SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS ALAIN DUTHEILLET DE LAMOTHE

VOM 2. DEZEMBER 1970 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Die vier Rechtssachen, mit denen Sie sich heute zu befassen haben (11/70, 25/70, 26/70 und 30/70), stellen in zahlreichen Punkten die gleichen oder nah benachbarte Fragen zur Entscheidung.

Worum handelt es sich im wesentlichen ?

1.

Um die Gültigkeit der in den drei Gemeinschaftsverordnungen Nr. 102/64, 120/67 und 473/67 enthaltenen Vorschriften, wonach Ein- oder Ausfuhrlizenzen für die in der Grundverordnung Nr. 19 genannten Erzeugnisse nur erteilt werden, wenn eine Kaution gestellt wird, die — außer bei Vorliegen höherer Gewalt — verfällt, wenn der Lizenzinhaber das Geschäft nicht durchführt.

2.

In einer der Rechtssachen — 30/70 — um die gemeinschaftsrechtliche Gültigkeit der Verordnung Nr. 87/62 und die Einführung der genannten Kautionsregelung durch einen Mitgliedstaat mit Wirkung vom 30. Juli 1962, also vor Erlaß der ersten die Kautionsregelung für die gesamte Gemeinschaft vorsehenden Gemeinschaftsverordnung im Jahre 1964.

Diese Fragen werden Ihnen von zwei deutschen Gerichten gestellt: in den Rechtssachen 25, 26 und 30/70 von einem Berufungsgericht, dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, und in der Rechtssache 11/70 von einem erstinstanzlichen Gericht, dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main.

Aber sie werden Ihnen in den einzelnen Rechtssachen nicht in der gleichen Form gestellt.

In den Rechtssachen 11, 25 und 26/70 sind sie in die Form eines Antrags auf Entscheidung über die Gültigkeit gekleidet, in der Rechtssache 30/70 in die Form eines Antrags auf Auslegung von Artikel 16 der Verordnung Nr. 19 des Rates vom 4. April 1962 in Verbindung mit einer Frage nach der Gültigkeit von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 87 der Kommission.

Das spielt aber sachlich keine Rolle, denn diese Unterschiede können sich nur auf die Form der Urteile auswirken die Sie in diesen einzelnen Fällen zu erlassen haben. Ich komme auf diesen Punkt am Ende meiner Schlußanträge zurück.

Die vorliegenden vier Rechtssachen stellen sehr zahlreiche Fragen zur Entscheidung, die sich nach meiner Meinung in drei Gruppen zusammenfassen lassen :

die Fragen, die sich auf die — wie ich sie nennen will — äußere Rechtmäßigkeit der beanstandeten Bestimmungen beziehen, nämlich auf die Zuständigkeit der Gemeinschaftsbehörden zu ihrem Erlaß und auf die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens, nach dem sie erlassen worden sind;

sodann die Fragen, welche die innere Rechtmäßigkeit dieser Bestimmungen betreffen, gegen die im wesentlichen eingewandt wird, sie verstießen gegen einen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der für die Gemeinschaftsbehörden verbindlich sei;

schließlich die Fragen, die mit der Gültigkeit der Verordnung Nr. 87/62 und mit der Zulässigkeit der in der Bundesrepublik vor Erlaß der Verordnung Nr. 120/64 in Kraft gewesenen Regelung nach dem Gemeinschaftsrecht zusammenhängen.

I

Untersuchen wir zunächst die die äußere Rechtmäßigkeit der beanstandeten Bestimmungen betreffenden Fragen.

Die gegen diese Bestimmungen erhobenen Beanstandungen sind vielfältiger Natur, im Grunde lassen sie sich aber auf drei Punkte zurückführen :

1.

die Unzuständigkeit jeder Gemeinschaftsinstanz, welche es auch sei, zum Erlaß dieser Bestimmungen;

2.

die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens, in dem die Verordnungen erlassen wurden, und insbesondere der Mitwirkung des Verwaltungsausschusses ;

3.

schließlich und hilfsweise die eigenen Mängel, die jedenfalls der äußeren Rechtmäßigkeit einzelner der beanstandeten Bestimmungen anhafteten.

A — Zum ersten Punkt — absolute Unzuständigkeit jeder Gemeinschaftsinstanz zum Erlaß der angefochtenen Bestimmungen — sind zwei Argumente vorgebracht worden, von denen sich das Frankfurter Gericht offenbar zum Teil hat verleiten lassen.

1.

Das erste Argument geht dahin, die Vorschriften begründeten eine Verpflichtung zur Ein- oder Ausfuhr, also eine Verpflichtung zu einem Tun, obwohl keine Vertragsvorschrift die Gemeinschaftsbehörden ermächtige, Einzelpersonen eine solche Verpflichtung aufzuerlegen.

Dieses Argument wird uns nicht lange aufhalten.

Zunächst ist sehr zweifelhaft, ob nicht einige Vertragsvorschriften, insbesondere diejenigen über die Landwirtschaft, die Gemeinschaftsorgane ermächtigen, den Marktbürgern unter bestimmten Umständen Verpflichtungen zu einem Tun aufzuerlegen; und wenn diese Frage beantwortet werden müßte, würde ich auf den ersten Blick eher zu ihrer Bejahung neigen.

Aber in Wirklichkeit stellt sich die Frage meines Erachtens im vorliegenden Fall nicht. Die angefochtenen Bestimmungen begründen nämlich in Wahrheit keine Verpflichtung zur Ein- oder Ausfuhr.

Diese Vorschriften sollen lediglich dafür sorgen, daß die Lizenz nur beantragt werden kann, um tatsächlich ein Ein- oder Ausfuhrgeschäft durchzuführen, nicht aber aus einer bloßen Laune heraus. Dadurch begründen sie aber keine Verpflichtung, sondern stellen nur eine Voraussetzung für die Ausstellung einer Urkunde auf, die für das vom Marktteilnehmer bereits beschlossene Geschäft notwendig ist.

Der Ein- oder Ausführer ist nicht nur — selbstverständlich — frei, keine Ein- oder Ausfuhrlizenz zu beantragen, sondern auch, die Ein- oder Ausfuhr nicht vorzunehmen, die durchführen zu wollen er erklärt hat. Gewiß verliert er in diesem Fall seine Kaution, aber seine Handlungsfreiheit bleibt rechtlich trotzdem uneingeschränkt erhalten, wenn sie auch selbstverständlich durch diese Aussicht beeinfluß wird, was die Willensbestimmung betrifft.

Die Regelung begründet also keine Verpflichtung zu einem Tun, sondern stellt nur eine Voraussetzung für eine Erlaubnis zu einem Tun auf.

2.

Das zweite Argument, das für eine absolute Unzuständigkeit der Gemeinschaftsorgane zum Erlaß der angefochtenen Bestimmungen vorgebracht wird, verdient eine eingehendere Untersuchung.

Es wird geltend gemacht, die Regelung, wonach derjenige, der eine Ein- oder Ausfuhrlizenz beantragt, eine Kaution zu stellen hat und diese Kaution — außer in Fällen höherer Gewalt — verfällt, wenn das Geschäft nicht binnen der in der Lizenz vorgesehenen Frist durchgeführt wird, sei in Wirklichkeit eine Sanktionsregelung.

Man versichert Ihnen, die Mitgliedstaaten hätten den Gemeinschaftsorganen im allgemeinen keine Strafbefugnisse übertragen; eine Ausnahme gelte nur, soweit der Vertrag es ausdrücklich bestimmt, wie z.B. für die Kartelle oder die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe a, der ausdrücklich die Einführung von Geldbußen und Zwangsgeldern vorsieht.

Zunächst ist die Behauptung höchst bestreitbar, der Vertrag ermächtige die Gemeinschaftsorgane nur in den ausdrücklich bestimmten Fällen dazu, Sanktionen vorzusehen.

Insbesondere sieht Artikel 40 Absatz 3 auf dem Gebiet der Landwirtschaft vor, daß die gemeinsame Marktorganisation alle zur Durchführung des Artikels 39 erforderlichen Maßnahmen einschließen kann. Man kann sich zu Recht die Frage vorlegen, ob eine so weite Formel nicht auch die Möglichkeit umfaßt, gegebenenfalls finanzielle Sanktionen einzuführen, um die Einhaltung der Gemeinschaftsverordnungen zu gewährleisten.

Sie haben aber meines Erachtens die Frage im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, denn Sie brauchen, wie ich meine, nur die Rechtsnatur der in den Vorschriften vorgesehenen Kaution zu untersuchen und zu klären, um zu der Feststellung zu gelangen, daß der Verfall der Kaution in keiner Weise den Charakter einer Sanktion hat.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß den Begriffen „caution“ oder „cautionnement“ („Bürgschaft, Kaution, Garantie“) im modernen französischen Sprachgebrauch eine Mehrdeutigkeit innewohnt, auf welche die Kommentatoren schon lange hingewiesen haben, manchmal mit dem Vorschlag, sie zu beenden.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Begriff „cautionnement“ nur eine Bedeutung: die ihm in Artikel 2011 des französischen Code Civil gegebene; er entsprach der früheren „fideiussio“ des römischen Rechts, bezeichnete also die Verpflichtung, mit der ein Dritter in die Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner mit dem Versprechen gegenüber dem Gläubiger eintritt, die Verbindlichkeiten des Schuldners zu erfüllen, falls dieser es nicht tut.

Aber sehr bald wurde das Wort „caution“ auch in einem anderen Sinne gebraucht, dem der manchmal so genannten „caution administrative“, der zwingend vorgeschriebenen Hinterlegung einer Geldsumme, bevor Handlungen vorgenommen oder bestimmte Funktionen ausgeübt werden können, als Sicherheit für daraus möglicherweise entstehende Haftpflichten, insbesondere gegenüber der öffentlichen Hand.

Diese letzte Art des „cautionnement“, die zivilrechtlich eher einer Pfandrechtsbestellung verwandt ist, unterscheidet sich erheblich vom „cautionnement“ in ersten Sinne der „fideiussio“.

Diese beide Formen des „cautionnement“ können sich jedoch miteinander verbinden, zum Beispiel, wie es in der Praxis häufig der Fall ist, wenn die „Pfandkaution“, wenn man so sagen darf, ihrerseits durch einen „fideiussor“, meist eine Bank, garantiert wird.

Was ist aber eigentlich diese „Pfandkaution“ ? Sie ist meines Erachtens nichts anderes als eine Art von Sicherheit für die Einhaltung vorher oder gleichzeitig eingegangener Verbindlichkeiten.

Die Einführung einer Sicherheitsleistung läßt sich aber selbstverständlich kaum mit der Einführung einer. Sanktion gleichsetzen. Eine Sanktion hat Strafzweck. Eine Sicherheit soll vorbeugen und gegebenenfalls wiedergutmachen.

Der gegen die angefochtenen Bestimmungen vorgebrachte Einwand, daß die Gemeinschaftsbehörden zur Einführung von Sanktionen nicht zuständig seien, geht daher nach meiner Auffassung schon im Tatsächlichen fehl, da die mit diesen Bestimmungen eingeführte Regelung keine Sanktion, sondern eine Sicherheitsleistung vorsieht.

B — Untersuchen wir also den zweiten, die äußere Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen betreffenden Fragenkomplex, bei dem es darum geht, daß die Verordnungen, in denen diese Bestimmungen enthalten sind, in einem fehlerhaften Verfahren erlassen worden seien.

Diese Verordnungen wurden alle im sogenannten Verwaltungsausschußverfahren ausgearbeitet, dessen Grundzüge Sie kennen.

Auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Parlaments erläßt der Rat die Grundverordnungen, überträgt aber unter bestimmten Voraussetzungen der Kommission die Aufgabe, die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu treffen.

Die Ausübung der auf diese Weise vom Rat auf die Kommission übertragenen Befugnisse ist wie folgt geregelt: Die Kommission arbeitet einen Entwurf der zu treffenden Maßnahmen aus.

Sie legt ihn einem Verwaltungsausschuß vor, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, dem aber ein Vertreter der Kommission vorsitzt. Die Stellungnahme dieses Ausschusses wird der Kommission mitgeteilt, diese erläßt aufgrund der Stellungnahme Maßnahmen, die sofort anwendbar sind.

Entsprechen jedoch diese Maßnahmen nicht der Stellungnahme des Verwaltungsausschusses, so kann die Kommission ihre Anwendung einen Monat aussetzen, während der Rat, dem sie alsbald mitgeteilt werden, sie innerhalb der gleichen Monatsfrist aufheben oder ändern kann.

Die Rechtmäßigkeit dieser Regelung — von der ein sehr ausgedehnter Gebrauch gemacht worden ist, denn nach ihr sind mehr als 2000 Gemeinschaftsverordnungen ergangen — ist umstritten, und zumindest eines der vorlegenden deutschen Gerichte scheint sie zu bezweifeln.

Vor Ihnen wurde geltend gemacht, dieses Verfahren verstoße in zweifacher Hinsicht gegen den Vertrag :

zum einen, weil es dem Verwaltungsausschuß ein Mitwirkungsrecht an der Rechtsetzung der Kommission einräume;

zum anderen, weil es den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gebe, beim Rat die „Kassation“ der Verordnungen der Kommission zu erwirken.

Schließlich — dieses Argument wurde vor allem in der mündlichen Verhandlung vorgebracht — beschneide dieses Verfahren die Rechte des Parlaments.

Daher stelle es das gesamte institutionelle Gleichgewicht der Gemeinschaft in Frage.

Diese Argumentation, meine Herren, wurde bereits sehr eingehend vor dem Europäischen Parlament entwickelt; sie ist auch auf den Bericht von Herrn Jozeau-Marigné, der durch ein glückliches Zusammentreffen gleichzeitig Parlamentsabgeordneter und ein ausgezeichneter Jurist ist, vom Rechtsausschuß des Parlaments meisterhaft widerlegt worden. Ich werde mir viele der Schlußfolgerungen zu eigen machen, zu denen dieser Bericht gelangt.

Die oben wiedergegebene Argumentation hält nämlich nach meiner Auffassung einer gründlichen Prüfung der Einzelheiten des sogenannten Verwaltungsausschußsystems anhand der Vorschriften des Vertrages nicht stand.

Die wichtigste Vorschrift ist die des Artikels 155 letzter Gedankenstrich, wonach (ich zitiere) „die Kommission… die Befugnisse auszuüben [hat], die ihr der Rat zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften überträgt“. Daraus ergibt sich meines Erachtens eindeutig dreierlei :

1.

Der Rat besitzt institutionell nicht nur eine allgemeine Rechtsetzungsbefugnis zum Erlaß von Grundvorschriften, sondern auch die Befugnis, die zur Anwendung der von ihm erlassenen allgemeinen Vorschriften erforderlichen Durchführungsbestimmungen selbst zu erlassen.

2.

Diese Befugnis auf dem Gebiet des Vollzugs kann der Rat selbst ausüben, er kann aber ihre Ausübung auch der Kommission übertragen.

3.

Keine Bestimmung beschränkt das Recht des Rates, von der ihm durch die zitierte Vorschrift eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen oder nicht, und keine Bestimmung verbietet ihm, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die Kommission die ihr übertragene Befugnis auszuüben hat.

Wie ist nun das Verwaltungsausschußverfahren zu sehen?

1.

Der Rat überträgt der Kommission, und nur ihr, die Aufgabe, Durchführungsmaßnahmen zu einer Grundverordenung zu treffen.

2.

Er spricht jedoch diese Übertragung mit einer Einschränkung aus.

Bei Nichtübereinstimmung zwischen dem Verwaltungsausschuß und der Kommission kann der Rat gewissermaßen seine Zuständigkeit zurücknehmen und die Frage selbst binnen Monatsfrist regeln, indem er die von der Kommission erlassenen Vorschriften aufhebt oder ändert.

Diese ganze Regelung halte ich mit Artikel 155 des Vertrages durchaus für vereinbar.

Kommen wir nun zu dem Argument, daß das Verwaltungsausschußverfahren, auch wenn es nicht gegen den Buchstaben des Vertrages verstößt, doch das im Vertrag vorgesehene institutionelle Gleichgewicht beeinträchtige.

Ich kann mich zu diesem Punkt nur dem anschließen, was Herr Jozeau-Marigné in dem vorerwähnten Bericht dazu ausführt, wo er, bevor er politische Vorbehalte macht, die rechtliche Vereinbarkeit der Verwaltungsausschußverfahrens mit dem Vertrag untersucht:

1.

Wenn der Rat nach Artikel 155 zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften der Kommission Exekutivbefugnisse überträgt, so kann er dies unter der Voraussetzung tun, daß diese Befugnisse in bestimmter Weise ausgeübt werden.

2.

Es gibt keine Unterordnung der Kommission unter den Ausschuß, da die Kommission die Herrschaft über ihren Vorschlag behält.

3.

Es liegt keine Verschiebung der Zuständigkeiten von der Kommission an den Rat vor, da es nach dem Vertrag der Rat ist, der die Ausübung dieser Zuständigkeiten der Kommission übertragen kann.

4.

Der Rat würde schließlich die ihm vom Vertrag gesteckten Grenzen nicht überschreiten, wenn er den Verwaltungsausschüssen eine echte Entscheidungsgewalt übertragen würde, was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist.

Ein Verfahren, bei dem es sich der Rat vorbehält, selbst in letzter Instanz zu entscheiden, ist dagegen als vertragsgemäß anzusehen.

Was schließlich die Rechte des Parlaments anbelangt, so steht fest, daß das durch die Verordnung Nr. 19 eingeführte Verwaltungsausschußverfahren an und für sich die Befugnisse des Parlaments nicht berührt.

Um sich hiervon zu überzeugen, braucht man nur die am 3. Oktober 1968 angenommene Entschließung zu lesen, worin das Parlament die Existenz und die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens anerkennt, wenngleich es für seine Anwendung politische und rechtliche Grenzen aufzeigt.

Ich bin daher der Auffassung, daß das durch Artikel 26 der Verordnung Nr. 19 eingeführte Verwaltungsausschußsystem weder gegen Artikel 155 des Vertrages noch gegen das durch den Vertrag geschaffene institutionelle Gleichgewicht verstößt.

Es bleibt ein letzter Punkt: Vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, der Sie hierzu befragt, war geltend gemacht worden, dieses Verfahren verstoße gegen Artikel 189 des Vertrages, der die verschiedenen Arten von Rechtsakten vorsieht, welche von der Kommission oder vom Rat erlassen werden können: Verordnungen, Richtlinien usw.

Ich vermag den Sinn dieses Einwands nicht recht zu verstehen, der im übrigen in der mündlichen Verhandlung von denjenigen, die ihn ursprünglich erhoben hatten, nicht wieder aufgegriffen wurde.

Wenn Artikel 155 des Vertrages dem Rat die Möglichkeit gibt, der Kommission die Befugnis zu übertragen, die Durchführungsmaßnahmen zu den von ihm selbst erlassenen Vorschriften zu treffen, so folgt daraus unausgesprochen aber zwingend, daß die Kommission diesen Maßnahmen die Form geben muß, die ihrer Rechtsnatur entspricht: die der Verordnung oder der Richtlinie. Ferner folgt daraus aber auch, daß der Rat dieselbe Form wählen wird, wenn er sich veranlaßt sieht, eine von der Kommission erlassene Vorschrift aufzuheben oder zu ändern.

Zusammenfassend schlage ich Ihnen daher vor, zu entscheiden, daß das in Artikel 26 der Verordnung Nr. 19 geregelte Verwaltungsausschußverfahren, nach dem die angefochtenen Verordnungen erlassen worden sind, dem Vertrag entspricht, insofern der Rat auf die Kommission nur die Befugnis übertragen hat, Durchführungsverordnungen zu den von ihm selbst erlassenen Grundverordnungen zu erlassen.

C — Und dies führt uns unmittelbar zu einer hilfsweise angebrachten dritten Reihe von Beanstandungen der äußeren Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnungen.

Diese Beanstandungen könnte man wie folgt zusammenfassen :

Selbst wenn man die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsausschuß Verfahrens einräume, habe die Kommission die angefochtenen Bestimmungen über die Kaution nicht nach diesem Verfahren erlassen können, weil zum einen die Einführung einer solchen Voraussetzung für die Erteilung der Lizenzen den Rahmen von Durchführungsmaßnahmen ganz erheblich überschreite und weil ferner, spezieller, der Rat in der Verordnung Nr. 19 ausdrücklich vorgeschrieben habe, daß diese Voraussetzung nur für Getreideeinfuhren, nicht aber, wie dies die beanstandeten Bestimmungen vorsehen, für Getreideausfuhren und -einfuhren sowie für Aus- und Einfuhren von Getreideerzeugnissen aufgestellt werden könne.

Der erste Teil dieser Argumentation erfordert nur eine kurze Bemerkung.

Er stützt sich hauptsächlich darauf, daß die Kaution einmal durch eigene Vorschriften des Rates eingeführt wurde, das andere Mal durch Vorschriften, welche die Kommission nach dem Verwaltungsausschußverfahren erlassen hat. Aus diesem Umstand allein ergibt sich aber meines Erachtens die Rechtswidrigkeit der nach dem Verwaltungsausschußverfahren erlassenen Vorschriften noch nicht, mag er auch hie und da einen gewissen Mangel an Folgerichtigkeit verraten.

Wie ich schon soeben ausgeführt habe und sogleich noch einmal zu bemerken Anlaß haben werde, steht es dem Rat völlig frei, sich den Erlaß einer Durchführungsmaßnahme vorzubehalten oder im Gegenteil die Aufgabe der Kommission zu übertragen.

Die Frage ist lediglich, ob die Einführung einer Kautionsregelung eine Durchführungsmaßnahme zu einer Grundverordnung ist oder nicht. Hierauf will ich im Zusammenhang mit der Verordnung Nr. 19 eingehen.

Artikel 16 der Verordnung Nr. 19 wirft hier eine heikle Frage auf, und ich will Ihnen nicht verhehlen, daß mir die Lösung, die ich Ihnen vorschlagen werde, viel Bedenken verursacht hat.

Artikel 16 beruht auf folgender Konzeption :

Nach Absatz 1 benötigt der Unternehmer für alle Ein- und Ausfuhren aller in Artikel 1 der Verordnung Nr. 19 genannten Erzeugnisse eine Lizenz.

Absatz 2 befaßt sich nur mit der Einfuhrlizenz für Getreide.

Er regelt die Gültigkeitsdauer dieser Lizenzen und das Verfahren, nach dem diese Dauer geändert werden kann.

Er bestimmt schließlich und vor allem, daß die Erteilung der Lizenz von der Stellung einer Kaution abhängig ist, welche die Verpflichtung zur Einfuhr während der Gültigkeitsdauer der Lizens sichert, und daß diese Kaution verfällt, wenn die Einfuhr nicht innerhalb dieser Frist erfolgt.

Der dritte Absatz verweist schließlich für den Erlaß der Durchführungsbestimmungen zu dem gesamten Artikel, insbesondere — wie es dort heißt — für die Festlegung der Gültigkeitsdauer der Einfuhrlizenz für alle in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 19 fallenden Erzeugnisse auf das Verfahren des Artikels 26.

Bei dieser Fassung kann man sich zu Recht die Frage vorlegen, ob der Rat die Verpflichtung zur Kautionsstellung nicht auf die Getreideeinfuhren, die er ausdrücklich nennt, beschränken wollte, und ob daher die Ausdehnung dieser Verpflichtung zum einen auf Getreideausfuhren und zum anderen auf Ein- und Ausfuhren von Getreideerzeugnissen nicht rechtswidrig ist.

Man kann sich dies umso mehr tragen, als nach den Ausführungen, die neulich in der mündlichen Verhandlung hierzu gemacht wurden, innerhalb des Rates anscheinend zwei Richtungen hervorgetreten sind, die der „Falken“, wenn man so sagen kann, die eine sehr umfassende und strenge Kautionsregelung wollten, und die der „Tauben“, die im Gegenteil Lösungen mit weniger Zwangscharakter befürworteten.

Sollte die schließlich erlassene Vorschrift nicht einen Kompromiß zwischen diesen beiden Richtungen darstellen, dergestalt, daß die Falken erreicht haben, daß die Kautionsregelung auf Getreideeinfuhren angewandt wird, während die Tauben das Zugeständnis durchgesetzt haben, daß die Regelung weder für Getreideeinfuhren noch für Ein- oder Ausfuhren von Getreideerzeugnissen eingeführt wurde?

Mit vielen Bedenken, wie gesagt, schlage ich Ihnen vor, die Frage zu verneinen, und zwar aus folgenden drei Gründen :

1.

Die Frage ist allein anhand des Verordnungstextes zu entscheiden, denn für diese Grundverordnung gibt es keine Materialien, die für die richterliche Auslegung maßgebend sein könnten.

2.

Artikel 16 Absatz 1 stellt unzweideutig den Grundsatz auf, daß der Unternehmer für jede Ein- oder Ausfuhr aller in Artikel 1 der Verordnung genannten Erzeugnisse, d.h. sowohl von Getreide als auch von Getreide- oder Veredelungserzeugnissen eine Einfuhr- oder Ausfuhrlizenz benötigt.

3.

Absatz 3 dieses Artikels überträgt schließlich der Kommission ausdrücklich die Aufgabe, nach dem Verfahren des Artikels 26 die Durchführungsbestimmungen zu den allgemeinen Vorschriften des Absatzes 1 zu erlassen. Ich bin für meinen Teil der Auffassung, daß die Einführung der Kaution im Grunde nichts anderes ist als die Festlegung einer notwendingen Vorausetzung für die Erteilung der in Artikel 16 Absatz 1 vorgesehenen Ein- oder Ausfuhrlizenzen, also eine Durchführungsbestimmung zu diesem Artikel.

Gewiß, die Stellung der Kaution und ihr Verfall bei Nichtdurchführung des Geschäftes sind für einige Fälle in der Grundverordnung, für andere in einer im sogenannten Verwaltungsausschußverfahren erlassenen Verordnung der Kommission vorgesehen.

Dieser Umstand ist aber für sich allein nicht ausschlaggebend, da es — wie ich soeben ausgeführt habe — dem Rat jederzeit freisteht, den Erlaß der Durchführungsmaßnahmen zu den Grundverordnungen in eigener Zuständigkeit zu behalten oder ihn der Kommission zu übertragen.

Das einzige Problem besteht darin, ob die Einführung einer Kautionsregelung wirklich eine „Durchführungsmaßnahme“ zu einer Verordnung ist, die das Erfordernis einer Ein- oder Ausfuhrlizenz aufstellt.

Ich bin dieser Auffassung, denn nachdem der Rat dieses Erfordernis aufgestellt hatte, waren die Voraussetzungen für die Erteilung der Lizenz unter dem Gesichtspunkt der äußeren Rechtmäßigkeit nur noch Durchführungsbestimmungen dazu, vorausgesetzt — und dies ist eine Frage der inneren Rechtmäßigkeit, die ich sogleich untersuchen werde —, daß diese Bestimmungen den Importeuren und Exporteuren keine Lasten aufbürdeten, die im Verhältnis zu den mit der Einführung der Einfuhrlizenz angestrebten Zielen unangemessen hoch waren.

Wenn Sie gleichfalls dieser Auffassung sind, was — ich räume es gern noch einmal ein — eine nicht ganz naheliegende Auslegung erfordert, dann werden Sie die Gültigkeit der beanstandeten Bestimmungen bejahen, welche die Kautionsregelung zum einen auf Getreideausfuhren und zum anderen auf Ausfuhren und Einfuhren derjenigen Erzeugnisse ausgedehnt haben, die außer dem Getreide in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 19 fallen.

Im schriftlichen Verfahren war noch ein dritter Einwand gegen die äußere Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen erhoben worden: Es wurde geltend gemacht, die Verordnungen, in denen diese Vorschriften enthalten sind, enthielten keine oder nur eine unzureichende Begründung.

Wenn Sie glauben, hierzu Stellung nehmen zu müssen, obwohl keines der deutschen Gerichte hierum ausdrücklich ersucht hat, genügt nach meiner Meinung die Feststellung, daß die umstrittenen Verordnungen tatsächlich und ausreichend mit Gründen versehen sind.

Damit sind die Fragen zur äußeren Rechtmäßigkeit der beanstandeten Bestimmungen abgeschlossen. Wenden wir uns nun denen zu ihrer inneren Rechtmäßigkeit zu.

II

Die Ihnen vorgelegten Fragen zur inneren Rechtmäßigkeit der beanstandeten Maßnahmen hängen alle mit einem einzigen Problem zusammen, ob nämlich diese Maßnahmen dem sogenannten Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“ genügen, wonach dem Bürger nur die zur Erreichung eines im Allgemeininteresse liegenden Zwecks unbedingt notwendigen Pflichten auferlegt werden dürfen.

Hier stellt sich aber sogleich die Vorfrage, aus welcher Rechtsquelle dieser Grundsatz seine Geltung herleiten muß, um einer Handlung der Gemeinschaftsbehörden entgegenstehen zu können. Hier treffen drei Auffassungen aufeinander :

1.

Die des Verwaltungsgerichts Frankfurt, die besagt, daß sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 12 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ergebe und Gemeinschaftsakte nicht gegen die Bestimmungen dieser Verfassung verstoßen dürften, eine These, aus der dieses Gericht alle Konsequenzen gezogen hat, denn es hat die jetzt vor Ihnen umstrittenen Bestimmungen schon früher als grundgesetzwidrig für ungültig erklärt, bis es Ihnen schließlich die Frage vorgelegt hat.

2.

Die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof angedeutete Auffassung, daß die Rechtsquelle des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im umgeschriebenen Gemeinschaftsrecht zu suchen sei, und zwar in den allgemeinen Grundsätzen dieses Rechts.

3.

Schließlich die Auffassung, die ich Ihnen unterbreiten will und nach der im vorliegenden Fall die Quelle für diesen Grundsatz in einer ausdrücklichen und sehr klaren Vertragsbestimmung zu suchen ist.

Auch wenn das Endergebnis das gleiche sein sollte, welcher Auffassung man auch folgt, müssen Sie sich meines Erachtens dennoch entscheiden, denn sonst bestünde die Gefahr, daß sich in den Mitgliedstaaten auseinanderlaufende oder gar einander widersprechende Rechtsprechungstendenzen entwickeln.

Eine erste Feststellung scheint mir zweifelsfrei zu sein: Die Auffassung, von der das Verwaltungsgericht Frankfurt sich hat verleiten lassen, ist ausdrücklich abzulehnen.

Die Rechtmäßigkeit einer Gemeinschaftshandlung kann nur am — geschriebenen oder ungeschriebenen — gemeinsamen Recht gemessen werden, niemals aber am nationalen Recht, auch wenn es sich um Verfassungsrecht handelt. Wie Sie in Ihrem Urteil Costa entschieden haben, können einem Akt der Gemeinschaft „wegen seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll“.

Dieser Grundsatz gilt nach Ihrer Rechtsprechung ohne Unterschied für alle innerstaatlichen Rechtsnormen, die herangezogen werden, und Sie haben namentlich bereits entschieden, daß die Gültigkeit einer Entscheidung der Gemeinschaft nicht am deutschen Grundgesetz geprüft werden kann (Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaften gg. Hohe Behörde, Slg. 1960/2, 887 ff.), insbesondere auch nicht an den Artikeln 2 und 12 dieses Grundgesetzes, die ja gerade auch im vorliegenden Fall herangezogen worden sind (Rechtssache 1/58, Stork & Co. gegen Hohe Behörde, Slg. 1959, 63).

Heißt dies nun, daß die Grundprinzipien der nationalen Rechtsordnungen für das Gemeinschaftsrecht bedeutungslos sind?

Sicherlich nicht, sie tragen zur Bildung des den Mitgliedstaaten gemeinsamen philosophischen, politischen und rechtlichen Substrats bei, auf dem sich im Wege richterlicher Fortbildung ein ungeschriebenes Gemeinschaftsrecht entwickelt, zu dessen wesentlichen Zielen gerade die Wahrung der individuellen Grundrechte gehört.

In diesem Sinn tragen die Grundprinzipien der nationalen Rechtsordnungen dazu bei, daß im Gemeinschaftsrecht selbst die erforderlichen Mittel gefunden werden können, um nötigenfalls die Grundrechte zu wahren, die gemeinsamer Besitz der Mitgliedstaaten sind.

Daß das Gemeinschaftsrecht aus sich heraus unter allen Umständen den Schutz der als Grundrechte anerkannten Menschenrechte gewährleisten kann, haben Sie bereits in Ihrem Urteil Stauder vom 12. November 1969 (Slg. 1969, 419 ff.) entschieden. Sie sollten dies, glaube ich, hier mit noch größerem Nachdruck erneut bekräftigen, denn der vorliegende Fall eignet sich hierfür ganz besonders.

Dann das hier geltend gemachte Grundrecht, das Recht des einzelnen darauf, daß seine Handlungsfreiheit nur in dem für das Allgemeininteresse erforderlichen Maße eingeschränkt wird, wird schon durch die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, deren Wahrung der Gerichtshof sichert, und durch eine ausdrückliche Vorschrift des Vertrages gewährleistet.

Durch die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts: das haben Sie in zumindest zwei Urteilen ausdrücklich entschieden: am 29. November 1956, Fédération charbonnière de Belgique, Slg. II 1955-1956, 311, und am 13. Juni 1958, Hauts Fourneaux de Chasse, Slg. 1958, 196 f.

Durch eine ausdrückliche Vertragsbestimmung, die des Artikels 40 in dem der Landwirtschaft gewidmeten Titel II, wonach die zur Erreichung der Ziele des Artikels 39 geschaffene gemeinsame Organisation der Märkte nur die zur Durchführung dieser Vorschrift erforderlichen Maßnahmen einschließen kann.

Wie Sie also sehen, meine Herren, werden Sie nicht nur keine Mühe haben, für das Recht, das vor Ihnen geltend gemacht worden ist, ausschließlich gemeinschaftsrechtliche Grundlagen zu finden, sondern Sie können sogar noch zweifeln, welche dieser Grundlagen heranzuziehen ist.

Ich für meinen Teil schlage Ihnen die aus dem geschriebenen Recht abgeleitete vor, weil ich der Auffassung bin, daß es einerseits eine bewährte Rechtsprechungsmethode ist, auf das ungeschriebene Recht nur zurückzugreifen, wenn das geschriebene unklar, unzureichend oder lückenhaft ist, und daß andererseits Artikel 40 des Vertrages in diesem Bereich die Rechte der einzelnen eindeutiger schützt als es die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts vermögen, da er sich nicht auf Ziele bezieht, die mehr oder weniger klar umschriebenen allgemeinen Interessen dienen, sondern konkreter auf die in Artikel 39 festgelegten Ziele.

Im Ergebnis bin ich daher der Auffassung, daß das Ihnen in sehr weiten und manchmal politisch-philosophischen Begriffen unterbreitete Problem sich auf eine einfachere Frage zurückführen läßt : „Haben die Gemeinschaftsorgane durch die Einführung der umstrittenen Kautionsregelung gegen Artikel 40 des Vertrages verstoßen, wonach nur die zur Erreichung der in Artikel 39 genannten Ziele des gemeinsamen Agrarmarktes erforderlichen Maßnahmen getroffen werden dürfen?“

Um diese Frage zu beantworten, sind meines Erachtens nacheinander zu prüfen :

1.

das Kautionssystem als solches;

2.

die Einzelheiten dieses Systems.

A —

Im Grundsätzlichen ist meines Erachtens die beanstandete Regelung nicht nur für ein normales Funktionieren des gemeinsamen Marktes für Getreide und Getreideerzeugnisse unbedingt erforderlich, sondern sogar, mag sie sich auch vervollkommnen lassen, die am wenigsten beschwerende Maßnahme, die sich zur Gewährleistung eines richtigen Funktionierens dieses Marktes vorstellen läßt.

Ich will versuchen, Ihnen dies zu beweisen, indem ich die Regelung in den Zusammenhang stelle, in den sie für ihre Beurteilung gestellt werden muß.

Die Marktorganisation für Getreide hat im wesentlichen den Zweck, den europäischen Produzenten unter Wahrung der sonstigen Ziele, die der Vertrag für die gemeinsame Politik festlegt, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten.

Sie sieht wirksame Stützungs- und Interventionsmittel für die Binnenmarkterzeugnisse vor.

Jedes Jahr wird zunächst ein Richtpreis festgesetzt, das heißt der Preis, den man für Geschäfte auf dem Binnenmarkt der Gemeinschaft anstrebt.

Ausgehend von diesem Richtpreis wird — etwas niedriger als er, damit der innergemeinschaftliche Handel nicht blockiert wird — ein Interventionspreis bestimmt. Dieser Interventionspreis ist gewissermaßen der den Produzenten garantierte Preis.

Schwankungen dieses Preises sind einer der Faktoren, die das Einschreiten der Interventionsstellen auslösen, und zwar entweder in Form von Käufen ohne mengenmäßige Begrenzung, zu denen sie verpflichtet sind, oder in Form von Beihilfen zur privaten Einlagerung oder schließlich durch mittelbare Verfahren wie die Denaturierung.

Es liegt auf der Hand, daß eine solche Regelung nur funktionieren kann, wenn sie durch zusätzliche Maßnahmen an den Grenzen der Gemeinschaft unterstützt wird, die den Außenhandel mit diesen Erzeugnissen beeinflussen.

Denn die ebensosehr nach sozialen wie nach wirtschaftlichen Zielsetzungen festgelegten Binnenpreise der Gemeinschaft liegen über den Weltmarktpreisen — von denen im übrigen bekannt ist, wie künstlich sie im allgemeinen sind und wie wenig sie den Idealpreisen eines vollkommenen Marktes entsprechen, wie ihn sich die liberale Volkswirtschaftslehre des 19. Jahrhunderts vorstellte.

Ohne Maßnahmen an den Gemeinschaftsgrenzen würde daher unfehlbar zweierlei eintreten :

1.

Keine Ausfuhren wären möglich, selbst dann nicht, wenn eine den Bedarf übersteigende Gemeinschaftserzeugung sie wünschenswert erscheinen ließe.

2.

Der Gemeinschaftsmarkt liefe Gefahr, mit Einfuhren aus dritten Ländern überschwemmt zu werden, diese würden die Preise drücken, die Interventionsstellen müßten einschreiten, und auf diese Weise würde das Aufkommen aus den Lasten, die zu übernehmen sich die Bürger der Mitgliedstaaten bereitgefunden haben, um ihre Landwirte zu unterstützen, unmittelbar oder mittelbar zugunsten der Erzeuger in dritten Ländern oder der Importeure von Getreide und Getreideerzeugnissen fehlgeleitet.

Ist sonach die Notwendigkeit von Maisnahmen an den Grenzen der Gemeinschaft unbestreitbar, so hat doch die Wahl dieser Maßnahmen im einzelnen diejenigen, die darüber zu entscheiden hatten, vor ein heilkes Problem gestellt.

Die einfachste Lösung hätte natürlich darin bestanden, einem Gemeinschaftsorgan oder für Rechnung der Gemeinschaft handelnden Organen das Außenhandelsmonopol vorzubehalten. Diese Organe hätten in vollständiger Kenntnis der Versorgungslage im Bedarfsfalle eingeführt, bei Überschüssen mit Verlust ausgeführt und sich bemüht, die gegensätzlichen Ergebnisse dieser beiden Geschäfte finanziell auszugleichen.

Eine andere mögliche Lösung wäre die gewesen, bei grundsätzlicher Erhaltung der Außenhandelsfreiheit je nach der Lage auf dem Binnenmarkt regelmäßig Aus- und Einfuhrkontingente festzusetzen.

Diese Lösungen, die von zahlreichen Fachleuten befürwortet wurden, hätten gewiß die erforderliche Kontrolle des Außenhandels mit der größten Sicherheit gewährleistet.

Aber sie wurden dennoch nicht gewählt, vielleicht weil sie nach Ansicht der zuständigen Stellen die Freiheit der Marktteilnehmer in einer vielen zur Erreichung der angestrebten Ziele nicht unbedingt erforderlich erscheinenden Weise behindert und eingeschränkt hätten.

Deshalb wurde eine viel elastischere Regelung gewählt, wahrhaft die am wenigsten mit Zwang verbundene, die sich denken läßt.

Kein Ein- oder Ausfuhrmonopol und keine Mengenkontrollen.

Eine Regelung, die ganz auf dem Grundsatz des Anreizes, nicht auf dem des Zwangs beruht.

Für die Ausfuhren nicht nur Freiheit, sondern auch, damit diese Freiheit nicht Theorie bleibt, eine Subvention: die „Erstattung“, die im großen und ganzen den Unterschied zwischen den Notierungen oder Preisen dieser Erzeugnisse in der Gemeinschaft und denen auf dem Weltmarkt ausgleicht.

Für die Einfuhren :

1.

Ein Schwellenpreis, den die Gemeinschaftsbehörden festsetzen und der grosso modo dem regional berichtigten Interventionspreis entspricht, ist der Mindestpreis, der beim Vertrieb der Erzeugnisse auf den Märkten der Gemeinschaft nicht unterschritten werden kann.

2.

Eine Einfuhrabgabe der Gemeinschaft, die „Abschöpfung“, die zum Unterschied von einem Zoll herkömmlicher Art veränderlich ist, entspricht grosso modo in den meisten Fällen dem Unterschied zwischen dem Schwellenpreis und dem Angebotspreis frei Grenze.

3.

Schließlich für Ein- und Ausfuhren die Möglichkeit einer Reihe von Schutzmaßnahmen, die es gestatten, auf dem Gemeinschaftsmarkt schnell die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, falls in diesem Mechanismus Störungen auftreten.

Daher, meine Herren, gibt es, abgesehen von akuten Krisenfällen, zur Gewährleistung des Marktgleichgewichts, das Artikel 39 ausdrücklich als eines der Ziele des gemeinsamen Agrarmarktes nennt, nur folgende Mittel :

die Erhebung der Abschöpfung,

die Gewährung der Erstattung.

Wenn das Angebot auf dem Gemeinschaftsmarkt die Nachfrage zu übersteigen droht, wird die Erstattung erhöht, um den Absatz der Überschüsse zu erleichtern.

Wenn die Nachfrage das Angebot zu übersteigen droht, wird die Abschöpfung gesenkt, um die Versorgungslücke der Gemeinschaft schließen zu können. Um jedoch die Abschöpfung oder die Erstattung in der, wenn man so sagen darf, rechten Richtung anzuwenden, sind bestimmte Daten notwendig :

Zunächst die über die Lage auf dem Binnenmarkt, die bei den engen Beziehungen zwischen den verantwortlichen Gemeinschaftsbehörden und den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten kein Problem bedeuten.

Aber auch die Kenntnis des Umfangs und der Konditionen der Ein- und Ausfuhren, welche die Marktteilnehmer, die hierbei völlig freie Hand behalten, während eines Bezugszeitraumes durchführen werden.

Bei Fehlen dieser letzteren Daten würde die Gemeinschaft mit ihren Maßnahmen für den Außenhandel im Dunkeln tappen. Die Gemeinschaftsbehörde würde zwar die internen Störungen des Marktgleichgewichts kennen, ihr wären aber die Entscheidungen der Marktteilnehmer unbekannt, die diese Gleichgewichtsstörungen verstärken oder vermindern können. Sie könnte daher nicht in der Richtung tätig werden, die das Marktgleichgewicht erfordert.

Aus diesem Grund ist es nicht nur erforderlich, sondern auch unerläßlich, will man die Wirtschaftsfreiheit der Importeure und Exporteure erhalten, ihre Geschäfte einerseits von der Erteilung einer Einfuhr- oder Ausfuhrlizenz abhängig zu machen und andererseits vorzusehen, daß diese Urkunde nicht eine unbestimmte Absichtserklärung verkörpert, sondern daß Voraussetzung für ihre Erteilung die durch eine Kaution abgesicherte Verpflichtung zur Ausführung des beschlossenen Geschäfts ist.

Stellt man daher das System der Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen in seinen richtigen Zusammenhang, so erscheinen die Verpflichtungen zur Ausführung des beschlossenen Geschäfts sowie die Kautionsregelung, die diese Verpflichtung absichert, in einem ganz anderen Lichte als dem, in dem einige sie haben darstellen wollen.

Es handelt sich keineswegs um eine Regelung, die eine Art rein statistischer Verpflichtung sichern soll, wie dies anscheinend das Verwaltungsgericht Frankfurt meint.

Es handelt sich keineswegs, wie man es Ihnen neulich suggerieren wollte, um eine Art Schikane, die den Marktteilnehmern von Bürokraten auferlegt worden wäre, die endlich ihre Tabellen über die voraussichtliche Entwicklung mit der Wirklichkeit übereinstimmen sehen möchten.

Es handelt sich hier um eine der wesentlichen Grundlagen der Getreidemarktorganisation, ohne welche die Gefahr bestände, daß entweder die Freiheit, die man den Marktteilnehmern erhalten wollte, in Anarchie und Chaos endete oder die verantwortlichen Behörden dazu genötigt wären, Zwangsmittel zu ergreifen.

Es handelt sich darüber hinaus — und dies ist eine Seite dieses Problems, die nicht außer acht gelassen werden darf — um ein Mittel, das erforderlich ist, damit die in der Erhöhung der Erstattung liegende Ausgabenerhöhung oder die in der Herabsetzung der Abschöpfung liegende Einnahmenminderung tatsächlich ausschließlich dem Interesse des Marktes dient und damit die Lasten, welche die Staaten der Gemeinschaft ihren Angehörigen für die Unterstützung des Agrarmarktes aufbürden, wirklich auch diesem Zweck dienen.

Die Pflichten, die diese Regelung den Importeuren und Exporteuren auferlegt, sind meines Erachtens das Mindestlösegeld, das unerläßliche Lösegeld für die Handlungsfreiheit, die ihnen gelassen worden ist.

Gewiß, man hat Ihnen nachzuweisen versucht, daß Ein- oder Ausfuhrlizenzen einerseits und Kautionen andererseits nicht untrennbar miteinander verbunden seien und weniger mit Zwang ausgestattete Verfahrensweisen denkbar seien, die im Hinblick auf das Marktgleichgewicht dennoch zu den gleichen Ergebnissen führten.

Eines dieser Verfahren ist im Beschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt geschildert, und der Prozeßbevollmächtigte der Getreidefirma hat es dieser Tage hier verteidigt. Es bestände bei Aufrechterhaltung des Erfordernisses einer Ein- oder Ausfuhrlizenz darin, den Importeur oder Exporteur, der sich schließlich entscheidet, das ursprünglich beschlossene Geschäft nicht vorzunehmen, bei Meidung einer Geldbuße nur zur Unterzeichnung einer Nichteinfuhr- oder Nichtausfuhrerklärung zu verpflichten.

Aber, meine Herren, wenn der Marktteilnehmer diese Erklärung bei der zuständigen Stelle abgäbe, wäre der Schaden bereits geschehen: Die zunächst beschlossene und jetzt annullierte Einfuhr wäre bei der Beurteilung der Marktlage bereits berücksichtigt worden.

Das hieße, wenn Sie mir eine in der französischen Umgangssprache gebräuchliche Ausdrucksweise gestatten, „die Türen des Pferdestalls zu schließen, nachdem die Pferde entlaufen sind“.

Zwar hat man Ihnen neulich in der mündlichen Verhandlung mit langen Ausführungen zu beweisen gesucht, daß auch die beanstandete Regelung nicht vollkommen sei und nicht in allen Fällen die vollständige Verwirklichung des erstrebten Zwecks ermögliche; mit anderen Worten, daß einige Pferde durch die halboffenen Schläge der Stalltür entkommen könnten, von der ich eben sprach.

Ich will das gerne glauben, meine Herren, aber gerade diese Unvollkommenheiten zeigen, daß nur eine mit mehr Zwang ausgestattete Regelung voll wirksam gewesen wäre und daß daher die umstrittene Regelung das „nicht mehr einschränkbare Mindestmaß“, wenn ich so sagen darf, an Zwang darstellt, das der Marktteilnehmer ertragen muß, wenn er die Freiheit zu solchen Geschäften behalten will.

Ich bin daher der Auffassung, daß die durch die angefochtenen Verordnungen geschaffene Regelung, die darin besteht, die Erteilung der Ein- und Ausfuhrlizenzen mit der Verpflichtung zur Durchführung des beschlossenen Geschäfts und mit der Stellung einer Kaution zu verknüpfen, welche die Durchführung dieser Verpflichtung sichern soll, im Prinzip für das Funktionieren des gemeinsamen Getreidemarkts in seiner jetzigen Organisationsform unbedingt erforderlich ist, daß also die Gemeinschaftsbehörden durch die Einführung dieser Regelung nicht gegen die Bestimmungen von Artikel 40 des Vertrages verstoßen haben.

Sie haben dies durch Ihr Urteil 4/68 vom 11. Juli 1968 mit Bezug auf den gemeinsamen Markt für Milcherzeugnisse bereits entschieden. Sie müssen meines Erachtens auch für den gemeinsamen Getreidemarkt so erkennen.

B —

Es bleibt noch zu prüfen, ob nicht einige Einzelheiten dieser Regelung zu weit gehen, ob sie nicht Maßnahmen sind, die den Marktteilnehmern aufzuerlegen Artikel 40 des Vertrages die Gemeinschaftsbehörden nicht ermächtigt.

In diesem Zusammenhang sind Ihnen zwei Fragen gestellt :

1.

Die erste bezieht sich darauf, daß nach Meinung einiger unterschiedliche Regelungen getroffen werden müßten für die beiden Arten der in den Verordnungen vorgesehenen Lizenzen :

die Ein- oder Ausfuhrlizenzen, für die der Abschöpfungs- oder Erstattungssatz der am Tag der Durchführung des Geschäfts geltende ist,

und die Ein- oder Ausfuhrlizenzen, für die der Abschöpfungs- oder Erstattungssatz vorbehaltlich einiger Anpassungen, die sich nach dem im Zeitpunkt der Durchführung des Geschäfts geltenden Schwellenpreis bestimmen, der am Tag des Lizenzantrages geltende ist.

Hierzu wird Ihnen folgende Argumentation vorgetragen :

Selbst wenn Sie davon ausgehen, daß die Lizenz- und Kautionsregelung den Marktteilnehmern im Prinzip nur den für die Marktorganisation unbedingt erforderlichen Zwang auferlegt, müßten Sie einräumen, daß die Regelung hinsichtlich der Lizenzen, für die der Abschöpfungs- oder Erstattungssatz der am Tag der Durchführung des Geschäfts geltende ist, nutzlos sei.

Für diese Lizenzen bestehe nämlich keine Spekulations- oder Mißbrauchsgefahr, es gebe keinen stichhaltigen Grund, ihre Erteilung von einer Kautionsstellung abhängig zu machen.

Diese Überlegung wäre zumindest teilweise annehmbar, wenn der einzige Zweck der beanstandeten Regelung darin bestände, die Finanzen der Gemeinschaft zu schützen. Die Lizenzen, um die es sich hier handelt, bedeuten aus dieser Sicht in der Tat eine geringere Gefahr des Mißbrauchs oder der „Fehlleitung“, wenn ich so sagen darf, als die Lizenzen, für welche die Abschöpfung oder Erstattung im voraus festgesetzt wird, und dies rechtfertigt, das sei nebenbei bemerkt, den Unterschied, der zwischen diesen beiden Geschäften hinsichtlich der Funktion der Kaution besteht, deren Verfall droht.

Aber der Schutz der Gemeinschaftsfinanzen ist, wie ich es Ihnen soeben zu zeigen versucht habe, nur einer der Gründe, welche die getroffene Regelung erforderlich machten.

Der andere ist nach meiner Meinung wichtiger, nämlich die Notwendigkeit einer möglichst präzisen, möglichst genauen Kenntnis der Entwicklung der Versorgungslage in der Gemeinschaft, damit Schwellenpreis, Abschöpfungssatz und Erstattungssatz entsprechend festgesetzt werden können.

Unter diesem Gesichtspunkt bildet aber die Gesamtheit der Ein- oder Ausfuhrlizenzen ein Ganzes, welche Klausel sie auch enthalten mögen. Hiervon einen Teil auszunehmen, zu gestatten, daß einige Lizenzen ohne den festen Entschluß zur Durchführung des damit verbundenen Geschäfts beantragt werden könnten, würde das ganze System der Vorausschau verfälschen, die — wie ich Ihnen soeben zu zeigen versucht habe — für die Lenkung des Marktes in seiner jetzigen sehr liberalen Organisationsform unerläßlich ist.

Ich bin daher der Auffassung, daß die Bestimmungen der Gemeinschaftsverordnungen, welche die beiden Lizenzarten von der Stellung einer Kaution abhängig machen, für die Organisation des Getreidemarktes erforderlich sind und somit nicht gegen die Vorschriften von Artikel 40 Absatz 3 des Vertrages verstoßen.

2.

Die zweite Frage, die Ihnen dazu gestellt wird, ob einige Einzelheiten der Kautionsregelung in gewisser Hinsicht „mißbräuchlich“ sind, bezieht sich auf die Vorschrift, wonach die Kaution nur bei Vorliegen höherer Gewalt nicht verfällt, wenn das Geschäft, für welches die Lizenz erteilt worden ist, nicht durchgeführt wird. Sie werden hier gefragt,

a)

ob Sie an Ihrer Rechtsprechung über den Begriff der „höheren Gewalt“ festhalten;

b)

ob die Gemeinschaftsbehörden, indem sie nur diese Ausnahme von der Regel, daß die Kaution bei Nichtdurchführung des Geschäfts verfällt, vorgesehen haben, nicht ihre Befugnisse überschritten und nicht den Marktteilnehmern eine strengere Regelung als notwendig aufgebürdet haben.

Zur Beantwortung der ersten Frage können Sie meines Erachtens nur die Erwägungen wiederholen, die Sie in Ihrem Urteil 4/68 vom 11. Juli 1968 (Slg. 1968, 562 ff.) dargelegt haben, auf das ich soeben anspielte und das sich wie folgt zussammenfassen läßt :

1.

Der Importeur oder Exporteur ist von der Verpflichtung zur Durchführung des Geschäfts, für das er die Lizenz beantragt hat, befreit, wenn außerhalb seines Einflusses liegende Umstände die fristgerechte Durchführung der Ein- oder Ausfuhr unmöglich machen.

2.

Dies setzt aber voraus,

a)

daß das Ereignis, welches das Geschäft unmöglich macht, ungewöhnlich ist;

b)

daß die Folgen dieses ungewöhnlichen Ereignisses nicht vermeidbar oder jedenfalls solcher Art waren, daß sie sich nur unter unverhältnismäßigen Nachteilen für den Inhaber der Ein- oder Ausfuhrlizenz vermeiden ließen.

Zur zweiten Frage, der nach der Gültigkeit der Vorschriften, welche die Erstattung der Kaution nur bei Vorliegen höherer Gewalt vorsehen, ist vor Ihnen geltend gemacht worden, die Strenge dieser Vorschriften stehe außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen. Sie müßten durch ein elastischeres System ersetzt werden, das insbesondere dem Verhalten des Lizenzinhabers und den Schwierigkeiten Rechnung trage, die ihm möglicherweise bei Durchführung des Geschäfts entstanden wären, für das er die Lizenz beantragt hatte.

Ich schlage Ihnen vor, dieses Vorbringen aus zwei Gründen zurückzuweisen.

Einmal spielt nach Ihrer Begriffsbestimmung der höheren Gewalt, welche die vom Importeur getroffenen Vorkehrungen, seine Sorgfalt und die Opfer berücksichtigt, die er hätte auf sich nehmen müssen, wenn er das Geschäft um jeden Preis durchgeführt hätte, das Verhalten des Importeurs eine große Rolle, eine größere als nach zahlreichen nationalen Rechtsordnungen.

All diese Faktoren geben dem nationalen Richter einen weiten Beurteilungsspielraum und die Regelung ist somit nicht so starr, wie einige vor Ihnen behauptet haben.

Vor allem aber liegt der Betrachtungsweise, die Ihnen im Zusammenhang mit dem Begriff der höheren Gewalt nahegelegt wird, das gleiche Prinzip zugrunde wie der Gleichstellung des Kautionsverfalls mit einer Sanktion, die abzulehnen ich Ihnen vorhin vorgeschlagen habe.

Weil man im Kautionsverfall eine Sanktion erblickt, sollen Sie entscheiden, daß er nur unter Berücksichtigung alles dessen ausgesprochen werden könne, was die Willensrichtung, den subjektiven Tatbestand und die übrigen Umstände betrifft, welche die Nichtdurchführung des Geschäfts erklären, für das die Lizenz erwirkt worden war.

Aber, meine Herren, wie ich bereits ausgeführt habe, die Kautionsregelung scheint mir keineswegs eine Sanktionsregelung zu sein. Für mich ist sie eine Regelung, welche die Erfüllung einer bei Erteilung der Lizenz eingegangenen Verpflichtung sichern soll, und daher haben die Gemeinschaftsbehörden zu Recht entschieden, dan nur höhere Gewalt denjenigen, der diese Verpflichtung eingegangen ist, von ihrer Erfüllung befreien kann.

Im Ergebnis bin ich zu den die innere Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen betreffenden Fragen der Auffassung, dan die dadurch geschaffene Kautionsregelung sowohl im Prinzip als auch in ihren Einzelheiten für das einwandfreie Funktionieren des Getreidemarktes in seiner bestehenden Organisationsform erforderlich und sogar unerläßlich ist und daß die Gemeinschaftsbehörden beim Erlaß dieser Vorschriften ihre Verpflichtungen aus Artikel 40 Absatz 3 des Vertrages in vollem Umfang eingehalten haben.

III

Befassen wir uns nun abschließend mit der dritten Reihe von Fragen, die sich aus diesen Rechtssachen ergeben: den Fragen, die sich auf die gemeinschaftsrechtliche Gültigkeit einer Kautionsregelung, die ein Mitgliedstaat schon vor Inkrafttreten der von der Kommission nach Artikel 16 Absatz 3 der Verordnung Nr. 19 erlassenen Durchführungsverordnungen eingeführt hat, sowie auf die Gültigkeit der Verordnung Nr. 87/62 beziehen.

Die Gründe, weshalb Sie über dieses Problem zu entscheiden haben, sind folgende :

Die Verordnung Nr. 19 erging am 4. April 1962 und trat am 21. April 1962 in Kraft.

Die am 25. Juli 1962 ergangene und am 30. Juli 1962 in Kraft getretene Verordnung Nr. 87 der Kommission sah in Artikel 7 vor :

„Die Erteilung von Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen für die in Artikel 1 der Verordnung Nr. 19 des Rates genannten Erzeugnisse ist von der Stellung einer Kaution abhängig. Vorbehaltlich des Artikels 8 verfällt diese Kaution ganz oder teilweise, wenn die Verpflichtung zur Einfuhr oder Ausfuhr nicht erfüllt worden ist. Bis zu ihrer Harmonisierung nach dem Verfahren des Artikels 26 der Verordnung Nr. 19 des Rates werden die Einzelheiten für die Stellung und den Verfall sowie die Höhe der Kaution von den Mitgliedstaaten festgesetzt und der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten unverzüglich mitgeteilt.

Die Bundesrepublik legte einen außergewöhnlichen Eifer an den Tag: Bereits am 26. Juli 1962 wurde in Deutschland ein Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 verkündet, das mit Wirkung vom 30. Juli 1962 eine Kautionsregelung für die Erteilung der Ein- und Ausfuhrlizenzen für Getreide und Getreideerzeugnisse nach Modalitäten vorsah, die im großen und ganzen den später in die Gemeinschaftsverordnung aufgenommenen Vorschriften entsprachen.

Diese Eile erschien einigen fragwürdig. Daher hat Ihnen in der Rechtssache 30/ 70 der Hessische Verwaltungsgerichtshof sowohl in Form einer Vorlage zur Auslegung von Artikel 16 der Verordnung Nr. 19 und Artikel 7 der Verordnung Nr. 87 als auch in Form eines Ersuchens um Vorabentscheidung über die Gültigkeit dieser letzteren Verordnung hierzu eine Frage gestellt.

Diese — sehr umständlich gefaßte — Frage könnte wie ein Ersuchen um Prüfung der Vereinbarkeit des deutschen Gesetzes vom 26. Juli 1962 mit dem Gemeinschaftsrecht aussehen, eine Prüfung, die Sie nach Ihrer ständigen Rechtsprechung nicht vornehmen können.

Aber meines Erachtens müssen Sie die Frage auslegen und können sie, dem Vorschlag der Kommission entsprechend, wie folgt verstehen :

Hatten die Mitgleidsstaaten nach Artikel 16 der Verordnung Nr. 19 und Artikel 7 der Verordnung Nr. 87 vor Erlaß einer Gemeinschaftsregelung zu diesem Punkt das Recht, die Einzelheiten über Stellung, Verfall und Höhe der Kaution für Einfuhrlizenzen zu regeln ?

Bevor ich untersuche, welche Antwort Sie auf diese Frage werden geben müssen, erscheint mir eine Vorbemerkung notwendig.

Vom Inkrafttreten der Verordnung Nr. 87 an, welche die Kautionsregelung einführt und den Kautionsverfall bei Nichtdurchführung des Geschäfts vorsieht, für das die Lizenz erteilt worden ist, beruht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zum Erlaß der zur Durchführung dieser Bestimmungen notwendigen Maßnahmen auf einer ausdrücklichen und völlig eindeutigen Rechtsgrundlage, nämlich auf Artikel 7 letzter Absatz der Verordnung Nr. 87, der ihnen eben diese Zuständigkeit zuerkennt.

Daher ist das von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens aufgeworfene und ausgiebig erörterte Problem, ob in Ermangelung dieser ausdrücklichen Vorschrift oder unabhängig von ihr die Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet eine originäre Rechtsetzungsbefugnis hatten, wie ich meine, nur von theoretischem Interesse; es wird keiner Entscheidung bedürfen, wenn Sie die Ihnen vorgelegte Frage nach der Gültigkeit der Verordnug Nr. 87 bejahen.

Zur Rechtmäßigkeit der Bestimmungen von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 87 ist geltend gemacht worden, diese Bestimmungen seien rechtswidrig, weil sie

zum einen nach dem sogenannten Verwaltungsausschußverfahren erlassen worden seien;

zum anderen sowohl gegen bestimmte allgemeine Grundsätze des Vertrages von Rom als auch gegen die Vorschriften des Artikels 16 der vom Rat erlassenen Verordnung Nr. 19 verstießen.

Das Vorbringen zu diesen beiden Punkten ist aber meines Erachtens aus folgenden Gründen zurückzuweisen :

1.

Zum ersten Teil dieses Vorbringens — angebliche Rechtswidrigkeit der Verordnung Nr. 87, weil sie nach dem sogenannten Verwaltungsausschußverfahren ergangen ist — kann ich nur auf das bereits oben Gesagte Bezug nehmen.

2.

Zur Unvereinbarkeit der Vorschriften von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 87 mit den allgemeinen Grundsätzen des Vertrages und des Gemeinschaftsrechts ist folgendes zu sagen :

a)

Es wird ein allgemeiner Rechts grundsatz herangezogen, wonach die Gemeinschaftsbehörden gewissermaßen verpflichtet wären, einen Gemeinschaftsmarkt erst zu verwirklichen, wenn er in allen Einzelheiten und für das gesamte Hoheitsgebiet der Gemeinschaft durch Gemeinschaftsverordnungen geregelt werden kann.

Wie ich Ihnen jedoch sogleich zeigen will, gilt im Gegenteil der Grundsatz, daß zur Sicherung des Gleichgewichts und des. Funktionierens des Gemeinschaftsmarktes geeigneten Maßnahmen schrittweise verwirklicht werden.

b)

Zweitens wird der Grundsatz der Nichtdiskriminierung herangezogen, der ausschließe, daß die Mitgliedstaaten Durchführungsmaßnahmen treffen könnten, weil die Gefahr bestehe, daß diese Maßnahmen voneinander abwichen.

Man darf indessen nicht Diskriminierung mit Verschiedenheit der Rechtslage in den einzelnen Staaten zusammenwerfen; Nichtdiskriminierung und vorherige vollständige Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften dürfen nicht gleichgesetzt werden.

Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung gilt nur, wenn dieselbe Behörde gegenüber Personen in gleicher oder ähnlicher Lage unterschiedliche Maßnahmen ergreift.

Er kann daher nicht mit Erfolg herangezogen werden, wenn nicht eine Behörde, sondern verschiedene Behörden die Maßnahmen getroffen haben.

c)

Schließlich wird geltend gemacht, diese Vorschriften bürdeten den Marktteilnehmern übermäßige Lasten auf; aber auch in diesem Punkt erübrigt es sich nach meiner Auffassung, noch einmal auf meine obigen Ausführungen zurückzukommen.

3.

Was die Unvereinbarkeit der beanstandeten Bestimmungen der Verordnung Nr. 87 der Kommission mit Artikel 26 der Ratsverordnung Nr. 19 anbelangt, so wirft das Vorbringen ein schwierigeres Problem auf.

Wie Sie wissen, bestimmt Artikel 16 Absatz 3 : „Nach dem Verfahren des Artikels 26 werden die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel erlassen; insbesondere wird die Gültigkeitsdauer der Einfuhrlizenz … festgelegt.“ Dies hat also durch die Kommission nach Stellungnahme des Verwaltungsausschusses zu geschehen.

Man darf sich natürlich die Frage vorlegen, ob der Wortlaut dieser Vorschrift es nicht der Kommission und gegebenenfalls dem Rat vorbehält, alle Voraussetzungen für die Erteilung der Ein- oder Ausfuhrlizenzen festzulegen.

Nach meiner Auffassung zwingt die grammatische Auslegung der Vorschrift nicht zu einer solchen Lösung und wird diese Lösung durch eine teleologische Auslegung der Vorschrift sogar ausgeschlossen.

Zur grammatischen Auslegung ist dabei zu bemerken :

Erste Bemerkung: Wie die Kommission hervorhebt, bestimmt die Vorschrift keineswegs, daß alle Durchführungsmaßnahmen zu Artikel 16 der Verordnung Nr. 19 nur nach dem Verwaltungsausschußverfahren erlassen werden können; man kann die Vorschrift dahin verstehen, daß nur einige, die wichtigsten Maßnahmen nach diesem Verfahren zu erlassen sind.

Dies ist in der Tat auch geschehen, denn die Kommission hat mit der Verordnung Nr. 87 die Verpflichtung zur Kautionsstellung eingeführt und den Kautionsverfall vorgesehen, wenn das Aus- oder Einfuhrgeschäft nicht verwirklicht wird, den Mitgliedstaaten dagegen nur ergänzende Maßnahmen überlassen.

Zweite Bemerkung: Es ist außerdem und vor allem zu unterstreichen, daß die Verbform des Indikativ Präsens klar zeigt, daß die Verfasser des Vertrages hauptsächlich an allgemeine, im Rahmen der vollständigen Marktorganisation ergehende Maßnahmen, nicht notwendig an alle zur schrittweisen Verwirklichung der Marktorganisation erforderlichen Übergangsmaßnahmen gedacht haben.

So genügt schon der Wortlaut der Vorschrift nicht, ihr den Sinn zu geben, den ihr die Klägerin des Ausgangsverfahrens beimißt.

Der Geist, der den Wortlaut aufhellen muß, führt im Gegenteil dazu, diese Auslegung abzulehnen.

Wiederum ist die beanstandete Bestimmung in ihrem Zusammenhang zu sehen. Welches ist nun dieser Zusammenhang ?

Einerseits eine allgemeine Vorschrift, die des Artikels 40 Absatz 1 des Vertrages, wonach die Mitgleidstaaten die gemeinsame Agrarpolitik schrittweise während der Übergangszeit entwickeln (während dieser Zeit ist die angefochtene Vorschrift ergangen) ;

andererseits eine noch allgemeinere Vorschrift, die des Artikels 5 Absatz 1 des Vertrages, wonach „die Mitgliedstaaten … [der Gemeinschaft] die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern“;

schließlich drittens: die Gemeinschaftsverordnung Nr. 19, die eben diese Grundsätze uneingeschränkt anwendet, indem sie die schrittweise Einführung der von ihr vorgesehenen Mechanismen in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten vorsieht, deren Zuständigkeiten während dieser Übergangszeit nach und nach eingeschränkt werden.

Sieht man die Dinge in diesem Zusammenhang, so haben meines Erachtens ganz abgesehen davon, daß jede andere Lösung die Einführung doch wesentlicher Bestimmungen der gemeinsamen Marktorganisation beträchlich verzögert haben würde, die Verfasser der Verordnung Nr. 87 die Bestimmungen des Vertrages und der Verordnung Nr. 19 keineswegs verletzt, sondern sie im Gegenteil im Geiste ihrer Urheber angewandt, indem sie die Kaution und ihren Verfall bei Nichtdurchführung des Geschäfts grundsätzlich vorgesehen, dann aber bestimmt haben, daß der „Rest“, wenn man so sagen darf, der Durchführungsmaßnahmen von den Mitgliedstaaten erlassen werde.

Zum Abschluß dieser schon zu langen Ausführungen will ich die Gedanken, die ich ihnen vorgetragen habe, in einigen Sätzen noch ordnen, wie es den Ihnen von den deutschen Gerichten gestellten Fragen entspricht.

Ich beantrage also, diese Fragen wie folgt zu beantworten :

1.

Das in Artikel 26 der Verordnung Nr. 19 des Rates vom 4. April 1962 vorgesehene Verfahren entspricht dem Vertrag.

2.

Die Prüfung der Fragen, die der Hessische Verwaltungsgerichtshof und das Verwaltungsgericht Frankfurt dem Gerichtshof vorgelegt haben, hat nichts ergeben, was die Gültigkeit des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 87 der Kommission vom 25. Juli 1962, der Artikel 1 und 7 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 102/64 der Kommission vom 28. Juli 1964, des Artikels 12 Absatz 3 der Verordnung Nr. 120/67 des Rates vom 13. Juli 1967 oder schließlich des Artikels 9 der Verordnung Nr. 473/67 der Kommission vom 21. August 1967 berühren könnte.

3.

Nach Artikel 16 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 19 des Rates vom 4. April 1962 war es nicht unzulässig, daß ein Mitgliedstaat gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 87 die Durchführungsbestimmungen zu den Vorschriften der Verordnungen Nr. 19 und 87 über die Kaution erließ.


( 1 ) Aus dem Französischen übersetzt.