EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 7.12.2022
SWD(2022) 396 final
ARBEITSUNTERLAGE DER KOMMISSIONSDIENSTSTELLEN
BERICHT ÜBER DIE FOLGENABSCHÄTZUNG (ZUSAMMENFASSUNG)
[…]
Begleitunterlage zur
Vorschlag für eine Richtlinie
zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts
{COM(2022) 702 final} - {SEC(2022) 434 final} - {SWD(2022) 395 final}
Handlungsbedarf
Insolvenzverfahren sollen die geordnete Abwicklung oder Restrukturierung von Unternehmen in finanzieller und wirtschaftlicher Notlage sicherstellen. Die EU hat im Bereich der Insolvenz bereits Rechtsvorschriften erlassen. Die geltenden EU-Rechtsvorschriften umfassen jedoch nur Maßnahmen im Vorfeld einer Insolvenz und im Bereich der Entschuldung (erfasst von der kürzlich erlassenen Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) und Vorschriften über das anwendbare Recht in grenzüberschreitenden Insolvenzfällen (niedergelegt in der Insolvenzverordnung). Infolgedessen bestehen nach wie vor erhebliche Unterschiede im materiellen Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten.
Die großen Unterschiede zwischen den nationalen Insolvenzregelungen stellen ein bedeutendes Hindernis für den Binnenmarkt für Kapital in der EU dar. Sie stellen grenzübergreifende Anleger vor Schwierigkeiten, die Informationen über 27 Insolvenzregelungen einholen und imstande sein müssen, sie zu vergleichen, um sie bei ihren Investitionsentscheidungen (auch in Bezug auf die Kapitalkosten) zu berücksichtigen. Darüber hinaus unterscheiden sich die nationalen Insolvenzregelungen nach wie vor im Hinblick auf die Effizienz, insbesondere in Bezug auf die Zeit, die für die Liquidation eines Unternehmens benötigt wird, und den Wert, der schließlich zurückerlangt werden kann. Die im Rahmen dieser Folgenabschätzung analysierten Datenquellen deuten darauf hin, dass die Verfahren in einigen Mitgliedstaaten viel stärker unter Verzögerungen leiden und zu deutlich weniger effizienten Ergebnissen führen als die am besten funktionierenden Verfahren in der EU. Diese Divergenz steht in einem engen Zusammenhang mit der geringen Vorhersehbarkeit des Ausgangs von Insolvenzverfahren, was zu höheren mit der Informationsbeschaffung und dem Lernprozess verbundenen Kosten für Anleger führt und ein erhebliches Hindernis für grenzübergreifende Investitionen darstellt. Dies verhindert letztlich eine effiziente Bereitstellung von Kapital und behindert die Entwicklung der Kapitalmarktunion.
Dieser Vorschlag knüpft an Maßnahme 11 des Aktionsplans zur Kapitalmarktunion von 2020 an, in der sich die Kommission verpflichtet hat, für mehr Berechenbarkeit bei den Ergebnissen grenzübergreifender Investitionen mit Blick auf Insolvenzverfahren zu sorgen. Er zielt darauf ab, bestimmte Aspekte des materiellen Rechts im Bereich der Unternehmensinsolvenz (Nichtbanken) zu harmonisieren, um die Effizienz der Insolvenzregelungen zu steigern und die Gläubigern mit Schuldnern in anderen Mitgliedstaaten aufgrund der fehlenden Harmonisierung entstehenden Kosten im Zusammenhang mit der Informationsbeschaffung und dem Lernprozess zu verringern. Hierdurch sollen außerdem grenzübergreifende Investitionen und der Wettbewerb erleichtert und zugleich das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts gemäß Artikel 114 AEUV gewährleistet werden.
Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage in den Mitgliedstaaten sowie unterschiedlicher nationaler Rechtstraditionen und politischer Präferenzen ist es trotz einiger in den letzten Jahren eingeleiteter Reformen unwahrscheinlich, dass Reformen auf nationaler Ebene im Bereich des materiellen Insolvenzrechts eine ausreichende Annäherung bewirken würden. Daher sind Maßnahmen auf europäischer Ebene erforderlich, um sicherzustellen, dass das Problem gelöst wird.
Mögliche Lösungsansätze
Zwei Maßnahmenpakete wurden auf der Grundlage von Beiträgen einer Expertengruppe für Restrukturierung und Insolvenzrecht, einer speziellen Studie und des Austauschs mit Interessenträgern bestimmt. Diese Informationsquellen sowie die Daten aus der von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde im Jahr 2020 durchgeführten Benchmark-Untersuchung und die Indikatoren der Studie „Doing Business“ der Weltbank wurden auch verwendet, um die Optionen zu vergleichen und ihre Auswirkungen zu bewerten. Die beiden in Betracht gezogenen Optionen sind eine gezielte Harmonisierung (Option 1) und eine umfassendere Harmonisierung (Option 2), die beide über eine Richtlinie umgesetzt würden. Die Option, nur eine Empfehlung abzugeben, wurde verworfen, da es unwahrscheinlich ist, dass sie das festgestellte Problem löst.
Die vorgeschlagenen Optionen fassen die drei wesentlichen Dimensionen des Insolvenzrechts ins Auge: i) Verwertung der Vermögenswerte bei Liquidierung der Insolvenzmasse, ii) Effizienz der Verfahren und iii) Berechenbarkeit und gerechte Verteilung des zurückerlangten Werts unter den Gläubigern. Sie decken insbesondere Fragen im Zusammenhang mit der Anfechtung von Geschäften, dem Aufspüren von Vermögenswerten, den Pflichten und der Haftung der Unternehmensleitung, dem Verkauf eines Unternehmens als fortgeführtes Unternehmen (Pre-pack-Verfahren), dem Insolvenzauslöser, einer besonderen Insolvenzregelung für Kleinst- und Kleinunternehmen, der Rangfolge der Forderungen sowie Gläubigerausschüssen ab. Option 2 umfasst alle von der Option 1 erfassten Elemente, ergänzt durch ehrgeizigere Maßnahmen in Bezug auf die drei oben genannten wesentlichen Dimensionen.
In der Analyse werden die Optionen im Hinblick auf drei Ziele bewertet: i) ermöglichen sie einen höheren Verwertungswert, ii) verkürzen sie die Dauer der Insolvenzverfahren, und iii) verringern sie die Rechtsunsicherheit und die Kosten für die Informationsbeschaffung. Bei der Analyse wurden auch ihre Kostenwirksamkeit und Kohärenz sorgfältig geprüft.
Auswirkungen der bevorzugten Option
Basierend auf dem Vergleich von Effektivität und Effizienz wird Option 1 (gezielte Harmonisierung durch eine Richtlinie) als bevorzugte Option ausgewählt. Die detaillierte Analyse ergab, dass eine umfassendere Harmonisierung (Option 2) in Bezug auf zwei der drei Ziele einen größeren Nutzen bringen würde, dies jedoch auch mit höheren Kosten verbunden wäre, insbesondere im Hinblick auf potenzielle Unvereinbarkeiten mit anderen Rechtsvorschriften (Eigentumsrecht, Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht). Die gezielte Harmonisierung (Option 1) würde vergleichbare Vorteile (wie Option 2) bringen, jedoch auf kosteneffizientere Weise.
Es wird erwartet, dass die bevorzugte Option erhebliche wirtschaftliche Vorteile für Anleger (Gläubiger), Unternehmen, einschließlich KMU, und im Allgemeinen für die Gesamtwirtschaft erbringt. Die Gläubiger werden insbesondere von einer erwarteten höheren Verwertung sowie von reduzierten Kosten im Zusammenhang mit der Informationsbeschaffung und dem Lernprozess profitieren. Anleger aus Drittländern werden in den Genuss ähnlicher Vorteile kommen, was Investitionen in der EU für sie attraktiver macht. Unternehmen in der gesamten EU werden sich einheitlicheren Insolvenzregelungen und einer geringeren Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Konsequenzen einer Insolvenz gegenübersehen. Kleinst- und Kleinunternehmen werden direkt von der Schaffung einer besonderen erleichterten Insolvenzregelung profitieren, die ihren Bedürfnissen besser gerecht wird.
Die qualitative und quantitative Bewertung deutet darauf hin, dass die gezielte Harmonisierung zu einer erheblichen Reduzierung sowohl der Beitreibungskosten als auch der hierfür benötigten Zeit führen könnte. Dies dürfte zu einer Erhöhung der Befriedigungsquoten um etwa 1,5 Prozentpunkte führen, was bei Extrapolation empirischer Schätzungen in Wirtschaftsstudien zu einer Verringerung der Finanzierungskosten um 1,5 Basispunkte und einer Erhöhung der Vermögensbestände grenzüberschreitender Portfolios um etwa 1,5 Prozentpunkte führen könnte. Bei einer Quantifizierung auf der Grundlage verfügbarer Daten und plausibler Annahmen wird erwartet, dass der direkte und indirekte Nutzen 10 Mrd. EUR jährlich übersteigt. Die Gesamtkosten dürften indessen begrenzt sein (und würden größtenteils den Mitgliedstaaten zufallen). Außerdem werden einige indirekte Kosten für Unternehmen aufgrund einer höheren Haftung der Unternehmensleitung erwartet. Der Vorschlag kann sich auch positiv, wenn auch geringfügig, auf die Digitalisierung, den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft und die Ziele für nachhaltige Entwicklung auswirken.