SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MARCO DARMON

vom 7. November 1984 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. 

Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 10 und 11 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ( 2 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. 

Diesen Fragen liegt folgender Fall zugrunde :

Frau Aissatou Diatta, eine senegalesische Staatsangehörige, ist die Ehefrau eines französischen Staatsangehörigen, der in Berlin (West) ordnungsgemäß wohnt und arbeitet. Kurz nach ihrer Eheschließung reiste sie zu ihrem Ehemann und zog in dessen Wohnung. Sie ist als Haushaltshilfe beschäftigt. Am 13. März 1978 erhielt sie eine bis zum 16. Juli 1980 gültige Aufenthaltserlaubnis. Schon im August 1978 trennte sie sich von ihrem Ehemann, von dem sie sich scheiden lassen will, und lebt seitdem in einer Wohnung, die sie selbst gemietet hat. Bei Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis beantragte sie erfolglos deren Verlängerung. Über die Rechtmäßigkeit dieser auf das fehlende Zusammenleben der Ehegatten gestützten Ablehnung hat nunmehr das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden.

3. 

Mit Beschluß vom 18. Oktober 1983 hat dieses Gericht gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag das Verfahren über die von Frau Diatta erhobene Klage ausgesetzt, bis Sie die folgenden beiden Fragen beantwortet haben:

1)

Ist Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 dahin auszulegen, daß der Ehegatte eines die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzenden und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigten Arbeitnehmers auch dann „bei dem Arbeitnehmer“ wohnt, wenn er sich zwar auf Dauer von seinem Ehegatten getrennt hat, aber in demselben Ort wie der Arbeitnehmer eine eigene Wohnung bewohnt?

2)

Begründet Artikel 11 der Verordnung Nr. 1612/68 für nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzende Ehegatten von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Erwerbstätigkeit ausüben und wohnen, ein von den Voraussetzungen des Artikels 10 dieser Verordnung unabhängiges Aufenthaltsrecht, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben wollen?

4. 

Die beiden in Rede stehenden Artikel lauten :

„Artikel 10

1)

Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:

a)

sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;

b)

seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt.

2)

Die Mitgliedstaaten begünstigen den Zugang aller nicht in Absatz 1 genannten Familienangehörigen, denen der betreffende Arbeitnehmer Unterhalt gewährt oder mit denen er im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft lebt.

3)

Voraussetzung für die Anwendung der Absätze 1 und 2 ist, daß der Arbeitnehmer für seine Familie über eine Wohnung verfügt, die in dem Gebiet, in dem er beschäftigt ist, den für die inländischen Arbeitnehmer geltenden normalen Anforderungen entspricht; diese Bestimmung darf nicht zu Diskriminierungen zwischen den inländischen Arbeitnehmern und den Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten führen.“

„Artikel 11

Der Ehegatte eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit ausübt, sowie die Kinder dieser Staatsangehörigen, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen er Unterhalt gewährt, haben, selbst wenn sie nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, das Recht, im gesamten Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats irgendeine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben.“

5. 

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens macht geltend, aufgrund dieser Vorschriften stehe ihr ein eigenes Recht auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu.

Artikel 10 schreibe nämlich nicht ausdrücklich ein Zusammenleben vor, sondern stelle lediglich darauf ab, daß der Arbeitnehmer, der einem Mitgliedstaat angehöre, seiner Familie eine Wohnung zur Verfügung stelle, „die in dem Gebiet, in dem er beschäftigt ist, ... normalen Anforderungen entspricht“. Hierbei handele es sich um ein Erfordernis, das auf Gesichtspunkte der Sicherheit und Ordnung gestützt sei und nicht auf den Gedanken einer ehelichen Lebensgemeinschaft. Letztere könne im übrigen kein Entscheidungskriterium sein. Denn nach deutschem Recht habe ein Ehepaar die Möglichkeit, die eheliche Lebensgemeinschaft trotz Beibehaltung einer gemeinsamen Wohnung aufzuheben. Außerdem könne es nicht dem Arbeitnehmer, der die Staatsabgehörigkeit eines Mitgliedstaats besitze, in die Hand gegeben werden, die Ausreise seines Ehegatten, dessen er überdrüssig sei, dadurch herbeizuführen, daß er sich einfach weigere, ihn weiter bei sich wohnen zu lassen. Schließlich gebe es für die Ehegatten, solange die Ehe noch bestehe, Chancen, sich wieder auszusöhnen, die im Falle einer erzwungenen Ausreise des Ehegatten, dem die Aufenthaltserlaubnis versagt werde, unwiderruflich zunichte gemacht würden. Artikel 10 gehe nicht vom Zusammenleben, sondern vom Schutz der Ehe und der Familie aus.

Artikel 11 gestatte es dem Ehegatten eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, im Hoheitsgebiet des Aufenthaltsstaats einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachzugehen. Er gewähre somit diesem Ehegatten ein weiter gehendes Aufenthaltsrecht als Artikel 10, das mit dem Erfordernis eines gemeinsamen Wohnsitzes unvereinbar sei. Artikel 11 sei daher unabhängig von Artikel 10 auszulegen und anzuwenden.

6. 

Sowohl das Land Berlin (der Beklagte des Ausgangsverfahrens) als auch die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten Königreichs und des Königreichs der Niederlande, die diesem Verfahren beigetreten sind, vertreten die Auffassung, die beiden Fragen des vorlegenden Gerichts seien zu verneinen.

Ohne ihre Erklärungen, die im Sitzungsbericht ausführlich wiedergegeben sind, noch einmal im einzelnen darzulegen, sollte festgehalten werden, daß das Land Berlin wie auch die beteiligten Regierungen folgenden Standpunkt einnehmen :

Artikel 10 setze sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach seinem Sinn und Zweck voraus, daß die durch diese Vorschrift begünstigten Personen mit dem EG-Arbeitnehmer zusammenlebten; mit dieser Vorschrift solle die Verwirklichung des in Artikel 48 EWG-Vertrag niedergelegten Grundsatzes der Freizügigkeit dadurch erleichtert werden, daß dem die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzenden Arbeitnehmer, der innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandere, das Leben mit seiner Familie ermöglicht werde. Jede — selbst extensive — Auslegung des Artikels 10 müsse sich am Sinn und Zweck dieser Vorschrift orientieren; daher könne sie nicht den Fall von Ehegatten erfassen, die auf Dauer getrennt lebten.

Artikel 11 gewähre lediglich ein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt, aber kein von Artikel 10 unabhängiges eigenständiges Aufenthaltsrecht. Die Bestimmungen des Artikels 11 ergänzen im Hinblick auf die von Artikel 10 erfaßte Personengruppe die Bestimmungen von Artikel 10, und zwar wiederum zu dem Zweck, Hindernisse für die Mobilität der EG-Arbeitnehmer zu beseitigen. Auch die Entstehungsgeschichte der genannten Vorschriften bekräftige diese Auslegung, denn die Artikel 10 und 11 der Verordnung Nr. 1612/68 hätten ihren Ursprung in den Artikeln 17 und 18 der Verordnung Nr. 38/64 ( 3 ) und Artikel 18 verweise ausdrücklich auf Artikel 17. Das zwischen Artikel 10 und 11 bestehende Ergänzungsverhältnis ergebe nur dann einen Sinn, wenn die in Artikel 10 enthaltenen Voraussetzungen auch bei der Auslegung von Artikel 11 zu berücksichtigen seien.

7. 

Der Standpunkt der Kommission war von Anfang an sehr liberal. Er hat sich während des Verfahrens im Sinne einer noch extensiveren Auslegung der fraglichen Bestimmungen weiterentwickelt.

In ihren schriftlichen Erklärungen führt die Kommission zunächst aus, es sei „klar, daß es sich bei den Freizügigkeitsrechten von Familienangehörigen von Wanderarbeitnehmern nicht um originäreigene Rechte, sondern um abgeleitete Rechte handelt“. Sie räumt ein, „daß der Wegfall der besonderen familienrechtlichen Bindungen zu dem Wanderarbeitnehmer für die betreffenden Familienangehörigen auch den Verlust der gemeinschaftlichen Freizügigkeitsrechte bewirkt“, und erläutert damit ihre Äußerung:

„Wird die Ehe eines Wanderarbeitnehmers rechtskräftig geschieden, so verliert die Ehefrau ihre Eigenschaft als Familienangehörige eines Wanderarbeitnehmers und kann die für diesen Personenkreis vorgesehenen Rechte nicht mehr in Anspruch nehmen.“

Die Ehe zwischen Herrn und Frau Diatta bestehe aber nach wie vor, und es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß Artikel 10 zusätzlich zu diesem ehelichen Band eine weitere Voraussetzung, nämlich das Zusammenleben der Ehegatten in einer gemeinsamen Wohnung, aufstelle. Denn es sei unvorstellbar, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Ausübung des Freizügigkeitsrechts an eine von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedliche familienrechtliche Anforderung habe knüpfen wollen.

Eine so restriktive Auslegung des Artikels 10 stehe im Widerspruch zu Artikel 11, denn der Ehegatte eines Wanderarbeitnehmers könne von seinem Recht, sich innerhalb des gesamten Hoheitsgebietes des Aufenthaltsstaats einen Arbeitsplatz auszuwählen, nur Gebrauch machen, wenn er auch die Möglichkeit habe, an einem anderen Ort zu wohnen als der Arbeitnehmer selbst.

Dieser müsse allerdings als Voraussetzung für das seiner Familie in Artikel 10 eröffnete Aufenthaltsrecht über eine angemessene Wohnung verfügen. Das Vorhandensein einer derartigen Wohnung, von der an keiner Stelle gesagt werde, daß sie außerdem gemeinsam sein müsse, sei eine Voraussetzung, die eine ,„Ausgleichsnorm' zwischen ausländerpolizeilichen Besorgnissen ... einerseits und dem Grundrecht der Freizügigkeit andererseits“ darstelle.

Die Kommission hat Ihnen in jenem Verfahrensstadium folgende Antworten vorgeschlagen:

„1)

Artikel 10 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 ist so auszulegen, daß der Ehegatte eines Wanderarbeitnehmers nur dann ein Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat hat, in dem der betreffende Wanderarbeitnehmer beschäftigt ist, wenn ihm eine angemessene Wohnung im Sinne des Artikels 10 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1612/68 zur Verfügung steht. Nicht erforderlich ist hingegen, daß der Ehegatte des Wanderarbeitnehmers mit diesem in häuslicher Gemeinschaft lebt.

2)

Artikel 11 der Verordnung Nr. 1612/68 gewährt den Ehegatten von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Erwerbstätigkeit ausüben und wohnen, das Recht, im gesamten Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis auszuüben, nur unter der Voraussetzung, daß die betreffenden Ehegatten gemäß Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 aufenthaltsberechtigt sind.“

In der mündlichen Verhandlung ist die Kommission weiter gegangen. Das Bestehen von Familienbanden und das Vorhandensein einer Wohnung ohne notwendiges Zusammenleben seien zwar die beiden Voraussetzungen, die bei der Einreise erfüllt sein müßten; die Auflösung der Familienbande — im vorliegenden Fall: des Ehebandes — dürfte jedoch nicht dazu führen, daß den Familienangehörigen „der Schutz des Gemeinschaftsrechts“ automatisch wieder verlorengehe.

Die Kommission empfiehlt Ihnen daher letztlich, zu antworten, daß

Artikel 10 so auszulegen ist, daß der Ehegatte eines Wanderarbeitnehmers nur dann in dem Mitgliedstaat der Beschäftigung seinen Aufenthalt nehmen kann, wenn ihm eine angemessene Wohnung zur Verfügung steht;

das Aufenthaltsrecht des Ehegatten sowie dessen in Artikel 11 festgelegtes Recht, eine Berufstätigkeit auszuüben, nicht dadurch beseitigt werden, daß der betroffene Ehegatte sich von dem Wanderarbeitnehmer auf Dauer trennt und eine eigene Wohnung nimmt.

8. 

Der Vertreter der Kommission hat auf eine entsprechende Frage, die ihm einer von Ihnen gestellt hat, offen zugegeben, daß dies eine kühne These sei oder wenigstens als eine solche erscheinen könne.

Sie ist es in der Tat. Wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber ein ursprünglich abgeleitetes Recht in ein eigenes Recht umwandeln will, so sagt er dies ausdrücklich. Das hat er zum Beispiel in Artikel 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 ( 4 ) getan, der den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers, wie sie in Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 definiert sind, unter bestimmten Voraussetzungen das Recht verleiht, in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sie bei dem Wanderarbeitnehmer gewohnt haben, ständig zu verbleiben. Hierbei handelt es sich um eine über das allgemeine Recht hinausgehende Regelung, die nicht implizit getroffen werden kann.

Auch die Theorie von der Eigenständigkeit des Artikels 11 muß verworfen werden. Um eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ausüben zu können, muß man sich dort aufhalten dürfen. Die Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts sind aber in Artikel 10 festgelegt.

Die Artikel 10 und 11 greifen im Kern die Bestimmungen der Artikel 17 und 18 der Verordnung Nr. 38/64/EWG des Rates vom 25. März 1964 auf, die durch Artikel 48 der Verordnung Nr. 1612/68 aufgehoben worden ist. In Artikel 18 hieß es ausdrücklich:

„Sind der Ehegatte und die Kinder eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ordnungsgemäß beschäftigt ist, dort gemäß Artikel 17 Absatz 1 zugezogen, so haben sie ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit das Recht, im Hoheitsgebiet des anderen Mitgliedstaats eine Beschäftigung im Lohnoder Gehaltsverhältnis auszuüben.“

Der von mir hervorgehobene Satzteil findet sich in Artikel 11 nicht. Diese Auslassung kann jedoch nicht dazu führen, daß zugunsten eines Drittlandsangehörigen ein Aufenthaltsrecht begründet wird, das sich von dem in Artikel 10 ausdrücklich vorgesehenen Aufenthaltsrecht unterscheidet.

9. 

Dasselbe Bemühen um strikte Auslegung veranlaßt mich, diesen Vorschriften ihre volle Wirksamkeit zu verschaffen, das heißt, an die danach begünstigten Personen keine Anforderungen zu stellen, die gar nicht vorgesehen sind.

Nehmen wir einmal an, Frau Diatta verstünde sich bestens mit ihrem Ehemann und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehepaars führten dazu, daß sie an einem anderen Ort in der Bundesrepublik Deutschland oder auch in derselben Stadt eine Tätigkeit verbunden mit einer beruflichen Residenzpflicht aufnehmen müßte. Wäre es dann möglich, die Verlängerung oder Erneuerung ihrer Aufenthaltserlaubnis davon abhängig zu machen, daß sie weiterhin mit ihrem Ehemann zusammenlebt, ohne ihr gleichzeitig das Recht aus Artikel 11 zu entziehen?

Dieses Beispiel zeigt, daß die Wendung „bei dem Arbeitnehmer Wohnung nehmen“ in Artikel 10 nicht einschränkend als „mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft leben“ ausgelegt werden kann. Wenn dieser Arbeitnehmer gemäß Artikel 10 Absatz 3 dafür zu sorgen hat, daß er „für seine Familie über eine Wohnung verfügt“, so stellt dies lediglich eine der Aufnahme vorgelagerte reine Vorsichtsmaßnahme dar und bedeutet nicht zwangsläufig die Beschränkung auf eine einzige Wohnung.

Gewiß lebte Frau Diatta zu dem Zeitpunkt, als das vorlegende Gericht Ihnen seine Fragen stellte, von ihrem Ehemann getrennt. Aber solange die Ehe nicht durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil geschieden worden ist, kann Frau Diatta sich „vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen“ ( 5 ) hinsichtlich ihres Aufenthalts in dem Mitgliedstaat, in welchem ihr Ehemann arbeitet, auf Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 und hinsichtlich ihres eigenen Zugangs zu einer Arbeitnehmertätigkeit auf Artikel 11 berufen.

10. 

Ich schlage daher vor, daß Sie für Recht erkennen:

1)

Artikel 10 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 ist so auszulegen, daß der Ehegatte eines die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzenden und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigten Arbeitnehmers nur dann ein Aufenthaltsrecht in diesem anderen Mitgliedstaat hat, wenn ihm eine angemessene Wohnung im Sinne von Artikel 10 Absatz 3 zur Verfügung steht, wobei er allerdings nicht mit seinem Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft zu leben braucht.

2)

Artikel 11 dieser Verordnung gewährt ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit dem Ehegatten eines Arbeitnehmers, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit ausübt, das Recht, im gesamten Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben, unter der alleinigen Voraussetzung, daß dieser Ehegatte gemäß Artikel 10 der Verordnung aufenthaltsberechtigt ist.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.

( 2 ) ABI. L 257 vom 19. Oktober 1968, S. 2.

( 3 ) Verordnung des Rates vom 25. März 1964 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABI. Nr. 62 vom 17. April 1964, S. 965).

( 4 ) ABl. L 142 vom 30. Juni 1970, S. 24.

( 5 ) Erste Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1612/68.