SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAEL B. ELMER

vom 21. Februar 1995 ( *1 )

Einführung

1.

Nach Artikel 5 Nr. 5 des Brüsseler Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im folgenden: Übereinkommen) kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, bei Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem sich diese befindet.

Die Frage, zu der der Gerichtshof im Rahmen dieses Vorabentscheidungsersuchens der französischen Cour de Cassation Stellung nehmen soll, geht dahin, ob die Klägerin sich auf diese besondere Zuständigkeitsregel nur in Fällen berufen kann, in denen es um eine Verpflichtung geht, die in dem Staat erfüllt werden soll, in dem die Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung sich befindet.

Eine derartige geographische Beschränkung ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift. Allerdings kann eine Feststellung im Urteil des Gerichtshofes vom 22. November 1978 in der Rechtssache 33/78 (Somafer) ( 1 ) dahin verstanden werden, daß im Anwendungsbereich der Vorschrift eine derartige Beschränkung gilt.

Sachverhalt

2.

Die französische Aktiengesellschaft Campenon Bernard hatte 1985 vom Ministerium für öffentliche Arbeiten in Kuwait den Auftrag zum Bau einer Autobahn zwischen dem Hafen von Kuwait und der irakischen Grenze erhalten. Der Stahl, der zur Armierung des Betons verwendet werden sollte, sollte nach den Spezifikationen des Auftraggebers die Anforderungen einer amerikanischen technischen Norm, der ASTM A 615, erfüllen.

Die Firma Campenon Bernard bestellte den Stahl bei der französischen Gesellschaft Fercometal, die eine spanische Gesellschaft als Subunternehmer beauftragte.

Um sicherzustellen, daß der Stahl die Spezifikationen des Auftraggebers einhielt, wandte sich die Firma Campenon Bernard an das Pariser Büro der englischen Gesellschaft The Lloyd's Register of Shipping (im folgenden: Lloyd's Register), das mit einem auf den 3. Dezember 1985 datierten und der Firma Campenon Bernard mit Schreiben vom 9. Dezember 1985 übersandten Vertrag die Aufgabe übernahm, zu kontrollieren, ob der Stahl mit der vorgeschriebenen Norm in Einklang stand. Dem Vertrag zufolge sollte die Kontrolle bei dem spanischen Subunternehmer von der spanischen Zweigniederlassung von Lloyd's Register vorgenommen werden, und die Zahlung sollte in Peseten erfolgen.

Nachdem das spanische Büro von Lloyd's Register am 17. und 24. Januar 1986 die Zeugnisse über die Übereinstimmung des Stahls mit den technischen Normen ausgestellt hatte, zahlte die Firma Campenon Bernard den Kaufpreis hierfür an Fercometal und ließ den Stahl nach Kuwait transportieren.

Der Auftraggeber in Kuwait wies den Stahl jedoch im Mai 1986 wegen Nichteinhaltung der verlangten Norm zurück.

Die Firma Campenon Bernard erhob daraufhin beim Tribunal de commerce Paris Klage auf Schadensersatz gegen Lloyd's Register über dessen Pariser Büro.

3.

Lloyd's Register beantragte beim Tribunal de commerce Paris und später bei der Cour d'appel Paris, die Klage abzuweisen, da Artikel 5 Nr. 5 den französischen Gerichten keine Zuständigkeit für die Entscheidung der Rechtssache einräume. Im Zusammenhang mit der von Lloyd's Register eingelegten Kassationsbeschwerde gegen das Urteil der Cour d'appel Paris vom 5. Juni 1991 hat die Cour de cassation dem Gerichtshof sodann folgende Frage vorgelegt:

„Setzt in Anbetracht des Artikels 5 Nr. 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen der Begriff ‚Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung‘ in Artikel 5 Nr. 5 des Übereinkommens notwendigerweise voraus, daß die von der Zweigniederlassung im Namen des Stammhauses eingegangenen Verpflichtungen in dem Vertragsstaat zu erfüllen sind, in dem sich die Zweigniederlassung befindet?“

Das Brüsseler Übereinkommen

4.

Die allgemeine Zuständigkeitsvorschrift findet sich in Artikel 2 Absatz 1 des Übereinkommens, in dem es heißt:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen.“

5.

Artikel 5, der sich im zweiten Abschnitt des Titels II des Übereinkommens unter der Überschrift „Besondere Zuständigkeiten“ findet, zählt eine Reihe besonderer Gerichtsstände auf, die der Kläger gegebenenfalls statt dessen wählen kann:

„Artikel 5

Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:

1)

wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

...

2)

...

3)

wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist;

4)

...

5)

wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet;

6)

...

7)

...“

6.

Die Cour de cassation weist in dem Vorlageurteil auf das bereits erwähnte Urteil in der Rechtssache 33/78 (Somafer) hin. Der Gerichtshof stellte dort fest:

„Artikel 5 sieht mit Rücksicht darauf, daß in ganz bestimmten Fällen zwischen der Klage und dem zur Entscheidung hierüber berufenen Gericht eine besonders enge Verknüpfung besteht, im Interesse einer sachgerechten Prozeßführung besondere Zuständigkeiten vor, unter denen der Kläger die Wahl hat.

In Anbetracht der Tatsache, daß eine Anhäufung von Zuständigkeiten für einen und denselben Rechtsstreit nicht dazu angetan ist, die Rechtssicherheit und die Wirksamkeit des Rechtsschutzes im gesamten Bereich der Hoheitsgebiete zu fördern, aus denen die Gemeinschaft besteht, entspricht es der Zielsetzung des Übereinkommens, wenn eine extensive, viele Möglichkeiten zulassende Auslegung der Ausnahmen von der allgemeinen Zuständigkeitsvorschrift des Artikels 2 vermieden wird“ (Randnr. 7)

und:

„Tragweite und Grenzen der Befugnis, die dem Kläger in Artikel 5 Nr. 5 vorbehalten ist, hängen von der Beurteilung der besonderen Faktoren ab, die — sei es in den Beziehungen zwischen dem Stammhaus und seinen Zweigniederlassungen, Agenturen oder sonstigen Niederlassungen, sei es in den Beziehungen zwischen einer dieser letztgenannten Einheiten und Dritten — die spezielle Verknüpfung deutlich machen, welche das dem Kläger eingeräumte Wahlrecht in Abweichung von Artikel 2 rechtfertigt“ (Randnr. 8).

Der Gerichtshof stellte weiter fest:

„Diese spezielle Verknüpfung bezieht sich in erster Linie auf die äußeren Merkmale, anhand deren das Bestehen einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung leicht festgestellt werden kann, und sodann auf das Verhältnis zwischen der so lokalisierten Einheit und dem Gegenstand des Rechtsstreits, der gegen das in einem anderen Vertragsstaat errichtete Stammhaus geführt wird.“ (Randnr. 11)

Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache gebührt der Definition des Begriffs ‚aus dem Betrieb‘ einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung Aufmerksamkeit. Hierzu heißt es im Somafer-Urteil:

„Unter den Begriff ‚aus dem Betrieb‘ fallen zum einen die Rechtsstreitigkeiten, in denen es um vertragliche oder außervertragliche Rechte und Pflichten in bezug auf die eigentliche Führung der Agentur, der Zweigniederlassung oder der sonstigen Niederlassung selbst geht, wie etwa die Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Vermietung des Grundstücks, auf dem die genannten Einheiten errichtet sind, oder mit der am Ort vorgenommenen Einstellung des dort beschäftigten Personals.

Zum anderen fallen unter den Begriff diejenigen Rechtsstreitigkeiten, die sich auf Verbindlichkeiten beziehen, welche der vorstehend beschriebene Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit im Namen des Stammhauses eingegangen ist und die in dem Vertragsstaat zu erfüllen sind, in dem dieser Mittelpunkt besteht, sowie die Rechtsstreitigkeiten über außervertragliche Verpflichtungen, die aus der Tätigkeit entstehen, welche die Zweigniederlassung, die Agentur oder die sonstige Niederlassung im oben angegebenen Sinn an dem Ort für Rechnung des Stammhauses ausgeübt hat, an dem sie errichtet ist“ (Randnr. 13; Hervorhebungen durch mich).

7.

Die Feststellung des Gerichtshofes, daß unter den Begriff „aus dem Betrieb“ auch die Verbindlichkeiten fallen, welche die Zweigniederlassung, die Agentur oder die sonstige Niederlassung im Namen des Stammhauses eingegangen ist, hat, was den Zusatz „die in dem Vertragsstaat zu erfüllen sind, in dem dieser Mittelpunkt besteht“ angeht, Anlaß zu kritischen Kommentaren sowohl in der Rechtslehre ( 2 ) als auch in den Schlußanträgen des Generalanwalts Sir Gordon Slynn in der Rechtssache 218/86 (Schotte) ( 3 ) gegeben.

Verfahren vor dem Gerichtshof

8.

In den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen haben sowohl die Firma Campenon Bernard, das Vereinigte Königreich und die griechische Regierung als auch die Kommission sich dieser Kritik angeschlossen.

In diesen Erklärungen wird darauf hingewiesen, daß Artikel 5 Nr. 5 keine geographische Begrenzung des Begriffs „aus dem Betrieb“ enthalte, bei dem es sich um einen rein wirtschaftlichen Begriff handele.

Wenn Artikel 5 Nr. 5 nur auf Streitigkeiten über Verpflichtungen Anwendung finden sollte, die in dem Staat zu erfüllen seien, in dem sich die Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befinde, wäre die selbständige praktische Bedeutung der Vorschrift außerdem äußerst gering. Nach Artikel 5 Nr. 1 sei das Gericht des Erfüllungsortes bereits für Vertragsstreitigkeiten zuständig, und nach Artikel 5 Nr. 3 sei das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei, für Klagen auf außervertraglichen Schadensersatz zuständig. Bei einer derartigen Beschränkung würde Artikel 5 Nr. 5 faktisch darauf reduziert, Fälle zu erfassen, bei denen eine Wahlmöglichkeit zwischen Gerichtsbezirken innerhalb eines einzelnen Vertragsstaats bestehe, was nicht der Sinn dieser Vorschrift sein könne.

Hinzu komme, daß Artikel 5 Nr. 5 den Belangen des Dritten, der einen Vertrag mit einer Tochtergesellschaft oder Niederlassung einer Muttergesellschaft eingehe, Rechnung tragen wolle, und die Belange dieses Dritten seien dieselben, unabhängig vom Erfüllungsort des Vertrages.

Das Vereinigte Königreich macht schließlich geltend, die Artikel 8 Absatz 2 (Versicherungssachen) und 13 Absatz 2 (bestimmte Verbrauchersachen) verwendeten genau dieselben Begriffe wie die streitige Bestimmung des Artikels 5 Nr. 5. Diese Vorschriften müßten daher einheitlich ausgelegt werden ( 4 ). Die praktische Wirkung der Artikel 8 Absatz 2 und 13 Absatz 2 würde jedoch erheblich vermindert, wenn diese Vorschriften mit der Einschränkung auszulegen wären, wie sie im Somafer-Urteil im Hinblick auf Artikel 5 Nr. 5 vorgenommen worden sei.

9.

Die französische Regierung nimmt in ihren Erklärungen Abstand davon, die Anforderungen des Somafer-Urteils ganz buchstabengetreu auszulegen. Insbesondere unter Hinweis auf das spätere Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 218/86 (Schotte) ( 5 ) macht sie sich zum Fürsprecher einer Lösung, wonach eine tatsächliche Verbindung zwischen dem Rechtsstreit und dem Staat, in dem dieser zu entscheiden sei, gefordert werden könne, so daß zumindest eines der Elemente des Vertrages in diesem Staat erfüllt werden müsse.

10.

Lloyd's Register hat den Gerichtshof in seinen Erklärungen aufgefordert, die im Somafer-Urteil enthaltene geographische Beschränkung des Artikels 5 Nr. 5 aufrechtzuerhalten; es hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß diese Vorschrift auf praktische prozessuale Erwägungen zurückgehe, wonach Streitigkeiten sozusagen an Ort und Stelle entschieden werden sollten. Auch Generalanwalt Reischl lege das Somafer-Urteil in seinen Schlußanträgen in der Rechtssache 139/80 (Blanckaert & Willems) ( 6 ) in dieser Weise aus:

„Aus dem genannten Urteil kann zum anderen abgeleitet werden, daß für Artikel 5 Nummer 5 des Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommens gewisse Einschränkungen der Unabhängigkeit eines Vertreters und gewisse Einwirkungsmöglichkeiten des Stammhauses nicht ausreichen. Es muß sich bei einer Agentur vielmehr faktisch um eine Art ausgelagerten Betriebsteil handeln, der im wesentlichen Geschäftsführungsbefugnisse wie das Stammhaus, aber natürlich beschränkt auf das Gebiet des Mitgliedstaats, in dem er sich befindet, hat. Das verlangen meines Erachtens die vorhin zitierten Wendungen und insbesondere die Formulierung ‚Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit‘.“ (Hervorhebungen durch mich)

Diese Anforderung an den Erfüllungsort stelle keine Einschränkung der Vorschrift dar, die mit ihrem Wortlaut unvereinbar sei.

Stellungnahme

11.

Nach ständiger Rechtsprechung sind die besonderen Zuständigkeitsregeln des Übereinkommens — die ja Ausnahmen von dem in Artikel 2 Absatz 1 niedergelegten allgemeinen Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzes des Beklagten darstellen — eng auszulegen ( 7 ).

12.

Die Frage, welches Gewicht den Aussagen des Somafer-Urteils zum Begriff „aus dem Betrieb“ im Zusammenhang mit Rechtssachen wie der vorliegenden beizumessen ist, mag ohne weiteres zweifelhaft erscheinen.

Zum ersten enthält die Randnummer 13 eine Angabe dazu, was unter den Begriff „aus dem Betrieb“fällt, nicht aber dazu, was nicht unter diesen Begriff fällt, vergleiche die Formulierungen „unter den Begriff ‚aus dem Betrieb‘ fallen zum einen...“ und „zum anderen fallen unter den Begriff...“. Auch dort hatte der Gerichtshof keine Veranlassung, zur Frage einer geographischen Beschränkung des Artikels 5 Nr. 5 Stellung zu nehmen. Die Streitigkeit, um die es in dem Verfahren vor dem vorlegenden Gericht ging, betraf nämlich einen Fall, der auch dann, wenn eine derartige Beschränkung gegolten hätte, unter die Vorschrift gefallen wäre, und wie sich aus der Zusammenfassung der Erklärungen der Parteien ergibt, wurde die Frage einer geographischen Beschränkung nicht einmal aufgeworfen.

Sodann ist zu betonen, daß die Feststellung des Gerichtshofes, unter den Begriff „aus dem Betrieb“ fielen auch „Rechtsstreitigkeiten, die sich auf Verbindlichkeiten beziehen, welche der vorstehend beschriebene Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit im Namen des Stammhauses eingegangen ist und die in dem Vertragsstaat zu erfüllen sind, in dem dieser Mittelpunkt besteht“, den Charakter eines obiter dictum hat. In dieser Rechtssache ging es nämlich nicht um eine solche Streitigkeit, sondern vielmehr um eine Streitigkeit „über außervertragliche Verpflichtungen, die aus der Tätigkeit entstehen, welche die Zweigniederlassung, die Agentur oder die sonstige Niederlassung im oben angegebenen Sinn an dem Ort für Rechnung des Stammhauses ausgeübt hat, an dem sie errichtet ist“.

Wie sich aus Randnummer 2 des Urteils ergibt, ging es um die Frage, ob das deutsche Gericht zuständig war

„... für eine Klage, die ein deutsches Unternehmen gegen ein französisches Unternehmen, dessen Sitz sich im französischen Hoheitsgebiet befindet, das aber im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein Büro oder eine Verbindungsstelle besitzt (auf seinen Briefbögen als ‚Vertretung für Deutschland‘ bezeichnet), erhoben hat und mit der Ersatz von Aufwendungen begehrt wird, welche die deutsche Firma gemacht hatte, um ihr gehörende Gasleitungen vor etwaigen Schäden durch Abbrucharbeiten zu schützen, die das französische Unternehmen im Auftrag des Saarlands in der Nähe durchführte“.

Es liegt daher nahe, anzunehmen, daß der Gerichtshof mit seiner Feststellung nicht zur Frage der Anwendung des Artikels 5 Nr. 5 in einem Fall wie dem vorliegenden Stellung genommen hat.

13.

Entsprechendes gilt für die Rechtssache 139/80 (Blanckaert Sc Willems) ( 8 ). Dort ging es um die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Entscheidung über einen Rechtsstreit betreffend die Handelsvertretung der Beklagten im Raum Rhein-Ruhr/Eifel/Süd-Westfalen. Die Bemerkung von Generalanwalt Reischl ( 9 ), der Betrieb sei natürlich beschränkt auf das Gebiet des Vertragsstaats, in dem er sich befinde, fiel daher in einem Zusammenhang, in dem es nicht erforderlich war, über die Konsequenzen des entgegengesetzten Standpunkts nachzudenken.

14.

Der Gerichtshof nimmt in seinem Urteil vom 9. Dezember 1987 in der Rechtssache 218/86 (Schotte) ( 10 ) nicht zu der — wie bereits erwähnt ( 11 ) — von Generalanwalt Sir Gordon Slynn aufgeworfenen Frage Stellung, inwieweit eine geographische Beschränkung des Artikels 5 Nr. 5 vorgenommen werden sollte. Zwar war dort keine diesbezügliche Vorlagefrage gestellt worden, doch ergab sich aus dem Sachverhalt eindeutig, daß die Parfümpumpenzerstäuber, um die es dort ging, nicht in den Vertragsstaat geliefert werden sollten, in dem sich die Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befand (Deutschland), sondern vielmehr in den Vertragsstaat, in dem sich die beklagte (Haupt-)Niederlassung befand (Frankreich).

In diesem Urteil entschied der Gerichtshof, daß Artikel 5 Nr. 5 nur in einem Fall angewandt werden könne, „in dem zwei Gesellschaften denselben Namen tragen und eine gemeinsame Geschäftsführung haben und in dem eine von ihnen, ohne eine von der anderen abhängige Zweigniederlassung oder Agentur zu sein, Geschäfte für Rechnung der anderen abschließt und so in den Handelsbeziehungen als deren Außenstelle auftritt“ (Randnr. 13).

In dem Urteil wird ferner betont, daß sich die deutsche Firma „nicht nur in die Verhandlungen und den Abschluß des Vertrages ein [schaltete], sondern ... sich auch im Stadium der Erfüllung des Vertrages um die ordnungsgemäße Abwicklung der vereinbarten Lieferungen und die Bezahlung der Rechnungen [kümmerte]“ (Randnr. 14).

Der Rechtsstreit betraf „die Erfüllung bestimmter Aufträge zur Lieferung von Pumpenzerstäubern und anderem Zubehör für Parfumerieartikel ... an die ... [französische Firma]“.

Der Gerichtshof erwähnt somit ausdrücklich, daß es um eine Lieferung an eine Firma in Frankreich ging, ohne die Frage einer geographischen Beschränkung der Anwendung von Artikel 5 Nr. 5 anzusprechen, und zwar in einem Fall, in dem diese Beschränkung möglicherweise zu dem entgegengesetzten Ergebnis geführt hätte ( 12 ).

15.

Ich kann mich ganz sicher nicht der Auffassung des Vereinigten Königreichs ( 13 ) anschließen, die übereinstimmenden Formulierungen in Artikel 5 Nr. 5 auf der einen und den Artikeln 8 Absatz 2 und 13 Absatz 2 auf der anderen Seite ( 14 ) müßten einheitlich auslegt werden. Meiner Meinung nach wird dieses Argument nämlich erheblich durch den besonderen Zweck der beiden letztgenannten Vorschriften abgeschwächt, der darin besteht, den Versicherungsnehmer (Artikel 8 Absatz 2) bzw. den Verbraucher (Artikel 13 Absatz 2) als die per definitionem schwachen Parteien in den betreffenden Vertragsverhältnissen zu schützen. Hinzu kommt der bedeutende Unterschied, der sich daraus ergibt, daß Artikel 5 Nr. 5 Anwendung findet, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz im Gebiet eines Vertragsstaats hat, während die Artikel 8 Absatz 2 und 13 Absatz 2 ausdrücklich Situationen betreffen, in denen der Versicherungsgeber oder der Vertragspartner des Verbrauchers ihren Wohnsitz nicht im Gebiet des Vertragsstaats haben. Damit, daß die genannten Vorschriften schwerlich mit einer geographischen Beschränkung, wie sie hier in Rede steht, angewandt werden können, stimme ich natürlich überein. Dies führt jedoch nicht dazu, daß sich daraus unmittelbar ableiten ließe, daß an der Beschränkung auch im Hinblick auf Artikel 5 Nr. 5 nicht festgehalten werden dürfe.

16.

Entscheidend ist vielmehr, daß Artikel 5 Nr. 5 praktisch jedes selbständigen Inhalts beraubt würde, wenn er nur auf Streitigkeiten über Verpflichtungen Anwendung finden sollte, die in dem Vertragsstaat zu erfüllen sind, in dem sich die Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet. Das Gericht des Erfüllungsortes ist ja bereits nach Artikel 5 Nr. 1 für Vertragsstreitigkeiten zuständig, und das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, ist bereits aufgrund von Artikel 5 Nr. 3 für Klagen auf außervertraglichen Schadensersatz zuständig. Wie von Firma Campenon Bernard, dem Vereinigten Königreich und der griechischen Regierung sowie der Kommission ausgeführt, würde Artikel 5 Nr. 5 bei einer derartigen Beschränkung faktisch auf Fälle reduziert, in denen zwischen mehreren Gerichtsbezirken innerhalb eines einzelnen Vertragsstaats zu wählen ist.

17.

Wenn eine geographische Beschränkung tatsächlich in den wirtschaftlichen Begriff „aus dem Betrieb“ in Artikel 5 Nr. 5 hineinzuinterpretieren wäre, könnte dies auch zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten und einer daraus folgenden Rechtsunsicherheit führen. Ist z. B. eine Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen, wenn ein — einziges — Element des Vertrags außerhalb des Vertragsstaats zu erfüllen ist? Der Vorschlag der französischen Regierung, es müsse verlangt werden, daß mindestens eines der vertraglichen Elemente innerhalb des Vertragsstaats erfüllt werden müsse, wirft dieselben Schwierigkeiten auf, wenn auch unter entgegengesetztem Vorzeichen. Kann man z. B. verlangen, daß es sich hierbei um ein wesentliches Vertragselement handeln muß? Soll der Vertragspartner sich der Rechtsverfolgung z. B. dadurch entziehen können, daß er gewisse Teile der Verpflichtung, die er eingegangen ist, außerhalb des Vertragsstaats erfüllen läßt, in dem er z. B. einen Subunternehmer beauftragt, und soll es von Bedeutung sein, ob Abreden darüber getroffen wurden, inwieweit zur Erfüllung der Verpflichtung auf einen (bestimmten) Subunternehmer zurückgegriffen werden kann? Und welche Unterschiede wird das Kriterium gegebenenfalls bei der Lieferung von Waren und der Lieferung von Dienstleistungen bewirken?

Statt Klarheit zu schaffen wirft eine geographische Beschränkung wie die hier streitige Probleme auf und begründet damit Rechtsunsicherheit.

18.

Hinzu kommt, daß Artikel 5 Nr. 5 zwei Zielen dient:

Zum einen soll dem Kläger die Klagerhebung in Fällen ermöglicht werden, in denen „ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit ... [vorliegt], der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, daß er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, daß diese, obgleich sie wissen, daß möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist“ (Somafer-Urteil, Randnr. 12).

Zum anderen soll — wie das Vereinigte Königreich ausgeführt hat — die soeben beschriebene Situation dem Ausgangspunkt des Artikels 2 Absatz 1 des Übereinkommens betreffend den allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten angenähert werden. Für Vertretungen wie die in Artikel 5 Nr. 5 genannten — nicht juristische Personen — besteht nämlich per definitionem kein solcher Wohnsitzgerichtsstand.

Artikel 5 Nr. 5 ist meiner Auffassung nach daher in Übereinstimmung mit seinem klaren Wortlaut auszulegen, der keine geographische Beschränkung enthält.

Schlußanträge

19.

Aufgrund dessen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

Der Ausdruck „Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung“ in Artikel 5 Nr. 5 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen setzt nicht voraus, daß die von einer Zweigniederlassung usw. im Namen des Stammhauses eingegangenen Verpflichtungen in dem Vertragsstaat zu erfüllen sind, in dem sich die Zweigniederlassung befindet.


( *1 ) Originalsprache: Dänisch.

( 1 ) Slg. 1978, 2183.

( 2 ) Vgl. Gothot und Holleaux, La Convention de Bruxelles, 1985, S. 56; Dicey und Morris, On the Conflict of Laws, London 1987, S. 348; siche auch H. Tebbens, Compétence judiciaire et exécution des jugements en Europe, Buttcrworths, 1993, S. 99.

( 3 ) Urteil vom 9. Dezember 1987, Slg. 1987, 4905.

( 4 ) Siehe auch die Schlußanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache C-89/91, Shearson Lehman Hutton, Urteil vom 19. Januar 1993, Slg. I-139.

( 5 ) Siehe Fußnote 3.

( 6 ) Urteil vom 18. März 1981, Slg. 1981, 819.

( 7 ) Siehe z. B. die Urteile vom 27. September 1988 in der Rechtssache 189/87 (Kalfelis, Slg. 1988, 5565, Randnr. 19) und vom 17. Juni 1992 in der Rechtssache C-26/91 (Handte, Slg. 1992, I-3967, Randnr. 14).

( 8 ) Siehe Fußnote 6.

( 9 ) Siehe Nr. 1 seiner Schlußanträge.

( 10 ) Slg. 1987, 4905; siehe Fußnote 3.

( 11 ) Siehe oben, Nr. 7.

( 12 ) In der Rechtssache 14/76 (de Bloos, Urteil vom 6. Oktober 1976, Slg. 1976, 1497) fand Artikel 5 Nr. 5 aus anderen Gründen keine Anwendung, und die Frage wurde daher nicht berührt.

( 13 ) Siehe oben, Nr. 8.

( 14 ) Die Vorschriften lauten:

Artikel 8 Absatz 2: „Hat ein Versicherer in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Vertragsstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet dieses Staates hätte.“

Artikel 13 Absatz 2: „Hat der Vertragspartner des Verbrauchers in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Vertragsstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet dieses Staates hätte.“