16.3.2023 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 100/105 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten“
(COM(2022) — 245 final)
(2023/C 100/16)
Berichterstatter: |
Ionuț SIBIAN |
Befassung |
Europäische Kommission, 27.10.2022 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft |
Annahme in der Fachgruppe |
23.11.2022 |
Verabschiedung im Plenum |
14.12.2022 |
Plenartagung Nr. |
574 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
208/0/2 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Die vorgeschlagene Richtlinie trägt der Notwendigkeit gebührend Rechnung, den Anwendungsbereich der Einziehungsmechanismen auszuweiten, die Zuständigkeiten der nationalen Behörden zu stärken und Mechanismen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit einzuführen, um die Quote der Vermögensabschöpfung zu erhöhen. |
1.2. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert die Europäische Kommission auf, bezüglich der Ergänzung des Anwendungsbereichs der Einziehungsmechanismen um weitere Straftaten zu präzisieren und sicherzustellen, dass die Schleusung von Migranten und der unerlaubte Handel mit Tabakerzeugnissen in den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie fallen. |
1.3. |
Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, der Frage nachzugehen, wie die vorgeschlagene Richtlinie auf Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der EU angewandt werden könnte. Er hält in diesem Bereich gesonderte Rechtsvorschriften für erforderlich. Die vorgeschlagene Richtlinie sollte es den Vermögensabschöpfungsstellen ermöglichen, ihre Handlungsfähigkeit ohne die Übertragung weiterer Zuständigkeiten zu stärken. |
1.4. |
Der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen sollte unbeschadet der laufenden Vermögensabschöpfungsverfahren gewährleistet werden. Der EWSA schlägt vor, in der vorgeschlagenen Richtlinie ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die nationalen Behörden und die Europäische Kommission verpflichtet sind, regelmäßig umfassende Statistiken über die im Rahmen der Richtlinie ergriffenen Maßnahmen zu veröffentlichen und die Informationen öffentlich zugänglich zu machen. |
1.5. |
Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten nationale Strategien zur Vermögensabschöpfung unter umfassender Berücksichtigung von Transparenz und Zugänglichkeit annehmen. |
1.6. |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission nachdrücklich auf, während des Umsetzungsprozesses alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um in Vermögensabschöpfungsverfahren Missbrauch bei Maßnahmen zur Einziehung ohne vorherige Verurteilung zu verhindern. |
1.7. |
Der neu eingeführte Mechanismus zur Gewährleistung der Einziehung von Vermögenswerten, die nicht unmittelbar mit einer in der Richtlinie aufgeführten Straftat in Verbindung steht, sondern auf einem Verdacht auf gesetzeswidrige Aneignung bzw. kriminelle Aktivitäten beruht, erfordert strengere Standards für die Verfahrensrechte und -garantien der Angeklagten. |
1.8. |
Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Bestimmung bezüglich der Verwendung von Vermögenswerten für soziale Zwecke in der vorgeschlagenen Richtlinie zu überdenken. Die Mitgliedstaaten sollten aufgefordert werden, Mechanismen zu schaffen, in deren Rahmen Organisationen der Zivilgesellschaft prioritär in die Verwaltung und Veräußerung eingezogener Vermögensgegenstände einbezogen werden. Die Kommission sollte Ziele festlegen und in diesem Zusammenhang einen Mindestprozentsatz für die Verwendung eingezogener Vermögensgegenstände für soziale Zwecke vorsehen. Unter öffentlichem Interesse sollten nicht nur Maßnahmen verstanden werden, die in den Zuständigkeitsbereich öffentlicher Einrichtungen fallen. |
1.9. |
Der EWSA hält es für sehr wichtig, dass die Kommission das Recht der Opfer auf Entschädigung präziser festlegt und in der Rangfolge der Gläubiger den Opfern Vorrang einräumt. |
1.10. |
Der EWSA unterstützt den in der vorliegenden Richtlinie enthaltenen Vorschlag der Kommission, in jedem Mitgliedstaat mindestens eine Vermögensabschöpfungsstelle einzurichten. Diese müssen mit den erforderlichen Ressourcen ausgestattet werden, damit sie ihre Aufgabe effizient und wirksam erfüllen können. Um einen Mindeststandard für die Arbeitsweise der Vermögensabschöpfungsstellen in der gesamten EU zu gewährleisten, sollte die Europäische Kommission eine regelmäßige Berichterstattung über die in den einzelnen Mitgliedstaaten zugewiesenen Ressourcen verlangen. |
1.11. |
Der EWSA würdigt das Ziel, die Nutzung des Mechanismus der vorzeitigen Verwertung durch die Einführung einer Referenzdefinition und die Festlegung der entsprechenden Voraussetzungen auszuweiten. Gleichzeitig könnte der Standard „nicht ohne Weiteres verfügbares Expertenwissen“ zu „unverhältnismäßig schwierig zu beschaffendes Expertenwissen“ optimiert werden. Die vorzeitige Verwertung sollte das letzte Mittel in Bezug auf die Verwendung für soziale Zwecke bleiben, da die eingezogenen Mittel für die Entschädigung der Opfer verwendet werden könnten. |
1.12. |
Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, in der vorgeschlagenen Richtlinie das Mandat der Vermögensabschöpfungs- und -verwaltungsstellen mit einschlägigen Bestimmungen über Vereinbarungen über die Aufteilung der Vermögenswerte zu ergänzen. |
1.13. |
Nach Auffassung des EWSA ist es notwendig, konkretere Instrumente zur Unterstützung von Beamten in Drittländern vorzusehen und die Mitgliedstaaten aktiv dazu anzuhalten, mit den Drittländern zusammenzuarbeiten, um die in der vorgeschlagenen Richtlinie vorgesehenen Mechanismen der Vermögensabschöpfung zu maximieren. Gleiches gilt für die Umsetzung der rechtlichen Mittel und Instrumente, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass die Opfer von Straftaten in Drittstaaten uneingeschränkt Anspruch auf Entschädigung haben. |
1.14. |
Der EWSA empfiehlt der Kommission, Leitlinien herauszugeben für den Abgleich der zu ersetzenden Rechtsvorschriften mit der zu erlassenden Richtlinie. Es gilt, Maßnahmen zu fördern, die die Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie in die nationale Rechtsordnung erleichtern und die nationalen Behörden in die Lage versetzen, die Richtlinie rasch an ihre Rechtsvorschriften anzugleichen. |
1.15. |
Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission zudem, die mit der vorgeschlagenen Richtlinie eingeführten Instrumente der vergleichenden Datenerhebung zu nutzen, um transparente Überwachungsmechanismen unter Beteiligung der Zivilgesellschaft zu schaffen und spätestens drei Jahre nach Annahme der Richtlinie eine Bewertung ihrer Auswirkungen durchzuführen. |
2. Hintergrund
2.1. |
Die Abschöpfung von Vermögenswerten ist für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (d. h. von Aktivitäten im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität) von entscheidender Bedeutung. Die organisierte Kriminalität beruht auf der Erwirtschaftung von Gewinnen, die anschließend gewaschen und in die legale Wirtschaft eingeschleust werden, wodurch die Zahl der Opfer steigt, die Marktregeln verzerrt und die Untergrabung der Finanzmärkte sowie die Generierung von Verlusten für Einzelpersonen und Unternehmen endlos fortgesetzt werden. Die Rechtsrahmen für die Vermögensabschöpfung und die Instrumente der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit müssen überarbeitet und entschlossener durchgesetzt werden. In der EU werden lediglich rund 2 % der Vermögenswerte aus Straftaten sichergestellt und rund 1 % wird eingezogen (1). |
2.2. |
Die erste spezifische EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (2) wurde im April 2021 angenommen und befasste sich mit der Bedrohung, die die organisierte Kriminalität für die Unionsbürgerinnen und -bürger, die staatlichen Institutionen und die Wirtschaft insgesamt darstellt. Eine der Säulen der Strategie ist der Ausschluss von Erträgen aus der organisierten Kriminalität und Verhinderung des Eindringens in die legale Wirtschaft und Gesellschaft („Follow-the-Money“ — Orientierung an den Geldflüssen). Die Kommission wurde aufgefordert, Maßnahmen zur Überarbeitung der Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung (3) und des Beschlusses des Rates über Vermögensabschöpfungsstellen (4) zu ergreifen. |
2.3. |
Der EWSA ist sich der Zunahme der organisierten Kriminalität und der damit zusammenhängenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kosten seit einiger Zeit voll bewusst und ist darüber besorgt. Die Arbeit des EWSA steht im Einklang mit seinem Auftrag. Seine Stellungnahmen (5) zu Themen im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität haben dazu beigetragen, dass die europäischen Gesetzgeber die Bürgerinnen und Bürgern mittels der organisierten Zivilgesellschaft stärker befähigt und ihnen eine größere Relevanz verliehen haben. Die Vermögensabschöpfung ist Teil des größeren legislativen Ökosystems der EU, das zur Förderung der opferorientierten Justiz beitragen soll, die die betroffenen Gruppen benötigen, um den durch Straftaten verursachten Schaden zu begrenzen. |
2.4. |
In der Bewertung (6) des derzeitigen Rechtsrahmens für die Vermögensabschöpfung heißt es, dass mit Blick auf die eingezogenen Vermögenswerte die Ergebnisse trotz der allgemeinen Verbesserung der Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten insgesamt nicht zufriedenstellend und die Einziehungsquoten in der EU nach wie vor sehr niedrig sind. Das Aufspüren und Ermitteln von Vermögenswerten ist ein Schlüsselfaktor, um die Erfolgsquote zu verbessern und mehr illegal erworbene Vermögenswerte sicherzustellen und einzuziehen. Bei der Überarbeitung der Rechtsvorschriften sollte der Anwendungsbereich der Abschöpfung illegaler Vermögenswerte ausgeweitet und die Zahl der entsprechenden Instrumente erhöht werden. Darüber hinaus sollten die Kapazitäten der nationalen Abschöpfungsstellen verbessert werden (7). |
2.5. |
Die strategischen Optionen für die Überarbeitung des Rahmens für die Vermögensabschöpfung waren Gegenstand einer öffentlichen Konsultation 2021. Im März 2021 wurde eine Folgenabschätzung in der Anfangsphase (8) veröffentlicht, auf die vom 21. Juni bis zum 27. September 2021 eine öffentliche Konsultation der breiten Öffentlichkeit und der Interessenträger folgte. Im Folgenabschätzungsbericht wurden vier politische Optionen analysiert und vorgestellt (9):
|
2.5.1. |
In der Folgenabschätzung wurde festgestellt, dass Option 3 am besten geeignet ist, da sie das beste Gleichgewicht zwischen Wirksamkeit, Effizienz und Verhältnismäßigkeit auf der einen und den verschiedenen absehbaren wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen auf der anderen Seite bietet. |
2.6. |
Am 25. Mai 2022 schlug die Kommission eine neue Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten vor, die die geltende Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung, den Beschluss des Rates über Vermögensabschöpfungsstellen und den Rahmenbeschluss 2005/212/JI des Rates (10) ersetzen soll. Ziel ist es, gemeinsame Standards für das Aufspüren und die Ermittlung, Sicherstellung, Verwaltung und Einziehung von Vermögenswerten in einem einzigen Rechtsakt festzulegen. Dies würde einen kohärenteren und strategischeren Ansatz für alle maßgeblichen Akteure innerhalb des Systems zur Vermögensabschöpfung sicherstellen. |
3. Allgemeine und besondere Bemerkungen
3.1. |
Der allgemeine Ansatz der vorgeschlagenen Richtlinie steht im Einklang mit ihren Zielen, die Kompetenzen der zuständigen Behörden zu stärken, um erstens illegal erworbene Vermögenswerte zu ermitteln, sicherzustellen und zu verwalten, zweitens die Möglichkeiten zur Einziehung illegal erworbener Vermögenswerte zu stärken und auszuweiten, und drittens die Zusammenarbeit zwischen allen an der Vermögensabschöpfung beteiligten Behörden zu verbessern. |
3.2. |
Die vorgeschlagene Richtlinie dürfte die Mechanismen zur Vermögensabschöpfung effizienter und wirksamer machen, da sie grundlegende Mindestvorschriften für das Aufspüren und die Ermittlung, Sicherstellung, Einziehung und Verwaltung von Vermögensgegenständen in Strafsachen vorschreibt. Erforderlichenfalls dürfte sie auch die Umsetzung restriktiver Maßnahmen der EU erleichtern. Die vorgeschlagene Richtlinie sollte jedoch durch zusätzliche Rechtsvorschriften und Maßnahmen bei Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der EU ergänzt werden. Die Kommission sollte sorgfältig prüfen, wie eine Schwächung der Kapazitäten der Vermögensabschöpfungsstellen zur Erfüllung ihres Kernmandats verhindert werden kann. |
3.3. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die vorgeschlagene Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Verabschiedung einer nationalen Strategie zur Vermögensabschöpfung einen stärker strategisch ausgerichteten Ansatz in diesem Bereich schaffen, eine engere Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden fördern und einen klaren Überblick über die Ergebnisse der Vermögensabschöpfung geben wird. |
3.4. |
Dank des erweiterten Anwendungsbereichs der Einziehungsmechanismen werden die nationalen Justizbehörden die erweiterte Einziehung auf ein breiteres Spektrum von Straftaten anwenden können, als dies im Rahmen der derzeit geltenden Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung möglich ist. Der EWSA begrüßt den erweiterten Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie. Denn damit wird nun eine in der Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung bestehende Lücke in Bezug auf eine Reihe wichtiger Straftaten geschlossen, so u. a. Umweltkriminalität, Organhandel, rechtswidriger Handel mit Kulturgütern, Entführung, Freiheitsberaubung bzw. Geiselnahme, Handel mit gestohlenen Fahrzeugen, soweit die Straftat von einer kriminellen Vereinigung begangen wurde. Schleuserkriminalität und der unerlaubte Handel mit Tabakerzeugnissen werden trotz der beträchtlichen jährlichen Einnahmen dieser kriminellen Märkte (schätzungsweise entsprechend 289,4 Mio. bzw. 8 309,3 Mio. EUR (11)) in der vorgeschlagenen Richtlinie allerdings nicht ausdrücklich genannt. |
3.5. |
Durch die Gewährung des sofortigen und direkten Zugangs der zuständigen Behörden zu den Informationen anderer nationaler Behörden (Steuer- und Finanzämter, nationale Immobilienregister u. a.) werden die Vermögensabschöpfungsstellen wirksamer und rechtzeitiger handeln und reagieren können. Gleichzeitig sollte der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen unbeschadet laufender Verfahren sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene gewährleistet werden. |
3.6. |
In der vorgeschlagenen Richtlinie wird die Liste der Fälle für Einziehungsmaßnahmen ohne vorherige Verurteilung bei Vorliegen einer Straftat auf andere Fälle ausgeweitet, in denen eine strafrechtliche Verurteilung aufgrund objektiver Umstände wie Immunität, Amnestie oder Verjährung nicht möglich ist. Der EWSA würdigt die Bemühungen der Kommission, Einschränkungen für diese Fälle vorzusehen, da sie missbraucht oder für Zwecke von Belästigung oder Verfolgung verwendet werden können. |
3.7. |
Die vorgeschlagene Richtlinie sieht einen neuen Mechanismus zur Einziehung von Vermögenswerten vor, die nicht unmittelbar mit einer in der Richtlinie aufgeführten Straftat in Verbindung steht, sondern auf einem Verdacht auf gesetzeswidrige Aneignung bzw. kriminelle Aktivitäten beruht. Obwohl der Entziehungsentscheidung ein gerichtliches Verfahren vorausgehen muss und die Beweislast für einen Zusammenhang zwischen dem Vermögenswert und einer kriminellen Tätigkeit aufseiten der Anklage liegt, sind mehr Garantien erforderlich, um jedweden möglichen Missbrauch während des Verfahrens auszuschließen. Die nationalen Gerichte verfolgen unterschiedliche Ansätze, von der zivilrechtlichen bis hin zur strafrechtlichen Einziehung. Die vorgeschlagene Richtlinie sollte Standards für die Verfahrensrechte und Garantien von Angeklagten umfassen und sicherstellen, dass Richter und Staatsanwälte angemessen geschult werden. |
3.8. |
Die in der Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung festgelegte Bestimmung über die Verwendung für soziale Zwecke ist von begrenzter Wirkung. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten stärker ermutigt werden, angemessene Maßnahmen vorzusehen, um die Wirksamkeit der Bestimmung zu gewährleisten. Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, ehrgeizigere Anstrengungen zu unternehmen, um eingezogene Vermögenswerte wirksam für soziale Zwecke zu verwenden und hierfür einen Mindestprozentsatz für die Mitgliedstaaten festzulegen. Für den sozialen Zusammenhalt ist es von größter Bedeutung, dass die betroffenen Gruppen unmittelbar Schadensersatzleistungen erhalten und von den Erträgen aus dem Schaden profitieren. Darüber hinaus benötigen die betroffenen Gruppen eine bessere Unterstützung, um stärker gegen organisierte Kriminalität gewappnet zu sein. Zudem muss die Zivilgesellschaft in die Verwaltung und Veräußerung der eingezogenen Vermögenswerte eingebunden werden. |
3.9. |
Gemäß der Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung wird das Recht der Opfer auf Entschädigung durch die Einziehungsmaßnahmen nicht berührt. In der vorgeschlagenen Richtlinie wird allerdings der Entschädigung der Opfer in der Gläubigerrangfolge immer noch kein Vorrang eingeräumt. Gleichzeitig sind Bürgerinnen und Bürger aus Drittländern durch die vorgeschlagene Richtlinie und andere EU-Rechtsvorschriften nicht ausreichend geschützt, weil sich diese nur auf die EU-Bürger beziehen. |
3.10. |
In der Folgenabschätzung wird auf folgende Defizite hingewiesen: fehlende Informationen bezüglich der Rolle der Vermögensabschöpfungsstellen und unzureichende personelle, finanzielle und technische Ressourcen für das Aufspüren von Vermögenswerten. In der vorgeschlagenen Richtlinie wird diesen Erkenntnissen Rechnung getragen und festgelegt, dass in jedem Mitgliedstaat mindestens eine Vermögensabschöpfungsstelle eingerichtet werden muss. Die ausdrückliche Verpflichtung, angemessene Ressourcen bereitzustellen, um die Wirksamkeit und Effizienz der Vermögensabschöpfungsstellen sicherzustellen, wird begrüßt. Diese Verpflichtung sollte allerdings mit einer regelmäßigen Berichterstattung der nationalen Ebene an die Kommission über die zugewiesenen Ressourcen einhergehen, damit die Kommission beurteilen kann, ob das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Vermögensabschöpfungsstellen beeinträchtigt ist oder gänzlich fehlt. |
3.11. |
Die die Kosten für die Verwaltung sichergestellter und/oder eingezogener Vermögenswerte könnten beträchtlich sein bzw. den Wert des betreffenden Vermögensgegenstands sogar übersteigen. Die vorgeschlagene Richtlinie sieht vor, dass die zuständigen Behörden die Kosten bewerten müssen, bevor sie eine Sicherstellungsentscheidung erlassen. Der EWSA begrüßt diese Maßnahme als effizientes und nützliches Instrument, mit dem die anfallenden Kosten gesenkt und der spätere Wert des Vermögensgegenstands maximiert werden sollen. |
3.12. |
Der Mechanismus der vorzeitigen Verwertung kann in bestimmten Fällen angewandt werden, die nun in der vorgeschlagenen Richtlinie aufgeführt sind, und wird voraussichtlich zu einer wirksameren Verwaltung der eingefrorenen Vermögenswerte beitragen. Auch wenn der Mechanismus den meisten Mitgliedstaaten zur Verfügung steht, wird er nur in einem geringen Umfang und sehr unterschiedlich genutzt. Durch die Einführung einer einheitlichen Definition und die Festlegung der Bedingungen für die Inanspruchnahme in der vorgeschlagenen Richtlinie wird der Mechanismus nun wahrscheinlich öfter eingesetzt. |
3.13. |
Eines der großen Defizite bei der Verbesserung der Wirksamkeit des Systems ist das Fehlen umfassender und vergleichbarer Statistiken. In diesem Zusammenhang sieht die vorgeschlagene Richtlinie vor, dass alle Mitgliedstaaten ein Register für die Vermögensabschöpfung einrichten, das während des gesamten Prozesses der Vermögensabschöpfung von den zuständigen Behörden verschlüsselte Informationen erfasst. |
3.14. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vereinheitlichung aller einschlägigen Rechtsvorschriften für die Vermögensabschöpfung in einer einzigen Richtlinie mit dem Programm der Kommission zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT) im Einklang steht. Es wird den zuständigen Behörden und Interessenträgern helfen, die Vorschriften besser zu verstehen und die Umsetzung und Wirksamkeit von Maßnahmen zur Erhöhung der Quote bei der Abschöpfung unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte in den nationalen Rechtsordnungen zu verbessern. |
3.15. |
Vermögensverwaltungsstellen sind spezialisierte Stellen, die in jedem Mitgliedstaat eingerichtet oder benannt werden. Ihre Aufgabe ist es, die effiziente Verwaltung sichergestellter und eingezogener Vermögensgegenstände zu gewährleisten und mit anderen zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, die entweder auf nationaler Ebene oder in grenzüberschreitenden Fällen für die Aufspürung, Ermittlung, Sicherstellung, Einziehung und Verwaltung zuständig sind. In der vorgeschlagenen Richtlinie werden die Funktion und die Aufgaben der Behörden genauer festgelegt und den Mitgliedstaaten mehr Klarheit bei der Festlegung ihrer Infrastruktur für die Vermögensabschöpfung geboten. |
3.16. |
Die Veräußerung oder Rückgabe von Vermögenswerten in grenzüberschreitenden Verfahren sollte Gegenstand von Vereinbarungen über die Aufteilung der Vermögenswerte zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten sein. In Bezug auf die für den Abschluss solcher Vereinbarungen zuständige Art der Behörde bzw. das einschlägige Verfahren kann es zwischen den nationalen Systemen beträchtliche Unterschiede geben. Die vorgeschlagene Richtlinie enthält diesbezüglich keine spezifischen Bestimmungen. Deshalb sollten die einschlägigen Zuständigkeiten ausdrücklich den Vermögensabschöpfungs- und -verwaltungsstellen übertragen werden. |
3.17. |
Die Zusammenarbeit mit Drittländern ist besonders wichtig, da die organisierte Kriminalität auch außerhalb der EU existiert und erhebliche Risiken für die innere Sicherheit der EU darstellt. Da die organisierte Kriminalität stärker vernetzt, international und digital geworden ist, muss sichergestellt werden, dass die Behörden in Drittländern in der Lage sind, mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten. Zur weiteren Durchsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie sollten verschiedene Hilfs- und Unterstützungsinstrumente in Betracht gezogen werden. |
3.18. |
Die von der Kommission vor Annahme des Richtlinienvorschlags verwendeten Konsultationsinstrumente waren inklusiv und wurden in Bezug auf Dauer und Methoden der Vielfalt der Interessenträger gerecht: zuständige Behörden, Fachleute, Unternehmensverbände, Organisationen der Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit. Der EWSA würdigt die Bemühungen der Kommission, zuverlässige Daten und Informationen über den Stand und die Fortschritte bei der Abschöpfung illegal erworbener Vermögenswerte in den Mitgliedstaaten und in der EU insgesamt zur Verfügung zu stellen. Ähnliche Anstrengungen werden erwartet, wenn die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt und ihre Umsetzung bewertet wird. |
Brüssel, den 14. Dezember 2022
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) Europol, Does crime still pay? Criminal Asset Recovery in the EU — Survey of statistical information 2010-2014, 2016.
(2) Mitteilung der Kommission über eine EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021–2025, (COM(2021) 170 final, 14.4.2021).
(3) Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union (ABl. L 127 vom 29.4.2014, S. 39).
(4) Beschluss 2007/845/JI des Rates vom 6. Dezember 2007 über die Zusammenarbeit zwischen den Vermögensabschöpfungsstellen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Aufspürens und der Ermittlung von Erträgen aus Straftaten oder anderen Vermögensgegenständen im Zusammenhang mit Straftaten (ABl. L 332 vom 18.12.2007, S. 103).
(5) Zu den einschlägigen EWSA-Stellungnahmen gehören u. a.: Stellungnahme zum Paket zur Sicherheitsunion (ABl. C 323 vom 26.8.2022, S. 69), eine Reihe von Stellungnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche, zuletzt zum Legislativpaket zur Bekämpfung der Geldwäsche 2021 (ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 89), Stellungnahme zur EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 2021-2025 (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 91), Stellungnahme zur Stärkung des Mandats von Europol (ABl. C 341 vom 24.8.2021, S. 66, Stellungnahme zur Überwachung von Barmitteln, die in die Union oder aus der Union verbracht werden (ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 22), Stellungnahme zur Europäischen Sicherheitsagenda (ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 51) und Stellungnahme zum offenen und sicheren Europa (ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 96).
(6) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat „Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten: Straftaten dürfen sich nicht auszahlen“ (COM(2020) 217 final).
(7) Im Einklang mit den „Schlussfolgerungen des Rates zur Verbesserung der Finanzermittlungen zur Bekämpfung der schweren und organisierten Kriminalität“, Ratsdokument 8927/20 vom 17. Juni 2020.
(8) Ihre Meinung zählt: Bekämpfung der organisierten Kriminalität — Stärkung des Mandats der EU-Vermögensabschöpfungsstellen.
(9) Europäische Kommission, IMPACT ASSESSMENT REPORT Accompanying the document Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on asset recovery and confiscation, (2022).
(10) Rahmenbeschluss 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten (ABl. L 68 vom 15.3.2005, S. 49).
(11) Europäische Kommission, Generaldirektion Migration und Inneres, Mapping the risk of serious and organised crime infiltrating legitimate businesses: final report, Disley, E. (editor), Blondes, E. (editor), Hulme, S. (editor), Amt für Veröffentlichungen, 2021.