61994J0290

Urteil des Gerichtshofes vom 2. Juli 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Griechenland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Freizügigkeit - Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. - Rechtssache C-290/94.

Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-03285


Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Entscheidungsgründe


1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 25. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 48 EWG-Vertrag sowie den Artikeln 1 und 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) verstossen hat, daß sie Arbeitnehmern aus den anderen Mitgliedstaaten für den Zugang zu den Stellen für in den öffentlichen, halböffentlichen oder kommunalen Unternehmen, die die Versorgungsdienste für Wasser, Gas und Elektrizität verwalten, und im öffentlichen Gesundheitsdienst, zu Stellen für Lehrkräfte im Bereich des öffentlichen Bildungswesens in Vor-, Haupt- und höheren Schulen, Hochschulen und Universitäten, die dem Ministerium für Bildung unterstehen, zu den Stellen in den Dienststellen und Unternehmen im See- und Luftverkehr, in der Einrichtung der griechischen Eisenbahn (OSE) und in öffentlichen oder kommunalen Einrichtungen und Unternehmen, die die Dienste des öffentlichen Stadt- und Regionalverkehrs verwalten, zu den Stellen des wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Personals in den öffentlichen Einrichtungen für die zivile Forschung, zu den Stellen in den öffentlichen oder halböffentlichen Einrichtungen oder Unternehmen, die das Postwesen (ELTA), das Fernmeldewesen (OTE) sowie das Rundfunk- und Fernsehwesen (ET) verwalten, sowie zu den Stellen für Musiker in der Oper Athen und in den städtischen und kommunalen Orchestern ein Staatsangehörigkeitserfordernis entgegenhält.

2 Artikel 48 Absätze 1 bis 3 EWG-Vertrag, jetzt EG-Vertrag, verankert den Grundsatz der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer und der Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten. Nach Artikel 48 Absatz 4 findet dieser Artikel keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes betrifft Artikel 48 Absatz 4 diejenigen Stellen, die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates und anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind, so daß sie ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten voraussetzen, die dem Statsangehörigkeitsband zugrunde liegen. Hingegen gilt die Ausnahme in Artikel 48 Absatz 4 nicht für Stellen, die zwar dem Staat oder anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zuzuordnen sind, jedoch keine Mitwirkung bei der Erfuellung von Aufgaben mit sich bringen, die zur öffentlichen Verwaltung im eigentlichen Sinne gehören (Urteil vom 17. Dezember 1980 in der Rechtssache 149/79, Kommission/Belgien, Slg. 1980, 3881, Randnrn. 10 und 11).

3 Die Artikel 1 und 7 der Verordnung Nr. 1612/68 erwähnen den Grundsatz der Gleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung und bei deren Ausübung.

4 Die Kommission stellte fest, daß in bestimmten Mitgliedstaaten eine grosse Anzahl von Stellen, die dem öffentlichen Dienst zugerechnet wurden, keinen Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und der Wahrung der allgemeinen Belange des Staates aufwiesen. Sie führte daher 1988 eine "systematische Aktion" auf der Grundlage der Mitteilung 88/C 72/02, Freizuegigkeit der Arbeitnehmer und Zugang zur Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung der Mitgliedstaaten - Aktion der Kommission auf dem Gebiet der Anwendung von Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag (ABl. 1988, C 72, S. 2) durch. In dieser Mitteilung forderte die Kommission die Mitgliedstaaten auf, den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten den Zugang zur Beschäftigung in Einrichtungen, die mit der Verwaltung und Erbringung kommerzieller Dienstleistungen betraut sind, wie öffentliches Verkehrswesen, Strom- und Gasversorgung, Luftverkehrsunternehmen und Reedereien, Post- und Fernmeldewesen, Rundfunk- und Fernsehanstalten, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens, Unterricht an staatlichen Bildungseinrichtungen und zivile Forschung in staatlichen Forschungsanstalten zu öffnen. Aufgaben und Zuständigkeiten, die für die Stellen in diesen Bereichen kennzeichnend seien, fielen nur in aussergewöhnlichen Fällen unter die Ausnahme nach Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag.

5 Im Rahmen dieser Aktion, und nachdem sie von der Entscheidung der Oper Athen erfahren hatte, einen deutschen Musiker wegen dessen Staatsangehörigkeit nicht einzustellen, richtete die Kommission am 26. März 1991, am 2. April 1991 und am 21. Mai 1992 acht Aufforderungsschreiben an die griechische Regierung, die die Bereiche der Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung, des Gesundheitswesens, des Bildungswesens, des See- und Luftverkehrs, der Eisenbahnen, der Forschung für zivile Zwecke, des Post- und Fernmeldewesens, des Rundfunk- und Fernsehwesens und der Orchester betrafen. In diesen Schreiben forderte die Kommission die griechische Regierung auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Staatsangehörigkeitserfordernis zu beseitigen, von dessen Erfuellung dieser Staat den Zugang zur Beschäftigung in den genannten Bereichen abhängig machte, und binnen sechs Monaten Stellung zu nehmen.

6 In ihrer Antwort auf die sieben ersten Aufforderungsschreiben führte die griechische Regierung am 18. Oktober 1991 aus, sie wende sich nicht gegen die von der Kommission in bezug auf Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag aufgestellten Grundsätze und habe beschlossen, die Einzelheiten von deren Durchführung in ihr Programm zur Modernisierung der Verwaltung, das demnächst erlassen werde, und in ein künftiges Gesetzgebungsprogramm aufzunehmen.

7 Da sich die angekündigten Vorhaben nicht konkretisierten und da das letzte Aufforderungsschreiben vom 21. Mai 1992, das die Oper Athen sowie die städtischen und kommunalen Orchester betraf, nicht beantwortet wurde, gab die Kommission am 13. Juli 1992 und am 3. März 1993 acht mit Gründen versehene Stellungnahmen ab, mit denen die Griechische Republik aufgefordert wurde, binnen vier Monaten (in den ersten sieben mit Gründen versehenen Stellungnahmen) bzw. binnen zwei Monaten (in der letzten) die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

8 In Beantwortung der sieben mit Gründen versehenen Stellungnahmen vom 13. Juli 1992 übermittelte die Griechische Republik der Kommission mit Schreiben vom 1. Februar 1993 den Text eines Gesetzvorhabens betreffend den Zugang der Staatsangehörigen aus der Gemeinschaft zur Beschäftigung im öffentlichen Dienst, das dem Parlament im Februar 1993 zur Abstimmung vorgelegt werden sollte, was jedoch noch nicht geschehen war. Die mit Gründen versehene Stellungnahme vom 3. März 1993, die die Oper Athen sowie die städtischen und kommunalen Orchester betraf, haben die griechischen Behörden nicht beantwortet.

9 Da schließlich innerhalb der in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen gesetzten Fristen keine nationale Maßnahme ergriffen wurde, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

10 Nach den Akten gehören in Griechenland die von der Klage erfassten Bereiche zum öffentlichen Dienst. In allen diesen Bereichen ist grundsätzlich die griechische Staatsangehörigkeit Voraussetzung für den Zugang zur Beschäftigung.

11 Dieser Grundsatz findet sich zunächst in Artikel 4 Absatz 4 der griechischen Verfassung, der vorsieht: "Nur griechische Staatsbürger sind zu allen öffentlichen Ämtern zugelassen, soweit nicht ein Gesetz etwas anderes vorsieht". Sodann schreiben das Gesetz Nr. 1735/87 und die Ministerialverordnung DIPPP/F vom 7./8. Januar 1988 über den Zugang zur Beschäftigung im öffentlichen Dienst die griechische Staatsangehörigkeit für den Zugang zu sämtlichen Stellen des öffentlichen Dienstes vor. Dieser ist in Artikel 1 Absatz 6 des Gesetzes Nr. 1256/82 definiert und wird durch Artikel 51 des Gesetzes Nr. 1892/90 eingegrenzt. Schließlich bestimmt Artikel 18 des Gesetzes über den öffentlichen Dienst: "Niemand wird ernannt, der nicht die griechische Staatsangehörigkeit besitzt."

12 Im übrigen wird für die Einstellung von Saisonpersonal oder Personal, das beschäftigt wird, um zeitlich begrenzten Erfordernissen in den verschiedenen Diensten des gesamten öffentlichen Bereiches zu entsprechen, in den Artikeln 7 und 66 der kodifizierenden Präsidialverordnung Nr. 410/88 betreffend die Einstellung von wissenschaftlichen Spezialisten sowie von technischem und Hilfspersonal im öffentlichen Dienst mittels privatrechtlicher Verträge auf Artikel 18 des Gesetzes über den öffentlichen Dienst verwiesen.

13 Das Erfordernis der griechischen Staatsangehörigkeit ist in den betreffenden Tätigkeitsbereichen ausserdem durch Sondergesetze oder -verordnungen vorgeschrieben.

14 So werden die Versorgungsdienste für Wasser, Gas und Elektrizität, wenn sie nicht bereits dem öffentlichen Bereich im engeren Sinne angehören, entweder durch Gebietskörperschaften oder durch staatlich kontrollierte Unternehmen, für die besondere Gesetzes- oder Verordnungsbestimmungen wie Artikel 5 Absatz 5 des allgemeinen Statuts des Personals des öffentlichen Elektrizitätsunternehmens gelten, oder durch kommunale Unternehmen übernommen, für die Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen gelten, die die Rechtsstellung des Vertragspersonals der Gemeinden regeln, wie Artikel 260 des Gesetzes Nr. 1188/81, die Artikel 7 und 66 der Präsidialverordnung Nr. 410/88 und die internen Dienstanweisungen der betreffenden Unternehmen.

15 Der öffentliche Gesundheitsdienst gehört sowohl hinsichtlich seiner Beamten als auch seines sonstigen Personals insgesamt zum öffentlichen Bereich, so daß für ihn die erwähnten allgemeinen Bestimmungen gelten. Gemeinschaftsangehörige, die der griechischen Sprache mächtig sind, sind jedoch zu den Stellen für Ärzte und Krankenpfleger/Krankenschwestern in den öffentlichen Krankenhäusern zugelassen.

16 Auch der Bereich des Bildungswesens, einschließlich des technischen und höheren Bildungswesens (Gesetz Nr. 1404/93) sowie des Hochschulwesens (Gesetz Nr. 1268/82 und Artikel 16 Absatz 6 der Verfassung), gehört insgesamt zum öffentlichen Bereich. Ausnahmen vom Erfordernis der griechischen Staatsangehörigkeit sind jedoch für Universitätsprofessoren für Fremdsprachen und ausländische Literatur (Artikel 4 und 5 des Gesetzes Nr. 5139/31) sowie für bestimmte andere Dienstposten dann vorgesehen, wenn es an griechischen Bewerbern mangelt (Artikel 79 Absatz 7 des Gesetzes Nr. 1566/85).

17 Im Bereich der Seefahrt und des Luftverkehrs verlangt Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzesdekrets Nr. 2651/53 über die Zusammensetzung der Besatzung griechischer Schiffe die griechische Staatsangehörigkeit für jede Einstellung, vorbehaltlich einiger Ausnahmen, die in Artikel 4 Absatz 2 dieses Dekrets geregelt sind. Im übrigen müssen nach Artikel 5 der Königlichen Verordnung Nr. 1 (14) vom 3. November 1836 über die Handelsmarine mindestens drei Viertel der Besatzung eines Schiffes die griechische Staatsangehörigkeit besitzen. Das gleiche gilt nach Artikel 57 des Seefahrtsgesetzes für die Aufnahme der Seeleute in die entsprechenden Register, mit Ausnahme des Registers der Seearbeiter. Die Luftfahrtgesellschaften gehören zum öffentlichen Bereich, und daher gelten für sie die erwähnten allgemeinen Bestimmungen.

18 Die Eisenbahnen sowie die Einrichtungen oder Unternehmen, die den öffentlichen Stadt- und Regionalverkehr verwalten, gehören grundsätzlich dem öffentlichen Bereich an, daher gilt für sie die allgemeine Voraussetzung der griechischen Staatsangehörigkeit. Ferner bestimmt Artikel 19 Absatz 1 des allgemeinen Personalstatuts der Organisation der griechischen Eisenbahnen: "Niemand darf eingestellt werden, der nicht die griechische Staatsangehörigkeit besitzt"; hiervon sind in Artikel 19 Absatz 3 einige Ausnahmen vorgesehen. Für die Stellen, die nicht zum öffentlichen Bereich gehören, schreiben besondere Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen ebenfalls die Staatsangehörigkeitsvoraussetzung vor. Dies gilt für Artikel 8 der Dienstregelung für die inneren Dienste der griechischen elektrischen Eisenbahnen, Artikel 15 der Dienstregelung für die äusseren Dienste der griechischen elektrischen Eisenbahnen und Artikel 11 des allgemeinen Statuts des Personals der elektrischen Autobusse Athen.

19 Im Bereich der Forschung für zivile Zwecke verlangen die Artikel 16 Absatz 2, 20 und 21 des Gesetzes Nr. 1514/85 sowie die aufgrund von Artikel 25 dieses Gesetzes ergangenen Durchführungsverordnungen grundsätzlich die griechische Staatsangehörigkeit aller Mitglieder des wissenschaftlichen Forschungspersonals. Einige Ausnahmen sind jedoch für Gastforscher und Sonderprogramme vorgesehen. Für das technische, Verwaltungs- und Hilfspersonal gilt das Erfordernis der griechischen Staatsangehörigkeit, wenn es sich um Beamte handelt, aufgrund der allgemeinen Bestimmungen, und wenn es sich um Vertragspersonal handelt, aufgrund von Artikel 24 des Gesetzes Nr. 1514/85, Artikel 7 des Gesetzes Nr. 1735/87, die Ministerialverordnung DIPPP/F vom 7./8. Januar 1988 sowie der Artikel 7 und 66 des Dekrets Nr. 410/88.

20 Die Einrichtungen im Post-, Fernmelde- sowie Rundfunk- und Fernsehwesen gehören zum öffentlichen Bereich, und daher gilt für sie das Staatsangehörigkeitserfordernis aufgrund der allgemeinen Bestimmungen. Im übrigen übernehmen die Statuten der verschiedenen Einrichtungen diese Voraussetzung. Dies gilt beispielsweise für Artikel 7 des allgemeinen Personalstatuts der griechischen Post und Artikel 6 Absatz 1 des allgemeinen Statuts des Fernmeldeunternehmens.

21 Schließlich behält Artikel 7 der Präsidialverordnung Nr. 410/88 den Zugang zu den Stellen der Musiker in der Oper Athen sowie in den städtischen und kommunalen Orchestern allein den griechischen Staatsangehörigen vor.

22 Sämtliche Vorschriften, die die griechische Staatsangehörigkeit vorschreiben, sind allgemein gehalten, ohne nach der Natur der Aufgaben oder der hierarchischen Stellung der in Rede stehenden Stellen zu unterscheiden.

23 Die Kommission macht geltend, in allen von der Klage erfassten Bereichen seien die Stellen, für deren Innehabung die Staatsangehörigkeit verlangt werde, durch Aufgaben und Zuständigkeiten gekennzeichnet, die im allgemeinen so weit von den spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung entfernt seien, daß sie nur in aussergewöhnlichen Fällen unter die Ausnahme des Artikels 48 Absatz 4 EWG-Vertrag fielen. Die Griechische Republik dürfe daher nicht für sämtliche Stellen in diesen Bereichen die griechische Staatsangehörigkeit verlangen. Soweit bei bestimmten Stellen ein solcher Zusammenhang mit den spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung bestehe, obliege der beklagten Regierung der Nachweis dieses Zusammenhangs.

24 Die Griechische Republik beantragt, die Klage abzuweisen. Sie bestreitet nicht, daß in ihrem Hoheitsgebiet die Stellen in den fraglichen Bereichen allgemein ihren eigenen Staatsangehörigen vorbehalten seien. Sie führt jedoch erstens aus, daß am 31. Dezember 1992 im Bereich der Seefahrt die Präsidialverordnung Nr. 12/1992 über den Zugang zur Beschäftigung von Seeleuten, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind, in der griechischen Handelsmarine und über die Anerkennung der von griechischen Seeleuten auf Schiffen, die die Flagge eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaften führen, geleisteten seemännischen Tätigkeiten zum Zweck des Erwerbs seemännischer Befähigungsnachweise erlassen worden sei. Diese Verordnung sei am 1. Februar 1993 in Kraft getreten und der Kommission am 18. März 1993 übermittelt worden. Daher sei die Klage in diesem Punkt gegenstandslos.

25 Zweitens erwähnt die griechische Regierung in bezug auf den deutschen Musiker, dessen Fall Anlaß zur letzten mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission vom 3. März 1993 gegeben habe, ein Urteil des Protodikeion Athen vom 29. Mai 1992 (Nomiko Vima 1993, S. 328 bis 332), das zwar die Klage des Musikers aus formalen Gründen abgewiesen, jedoch entschieden habe, daß die einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts als spezielleres Recht dem nationalen Recht vorgingen. In ihrer Gegenerwiderung weist die Griechische Republik im übrigen darauf hin, daß der Fall des betreffenden Musikers inzwischen derart geregelt worden sei, daß er am 23. Februar 1995 aufgrund einer Entscheidung des Bürgermeisters von Athen seinem Wunsch gemäß mit unbefristetem Vertrag eingestellt worden sei.

26 Drittens sei ein Gesetzesvorhaben über den Zugang von Gemeinschaftsangehörigen zur Beschäftigung im öffentlichen Bereich ausgearbeitet worden; die Kommission habe positiv dazu Stellung genommen. Über dieses Vorhaben habe im April 1993 im Parlament abgestimmt werden sollen; dazu sei es jedoch wegen der vorgezogenen Auflösung der Nationalversammlung aufgrund der für den 10. Oktober 1993 angesetzten Parlamentswahlen nicht gekommen.

27 Was die ersten beiden Argumente betrifft, so haben nach ständiger Rechtsprechung (insbesondere Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-433/93, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2303, Randnr. 15) die Änderungen nationaler Rechtsvorschriften, die erst nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist erfolgt sind, auf die Entscheidung über eine Vertragsverletzungsklage keinen Einfluß. Ebensowenig können bei der Entscheidung über die Vertragsverletzung Lösungen besonderer Fälle berücksichtigt werden, die nach diesem Zeitpunkt gefunden wurden.

28 Im vorliegenden Fall betrug die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme für den Bereich der Seefahrt gesetzte Frist vier Monate ab 13. Juli 1992. Die griechische Regierung kann sich daher nicht auf Rechtsänderungen berufen, die für die Beschäftigung in der Seefahrt am 1. Februar 1993 erfolgten. In bezug auf den Fall des deutschen Musikers betrug die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzte Frist zwei Monate ab 3. März 1993. Die Lösung, die dieser Fall nach Klageerhebung gefunden hat, kann daher im Rahmen der gerügten Vertragsverletzung auch nicht berücksichtigt werden.

29 Die griechische Regierung kann sich auch nicht auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts berufen, den das Protodikeion Athen in seinem Urteil vom 29. Mai 1992 festgestellt hat. Nach gefestigter Rechtsprechung entbinden nämlich der Vorrang und die unmittelbare Wirkung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts die Mitgliedstaaten nicht von der Pflicht, diejenigen Bestimmungen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung aufzuheben, die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind; denn ihre Beibehaltung führt zu Unklarheiten tatsächlicher Art, weil die betroffenen Normadressaten über ihre Möglichkeiten, sich auf das Gemeinschaftsrecht zu berufen, in einem Zustand der Ungewißheit gelassen werden (insbesondere Urteil vom 24. März 1988 in der Rechtssache 104/86, Kommission/Italien, Slg. 1988, 1799, Randnr. 12).

30 Was das dritte Argument betrifft, kann sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht zu rechtfertigen (siehe insbesondere Urteil vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-259/94, Kommission/Griechenland, Slg. 1995, I-1947, Randnr. 5).

31 Zudem wendet sich die Griechische Republik gegen die "globale" Vorgehensweise der Kommission, ganze Bereiche von der Ausnahme des Artikels 48 Absatz 4 EG-Vertrag auszuschließen, ohne Einzelheiten zu den betroffenen Stellen anzugeben, obwohl es an einer gemeinschaftlichen Regelung fehle. Die Kommission versuche damit, sich eine Zuständigkeit beizulegen, über die sie nicht verfüge, indem sie Mitteilungen veröffentliche, deren Inhalt nur Urteile des Gerichtshofes verbindlich machen könnten. Aus einer ständigen Rechtsprechung (insbesondere Urteil vom 17. Dezember 1980, Kommission/Belgien, a. a. O.) ergebe sich, daß die Kommission ausnahmslos jede einzelne betroffene Stelle prüfen müsse, nicht aber eine Vielzahl von Bereichen, die von vornherein nicht unter die Ausnahme des Artikels 48 Absatz 4 EWG-Vertrag fielen, und den Mitgliedstaaten in konkreten Einzelfällen den Gegenbeweis auferlegen dürfe.

32 Die Kommission macht hierzu geltend, sie habe in ihrer Mitteilung 88/C 72/02 die zu den betreffenden Bereichen gehörenden Stellen anhand der Auslegungskriterien des Artikels 48 Absatz 4 EG-Vertrag, wie sie der Gerichtshof festgelegt habe, untersucht. Diese Untersuchung habe zu dem Ergebnis geführt, daß diese Stellen zu weit von den spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung entfernt seien, als daß sie allgemein unter die Ausnahme des Artikels 48 Absatz 4 fielen. Unter diesen Umständen sei sie berechtigt, die Anwendung dieser Bestimmung in den von der vorliegenden Klage erfassten Bereichen von vornherein auszuschließen, ohne daß eine vorherige Untersuchung jeder einzelnen Stelle erforderlich sei.

33 Ferner habe sie festgestellt, daß es die in den betreffenden Bereichen ausgeuebten Tätigkeiten entweder auch in der privaten Wirtschaft gebe oder daß sie auch im öffentlichen Bereich ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit ausgeuebt werden könnten.

34 Die Klage betrifft die Bereiche der Forschung, des Bildungswesens, des Gesundheitswesens, des Strassen-, Schienen-, See- und Luftverkehrs, des Post-, Fernmelde- sowie des Rundfunk- und Fernsehwesens sowie die Versorgungsdienste für Wasser, Gas- und Elektrizität und schließlich den musikalischen und lyrischen Bereich. Wie die griechische Regierung selbst einräumt, sind die Stellen in diesen Bereichen im allgemeinen von den spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung weit entfernt, da sie keine mittelbare oder unmittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind (vgl. insbesondere Urteile vom 3. Juni 1986 in der Rechtssache 307/84, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 1725, für den Bereich Gesundheitswesen; vom 16. Juni 1987 in der Rechtssache 225/85, Kommission/Italien, Slg. 1987, 2625, für den Bereich Forschung für zivile Zwecke; vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 66/85, Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121; vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 33/88, Allué und Coonan, Slg. 1989, 1591, und vom 27. November 1991 in der Rechtssache C-4/91, Bleis, Slg. 1991, I-5627, für das Bildungswesen).

35 Nach allem hat sich der Mitgliedstaat nicht im Rahmen der Ausnahme des Artikels 48 Absatz 4 EG-Vertrag gehalten, als er allgemein für sämtliche Stellen in den betroffenen Bereichen ein Staatsangehörigkeitserfordernis aufstellte.

36 Daß bestimmte Stellen in diesen Bereichen unter Artikel 48 Absatz 4 EG-Vertrag fallen können, kann ein solches allgemeines Verbot nicht rechfertigen (siehe auch die beiden Urteile vom heutigen Tag, Kommission/Luxemburg, C-473/93, und Kommission/Belgien, C-173/94).

37 Somit war die Griechische Republik verpflichtet, den Grundsätzen der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer und der Gleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung volle Wirksamkeit zu verschaffen und die in Rede stehenden Bereiche den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten dadurch zu öffnen, daß sie nur den Zugang zu denjenigen Stellen von der Staatsangehörigkeit abhängig machte, die tatsächlich eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse oder an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind.

38 Zur Rechtsgrundlage der Klage ist klarzustellen, daß Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 die Ausübung einer Beschäftigung betrifft, nicht den Zugang zu ihr. In der vorliegenden Rechtssache geht es jedoch nur um den Zugang der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zur Beschäftigung. Die Feststellung der Vertragsverletzung kann daher nicht auf Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 gestützt werden.

39 Nach alledem ist festzustellen, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 48 EG-Vertrag und aus Artikel 1 der Verordnung Nr. 1612/68 verstossen hat, daß sie die griechische Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung des Zugangs auch zu anderen als denjenigen Stellen gemacht hat, die in den öffentlichen Bereichen der Versorgungsdienste für Wasser, Gas und Elektrizität, des öffentlichen Gesundheitsdienstes, des Bildungswesens, des See- und Luftverkehrs, der Eisenbahnen, des öffentlichen Stadt- und Regionalverkehrs, der Forschung für zivile Zwecke, des Post- und Fernmelde- sowie des Rundfunk- und Fernsehwesens, der Oper Athen sowie der städtischen und kommunalen Orchester eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse oder an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind.

Kostenentscheidung


Kosten

40 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Griechische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Griechische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 48 EG-Vertrag und aus Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft verstossen, daß sie die griechische Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung des Zugangs auch zu anderen als denjenigen Stellen gemacht hat, die in den öffentlichen Bereichen der Versorgungsdienste für Wasser, Gas und Elektrizität, des öffentlichen Gesundheitsdienstes, des Bildungswesens, des See- und Luftverkehrs, der Eisenbahnen, des öffentlichen Stadt- und Regionalverkehrs, der Forschung für zivile Zwecke, des Post- und Fernmelde- sowie des Rundfunk- und Fernsehwesens, der Oper Athen sowie der städtischen und kommunalen Orchester eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse oder an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind.

2. Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.