß der Kläger eine Vergütung erhielt, die gemäß einem Tarifvertrag für den öffentlichen Sektor berechnet war, und daß von seinem Gehalt Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge einbehalten wurden. Ausserdem hatte der Kläger nach deutschem Arbeitsrecht Arbeitnehmerstatus - nach § 19 Absatz 3 BSHG scheinen nur Sozialhilfeempfänger nicht unter das Arbeitsrecht zu fallen.

44 Meines Erachtens sollte kein entscheidendes Gewicht dem Umstand beigemessen werden, daß die Arbeit im Rahmen des Programms zusätzlichen Charakter habe, daß es sich also um Arbeit handeln soll, die ohne das Programm nicht geleistet würde, da dies, wie ich ausgeführt habe, die Perspektive vom Charakter des individuellen Arbeitsverhältnisses zu einer Beurteilung der allgemeinen Bestandsfähigkeit eines Arbeitsplatzes auf dem freien Markt erweitern würde, wofür sich im Text oder in der Struktur des Beschlusses und in der Rechtsprechung keine Stütze findet. Man kann nicht behaupten, daß ein "Mann für alles" oder ein Hausmeister nicht grundsätzlich nützliche oder wertvolle Arbeit verrichtet. Obwohl der Umstand, daß ein Beschäftigungsprogramm die Eingliederung der Teilnehmer in den Arbeitsmarkt bezweckt, die Möglichkeit nahelegt, daß ein Arbeitnehmer noch nicht für eine Arbeit zur Verfügung steht oder fähig ist, eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit zu verrichten, oder daß er an einem besonderen Ausbildungsprogramm teilnimmt, wäre doch der Zweck der Rehabilitation und Eingliederung meines Erachtens nur entscheidend, wenn die Tatsachen mit denen der Rechtssache Bettray vergleichbar wären.

45 Es bestehen zahlreiche mögliche Unterschiede zu einem Rehabilitationsprogramm wie dem, um das es in der Rechtssache Bettray ging. Obwohl dem Kläger formelle Qualifikationen fehlen, spricht nichts dafür, daß er unbefristet arbeitsunfähig ist, daß sein Arbeitgeber zu dem alleinigen Zweck geschaffen wurde, Personen in seiner Lage zu beschäftigen, oder daß seine Beschäftigung im Kulturzentrum eher nach seinen Fähigkeiten als nach den Bedürfnissen des Zentrums ausgestaltet war. Während das Programm, an dem er teilnahm, die in seinem Rahmen Beschäftigten schützt und lediglich zur Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt führt, fügte sich seine eigene Teilnahme in ein allgemeineres Arbeitserfahrungsprogramm ein, in dessen Rahmen normale Gehälter gezahlt wurden und nach dessen Abschluß die Betreffenden unmittelbar weitere Beschäftigung suchen sollten. Der Umstand, daß dem Kläger vom Kulturzentrum für die Zeit nach Beendigung des Programms "Werkstatt Bremen" eine weitere ähnliche Arbeit angeboten wurde, ist ebenfalls von Bedeutung, auch wenn das Zentrum zunächst offensichtlich nicht in der Lage war, ihm eine Vollzeitbeschäftigung ausserhalb des Rahmens dieses Programms anzubieten.

46 Zu der Frage, ob die Beschäftigung des Klägers nur als Form einer besonderen Berufsausbildung mit einem praktischen Element anzusehen ist, ist darauf hinzuweisen, daß er Tätigkeiten verrichtete, die vermutlich einen wirtschaftlichen Wert für seinen Arbeitgeber hatten. Offensichtlich lag keine formale Ausbildungskomponente theoretischer Art vor.(57) Die wichtigste Methode zur Erreichung des Zieles der Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist offensichtlich die Erfahrung am Arbeitsplatz. Darüber hinaus hat die Bundesrepublik Deutschland vorgetragen, daß Tätigkeiten in der Werkstatt Bremen im Rahmen des § 19 BSHG so ausgestaltet seien, daß sie so weit wie möglich normalen Arbeitsbedingungen ähnelten, so daß möglicherweise kein sichtbarer praktischer Unterschied zwischen der Stellung des Klägers und der anderer Arbeitnehmer bestanden hat.

47 Kurz gesagt, würde ich die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage dahin beantworten, daß ein türkischer Arbeitnehmer wie der Kläger, der ordnungsgemäß als "Mann für alles" im Rahmen eines gemäß § 19 BSHG geschaffenen, überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanzierten Programms beschäftigt war, als dem regulären Arbeitsmarkt des fraglichen Mitgliedstaats angehörend anzusehen ist, wenn seine Arbeit eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit darstellte, wenn der Arbeitgeber aus ihr einen tatsächlichen Gewinn zog, der dem aus ähnlichen oder vergleichbaren Tätigkeiten anderer Arbeitnehmer vergleichbar war, und wenn die Vergütung und die übrigen Arbeitsbedingungen denen vergleichbar sind, auf die bei demselben Arbeitgeber oder in derselben Branche beschäftigte Arbeitnehmer Anspruch haben.

Ergebnis

48 Deshalb schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Ein türkischer Arbeitnehmer, der ordnungsgemäß im Rahmen eines überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanzierten Programms zur Förderung der Eingliederung der Teilnehmer in den Arbeitsmarkt beschäftigt ist, ist als dem regulären Arbeitsmarkt des fraglichen Mitgliedstaats angehörend im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation anzusehen, wenn seine Arbeit eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, wenn der Arbeitgeber aus ihr einen tatsächlichen Gewinn zieht, der dem aus ähnlichen oder vergleichbaren Tätigkeiten anderer Arbeitnehmer gezogenen Gewinn vergleichbar ist, und wenn die Vergütung und die übrigen Arbeitsbedingungen denen vergleichbar sind, auf die bei demselben Arbeitgeber oder in derselben Branche beschäftigte Arbeitnehmer Anspruch haben.

(1) - Rechtssache C-36/96 (Slg. 1997, I-5143).

(2) - Artikel 12 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei auf der einen und den Mitgliedstaaten der EWG sowie der Gemeinschaft auf der anderen Seite unterzeichnet und im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im folgenden: Abkommen).

(3) - Der Assoziationsrat wurde durch Artikel 6 des Abkommens errichtet; Artikel 22 Absatz 1 des Abkommens ermächtigt ihn, in den im Abkommen vorgesehenen Fällen Entscheidungen zu treffen. Artikel 12 des Abkommens wird ergänzt durch Artikel 36 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 unterzeichnet, dem Abkommen beigefügt und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) geschlossen wurde; es sieht die schrittweise Herstellung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei vor und bestimmt: "Der Assoziationsrat legt die hierfür erforderlichen Regeln fest."

(4) - Urteil Günaydin, Randnr. 22.

(5) - Rat der Europäischen Gemeinschaften, "Assoziierungsabkommen und Protokolle EWG-Türkei sowie andere Basisdokumente (Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel und Luxemburg, 1992), S. 327.

(6) - Generalanwalt Elmer bemerkte in Nr. 9 seiner Schlussanträge in der Rechtssache C-434/93 (Bozkurt, Slg. 1995, I-1475), daß die Unterschiede zwischen dem Beschluß Nr. 2/76 und dem Beschluß Nr. 1/80 "eher redaktionellen Charakter" hätten, wobei der letztere "klarer formuliert" sei.

(7) - Dänisch: "med tilknytning til det lovlige arbejdsmarked i en bestemt medlemsstat"; englisch: "duly registered als belonging to the labour force of a Member State"; französisch: "appartenant au marché régulier de l'emploi d'un État membre"; italienisch: "inserito nel regolare mercato del lavoro di uno Stato membro"; niederländisch: "die tot de legale arbeidsmarkt van een Lid-Staat behoort". In den anderen Amtssprachen der Gemeinschaft wurde der Beschluß bisher nicht veröffentlicht.

(8) - Dänisch: "lovlig beskäftigelse"; englisch: "legal employment"; französisch: "emploi régulier"; italienisch: "regolare impiego"; niederländisch: "legale arbeid".

(9) - Mitteilung des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in der mündlichen Verhandlung.

(10) - Ibid.

(11) - Ausländergesetz und Arbeitsaufenthalteverordnung.

(12) - A. a. O., Randnr. 27.

(13) - Dies beruht, wie sich aus den Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland ergibt, wohl auf einem unrichtigen Verständnis des Bundessozialhilfegesetzes, da dieser Status nur dann verneint wird, wenn der Teilnehmer an dem Beschäftigungsprogramm während des betreffenden Zeitraums weiter Sozialhilfe bezieht, was hier nicht der Fall war.

(14) - Rechtssache 344/87 (Bettray, Slg. 1989, 1621, Randnrn. 17 bis 19).

(15) - Ibid., Randnrn. 26 und 27.

(16) - Griechenland verweist darauf, daß die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für die erste Beschäftigung türkischer Arbeitnehmer auf ihrem Arbeitsmarkt regeln könnten: vgl. Rechtssache C-237/91 (Kus, Slg. 1992, I-6781, Randnr. 25).

(17) - A. a. O., Randnrn. 33 und 34.

(18) - Urteil Bozkurt, Randnr. 20; Rechtssache C-171/95 (Tetik, Slg. 1997, I-329, Randnr. 28).

(19) - Rechtssache C-192/89 (Sevince, Slg. 1990, I-3461, Randnr. 26); Rechtssache C-355/93 (Eroglu, Slg. 1994, I-5113, Randnr. 11); Urteil Günaydin, Randnr. 24; Rechtssache C-98/76 (Ertanir, Slg. 1997, I-5179, Randnr. 24).

(20) - Urteil Bozkurt, Randnrn. 14, 19 und 20; Urteil Tetik, Randnr. 20; Urteil Günaydin, Randnrn. 20 und 21; Urteil Ertanir, zitiert in Fußnote 19, Randnrn. 20 und 21.

(21) - Urteil Kus, Randnr. 25; Urteil Günaydin, Randnr. 23; Urteil Ertanir, Randnr. 23.

(22) - Vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache Eroglu, Nr. 19.

(23) - A. a. O., Randnr. 30; wiederholt im Urteil Bozkurt, Randnr. 26.

(24) - So scheint auch Generalanwalt Darmon die zweite und die dritte Voraussetzung in Nr. 41 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Eroglu vermischt zu haben, wo er festgestellt hat, entscheidend dafür, ob ein Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt angehöre, sei, "daß sich der Arbeitnehmer nach den Gesetzen des Aufnahmemitgliedstaats in einer rechtmässigen Situation befindet", was den Anschein erweckt, als ob er auf die deutsche Fassung des Artikels 6 Absatz 1 über die ordnungsgemässe Beschäftigung Bezug nimmt (beide Hervorhebungen von mir).

(25) - Urteil Sevince, Randnr. 31.

(26) - Rechtssache C-285/95 (Kol, Slg. 1997, I-3069).

(27) - Rechtssache 66/85 (Slg. 1986, 2121).

(28) - Rechtssache C-27/91 (Slg. 1991, I-5531, Randnr. 7).

(29) - Urteil Günaydin, Randnr. 31; vgl. auch Urteil Ertanir, Randnr. 43. Siehe ebenfalls die Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache Eroglu, Nr. 30, wo er im wesentlichen dasselbe Kriterium anwendet, um zu entscheiden, ob ein türkischer Staatsangehöriger ein Arbeitnehmer ist.

(30) - A. a. O.

(31) - A. a. O., Randnr. 5.

(32) - A. a. O., Randnr. 15.

(33) - A. a. O., Randnrn. 17 und 19.

(34) - Vgl. die Schlussanträge von Generalanwalt Elmer in der Rechtssache Bozkurt, Nr. 21, und in der Rechtssache Günaydin, Nr. 24.

(35) - Diese Klammerzusätze sollen die verschiedenen Nuancen der einzelnen Sprachfassungen des Beschlusses zusammenfassen.

(36) - Urteil Bozkurt, Randnrn. 22 und 23; Urteil Günaydin, Randnr. 29; Urteil Ertanir, Randnr. 39.

(37) - Vgl. das oben erörterte Urteil Sevince, Randnr. 30.

(38) - Diese Bezeichnung findet sich auch in der italienischen Fassung des Beschlusses.

(39) - A. a. O., Randnr. 33.

(40) - Siehe die in Nr. 32 dieser Schlussanträge zitierte Passage aus dem Urteil Tetik.

(41) - A. a. O., Randnr. 38.

(42) - A. a. O., Randnr. 36, zu lesen in Verbindung mit Artikel 37, wo diesem Argument der deutschen Regierung zugestimmt wird.

(43) - A. a. O., Randnr. 39.

(44) - A. a. O., Randnr. 40.

(45) - Ibid., Randnrn. 41 und 42; siehe auch Randnr. 46.

(46) - A. a. O., Nrn. 17 und 18 der Schlussanträge.

(47) - Ibid., Nr. 22.

(48) - Ibid., Nr. 23.

(49) - A. a. O., Randnr. 31. Es ist klar, daß dies keine Definition des Kriteriums der Zugehörigkeit zu [Registrierung auf] dem regulären Arbeitsmarkt sein soll, da es in einem besonderen Fall für einen zeitweilig arbeitslosen türkischen Arbeitnehmer genügen mag, daß er Arbeit sucht.

(50) - Siehe den ersten Satz der Randnr. 33 sowie die Feststellung in Randnr. 32, daß die Mitgliedstaaten einem türkischen Arbeitnehmer die Einreise und den Aufenthalt nur zu dem Zweck erlauben könnten, in ihrem Hoheitsgebiet eine besondere Berufsausbildung, namentlich im Rahmen eines Ausbildungsvertrags, zu absolvieren.

(51) - Ibid., Randnr. 33.

(52) - A. a. O., Randnr. 21. Die Auszubildende in der Rechtssache Le Manoir wurde als Arbeitnehmerin angesehen, obwohl sie nicht das Mindestgehalt bezog.

(53) - Urteil Günaydin, Randnr. 32.

(54) - Ibid., Randnr. 34.

(55) - Betrifft nur den englischen Text.

(56) - Urteil Ertanir, Randnrn. 42 bis 44.

(57) - Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Elmer in der Rechtssache Günaydin, Nr. 18.