18.3.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 91/1


Bekanntmachung über Instrumente zur Bekämpfung geheimer Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und über Leitlinien für die Anwendung des entsprechenden Ausschlussgrundes

(2021/C 91/01)

Inhaltsverzeichnis

1.

EINLEITUNG 3

1.1.

Problematik 3

1.2.

Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Problems 4

1.3.

Bisherige Anstrengungen zur Lösung des Problems geheimer Absprachen 5

2.

INSTRUMENTE AUF EU-EBENE ZUR BEKÄMPFUNG VON ABSPRACHEN 5

2.1.

Die politische Verpflichtung, Maßnahmen zu treffen 5

2.2.

Die Leitprinzipien für die Erfüllung dieser Verpflichtung 6

2.3.

Der Zweck dieser Bekanntmachung 7

3.

UNTERSTÜTZUNG DER MITGLIEDSTAATEN UND DER ÖFFENTLICHEN AUFTRAGGEBER 7

4.

VERBESSERUNG DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN NATIONALEN ZENTRALEN VERGABE- UND WETTBEWERBSBEHÖRDEN 8

5.

LEITLINIEN FÜR ÖFFENTLICHE AUFTRAGGEBER ÜBER DIE ANWENDUNG DER AUSSCHLUSSGRÜNDE WEGEN WETTBEWERBSVERZERRENDER ABSPRACHEN LAUT ARTIKEL 38 ABSATZ 7 BUCHSTABE E DER RICHTLINIE 2014/23/EU, ARTIKEL 57 ABSATZ 4 BUCHSTABE D DER RICHTLINIE 2014/24/EU UND ARTIKEL 80 ABSATZ 1 DER RICHTLINIE 2014/25/EU 10

5.1.

Geltende Rechtsvorschriften und ihre bisherige Umsetzung 10

5.2.

Umfang des Ausschlussgrundes im Zusammenhang mit wettbewerbsverzerrenden Absprachen: Erfassung der abgestimmten Verhaltensweisen und des Zusammenspiels mit dem Ausschlussgrund wegen schwerer Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit 12

5.3.

Die Zuständigkeit der öffentlichen Auftraggeber für die Anwendung des Ausschlussgrundes: großer Ermessensspielraum und Grenzen des Beurteilungsspielraums 13

5.4.

Der Begriff „hinreichend plausible Anhaltspunkte“: welche Sachverhalte als „Anhaltspunkte“ angesehen werden können, was unter „Anhaltspunkten“ – im Gegensatz zu „Nachweisen“ – zu verstehen ist und wie mit Anträgen auf Anwendung der Kronzeugenregelung umzugehen ist 14

5.5.

Verbundene Unternehmen, die an demselben Vergabeverfahren teilnehmen: das Recht von Wirtschaftsteilnehmern, bei denen der Verdacht geheimer Absprachen besteht, ihre Unabhängigkeit bei der Angebotsabgabe nachzuweisen 17

5.6.

Gemeinsame Gebote und Unterauftragsvergabe: sorgfältige, aber ausgewogene Bewertung durch den öffentlichen Auftraggeber 18

5.7.

Von Wirtschaftsteilnehmern getroffene „Selbstreinigungsmaßnahmen“ im Sinne von Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie: das Recht der Wirtschaftsteilnehmer, ihre Zuverlässigkeit nachzuweisen, und die Notwendigkeit einer angemessenen Bewertung der vorgebrachten Argumente durch die öffentlichen Auftraggeber 19

5.8.

Die Bedeutung der Unterrichtung bzw. Hinzuziehung der Wettbewerbsbehörde oder anderer beteiligter zentraler Behörden durch die öffentlichen Auftraggeber 20

5.9.

Festlegung der Bedingungen für den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers gemäß Artikel 57 Absatz 7 der Richtlinie 21
ANHANG 23
Mittel und Tipps zur wirksamen Bekämpfung geheimer Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge 23

1.   EINLEITUNG

1.1.   Problematik

Die Vergabe öffentlicher Aufträge ist eine der konkretesten Formen öffentlicher Ausgaben, da ihr Zweck darin besteht, Bauleistungen, Waren oder Dienstleistungen bereitzustellen, die von den Bürgern und Bürgerinnen unmittelbar genutzt werden (z. B. Straßen oder Flughäfen, in Krankenhäusern verwendete Materialien oder öffentliche Busdienste). Die öffentliche Auftragsvergabe macht einen erheblichen Teil des BIP der EU-Mitgliedstaaten (1) aus und spielt für das Wirtschaftswachstum, den sozialen Fortschritt und die Verwirklichung des zentralen Ziels eines Staates — seinen Bürgerinnen und Bürgern hochwertige Dienste zur Verfügung zu stellen — eine entscheidende Rolle. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass öffentliche Gelder auf die effizienteste, transparenteste, verantwortungsvollste und fairste Weise ausgegeben werden, dass sie hochwertige öffentliche Dienste in Anspruch nehmen und öffentlichen Einrichtungen letztlich weiterhin ihr Vertrauen schenken können.

Im öffentlichen Auftragswesen bezieht sich der Begriff „geheime Absprachen“ (häufig auch als „Angebotsabsprachen“ bezeichnet) auf rechtswidrige Vereinbarungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern mit dem Ziel, den Wettbewerb in Vergabeverfahren zu verzerren. Solche kollusiven Absprachen zwischen Wirtschaftsteilnehmern können verschiedene Formen annehmen, beispielsweise die vorherige Festlegung des Inhalts ihrer Angebote (insbesondere des Preises), um das Ergebnis des Verfahrens zu beeinflussen, die Unterlassung der Einreichung eines Angebots, die Aufteilung des Marktes auf der Grundlage der geografischen Lage, des öffentlichen Auftraggebers oder des Auftragsgegenstands oder die Einführung von Rotationssystemen für eine Reihe von Verfahren. Ziel all dieser Praktiken ist es, einen im Voraus bestimmten Bieter in die Lage zu versetzen, sich einen Auftrag zu sichern und dabei gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, dass das Verfahren tatsächlich nach den Grundsätzen des Wettbewerbs verläuft.

Geheime Absprachen schwächen in erster Linie die Vorteile eines fairen, transparenten, wettbewerbsbestimmten und investitionsorientierten Marktes für öffentliche Aufträge, da sie den Zugang von Unternehmen zu diesem Markt hemmen und die Wahlmöglichkeiten für öffentliche Auftraggeber einschränken. In einem von Absprachen betroffenen Markt für öffentliche Aufträge werden gesetzestreue Wirtschaftsteilnehmer in der Regel davon abgehalten, an den jeweiligen Vergabeverfahren teilzunehmen oder in Projekte des öffentlichen Sektors zu investieren. Dies wirkt sich besonders schädlich auf Unternehmen aus, die ihren Geschäftsbetrieb ausbauen möchten oder müssen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen. Ebenso schädlich sind geheime Absprachen für Unternehmen, die über die Fähigkeiten und die Einsatzbereitschaft verfügen, innovative Lösungen zur Erfüllung der Bedürfnisse des öffentlichen Sektors zu entwickeln. Geheime Absprachen sind schon lange als wesentlicher Risikofaktor für effiziente öffentliche Ausgaben bekannt und werden entsprechend behandelt. Schätzungen zufolge treiben geheime Absprachen die Kosten, die öffentlichen Auftraggebern im Vergleich zu dem entstehen, was sie unter normalen Marktbedingungen zahlen würden, um bis zu 60 % (2) in die Höhe. Selbst ein einziger Fall von Kollusion bedeutet für den europäischen Steuerzahler bei einem Vergabeverfahren mit einem Volumen von mehreren Millionen Euro überhöhte Zahlungen in Millionenhöhe; dies geht zulasten des Grundsatzes effizienter und nachvollziehbarer öffentlicher Ausgaben.

Geheime Absprachen sind ein wiederkehrendes Phänomen auf den Märkten für öffentliche Auftragsvergaben (unter anderem in wichtigen Wirtschaftssektoren wie Bauwesen, IT oder Gesundheit). Fälle von geheimen Absprachen werden in allen Teilen der Welt einschließlich der EU-Mitgliedstaaten (3) regelmäßig festgestellt, untersucht und verfolgt (verwaltungsrechtlich und in vielen Fällen auch strafrechtlich). In Notsituationen wie der COVID-19-Pandemie kann die dringende Notwendigkeit von Behörden, in sehr kurzer Zeit große Mengen an Material und Dienstleistungen für ihre Gesundheitssysteme zu beschaffen, das Risiko kollusiver Absprachen zwischen Wirtschaftsteilnehmern verschärfen, wenn diese versuchen, die Notlage auszunutzen und den Wettbewerb künstlich einzuschränken, damit sie ihre Gewinne zulasten der öffentlichen Finanzen maximieren können. Die negativen Auswirkungen geheimer Absprachen auf die öffentlichen Finanzen können sich in der Zeit nach solchen Notsituationen, also wenn die wirtschaftliche Erholung zu einem großen Teil von der bestmöglichen Nutzung der verfügbaren öffentlichen Mittel und von umfangreichen Investitionen in kritische Wirtschaftssektoren abhängt, noch stärker bemerkbar machen. Unangemessene Ausgaben überhöhter Beträge für Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen bedeuten, dass weniger öffentliche Mittel für die Durchführung staatlicher Kernaufgaben zur Verfügung stehen, dass größere Haushaltsdefizite entstehen und dass sich für die Staaten die Notwendigkeit der Kreditaufnahme verschärft, mit der Folge, dass ihre Finanzstabilität gefährdet und ihre Bemühungen um einen Wiederaufschwung untergraben werden. Darüber hinaus schadet die zögerliche Haltung von Unternehmen, sich auf Märkten, die von geheimen Absprachen betroffen sind, an Projekten des öffentlichen Sektors zu beteiligen, den Bemühungen, private Infrastrukturinvestitionen anzuziehen (z. B. bei Konzessionen, die eine private Kapitalbeteiligung erfordern).

Im EU-Recht (4) wird in Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auf Absprachen zwischen Wirtschaftsteilnehmern eingegangen; in diesem Artikel werden Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken und geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, ausdrücklich verboten. Darüber hinaus sind seit der 2014 erfolgten Annahme der jüngsten Generation von EU-Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe hinreichend plausible Anhaltspunkte für geheime Absprachen nunmehr ausdrücklich ein fakultativer Grund für den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von einem Vergabeverfahren (5).

1.2.   Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Problems

Die Aufdeckung und Bewältigung von geheimen Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge stellt die nationalen Behörden vor besondere Herausforderungen. Rechtswidrige Absprachen zwischen Wirtschaftsteilnehmern zur Kollusion sind per definitionem geheim und werden in den meisten Fällen sehr sorgfältig nach einem ausgeklügelten System durchgeführt. Es gibt Anzeichen dafür, dass Kollusion in vielen (wenn nicht sogar in den meisten) Fällen während des Vergabeverfahrens unentdeckt bleibt und in der Regel erst lange nach der vollständigen Erfüllung des Vertrags von den zuständigen Behörden aufgedeckt und strafrechtlich verfolgt wird (wenn überhaupt). Langfristige Absprachesysteme können in einigen Wirtschaftszweigen sogar Bestandteil der üblichen Geschäftspraxis werden, da die Wirtschaftsteilnehmer versucht oder geneigt sind, sich solchen Systemen anzuschließen, um ihren Zugang zum Markt und ihren Marktanteil zu „gewährleisten“.

Die Märkte für öffentliche Auftragsvergaben weisen besondere Merkmale auf, die sie im Vergleich zu anderen Märkten anfälliger für geheime Absprachen machen. Öffentliche Auftraggeber verfolgen in der Regel relativ stabile Beschaffungsmuster mit häufig wiederholten Vergabeverfahren, ähnlichen Mengen und standardisierten Produkt- oder Dienstleistungsspezifikationen ohne größere Änderungen im Vergleich zu früheren Verfahren. Diese Vorhersehbarkeit der Nachfrage erleichtert die illegale Marktaufteilung unter den Wirtschaftsteilnehmern, da sie jedem von ihnen eine entsprechende Rendite garantiert. Darüber hinaus kann es in einem bestimmten Marktsektor eine sehr geringe Zahl von Wirtschaftsteilnehmern geben, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, was häufig auf den entlegenen Standort des öffentlichen Auftraggebers oder die geringe Größe des jeweiligen Marktes zurückzuführen ist. Die Bieterknappheit wird mitunter durch die von den öffentlichen Auftraggebern selbst getroffenen Entscheidungen oder die von ihnen angewandten Praktiken weiter verschärft; beispielsweise, wenn sie nicht auf offene Verfahren setzen oder strenge, übermäßig spezifizierte Anforderungen an die Gebote stellen, was dazu führen kann, dass die Zahl der im Rahmen eines Vergabeverfahrens eingereichten Angebote noch stärker begrenzt wird. Je kleiner die Zahl der aktiven Wirtschaftsteilnehmer auf einem Markt für öffentliche Aufträge ist, desto einfacher ist es, Absprachen zu treffen. Und schließlich kann für öffentliche Auftraggeber auch eine Reihe von Anforderungen bezüglich der Offenlegung von Informationen über die Vergabeverfahren gelten, die über das hinausgehen, was in den EU-Vergaberichtlinien vorgeschrieben ist (z. B. Offenlegung von Einzelheiten darüber, wer ein Angebot eingereicht hat und zu welchem Preis). Dies kann es Kollusionsbeteiligten erleichtern, Informationen auszutauschen und zu überwachen, ob sich alle Beteiligten an die rechtswidrige Absprache „halten“.

Die Schwierigkeiten, mit denen die Auseinandersetzung mit Fällen mutmaßlicher Absprachen ohnehin behaftet ist, werden durch die Realitäten, denen öffentliche Auftraggeber bei der Durchführung von Vergabeverfahren gegenüberstehen, weiter verschärft. Öffentlichen Auftraggebern (insbesondere kleineren) fehlt es häufig an ausreichend geschultem und erfahrenem Personal, das in der Lage ist, geheime Absprachen in einem bestimmten Vergabeverfahren aufzudecken. Für Bedienstete, die für die Auftragsvergabe zuständig sind (6), steht gewöhnlich die Sicherstellung dessen im Mittelpunkt, dass das Verfahren die bestehenden grundlegenden verfahrensrechtlichen und gesetzlichen Anforderungen erfüllt und fristgerecht abgeschlossen wird. Selbst wenn die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten verdächtige Angebote entdecken, wissen sie nicht unbedingt, welche Reaktionsmöglichkeiten sie haben oder mit welchen Mechanismen sie gegebenenfalls fachkundige Unterstützung von zentralen Vergabe- oder Wettbewerbsbehörden erhalten können. Darüber hinaus kann das Risiko von Verzögerungen im Vergabeverfahren, die häufig administrative, haushaltstechnische oder sogar politische Folgen nach sich ziehen, die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten davon abhalten, sich wirkungsvoll mit Fällen auseinanderzusetzen, in denen geheime Absprachen vermutet werden. Zweifel an der Fähigkeit oder gar Bereitschaft eines öffentlichen Auftraggebers, sich entschieden mit Absprachen zu befassen, können Kollusion unter Wirtschaftsteilnehmern zusätzlich begünstigen.

Und schließlich gestaltet sich die Bekämpfung von Kollusion bei der Vergabe öffentlicher Aufträge noch schwieriger, wenn sie mit Korruption einhergeht und beispielsweise die an einer geheimen Absprache beteiligten Wirtschaftsteilnehmer eine Person mit Einfluss auf das Vergabeverfahren bestechen, um die Aufdeckung ihres rechtswidrigen Verhaltens zu verhindern. Für die Zwecke dieser Bekanntmachung werden Kollusion und Korruption zwar als getrennte Probleme in der öffentlichen Auftragsvergabe betrachtet, sie können aber im Tandem auftreten und die Zuverlässigkeit des Vergabeverfahrens noch weiter untergraben.

1.3.   Bisherige Anstrengungen zur Lösung des Problems geheimer Absprachen

Bis zur Annahme der Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe von 2014 wurden Praktiken verbotener Zusammenarbeit in der öffentlichen Auftragsvergabe auf EU-Ebene in erster Linie aus wettbewerbsrechtlicher Sicht behandelt. Sie wurden als typischer Fall von Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr unabhängigen Marktteilnehmern angesehen, die den Wettbewerb einschränken und nach Artikel 101 AEUV verboten sind.

Im Laufe der Jahre behandelten sowohl die Kommission als auch nationale Wettbewerbsbehörden (die zur Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV ermächtigt sind) verschiedene Fälle von Kollusion bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (7). In den meisten EU-Mitgliedstaaten haben die jeweiligen nationalen Wettbewerbsbehörden spezielle Leitlinien zur Bekämpfung von Kollusion herausgegeben. Darüber hinaus wurden im Kontext des Internationalen Wettbewerbsnetzes (ICN) (8), an dem sich die Kommission beteiligt, Leitlinien zu Synergien zwischen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden erarbeitet. Die Wettbewerbsbehörden sensibilisierten die öffentlichen Auftraggeber im Hinblick auf Möglichkeiten zum Einsatz präventiver Maßnahmen in der Planungsphase von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge; außerdem schulten sie die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten in der Bekämpfung geheimer Absprachen. In den letzten Jahren haben sich Methoden zur Analyse von Daten aus elektronischen Auftragsvergabesystemen zu einem weiteren wertvollen Instrument für die Aufdeckung von Kollusion entwickelt.

Im November 2017 veröffentlichte das OLAF ein Handbuch mit dem Titel „Betrug im öffentlichen Auftragswesen — Eine Sammlung von Red Flags und bewährten Verfahren“ (9), das auf der Grundlage von Beiträgen von Experten aus den Mitgliedstaaten im Beratenden Ausschuss für die Koordinierung der Betrugsbekämpfung (COCOLAF) erstellt worden war. Das Handbuch enthält einen Abschnitt über Absprachen, der eine sehr umfassende und detaillierte Liste von Warnsignalen („Red Flags“) und Hinweise zur Aufdeckung von Absprachen in der Vorausschreibungs- und der Ausschreibungsphase enthält.

Andere Einrichtungen, unter denen insbesondere die OECD (10) und die Weltbank (11)zu nennen sind, führten ebenfalls wichtige Arbeiten zum Problem geheimer Absprachen in der öffentlichen Auftragsvergabe durch.

2.   INSTRUMENTE AUF EU-EBENE ZUR BEKÄMPFUNG VON ABSPRACHEN

2.1.   Die politische Verpflichtung, Maßnahmen zu treffen

Wie bereits erwähnt, wurden europäische und nationale Wettbewerbsbehörden mit Untersuchungs- und Durchsetzungsbefugnissen ausgestattet, um Praktiken verbotener Zusammenarbeit zu bestrafen und die Wirtschaftsteilnehmer davon abzuhalten, künftig derartige Absprachen zu treffen. In den meisten Fällen erfolgen die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts und die Sanktionierung jedoch erst, nachdem der Schaden eingetreten ist, d. h., nachdem der Zuschlag erteilt und, in den meisten Fällen, der Auftrag vollständig erfüllt wurde. Die Aufdeckung von Praktiken verbotener Zusammenarbeit in diesem späteren Stadium dient zwar der Ahndung von Absprachen und der Abschreckung vor ähnlichen Praktiken in der Zukunft, in den tatsächlich betroffenen Ausschreibungsverfahren hat sie jedoch keinen konkreten Nutzen, sodass der Auftrag womöglich an einen Wirtschaftsteilnehmer vergeben wird, der eine Absprache zum Nachteil des öffentlichen Interesses getroffen hat. Auch wenn den europäischen und nationalen Wettbewerbsbehörden eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung geheimer Absprachen zukommt, ist es doch äußerst wichtig, auch in der Phase, auf die es am meisten ankommt, nämlich dem Stadium vor der Zuschlagserteilung, gegen Absprachen vorzugehen. Dies setzt voraus, dass das Problem auch aus dem Blickwinkel der öffentlichen Auftragsvergabe angegangen wird, dass also die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten in die Lage versetzt werden müssen, wettbewerbswidrige abgestimmte Praktiken während des eigentlichen Verfahrens wirksam zu verhindern, aufzudecken und darauf zu reagieren. Dazu gehört unter anderem die Nutzung der in den Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe vorgesehenen Mittel, insbesondere der Möglichkeit, einen Bieter vom Verfahren auszuschließen, wenn es hinreichend plausible Anhaltspunkte gibt, dass er Absprachen mit dem Ziel einer wirksamen Einschränkung des Wettbewerbs getroffen hat (12).

In ihrer Mitteilung aus dem Jahr 2017 mit dem Titel „Eine funktionierende öffentliche Auftragsvergabe in und für Europa“ (COM(2017) 572) (13) nennt die Kommission sechs strategische Schwerpunktbereiche, in denen mit klaren und konkreten Maßnahmen die öffentliche Auftragsvergabe in ein sehr wirkungsvolles Instrument der Wirtschaftspolitik des jeweiligen Mitgliedstaates umgewandelt werden kann, was zu erheblichem Nutzen im Vergabeergebnis führen würde. Im Rahmen der strategischen Priorität „Mehr Transparenz, Kohärenz und bessere Datenqualität“ kündigte die Kommission ihre Absicht an,

„zweckmäßige Instrumente und Initiativen entwickeln und die Sensibilisierung verstärken, um die Risiken von wettbewerbswidrigen abgestimmten Praktiken auf Märkten für öffentliche Aufträge so gering wie möglich zu halten. Dies wird folgende Maßnahmen beinhalten: Maßnahmen zur Verbesserung der Marktkenntnisse von öffentlichen Auftraggebern, Unterstützung der öffentlichen Auftraggeber, umsichtige Planung und Konzeption der Vergabeverfahren sowie eine Verbesserung der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen den öffentlichen Auftraggebern und den Wettbewerbsbehörden. Die Kommission wird darüber hinaus Leitlinien für die Anwendung der neuen EU-Richtlinien zum öffentlichen Auftragswesen auf Ausschlussgründe wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen ausarbeiten.“

Neben diesen spezifischen Maßnahmen enthielt die Mitteilung von 2017 auch die strategische Priorität der „Verbesserung des Zugangs zu Märkten für öffentliche Aufträge“. Zu diesem Zweck

„fordert die Kommission Nicht-EU-Staaten auf, dem WTO-Beschaffungsübereinkommen beizutreten und in Freihandelsabkommen ehrgeizige Kapitel über die öffentliche Auftragsvergabe aufzunehmen“.

Die Öffnung der internationalen Märkte für öffentliche Aufträge und die Ermöglichung des Zugangs neuer Wirtschaftsteilnehmer zu Vergabeverfahren, insbesondere in Ländern mit einem kleineren Markt für öffentliche Aufträge und in Sektoren mit begrenztem Angebot, wird allgemein als wichtiges Mittel zur Steigerung des Wettbewerbs, zur Vermeidung von Marktkonzentration oder Oligopolen und folglich zur Abschreckung von wettbewerbswidrigen abgestimmten Praktiken anerkannt.

In ihrer Mitteilung „Langfristiger Aktionsplan zur besseren Umsetzung und Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften“ (COM(2020) 94 final) (14) bekräftigte die Kommission am 10. März 2020 ihre besondere Verpflichtung, Orientierungshilfen für die Bekämpfung von Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu geben.

2.2.   Die Leitprinzipien für die Erfüllung dieser Verpflichtung

Ihrer politischen Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit dem Problem wettbewerbswidriger Absprachen entsprechend arbeitet die Kommission an Instrumenten, in deren Mittelpunkt vor allem das Personal steht, das Vergabeverfahren in den Mitgliedstaaten durchführt. Dadurch soll sichergestellt werden, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeite die richtigen Instrumente, Schulungen und Unterstützungsmaßnahmen erhalten, die ihnen eine wirksame Bekämpfung von Absprachen in Vergabeverfahren ermöglichen.

Die Kommission beabsichtigt nicht, Doppelarbeit zu leisten, sondern möchte sich mit Aspekten des Rechts- und Verwaltungsrahmens befassen, bei denen auf dem Markt eine deutliche, wachsende Nachfrage nach Orientierungshilfen und konkreten Maßnahmen besteht.

Entsprechende Anregungen bezieht die Kommission aus Erfahrungen und bewährten Verfahren, die in den EU-Mitgliedstaaten bereits existieren. Insgesamt 21 Mitgliedstaaten übermittelten sehr umfangreiche Antworten auf zehn Fragen, die die Kommission im Februar 2019 gestellt hatte, und lieferten praktische Beiträge zur Lösung dieses Problems. Die Kommission wird sich bemühen, nationale Experten für Auftragsvergabe und Wettbewerb kontinuierlich in die Entwicklung der angekündigten Instrumente einzubeziehen, um sicherzustellen, dass alle getroffenen Maßnahmen einen echten Mehrwert bei der Bekämpfung von Absprachen bieten und den Schwerpunkt auf die tatsächlichen Bedürfnisse der öffentlichen Auftraggeber legen.

2.3.   Der Zweck dieser Bekanntmachung

In der vorliegenden Bekanntmachung werden die in der oben genannten Mitteilung aus dem Jahr 2017 angekündigten Instrumente erläutert, die die Kommission einsetzen will, um die Mitgliedstaaten und ihre Vergabebehörden wirksam bei der Bekämpfung des Problems von Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu unterstützen. Diese Instrumente dienen folgenden Zielen:

Unterstützung der Mitgliedstaaten und der öffentlichen Auftraggeber beim Aufbau von Kapazitäten zur Bewältigung des Problems, insbesondere mittels Einbeziehung von gegen Absprachen gerichteten Abschreckungs-, Aufdeckungs- und Bekämpfungsmethoden in die laufenden Initiativen der Kommission zur Professionalisierung der öffentlichen Auftragsvergabe. Zu diesen Methoden zählen die Verbesserung des Marktwissens, die Anpassung der Verfahren zur Förderung einer größtmöglichen Beteiligung von Wirtschaftsteilnehmern und die Begrenzung des Risikos für geheime Absprachen sowie die Sensibilisierung für dieses Problem (siehe Abschnitt 3).

Förderung der Zusammenarbeit zwischen nationalen zentralen Vergabe- (15) und Wettbewerbsbehörden zur Sicherstellung einer effizienten, kontinuierlichen Unterstützung öffentlicher Auftraggeber (siehe Abschnitt 4).

Diese Bekanntmachung enthält auch die angekündigten prägnanten, benutzerfreundlichen und leicht verständlichen Leitlinien für öffentliche Auftraggeber über die Anwendung der in den Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge vorgesehenen Ausschlussgründe wegen wettbewerbsverzerrender Absprachen. Diese Leitlinien werden in Abschnitt 5 dargelegt und durch einen Anhang ergänzt, in dem eine Reihe von Maßnahmen zur besseren Abschreckung vor wettbewerbswidrigen Absprachen sowie zur Aufdeckung und Bekämpfung mutmaßlicher Absprachen aufgeführt wird.

3.   UNTERSTÜTZUNG DER MITGLIEDSTAATEN UND DER ÖFFENTLICHEN AUFTRAGGEBER

Die Bekämpfung des Problems geheimer Absprachen vor Abschluss des Vergabeverfahrens erfordert gemeinsame Anstrengungen der Mitgliedstaaten und der öffentlichen Auftraggeber zum Aufbau der Verwaltungskapazität, die zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchführung von Vergabeverfahren erforderlich ist. Zu den Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten und die öffentlichen Auftraggeber zum Aufbau solcher Kapazitäten treffen könnten, gehören:

Bereitstellung von Ressourcen (insbesondere personeller Ressourcen), die in der Lage sind, Vergabeverfahren durchzuführen, und zudem über die Fähigkeit verfügen, ordnungsgemäß und zeitnah gegen Fälle mutmaßlicher Absprachen vorzugehen.

Nutzung verfügbarer administrativer Anreize zur Belohnung von Bediensteten, die Vergabeverfahren durchführen und mögliche Fälle von Absprachen aktiv aufdecken, bekämpfen und melden.

Organisation von Schulungen und Sensibilisierungsveranstaltungen für mit Auftragsvergaben befasstes Personal. Das Ziel der Personalschulung bestünde in erster Linie darin, die nachteiligen Auswirkungen von Absprachen auf die Vergabeverfahren zu verdeutlichen, in der gesamten Verwaltung eine Dienstleistungskultur zu fördern, in der die aktive Bekämpfung von Absprachen ein Muss ist, sowie den mit Auftragsvergaben befassten Bediensteten praktische Fähigkeiten zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen, das Problem in der Praxis anzugehen. Die Schulungen könnten Möglichkeiten umfassen, das Marktwissen zu verbessern, Verfahren so zu konzipieren und durchzuführen, dass das Risiko von Absprachen begrenzt wird und die Wirtschaftsteilnehmer zur Teilnahme an Vergabeverfahren ermutigt werden, sowie alle verfügbaren Instrumente und Methoden zur Aufdeckung von Absprachen während des Vergabeverfahrens zu nutzen. Ferner ist es ratsam, die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten in den wettbewerbsrechtlichen Grundlagen im Hinblick auf Kartelle zu schulen.

Die EU-Mitgliedstaaten sind sich der Bedeutung der diesbezüglichen Professionalisierung ihres mit Auftragsvergaben befassten Personals bewusst. Die meisten von ihnen haben Leitlinien oder andere Informationen zur Verhinderung und Aufdeckung geheimer Absprachen veröffentlicht. In einigen Mitgliedstaaten wurden (bzw. werden) zudem praxisorientierte Screening-Instrumente entwickelt, mit denen sich verfügbare Informationen überprüfen und verdächtige Angebote wirksamer aufdecken lassen. Die meisten Mitgliedstaaten organisieren Sensibilisierungskampagnen und Schulungen zur Bekämpfung geheimer Absprachen für öffentliche Auftraggeber und die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten.

Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen und die von den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen zu unterstützen, arbeitet die Kommission an verschiedenen Möglichkeiten, wie sich die Bekämpfung geheimer Absprachen in ihre laufenden Initiativen zur Professionalisierung der öffentlichen Auftragsvergabe (im Einklang mit ihrer Empfehlung zur Professionalisierung von 2017) einbeziehen lässt. Dazu gehören:

Die Einbeziehung professioneller Fertigkeiten zur Verhinderung und Aufdeckung geheimer Absprachen in den Europäischen Kompetenzrahmen für Fachkräfte des öffentlichen Beschaffungswesens (ProcurCompEU) (16).

Weitergabe der auf nationaler Ebene entwickelten bewährten Verfahren und Instrumente an alle Mitgliedstaaten mithilfe der Expertengruppen der Kommission oder der verfügbaren digitalen Kommunikationsmittel.

Einsatz für die Einbeziehung nationaler Wettbewerbsbehörden (insbesondere von Bediensteten, die sich in der Praxis bereits mit Fällen geheimer Absprachen befasst haben) in Sensibilisierungsveranstaltungen und Schulungen für die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten, da die nationalen Wettbewerbsbehörden in diesem Bereich über jederzeit abrufbares Fachwissen verfügen (siehe auch Abschnitt 4).

Förderung gezielter Maßnahmen zur Unterstützung kleinerer öffentlicher Auftraggeber in den Mitgliedstaaten. Dies könnte Vorgehensweisen umfassen, mit denen die nationalen zentralen Vergabebehörden in die Lage versetzt werden, kleinere öffentliche Auftraggeber bei der Durchführung von Vergabeverfahren umfassend zu unterstützen oder spezielle Schulungsmodule auszuarbeiten, die auf deren besondere Bedürfnisse zugeschnitten sind.

Austausch bewährter Verfahren zur Ermutigung der für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten, Fälle mutmaßlicher Absprachen aktiv zu verfolgen.

Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen (wie der OECD, der WTO, der Weltbank und der EBWE) zur Förderung eines internationalen Wissens- und Erfahrungspools bei der Bekämpfung geheimer Absprachen; hierzu zählen auch Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf die Öffnung der Weltmärkte und die wettbewerbsfreundliche Gestaltung und Durchführung von Verfahren unter größtmöglicher Einbeziehung der Wirtschaftsbeteiligten.

Im Einklang mit der Mitteilung von 2017 gilt Wirtschaftszweigen, die als sensibel gelten, weil in ihnen entweder eine besondere Gefährdung durch geheime Absprachen besteht (etwa wegen einer Konzentration von Angebot oder Nachfrage, wie in kleinformatigen Vergabeverfahren auf subzentraler oder lokaler Ebene) oder weil sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Größe oder ihrer Rolle in der Gesellschaft (beispielsweise Bauwesen, Gesundheitswesen und IT-Branche) wichtig sind, besondere Aufmerksamkeit.

4.   VERBESSERUNG DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN NATIONALEN ZENTRALEN VERGABE- UND WETTBEWERBSBEHÖRDEN

Eine wirksame Bekämpfung von Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge erfordert einen umfassenden Ansatz der öffentlichen Auftraggeber, bei dem Kenntnisse und Fachwissen sowohl im Bereich der Auftragsvergabe als auch auf dem Gebiet des Wettbewerbs genutzt werden. Die Schaffung eines umfassenden, stabilen und effizienten Rahmens zur Unterstützung der öffentlichen Auftraggeber bei dieser Aufgabe setzt die vollständige Zusammenarbeit zwischen den nationalen zentralen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden voraus.

In einigen Mitgliedstaaten haben diese Behörden die Bedingungen für eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung geheimer Absprachen in einer ad hoc geschlossenen Vereinbarungen festgelegt (oder sind gerade damit befasst). Solche Vereinbarungen fördern in der Praxis den Austausch von Informationen, Erfahrungen und bewährten Verfahren zur Bekämpfung wettbewerbswidrigen Verhaltens bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. In einigen Mitgliedstaaten, beispielsweise Schweden und Deutschland, erfüllt die Wettbewerbsbehörde auch eine Aufsichtsfunktion bei der Durchsetzung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge.

Unabhängig von der Form, die eine solche Zusammenarbeit letztendlich annimmt, befürwortet die Kommission nachdrücklich die Initiative der zentralen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden in den Mitgliedstaaten, sich im Kampf gegen geheime Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zusammenzuschließen. Dies würde es den Mitgliedstaaten und ihren zentralen Behörden ermöglichen, effizientere Maßnahmen zur Unterstützung der öffentlichen Auftraggeber auszuarbeiten und durchzuführen, wie z. B.:

Einrichtung eines sicheren Dienstes (in Form einer Kontakt- oder Beratungsstelle) zur Unterstützung der öffentlichen Auftraggeber.

Förderung des Einsatzes von Instrumenten, die auf EU- oder nationaler Ebene verfügbar sind und natürliche Personen oder Unternehmen befähigen und ermutigen, sich zu Wort zu melden und Fälle geheimer Absprachen anzuzeigen; dies bezieht sich insbesondere auf Mechanismen für Hinweisgeber oder Kronzeugenregelungen. (17)

Ausarbeitung der schrittweisen praktischen Regelungen, nach denen öffentliche Auftraggeber die fachliche Unterstützung der zentralen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden in Anspruch nehmen können.

Erleichterung des Zugangs der Behörden zu den Informationen, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Behandlung mutmaßlicher Absprachen benötigen. Die Mitgliedstaaten könnten innerhalb ihrer Rechtsrahmen und unter gebührender Beachtung EU-weiter (18) und nationaler Datenschutzvorschriften Folgendes in Betracht ziehen:

ihren Wettbewerbsbehörden bei Fällen, die Gegenstand von Untersuchungen sind, den Zugang zu elektronischen Beschaffungsdatenbanken (beispielsweise verfügbaren nationalen Auftragsregistern) und Ausschreibungen zu ermöglichen;

den Austausch verfügbarer Informationen zwischen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden zu ermöglichen, damit diese beurteilen können, ob es Muster von Absprachen zwischen Wirtschaftsteilnehmern gibt;

öffentliche Auftraggeber zu verpflichten, ihre zentralen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden über Fälle zu informieren, in denen sie einen Wirtschaftsteilnehmer wegen des Verdachts von Absprachen ausgeschlossen haben (siehe auch Abschnitt 5.8). Dies würde es den zentralen Behörden ermöglichen, die Anwendung der in den Richtlinien vorgesehenen Ausschlussgründe auf nationaler Ebene zu verfolgen und zu überwachen und die erforderlichen Folgemaßnahmen zu diesen Fällen durchzuführen (indem sie beispielsweise die betreffenden Fälle auf der Grundlage von Wettbewerbsregeln prüfen oder den Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers von Verfahren für einen bestimmen Zeitraum in Erwägung ziehen).

Einrichtung einer nationalen Datenbank mit Fällen, in denen Wirtschaftsteilnehmer aufgrund geheimer Absprache ausgeschlossen wurden, unter gebührender Beachtung EU-weiter (19) und nationaler Datenschutzvorschriften. Eine solche Datenbank würde den öffentlichen Auftraggebern leicht zugängliche Informationen über Wirtschaftsteilnehmer, die in der Vergangenheit an geheimen Absprachen beteiligt waren, zur Verfügung stellen, was die Bewertung der Integrität und Zuverlässigkeit der Wirtschaftsteilnehmer erleichtern würde. Darüber hinaus würde sie den nationalen Zentralbehörden dabei helfen, einerseits zu beobachten, wie verschiedene öffentliche Auftraggeber ähnliche Fälle behandeln, und andererseits zu überwachen, ob Entscheidungen über den Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern von Vergabeverfahren wirksam umgesetzt werden.

Einführung fakultativer Instrumente für öffentliche Auftraggeber, mit denen Wirtschaftsteilnehmer wirksam von Absprachen abgeschreckt würden, in den nationalen Rahmen für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Dies könnte Folgendes beinhalten:

eine für jeden Bieter geltende Vorschrift, mit dem Angebot eine separate Erklärung über die unabhängige Festsetzung des Angebots (20) einzureichen und

ausdrückliche Klauseln im Vertrag, die das Recht des öffentlichen Auftraggebers vorsehen, den Vertrag zu kündigen oder Schadensersatz zu verlangen, wenn geheime Absprachen des Auftragnehmers festgestellt werden.

Zusammenarbeit bei der Analyse von Beschaffungsdaten, damit Spuren geheimer Absprachen in Vergabeverfahren leichter aufgedeckt werden können. Zu diesem Zweck ergeht die Anregung an die Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene einfache und leicht anzuwendende Methoden zur Erhebung und Analyse großer Datenmengen einzuführen, die in elektronischen Beschaffungsdatenbanken verfügbar sind (möglicherweise unter Verwendung von Algorithmen, Algorithmen künstlicher Intelligenz oder maschinellem Lernen).

Gemeinsame Organisation von Schulungen für Mitarbeiter im Bereich Beschaffung und Wettbewerb zum Thema öffentliche Auftragsvergabe und Wettbewerb, damit sich beide Fachkreise mit dem Arbeitsrahmen und den Verfahren der jeweils anderen Gruppe vertraut machen können.

Einführung eines Systems zur gemeinsamen, regelmäßigen Überprüfung ausgewählter Vergabeverfahren, um Fälle geheimer Absprachen zu ermitteln und die Auftragsvergabe in sensiblen Sektoren zu überwachen.

Durchführung von Sensibilisierungskampagnen, die sich an die im Bereich des öffentlichen Auftragswesens tätigen Unternehmen wenden und auf die rechtlichen Anforderungen für die Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren, die möglichen Folgen wettbewerbswidriger, abgestimmter Verhaltensweisen sowie die Vorteile, die ein fairer Wettbewerb auf dem Markt für öffentliche Aufträge sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Unternehmen mit sich bringt, aufmerksam machen.

Die Kommission wird prüfen, wie die Bemühungen der Mitgliedstaaten um die Schaffung der erforderlichen Synergien zwischen zentralen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden auf nationaler Ebene unterstützt werden können (insbesondere wirksame und praktische Mechanismen für die ständige Zusammenarbeit, den Austausch von Informationen und Hilfestellungen), wie z. B.:

Nutzung der Diskussionen in den Expertengruppen der Kommission, um bewährte Verfahren bei nationalen Mechanismen zur Unterstützung der für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten sowie bei nationalen Formen der Zusammenarbeit zwischen zentralen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden voranzubringen. Dazu gehören idealerweise Präsentationen der Mitgliedstaaten, in denen solche Regelungen bestehen. Die Leitlinien des Internationalen Wettbewerbsnetzes (siehe Abschnitt 1.3) könnten hierfür als Anregung dienen.

Organisation einer ersten gemeinsamen Sitzung oder eines Workshops, an der/dem die Fachkreise der im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe praktisch tätigen Fachleute und Wettbewerbsexperten teilnehmen. Die Kommission könnte ferner prüfen, ob gegebenenfalls ein Forum auf EU-Ebene eingerichtet werden könnte, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und den Austausch von Informationen, Erfahrungen und Kenntnissen in diesem Bereich zu fördern. Ein solches Forum könnte zum Erfahrungsaustausch über Themen wie auf EU-Ebene gemeinsam genutzte Verfahren bei der Datenerhebung und bei der Analyse von Indikatoren für geheime Absprachen in der gesamten EU, die Funktionsweise der im EU-Recht vorgesehenen Möglichkeit der „Selbstreinigung“ (siehe Abschnitt 5.7) oder die Frage, wie die Richtlinie 2014/104/EU (21) bei durch Praktiken verbotener Zusammenarbeit verursachten Schäden funktioniert, genutzt werden.

Darüber hinaus wird die Kommission Möglichkeiten zur Förderung der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen den nationalen zentralen Vergabe- und Wettbewerbsbehörden (im Einklang mit dem Datenschutzrecht der EU (22) und den nationalen Datenschutzvorschriften) auf EU-Ebene prüfen, um eine EU-weite Weitergabe von Informationen über Wirtschaftsteilnehmer zu ermöglichen, die wegen Absprachen von Vergabeverfahren ausgeschlossen wurden. Anregungen könnten bestehende Einrichtungen liefern, beispielsweise das Binnenmarkt-Informationssystem (23), das zentrale Informationssystem des Europäischen Wettbewerbsnetzes oder der Mechanismus für den Informationsaustausch, der im Rahmen des freiwilligen Ex-ante-Mechanismus der Kommission für große Infrastrukturprojekte (24) entwickelt wurde.

5.   LEITLINIEN FÜR ÖFFENTLICHE AUFTRAGGEBER ÜBER DIE ANWENDUNG DER AUSSCHLUSSGRÜNDE WEGEN WETTBEWERBSVERZERRENDER ABSPRACHEN LAUT ARTIKEL 38 ABSATZ 7 BUCHSTABE e DER RICHTLINIE 2014/23/EU, ARTIKEL 57 ABSATZ 4 BUCHSTABE d DER RICHTLINIE 2014/24/EU UND ARTIKEL 80 ABSATZ 1 DER RICHTLINIE 2014/25/EU

In diesem Abschnitt der Bekanntmachung werden die nicht rechtsverbindlichen Ansichten der Kommission zu der Frage dargelegt, wie der in Artikel 38 Absatz 7 Buchstabe e der Richtlinie 2014/23/EU, Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie 2014/24/EU und Artikel 80 Absatz 1 der Richtlinie 2014/25/EU vorgesehene Ausschlussgrund wegen wettbewerbsverzerrender Absprachen anzuwenden ist. Der Schwerpunkt dieses Abschnitts liegt auf spezifischen Problemen, mit denen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinien bzw. die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten bei der Bewertung von Angeboten in Vergabeverfahren konfrontiert sind. Die hier dargelegten Ansichten berühren nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinien und schaffen keine neuen Vorschriften oder Verpflichtungen. Nur der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden „Gerichtshof“) ist für eine rechtsverbindliche Auslegung der in dieser Bekanntmachung genannten Bestimmungen des EU-Rechts zuständig.

Im Interesse der Vollständigkeit und Nutzbarkeit solcher Leitlinien enthält diese Bekanntmachung im Anhang darüber hinaus einfache, prägnante Ratschläge, die sich in erster Linie an die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten richten, die Vergabeverfahren für öffentliche Auftraggeber vorbereiten und durchführen. Dort wird eine Reihe von Maßnahmen und Warnsignalen, sogenannten „Red Flags“, aufgeführt, die nach Ansicht der Kommission von den für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten während des gesamten Vergabeverfahrens am einfachsten zur Abschreckung vor geheimen Absprachen sowie zu ihrer Aufdeckung und Bekämpfung eingesetzt werden können. In diesen Ratschlägen spiegelt sich die wertvolle Arbeit wider, die in den letzten Jahren von Organisationen und Diensten wie der OECD, dem OLAF oder nationalen Wettbewerbsbehörden geleistet wurde, welche den für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten umfassende, leicht zugängliche Orientierungshilfen und bewährte Verfahren für den Kampf gegen Absprachen an die Hand gaben.

5.1.   Geltende Rechtsvorschriften und ihre bisherige Umsetzung

Absprachen zwischen Wirtschaftsteilnehmern sind im EU-Recht laut Artikel 101 AEUV (25) verboten; dort heißt es:

„1.

Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken …“

Wenn Absprachen den Handel zwischen Mitgliedstaaten (potenziell) nicht beeinträchtigen, können sie dennoch nach nationalen Wettbewerbsregeln verfolgt werden.

Vor dem Inkrafttreten der Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe von 2014 konnten Bieter, die geheime Absprachen getroffen hatten, nach Artikel 45 Absatz 2 der Richtlinie 2004/18/EG von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden unter der Voraussetzung, dass sie aufgrund eines rechtskräftigen Urteils wegen eines Deliktes bestraft worden sind, das ihre berufliche Zuverlässigkeit infrage stellt (Artikel 45 Absatz 2 Buchstabe c) oder dass sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen haben, die vom öffentlichen Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde (Artikel 45 Absatz 2 Buchstabe d) (26). Bei der Anwendung des zuletzt genannten Ausschlussgrundes konnten öffentliche Auftraggeber einen Verstoß gegen Wettbewerbsregeln wie beispielsweise geheime Absprache als Umstand nennen, der einen solchen Ausschluss rechtfertigt, sofern die in dem betreffenden Artikel aufgeführten Voraussetzungen erfüllt wurden (27).

Die Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe von 2014 änderten die Ausschlussbestimmungen, indem neue zwingende und fakultative Ausschlussgründe, die Möglichkeit für Wirtschaftsteilnehmer, sich auf „Selbstreinigungsmaßnahmen“ zu berufen, und eine Höchstdauer des Ausschlusses eingeführt wurden. Sie nannten erstmals geheime Absprachen ausdrücklich als fakultativen Grund für den Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern von Vergabeverfahren. Insbesondere sieht Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie 2014/24/EU (im Folgenden „Richtlinie“) vor, dass öffentliche Auftraggeber in folgenden Situationen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden können:

„d)

der öffentliche Auftraggeber verfügt über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür, dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen“.

Dieser fakultative Ausschlussgrund spiegelt sich auch in Artikel 38 Absatz 7 Buchstabe e der Richtlinie 2014/23/EU über Konzessionen wider und kann auf Auftragsvergaben angewendet werden, die unter die Richtlinie 2014/25/EU über Versorgungsunternehmen fallen (kraft Artikel 80 Absatz 1) (28).

In Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie wird das Recht des Wirtschaftsteilnehmers eingeführt, Maßnahmen zu ergreifen, die allgemein als „Selbstreinigungsmaßnahmen“ bezeichnet werden (siehe Abschnitt 5.7), wobei Folgendes vorgesehen ist:

 

„Jeder Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der in den Absätzen 1 und 4 genannten Situationen befindet, kann Nachweise dafür erbringen, dass die Maßnahmen des Wirtschaftsteilnehmers ausreichen, um trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit nachzuweisen. Werden solche Nachweise für ausreichend befunden, so wird der betreffende Wirtschaftsteilnehmer nicht von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen.

 

Zu diesem Zweck weist der Wirtschaftsteilnehmer nach, dass er einen Ausgleich für jeglichen durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder Verfehlungen zu vermeiden.

 

Die von den Wirtschaftsteilnehmern ergriffenen Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der Schwere und besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens bewertet. Werden die Maßnahmen als unzureichend befunden, so erhält der Wirtschaftsteilnehmer eine Begründung dieser Entscheidung.

 

Ein Wirtschaftsteilnehmer, der durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung von der Teilnahme an Verfahren zur Auftrags- oder Konzessionsvergabe ausgeschlossen wurde, ist während des Ausschlusszeitraumes, der in dieser Entscheidung festgelegt wurde, nicht berechtigt, in den Mitgliedstaaten, in denen die Entscheidung wirksam ist, von der in diesem Absatz gewährten Möglichkeit Gebrauch zu machen.“

In Artikel 57 Absatz 7 der Richtlinie heißt es schließlich:

 

„Die Mitgliedstaaten legen … die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels fest. Sie bestimmen insbesondere den höchstzulässigen Zeitraum des Ausschlusses für den Fall, dass der Wirtschaftsteilnehmer keine Maßnahmen gemäß Absatz 6 zum Nachweis seiner Zuverlässigkeit ergreift. Wurde kein Ausschlusszeitraum nicht durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgelegt, so darf dieser Zeitraum in den in Absatz 1 genannten Fällen fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung und in den in Absatz 4 genannten Fällen drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis nicht überschreiten.“

Die Mitgliedstaaten haben mehrere Fälle gemeldet, in denen öffentliche Auftraggeber bei Fragen zur Handhabung verdächtiger Angebote die nationale Wettbewerbsbehörde konsultieren. In einigen Mitgliedstaaten haben öffentliche Auftraggeber tatsächlich beschlossen, Wirtschaftsteilnehmer wegen des Verdachts auf geheime Absprachen auszuschließen. Angaben über solche Ausschlüsse lassen jedoch keine weitreichenden Schlüsse zu, weil die öffentlichen Auftraggeber in den meisten Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, diese Entscheidungen den nationalen zentralen Vergabe- oder Wettbewerbsbehörden zu melden.

In einer Reihe von Mitgliedstaaten haben Rechtssachen im Zusammenhang mit der Umsetzung dieses Ausschlussgrundes auch die nationalen Gerichte erreicht.

Die Richtlinien befassen sich nicht speziell mit den Auswirkungen einer möglichen erfolgreichen rechtlichen Anfechtung der Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers zum Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers oder aber einer abweichenden Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde in dieser Angelegenheit, nachdem die Vergabeentscheidung ergangen ist. Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, solche Auswirkungen zu bestimmen.

5.2.   Umfang des Ausschlussgrundes im Zusammenhang mit wettbewerbsverzerrenden Absprachen: Erfassung der abgestimmten Verhaltensweisen und des Zusammenspiels mit dem Ausschlussgrund wegen schwerer Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit

Die Möglichkeit, einen Wirtschaftsteilnehmer wegen mutmaßlicher Absprachen auszuschließen, wird in der Richtlinie nicht als Strafe für sein Verhalten vor oder während des Vergabeverfahrens ausgelegt. Sie dient vielmehr als Mittel, um die Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung und des Wettbewerbs im Vergabeverfahren sicherzustellen und die Integrität, Zuverlässigkeit und Befähigung des künftigen Auftragnehmers zur Erfüllung des Auftrags zu gewährleisten (29).

Was die Art des Verhaltens betrifft, auf das sich der Ausschlussgrund bezieht, haben die Unterschiede zwischen Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie und Artikel 101 AEUV Zweifel aufkommen lassen, welche rechtswidrigen Praktiken von den öffentlichen Auftraggebern bei der Anwendung dieses Ausschlussgrundes zu berücksichtigen sind.

Tatsächlich wird in Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie nur auf „Vereinbarungen …, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen“ Bezug genommen, während Artikel 101 AEUV „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken“ abdeckt. Bei einer AEUV-konformen Auslegung der Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht berücksichtigen können, dass nicht nur Vereinbarungen, sondern auch abgestimmte Verhaltensweisen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die auf eine Wettbewerbsverzerrung abzielen, zur Anwendung dieses Ausschlussgrundes führen können. Alternativ besteht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, diese anderen Formen von Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln als schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit zu betrachten, die einen möglichen Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers gemäß Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe c der Richtlinie rechtfertigt (30).

Auch hinsichtlich des Unterschieds zwischen dem in Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie dargelegten Ausschlussgrund wegen wettbewerbsverzerrender Absprachen und dem Ausschlussgrund aufgrund schwerer Verfehlungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nach Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe c könnten Unklarheiten bestehen. Wie bereits erwähnt, diente die letztgenannte Bestimmung bis zum Inkrafttreten der Richtlinien von 2014 bei Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln als Grundlage für den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers vom Vergabeverfahren (31). Beide Ausschlussgründe könnten nach wie vor demselben Zweck dienen (eine Möglichkeit, die in Erwägungsgrund 101 der Richtlinie — der die Verletzung von Wettbewerbsregeln ausdrücklich als schwerwiegendes berufliches Fehlverhalten einstuft — bestätigt wird), beide sind für öffentliche Auftraggeber fakultativ und beide haben genau die gleiche Wirkung, d. h. den Ausschluss eines Bieters von dem Verfahren. Mit der Aufnahme des Ausschlussgrundes wegen wettbewerbsverzerrender Absprachen in Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d wurde ein gezielteres Instrument geschaffen, das die Möglichkeiten der öffentlichen Auftraggeber zum Umgang mit Situationen, in denen es zu geheimen Absprachen gekommen ist, erweitert. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Bestimmungen scheint im Maß an Gewissheit zu liegen, das erforderlich ist, damit der öffentliche Auftraggeber einen Bieter vom Verfahren ausschließen kann. Um von Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe c Gebrauch machen zu können, muss der öffentliche Auftraggeber „auf geeignete Weise nachweisen, dass der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat“. Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d dagegen erlaubt dem öffentlichen Auftraggeber, den Ausschluss eines Bieters sogar dann in Betracht zu ziehen, wenn er „über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür [verfügt], dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen“. Es ist Sache des öffentlichen Auftraggebers, im Einzelfall zu entscheiden, welcher der beiden Gründe als anwendbar anzusehen ist, wobei die Richtlinie öffentliche Auftraggeber nicht daran hindert, Bieter aus mehr als einem Grund vom Verfahren auszuschließen.

5.3.   Die Zuständigkeit der öffentlichen Auftraggeber für die Anwendung des Ausschlussgrundes: großer Ermessensspielraum und Grenzen des Beurteilungsspielraums

Artikel 57 Absatz 4 der Richtlinie räumt den öffentlichen Auftraggebern einen großen Ermessensspielraum bei der Frage ein, ob sie einen Bieter vom Verfahren ausschließen oder nicht, wenn hinreichend plausible Anhaltspunkte für kollusive Absprachen vorliegen.

Was genau als Anhaltspunkt bezeichnet werden könnte oder wie ein solcher Anhaltspunkt als hinreichend plausibel einzustufen wäre, damit der Bieter ausgeschlossen werden kann, wird in Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d nicht weiter ausgeführt oder angedeutet. Der EU-Gesetzgeber verfolgte dabei offenbar die Absicht, den öffentlichen Auftraggebern zu ermöglichen, auf Einzelfallbasis zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für den Ausschluss eines Bieters aus diesem Grund erfüllt sind, ohne übermäßig präskriptiv zu sein (32). Der fakultative Charakter dieses Ausschlussgrundes bedeutet, dass öffentliche Auftraggeber einen Bieter auch dann in einem Vergabeverfahren beibehalten dürfen, wenn sie über hinreichend plausible Anhaltspunkte für Absprachen verfügen (es sei denn, die öffentlichen Auftraggeber sind nach nationalem Recht zum Ausschluss des Bieters verpflichtet — siehe unten).

Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung bestätigt, dass es nach Artikel 57 Absatz 4 der Richtlinie Sache des öffentlichen Auftraggebers (und nicht einer anderen nationalen Instanz oder Stelle) ist, unabhängig zu beurteilen, ob ein Wirtschaftsteilnehmer von einem bestimmten Vergabeverfahren ausgeschlossen werden muss (33). Der Gerichtshof formulierte ganz bewusst, dass „diese Befugnis jedes öffentlichen Auftraggebers, einen Bieter von einem Vergabeverfahren auszuschließen, … ihm insbesondere die Möglichkeit geben [soll], die Integrität und Zuverlässigkeit jedes einzelnen Bieters zu beurteilen“, insbesondere im Hinblick auf die Sicherstellung der „Zuverlässigkeit des Zuschlagsempfängers, auf die sich das Vertrauen stützt, das der öffentliche Auftraggeber in ihn legt“ (34).

Die öffentlichen Auftraggeber verfügen über einen weiten Ermessensspielraum, wenn es darum geht, einen Bieter wegen des Verdachts auf geheime Absprachen auszuschließen. Es gibt jedoch bestimmte Grenzen, die in der Richtlinie festgelegt sind.

Erstens ist es den Mitgliedstaaten gestattet, bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht ihre öffentlichen Auftraggeber zur Anwendung der in Artikel 57 Absatz 4 der Richtlinie vorgesehenen fakultativen Ausschlussgründe zu verpflichten und, im Hinblick auf Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d, einen Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen, wenn sie über hinreichend plausible Anhaltspunkte für Absprachen verfügen (35).

Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten nach Artikel 57 Absatz 7 der Richtlinie das Recht, die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels im Einklang mit dem EU-Recht festzulegen, insbesondere um sicherzustellen, dass die öffentlichen Auftraggeber in dieser Frage auf nationaler Ebene einheitlich vorgehen. In Erwägungsgrund 102 der Richtlinie wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, solche Bedingungen für den speziellen Fall festzulegen, dass eine Bewertung der von einem Bieter vorgeschlagenen „Selbstreinigungsmaßnahmen“ vorgenommen wird. Eine solche Bedingung sollte jedoch weder den Umfang noch die Begründung der in Absatz 4 des Artikels genannten Ausschlussgründe umgestalten, verändern, ausweiten oder einschränken, den Ermessensspielraum der öffentlichen Auftraggeber begrenzen oder ihre Entscheidungen beeinflussen bzw. ihnen vorgreifen. Das Ziel solcher Bedingungen besteht darin, auf nationaler Ebene die Bedingungen festzulegen, nach denen öffentliche Auftraggeber ihre in der Richtlinie vorgesehenen Befugnisse ausüben (36).

Zweitens kann nach Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie ein Bieter seine Zuverlässigkeit nachweisen, indem er dem öffentlichen Auftraggeber die in diesem Absatz genannten Nachweise darüber vorlegt, dass er ausreichende Compliance-Maßnahmen (oder „Selbstreinigungsmaßnahmen“) getroffen hat, um die nachteiligen Folgen seines Fehlverhaltens zu beheben. In Erwägungsgrund 102 der Richtlinie heißt es:

 

„Soweit derartige Maßnahmen ausreichende Garantien bieten, sollte der jeweilige Wirtschaftsteilnehmer nicht länger alleine aus diesen Gründen ausgeschlossen werden.“

Der öffentliche Auftraggeber ist verpflichtet, solche Nachweise unter Berücksichtigung der Schwere oder der besonderen Umstände der Verfehlung zu prüfen und eine Begründung abzugeben, wenn er entscheidet, dass der Nachweis nicht ausreicht, um dem Bieter die Fortsetzung des Verfahrens zu ermöglichen.

Drittens gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem sämtliche Stadien des Vergabeverfahrens unterliegen, auch für das Stadium der Beurteilung eines potenziellen Falls geheimer Absprachen. Dies wird durch Erwägungsgrund 101 der Richtlinie bestätigt, in dem es heißt:

 

„Bei der Anwendung fakultativer Ausschlussgründe sollten die öffentlichen Auftraggeber insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen.“

Auch bei der Bewertung der von dem betreffenden Bieter vorgeschlagenen „Selbstreinigungsmaßnahmen“ muss der öffentliche Auftraggeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Artikel 57 Absatz 6 dieser Richtlinie lautet:

 

„Die von den Wirtschaftsteilnehmern ergriffenen Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der Schwere und besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens bewertet.“

Für die Anwendung dieses Ausschlussgrundes erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich, dass der öffentliche Auftraggeber eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers vornimmt (37), die von früheren Entscheidungen anderer Behörden unabhängig ist (siehe Abschnitt 5.4) und das Recht des Wirtschaftsteilnehmers, „Selbstreinigungsmaßnahmen“ vorzuschlagen (siehe Abschnitt 5.7), achtet.

Viertens wird der Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich der Frage, ob ein Wirtschaftsteilnehmer vom Vergabeverfahren auszuschließen ist, dadurch begrenzt, dass die Entscheidung gut dokumentiert und ordnungsgemäß begründet sein muss. Für den Fall, dass „Selbstreinigungsmaßnahmen“ vorgeschlagen werden, sieht Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie Folgendes vor:

 

„Werden die Maßnahmen als unzureichend befunden, so erhält der Wirtschaftsteilnehmer eine Begründung dieser Entscheidung.“

Eine ordnungsgemäß begründete Entscheidung könnte das Risiko einer erfolgreichen rechtlichen Anfechtung durch den betreffenden Wirtschaftsteilnehmer erheblich verringern.

Generell müssen sich Vergabebehörden in allen Phasen des Vergabeverfahrens darüber im Klaren sein, dass der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers vom Verfahren zu einer konkreten Einschränkung des Wettbewerbs und der Wahlmöglichkeiten für den öffentlichen Käufer führt. Ein Ausschluss ist eine Maßnahme, die mit Vorsicht einzusetzen ist (insbesondere in Sektoren, in denen es nur eine begrenzte Anzahl aktiver Wirtschaftsteilnehmer gibt) und die nur dann zum Tragen kommen darf, wenn die Integrität und Zuverlässigkeit des künftigen Auftragnehmers nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden kann.

5.4.   Der Begriff „hinreichend plausible Anhaltspunkte“: welche Sachverhalte als „Anhaltspunkte“ angesehen werden können, was unter „Anhaltspunkten“ — im Gegensatz zu „Nachweisen“ — zu verstehen ist und wie mit Anträgen auf Anwendung der Kronzeugenregelung umzugehen ist

Wie in Abschnitt 5.3 erwähnt wurde, enthalten die Richtlinien keine näheren Angaben dazu, was als „hinreichend plausible Anhaltspunkte“ gelten könnte, die es einem öffentlichen Auftraggeber ermöglichen würden, einen Wirtschaftsteilnehmer auf wegen wettbewerbsverzerrender Absprachen vom Vergabeverfahren auszuschließen.

Daher kann allgemein davon ausgegangen werden, dass ein öffentlicher Auftraggeber bei der Prüfung der Möglichkeiten, einen Bieter wegen mutmaßlicher Absprachen von einem laufenden Vergabeverfahren auszuschließen, nach der Richtlinie das Recht hat, alle ihm bekannten Sachverhalte zu würdigen, die die Zuverlässigkeit dieses Bieters als potenzieller künftiger Auftragnehmer infrage stellen könnten. Die Kenntnis des Umstandes, dass beispielsweise ein Bieter mit einem anderen Bieter in demselben Verfahren bereits einen Vertrag über die Vergabe von Unteraufträgen geschlossen hat oder dass er das für die Erfüllung des betreffenden Einzelvertrags benötigte Material lange vor dem Abschluss der Bewertung der Angebote vorbestellt hat, kann vom öffentlichen Auftraggeber als potenzieller plausibler Anhaltspunkt berücksichtigt werden. Weitere Aspekte, die öffentliche Auftraggeber bewerten müssen (anhand verfügbarer Analysemethoden oder auf der Grundlage von Listen sogenannter „Red Flags“) sind unter anderem:

Das allgemeine Marktverhalten der am Verfahren teilnehmenden Bieter (beispielsweise Bieter, die nie in demselben Vergabeverfahren Angebote abgeben, Bieter, die nur in bestimmten Regionen Angebote abgeben, oder Bieter, die sich bei der Teilnahme an Vergabeverfahren abzuwechseln scheinen).

Der Text der Angebote (beispielsweise die gleichen Tippfehler oder Formulierungen in unterschiedlichen Angeboten, versehentlich im Angebotstext belassene Kommentare, die auf Absprachen unter Bietern hinweisen).

Die im Vergabeverfahren angebotenen Preise (beispielsweise Bieter, die einen höheren Preis als bei früheren ähnlichen Verfahren anbieten, oder die viel zu hohe oder niedrige Preise anbieten).

Administrative Details (beispielsweise Angebote, die vom selben Unternehmensvertreter eingereicht werden) (38).

Die öffentlichen Auftraggeber müssen umsichtig und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend bewerten, ob die in einem laufenden Vergabeverfahren aufgedeckten Anhaltspunkte für geheime Absprachen hinreichend plausibel sind, um einen Bieter auszuschließen. Dabei müssen sie sich auf Tatsachen konzentrieren und Vermutungen vermeiden. Beispielsweise wäre es schwierig, den Ausschluss zweier Bieter von einem Vergabeverfahren allein damit zu begründen, dass sie ihr Angebot mit wenigen Minuten Abstand auf elektronischem Weg eingereicht haben.

Zur konkreten Fragestellung, was im Sinne der Richtlinie als hinreichend plausibler Anhaltspunkt angesehen werden könnte, lässt sich Folgendes sagen:

Erstens kann in Anbetracht der Analyse in Abschnitt 5.3 davon ausgegangen werden, dass die Richtlinien den Mitgliedstaaten gestatten, nationale Vorschriften oder Leitlinien einzuführen, in denen festgelegt wird, was ein öffentlicher Auftraggeber für die Zwecke der Anwendung des Ausschlussgrundes als „hinreichend plausible Anhaltspunkte“ betrachten könnte. Wie bereits erwähnt, sollten die nationalen Vorschriften dem Buchstaben und dem Geiste der Richtlinie entsprechen, wonach lediglich „Anhaltspunkte“ für die Beteiligung an rechtswidrigen Vereinbarungen, die den Wettbewerb in einem Vergabeverfahren verzerren, aber kein förmlicher Nachweis — z. B. ein Gerichtsurteil, das eine solche Beteiligung bestätigt — vorliegen müssen. Hätte der europäische Gesetzgeber Nachweise für diesen Ausschlussgrund verlangt, hätte sich dies im Text niedergeschlagen, wie es bei Artikel 26 Absatz 4 Buchstabe b und Artikel 35 Absatz 5 der Richtlinie auch der Fall ist. Der Gerichtshof hat ebenfalls bestätigt, dass der Nachweis für einen Verstoß gegen das Vergaberecht der EU wie beispielsweise wettbewerbswidriges Verhalten „nicht nur durch unmittelbare Beweise erbracht werden kann, sondern auch mittels Indizien, sofern diese objektiv und übereinstimmend sind, und dass die miteinander verbundenen Bieter in der Lage sind, den Beweis des Gegenteils zu erbringen“ (39).

In der Praxis bedeutet dies, dass von öffentlichen Auftraggebern keine Nachweise für Absprachen in einem laufenden Vergabeverfahren verlangt werden, da dies im Widerspruch zum Wortlaut der Richtlinie stünde. Nationale Rechtsvorschriften, in denen eine wettbewerbsbehördliche Entscheidung oder ein Gerichtsurteil mit der Bestätigung verlangt wird, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer im laufenden Vergabeverfahren geheime Absprachen traf, bevor der öffentliche Auftraggeber das Angebot auf der Grundlage von Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d ablehnen kann, lassen Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Rechtsvorschriften mit der Richtlinie aufkommen, denn eine solche Entscheidung stellt tatsächlich einen Nachweis für Absprachen dar (40). Dies würde die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Richtlinie eingeräumte Befugnis, einen Bieter auf der Grundlage hinreichend plausibler Anhaltspunkte für Absprachen statt auf der Grundlage von Nachweisen auszuschließen, über Gebühr einschränken. Als Anhaltspunkt für eine geheime Absprache könnten beispielsweise Informationen angesehen werden, die dem öffentlichen Auftraggeber zur Kenntnis gebracht werden und eine von der Wettbewerbsbehörde eingeleitete Untersuchung oder Strafanzeigen gegen die Leitung des Wirtschaftsteilnehmers wegen mutmaßlicher Absprachen im laufenden Vergabeverfahren oder in anderen Vergabeverfahren betreffen.

Zweitens ist der öffentliche Auftraggeber bei der Bewertung der Integrität und Zuverlässigkeit eines Bieters im Sinne von Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie berechtigt, jeden Sachverhalt, der auf wettbewerbswidriges Verhalten des betreffenden Bieters hinweist, zu berücksichtigen, ungeachtet dessen, ob dies das laufende oder ein anderes, früheres oder gegenwärtiges Vergabeverfahren betrifft. In Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie wird nicht festgelegt, ob sich die Sachverhalte, die Anlass zu hinreichend plausiblen Anhaltspunkten für Absprachen bieten, auf das laufende Vergabeverfahren beziehen müssen oder ob sie sich auf andere (frühere oder gegenwärtige) Verfahren, Verfahren in einem anderen Wirtschaftszweig oder für den Privatsektor durchgeführte Vergabeverfahren beziehen können. Vielmehr wird in Unterabsatz 2 des Artikels 57 Absatz 5 der Richtlinie ausdrücklich bestätigt, dass der öffentliche Auftraggeber „Handlungen oder Unterlassungen vor oder während des Verfahrens“ berücksichtigen kann. Daher kann eine frühere Entscheidung eines anderen öffentlichen Auftraggebers über den Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers von einem Vergabeverfahren oder eine Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde bzw. ein Urteil eines nationalen Gerichts, kraft dessen der Wirtschaftsteilnehmer, ein Mitglied seiner Geschäftsleitung oder sein Personal für schuldig befunden wurden, im Kontext früherer Vergabeverfahren geheime Absprachen getroffen zu haben, von einem öffentlichen Auftraggeber bei der Bewertung der Zuverlässigkeit eines Bieters im Zusammenhang mit dem laufenden Verfahren herangezogen werden (41). Die Beteiligung des Wirtschaftsteilnehmers an einem früheren Fall geheimer Absprachen ist jedoch nicht per se ein Grund für den Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers von einem laufenden Vergabeverfahren, da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (42) die Entscheidungen anderer Behörden in früheren Fällen keinen Einfluss auf das Urteil des das Vergabeverfahren durchführenden öffentlichen Auftraggebers hat. Das Gleiche gilt, wenn ein Bieter in einem früheren Fall geheimer Absprachen verdächtigt wurde, schließlich aber der Verdacht entweder zurückgewiesen wurde oder der Bieter trotzdem im Vergabeverfahren verblieb. Der öffentliche Auftraggeber ist bei der Durchführung seines Vergabeverfahrens nicht an solche früheren Entscheidungen gebunden (43), behält aber das Recht, den Ausschluss eines Bieters vom Vergabeverfahren in Betracht zu ziehen, wenn das frühere Verhalten dieses Bieters beim öffentlichen Auftraggeber im Zusammenhang mit dem laufenden Vergabeverfahren einleuchtende und gerechtfertigte Zweifel hinsichtlich der Integrität und Zuverlässigkeit dieses Bieters entstehen lässt.

Wie in Abschnitt 5.3 erwähnt, muss der öffentliche Auftraggeber begründen, wie er seine endgültige Entscheidung zum Ausschluss des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers vom Vergabeverfahren getroffen hat; insbesondere, inwiefern konkrete Sachverhalte als hinreichend plausible Anhaltspunkte für Absprachen befunden wurden und die Zuverlässigkeit des Bieters für das laufende Vergabeverfahren infrage stellen. Damit der öffentliche Auftraggeber eine fundierte Beurteilung vornehmen kann, muss ein Wirtschaftsteilnehmer den öffentlichen Auftraggeber auf Anfrage über alle früheren Entscheidungen einer Wettbewerbsbehörde bzw. Gerichtsurteile, in denen festgestellt wurde, dass der Wirtschaftsteilnehmer an geheimen Absprachen beteiligt war, unterrichten. Diese Angaben werden im Rahmen des Fragebogens in der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE) oder vergleichbarer nationaler Formulare verlangt, die der Wirtschaftsteilnehmer in der Regel zusammen mit seinem Angebot einreichen muss (44). Wenn ein Wirtschaftsteilnehmer einem öffentlichen Auftraggeber Informationen vorenthält, die zur Überprüfung des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen erforderlich sind, ist der Auftraggeber nach Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe h der Richtlinie berechtigt, den Wirtschaftsteilnehmer vom Vergabeverfahren auszuschließen.

Drittens gibt es Fälle, in denen Wirtschaftsteilnehmer in der Vergangenheit ihre Beteiligung an geheimen Absprachen zugegeben und als Antragsteller auf Anwendung der Kronzeugenregelung oder Befreiung von gerichtlicher Verfolgung und/oder im Zusammenhang mit einem Streitbeilegungsverfahren mit einer Wettbewerbsbehörde zusammengearbeitet haben. Es stellt sich die Frage, ob in nationalen Rechtsvorschriften bestimmt werden kann, dass eine solche frühere Zusammenarbeit öffentlichen Auftraggebern automatisch die Möglichkeit nimmt, für die Zwecke der Anwendung des Ausschlussgrundes in nach der Veröffentlichung der Entscheidung durch die Wettbewerbsbehörde durchgeführten Vergabeverfahren diese frühere Beteiligung an einem kollusiven System als hinreichend plausiblen Anhaltspunkt für Absprachen zu betrachten.

Vor der Beantwortung dieser Frage ist zu bedenken, dass in den meisten Rechtsordnungen Folgendes zutrifft:

Ein Beschluss über eine Kronzeugen- oder Streitbeilegungsregelung setzt voraus, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer seine Beteiligung an einer rechtswidrigen Absprache einräumt.

Es kann sein, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, gegen den wegen einer Absprache ermittelt wurde und der sich schließlich für eine Streitbeilegung entschied, zunächst die Zusammenarbeit mit der Wettbewerbsbehörde verweigerte und die Untersuchung untergrub oder behinderte. Dies ist das Gegenteil dessen, was man nach Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie vom Wirtschaftsteilnehmer erwarten würde, damit er seine Zuverlässigkeit als künftiger Auftragnehmer wiederherstellt.

Schließlich erfordert die Beilegung dieser Fälle keine Verpflichtung des Wirtschaftsteilnehmers, künftig ähnliche Praktiken zu vermeiden oder besondere Maßnahmen zu treffen. Weder verpflichtet sich der Wirtschaftsteilnehmer noch garantiert er, dass er besondere Maßnahmen („Selbstreinigungsmaßnahmen“) einführen wird, um seine Zuverlässigkeit und Integrität im Sinne der Richtlinie wiederherzustellen. Das Wettbewerbsrecht sieht im Allgemeinen keinen Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von künftigen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge als Sanktion für sein wettbewerbswidriges Verhalten vor.

Vor diesem Hintergrund ist zwischen zwei Fällen zu unterscheiden: einerseits dem Fall eines oder mehrerer Vergabeverfahren, die Gegenstand einer Untersuchung und Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde waren und einen Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung oder Streitbeilegung beinhalteten, und andererseits dem Fall anderer Vergabeverfahren, die nach der Veröffentlichung der vorstehend genannten Entscheidung durchgeführt werden.

Im erstgenannten Fall sollte es den Mitgliedstaaten generell freistehen, zu entscheiden, Antragsteller auf Anwendung der Kronzeugenregelung, Befreiung von gerichtlicher Verfolgung oder Streitbeilegung ganz oder teilweise von Sanktionen im Zusammenhang mit den Vergabeverfahren freizustellen, die Gegenstand des Antrags sind und in denen geheime Absprachen zwischen den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern durch Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde festgestellt und geahndet wurden. (45) Dies könnte die Wirksamkeit der von den Mitgliedstaaten eingeführten Kronzeugen- oder Streitbeilegungsregelungen gewährleisten, da die Befreiung eines Wirtschaftsteilnehmers, der die Beteiligung an einem kollusiven System zugibt, von den in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen, schwerwiegenden Folgen einen sehr starken Anreiz für Wirtschaftsteilnehmer darstellen könnte, sich zu melden und Fälle geheimer Absprachen offenzulegen.

Dies sollte auch möglich sein, wenn ein Vergabeverfahren, bei dem es zu einer kollusiven Absprache kam, die gemäß der Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde geahndet wurde, zu dem Zeitpunkt, an dem die Wettbewerbsbehörde ihre Entscheidung öffentlich macht, noch in der Schwebe ist. Ungeachtet der Vorrechte der öffentlichen Auftraggeber nach Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie kann wohl davon ausgegangen werden, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der seine Beteiligung am kollusiven System eingeräumt, mit der Wettbewerbsbehörde zusammengearbeitet, die verhängten Geldbußen gezahlt und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit ergriffen hat, gemäß Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie die Voraussetzungen für seine „Selbstreinigung“ erfüllt. Folglich könnte man es als unverhältnismäßig betrachten, wenn ein öffentlicher Auftraggeber diesen Wirtschaftsteilnehmer von einem laufenden Vergabeverfahren ausschließt, bei dem die „Selbstreinigungsmaßnahmen“ des Wirtschaftsteilnehmers teilweise bereits in der diesbezüglichen Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde zum Ausdruck kamen.

Im zweiten Fall enthält die Richtlinie jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mitgliedstaaten eine verbindliche, allgemeine und uneingeschränkte Zuverlässigkeitsvermutung für diese Wirtschaftsteilnehmer einführen dürfen bzw. dass die öffentlichen Auftraggeber verpflichtet wären, deren Teilnahme an Vergabeverfahren, die nach der Veröffentlichung einer Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde durchgeführt oder abgeschlossen wurden, automatisch zu akzeptieren. Dies würde de facto dem besonderen Ermessensspielraum öffentlicher Auftraggeber zuwiderlaufen (der in der Richtlinie vorgesehen ist und, wie vorstehend festgestellt, vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung bestätigt wurde), sich um Bestätigung oder Rückversicherung hinsichtlich der Zuverlässigkeit des Bieters zu bemühen und dabei möglicherweise auch Nachweise für die in Artikel 57 Absatz 6 vorgesehenen „Selbstreinigungsmaßnahmen“ zu verlangen und zu bewerten, ob die vom Wirtschaftsteilnehmer vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichen, um den Bieter weiterhin im Vergabeverfahren zu belassen (46). Wie der Gerichtshof ebenfalls hervorhob (47), kann eine solche Garantie für die Teilnahme in künftigen Vergabeverfahren sogar als unmittelbarer Widerspruch zur „Selbstreinigungsbestimmung“ in Artikel 57 Absatz 6 angesehen werden (oder diese sogar unwirksam werden lassen), da ein Wirtschaftsteilnehmer mit garantiertem Zugang zu künftigen Vergabeverfahren keinerlei Anreize hätte, Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit zu ergreifen.

Das Recht eines öffentlichen Auftraggebers, das Risiko geheimer Absprachen bei der Teilnahme eines Bieters, der in der Vergangenheit eine Kronzeugenbehandlung beantragt oder einen früheren Fall von Absprachen auf dem Vergleichsweg beigelegt hat, an einem laufenden Vergabeverfahren zu beurteilen, steht in einem ausgewogenen Verhältnis zu der Verpflichtung, die Belege, die der Wirtschaftsteilnehmer gemäß Artikel 57 Absatz 6 in Bezug auf die zur Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit ergriffenen Maßnahmen vorlegen kann, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend zu prüfen. Beschließt der öffentliche Auftraggeber, den Bieter trotz der ihm zur Kenntnis gebrachten „Selbstreinigungsmaßnahmen“ auszuschließen, muss er begründen, warum diese Maßnahmen für den Verbleib des Bieters im Vergabeverfahren als unzureichend erachtet wurden.

5.5.   Verbundene Unternehmen, die an demselben Vergabeverfahren teilnehmen: das Recht von Wirtschaftsteilnehmern, bei denen der Verdacht geheimer Absprachen besteht, ihre Unabhängigkeit bei der Angebotsabgabe nachzuweisen

Öffentliche Auftraggeber befassen sich häufig mit der Frage, wie mit getrennten Angeboten umzugehen ist, die im Rahmen desselben Vergabeverfahrens von Wirtschaftsteilnehmern eingereicht werden, die in irgendeiner Weise verbunden sind (z. B. als Mitglieder derselben Unternehmensgruppe, oder wenn eine Gesellschaft die Tochtergesellschaft der anderen ist, oder Gesellschaften, die gemeinsame Vorstandsmitglieder oder gesetzliche Vertreter haben, oder Gesellschaften, die Anteile an derselben dritten Gesellschaft besitzen). Es kann sein, dass die von verbundenen Bietern eingereichten Angebote abgesprochen sind (d. h. dass sie weder eigenständig noch unabhängig sind) und damit die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung unter Bietern gefährdet wird (48).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (49) muss der öffentliche Auftraggeber Vermutungen vermeiden, die zur automatischen Ablehnung solcher Angebote führen könnten (50). Stattdessen sollte er den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern gestatten, mittels beliebiger, von ihnen für angemessen erachteter Belege nachzuweisen, dass ihre Angebote tatsächlich unabhängig sind und weder die Transparenz gefährden noch den Wettbewerb im Vergabeverfahren verzerren (51). Dies könnte beispielsweise Sachverhalte umfassen, die belegen, dass die jeweiligen Angebote unabhängig erstellt wurden, dass verschiedene Personen an ihrer Erstellung beteiligt waren usw.

Der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, zu beurteilen, ob solche Erläuterungen hinreichend belegen, dass die Zusammengehörigkeit zwischen den Wirtschaftsteilnehmern weder deren Verhalten im Vergabeverfahren noch den Inhalt der jeweiligen Angebote im Sinne von Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie beeinflusst hat, und zu entscheiden, ob den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern die Teilnahme am Verfahren erlaubt wird.

5.6.   Gemeinsame Gebote und Unterauftragsvergabe: sorgfältige, aber ausgewogene Bewertung durch den öffentlichen Auftraggeber

Mitunter lässt ein gemeinsames Gebot bei dem öffentlichen Auftraggeber Zweifel entstehen, insbesondere wenn die Mitglieder der Unternehmensgruppe, die ein gemeinsames Gebot abgeben, problemlos ein eigenständiges Gebot abgeben könnten (oder dies sogar von ihnen erwartet würde). Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat bezüglich dieser Fragestellung konkrete Schritte unternommen und Wirtschaftsteilnehmer beraten, wie sie gemeinsame Gebote in Erwägung ziehen können, ohne dass ihnen potenziell wettbewerbswidriges Verhalten vorgeworfen werden kann (52).

Der öffentliche Auftraggeber verfügt im Rahmen der Richtlinie über einen ausreichenden Ermessensspielraum zur Beurteilung dessen, ob ein Fall eines gemeinsamen Gebots Risiken für den ordnungsgemäßen Ablauf des Vergabeverfahrens birgt, insbesondere ob es Anhaltspunkte für Absprachen gibt, die den Ausschlussgrund nach Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie auslösen könnten. Bei der Auseinandersetzung mit Fragen dieser Art muss der öffentliche Auftraggeber jedoch ein Gleichgewicht herstellen zwischen der Vermeidung von Wettbewerbsrisiken durch gemeinsame Gebote (53) und der Achtung des Rechts der Wirtschaftsteilnehmer auf die gemeinsame Einreichung eines Angebots (wie in Artikel 2 Absätze 1 und 10, Artikel 19 Absatz 2 und Artikel 63 Absatz 1 der Richtlinie anerkannt). Dabei ist zu bedenken, dass Unternehmen strategische Partnerschaften oder Kooperationen häufig als Schlüsselaspekt ihrer Wachstumsstrategie betrachten. Wirtschaftsteilnehmer haben das Recht, gesetzeskonforme unternehmerische Entscheidungen über ihre auszuübenden Tätigkeiten zu treffen, und öffentliche Auftraggeber sollten dieses Recht nicht per se einschränken, sondern stattdessen die Risiken von Absprachen in jedem Einzelfall beurteilen.

Ein ähnlicher Ansatz ist bei der Vergabe von Unteraufträgen erforderlich: Der öffentliche Auftraggeber sollte Fälle sorgfältig bewerten, in denen sich ein vorgeschlagener Unterauftragnehmer ohne Weiteres eigenständig am Vergabeverfahren beteiligen und den Auftrag unabhängig ausgeführt haben könnte. Auch Fälle, in denen sich zwei Bieter gegenseitig Unteraufträge erteilen, können vom öffentlichen Auftraggeber als möglicher Anhaltspunkt für eine nach Artikel 57 der Richtlinie zu prüfende Absprache betrachtet werden, da solche Unterverträge den Parteien in der Regel die wechselseitige Kenntnis ihrer finanziellen Angebote ermöglichen, was wiederum die Unabhängigkeit der Parteien bei der Abfassung ihrer eigenen Angebote infrage stellt. Auch wenn Unteraufträge wie die oben genannten als Warnsignal („Red Flag“) gelten können, das auf mögliche geheime Absprachen hindeutet, sollten öffentliche Auftraggeber allgemeine Vermutungen vermeiden, wonach die Vergabe von Unteraufträgen durch den Zuschlagsempfänger an einen anderen Bieter im Rahmen desselben Verfahrens eine Absprache zwischen den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern darstellt, ohne diesen Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit einzuräumen, Argumente zum Beweis des Gegenteils vorzutragen (54).

5.7.   Von Wirtschaftsteilnehmern getroffene „Selbstreinigungsmaßnahmen“ im Sinne von Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie: das Recht der Wirtschaftsteilnehmer, ihre Zuverlässigkeit nachzuweisen, und die Notwendigkeit einer angemessenen Bewertung der vorgebrachten Argumente durch die öffentlichen Auftraggeber

Wie in Abschnitt 5.3 erwähnt wurde, räumt Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie Wirtschaftsteilnehmern, die sich in einer Situation befinden, die ihren Ausschluss rechtfertigt, das Recht ein, trotz des Vorliegens von Ausschlussgründen ihre Zuverlässigkeit nachzuweisen (55).

In Artikel 57 Absatz 6 werden die sogenannten „Selbstreinigungsmaßnahmen“, die Wirtschaftsteilnehmer dem öffentlichen Auftraggeber zu diesem Zweck zur Kenntnis bringen können, im Einzelnen aufgeführt. Erwägungsgrund 102 der Richtlinie enthält Beispiele für diese Maßnahmen, insbesondere Personal- und Organisationsmaßnahmen wie den Abbruch aller Verbindungen zu an dem Fehlverhalten beteiligten Personen oder Organisationen, geeignete Personalreorganisationsmaßnahmen, die Einführung von Berichts- und Kontrollsystemen, die Schaffung einer internen Audit-Struktur zur Überwachung der Compliance oder die Einführung interner Haftungs- und Entschädigungsregelungen.

In diesem Erwägungsgrund wird auch auf die nach Artikel 57 Absatz 7 der Richtlinie für Mitgliedstaaten bestehende Möglichkeit verwiesen, „die genauen verfahrenstechnischen und inhaltlichen Bedingungen zu bestimmen, die in diesem Fall gelten“, was die Möglichkeit einschließt, auf nationaler Ebene ausführliche Kriterien oder Leitlinien für die Art und Weise, wie die öffentlichen Auftraggeber „Selbstreinigungsbestimmungen“ in der Praxis anwenden, vorzusehen. Wie in Abschnitt 5.3 bereits analysiert wurde, sollten solche nationalen, nach Artikel 57 Absatz 7 der Richtlinie eingeführten Bestimmungen jedoch im Einklang mit dem Geltungsbereich und der Begründung der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie stehen, ohne jedoch das Recht des Wirtschaftsteilnehmers, Argumente für eine „Selbstreinigung“ vorzubringen oder den Ermessensspielraum des öffentlichen Auftraggebers bei deren Beurteilung infrage zu stellen (56). Die Mitgliedstaaten können sich auch dafür entscheiden, die Bewertung von „Selbstreinigungsmaßnahmen“ auf zentraler oder dezentraler Ebene anderen Behörden als dem öffentlichen Auftraggeber zu übertragen. Dabei müssen sie jedoch sicherstellen, dass die Voraussetzungen und Ziele des „Selbstreinigungssystems“ erfüllt werden, insbesondere wenn es um die ordnungsgemäße, zügige Bewertung der vom Wirtschaftsteilnehmer vorgeschlagenen „Selbstreinigungsmaßnahmen“ geht (57).

Die genauen Informationen oder Nachweise, die der Wirtschaftsteilnehmer zur Bewertung durch den öffentlichen Auftraggeber vorlegen kann, sind je nach konkretem Fall unterschiedlich. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sollte davon ausgegangen werden können, dass der Wirtschaftsteilnehmer nachweisen muss, dass er die in Artikel 57 Absatz 6 Unterabsatz 2 genannten, im konkreten Fall anwendbaren Maßnahmen trifft. Beispielsweise muss der Wirtschaftsteilnehmer nur dann nachweisen, dass er für sein rechtswidriges Verhalten Schadensersatz geleistet oder sich dazu verpflichtet hat, wenn gegen ihn ein Anspruch besteht. Darüber hinaus kann es Fälle geben, in denen rein personelle Maßnahmen ausreichen können, um den öffentlichen Auftraggeber von der Zuverlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers zu überzeugen, ohne dass es weiterer technischer oder organisatorischer Maßnahmen bedarf.

Die Richtlinie verpflichtet die öffentlichen Auftraggeber, die vom betreffenden Wirtschaftsteilnehmer vorgetragenen Argumente vor ihrer Entscheidung für oder gegen den Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers vom Verfahren selbst dann zu prüfen, wenn sie der Auffassung sind, dass sie über Beweise für geheime Absprachen des Wirtschaftsteilnehmers verfügen. Wie der Gerichtshof bestätigte (58), legt die Richtlinie nicht im Einzelnen fest, ob Erläuterungen oder „Selbstreinigungsmaßnahmen“ vom Bieter auf eigene Initiative oder nach Aufforderung durch den öffentlichen Auftraggeber übermittelt werden. In Ermangelung einer ausdrücklichen Bestimmung und im Lichte von Artikel 57 Absatz 7 ist es, wie bereits erwähnt, Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob die öffentlichen Auftraggeber die Wirtschaftsteilnehmer zur Übermittlung dieser Erläuterungen auffordern sollten, bevor sie eine Entscheidung treffen, oder ob diese Möglichkeit der Initiative des Wirtschaftsteilnehmers überlassen werden sollte. Verpflichten die nationalen Rechtsvorschriften Bieter dazu, spätestens zusammen mit seinem Angebot spontan „Selbstreinigungsmaßnahmen“ zu übermitteln, muss der öffentliche Auftraggeber die Bieter bei der Einleitung des Verfahrens deutlich und präzise über diese Anforderung informieren (59). In Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs (60) wäre es auf jeden Fall ratsam, dass öffentliche Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen klar und deutlich darlegen, welche Angaben Wirtschaftsteilnehmer in ihr Angebot aufnehmen müssen, wobei dies Informationen über ihre Verbindungen oder Vereinbarungen mit anderen Bietern sowie etwaige „Selbstreinigungsmaßnahmen“ einschließt, die infolge eines früheren Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln ergriffen wurden. Eine Verpflichtung zur Angabe solcher Vereinbarungen sowie zu Auskünften über mögliche „Selbstreinigungsmaßnahmen“ ist bereits in der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE) oder vergleichbaren nationalen Formularen enthalten, die der Wirtschaftsteilnehmer in der Regel zusammen mit seinem Angebot einreichen muss.

Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie räumt einem Wirtschaftsteilnehmer nicht nur das Recht ein, Nachweise zu erbringen, die ihm den Verbleib im Vergabeverfahren erlauben würden, sondern ermöglicht es dem öffentlichen Auftraggeber auch, vom Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers, der den Bedenken hinsichtlich seines früheren Verhaltens in Vergabeverfahren hinreichend Rechnung getragen hat, abzusehen. Die einzige Einschränkung für das Recht des Wirtschaftsteilnehmers, „Selbstreinigungsmaßnahmen“ vorzuschlagen, besteht darin, dass dieses Recht nicht gilt, solange der Wirtschaftsteilnehmer während eines Zeitraums, der durch ein rechtskräftiges Urteil in dem Mitgliedstaat, in dem dieses Urteil gilt, festgesetzt wurde, von Vergabeverfahren ausgeschlossen ist (siehe Abschnitt 5.9). (61) Folglich hindert diese Bestimmung einen öffentlichen Auftraggeber nicht daran, einen Wirtschaftsteilnehmer im Verfahren zu belassen, der sich während des Verfahrens gemeldet und rechtswidrige Vereinbarungen mit anderen Bietern zugegeben, aktiv mit dem öffentlichen Auftraggeber an der Klärung der Lage zusammengearbeitet und alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um weiteres Fehlverhalten zu verhindern.

Im Laufe eines Vergabeverfahrens bewertet der öffentliche Auftraggeber die „Selbstreinigungsmaßnahmen“, die ein Wirtschaftsteilnehmer, bei dem in der Vergangenheit Absprachen mit anderen Wirtschaftsteilnehmern nachgewiesen wurden, vorlegt, und berücksichtigt dabei die von diesem Wirtschaftsteilnehmer vorgelegten Nachweise (62). Wie in Abschnitt 5.3 bereits erwähnt wurde, muss der öffentliche Auftraggeber die vom Wirtschaftsteilnehmer vorgelegten Nachweise unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bewerten und beispielsweise die Schwere und die besonderen Umstände des betreffenden Falls (63) sowie die spezifischen, vom Wirtschaftsteilnehmer zur Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit getroffenen Maßnahmen berücksichtigen (64).

Dies gilt auch für Wirtschaftsteilnehmer, die an früheren Absprachefällen beteiligt waren und an einem Kronzeugenprogramm oder einer Regelung zur Befreiung von gerichtlicher Verfolgung teilgenommen und/oder die Sache auf dem Vergleichsweg beigelegt haben (siehe Abschnitt 5.4). Angesichts der Bedeutung von Kronzeugenregelungen für die Bekämpfung von Kartellen und der Notwendigkeit, Unternehmen, die einen Antrag auf Anwendung der Kronzeugenregelung stellen, Rechtssicherheit und Transparenz hinsichtlich der Voraussetzungen für die Kronzeugenregelung zu bieten, sollten die Mitgliedstaaten die öffentlichen Auftraggeber dazu anhalten, bei der Bewertung der von solchen Wirtschaftsteilnehmern getroffenen, wirksamen „Selbstreinigungsmaßnahmen“ zur Gewährleistung ihrer Zuverlässigkeit und Integrität nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorzugehen. Der Gerichtshof bestätigte bereits, „dass grundsätzlich die Übermittlung der Entscheidung, mit der der Verstoß des Bieters gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt, auf diesen aber wegen seiner Zusammenarbeit mit der Wettbewerbsbehörde eine Bonusregelung angewandt wurde, an den öffentlichen Auftraggeber ausreichen sollte, um diesem gegenüber nachzuweisen, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine Zusammenarbeit mit der Wettbewerbsbehörde geklärt hat“, was Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie entspricht (65).

Gelangt der öffentliche Auftraggeber zu dem Schluss, dass die vom Wirtschaftsteilnehmer übermittelten Maßnahmen nicht zum Nachweis der Integrität des Wirtschaftsteilnehmers ausreichen, muss er diese Entscheidung begründen.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und anderen Behörden wie der Wettbewerbsbehörde, den für die nationalen Handelsregister zuständigen Behörden usw. erleichtert die Bewertung von „Selbstreinigungsmaßnahmen“. Diese Behörden können (unter gebührender Beachtung EU-weiter (66) und nationaler Datenschutzvorschriften) auf Einzelfallbasis wertvolle Hinweise zu den Auswirkungen der Maßnahmen und den Informationen geben, die der öffentliche Auftraggeber benötigt, um beispielsweise zu beurteilen, ob der Wirtschaftsteilnehmer in einem früheren Fall hinreichend und aktiv mit der Wettbewerbsbehörde zusammengearbeitet hat, ob die an der früheren Absprache beteiligten Personen ersetzt worden sind oder ob die verhängten Geldbußen oder Schadensersatzzahlungen ordnungsgemäß geleistet wurden. Damit die Vergabeverfahren innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens abgeschlossen werden können, sollten sich die Behörden bemühen, diese Zusammenarbeit unverzüglich durchzuführen und dabei die verfügbaren Ressourcen bestmöglich zu nutzen.

5.8.   Die Bedeutung der Unterrichtung bzw. Hinzuziehung der Wettbewerbsbehörde oder anderer beteiligter zentraler Behörden durch die öffentlichen Auftraggeber

Nach den Richtlinien ist der öffentliche Auftraggeber vor seiner Entscheidung, einen Wirtschaftsteilnehmer von einem Vergabeverfahren auszuschließen, nicht verpflichtet, die zentrale nationale Vergabebehörde oder Wettbewerbsbehörde zur Beratung hinzuziehen. Es ist jedoch generell anzuraten, dass öffentliche Auftraggeber jede verfügbare Unterstützung in Anspruch nehmen, sobald sie ein verdächtiges Angebot feststellen. Durch den fachkundigen Rat dieser Behörden würde die Gesamtbeurteilung des Falls erleichtert und der öffentliche Auftraggeber bei der ordnungsgemäßen Begründung der getroffenen Entscheidungen unterstützt und somit das Risiko einer erfolgreichen rechtlichen Anfechtung der endgültigen Entscheidung erheblich verringert. Insbesondere für kleinere öffentliche Auftraggeber mit begrenzten Ressourcen kann sich die Unterstützung durch die zentralen Vergabe- oder Wettbewerbsbehörden bei der Behandlung eines Falls geheimer Absprachen als wesentlich erweisen, insbesondere wenn diese Unterstützung in Form von Beratung zu vom öffentlichen Auftraggeber ermittelten Anhaltspunkten oder in Form von Hilfe bei der Bewertung der von einem Bieter vorgelegten „Selbstreinigungsmaßnahmen“ erfolgt. Hinsichtlich solcher Maßnahmen wird in Erwägungsgrund 102 der Richtlinie ausdrücklich anerkannt, dass Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, die Bewertung von „Selbstreinigungsmaßnahmen“, die ein der geheimen Absprachen verdächtigter Bieter zum Nachweis seiner Zuverlässigkeit vorlegt, einer anderen Behörde zu übertragen. Wie in den Abschnitten 5.3 und 5.4 bereits erwähnt wird, sollte die Einbeziehung der nationalen zentralen Vergabe- oder Wettbewerbsbehörden in die Beurteilung eines möglichen Falls geheimer Absprachen nicht die Befugnis des öffentlichen Auftraggebers berühren, letztlich darüber zu entscheiden, ob ein Bieter von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen wird.

Eine reibungslose, effiziente Zusammenarbeit zwischen einem öffentlichen Auftraggeber, der ein Vergabeverfahren durchführt, und den nationalen zentralen Vergabe- oder Wettbewerbsbehörden bei der Behandlung eines Falls mutmaßlicher Absprachen setzt voraus, dass beide Seiten anerkennen, wie wichtig es ist, das Problem zu lösen, alle verfügbaren Ressourcen zu nutzen und Informationen zeitnah auszutauschen. Bereits vor der Einleitung des Vergabeverfahrens sollten den öffentlichen Auftraggebern bei der zentralen nationalen Vergabebehörde und/oder der Wettbewerbsbehörde Kontaktstellen zur Verfügung stehen, an die sie sich wenden können, sobald im Verlauf des Verfahrens ein Verdacht entsteht. Die zentralen Vergabe- oder Wettbewerbsbehörden sollten bestrebt sein, so bald wie möglich auf Ersuchen eines öffentlichen Auftraggebers um Unterstützung und Beratung zu reagieren. Beide Seiten sollten bereit sein, soweit dies angemessen ist, alle Informationen, die für die Aufdeckung und Beurteilung von Fällen geheimer Absprachen von entscheidender Bedeutung sein könnten, weiterzugeben (67). Auch wenn öffentliche Auftraggeber ihre zentralen Vergabe- oder Wettbewerbsbehörden nicht konsultieren, wird ihnen dringend empfohlen, diese Behörden über Fälle mutmaßlicher Absprachen und alle endgültigen Entscheidungen zum Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern von Vergabeverfahren zu unterrichten.

Nicht zuletzt sollten Kontakte zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und anderen Behörden während des Zeitraums zwischen der Feststellung eines Verdachts auf Absprachen und der (nach Möglichkeit nach nationalem Recht erfolgenden) Aufforderung des Wirtschaftsteilnehmers zu Klarstellungen unter strikter Vertraulichkeit stattfinden und dem unter Verdacht stehenden Bieter oder anderen Teilnehmern des Vergabeverfahrens nicht offengelegt werden. Andernfalls kann es passieren, dass Bieter Beweise für ihre Absprachen widerrechtlich beseitigen, sobald ihnen die gegen sie ergriffenen Maßnahmen bekannt werden, sodass den Strafverfolgungsbehörden wertvolles Beweismaterial in künftigen Ermittlungen vorenthalten wird.

5.9.   Festlegung der Bedingungen für den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers gemäß Artikel 57 Absatz 7 der Richtlinie

Wie bereits erwähnt (68), ermöglicht Artikel 57 Absatz 7 der Richtlinie den Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels festzulegen. Zu diesen Bedingungen können die Bestimmung des höchstzulässigen Zeitraums für den Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von öffentlichen Vergabeverfahren, die Nennung von Kriterien oder Beispielen für das, was als einen solchen Ausschluss rechtfertigender Umstand angesehen werden könnte, und die Festlegung der nationalen Stelle, die für die Anordnung des Ausschlusses zuständig sein wird, zählen (wie in Erwägungsgrund 102 der Richtlinie bestätigt). Nach Artikel 57 Absatz 7 darf dieser Zeitraum in den in Artikel 57 Absatz 4 genannten Fällen drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis nicht überschreiten, sofern der Ausschlusszeitraum nicht durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgelegt wurde. In seiner jüngsten Rechtsprechung (69) stellte der Gerichtshof klar, dass der Zeitpunkt des betreffenden Ereignisses, der zur Bestimmung des Ausgangspunkts für die Berechnung des Ausschlusszeitraums maßgeblich ist, der Zeitpunkt ist, an dem das rechtswidrige Verhalten des Wirtschaftsteilnehmers Gegenstand einer Entscheidung einer zuständigen Behörde war; ohne dass dem Zeitpunkt Rechnung getragen würde, zu dem sich der Sachverhalt, der zu dieser Verurteilung geführt hat, ereignet hat.

Die Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, festzulegen, dass ein Ausschluss nach den Bedingungen in Artikel 57 Absatz 7 für einen bestimmten Zeitraum von einem öffentlichen Auftraggeber hinsichtlich seiner eigenen künftigen Vergabeverfahren oder von einer anderen Stelle (beispielsweise der nationalen Wettbewerbsbehörde, der zentralen Vergabebehörde oder einer zu diesem Zweck eingerichteten, besonderen Stelle) mit einem allgemeineren Geltungsbereich verhängt werden kann.

Nach Artikel 57 Absatz 7 gilt der höchstzulässige Ausschlusszeitraum von drei Jahren nur, wenn der Ausschlusszeitraum nicht zuvor in einem rechtskräftigen Urteil festgelegt wurde. Dies schließt nicht aus, dass es nach nationalem Recht zulässig sein kann, dass Justizbehörden je nach Schwere des Falls die Anwendung eines noch längeren Ausschlusszeitraums erwägen, wenn in einem Fall geheimer Absprachen ein rechtskräftiges Urteil ergeht.

Reicht ein Wirtschaftsteilnehmer, der nach Artikel 57 Absatz 7 der Richtlinie für einen bestimmten Zeitraum von den Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde, während des Ausschlusszeitraums ein Angebot ein, so muss der öffentliche Auftraggeber dieses Angebot ohne weitere Prüfung automatisch ablehnen. Ist der Ausschlusszeitraum eines Wirtschaftsteilnehmers abgelaufen, kann ein öffentlicher Auftraggeber dennoch entscheiden, diesen Wirtschaftsteilnehmer von einem Vergabeverfahren auszuschließen, allerdings nur, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d erfüllt sind.

Und schließlich beziehen sich aufgrund von Absprachen getroffene Ausschlussentscheidungen nur auf denjenigen Wirtschaftsteilnehmer, bei dem festgestellt wurde, dass er Absprachen getroffen hat, nicht auf andere Wirtschaftsteilnehmer, die in irgendeiner Weise mit diesem Wirtschaftsteilnehmer verbunden sind (wie Muttergesellschaften, andere Unternehmen derselben Gruppe oder Tochtergesellschaften der ausgeschlossenen Gesellschaften) und nicht an den betreffenden Vergabeverfahren beteiligt waren. Dies lässt natürlich das Recht eines öffentlichen Auftraggebers unberührt, jeden Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der Situationen befindet, die einen Ausschluss nach den Bestimmungen der Richtlinien rechtfertigen, von einem Vergabeverfahren auszuschließen.


(1)  Laut Schätzungen mehr als 14 % des gesamten Bruttoinlandsprodukts der EU-Mitgliedstaaten.

(2)  Ein Beispiel: http://documents.banquemondiale.org/curated/fr/975181468151765134/Curbing-fraud-corruption-and-collusion-in-the-roads-sectorhttp://documents.banquemondiale.org/curated/fr/975181468151765134/Curbing-fraud-corruption-and-collusion-in-the-roads-sector1 000 % über ihrem normalen Marktpreis lagen.

(3)  Auf der Grundlage von Informationen, die Mitgliedstaaten erhalten haben (siehe Abschnitt 2.2 dieser Bekanntmachung).

(4)  Analysiert in Abschnitt 5.1 dieser Bekanntmachung.

(5)  Siehe Artikel 57 Absatz 4 Buchstabe d der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65) und Artikel 38 Absatz 7 Buchstabe e der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 1). Der in der Richtlinie 2014/24/EU vorgesehene Ausschlussgrund kann gemäß Artikel 80 Absatz 1 der Richtlinie 2014/25/EU auch für die Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 243) gelten.

(6)  Für die Zwecke dieser Bekanntmachung beziehen sich die Begriffe „für die Auftragsvergabe zuständige Bedienstete“ oder „für die Auftragsvergabe zuständiges Personal“ auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter öffentlicher Auftraggeber oder Einrichtungen, die in größerem oder kleinerem Umfang an der Gestaltung, Einleitung und Durchführung eines Vergabeverfahrens für einen öffentlichen Auftrag beteiligt sind. Diese Definition berührt nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Organisation ihrer nationalen Verwaltungen, die Entscheidungsebenen, die Beteiligung verschiedener Dienststellen an den allgemeinen Vergabeverfahren usw. Gemeint ist hier, dass die Fähigkeit zur Aufdeckung von und Auseinandersetzung mit Fällen mutmaßlicher Absprachen und die Pflicht zur Gewährleistung der Zuverlässigkeit des Vergabeverfahrens für alle Beteiligten am Vergabeverfahren gilt; angefangen bei der Person, die die Angebote in Empfang nimmt und öffnet, bis zu der Führungskraft, die die Entscheidung über die Auftragsvergabe unterzeichnet.

(7)  Beispiele für von der Kommission untersuchte Fälle sind der SPO-Fall von 1992 (in die Bauunternehmen in den Niederlanden verwickelt waren) (Sachen IV/31.572 und 32.571), der Fernwärmetechnik-Fall von 1999 (Sache IV/35.691/E-4), der Fall Aufzüge und Fahrtreppen von 2007 (Fall COMP/E-1/38.823), der Energiekabelfall von 2014 (Sache AT.39610), sowie die Fälle, die im Bericht der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor (angenommen am 28. Januar 2019) aufgeführt werden; der Bericht ist abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/sectors/pharmaceuticals/report2019/report_de.pdfhttps://ec.europa.eu/competition/sectors/pharmaceuticals/report2019/report_de.pdf

(8)  Insbesondere das Kapitel in dem vom ICN ausgearbeiteten „Anti-cartel enforcement manual“ (Handbuch für Durchsetzungsmaßnahmen in Kartellsachen), das die „Relationships between Competition Agencies and Public Procurement Bodies“ (Beziehungen zwischen Wettbewerbsbehörden und Organen der öffentlichen Auftragsvergabe) behandelt.

(9)  Auch die vom OLAF in Auftrag gegebene und im Juni 2013 veröffentlichte Studie „Identifying and reducing corruption in public procurement in the EU“ (Aufdeckung und Eindämmung der Korruption im öffentlichen Auftragswesen in der EU; abrufbar unter https://ec.europa.eu/anti-fraud/sites/antifraud/files/docs/body/identifying_reducing_corruption_in_public_procurement_en.pdfhttps://ec.europa.eu/anti-fraud/sites/antifraud/files/docs/body/identifying_reducing_corruption_in_public_procurement_en.pdf

(10)  Am 17. Juli 2012 nahm der OECD-Rat eine Empfehlung zur Bekämpfung von Angebotsabsprachen in der öffentlichen Auftragsvergabe an (https://www.oecd.org/competition/oecdrecommendationonfightingbidrigginginpublicprocurement.htmhttps://www.oecd.org/competition/oecdrecommendationonfightingbidrigginginpublicprocurement.htm

(11)  Im Jahr 2013 veröffentlichte die Weltbank ihr „Fraud and Corruption Awareness Handbook“ (Handbuch zum Problembewusstsein für Betrug und Korruption), das sich an Bedienstete richtet, die an der Vergabe öffentlicher Aufträge beteiligt sind, und das einen Abschnitt zum Thema Absprachen enthält. Im Jahr 2011 gab die Bank zudem spezifische Leitlinien zur Bekämpfung von Absprachen im Baugewerbe heraus, bei dem sie, ebenso wie beim Sektor für medizinische Versorgungsgüter, die höchste Gefährdung durch geheime Absprachen feststellte.

(12)  Analysiert in Abschnitt 5.1 dieser Bekanntmachung.

(13)  https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=COM%3A2017%3A572%3AFIN

(14)  https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?from=EN&uri=CELEX%3A52020DC0094

(15)  Für die Zwecke dieser Bekanntmachung sind unter „zentrale Vergabebehörden“ die Behörden, Fachabteilungen oder Einrichtungen zu verstehen, die auf nationaler Ebene mit der Ausarbeitung, Umsetzung und Überwachung des Rechtsrahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf nationaler Ebene und/oder der Unterstützung ihres Funktionierens betraut sind. Dies lässt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation ihrer nationalen Verwaltungen unberührt.

(16)  https://ec.europa.eu/info/policies/public-procurement/support-tools-public-buyers/professionalisation-public-buyers/procurcompeu-european-competency-framework-public-procurement-professionals_de

(17)  Ein Beispiel für ein solches, von der Europäischen Kommission eingerichtetes Instrument ist hier zu finden: https://ec.europa.eu/competition/cartels/whistleblower/index.html

(18)  Insbesondere die Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung (EU) 2016/679).

(19)  Siehe Fußnote 18.

(20)  Bei der Einreichung der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE) müssen Wirtschaftsteilnehmer bereits angeben, ob sie kollusive Absprachen getroffen haben. Die Kommission könnte in Zukunft eine Ergänzung dieser Bestimmung in Erwägung ziehen, indem sie eine Erklärung verlangt, in der bestätigt wird, dass der Bieter sein Angebot unabhängig ausgearbeitet hat.

Die OECD hat ein Beispiel für diese Art von Erklärung erstellt: https://www.oecd.org/governance/procurement/toolbox/search/certificate-independent-bid-determination.pdf

(21)  Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union.

(22)  Siehe Fußnote 18.

(23)  Siehe Erwägungsgrund 128 der Richtlinie 2014/24/EU.

(24)  https://ec.europa.eu/growth/tools-databases/pp-large-projects/

(25)  Am 8. April 2020 nahm die Kommission eine Mitteilung über einen „Befristeten Rahmen für die Prüfung kartellrechtlicher Fragen der Zusammenarbeit von Unternehmen in durch den derzeitigen COVID-19-Ausbruch verursachten Notsituationen“ an (C(2020) 3200 final). Sie betrifft aus wettbewerbsrechtlicher Sicht den Umgang mit möglichen Formen der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsteilnehmern, um die Bereitstellung und angemessene Verteilung lebenswichtiger, knapper Waren und Dienstleistungen während des COVID-19-Ausbruchs sicherzustellen.

(26)  Diese Ausschlussgründe galten auch nach Richtlinie 2004/17/EG (laut Artikel 54 Absatz 4).

(27)  Siehe den Beschluss des Gerichtshofs vom 4. Juni 2019 in der Rechtssache C-425/18, CNS, Rn. 18 und 33.

(28)  Verweise in Abschnitt 5 dieser Bekanntmachung, in denen ausschließlich auf die Richtlinie 2014/24/EU oder darin enthaltene Bestimmungen Bezug genommen wird, sind so zu verstehen, dass sie auch die entsprechenden Bestimmungen in den Richtlinien 2014/23/EU und 2014/25/EU abdecken.

(29)  Siehe Erwägungsgrund 101 der Richtlinie.

(30)  Wie in Erwägungsgrund 101 der Richtlinie bestätigt.

(31)  Siehe den bereits erwähnten Beschluss des Gerichtshofs in der Rechtssache CNS, Rn. 18 und 33.

(32)  Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 24. Oktober 2018 in der Rechtssache C-124/17, Vossloh Laeis GmbH, Rn. 23, das Urteil vom 19. Juni 2019 in der Rechtssache C-41/18, Meca Srl, Rn. 28 und 31 und das Urteil vom 3. Oktober 2019 in der Rechtssache C-267/18, Delta Antrepriză, Rn. 25 bis 29.

(33)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Vossloh Laeis, Rn. 23, das Urteil in der Rechtssache Meca, Rn. 28, 31 und insbesondere 34, das Urteil in der Rechtssache Delta Antrepriză, Rn. 25 und 27, den Beschluss in der Rechtssache CNS, Rn. 34 und 35 sowie den Beschluss des Gerichtshofs vom 20. November 2019 in der Rechtssache C-552/18, Indaco, Rn. 24.

(34)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Delta Antrepriză, Rn. 26.

(35)  Aus den Antworten, die die Kommission auf ihre Fragebogenaktion vom Februar 2019 erhielt, geht hervor, dass sich die meisten Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinien aus dem Jahr 2014 dafür entschieden haben, den Ausschlussgrund für ihre öffentlichen Auftraggeber fakultativ zu belassen.

(36)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Meca, Rn. 33 und das Urteil in der Rechtssache Delta Antrepriză, Rn. 25 und 27. Der Gerichtshof verlangt, dass diese Bedingungen „den wesentlichen Merkmalen“ sowie den „Zielen und Grundsätzen“ der Ausschlussgründe entsprechen. Siehe auch den Beschluss in der Rechtssache Indaco, Rn. 23 und 25, sowie das Urteil des Gerichtshofs vom 30. Januar 2020 in der Rechtssache C-395/18, Tim, Rn. 36.

(37)  Vgl. den Beschluss in der Rechtssache CNS, Rn. 34.

(38)  Der Anhang dieses Leitfadens enthält einen Überblick über häufige „Red Flags“.

(39)  Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 17. Mai 2018 in der Rechtssache C-531/16, Ecoservice projektai, Rn. 37.

(40)  In seinem kürzlich ergangenen Urteil vom 11. Juni 2020 in der Rechtssache 472/19, Vert Marine, hob der Gerichtshof zudem hervor, dass die von den Mitgliedstaaten eingeführten Anwendungsbedingungen mit den zeitlichen Beschränkungen eines Vergabeverfahrens vereinbar sein müssen, damit die Bestimmungen der Richtlinie nicht ihrer ausgehöhlt werden (siehe Rn. 36 und 38 des Urteils).

(41)  Öffentliche Auftraggeber sind zwar nicht an im Ausland getroffene Entscheidungen gebunden, können aber Fälle berücksichtigen, in denen der Wirtschaftsteilnehmer an geheimen Absprachen in einem anderen Land beteiligt war.

(42)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Delta Antrepriză, Rn. 27 und den Beschluss in der Rechtssache CNS, Rn. 34.

(43)  Es sei denn, es liegt eine Entscheidung vor, den Wirtschaftsteilnehmer für einen bestimmten Zeitraum von Vergabeverfahren auszuschließen (siehe Abschnitt 5.9).

(44)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Delta Antrepriză, Rn. 36.

(45)  In Artikel 23 Absatz 1 der Richtlinie (EU) 2019/1 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts ist eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorgesehen, sicherzustellen, dass derzeitige und frühere Unternehmensleiter und Mitglieder der Aufsichts- und Leitungsorgane sowie sonstige Mitarbeiter von Unternehmen, die bei einer Wettbewerbsbehörde einen Antrag auf Geldbußenerlass gestellt haben, bei Verstößen gegen nationale Gesetze, mit denen vorrangig dieselben Ziele wie mit Artikel 101 AEUV verfolgt werden, umfassend geschützt werden vor in verwaltungsrechtlichen und nichtstrafrechtlichen Gerichtsverfahren verhängten Sanktionen im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an dem geheimen Kartell, das Gegenstand des Antrags auf Geldbußenerlass ist. Erwägungsgrund 64 bestätigt, dass diese Bestimmung auch nationale Gesetze zur Angebotsabsprache umfasst. Die Bekanntmachung der Kommission von 2006 über den Erlass von Geldbußen begrenzt den Geldbußenerlass außerdem auf Geldbußen, die andernfalls gegen ein Unternehmen, das seine Beteiligung an einem mutmaßlichen Kartell offenlegt, verhängt worden wären.

(46)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Vossloh-Laeis, Rn. 32.

(47)  Vgl. den Beschluss in der Rechtssache Indaco, Rn. 27.

(48)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Ecoservice projektai, Rn. 29. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass das eine Unternehmen privilegierten Zugang zu der Methode hat, nach der das Angebot des anderen Unternehmens erstellt wird, oder dass es eine Form der Koordinierung bei der Ausarbeitung ihrer Angebote oder bei der Festlegung ihrer Preisbildungsstrategie gibt.

(49)  Urteil des Gerichtshofs vom 16. Dezember 2008 in der Rechtssache C-213/07, Michaniki, Rn. 42, 43 und 62, Urteil vom 19. Mai 2009 in der Rechtssache C-538/07, Assitur, Rn. 30 und 32, Urteil vom 8. Februar 2018 in der Rechtssache C-144/17, Lloyd’s of London, Rn. 35, 36 und 38 und das Urteil in der Rechtssache Ecoservice projektai, Rn. 38.

(50)  Insbesondere in Anbetracht der Anerkenntnis des Gerichtshofs, dass die Unternehmensstrukturen verbundener Wirtschaftsteilnehmer Regelungen umfassen können, die sowohl die Unabhängigkeit als auch die Vertraulichkeit bei der Ausarbeitung von Angeboten im Rahmen ein und desselben Verfahrens gewährleisten (vgl. das Urteil in der Rechtssache Lloyd’s of London, Rn. 37, und das Urteil in der Rechtssache Assitur, Rn. 31).

(51)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Lloyd’s of London, Rn. 36, und das Urteil in der Rechtssache Assitur, Rn. 30.

(52)  Nach den „Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit“, die die Kommission im Januar 2011 erließ (abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52011XC0114https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52011XC0114

(53)  Ein generell offener Markt und eine hohe Zahl an in einem bestimmten Vergabeverfahren eingegangenen Angeboten können als Möglichkeit zur Einschränkung des Risikos betrachtet werden, das ein gemeinsames Angebot hinsichtlich einer Einschränkung des Wettbewerbs darstellen könnte.

(54)  Vgl. das Urteil des Gerichtshofs vom 22. Oktober 2015 in der Rechtssache C-425/14, Impresa Edilux, Rn. 39.

(55)  In seinem Urteil in der Rechtssache Vert Marine (Rn. 17) sowie in seinem Urteil vom 14. Januar 2021 in der Rechtssache C-387/19, RTS, Rn. 26 und 48, bestätigte der Gerichtshof, dass die Mitgliedstaaten dieses Recht bei der Umsetzung der Richtlinien garantieren müssen.

(56)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Vert Marine, Rn. 24.

(57)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Vert Marine, Rn. 28, 33, 35 und 36.

(58)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache RTS, Rn. 33.

(59)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache RTS, Rn. 36 und 42.

(60)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Ecoservice projektai, Rn. 23 und 25.

(61)  Wie der Gerichtshof kürzlich klarstellte, ist der Wirtschaftsteilnehmer berechtigt, zum Beweis seiner Zuverlässigkeit „Selbstreinigungsmaßnahmen“ vorzulegen, solange der Ausschluss für einen Zeitraum nicht durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt worden ist (vgl. das Urteil in der Rechtssache Vert Marine, Rn. 18).

(62)  Vgl. das Urteil in der Rechtssache Vossloh-Laeis, Rn. 23.

(63)  Vgl. unter anderem das Urteil in der Rechtssache Tim, Rn. 50.

(64)  Beispielsweise die spezifische Maßnahme, die getroffen wurde, um an wettbewerbswidrigen abgestimmten Praktiken beteiligte Personen zu ersetzen oder, falls dies zum Zeitpunkt des Vergabeverfahrens noch nicht abgeschlossen war, Maßnahmen, die zur Gewährleistung dessen getroffen wurden, dass diese Personen den Wirtschaftsteilnehmer nicht mehr in weitere rechts- und wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verwickeln können. Vgl. das Urteil in der Rechtssache Delta Antrepriză, Rn. 37.

(65)  Urteil in der Rechtssache Vossloh Laeis, Rn. 31.

(66)  Siehe Fußnote 18.

(67)  Vorbehaltlich der im EU-Recht und im nationalen Recht festgelegten Bedingungen (insbesondere Artikel 31 der Richtlinie (EU) 2019/1).

(68)  Siehe Abschnitte 5.1 und 5.3.

(69)  Urteil in der Rechtssache Vossloh Laeis, Rn. 37, 38 und 41.


ANHANG

Mittel und Tipps zur wirksamen Bekämpfung geheimer Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge

1.   Einleitung

Jede Bemühung um einen echten Wettbewerb und ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis bei öffentlichen Aufträgen setzt voraus, dass sich alle mit öffentlichen Aufträgen befassten Kreise, insbesondere die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten, einer ganz einfachen Tatsache bewusst sind: Wie gut ein Vergabeverfahren für einen öffentlichen Auftrag auch organisiert und durchgeführt sein mag — für den öffentlichen Auftraggeber wird es nicht das bestmögliche Ergebnis bringen, wenn sich die daran beteiligten Bieter im Voraus darüber abgesprochen haben, wer unter ihnen den Zuschlag erhalten wird. Absprachen zwischen Bietern bedeuten, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht die bestmögliche Ware oder Dienstleistung zum bestmöglichen Preis erhalten, was dem öffentlichen Interesse zuwiderläuft.

Der für die Auftragsvergabe zuständige Bedienstete, d. h. die Person, die an vorderster Front eines Vergabeverfahrens steht, spielt eine zentrale Rolle bei der Minimierung des Risikos von Absprachen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und der Bekämpfung geheimer Absprachen, wenn solche stattfinden. Sie ist am besten in der Lage, das Risiko bei der Vorbereitung des Verfahrens zu begrenzen, Absprachen bei der Bewertung der Angebote aufzudecken und die im EU-Recht und im nationalen Recht vorgesehenen Instrumente zu nutzen, um dieses Risiko aktiv anzugehen und sicherzustellen, dass im Vergabeverfahren Wettbewerb und Fairness herrschen. Für die Auftragsvergabe zuständige Bedienstete mit ihrem durch schwierige Bedingungen und knappe Fristen geprägten Arbeitsalltag sind aufgerufen, diesen weiteren Schritt zu gehen und diese zusätzlichen Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die öffentlichen Mittel sinnvoll eingesetzt werden.

Um die für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten bei dieser Aufgabe zu unterstützen, hat die Kommission kompakte Ratschläge zusammengestellt, wie sie

Vergabeverfahren so gestalten können, dass von Absprachen zwischen den Bietern abgeschreckt wird (Abschnitt 2 des Anhangs),

potenzielle Absprachen bei der Bewertung der Angebote aufdecken können (Abschnitt 3 des Anhangs) und

auf solche mutmaßlichen Absprachen reagieren können (Abschnitt 4 des Anhangs).

Umfassendere Hinweise sind den ausführlicheren Leitlinien zu entnehmen, die von der OECD (1) und dem OLAF (2)sowie den nationalen Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten veröffentlicht wurden.

2.   Ratschläge zur Gestaltung von Vergabeverfahren, damit von Absprachen zwischen Bietern abgeschreckt wird

Streben Sie bei der Ausarbeitung Ihrer allgemeinen Strategie für die Auftragsvergabe und bei der Gestaltung der Vergabeverfahren eine möglichst hohe Beteiligung von Bietern sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland an.

Wird den Wirtschaftsteilnehmern die Beteiligung erleichtert, erhöht dies den Wettbewerb und verringert die Gefahr von Absprachen. Darüber hinaus begrenzt die Beteiligung von Wirtschaftsteilnehmern aus dem Ausland in Sektoren mit starker Konzentration (in denen eine geringe Zahl nationaler Wirtschaftsteilnehmer tätig ist) die Gefahr von Absprachen.

Führen Sie, sobald Ihnen der Gegenstand Ihres Auftrags bekannt ist, aber vor der Planung und Durchführung des Vergabeverfahrens, eine gründliche Recherche des Marktes durch, der die Dienstleistung oder Ware, für die der Auftrag vergeben werden soll, bereitstellen wird.

Versuchen Sie, möglichst viele Informationen darüber zu erhalten, was auf dem Markt verfügbar ist, welche Spezifikationen angeboten werden können, welche Wirtschaftsteilnehmer in dem Sektor tätig sind, welche Preise in ähnlichen Fällen berechnet werden (sowohl bei öffentlichen als auch privaten Aufträgen derselben Art), was die voraussichtlichen Kosten des Auftragnehmers sind usw.

Wenn Sie keine klare Vorstellung von den erwarteten, realen Marktkosten der Dienstleistung, Ware oder Bauleistung haben, deren Ausschreibung Sie beabsichtigen, werden Sie nicht beurteilen können, wie geeignet oder angemessen die Angebote sind oder ob es beim angebotenen Preis zu Manipulationen gekommen ist.

Nutzen Sie das Internet zur Sondierung des Marktes und setzen Sie Ihre nationale elektronische Beschaffungsdatenbank dazu ein, Präzedenzfälle aus früheren Käufen gleicher oder ähnlicher Art und amtliche Berufsregister zertifizierter Auftragnehmer zu finden.

Besprechen Sie die Angelegenheit mit Kollegen in Ihrer Dienststelle oder bei anderen öffentlichen Auftraggebern, die kürzlich die gleiche Ware oder Dienstleistung erworben haben, und machen Sie sich deren Erfahrungen zunutze.

Denken Sie daran, dass es keine Vorschrift gibt, die es den für die Auftragsvergabe zuständigen Bediensteten verbietet, eine gründliche Marktrecherche durchzuführen, so wie es jeder tun würde, bevor er private Käufe tätigt.

Vermeiden Sie bei der Planung Ihrer Beschaffungen nach Möglichkeit Vorhersehbarkeit oder feste Wiederholungen in Vergabeverfahren, die Sie häufig durchführen.

Das Wissen oder die Gewissheit, dass Sie in den nächsten Jahren alle sechs Monate Vergabeverfahren über die gleiche Menge bestimmter Bauleistungen, Waren, Dienstleistungen oder Versorgungsgüter mit den gleichen veranschlagten Haushaltsmitteln und zu den gleichen Vertragsbedingungen einleiten werden, wird wettbewerbswidrige abgestimmte Praktiken erheblich erleichtern, da die an geheimen Absprachen beteiligten Wirtschaftsteilnehmer wissen werden, dass es genug Aufträge für alle geben wird. Auch wenn es sinnvoll ist, den Markt vorab über Ihren mittel- bis langfristigen Bedarf zu informieren, versuchen Sie bitte, Ihre Aufträge in Bezug auf Zeitplanung, Mengen und Haushaltsmittel mit einem hinreichenden Grad an Vielfalt zu organisieren. Dies erschwert es den an geheimen Absprachen Beteiligten, den Markt untereinander entsprechend aufzuteilen.

Planen und starten Sie Ihre Vergabeverfahren früh genug, damit Sie genügend Zeit haben, die Angebote ordnungsgemäß zu bewerten und mutmaßliche Fälle von Absprachen anzugehen, ohne die Fristen für den Abschluss des Verfahrens zu überschreiten.

Ziehen Sie nach Möglichkeit, und sofern dies für Ihren Auftrag geeignet ist, eine zentrale Beschaffungsmaßnahme in Erwägung; sie kann Ihnen zusätzliche Garantien für die Verfügbarkeit von Mitteln und dem für die Aufdeckung von Absprachen erforderlichen Knowhow bieten.

Eine zentrale Beschaffung erfolgt in der Regel in Form von Rahmenverträgen. Obwohl diese Technik sowohl für den öffentlichen Auftraggeber als auch für die Wirtschaftsteilnehmer erhebliche Vorteile mit sich bringt (sie kann besonders nützlich sein, um öffentlichen Bedarf zu decken und die Versorgung rasch zu gewährleisten), kann sie sich in einigen Fällen negativ auswirken und geheime Absprachen eventuell sogar begünstigen. Ein Rahmenvertrag schränkt grundsätzlich den Wettbewerb in einem Sektor ein, da bis zu vier Jahre lang außer den Rahmenvertragspartnern kein anderer Wirtschaftsteilnehmer Angebote für einen Einzelvertrag (oder „Abruf“) im Rahmen des Rahmenvertrags abgeben kann. Der Mangel an neuen Marktteilnehmern in diesem Zeitraum könnte das Risiko geheimer Absprachen zwischen Rahmenvertragspartnern erhöhen, insbesondere im Fall von Rahmenverträgen, bei denen der Wettbewerb in der Phase der Einzelverträge wieder aufgenommen wird.

Gehen Sie bei der Gestaltung und Durchführung jedes Vergabeverfahrens so vor, dass eine möglichst große Beteiligung von Wirtschaftsteilnehmern gefördert wird.

Legen Sie klare, sinnvolle, umfassende und leicht verständliche technische Spezifikationen und Auswahlkriterien fest, die in einem angemessenen Verhältnis zu den zu beschaffenden Bau- oder Dienstleistungen oder Lieferungen stehen und den europäischen und nationalen Anforderungen entsprechen.

Vermeiden Sie Klauseln, die unnötig, übermäßig kompliziert, irrelevant oder diskriminierend sind (d. h. Begünstigung oder Benachteiligung bestimmter Wirtschaftsteilnehmer), die den Wettbewerb einschränken und die letztlich die Objektivität des Vergabeverfahrens und die Verlässlichkeit des öffentlichen Auftraggebers als potenzieller künftiger Kunde infrage stellen.

Wenden Sie qualitätsorientierte Zuschlagskriterien an. Die ausschließliche Verwendung des Preises als Zuschlagskriterium erleichtert Absprachen, da das Bewertungsergebnis berechenbarer wird und leichter manipuliert werden kann. Die Bewertung der Angebote anhand von Qualitätskriterien erschwert den an geheimen Absprachen Beteiligten die Manipulation ihrer Angebote, da sie dann nicht ohne Weiteres im Voraus urteilen können, zu welchem Ergebnis der Evaluierungsausschuss gelangen wird.

Suchen Sie, wo immer möglich, innovative Lösungen für Ihre Erfordernisse. Mitglieder eines Systems geheimer Absprachen verlassen sich in der Regel auf stabile, berechenbare öffentliche Aufträge und können die Erbringung innovativer Dienstleistungen oder Lieferungen häufig nicht gewährleisten – im Gegensatz zu neuen Marktteilnehmern, die in den Markt eintreten, um diese Lücke zu schließen. Dies bedeutet für die Beteiligten eines Systems geheimer Absprachen eine drastische Einschränkung der Gewissheit, dass einer von ihnen den Zuschlag für einen Auftrag erhalten wird.

Räumen Sie den Wirtschaftsteilnehmern ausreichend Zeit für die Erstellung und Einreichung ihres Angebots ein. Unabhängig von der in den EU-Richtlinien oder nationalen Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Mindestfrist steht es Ihnen frei, unter Berücksichtigung der Komplexität der zu erbringenden Dienstleistung oder zu liefernden Ware eine längere Frist für die Angebotsabgabe festzusetzen.

Verzichten Sie darauf, von Wirtschaftsteilnehmern Gebühren für den Zugang zu Informationen über das Vergabeverfahren zu verlangen.

Machen Sie umfassenden Gebrauch von der elektronischen Auftragsvergabe. Dies erleichtert den Bietern den Zugang zu Informationen und die Einreichung eines Angebots erheblich.

Veröffentlichen Sie die Informationen und die Vertragsbekanntmachung in möglichst weiten Kreisen und vermeiden Sie eine Veröffentlichung während der Ferienzeiten, denn dadurch verkürzt sich die den Bietern zur Verfügung stehende Zeit für die Erstellung ihres Angebots.

Versuchen Sie, das Verfahren so rasch wie möglich abzuschließen und den Zeitraum zwischen dem Ende der Frist für den Eingang der Angebote und der Zuschlagsentscheidung möglichst kurz zu halten. Dies ermutigt die Wirtschaftsteilnehmer zur Teilnahme und begrenzt zugleich die Zeit, die Bietern für geheime Absprachen zur Verfügung steht (z. B. Verhandlungen über den Rückzug eines Bieters aus dem Verfahren, um im Gegenzug einen Teil des Auftrags als Unterauftragnehmer zu erhalten).

Nutzen Sie Methoden, um Wirtschaftsteilnehmer für mögliche Folgen zu sensibilisieren und sie von geheimen Absprachen abzuhalten.

Nehmen Sie in die Ausschreibungsunterlagen Bestimmungen und Klauseln wie folgende auf:

Bedingung, dass die Bieter eine Erklärung vorlegen, aus der hervorgeht, dass sie ihr Angebot unabhängig von anderen Bietern erstellt haben.

Sanktionen gegen den künftigen Auftragnehmer, falls bei ihm festgestellt wird, dass er im Rahmen des Vergabeverfahrens Absprachen getroffen hat, oder die ausdrückliche Möglichkeit für den öffentlichen Auftraggeber, aus diesem Grund den Vertrag zu kündigen oder Schadensersatz zu verlangen.

Informationen über mögliche Sanktionen, die nach nationalem Recht für Fälle geheimer Absprachen vorgesehen sind (z. B. Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen für einen bestimmten Zeitraum oder Geldbußen nach dem Wettbewerbsrecht).

Verlangen Sie von den Bietern nach Maßgabe des nationalen Rechts, so bald wie möglich während des Verfahrens mitzuteilen, ob sie die Vergabe eines Teils des Auftrags an Unterauftragnehmer beabsichtigen.

Prüfen Sie sorgfältig, welche Informationen Sie während des Vergabeverfahrens offenlegen. Sie müssen nicht über das hinausgehen, was nach europäischem und nationalem Recht erforderlich ist. Vermeiden Sie nach Möglichkeit die Offenlegung von Informationen (z. B. wer ein Angebot eingereicht hat und zu welchem Preis, Einzelheiten des Verfahrens usw.), die Kontakte zwischen den Wirtschaftsteilnehmern erleichtern oder es den Absprachebeteiligten ermöglichen könnten, ohne Schwierigkeiten zu überprüfen, ob alle Beteiligten bei der Teilnahme an Vergabeverfahren die Bedingungen ihrer rechtswidrigen Vereinbarung eingehalten haben.

3.   Ratschläge zur Aufdeckung potenzieller Absprachen bei der Bewertung von Angeboten

Nehmen Sie sich die Zeit, die für eine eingehende Prüfung der im Verlauf des Verfahrens eingereichten Angebote erforderlich ist. Oft werden Absprachen anhand von Kleinigkeiten aufgedeckt, die in der Regel unbemerkt bleiben, aber plausible Anhaltspunkte dafür liefern können, dass bestimmte Angebote von derselben Person erstellt oder zwischen den Bietern abgestimmt wurden. Achten Sie auf:

Identische Fehler oder Rechtschreibfehler in unterschiedlichen Angeboten.

Unterschiedliche Angebote, die in einer ähnlichen Handschrift oder Schriftart erstellt wurden.

Angebote mit dem Briefkopf oder den Kontaktangaben eines anderen Bieters.

Unterschiedliche Angebote mit identischen Rechenfehlern oder identischen Methoden zur Veranschlagung der Kosten bestimmter Posten.

Angebote, die von derselben Person oder von Personen mit denselben Kontaktdaten eingereicht wurden.

Achten Sie stärker auf Angebote, die deutlich unter den in den Ausschreibungsunterlagen geforderten Mindeststandards liegen, weitgehend unvollständig sind oder von einem Wirtschaftsteilnehmer stammen, der offensichtlich nicht zur Ausführung des Auftrags geeignet ist.

Solche Angebote sind ein Anhaltspunkt dafür, dass eine geheime Absprache bestehen könnte, die die Abgabe sogenannter „Scheinangebote“ (d. h. Angebote, die keine Chance haben oder nicht dazu gedacht sind, den Zuschlag zu erhalten) umfasst, um die Bewertung zu manipulieren und das gewünschte Ergebnis zu erzielen.

Unterziehen Sie die von den Bietern angebotenen Preise einer sorgfältigen Prüfung, insbesondere Preise, die keinen Sinn ergeben, weil sie im Vergleich zu den geschätzten Auftragskosten viel zu niedrig oder viel zu hoch sind, ohne dass es eine nachvollziehbare Erklärung dafür gibt. Suchen Sie nach:

Anhaltspunkten, die auf eine mögliche Preisabstimmung zwischen Unternehmen hindeuten, beispielsweise gleiche, nicht durch Marktkostenerhöhungen erklärbare Preissteigerungen oder vorenthaltene Preisnachlässe, insbesondere wenn es sich um einen Markt handelt, auf dem in der Vergangenheit Preisnachlässe gewährt wurden.

Großen Unterschieden zwischen dem Preis eines erfolgreichen Angebots und anderen Angeboten.

Fällen, in denen das Angebot eines Lieferanten für einen bestimmten Auftrag viel höher ist als das Angebot desselben Lieferanten für einen anderen, ähnlichen Auftrag.

Erhebliche Preissenkungen gegenüber früheren Preisen, nachdem ein neuer oder selten auftretender Wirtschaftsteilnehmer ein Angebot eingereicht hatte, was bedeutet, dass der neue Wirtschaftsteilnehmer ein bestehendes Kartell gestört haben könnte.

Fällen, in denen einheimische Lieferanten höhere Preise für lokale Lieferungen anbieten als für Lieferungen an weiter entfernte Bestimmungsorte.

Fälle, in denen einheimische und auswärtige Unternehmen ähnliche Lieferkosten anbieten.

Fälle, in denen die meisten Bieter denselben Preis anbieten.

Fälle, in denen Bieter für ähnliche Verfahren stark unterschiedliche Preise anbieten.

Überprüfen Sie nach Möglichkeit (mittels elektronischer Beschaffungsdatenbanken wie nationalen Auftragsregistern oder anderen verfügbaren IT-Tools), ob die bei Ihnen eingegangen Angebote einem Bietermuster entsprechen, das auf früheren ähnlichen Vergabeverfahren beruht. Solche Muster können als Anhaltspunkt für eine kollusive Absprache angesehen werden. Zur Ermittlung solcher Muster prüfen Sie bitte Folgendes:

Die Häufigkeit, mit der Wirtschaftsteilnehmer den Zuschlag für Aufträge erhalten oder nicht.

Wirtschaftsteilnehmer, die bei einigen Verfahren durchweg hohe Preise und in anderen, für dieselbe Art von Lieferungen, Bau- oder Dienstleistungen stets niedrige Preise anbieten.

Ob derselbe Wirtschaftsteilnehmer stets den niedrigsten Preis anbietet.

Wirtschaftsteilnehmer, deren Angebote nur in bestimmten geografischen Gebieten den Zuschlag erhalten.

Wirtschaftsteilnehmer, die regelmäßig Angebote einreichen, aber in Ihrem Verfahren kein Angebot abgeben, obwohl von ihnen eine Teilnahme erwartet wurde.

Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Angebote während des Verfahrens unerwartet zurückziehen.

Wirtschaftsteilnehmer, die immer Angebote einreichen, aber nie den Zuschlag erhalten.

Wirtschaftsteilnehmer, die abwechselnd den Zuschlag für die Aufträge erhalten.

Nutzen Sie die nach EU-Recht und Ihrem nationalen Recht bestehenden Möglichkeiten, um in jeder Phase des Verfahrens Informationen über die Absicht eines Bieters einzuholen, einen Teil des Auftrags als Unterauftrag zu vergeben und, falls dies zutrifft, an welches Unternehmen.

Vergibt der ausgewählte Bieter an nicht erfolgreiche Bieter Unteraufträge für denselben Auftrag oder verweigert der ausgewählte Bieter die Unterzeichnung des Vertrags und wird später festgestellt, dass er Unterauftragnehmer des Bieters ist, der letztendlich den Zuschlag erhält, kann dies als hinreichend plausibler Anhaltspunkt für Absprachen angesehen werden.

Achten Sie auf Angebote, die von einem Konsortium von Wirtschaftsteilnehmern eingereicht werden, die eigenständig Angebote hätten einreichen können oder von denen man dies erwartet hätte.

Ein gemeinsames Angebot kann je nach den spezifischen Marktbedingungen des Vergabeverfahrens eine legitime geschäftliche Entscheidung sein oder aber eine Frage der Notwendigkeit, wenn die Wirtschaftsteilnehmer nur als Bieterkonsortium die Auswahlkriterien erfüllen können oder eine bessere Chance haben, den Zuschlag für den Auftrag zu erhalten. Trifft keiner der oben genannten Fälle zu, sollten Sie sorgfältig prüfen, ob ein gemeinsames Angebot als Anhaltspunkt für geheime Absprachen angesehen werden kann.

Achten Sie auch auf Angebote, die im Vergabeverfahren von Wirtschaftsteilnehmern eingereicht werden, die in irgendeiner Weise miteinander verbunden sind (beispielsweise Angebote, die von der Muttergesellschaft und ihrer Tochter oder von zwei derselben Unternehmensgruppe angehörenden Unternehmen eingereicht werden).

Auch wenn daraus nicht unbedingt folgt, dass solche verbundenen Unternehmen Zugang zur Vorbereitung des Angebots des jeweils anderen Unternehmens hatten oder dass sie sich untereinander abstimmten, könnten Ausschreibungen verbundener Unternehmen auf eine kollusive Absprache hindeuten, und Sie müssten sich vergewissern, dass alle Angebote völlig unabhängig voneinander ausgearbeitet wurden.

Achten Sie besonders auf Angebote von Wirtschaftsteilnehmern, die in der Vergangenheit von Ihrem oder einem anderen öffentlichen Auftraggeber wegen geheimer Absprachen ausgeschlossen wurden oder die in der Vergangenheit von einer nationalen Wettbewerbsbehörde Praktiken verbotener Zusammenarbeit für schuldig befunden wurden.

Auch wenn eine solche Feststellung nicht automatisch zum Ausschluss des Bieters von einem laufenden Vergabeverfahren führt, könnten Sie sie unter bestimmten Umständen als hinreichend plausiblen Anhaltspunkt für Absprachen ansehen. Nichts hindert Sie daran, auch im Ausland festgestellte Fälle geheimer Absprachen, an denen derselbe Wirtschaftsteilnehmer beteiligt ist, zu berücksichtigen. Es versteht sich von selbst, dass Sie dann, wenn der Wirtschaftsteilnehmer für einen bestimmten Zeitraum von allen Vergabeverfahren in Ihrem Land ausgeschlossen worden ist und während dieses Zeitraums ein Angebot einreicht, diesen Wirtschaftsteilnehmer von Ihrem Vergabeverfahren ausschließen müssen, ohne das eingereichte Angebot zu bewerten.

4.   Ratschläge zur Reaktion auf Fälle mutmaßlicher Absprachen

Sind Sie zu dem Schluss gelangt, dass hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Reihe von Wirtschaftsteilnehmern Absprachen zur Einschränkung des Wettbewerbs oder zur Vorherbestimmung des erfolgreichen Bieters getroffen hat, sind Sie nach EU-Recht berechtigt, einen Ausschluss der beteiligten Bieter vom Vergabeverfahren in Betracht zu ziehen.

Bevor Sie eine solche Entscheidung treffen, prüfen Sie die Ihnen vorliegenden Anhaltspunkte gründlich, und dokumentieren Sie Ihre Feststellungen (einschließlich aller damit verbundenen Kontakte).

Berücksichtigen Sie Gesichtspunkte wie die Art und Schwere der Sachverhalte, die in Ihnen den Verdacht einer kollusiven Absprache erregten, die möglichen Erklärungen des Bieters (siehe unten) und die Marktlage im betreffenden Sektor.

Ziehen Sie nur den Ausschluss von Bietern in Betracht, die eine tatsächliche Gefahr für den Wettbewerb darstellen, z. B. nur diejenigen Bieter, die das System geheimer Absprachen initiiert oder geleitet haben.

Bedenken Sie bitte, dass es für ein auf geheime Absprachen hindeutendes Warnsignal („Red Flag“) eine einleuchtende Erklärung geben kann, die Sie berücksichtigen müssen, bevor Sie einen Bieter vom Verfahren ausschließen.

Nutzen Sie die nach EU- und nationalem Recht vorgesehenen Möglichkeiten, Bietern Gelegenheit zu geben, Klarstellungen zu ihrem Angebot zu übermitteln, insbesondere zu den Gesichtspunkten, die Anlass zum Verdacht auf geheime Absprachen waren.

Bieter, die im Verdacht stehen, im Rahmen eines Vergabeverfahrens geheime Absprachen getroffen zu haben, sind nach EU-Recht berechtigt, Ihnen Argumente vorzutragen, die für ihre Belassung im Vergabeverfahren sprechen. Hierzu zählen Nachweise, dass sie Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Zuverlässigkeit getroffen haben (wenn sie von einem früheren Verfahren ausgeschlossen wurden oder von einer nationalen Wettbewerbsbehörde geheimer Absprachen für schuldig befunden wurden) oder dass ihre Teilnahme am Verfahren den erforderlichen echten Wettbewerb nicht gefährdet. Wenn Sie der Auffassung sind, dass die vom Bieter vorgebrachten Argumente oder die im Rahmen der EU-Richtlinien oder des nationalen Rechts ergriffenen „Selbstreinigungsmaßnahmen“ zum Nachweis seiner Zuverlässigkeit ausreichen, müssen Sie den Bieter im Verfahren belassen. Damit würde der Wettbewerb erhöht, insbesondere bei konzentrierten Märkten, auf denen nur wenige Wirtschaftsteilnehmer tätig sind.

Bei der Entgegennahme und Bewertung solcher Argumente sollten Sie den Bietern geheime Absprachen nicht unmittelbar vorwerfen; Sie sollten nicht einmal andeuten, dass Sie dies vielleicht tun, denn dies könnte an geheimen Absprachen beteiligte Bieter dazu veranlassen, Beweismittel, die im Prozess von Nutzen sein könnten, rechtswidrig zu vernichten.

Wahren Sie den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter (d. h., geben Sie allen betroffenen Bietern die gleiche Möglichkeit, Ihren etwaigen Bedenken in Bezug auf ihr Angebot zu begegnen), erörtern Sie diese Bedenken jedoch nicht gemeinsam mit den Bietern.

Achten Sie bei der Bewertung der Erläuterungen, die Sie gegebenenfalls erhalten, auf Aussagen, die Ihren Verdacht bestätigen könnten, beispielsweise wenn Bieter ihre Preise durch Bezugnahmen auf „branchenübliche Preisempfehlungen“, „Standardmarktpreise“ oder „branchenübliche Preistabellen“ begründen, was darauf hinweist, dass sie in einem bestimmten Gebiet oder an bestimmte Kunden nicht verkaufen, ohne dies angemessen zu erklären, oder wenn Bieter bei der Erläuterung des von ihnen angebotenen Preises gemeinsame Argumente oder sogar dieselbe Terminologie verwenden wie andere Bieter.

Prüfen Sie die von den Bietern vorgetragenen Argumente angemessen und unvoreingenommen.

Wenden Sie sich an Ihre nationale Wettbewerbsbehörde und/oder die zentrale Vergabebehörde (oder eine andere zuständige Behörde, je nach den auf nationaler Ebene bestehenden Regelungen), um Rat und fachkundige Unterstützung bei der Lösung des Problems zu erhalten, insbesondere dann, wenn Zweifel bestehen.

Falls ein solcher vorhanden und/oder vorgesehen ist, können Sie sich auch an Ihren Rechts- oder Rechnungsprüfungsdienst wenden.

Behandeln Sie diese Kontakte vertraulich und setzen Sie weder den unter Verdacht stehenden Bieter noch andere Bieter davon in Kenntnis, um zu vermeiden, dass möglicherweise an geheimen Absprachen beteiligte Bieter Zeit haben, Beweise unrechtmäßig zu vernichten, bevor die Wettbewerbsbehörde beschließt einzugreifen.

Wenn Sie entscheiden, einen Bieter aus diesem Grund auszuschließen, setzen Sie Ihre nationale Wettbewerbs- oder Vergabebehörde davon in Kenntnis und übermitteln Sie ihnen möglichst viele Einzelheiten. Damit erhalten diese Behörden die Möglichkeit, den Fall gegebenenfalls weiterzuverfolgen und allgemein den Überblick über die Anwendung dieses Ausschlussgrundes durch die öffentlichen Auftraggeber auf nationaler Ebene zu behalten.


(1)  https://www.oecd.org/daf/competition/guidelinesforfightingbidrigginginpublicprocurement.htm

(2)  https://ec.europa.eu/sfc/sites/sfc2014/files/sfc-files/Fraud%20in%20Public%20Procurement_final%2020.12.2017%20ARES%282017%296254403.pdf